Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Fünfzehntes Kapitel: Briefe.

Brauneck, 6. September 19..

Meine liebe Marion,

die Kieler Woche ist nun vorüber, es war höchst interessant und es gab sehr viel zu sehen. Und es gehört ja auch dazu. Leider liebt mich das Meer nicht, und ich kann Dir nicht sagen, wie froh ich bin, daß ich das ewige Geglitzer und das Auf- und Abwogen nicht mehr sehen muß! Seit meinem letzten Unglück ... Gott, wenn es noch einmal so weit kommt, werde ich wohl die ganze Zeit im Bett zubringen müssen – wer das aushält – ist mir Brauneck noch verhaßter geworden. Es zieht in diesem Hofe mit den drei Galerien, der Wind pfeift und heult, daß man meinen könnte, eine arme Seele klage da herum. Nun, so in der Beschränkung wie im letzten Jahr, da läßt es sich aushalten. Ich war ja wieder in Wiesbaden, und eigentlich hatten wir, meine Schwester Fränzi und ich, uns trefflich amüsiert, bis zuletzt die Sache für Fränzi etwas ungemütlich wurde, – nun, Du weißt ja ... sie saß zwischen zwei Stühlen.

Du fragst nach Rosmarie, nun, was soll ich Dir sagen als – sie wächst und wächst! Mich hat sie schon überwachsen, und ich muß mich mit schief aufgehobenem Hals mit ihr unterhalten. Sie versprach ja einmal hübsch zu werden, daraus ist nun nichts geworden. Sie ist eine lange Latte von einem blassen Mädchen, das sich beständig irgendwo anlehnen muß und der man immer sagen möchte: Falle doch nicht ganz über mich herein! Mich macht dieses haltlose schlaffe Wesen nervös. Sie ist auch nicht munterer geworden, seit wir ihre Frau von Hardenstein, – Du erinnerst Dich doch noch an dieses Denkmal auf dem Grabe teurer Angehöriger, – mit sanfter Gewalt entfernt haben. Mir war sie unausstehlich, mit ihren weisen Reden und pietistischen Neigungen. Unter ihrem Einfluß ist Rosmarie so unerträglich fromm geworden. Die Kleine hat es dabei übrigens hinter den Ohren ... Sie hatte mit fünfzehn Jahren, und noch dazu während ihrer Konfirmationszeit, eine Liebesaffäre mit unserem Nachbar, den sie dadurch in eine heillos schiefe Situation gebracht hat, so daß er sich zu unserm Bedauern jetzt ganz von uns fern halt. Denn natürlich muß ihm das verdrehte kleine Ding nur komisch gewesen sein.

Nun, nach dieser Sache war die Frömmigkeit in Brauneck eine Weile so sehr Mode, daß es beinah nicht mehr auszuhalten war. Der Fürst, der immer ein wenig mystische Neigungen hatte, wurde so angesteckt, daß ich ihn eines Abends traf, wie er mit Rosmarie Gesangbuchlieder!!! las. Nun, diese Periode ist glücklich überwunden, und auch Rosmarie ist etwas zur Vernunft gekommen. Wir waren in Baden mit ihr, bei meiner Schwägerin Helen, die sie ordentlich in die Kur genommen hat, ihr Nietzsche und Haeckel zu lesen gab. – Gott, der Wirrwarr in ihrem Kopfe, bei ihren ohnedies schwachen Gaben! Helen war entsetzt über ihr mangelhaftes Französisch, und das war denn auch der Anlaß, daß wir Frau von Hardenstein glücklich los wurden. Den Winter hatten wir eine schicke kleine Französin, die mir über manche langweiligen Stunden hinweg half. Leider war im Frühjahr ein Vetter des Fürsten aus Österreich da, und die kleine Französin war nicht vorsichtig genug. Der Fürst nahm die Sache äußerst tragisch, und Mademoiselle de Rosemorte mußte ihre Koffer packen. Nun sind wir, da auch Rosmaries Englisch dringend eine Aufbesserung brauchte, auf eine Miß Granger aufmerksam gemacht worden, die den Fürsten dadurch gewann, daß sie dreizehn Jahre in derselben Familie war und als sehr religiös gerühmt wurde. Ich versuchte umsonst, ihm die Person zu verekeln! Aber schließlich fanden wir nichts Passenderes, und bis jetzt scheint auch Rosmarie nicht von ihr angesteckt. Diesen Winter werden wir sie in Berlin haben und mit ihr in Theater und Konzerte gehen. Selbst das bescheidenste Lämmerhüpfen hat der Arzt verboten, denn sie soll wegen ihres schwachen Herzens noch gar nicht tanzen. Nun, so brauche ich mich auch nicht mit ihr zu langweilen. –

Hast Du die Adresse der Pariserin mit dem wunderbaren Teintverbesserungsmittel erfahren? ich bitte Dich dringend darum, es bilden sich kleine Fältchen unter meinen Augen, und man darf da nicht zuwarten, bis die Sache so wird, daß jedermann es merkt. Ach, dieses Brauneck! Kein Wunder, daß sich Falten bilden in dieser Riesenlangeweile!

Vergiß nicht ganz

Deine Charlotte Brauneck:

Lieber Harro!

Du hast auch meinen letzten Brief nicht beantwortet, obgleich ich hoffte, Du werdest es tun und mir ein paar Worte schicken. Ich wäre so glücklich gewesen. Aber vielleicht hast Du es meinem Vater versprochen, mir nicht zu schreiben. So sollst Du wenigstens von mir wissen, wie ich immer mit der gleichen Dankbarkeit und Liebe an Dich denke. Wem sollte ich auch nur ein aufrichtiges Wort sagen, wenn nicht Dir? Seit Frau von Hardenstein fort ist, bin ich so sehr allein, doch das weißt Du ja alles aus meinen andern Briefen, wenn Du sie bekommen hast? Solange ich schreibe, denke ich immer, ich rede mit Dir wie in alter Zeit. Ich will Dir auch heute gar nicht vorklagen, sondern Dir erzählen, was mich so sehr gefreut hat. Ich habe entdeckt, daß man vom dicken Turm aus, wenn man in die oberste Stube geht, sie heißt die Hexenstube, über den Wald sieht. Und dort ist seit einigen Wochen ein feiner weißer Strich, wo sonst immer der Himmel blank war. Es muß das Gerüst von Deinem neuen Hause sein. Und das wäre so gewachsen! Ich gehe nun jeden Tag hinauf, habe auch ein Fernglas oben, und nun sieht man schon die Linie von Deinem Dach. Oh, wie freue ich mich! Glücklicherweise hat niemand entdeckt, was ich da oben treibe, die Hexenstube steht ja immer leer, und Miß Granger macht sehr lange Mittagsschläfe. Und in Montreux fand ich noch etwas anderes, ich schrieb Dir nicht von dort aus, es ging mir zu schlecht damals. In einer deutschen Zeitung fand ich einen Bericht über Deine Nebelburg, Schloß Schweigen. Ich habe Wort für Wort auswendig gelernt, denn herauszuschneiden wagte ich es nicht.

Ja, nun kann ich es Dir ja erzählen, da es vorbei ist. In Montreux ging es mir sehr schlecht. Mama und ich und Miß Granger und Fräulein Bergmann und Lisa und Röschen waren in einem großen Hotel, und Mama machte es Freude, an der allgemeinen Tafel zu essen. Wo alle möglichen fremden Menschen essen und einen anstarren. Papa sollte es gar nicht wissen, aber Mama fand das tägliche tête à tête mit mir beim Essen so herzbrechend langweilig, Du weißt, sie kämpft einen täglichen Kampf mit der Langeweile, und die graue Fledermaus behält sehr häufig den Sieg. Es waren Engländer und Franzosen und Amerikaner da, und namentlich die letzteren bedrängten mich sehr. Da unterhielt sich Mama immer ein wenig, Vater hätte es aber nicht gefallen. Es gab da ein furchtbares Spiel, Tennis heißt es, und jedermann war sehr entsetzt, daß ich es nicht spielen könne. Mama schämte sich auch herzlich darüber und redete von meinem schwachen Herzen. Aber es war die allgemeine Ansicht, daß ich ganz vortrefflich im Stande wäre, wenn ich von Kind an immer Tennis gespielt hätte. So mußte ich es denn lernen und habe viele Stunden täglich mit jungen englischen und amerikanischen Mädchen und Herren auf dem Tennisplatz zugebracht. Durch die Bäume leuchtete der See wie ein Stück Himmel, das heruntergefallen war, und Sonne und Wolkenschatten gingen über die Savoyerberge hin. Und man durfte nicht darauf sehen, man mußte auf den Ball achten. Und hatte man den glücklich, – meist verdarb man den andern das Spiel, – so mußte man ihn gleich wieder fortschlagen. Und all die andern wären so viel lieber ohne mich gewesen. Ich hörte die kleine Francis Gower, die über mir wohnte, sagen: »Muß ich denn mit dieser schrecklichen, steifen deutschen Prinzessin spielen, die alle Bälle verdirbt? Sie ist so dumm wie eine Kuh!« Und ihre Mutter sagte: »Prinzessinnen sind nie dumm, was tut es auch, wenn einmal ein Spiel verdorben ist und du kannst nachher sagen, ich habe mit der Prinzessin von Brauneck Tennis gespielt!« Und die schönsten Stunden, wo ich hätte sehen können, wie die weißen Schwäne über die Flut kommen, wenn Sturm ist, und aus den Schluchten die langen Nebelfrauen herausschweben, habe ich diesem Ball gedient, der mir wie mein ärgster Feind vorkam. Zu meiner größten Freude bekam ich dann jeden Tag Ohnmachten, manchmal zwei im Tage, und da hatte das Tenniselend ein plötzliches Ende.

Lieber Harro, ich muß es Dir leider sagen, daß ich häßlich geworden bin. Mama sagt es mir jeden Tag, und ich muß es selbst einsehen. Das eigene Gesicht ist man ja so gewöhnt, daß man sich allerhand einbilden könnte, wenn man sich mit andern vergleichen würde. Und all die hübschen jungen englischen und französischen Damen sehen so ganz anders aus als ich. Mama hatte recht, ich werde eine Riesendame mit Entenfüßen. Ich trage trotzdem Herrn Wurmhabers Schuhe, und meine Kleider sind ganz weich, und wenn ich mir auch die Seele verkrüppeln lassen muß, meinen Körper habe ich mir bis jetzt bewahren können. Ach, in meinem Garten wachsen wieder Stechranken und Brennesseln, lieber Harro, Du merkst es an diesem Brief. Ich habe nicht so bleiben dürfen, wie ich an meinem Einsegnungstage gehofft habe. Es ist nun wieder so, wie es in meiner Kindheit war, in dieser Welt finde ich mich nicht zurecht. Es ist mir manchmal, namentlich beim Tennisspielen, – als habe ich mich verirrt und gehöre gar nicht daher. Ach, könnte ich heimfinden, ich liefe dafür mit bloßen Füßen, wie die Gisela, auf Nadeln und kleinen Schwertern und großen Schwertern, – ob ich für das glühende Eisen auch Mut genug hätte, weiß ich nicht, ich wäre wohl zu feig dazu. Darum muß ich wohl auch dableiben. Und nun leb wohl, liebster Harro. Wenn ich noch so recht beten könnte, würde ich immer nur bitten, daß Gott Dich recht glücklich machen solle. Aber ich kann es nicht mehr. Es hängt ein dunkler Vorhang dort, wo einmal das goldene Himmelstor war, und ich kann ihn nicht aufheben so allein.

Dein Seelchen.


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