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ein anderer Baum hat ein so düsteres, finsteres Gepräge wie die Erle. Ihr Aussehen, ihre Blüte, ihre Frucht, ihr Standort, ihre Gewohnheiten, fast alles ist charakterisiert durch ein ernstes, unheimliches oder mürrisches Schwarz. Mit keinem andern Baume hätte Goethe in seinem Erlkönig so intensiv das Gefühl des Schauerlichen verknüpfen können, als mit der Erle, diesem düsteren Gesellschafter der Sümpfe. Es gibt in Deutschland hanptsächlich zwei Arten von Erlen, die Schwarzerle und die Weißerle. Denn die beiden anderen, die weißhaarige Erle und die Alpenerle, besitzen nur untergeordnete Bedeutung. Schwarzerle nnd Weißerle haben viel Gemeinsames, äußerlich unterscheiden sie sich am deutlichsten durch die Farbe des Stammes, der bei der Weißerle perlgrau, bei der anderen Art dunkelfarbig, häufig ganz schwarz ist. Hier soll nur von der Schwarzerle die Rede sein. Sie ist die weitaus häufigere, die allgemein verbreitete und allbekannte Art.
Es gibt in Deutschland kaum einen Bach, einen See, Teich, überhaupt ein Gewässer irgendwelcher Art, an dem nicht die Schwarzerle sich angesiedelt hätte. Und fehlt sie irgendwo noch, an einem neu gebauten Kanal, einem jungst erst abgedämmten oder frisch ansgegrabenen Teich, in zehn Jahren werden hohe Erlenbüsche die Ufer umsäumen. Denn der Baum verbreitet sich leicht durch seinen dünnen, leichten Samen, den der Wind weit hinwegträgt, oder der auch inmitten des ganzen Fruchtkätzchens von Vögeln verschleppt werden kann. So leicht findet der Samen ja allerdings nicht eine günstige Stelle, wie der der Birke oder der Eiche. Er keimt nur auf feuchtem Boden, und dieser ist an und für sich reicher mit Pflanzen bedeckt wie trockenes Land. Dafür aber bietet der feuchte und besonders der direkt nasse Boden einen andern großen Vorteil, der sich in neuerer Zeit immer mehr geltend macht. Die Stellen, an denen Erlen gedeihen, sind für den Menschen am wenigsten nutzbar. durch nichts wird die Verminderung in der Mannigfaltigkeit unferer Waldpflanzen mehr befördert, als durch den intensiveren Betrieb der Landwirtschaft und den Kahlschlag in den Forsten. Um die Plätze an Gewässern und sumpfigen Gebieten kümmert sich weder der Landwirt noch der Forstmann in erheblichem Maße. Und gerade dieser Umstand ist der Verbreitung der Erle so günstig. Zwar wird sie häufig genug gefällt, aber doch wird den Bäumen nicht systematisch zu Leibe gegangen. Hier und da wird einmal einer mit der Axt umgehauen, wenn gerade ein Stamm gebraucht wird und Zeit genug übrig ist, um die Arbeit des Fällens vorzunehmen. Aber durch das Umhauen entsteht nicht etwa eine Lücke in dem Erlenbestand. Denn der Baum hat die vorzügliche Eigenschaft, aus dem Stumpf wieder auszuschlagen. Schon im ersten Jahre wachsen die Triebe meterhoch empor, im zweiten Jahre ist bereits ein großer breiter Busch von mehreren Metern Höhe entstanden. Daß ein Stumpf mit feinen unverschmälerten Wurzeln mächtige Triebe in die Höhe schleudern kann, kommt allerdings auch bei träg wachsenden Bäumen, z. B. bei der Eiche vor. Aber die Erle ist auch sonst ein sehr rasch aufschießender Baum. Ist der Samen einmal gekeimt, und hat der Sämling das erste Jahr glücklich überstanden, dann hat er die schlimmste Zeit hinter sich. Die Wurzeln haben sich gut entwickelt und sind nun fähig, dem Stämmchen einen reichen Nährstoffvorrat zuzusenden, so daß dieses sich kräftig strecken und in wenigen Jahren zu einem respektablen kleinen Baum emporwachsen kann.
Die Erle hat in der Jugend einen sehr reichverzweigten buschförmigen Wuchs. Die Seitenzweige beginnen dicht über dem Wurzelhals, und sie erreichen fast dieselbe Länge wie der Mitteltrieb. Aber dieser steigt doch senkrecht in die Höhe und behauptet immer die Vorherrschaft vor den übrigen Trieben, obwohl auch diese einen sehr aufrechten Wuchs besitzen. So strebt der ganze Busch energisch aufwärts, der Stamm verdickt sich nach und nach, und die unteren Äste werden aus Mangel an Licht allmählich dürr und fallen ab. Wenn sich so der Stamm von seinen unteren Zweigen befreit hat, bildet er oben eine zwar immer noch etwas längliche, aber wohlproportionierte Krone. Die Erlen sind stets sehr gerade, steife, regelmäßig gebaute Bäume. Sie können, wenn man ihnen Zeit gönnt, sehr stark werden und eine Höhe von 25 Metern erreichen. Mit unseren stattlichsten Bäumen, den Eichen, Buchen, Fichten können sie sich freilich weder an Höhe, noch an Lebensdauer im entferntesten messen.
Die Erle hat immer ein düsteres Aussehen, mag sie belaubt oder kahl sein. Der Stamm und die Aste haben eine dunkle, im Winter meist ganz schwarze Farbe. Im Winter machen unsere meisten Bäume, wenn das Laub herabgefallen ist und die Äste mit all ihrer kleinen und kleinsten Verzweigung kahl in die Luft starren, einen trübseligen Eindruck. Aber so schwarz, so durch und durch finster ist doch kein anderer Baum. Auch im ersten Frühjahr, wenn sich die Blüten entfalten, wird die Erle nicht viel freundlicher. Ihre Blütenkätzchen haben eine rote Farbe, aber das ist kein feuriges, kein belebendes Rot, sondern ein grauer, matter, unscheinbarer Fleischton, der nicht den mindesten Reiz hat. Schon im Herbst haben sich die Kätzchen gebildet, im Winter bleiben sie geschlossen am Baum, ohne ihn zu verschönern, und im zeitigen Frühjahr, im März, April, erschließen sie sich, ohne dadurch an Reiz zu gewinnen. Die Erle trägt männliche und weibliche Kätzchen auf demselben Individuum. Die männlichen Kätzchen enthalten Blüten, die vier Staubgefäße und eine vierteilige Blumenkrone besitzen. Dagegen entbehren die weiblichen Blüten auch dieser unscheinbaren Blumenkrone, sie bestehen nur aus einem Fruchtknoten. Vielleicht sind also die Erlen im Begriff, aus windblütigen insektenblütige Pflanzen zu werden. Die Samen reifen erst im Winter, bis zu dieser Zeit verholzen die Schuppen des weiblichen Kätzchens gänzlich und es entsteht ein kleines kugeliges, einem Kiefernzapfen ähnelndes schwarzes Gebilde, das den düsteren Eindruck des Baumes im Winter nur noch verstärkt.
Ende April, wenn die Bäume ihr frisches junges Grün bekommen und die ganze Natur in sehnender Frühlingspracht erzittert, bekleidet sich auch die Erle mit einem neuen Grün. Aber es ist nicht das wunderbare jugendliche Maigrün, das die finsteren Erlenzweige verschönt. Aus den Knospen lösen sich zunächst weißliche Deckblätter ab, die etwas Kahles und Kaltes besitzen. Die wirklichen Blätter aber erhalten fast sofort jenes dunkle, schwarze Grün, das die Erle nun den ganzen Sommer über behält. Die Blätter sind ziemlich groß, sie sind kreisrund und haben keine Spitze, auch dadurch wird die Belaubung schwer, dicht und finster. Selten aber sind die Blätter so verstaubt und welk im Sommer, wie diejenigen anderer Bäume. Denn da die Erle in feuchtem Boden steht, so hat sie immer starkes, prall gefülltes, sauberes, wenn auch düsteres Laub. Dagegen leidet dieses in der warmen Jahreszeit ziemlich beträchtlich durch Insektenfraß. Oft findet man blaue Blattkäfer oder deren schwarze Larven auf den Blättern, die von diesen Tieren mitunter so stark zernagt werden, daß nur das Nervengerippe übrig bleibt. Auch zur Zeit des Herbstes verändert die Erle ihr Laub nicht im geringsten, gleich als wollte sie sich hüten, ihren finsteren Charakter durch ein freundlich-weiches Oktoberkleid zu mildern. Sie bleibt dunkelgrün bis zuletzt. Im November muß zwar ein Blatt nach dem anderen der Kraft des Windes weichen, aber es fällt grün herab, und das letzte das fällt, ist noch so unverändert wie das erste.
Der feuchte Boden, auf dem die Erle wächst, ist auch immer reich an Nährstoffen, deren die Pflanzen bedürfen. Sumpfiges Land ist ja jederzeit überreich An solchen Stoffen, nur können nicht alle Pflanzen auf sumpfigem Boden wachsen, weil dieser eine schädliche Säure, die sogenannte Humussäure enthält. Die Erle ist gegen diese Substanz nicht empfindlich, sie nimmt die Stoffe, die ihr dienen, auf, um jäh emporzuschießen, ohne sich durch die beirren zu lassen, die schädlich sind. Denn auch sehr extreme Nässe, langwährende Überschwemmung, schaden ihr ebensowenig oder noch weniger als den Weiden. Aber selbst auf sandigem, nährstoffarmem Boden gedeiht die Erle sehr gut, vorausgesetzt, daß er die nötige Feuchtigkeit enthält. Gleich manchen Schmetterlingsblütlern kann sich der Baum mit kleinen Pilzchen zu einer Lebensgemeinschaft verbinden. Die Bakterien setzen sich an seinen Wurzeln fest und vermögen den im Boden fehlenden Stickstoff der freien Luft zu entnehmen, um ihn dem Baum zuzuführen. Hitze wie Kälte können der Erle selten etwas anhaben, so ist sie denn in ganz Europa zu Hause und geht selbst über die Grenzen Rußlands weit nach Asien hinüber und bis an die Südküste des Mittelmeeres hinab. Sie hat also ein Verbreitungsgebiet, das an Größe demjenigen der Pappeln, Weiden und Birken nicht nachsteht. Die Erle ist neben den Weiden die charakteristischste Begleitpflanze der Gewässer. Sie gibt vielen Bächen und Sümpfen, die sie umrahmt, ein düsteres, verzaubertes Aussehen. Ein offener Teich macht einen freundlichen oder nüchternen Eindruck, aber ein mit Erlen umstandenes Gewässer wird sofort düster, ernst, wenn nicht unheimlich. Das Wasser erscheint in ihrem Schatten dunkler, tiefer, grauenhafter. Alte Kindervorstellungen von bösen Nixen und versunkenen Schlössern werden in uns wach vor diesen dunkellaubigen Bäumen, deren schwarze Stämme sich im Wasser spiegeln. Den vielfach verschlungenen Pfaden der Bäche folgen die Erlen aufs genaueste, so daß man häufig schon von fern den Lauf eines Baches feststellen kann, ohne diesen selbst zu sehen. Ihre Wurzeln umklammern das Erdreich des Ufers, so daß dieses längere Zeit der immer wechselnden Strömung und der bodenverändernden Tätigkeit des Wassers standhalten kann. Man kann es oft beobachten, wie das Wasser das Erdreich unter einer am Bache stehenden Erle weggespült hat und wie diese sich doch noch lange Jahre festhält und dadurch auch das Ufer ebensolange vor einer Zerstörung bewahrt. Besonders erfüllen die Erlen zu Zeiten der Frühjahrsüberschwemmung die dankbare Aufgabe, die Ränder des Baches vor einer Zerstörung zu schützen und dadurch auch eine Zerreißung und Verwüstung der angrenzenden Gebiete zu verhindern. Hierin liegt vielleicht überhaupt die größte Bedeutung der Erle für den Menschen. Denn im übrigen ist ihr Nutzen nicht sehr groß. Zum Verdienst kann man ihr im übrigen anrechnen, daß sie auf Bodenstellen wächst, die auf andere Weise nicht nutzbringend verwendet werden können. Ihr Holz, das eine sehr eigentümliche rötlichgelbe Färbung besitzt, ist noch weniger wertvoll als das der Weiden. Der Brennwert ist gering, und da es nur geringe Haltbarkeit besitzt, weich ist und leicht zerbricht, so hat es auch als Nutzholz keinen besonderen Wert. Es wird ja allerdings zu allerhand Kleinigkeiten benutzt, doch könnten diese auch von anderem Holze angefertigt werden. Dagegen bewährt sich das Erlenholz bei Wasserbauten und bei der Versteifung von Gruben und Schächten. Ist auch der Wert der Erle nicht sehr hoch anzuschlagen, so beansprucht sie doch keinerlei Pflege, und was sie gibt, ist im wahren Sinne des Wortes geschenkt, denn sie entzieht keiner andern wertvolleren Pflanze den Platz.
Die Erle genießt auch als Zierbaum kein ansehen, in Parkanlagen findet man sie selten, wie man ja in ihnen überhaupt wirkliche Natur nie findet. Sie ist gewiß kein dekorativer Baum, aber ihre Früchte nähren im Winter Manche Singvögel, Hänflinge, Meisen, besonders aber den Zeisig, und um diese Vögel anzulocken und durch sie einen Park beleben zu lassen, könnte der Baum häufiger angepflanzt werden. Aber auch so ist die Erle eine unentbehrliche Staffage für den deutschen Bach, dem sie von seiner Quelle bis zur Mündung in seinem Zickzacklaufe folgt. Dem munteren, leichten, vor Kraft übersprudelnden Gesellen gibt sie einen größeren Ernst und eine größere Tiefe. Am Bachrand gesellt sich zur Erle die Weide, dazu einige Sträucher, vor allem Faulbaum, Kreuzdorn und Haselnuß, denen auf dem erhöhten Rande oft noch eine Eiche Gefellschaft leistet. Aber die Erle ist doch der vorherrschende Begleiter des Baches, oft ist sie auf weite Strecken hin der einzige. Fast überall, wo die Erle am Bachrand wächst, ist sie vom Hopfen, der stärksten der deutschen Schlingpflanzen, umwuchert. Mit seinen Stengeln umwickelt der Hopfen den Stamm und die Zweige und bedeckt sie mit seinen großen, dichten, gelappten Blättern. Mehrere solcher Schlingpflanzen bilden zusammen mit Stämmen oder großen Büschen von Erlen dichte Geflechte, ja ganze wunderschöne Laubhallen, die einen Teil des Baches von dem andern abgrenzen und nur hier und da weitere Durchsichten auf eine neue Szenerie der Bachlandschaft offen lassen. Die Erle bildet auf weitem, nassem Terrain auch geschlossene Wälder, sogenannte Erlenbrüche, die sich durch einen schwarzen humusreichen Boden auszeichnen. Solche Wälder sind äußerst imposant, die dunklen Bäume, der schwarze Boden, in dem man jeden Angenblick versinken kann, diese große Gleichmäßigkeit der düsteren Landschaft macht einen unheimlichen und erhabenen Eindruck zugleich. Der berühmteste der Erlenwälder in Deutschland ist der Spreewald, eine der eigentümlichsten und in ihrer Naturursprünglichkeit ziemlich einzig dastehende Landschaft. Hier bedeckt die Erle in mächtigen Exemplaren meilenweite schwarze Niederungen, zwischen denen die Spree in unzähligen Armen hindurchfließt. Diese Arme sind meist so schmal, daß die Laubkronen der Bäume von beiden Ufern her sich berühren und dann stundenlang dichte Laubhallen bilden, unter denen die Boote der Bewohner langsam auf dem stillen Wasser dahingleiten. Hier erreicht die ernste, düstere, schmucklose Erle den Höhepunkt ihrer ästhetischen Wirkung. Aber wäre der Baum selbst abstoßend häßlich, giftig oder sonstwie widerwärtig, wir müßten ihm doch einen Hauptplatz in den Naturbildern unserer Heimat einräumen. Er ist eine landschaftsformende Pflanze, ebenso wie die Fichte der Gebirgswälder, die Gräser der Wiesen, oder die Getreidearten der Felder. Zum Glück ist nun die Erle keine schädliche Pflanze, sie ist zwar ein bescheidener Baum, aber als Begleiter des munter plätschernden Baches kann sie etwas von der Sympathie beanspruchen, die wir diesem entgegenbringen.