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Zwölftes Kapitel.

 

Theobald, der Volksdichter.

 

Es war ein wahres Glück, daß vor zwei Jahren ein gewaltiges Viehsterben im Fürstenthum Sayn-Sayn geherrscht hatte: denn wie hätte Theobald anders einen Lehrer in der Poesie finden können! Blasedow wollte gerade nicht, daß Theobald bei dem Schäfer Schumacher im Dorfe sich alle Vorkenntnisse zu einem zweiten Homer (das öftere dormitare hatte Theobald schon gemein mit dem guten Homer) erwerben sollte; er wollte auch hier nur das Technische von Schuhmachern abgesehen wissen, den Ton, die Volksweise, in welcher Schumacher Glück gemacht hatte. Es verhielt sich aber mit Schumachern und dem Viehsterben folgendermaßen:

Die Rinderpest war ohne Zweifel von Ungarn her hereingedrungen, was Gertrud damals nicht leugnete, indem ihr Sohn erster Ehe noch nicht einmal im Salzburgischen wanderte, sondern eben erst die große Glocke in Erfurt gesehen hatte. Das Viehsterben fing in den Hundstagen an, ohne jedoch den Hunden zu schaden, was gerade im allgemeinen Wunsche gelegen hätte, wenn auch nicht in dem der Finanzkammer, die eben eine Hundesteuer auszuschreiben im Begriff war. Schafe und Rinder fielen wie getroffen von den Pfeilen des Silberbogners Apollo. Gertrud fürchtete, sie müßte den Tod haben, da ihn die Hälfte ihrer Ställe schon hatte, und sie sich ohnedies über Blasedow's Benehmen nicht zufrieden geben konnte. Dieser nämlich, statt die Angelegenheit auf die Kanzel zu bringen und einen Cyklus von Rinderpest-Predigten zu halten, wie wenigstens Tobianus that, versuchte sich in physikalischen Experimenten bei dem schrecklichen Vorfalle und hätte nicht übel Lust gehabt, den Ansteckungsstoff von den Thieren auf die Menschen zu übertragen. Denn, wie die Natur einen solchen Unterschied mache zwischen ihren Geschöpfen, daß das, was den Canarienvögeln nichts anthat, doch Rindern und Schafen den Tod brachte, wie der Mensch ungehindert durch das Miasma hindurchschritte und nur deßhalb verschont zu bleiben schiene, daß er begraben könne, das war für ihn Nachdenken genug. Allein bis zur Poesie bracht' er es doch nicht, wie der Schäfer Schumacher. Diesen nämlich machte das Viehsterben, wie einst Boccacio'n die Mailänder Pest, zu einem ausgebildeten Volksdichter. Schumacher war schon lange in dem Rufe, nicht nur weissagen zu können und Frostbeulen zu curiren, sondern, daß er das Alles auch in Versen besang. Er schnitt sich aus jedem Rohre, das er am Bache fand, wo er seine Heerde tränkte, eine Pfeife für seine ländliche Pansflöte und erklimmte den Parnaß der Sayn-Sayn'schen Dichtkunst, wenn auch kriechend und auf allen Vieren. Schumacher hatte mit Hans Sachs das Handwerk nicht gemein, da jener nur das hieß, was dieser war; allein Beide schnitten sich doch die poetischen Stoffe wie Fahl- und Sohlleder zurecht und schlugen alle ihre Formen, die sie wählen konnten, über die Monotonie ihrer Leisten-Tabulatur. Die Poesie war hier einem stark riechenden Schnittlauche zu vergleichen, welchen sich die Bauern der Umgegend in ihren sonntäglichen Eierkuchen buken. Schumacher war schon berühmt und wurd' es noch weit mehr durch das Viehsterben.

Wenn man an die Dichtkunst von jeher die Zumuthung gemacht hat, daß sie ihre Blumen nicht bloß aus freiem Felde und im Walde solle schießen lassen, sondern noch weit kräftiger und schöner aus Landstrichen, die mit dem Dünger der jedesmaligen historischen Thatsachen versetzt sind, aus der rationellen Landwirthschaft der Tendenzen und Zweckbestimmungen, so kann man nicht leugnen, daß unter den Blumen, die Schumacher zeitigte, Mist und Objectivität genug darunter lag. Er glich auch darin schon Göthe'n, daß er mit diesem sagen konnte, seine Gedichte hätten alle nicht der Form, sondern des Stoffes wegen gezogen. Schumacher hatte von der Poesie die Vorstellung der Steinmetzkunst, welche groben und massiven Steinklumpen durch vieles Hämmern allmählich die Form von Treppenstufen, Futtertrogen, Brunnenwasser-Behältern und Spülichtsteinen gibt. Er gründete seine Poesie auf ein warmes, lebendiges Interesse, das wenigstens er am Leben hatte, nämlich auf den guten Absatz der Frostsalbe, die er erfunden, der Quirl, die er aus Lerchenholz auf dem Felde schnitt, während die Lerche und er selbst dazu sang, der vielen kleinen Industrien also, die er mitten unter dem freien Himmel trieb. Er hielt sich in seiner Schafhürde Traum- und Gebetbücher, er verkaufte das Blaustrumpf'sche Gesangbuch so gut wie das altchristliche alte, welches durch dies neuchristliche verbannt sollte (aber wohl nicht anders, als mit Feuer und Schwert hätte ausgerottet werden können). Schumacher hielt auch einen Vorrath von weltlichen Arien, wenn junge Leute aus der Umgegend gerade daran waren, sich zu verlieben; kurz, er faßte alle höhere geistige Beziehungen und manche empfindliche leibliche der Umgegend in seinem Kram zusammen, den er selbst in seinen anmuthigen Gesängen preisen und empfehlen konnte. Für ihn blühte nicht bloß die Rose der Dichtkunst, die er pflückte, sondern auch die Gesichtsrose, die er besprechen konnte. Vereiterungen konnte er mit wunderbaren Aezemitteln heilen und wurde oft meilenweit geholt, wenn sich namentlich die Brüste von Kindbetterinnen entzündet hatten. Konnte man wohl sagen, daß dieser Volksdichter ohne jene realistische Grundlage war, welche Göthe so gern bei der Poesie voraussetzte?

Allein nun kam das Viehsterben und damit in Wahrheit ein Moment, wo Schumacher die Kraft seines innern Menschen erproben mußte. Er sah seine fette Heerde vor den Augen hinwelken und die grüne Waide sich in einen Schindanger verwandeln. Er fühlte die ungeheure Wissenslücke seines Hirnes, als auch nicht ein einziges Mittel seiner wandernden Feldapotheke, nicht ein Spruch aus den alten Beschwörungs-Formularen helfen wollte. Dies war der kritische Augenblick, wo Schumacher dem Entrikschäfer zu gleichen anfing und einer an Robert Burns streifenden Berühmtheit sich gewärtigen konnte. Denn, wenn die Pest sich bei seinem Viehe nicht unwahrscheinlich unter der Zunge verbreitete, wie einige Aerzte sagen, so kam ihm die Begeisterung jetzt auf die Zunge. Er griff in seinen, von tiefen Seufzern aufgeblasenen ländlichen Dudelsack und preßte, theils mit den Fingern, theils mit dem Arme, so schwermüthige Elegien über die fürstlich Sayn-Sayn'sche Landesseuche aus ihm heraus, daß das Fürstenthum in dem Augenblick, wo ihm so viel Rinder und Schafe gestorben waren, wenigstens den Trost hatte, wie ihm dafür ein Dichter geboren wurde. Schumacher, der ohnehin nun keine Heerden mehr weiden konnte, benutzte diese Feierstunden und ging zuletzt sogar in die nächste Stadt Mispelheim, wo das berühmte Mispelheimer Wochenblatt gedruckt wurde. Dort ließ er seine Elegien auf die Landesseuche einrücken und wurde für den Drucker und Redakteur des Mispelheimer Wochenblattes, der Beides in einer Person war, ordentlich ein Syrupstiel, welcher ganze Fliegenschwärme von Abonnenten an sich zog. Schumacher besang jedes einzelne Stück seiner Heerde und bestattete es mit dem grünen Zweig (auf welchen wenigstens das Mispelheimer Wochenblatt jetzt kam) seiner Elegien. Die Redaction setzte ihm an jedem Mittwoch als Honorar sein Lieblingsgericht vor, worüber Schumacher sehr naiv sich in der fünfzehnten Elegie auf die Landesseuche so ausdrückte:

 

Solang beim Wochenblatt noch Mittwochs Erbsen quillen,
Wird niemals nicht kein Trost mein klagend Herze stillen.

 

Der Ruf von Schumacher's Elegien verbreitete sich fast so schnell, wie die Pest, die er in ihnen besungen hatte. Selbst in der Residenz wußte man eine so frische Naturgabe zu schätzen, und Blaustrumpf hatte alle Ursache, sich über die Lebensumstände des neuen Volksdichters in Kenntniß zu setzen, da er ihn bei der zweiten Auflage seines Lexikons nicht mehr übergehen durfte.

Schumacher stand wie Hercules am Scheidewege. Auf der einen Seite die brüllende neu angekaufte und wieder completirte Viehheerde von Kleinbethlehem und auf der andern die lockenden Einladungen eines Dichterclubbs, welcher ihn wahrscheinlich zu einem in seiner Manier singenden und hüpfenden Zeisig abrichten und ihn künstlich zum Naturdichter dressiren wollte. Schumacher entschied sich für die Reizung seiner Eitelkeit. Er wanderte zu Fuß in die Residenz und erschreckte seine neuen Gönner schon durch das Alter, in welchem er sich befand. Statt eines schwärmenden Hirtenjungen, den sie sich mit der Schalmey unterm Arme vorgestellt hatten, meldete sich ein alter Schäfer, der wenigstens dreimal so alt war, wie sein Hund, der schon keine Haare mehr hatte. Die lyrische Schule hatte einen Ceremonienmeister an der Spitze, der einen eignen Musen-Almanach herausgab und sich ein Vergnügen daraus machte, junge lyrische Talente aufzuzählen und in die jugendlichen Knospen aus lauter Enthusiasmus hineinzublasen, um sie nur schnell zu erblättern und in die Schlachtreihen der Coterie einzuführen. So hoffte er auch in Schumachern ein Talent zu entdecken und ihn alsbald beim Publikum einführen zu können. Er lud ihn zu einem großen Thee ein, wo sich Blaustrumpf, alle Geistliche und Professoren der Residenz und viele strebende Kräfte nebst einem angehenden Buchhändler, der dabei sein Glück zu machen hoffte und schon die heftweise Herausgabe der Schumacher'schen Gedichte (mit Stahlstichen) berechnete, zusammenfanden. Schuhmacher hatte alle seine Reime mitgebracht und wurde nun aufgefordert, zu lesen. Muth hatte er, weil er, ganz wie Göthe, sich auf die Stoffe verließ. Er dachte, wenn die Arznei nur wirkt, dann ist die Etikette darauf eben bloß – Etikette. Schuhmacher setzte sich auf allgemeines Begehren in Positur und las, wie der Dichterkreis hoffte, nun wahrscheinlich Gedichte vor, wo man sich schon freute, hier doch einmal wieder etwas aus dem unmittelbaren Leben in und mit der Natur zu vernehmen. Sein erstes Gedicht war jedoch weder eine Frühlingsahnung, noch ein Abendsonnenspaziergang mit schwärmenden Maikäfern und flatternden Dämmerungsfaltern, sondern eine Ode auf die von Schumachern selbst erfundene Frostsalbe. Er rühmte die Bestandtheile derselben, Terpentin und Hirschtalg, warf allerdings einige Feldblumen in den chemischen Tiegel und schloß mit einer marktschreienden Anpreisung seines Fabricats, wie er sie wörtlich auf die steinernen Gefässe zu kleben pflegte. Die ganze Gesellschaft entfärbte sich vor Bestürzung; allein der Oberceremonienmeister winkte geheimnißvoll mit der Hand und ließ sich also vernehmen: »Sie scheinen also, Herr Schumacher, hauptsächlich mit der poetischen Mystik sich zu beschäftigen? In ihrem Gedichte liegt in der That eine tiefsinnige Allegorie verborgen. Sie mischen die drei Naturreiche zusammen, um ein Arcanum gegen die erfrorne Menschheit, also gegen die kalte Zeit, in der wir leben, zu entdecken.« Alles stimmte in die Deutung des Ceremonienmeisters ein und pries ein Jahrhundert glücklich, das sich immer mehr mit dem dreizehnten zu vermählen schien. Nur Blaustrumpf rückte mit dem Stuhle und schien den Irrthum der Gesellschaft widerlegen zu wollen. Ihn unterhielt aber der Sayn-Sayn'sche Robert Burns selbst so sehr, daß er die Augen ganz klein und spitz zusammen drückte und nur vor Aufmerksamkeit zuweilen blinzelte, indem Schumacher schon wieder ein neues Gedicht begonnen hatte. Es war auch hier wieder recht eigentlich ein salbungsvoller Gegenstand, den er behandelte, nämlich ein Hymnus auf sein Hühneraugenvertreibungsmittel. Er fing dieses Gedicht auf ganz sinnige Weise an, sprach von dem Weltlauf und dem kleinen Zehen, wo Jeden heutiges Tags der Schuh drücke, ging dann wieder über auf die Kräuter, die er zur Aufweichung der Leichdornen entdeckt hätte, und schloß diesmal sogar mit einer Preisangabe, indem er erklärte, sein Mittel in einzelnen Partien, aber noch lieber duzendweise ablassen zu wollen. Dem Ceremonienmeister ward es jetzt aber doch zu bunt. Er bekam einen feuerrothen Kopf. Er drehte sich auf seinem Stuhle, wie Jemand, der eine Leibesnothdurft unterdrücken muß. Endlich, als Schumacher geendet hatte, und eine nur von dem lauten Bravo Blaustrumpfs unterbrochene ängstliche Stille auf allen diesen poetischen Gemüthern lag, forderte er den Naturdichter auf, der Gesellschaft einmal eine Reihefolge von Titelüberschriften seiner Gedichte mitzutheilen, woraus sie sich ja dann etwas Beliebiges wählen könne. Jetzt blätterte Schumacher in seinen schmutzigen Papieren und theilte folgende Titel mit: Elegie an eine verreckende Kuh; Epistel an einen Barbier, der mir das Handwerk legen wollte; Satire auf einen durchreisenden Mäusefallenhändler und zugleich Ode auf mein Mäuse- und Rattengift; der Scharfrichter und der Schäfer, ein poetisches Zwiegespräch über die Heilkunst der Pferde und der Menschen; Satire auf einen durchreisenden Raupenvertilger und zugleich Ode auf meinen selbstgezogenen Kraustabak als probates Mittel gegen die Raupen; Klagen über den Verdienst; Schimpf- und Schandgedicht auf zwei Handwerksburschen, die nicht Vernunft annehmen wollten; die Wanzen, und was dagegen hilft, ein Lehrgedicht in drei Gesängen.... Weiter aber durfte Schumacher nicht lesen; die Gesellschaft fuhr auf und entsetzte sich über diesen unreinen Bruder in Apoll. Man ballotirte ihn schon mit funkelnden Augen aus dem lyrischen Theesalon heraus und tröstete den Ceremonienmeister der Schule, der verzweifeln wollte über seinen Mißgriff und nicht wußte, wohin er vor dem Oberpriester der Schule, einem allgemein anerkannten trefflichen Balladendichter, sein sündiges Auge verbergen sollte. Da warf sich aber Blaustrumpf in's Mittel, umarmte zum allgemeinen Erstaunen den Schäfer und sagte, so, daß es Alle hören und sich darnach richten konnten: »Trefflicher Mensch, unübertrefflicher Dichter! Mann, du bist berufen, die Würde der Dichtkunst aufrecht zu erhalten. Du verbindest dein außerordentliches Talent mit dem Wohle der Menschheit; du hilfst mir den Aberglauben bekämpfen. Deine Gedichte athmen die reine gesunde Vernunft, du hast in der Dichtkunst die Stellung, die Mörder mit seinem Thomasius oder über die Grenzen des natürlichen Menschenverstandes in der Philosophie einnimmt! Deines Bleibens ist aber nicht in den Städten, sondern, wie Johannes, ziehe hinaus in die Wüste, predige und lehre unter den Deinigen die Wahrheit, die Vernunft, die Aufklärung, benutze dein herrliches Talent als ein echter Volksdichter nicht für die Befestigung des Aberglaubens, für die falsche Vergötterung der Natur, für die Schwebelei in haltlosen Schmetterlingsempfindungen, sondern wirke auf den Verstand, auf die Fassungskraft und die natürliche Einsicht der Masse; rechne auf meine Unterstützung und kehre zurück in den Schoß der Natur, welcher deine Heimath ist, du echter Pindar unsers Jahrhunderts!« Damit nahm Schumachern der Consistorialrath unterm Arm, führte ihn zur Thür hinaus und miethete ihm auch sogleich einen Sitz in der Landkutsche, die zweimal in der Woche in die Provinz fährt. Der Naturdichter kam auch gerade zur rechten Zeit in Kleinbethlehem wieder an, wenn er nicht seine Stelle von einem Andern besetzt hätte finden wollen.

Blasedow kannte alle diese Vorgänge und konnte sich dennoch entschließen, seinen Sohn Theobald, der ein Volksdichter werden sollte, bei dem Schäfer einzuführen. Er sagte zu sich selbst (denn wem hätt' er's wohl sagen sollen!): Er soll kein Dichter werden, wie die Straßburger Gänse nur dadurch so groß in ihren Lebern sind, daß sie im Koben sich nicht bewegen dürfen. Wozu dienen die von romantischen Flittern blitzenden Haarnetze in einem Lande, wo die Weiber Tücher um den Kopf tragen oder Hüte darauf! Auch Schande jener Lyrik, die sich mit den Muränen vergleichen läßt, welche die alten Römer quälten, um sich an dem Farbenspiel ihrer Zuckungen zu ergötzen, oder die sich wohl gar selbst quälen, um originell zu seyn. Ich bin heilig überzeugt, daß die Dichtkunst ermuntern soll. Blickt sie uns wie das erstorbene Auge der Auster an, die sich in dem Gallert ihrer Empfindungen wälzt, so werden die Kenner und Feinschmecker, die eine solche vornehme Dichtkunst genießen, immer noch erst die Citronensäure ihrer raffinirten Beigeschmäcke darauf tröpfeln lassen müssen, um einen Mischgeschmack zu haben. Was unsre poetische Literatur in den Gemüthern des Volkes nicht heimisch werden läßt, ist ihre eigene Heimathlosigkeit. Die Alpen, die gen Himmel ragen, der Schneesturz, der hernieder fällt, die Cypresse, die Myrte, dies Alles kann man nur auf Reisen oder in Treibhäusern kennenlernen, davon wird eine kleine Zahl Eingeweihter, die sich nach Italien sehnen, aber nur das Geld dazu nicht haben, gerührt. Aus dieser künstlichen Natur muß die Dichtkunst doch allmählich heraus. Dies kleine Tempelchen, wo durch die Fenster Epheu und Weinlaub sich rankt, wo oben durch eine Laterne, die jener des Diogenes gleichkommt, weil sie bei Tage scheint, eine Laterne von Thränen, die sich in der Sonne brechen und das bunte Segel des Regenbogens aufziehen, leuchtet, wo man vor der Pforte sich an »scharfgeschliffenen Diamanten« und solchen Ausdrücken die Stiefel abkratzt, liegt so versteckt im Walde, daß es Niemand finden kann. Die ganze Natur und Dichtkunst läßt sich's viel zu viel kosten: es sind die prächtigsten Gewänder, die angezogen werden, immer die schönsten Bilder- und Allegorien-Costume, echte Perlen, gesammelt in Thränenkrügen; ja, diese prächtige Welt, welche auf dem grünen Gewölbe jener Theeclique, wo Schumacher in die Fenster einer Soiree geflogen war wie eine Fledermaus, gewöhnlich ausgebreitet liegt, wer rührt das an, wen rührt es! Wer auf die Menge mit seiner Begeisterung wirken will, muß nicht höher steigen, als die Lerche. Die steigt hoch genug, aber nie höher, als daß sie gehört werden kann. Wer drüber hinaus geht und vom Horst des Aaren spricht, der kann sich auf einem Felsen plötzlich ohne Rückkehr finden und muß sich von der Kritik gefallen lassen, daß sie ihn (aus Menschenliebe, schon damit er nicht verhungert) herunterschießt. Der wahre Dichter, der nur die Nation zu beglücken scheint, steigt auch weit besser in die Erde, als in die Luft. Die Sprache der Sterne entziffern wir nicht, der Mond steht als ein Siegel auf dem postrestanten Briefe des Himmels, und, was hindurchschimmert und vom geheimnißvollen Inhalte verlautet, ist Religion, ist keine Dichtkunst mehr. Wunderbarer wird die Menschheit bewegt, wenn sie an die Erdrinde von untenher pochen hört. Bergleute und Pfarrer, Beide sind schwarz gekleidet, Beide rutschen auf dem Schurzfelle des Handwerks in geheimnißvolle Tiefen; allein jene sind dem Volke noch immer merkwürdiger. Dies sinnige Deuten des Alltagslebens, dies kunstvolle Entwickeln des poetischen Ariadnefadens in dem Labyrinth unsrer lärmenden und gefahrvollen Zeit, dies rüstige Heben der aufgestreiften, nackten Hände und Dichten nach dem hämmernden Begleitungsakte der Praxis – darin liegt der Zauber, dem die Menschen nachlaufen werden, Jung und Alt, Mann und Weib, darin die neue Mähr, der sie zuhorchen wollen des Abends auf dem Marktplatze unter den Linden ringsherum. Wie in der Musik die Harmonie die Melodie verdrängt hat, so streben unsre Dichter jetzt auch nur nach gewaltigen Tonmassen, nach dem Septimenaccord der Zerrissenheit sogar; allein die Menschen wollen von der Dichtkunst nicht erschüttert seyn, sondern ihr im Gedächtniß weich betten und sie gleichsam als frische Maienzweige und grüne Pfingstwonne in ihre dumpfen, stockigen, wenn auch eben erst ganz frisch mit Sand bestreuten Stuben hängen. Der Dichter sollte heutiges Tags nur nach Melodie streben: er braucht nicht viel mehr, als das Hülfsmittel des Dreiklanges; wozu die Kunststücke des Contrapunktes und des Contrastpunktes, der die Empfindungen zu Epigrammen darauf macht! Geht doch hinaus, ihr Zwitscherer in den Papagenokästen der Musenalmanache, geht doch mit der goldnen Harfe, von der ihr singet und saget, hinaus aufs Land und greift in die Saiten! Werdet ihr auch in die Herzen greifen? Werden die Delphine euch forttragen, wenn ihr von den Dorfmusikanten aus dem Schiff des Wirthshauses geworfen werdet? Werden die Kraniche des Ibykus euch eine Genugthuung bei der Polizei verschaffen? Ihr moderne Poeten seyd gute brasilianische Goldwäscher. Ihr schlammt aus dem Sande der Flüsse die Körner wohl heraus; ihr entdeckt die Silberadern von Quito, indem ihr die Sträuche aus der Erde reißt und gediegen Silber aus den Wurzeln schüttelt; ihr entdeckt Kremnitz, indem ihr aus dem Magen eines Hirsches sogar Goldkörner herausscheidet; allein ihr versteht den Stoff nicht zu benutzen, ihr könnt aus allen euren Hesperidenäpfeln nicht einen kleinen Verlobungsring löthen, den Hans an Gretens Finger steckt: das wäre Poesie – Volkspoesie!

In dieser Art wurmte Blasedow fort und überredete sich, daß Theobald ohne Schumachern nicht gedeihen könne. Den Genius, dacht' er, will ich selber wecken. Ohrfeigen und den Staar für die Schönheit der Dinge stech' ich ihm schon. Tonfall und Wahl der Worte ist meine Sorge. Für den Klang will ich das grobe Trommelfell seines Ohrs schon in den Resonanzboden einer Laute verwandeln. Allein, daß er jede Schildkröte, wie einst Apoll, ergreift und die Höhlung derselben in eine Lyra verwandelt, daß er aus Froschschenkeln dazu ein Plektrum macht und aus Schafsdärmen sich die Saiten wirbelt, das kann ihn nur Schumacher lehren, der selbst ein Schäfer und in seiner Art ein Dichter ist! Blasedow rechnete darauf, Theobald sollte bei Schumachern sich an den Boden der Natur legen und von ihm die Töne derselben deuten lernen. Er sollte nicht die Dichtkunst von einem Schäfer lernen, obschon Apoll einst selber die Schafe des Admet weidete, sondern nur tüchtige und praktische Beobachtungen machen. Die Einsamkeit draußen auf dem Felde schien dem besorgten neuen Pestalozzi die Mutter des dem Dichter so nöthigen Tiefsinnes zu seyn. Schumacher kannte alle Kräuter der Haide und der Wiese, er wußte jeden Baum zu nennen und hatte tausend Geschichten zu erzählen, die er den geschwätzigen Krähen abhorchte. Er war weit mehr innerer, als äußerer Dichter, gerade in dem umgekehrten Verhältniß seiner medicinischen Kenntnisse, da er mehr äußerlich, als innerlich curirte. Blasedow beschloß, ihm seinen Sohn in die Lehre zu geben.

Theobald war ein flinker Bursch, der in der That ein außerordentliches Gedächtniß und eine lebhafte Einbildungskraft hatte. Er sprach nicht selten Stunden hindurch in Versen so lange, bis es ihm Gertrud verbieten mußte. Sie gab das Meiste auf ihn und setzte in seine Zukunft ein so großes Vertrauen, daß sie, wie ihre Ausdrucksweise war, dachte, der Schlag solle sie rühren, als Blasedow erklärte, er wolle den Jungen bei Schumachern in die Lehre geben. Allein noch nicht genug, Blasedow fügte sogar, um sich und ihren Schreck darüber zu verbessern, hinzu, Theobald könne auch ein Handwerk lernen, da es dem Dichter immer angemessen wäre, wenn er sein griechisches Dichterfeuer in einem ausgehöhlten Schäferstabe oder sonst einem Vehikel trüge, wie ja auch die edeln Metalle nicht rein gefunden würden, sondern nur als Erz in Verbindung mit erdigem Gestein, und der Apostel Paulus ohnedies den Vorhang des neuen Bundes, da der alte zerrissen war, nicht bloß figürlich, sondern auch im Webstuhl hätte wieder flicken können, da er ein Teppichfabricant war, so gut wie die wandernden Tyroler. Und, fügte Blasedow hinzu, je gemeiner und roher das Werk der Hände, desto feiner und edler das des Geistes, wie auch Metalle und ganz harte Körper weit besser elektrische Leiter sind, als Leinwand oder zartes, warmes Tuch. Gertrud wollte jedoch von keiner andern Leiter hören, als auf welcher Theobald die Kanzel besteigen konnte. Blasedow kehrte sich aber nicht daran, sondern erklärte die Ohnmacht, in welche sie fiel, für unmächtigen Widerspruch und ging.

Als Vater und Sohn draußen vorm Dorfe die freie Aussicht nach der Gemeindewiese hatten, bedauerte jener, den Schlachtenmaler nicht mitgenommen zu haben. Denn, siehe! ein gewaltiges homerisches Treffen wickelte sich aus der Perspective heraus, ein Zweikampf, der mit dem des Hektor und Achill sich wenigstens entfernt, und zwar etwa noch um tausend Schritte, vergleichen konnte. Blasedow ärgerte sich, nicht etwa über die Störung, daß Schumacher gerade im heftigsten Handgemenge mit einem ihm noch Unbekannten begriffen war, wohl aber, daß der Schlachtenmaler gerade um diese Stunde bei Schönfärbern seyn mußte, und ihm hier eine nicht unzweckmäßige Studie nach der Natur verloren ging. Er hätte gern um Hülfe gerufen, nämlich, daß man den beiden Raufbolden so lange in der Fortsetzung ihres Kampfes geholfen hätte, bis der Schlachtenmaler zurückgekommen oder gar geholt wäre; allein wie sollten die beiden Menschen es aushalten, da sie sich schon beide genug zugesetzt zu haben schienen! Indem Blasedow und Theobald ihre Schritte beflügelten, bemerkte man wirklich die Aufführung eines Buches aus der Ilias. Denn Schumacher stand mit einem großen Enterhaken, ganz wie die alten Griechenfürsten, auf seiner zweirädrigen Schafhürde und vertheidigte sich als ein antiker Cavallerist gegen einen Hopliten, der auf Leben und Tod auszugehen schien und mit einer Schlinge Schumacher's Hund wie einen herrenlosen bereits eingefangen hatte und ihm die Kehle zuschnürte. Ein Grausen bemächtigte sich Blasedow's, als er den Gegner des Schäfers erkannte. Es war der große Unbekannte der Umgegend, der Namenlose, der Abdecker, der zwar noch Niemanden geköpft hatte, aber schon einmal Jemanden außerhalb des Fürstenthums gerädert. Blasedow's Blut erstarrte zu Eis. Er hielt inne und zitterte, Theobald in die Nähe dieses Unehrlichen zu führen. Indem ward es ihm aber auch klar, daß des Volksdichters Vogel der Rabe ist, und eine seiner schauerlichsten Pflichten die, verweste Verbrecher vom Rade loszuflechten. Er hörte Bürger's Lenore an sich vorübersausen und sah mit grellen Augen eine Kindsmörderin auf dem Galgen stehen, die im Wahnsinn lachte. Er hörte das monotone Lied eines Bänkelsängers, dessen Bild auf Jahrmärkten den Tod durch das große Schwert eher zu einer Lockung, als zu einer Abschreckung macht, dies Singen und Sagen, das einen so geheimnißvollen Eindruck auf die Gemüther hervorbringt und Mörder in Volkshelden verwandelt. Er hielt sich an Theobald, der sich an ihm hielt, besann sich eine Weile, schüttelte seine kalten Glieder und schritt rüstig vorwärts.

Am Kampfplatze angekommen, trieb sein Zuruf die Gegner auseinander; aber Schumacher tobte, daß ja sein Hund am Verenden sey. Der Nachrichter ließ den Strick nach und hätte das Thier, das sich mühsam erholte, fast erwürgt gehabt. Beide Parteien drängten sich an den Pfarrer heran, um sein Urtheil zu hören. Blasedow wehrte sich den unheimlichen Gast vom Leibe und fragte nach der Ursache des Streites. Es fand sich, daß die beiden medicinischen Pfuscher sich einander in das Gehege ihrer Praxis gekommen waren. Schumacher durfte nur auf Menschen, der Andere auf das Vieh speculiren. Das Verhältniß hatte sich aber gerade umgekehrt mit der Zeit, und eben versuchten Beide, es wieder in's Gleichgewicht zu bringen. Blasedow lag auf der Folter und stand eine Seelenangst aus, die ihm die Sprache raubte. Endlich aber ermannte er sich und fuhr den Fremden an, sie allein zu lassen, da er mit Schumachern zu reden hätte. Der Mensch ging nun, nachdem er den Hund auf wunderliche Art manipulirt und ihn darauf auf die Füße gebracht hatte. Die Schimpfreden Schumachers verfolgten ihn; doch blieb er still dabei und schritt rüstig seiner Wege.

Blasedow setzte sich in das Gras und konnte lange nicht sprechen. Der Gedanke, daß Theobald, als Volksdichter, bei Niemanden passender in die Schule gehen würde, als bei dem grausen Wächter und Wirth des Rabensteines, durchschauerte ihn mit einer Gewalt, die dem Schäfer Besorgnisse und Theobald Weinen machte. Gott, dachte Blasedow, wie ernst ist das Lebensziel, wie schwindelnd der jähe Abhang, der zu ihm hinführt! Schleichen nicht finstre Schatten zu jeder Stunde hinter uns her und langen mit gespenstischen Händen? Wenn ein Kind kaum noch an einer Fensterbrüstung mit den Blumen spielt, stürzt es hinunter. Für jeden Menschen kann eine erschütternde Trauerpost schon immer unterwegs seyn. Gräßlich! Gräßlich! Blasedows Lippen bebten, sein Auge blickte wie im Fieber, es bemächtigte sich seiner eine starre Empfindung, die er nicht anders zu lösen wußte, als wenn er sich in einer Gewaltthätigkeit hätte äußern können. Er ergriff seinen Knaben, ließ den Schäfer, der ihn für wahnsinnig hielt, stehen und lief, so schnell Theobald nur konnte, nach Hause zurück. Er schloß sich den ganzen Tag ein, aß und trank nichts, sondern blieb auf dem Sopha, lang hingestreckt, in einer allgemeinen Erstarrung seiner Gedanken und Gefühle. Ach, so muß es Menschen seyn, die irgend eine schwere That im Schilde führen, einen Selbstmord, eine gewaltsame Trennung von den Ihrigen, Menschen, die auf einem Verbrechen ertappt zu werden fürchten. Das muß der Uebergang zur Verrückung der Vernunft seyn. Gott erbarmte sich aber und sandte dem wunderlichen Manne, mit dessen Schicksal wir uns beschäftigen, als Tröster den Schlaf und dazu gute Träume.



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