Balduin Groller
Eine Panik und andre humoristische Erzählungen
Balduin Groller

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Eine Panik.

Es war eine intime literarische Feier. Am Vormittag hatten wir ihm eine Abordnung auf den Hals dirigiert, – schöne Rede, Adresse, Ehrengeschenk, – und abends gaben wir ihm das Festbankett. Der siebzigjährige Jubilar war das Kind unter uns, die wir alle doch beträchtlich jünger waren. Reinhold Klaus dichtete noch immer unentwegt fort, wie Theodor Körner gedichtet hatte; wenn's gut ging, sang er wie Emanuel Geibel sang. Auf die Moderne und auf alle »Richtungen« hatte er einen ehrlichen Haß und er hing mit unverbrüchlicher Treue an seinen »Idealen«.

Das flößte uns Respekt ein, zumal er auch seine ganze Lebensführung seinen idealen Anschauungen angepaßt hatte. Er glaubte noch ehrlich an den Kuß der Musen, und nimmer hätte er sich invita Minerva an den Schreibtisch gesetzt. Die Literatur als Gewerbe, als Erwerbsmittel schien ihm etwas Scheußliches, und er empfand es niemals als einen Gemeinplatz, wenn er Jahrzehnte hindurch versicherte, er sänge, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnt. Für seine lyrischen Gedichte hätte er niemals ein Honorar genommen. Dazu sei ihm sein »Herzblut«, das Heiligste, das in ihm lebte, doch zu gut, daß er es gegen Geld einwechsle.

Es war nicht unser Standpunkt, aber wir respektierten das. Die praktische Frage, die sich leicht hätte aufdrängen können: Wie nun aber doch? entfiel hier eigentlich. Reinhold Klaus lebte als alter Junggeselle von einer kleinen Rente, mit der er sich einrichtete. Er legte sich mancherlei Entsagung auf, um seinen Idealen nicht untreu werden zu müssen, und wenn auch über seine Geistesrichtung und seine 4 ganze literarische Produktion die Meinungen geteilt sein mochten, so waren sie doch einig in der Wertschätzung der Reinheit seiner Gesinnungen und der Ehrenhaftigkeit seiner Lebensführung.

Wir liebten den alten Herrn, der die ganze Jugendlichkeit seiner Seele in das Alter herübergerettet hatte. Wir lächelten nicht über ihn und seine Eigentümlichkeiten, deren er ja eine ganz beträchtliche Anzahl aufzuweisen hatte. Wie seine Kunstweise, blieb auch sein ganzer innerer Mensch im Laufe der Zeiten unverändert. Er war ein geborener Hannoveraner, aber selbst ein Jahrzehnte langer Aufenthalt in Wien hatte nicht vermocht, die feine Schärfe seines heimatlichen Dialekts auch nur im geringsten abzustumpfen.

Gegen die Mitternachtszeit wurde der alte Herr fürsorglich nach Hause gebracht, aber es gab dann natürlich noch eine Exkneipe, bei der noch immer und nun erst recht nur von Reinhold Klaus die Rede war. Seine engeren Freunde fügten Zug an Zug zur Vervollständigung seines Charakterbildes. Eine der kleinen Geschichten, die dabei aufkamen, sei hier mitgeteilt.

* * *

Es ist beinahe ein halbes Jahrhundert seither vergangen; man kann getrost davon sprechen.

Es war im Schillerjahre 1859. Im großherzoglichen Hoftheater zu Darmstadt hatten sie auch eine Festvorstellung vorbereitet, und man hatte dazu »Die Braut von Messina« gewählt. Das festlich gekleidete Publikum begann das Haus zu füllen. Auf dem rechten Ecksitz der ersten Parkettreihe richtete sich ein junger Mann ein, dem man es wohl ansehen konnte, daß es ihm heiliger Ernst um die Sache sei. Er stach etwas ab von seiner allernächsten Umgebung, die aus Herren und Damen der Gesellschaft, aus Offizieren und Aristokraten bestand. Sein Frack saß nicht so tadellos, wie bei seinen Nachbarn. Sein schlichtes blondes 5 Haar war um einige Zoll zu lang und ließ ein wenig zu deutlich den Künstler oder Poeten erkennen. Der flaumige Christusbart war nicht sonderlich gepflegt, aber der ganze Eindruck war doch ein gewinnender. Er hatte gute blaue Augen, die träumerisch blickten. Man sah es dem jungen Manne an, daß er ein Opfer gebracht hatte, um sich einen so guten Platz zu sichern. Er wollte ganz bei der Sache sein, mit voller Hingebung und Andacht.

Dazu sollte es aber nicht kommen. Ein Geräusch in der Proszeniumsloge, knapp zu seiner Rechten, ließ ihn aufblicken. Ein ungemein feierlicher Lakai legte dort auf der Brüstung einen Theaterzettel und ein Opernglas zurecht und trat dann zurück, um zwei Damen den Weg frei zu machen. Eine große Dame, die eine, die andre sichtlich auch vornehm, aber neben der wirklich großen Dame leicht kenntlich in der bescheideneren Rolle einer Gesellschaftsdame.

Der junge Mann beobachtete. Schon die Art, wie die beiden Damen ihre Plätze einnahmen, regte ihn zu Gedanken an. Der Lakai stand hinten und rückte beiden die Fauteuils zurecht. Während aber die Gesellschaftsdame mit der charakteristischen weiblichen Bewegung, indem sie sich setzte, sich ein wenig zur Seite bog und rückwärts greifend nachhalf, um den Stuhl auf den richtigen Platz zu bringen, hatte die andre sich in ruhiger Majestät niedergelassen, ohne auch nur den Blick zu wenden, geschweige denn sich seitwärts zu biegen. Das war die geborene große Dame, die da wußte, daß eher das Haus einstürzen könne, als daß Lakai und Sessel nicht auf dem richtigen Platz sein sollten, wenn sie sich setzte.

Der Bediente nahm dann die kostbaren Mäntel an sich und ließ nur die notwendigen leichten Umhüllungen aus Spitzen und Seide zurück und entfernte sich lautlos.

Der Vorhang ging auf, aber der junge Mann brachte es nicht zu einer programmgemäßen Andacht, und es schien nun beinahe, als sei das finanzielle Opfer für den hohen 6 Zweck vergeblich gebracht worden. Es hatte ihm förmlich einen Stoß gegen das Herz gegeben, als er die große Dame zuerst erblickte, und nun, da sie, dem festlichen Anlaß entsprechend, mit enthüllten Schultern ihm so nahe saß, daß er den feinen Duft ihres matten Blondhaares zu spüren vermeinte, beunruhigte ihn ihre Gegenwart doch ganz erheblich mehr, als es für den andächtigen Genuß der Schillerschen Dichtung noch zuträglich sein konnte.

Es war eine traumhafte Erscheinung. Bei aller Zartheit des geschmeidigen Leibes eine Formentwicklung, die nichts von mädchenhafter Herbheit an sich hatte. Das war es, was dem jungen Mann gleich aufgefallen war und was ihn so mächtig anzog. Das bleiche Gesicht mit dem feingeschnittenen Profil wurde durch die strahlenden grauen Augen mit ihren Glanzlichtern belebt und dann durch die schmalen, aber feingezeichneten roten Lippen, deren Lächeln einen Mann unsäglich glücklich machen mußten.

Während auf der Bühne die Dinge sich in feierlichem Kothurnschritt entwickelten, träumte der junge Mann von einem wahnsinnigen Glück, auf das, so kurz es auch sein mochte, getrost der Tod folgen konnte. Ein solches Glück als Lebensinhalt, das wäre mehr gewesen, als worauf ein gewöhnlicher Sterblicher Anspruch hat. Einen Augenblick gelebt im Paradiese –!

Je mehr er sich in diese Züge vertiefte, desto tiefer geriet er auch in ihren Bann. Wenn er nur ein Bild von ihr haben könnte! Von wem müßte es aber gemalt sein? Wer wäre würdig einer solchen Aufgabe? Vielleicht Gainsborough oder Reynolds, nein, nicht genug. Van Dyck selber wäre der richtige Mann. Und nicht einmal den möchte er mit dieser Aufgabe betrauen. Wie die Augen, die Nase, die Lippen gezeichnet sind, da müßte Hans Holbein her und kein andrer. Das gäbe dann ein Bild, den Stolz von Jahrhunderten! Haus Holbein wird gewählt.

So träumte der junge Mann und kam erst zu sich, als 7 nach dem ersten Aufzuge der Vorhang fiel. Nun sah auch die Dame für einen Augenblick auf ihn, kühl und teilnahmslos. Sie hatte seine Aufmerksamkeit längst bemerkt. Was hatte das für sie zu bedeuten? Sie war es gewöhnt, die Blicke auf sich gerichtet zu sehen, und sie war geübt darin, sie zu ertragen. Und doch blickte sie dann noch einmal hin. Der junge Mann mit dem schlichten Haar, mit dem unverhohlenen Enthusiasmus, – es war doch nicht das Gewohnte und Gewöhnliche.

Als der Vorhang zum zweitenmal in die Höhe ging, schlug eine feurige Lohe von der Bühne in den Zuschauerraum. Ein Prospekt war in Brand geraten. Ein kurzer Augenblick der Stille des entsetzten Schreckens, und dann der wilde Lärm einer von Todesangst erfüllten flüchtenden Menge. Wahnsinnige Hast und in der Sorge für das eigne Leben grausame Rücksichtslosigkeit gegen den Schwächeren, gegen jeden.

Als der junge Mann aus der ersten Betäubung auffuhr – in dieser hatte er sich zunächst gebückt, um seinen Theaterzettel aufzuheben, und dann gekämpft gegen die andrängende Schar, die ihm das erschwerte. So unzweckmäßiger Art ist gewöhnlich die erste Reflextätigkeit bei einer ausbrechenden Panik, – und als er dann zur Loge aufblickte, fand er sie leer. Er ließ sich vom Strom nicht mitreißen, sondern schwang sich mit einer Kraft und Geschwindigkeit, die auf einen gestählten Körper schließen ließen, auf die Brüstung der Proszeniumsloge. Dann zwängte er sich durch die Türe, was ihm erst nach besonderer Anstrengung gelang. Denn schon war die Menge in dem engen Logengang dichtgedrängt, und noch immer wurde sie vermehrt durch die von den Galeriestiegen heruntereilenden Scharen.

Er suchte mit den Blicken eine Frau und hatte sie bald erspäht. Sie stand in dem Gewühle bleichen Antlitzes, aber ruhig, während alles ringsum kämpfte und drängte. Ihre Gesellschafterin war schon von ihrer Seite gerissen und nicht 8 mehr zu sehen. Er schob sich zu ihr durch und berührte leicht ihren Arm. Sie blickte zu ihm auf und erkannte ihn wieder.

»Treten Sie, bitte, einen Schritt zurück,« sagte er ihr.

Sie folgte der Aufforderung. Das war leichter als das Vorwärtsdrängen, und niemand kämpfte dagegen, da sie ja Raum gab.

»Nehmen Sie meinen Arm und halten Sie fest,« sagte er dann. Sie standen mit dem Rücken an die Wand des engen Logenganges gelehnt und er glitt an dieser entlang mit ihr dem Strome entgegen in der Richtung zur Bühne. Die kleine eiserne Tür, die zum Bühnengang führte, war zum Glücke nicht versperrt. Er öffnete sie, und so gelangten sie nun durch diesen Gang ungehindert ins Freie. Dort wogte die geängstigte Menge. Der Schnee fiel in großen Flocken.

»Wir haben wenig Aussichten, Ihren Wagen zu finden, meine Gnädige,« sprach er dann wieder zu ihr.

»Nicht die geringste. Ich habe ihn für zehn Uhr befohlen, und jetzt ist es acht.«

»Haben Sie weit nach Hause?«

»Sehr weit.«

»Dann kommen Sie, rasch. Jeder Augenblick ist kostbar. Ihre Gesundheit ist in Gefahr.«

Er riß hastig seinen Frack vom Leibe und legte ihn ihr über die Schultern. Er stülpte auch noch den Kragen hinauf und zog den Rock fest zusammen, um sie möglichst zu schützen. Sie ließ es geschehen und lächelte dazu.

»Was nun?« fragte sie nun doch schon über alle Angst hinaus und nur noch mit der gegenwärtigen grotesken Situation beschäftigt.

»Jetzt heißt's laufen, meine Gnädigste,« entgegnete er. »Ich wohne drei Häuser von hier. Wir müssen Sie vor allen Dingen in eine warme Stube bringen.«

9 Sie liefen also, und wenige Minuten später waren sie in seinem Junggesellenheim, wo ein lustiges Kaminfeuer brannte. Er setzte sie sofort zum Kamin, und während er Licht machte, plauderte er: »Sie sehen, meine Gnädigste, daß es sich immer lohnt, wenn man fleißige Absichten hat. Ich wollte nach dem Theater noch arbeiten und ließ darum das Feuer brennen. Ein wahrhaft erhebendes Beispiel belohnter Tugendhaftigkeit!«

Sie hatte den Frack wieder abgelegt und saß in voller Behaglichkeit da, wieder ganz die große Dame.

»Fürchten Sie nicht, daß Sie sich doch schon erkältet haben könnten?« fragte er besorgt.

»Ich habe keine Angst,« antwortete sie. »Ich bin abgehärtet.«

»Sie – abgehärtet?!«

»Gewiß. Ich bade auch im Winter täglich kalt. Das härtet ab.«

»Kalt?«

»Allerdings; das heißt – ich schwimme, und noch dazu mit Leidenschaft. Jetzt aber, lieber Freund, müssen Sie noch einmal zum Theater laufen und mir Bericht erstatten, ob es nicht noch ein ernstes Unglück gegeben hat. Ich habe sonst keine ruhige Minute. Vorher sagen Sie mir nur noch rasch, bei wem ich die Ehre habe mich aufzuhalten.«

»Phil. Dr. Reinhold Klaus,« lautete die mit einer Verbeugung verbundene Vorstellung.

Er warf rasch einen Rock um und eilte davon. Er blieb nicht lange aus und konnte dann berichten, daß die Affäre doch noch recht glimpflich abgelaufen sei. Allerdings, einige Verwundungen im Gedränge habe es abgesetzt, aber wenigstens sei kein Menschenleben zu beklagen. Sie atmete erleichtert auf und dankte ihm, indem sie ihm die Hand reichte. Ihr Auge gewann dabei einen tiefen Glanz. Jetzt erst ward sie bewegt, indem sie alle Möglichkeiten der drohenden Katastrophe überdachte.

10 »Nun können wir auch an mich denken,« sagte sie. »Wie gedenken Sie mich von da wegzubringen?«

»Da gedenke ich vorläufig noch gar nichts. Bin froh, daß Sie da sind. Jetzt wollen wir vor allen Dingen einmal die Magenfrage lösen. Sie müssen ja auch einen riesigen Hunger haben, meine Gnädigste.«

»Durchaus nicht,« entgegnete sie lächelnd, »ich habe knapp vor dem Theater diniert.«

»Donnerwetter, geben Sie es aber nobel! Seit meinem Diner bin ich schon zweimal hungrig geworden! Ich habe mir da mein Abendbrot vorgerichtet. Sehen Sie nur diese famose Gothaer Wurst, ein bißchen Schinken, Butter, Käse – das ist ja ein königliches Festmahl. Ein Gott in Frankreich lebt nicht besser, und da wollen Sie nicht mittun?!«

»Ich kann nicht, es geht nicht mehr.«

»Aber eine Tasse Tee werden Sie doch mit mir trinken?«

»Wenn Sie mir eine geben wollen.«

»Ich will. Jetzt passen Sie nur auf, was ich Ihnen da für einen Tee zusammenbraue. Darin bin ich Künstler, und es ist noch sehr die Frage, ob der Großherzog in Person einen besseren zu trinken kriegt.«

Er braute also seinen Tee zusammen, und sie trank mit ihm. Ihm zuliebe mußte sie auch die berühmte Gothaer Wurst versuchen und sie bestätigte ihm mit Vergnügen, daß sie in der Tat vorzüglich sei.

Als er mit seinem Abendbrot zu Ende war, fragte sie ihn, ob er nicht rauchen wolle. Er sagte, er wolle wohl, er werde es aber nicht tun.

»Warum nicht?«

»Weil es stillos wäre.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Wenn Sie das nicht verstehen, dann haben Sie eben kein Stilgefühl – doch nein, das haben Sie gewiß. Ich muß es Ihnen nur erklären. Sehen Sie 'mal, meine Gnädigste – bei dieser Gelegenheit können Sie mir 11 wirklich sagen, wie ich Sie nennen darf. Man spricht sich doch leichter. Sie zögern – Sie wünschen nicht – gehen wir weiter. Betrachten Sie meine Bitte als nicht gestellt.«

»Ach nein, Herr Doktor –, ich wollte Sie doch gewiß nicht kränken, zumal ich Ihnen dankbar sein muß für Ihren ritterlichen Dienst. Also – non parce que, mais quoique. Ich bin nur verwirrt, weil mir das alles so ungewohnt ist.«

»Halten wir uns damit nicht auf. Ich möchte, daß Sie sich ganz behaglich fühlen.«

»Das tue ich auch. Wissen Sie, nennen Sie mich Alexandra, das wird das einfachste sein.«

»Frau Alexandra?«

»Natürlich, schon seit zehn Jahren. Ich hin eine alte Frau!«

Er sah die alte Frau an und verfiel wieder in dieselben Träumereien, die ihn schon im Theater umfangen hatten. Sie sprach davon, daß sie verwirrt sei, und sie ahnte nicht, daß ihre Nähe etwas Sinnverwirrendes habe. Sie plauderte angeregt weiter, und jedes Wort von ihr, jede ihrer Gebärden hatten etwas Berückendes. Sie sprach mit einem leichten fremdländischen Akzent, und unbeabsichtigt flossen ihr französische und englische Wendungen in die Rede. Alles an ihr war ihm neu, rätselhaft, bestrickend. Er mußte sich aufraffen, um sich vom Banne zu befreien und nicht als sprachloser Träumer bei ihr zu sitzen.

»Wovon sprachen wir doch?« begann er also wieder. »Richtig, von der Stillosigkeit!«

»Eigentlich von der Zigarre!«

»Das ist ja die Stillosigkeit. Ich habe keine Zigarren. Ich rauche nur zu Hause und da nur meine lange Pfeife. Und nun stellen Sie sich das Bild vor, Frau Alexandra. Ich habe das namenlose Glück, die schönste Frau des Jahrhunderts bei mir zu sehen –, und dazu zünde ich mir eine lange Pfeife an! Soll das etwa Stil sein?!«

12 »Ich schwärme allerdings nicht für lange Pfeifen, aber wir können uns helfen. Nehmen Sie eine Zigarette von mir, und wenn Sie gestatten, rauche ich auch eine.«

Sie griff in die Kleidertasche und holte mit einem kostbaren Spitzentaschentuche ein kleines goldenes, mit Brillanten besetztes Etui heraus. Sie wollte es öffnen, aber der feine Mechanismus widerstand, weil sie mit den engen weißen Handschuhen auch nicht recht zugreifen konnte. Sie reichte also die Dose ihm, daß er sich bedienen möge. Dagegen verwahrte er sich aber.

»Das hieße,« sagte er, »den Wert der Gabe beeinträchtigen. Ich muß sie aus ihrer Hand empfangen. Tun Sie also nur Ihre langmächtigen Handschuhe herunter, Frau Alexandra. Dann erst werde ich glauben, daß Sie sich bei mir ganz zu Hause fühlen.«

Sie sah ihn an und lachte. Dann streifte sie die Handschuhe, die den ganzen Unterarm deckten, ab, und bediente ihn nach seinem Wunsche.

»So,« bemerkte er befriedigt, »und nun reichen Sie mir ohne Handschuhe die Hand zu einem guten deutschen Händedruck.«

Sie gab ihm die wundervoll zarte weiße Hand, und er küßte sie.

»Das ist nicht deutsch, Herr Doktor!«

»Aber begreiflich und notwendig. Man kann nicht anders. Sind Sie deshalb böse, Frau Alexandra?«

»Nein, deshalb bin ich nicht böse, Herr Doktor.«

»Auch sonst nicht?«

»Auch sonst nicht.«

»Würden Sie aber sehr böse werden, wenn ich sagte, daß Sie die schönste Frau sind, die ich überhaupt noch im Leben gesehen habe?«

»So etwas Ähnliches hatten Sie ja bereits die Güte zu bemerken.«

13 »So etwas kann man nicht oft genug sagen!«

»Und dann glaube ich nicht, Herr Doktor, daß irgendeine Frau über eine solche Bemerkung böse werden könnte – vorausgesetzt, daß sie nicht ironisch gemeint war.«

Er legte die Hand aufs Herz. Ob sie ihn denn wirklich einer solchen Gemeinheit für fähig halte?

»Ich glaube nicht an die Wahrheit Ihrer Worte, Herr Doktor, aber ich glaube an Ihre Aufrichtigkeit.«

Dafür mußte er danken, und er dankte, indem er ihr wieder die Hand küßte, und er küßte sie recht stürmisch.

»Sie müssen artig bleiben, Herr Doktor!« mahnte sie.

Er bat sofort um Verzeihung und schwor, daß ihm nichts ferner gelegen habe als ein unreiner Gedanke. Für ihn gäbe es nichts Heiligeres als die Frauenehre, und er müßte sich selbst tief verachten, wenn er jemals auch nur durch ein unziemliches Wort die Gefühle eines Mädchens oder einer Frau verletzen sollte. Ihm gälte das als Schändung eines Heiligtums.

Sie lächelte ihm gütig zu, während er sprach, und lauschte mit Aufmerksamkeit seinen Worten. Auch sie sah sich etwas Neuem und Rätselhaftem gegenüber. Der junge Mensch weckte ihr Interesse, und je mehr sie ihm zuhörte und je besser sie ihn kennen lernte, desto lebhafter regte sich in ihr ein Gefühl für ihn.

»Sie sind ein Kind, Doktor,« sagte sie leise, »aber ein gutes Kind.«

»Sie spotten meiner, Frau Alexandra.«

»Das tue ich nicht. Gute Kinder hat man lieb.«

Sie gab ihm wieder die Hand und machte Miene, sich zu erheben.

»Sie wollen doch nicht etwa jetzt schon davonrennen?!« fragte er und machte dazu ein sehr erschrockenes Gesicht.

»Ich muß allerdings an den Aufbruch denken.«

»Es ist wahr. Daß ich das nicht bedachte! Ihre Leute werden sich um Sie ängstigen, Frau Alexandra?«

14 »Meine Leute –,« sie zuckte die feingemeißelten Achseln wie in souveränem Hochmut oder ungeheurer Gleichgültigkeit. »Ich tu', was ich will, und das muß ihnen recht sein. Wenn ich Ihnen nicht lästig bin, Doktor, bleibe ich noch ein halbes Stündchen!«

»Lästig – Sie – mir?! Auf den Knien möchte ich Ihnen danken!«

»Nicht, Doktor! Schön weiter artig sein! Setzen Sie sich schön zu mir her und erzählen Sie mir etwas von sich.«

»Es gibt nicht viel zu erzählen, Frau Alexandra. Ich habe ausstudiert und habe nun die Reise in das Leben angetreten, die Reise nach dem Glück. Hier ist meine erste Station. Sie sehen, das Glück weicht mir nicht aus, und überhaupt – man träumt nur immer von der Jagd nach dem Glück, und ich hätte es gar nicht nötig, denn ich war Zeit meines Lebens ein Glücklicher.«

»Wenige Menschen können das von sich sagen.«

»Ich kann es. Man muß sich nur für das Schöne begeistern können, dann ist man glücklich. Bei mir kommen allerdings noch besonders günstige äußere Umstände dazu. Ich bin ein reicher Mann.«

»Sie sind ein reicher Mann?«

»Jawohl; ich habe ein ererbtes Vermögen, das mir jährlich ganze vierhundert Taler liefert. Das macht mich zu einem freien, unabhängigen Mann. Das wäre ja noch nicht viel, aber darüber hinaus schaffe ich mir noch etwas, indem ich einige Stunden gebe. Am liebsten nehme ich Abiturienten, die nicht ganz sattelfest sind und die ich dann für das Maturitätsexamen heraushaue. Was ich damit noch erwerbe, sichert mir den Überfluß, den Luxus und ermöglicht mir, den Kavalier zu spielen.«

»Und Ihr eigentlicher Lebensberuf?«

»Das Schöne zu genießen. Meine große Passion ist Kunst und Poesie. Die hat mich auch hierher geführt.«

15 »Sie sagten, es sei Ihre erste Station. Sie sind hier nicht zu Hause?«

»Nein, Frau Alexandra, ich bin auf Besuch hier – bei den alten Meistern, die ich nun mit Entzücken studiere.«

»Auch ich bin nur zu Besuch hier, aber bei Verwandten, und die sind vielleicht nicht so interessant wie Ihre alten Meister.«

»Kennen Sie die hiesige Galerie?«

»Natürlich kenne ich unsre Galerie sehr gut, das heißt – so gut man sie mit vielleicht unzulänglichem Verständnis kennen kann.«

»Ich würde mich schon verbindlich machen, Ihnen das Verständnis zu erschließen, Frau Alexandra. Ich habe hier die Radierungen der wertvollsten Stücke. Wollen Sie sie mit mir durchsehen?«

Sie stimmte zu, und er holte eine große Mappe und nahm sie auf die Knie. Nun sahen sie Blatt um Blatt an. Er gab seine Erläuterungen und wies bei jedem hin, worauf es ankam und warum es schön sei. Sie horchte aufmerksam zu, und um besser sehen zu können, hatte sie einen Arm auf seine Schultern gelegt. So steckten sie die Köpfe zusammen, daß ihr Haar sein Antlitz streifte. In seinem Eifer achtete er dessen nicht und er fuhr fort, zu erklären.

»Sehen Sie nur, Frau Alexandra, diese Holbeinsche Madonna. Man weiß von ihr recht wenig in der Welt, und sie gilt für eine Nachbildung des weltberühmten Dresdener Bildes.«

»Ich habe davon gehört, Doktor, sie soll eine gute alte Kopie sein, vielleicht noch aus Holbeins Zeit und unter seiner Aufsicht hergestellt.«

»So heißt es, Frau Alexandra. Je länger ich aber das Bild studiere, desto mehr verdichtet sich in mir ein dunkler Verdacht, daß wir das echte Bild hier haben, und daß das Dresdener Exemplar die Nachbildung ist.«

16 »O, Doktor, wenn Sie das beweisen könnten! Dann gebührte Ihnen ein Orden!«

»Ich weiß nicht, ob ich es werde beweisen können, aber die aufdämmernde Erkenntnis schon macht mich glücklich.«

»Daß den Dresdenern der Ruhmesglanz getrübt und die Freude zerstört wird?«

»Daß die Wahrheit zu ihrem Rechte kommt.«

Fast unwillkürlich hatte sich ihre erregte Anteilnahme an dem Gegenstand in einem leichten Druck ihres Armes, der auf seinen Schultern ruhte, geäußert. Es war, als wollte sie ihn bestärken in seiner Meinung und ihm zugleich für sie danken. Nun erst wurde er es gewahr, daß sie ihn umschlungen hielt, daß ihr Haar seine Wange streifte, nun erst fühlte er die Nähe der schimmernden weißen Haut, und es war ihm, als hörte er das Weltmeer brausen, und doch war es nur das Brausen des eignen Blutes. Nun umschlang auch er ihren Leib und blickte zu ihr, ihr Auge suchend, von unten herauf. Und sie blickte zu ihm nieder, und ihr Auge leuchtete in tiefem, schillerndem Glanz. Es war der Blick der Undine, die eine Seele gewonnen. Die Liebe leuchtete auf in dem Blick und das Leid und die Sehnsucht, und doch auch die Freude und der Mut und der Wille, alles zu opfern für die Liebe.

»O, Alexandra, ich lebe die glücklichste Stunde meines Lebens!«

Sie antwortete nicht, aber sie schloß ihren Arm enger um seinen Nacken und dann küßte sie ihn heiß und innig und weltverloren. Und er sog den langen Kuß in sich und er wußte nun, daß er, was auch das Schicksal noch bringen möge, das beste und schönste Teil seines Lebensinhalts in sich gesogen hatte.

Dann richtete er sich mit Zusammenraffung all seiner Seelenkräfte auf und schritt durch das Zimmer. Dann sagte er: »Du sollst wissen, Alexandra, daß du einem armen 17 Menschenkinde ein Glück gespendet hast, das vorhalten wird bis zu seinem seligen Ende. Hab' Dank, hab' tausendfachen Dank dafür! Nun aber bin ich es selber, der mahnt: jetzt mußt du fort.«

Sie senkte schweigend das Haupt.

Er ging zu seiner Zimmerfrau hinüber und entlehnte einen Pelzmantel, der am nächsten Morgen zurückgestellt werden sollte. Dann führte er Alexandra die Treppe hinunter und geleitete sie durch die Straße, bis sie einen Wagen fanden. Er wurde verabschiedet, bevor sie einstieg und dem Kutscher das Fahrziel bekanntgab.

* * *

»Das ist der Roman unsres Jubilars,« schloß der Erzähler.

»Und hat er von Alexandra nie wieder etwas gehört?« wurde stürmisch gefragt.

»Nie wieder. Bald darauf gab Reinhold Klaus seinen ersten Gedichtband heraus, die »Lieder eines Glücklichen«. Er spricht noch heute mit einer gewissen Verbitterung davon, daß der Band von der deutschen Kritik und dem deutschen Volke nahezu unbeachtet geblieben sei, während er im Auslande sofort Anerkennung gefunden habe. Er erhielt nämlich dafür einen ausländischen Orden, und in der bezüglichen amtlichen Zuschrift hieß es: »In besonderer Würdigung der hohen Formschönheit seiner Gedichte und der in ihnen zum Ausdruck gebrachten Reinheit und Tiefe der Empfindungen.«

»Und hat er sich niemals irgendwelche Gedanken über die Persönlichkeit . . .«

»Er wandelt noch immer ahnungslos und, wie Sie wissen, einschichtig durchs Leben.«

»Ich wollt', ich hätte das erlebt!« rief der Lebemann in der Gesellschaft.

18 »Überheben Sie sich nicht!« lautete die zurückweisende Antwort. »Sie hätten das gar nicht so erleben können, dazu gehört doch etwas mehr. Und anders wär's lange nicht so hübsch gewesen. Noch ein Glas auf Reinhold Klaus! Ex! Und an die Wand mit den Gläsern!« . . .

 


 


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