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Der Wagen fuhr vor Tobianus Hause an; doch war dieser ausgeflogen und hatte die rasselnden getrockneten Bohnen – denn dies wird das Gespenst seyn, dachte Blaustrumpf – wieder im Unterfutter seines Oberrockes mitgenommen. Die Haushälterin des Pfarrers war in Verlegenheit, als sie den wahrscheinlich vornehmen geistlichen Herrn in noch größerer sah. Er wußte nicht, ob er sich nach Kleinbethlehem zu wenden sollte; wenigstens fürchtete er, es möchte ihm hier wie verschlafenen Tilsiter Postillionen gehen, die sorglos das frischen Haff entlang fahren und plötzlich tief im Wasser stehen. Der Unsinn steckt an, fürchtete er; das Blasedow'sche Treiben schwemmt mich mit fort, und es ist nie gut, wußte er, auch nur die geringste Berührung mit Kreisen zu nähren, die wir gesonnen sind, in ihrem Mittelpunkte zu zerstören.
Wie er aber so in dem großen Gedanken-Magazine seines Kopfes einen Ballen gegen den andern austauschte und hier und dorthin warf, fuhr er doch mitten in's frische Haff hinein, in die Gegend, wohin die Straße gerade führte. Sie führte aber nur nach Kleinbethlehem. Blaustrumpf war in großer Verlegenheit. Er ließ halten und blickte auf das inficirte Dorf, als wollte er einen Angriffsplan darauf entwerfen. Er konnte das ganze Feld übersehen, das er am liebsten in ein Schlachtfeld verwandelt hätte, wenn er Blasedow und die Gespenster nur hätte hieher citiren können. Er umzirkelte mit den Augen den Raum, als wollte er den Teufel in einen Zauberkreis bannen. Sein Einspänner graste am Ranft des Weges; der Mispelheimer Kutscher knöpfelte an seiner Peitsche, und Blaustrumpf griff nach einem ungebundenen Thomasius, der sich von dem Ballen gelöst hatte. Er las gerade die Stelle: »Von religiösen Gefühlen unterscheidet man A herzzermalmende, B herzzerschmelzende. Jene sind mit der Selbsterkenntniß verknüpft. Diese begleiten die selige Vereinigung mit Gott.« Diese Stelle mißfiel Blaustrumpfen. Er dachte: Mörder bekömmt doch auch manchmal das böse mystische Zeug, wo ich ihm die Daumschrauben der praktischen Vernunft anlegen möchte und so lange drücken, bis seine Gefühlskrämpfe nachlassen. Er ergriff seinen Rothstift und schrieb dabei: Nulla religio nisi cognitione. Während dem stand er aber auch schon dicht vor Blasedow's Hause. Er hatte in der kleinen Jagd, die er doch manchmal auch gegen Ketzereien seines Freundes anstellen mußte, sich so verpirscht, daß er nichts von dem Vorhaben des Kutschers merkte und sichtlich erschrack, sich nun mit Gewalt in eine Lage versetzt zu sehen, an die er gerade den Gewalthebel anlegen wollte. Tobianus glänzte und klebte schon wie ein verschmachtender Aal vor dem Consistorialrath. Er zappelte und schmiegte sich mit einer Rührung, die sich leider nicht hatte vorbereiten können. Blaustrumpf bespritzte ihn mit dem lautern Gruße der Collegialität. Tobianus bäumte sich wie ein junges Roß und trug seinen geistlichen Oberhirten so in das Pfarrhaus, daß sein Fuß an keinen Stein stieß: denn, dachte er, jeder fortgenommene Stein kann sich hier einst in Brod verwandeln.
Es war Mittagszeit, und Gertrud glücklicherweise auf Tobianus vorbereitet. Der Consistorialrath ging nun schon mit drauf. Sie schrack sichtlich zusammen, als sie dem gefürchteten Groß-Inquisitor gegenüber stand und die geringen Fortschritte im Christenthum bedachte, durch welche sich Kleinbethlehem auszeichnete. Das Wort »Visitationsreise« verursachte ihr Gliederreißen, um so mehr, als Blasedow, der oben in seinem Zimmer mit Theobald, dem Volksdichter, Unterricht hielt und diesem Volksmelodien einübte, sagen ließ, er hätte Zahnschmerzen. Blasedow suchte dem Besuch auszuweichen, ohne daß er in seiner Rolle blieb. Er sang gerade mit Theobald: »Prinz Eugen, der edle Ritter,« mit einer Donnerstimme, daß Blaustrumpf fragte: ob sie denn Einquartirung hätten. »Nein,« sagte Gertrud, »Blasedow gibt seinen Kindern Singunterricht, hat aber grimmige Zahnschmerzen.« Blaustrumpf lächelte und besah sich die Umgebungen der Localität. Tobianus schloß alle Schränke und Thüren seines Kopfes und Herzens auf und bot dem Consistorialrath Alles, was ihm beliebte. Wie Gertrud im Leiblichen alle Hände voll zu thun hatte, so er im Geistlichen. Er hätte Blaustrumpfen rasirt, wenn dieser nicht gewohnt gewesen wäre, es selbst zu thun. Er schlug ihm aber den Schaum, und Gertrud war glücklich, daß sich's das Consistorium bei ihr so bequem machte. Indessen sang Blasedow oben für ein ganzes Regiment: »Frisch auf, Kameraden!« und schlug dabei den Takt, daß die Decke bebte. Man hörte deutlich, wie er die Pausen benutzte, um Erörterungen über das Volkslied einzuschalten. Blaustrumpf rasirte sich indessen und bemerkte nur, ohne sich zu schneiden, er begriffe nicht, wie man Zahnschmerzen und eine solche Stimme haben könne, und endlich, warum Blasedow nichts als Kriegslieder singen lasse. Tobianus, der aus Angst den schönsten Schaum schlug, war gutmüthig genug, um, Blasedow bemäntelnd, zu sagen: »Ich glaube, sein dritter Junge soll Feldprediger werden!« »Ja,« meinte Blaustrumpf verwundert, »Krieg wird's aber noch lange nicht geben. Der Fürst hat sich mit seinen Agnaten ausgesöhnt, und die stehenden Truppen sind bis auf zwei Drittel entlassen worden, schon, weil die Garnisonskirche zu klein ist, um alle auf Einmal zu fassen.« Als sich Blaustrumpf endlich seines Bartes entledigt hatte, schien er auf Gertrud übergegangen zu seyn: denn diese zankte mit einer männlichen und Dragonerstimme im obern Stock und schrie, ob die Singstunde denn noch nicht bald aufhören würde? Sie setzte es durch ihren Lärm durch, daß sie Blasedow die Treppe herunterzog, um ihn dem Consistorium zu Füßen zu legen. Blasedow erschien, der lange, hagre Don Quixote, mit einer ungeheuren Serviette um den Kopf, die so gebunden war, daß die beiden Zipfel des Knotens oben wie die Hörner des Moses aussahen. So standen sich nun die beiden feindlichen Männer gegenüber. Blasedow künstlich ächzend und stöhnend und nur auf seinen Zahn deutend, weil er nicht sprechen wollte, Blaustrumpf äußerlich verlegen, aber innerlich voll Klugheit und Schlangenlist. Tobianus fürchtete aus dieser Mischung von Consistorial-Salpeter und Blasedow'scher ausgebrannter Kohle, zu der noch die Schwefelnatur Gertrud's kam, eine Pulverexplosion und hielt sich in ängstlicher Entfernung.
Blaustrumpf zitterte so viel mit den Augen, daß Blasedow dachte: Er zuckt so viel, weil ihm jetzt in seinem Lexikon Blatt vor Blatt aufliegt, und er in sich die Uhr des jüngsten Gerichts jetzt aufzieht. Blaustrumpf sprach aber nicht vom Lexikon, sondern vom Kreosot, das gegen Zahnschmerzen Wunder wirkt. Blasedow zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Ich habe schon Alles versucht, sogar das Ausziehen der hohlen Zähne! Denn in der That waren die Zahnschmerzen, die Blasedow vorgab, auf einer Seite gelegen, die gar keine Zähne mehr hatte. Tobianus aber erlaubte sich mit seinem hellen Basse die Bemerkung: »In einer Zeitung las ich kürzlich, daß das Kreosot von den jungen Candidaten zu häufig als Reinigungsmittel der Kehle bei Frühpredigten angewendet würde, denn es soll auf die Lunge wie die Schwindsucht wirken.« Blaustrumpf, der sich bei seiner Körperfülle wohl nicht vor der Schwindsucht mehr fürchtete, bemerkte hiebei nur, daß Tobianus viel Journale las, wie ihm Geigenspinner schon in Mispelheim gesagt hatte. Sie verflochten sich auch bald zu einem kleinen Weichselzopf von theologischen Journaldebatten, indessen Blasedow auf dem Sopha stöhnte, nämlich vor Abscheu an den beiden Collegen, den er, wenn er heftig wurde, immer durch künstliche Zahnschmerzen verdecken konnte. Gertrud schlug eine Tafel auf, wie zur Kindtaufe.
Blasedow verlor gegen Mittag sein Zahnweh und wünschte nur, er hätte mit einer angeblichen Erleichterung seines Uebels auch seine Zähne wieder bekommen. Die große Serviette hatte er sich nur umgebunden, um mit desto größerer Behaglichkeit das ihm vorgesetzte Consistorialgericht zu verzehren. Er wollte durch das körperliche Leiden den Seelenleiden einer höflichen Begrüßung ausweichen, wie Frauen, wenn sie in andre Umstände kommen, anfangen, gar keine mehr zu machen. Als der Tisch von allen Seiten wie ein Schlachtterrain besetzt war und die verschiedenen Manöuvers gegen die Speisen zu spielen begannen, erwachte Blasedow's gute Laune. Er fühlte sich auf seinem Posten sicherer, seitdem Blaustrumpf aus seinem Vortheil durch den Besuch und nun gar das angenommene Mittagessen heraus war. Blasedow begann ein Vorspiel des spätern Kampfes. Die kleinen Brodkügelchen eines leichten Witzes ließ er in einem sanften Bombardement auf Blaustrumpf niederregnen und sagte z. B. gleich von vornherein, als Amandus und Alboin erklärten, sie könnten ja Beide von einem Teller essen: »Nein, das gibt Feindschaft!« Blaustrumpf fragte, als bekäm' er schon etwas zu notiren: »Meinen Sie das moralisch?« Gertrud aber antwortete: »Ach, es ist nicht gut, Herr Consistorialrath, das Sprichwort geht einmal so.« Blaustrumpf zog die Augenbrauen finster zusammen, und Blasedow merkte, daß ein Gewitter im Anzuge war. Er rief Wassern, schnitt ein Stück Brod ab und gab es ihm, indem er das Knurren des Hundes mit der murmelnden Bemerkung begleitete: »Es ist ein neues Messer.« Blaustrumpf, der auf Alles achtete, tappte wie ein Bär auch gleich auf den Leim zu, den Blasedow hingesetzt hatte, um ihn zu fangen, und sagte: »Was hat denn das neue Messer mit dem Hunde zu thun?« Gertrud, die nur an das Rindfleisch und am wenigsten an den Aberglauben als Zweck der Inspectionsreise dachte, sagte: »Man hat das Sprichwort, man sollte mit neuen Messern das Brod erst Hunden anschneiden, sie hielten dann besser!« Blaustrumpf schlug die Augen nieder, um ihr Feuer zu mildern, und schien sich nur heimlich diese abfallenden Redensarten in die Vorrathskammer seines Gedächtnisses zu bergen. Tobianus bemerkte die Ursache seines Unwillens und stieß Blasedow an. Dieser aber fuhr mit künstlichem Zorn seinen Satiriker an und sagte: »Sprich bei Tisch nicht über Tauben!« Blaustrumpf horchte hoch auf, weil er ahnte, daß hier wieder ein Sprichwort, wie Gertrud in ihrer Unschuld sagte, im Spiele war. Sie merkte seinen fragenden Blick und erklärte ihm lachend: »Man sagt wohl, die Tauben draußen flögen fort, wenn man bei Tisch von ihnen spräche.« Blaustrumpf schwieg und aß zerstreut weiter. Inzwischen wurde das Bombardement immer heftiger. Blasedow und Gertrud, zwei ganz entgegengesetzte Forts; fingen an, einen angenehmen Kugelregen, in welchem jedoch Blaustrumpf Lebensgefahr ausstand, zu unterhalten. Tobianus ließ seine Blicke wie parlamentirende Adjutanten von einer Partei zur andern sprengen; aber sie blieben unverstanden. »Wenn du satt bist,« sagte Gertrud zum Bildhauer, »so legst du den Löffel mit der Höhlung nach oben.« Dann wandte sie sich an Blaustrumpf: »Essen Sie doch, Herr Consistorialrath! wenn nichts übrig bleibt, bekommen wir morgen gut Wetter.« Und Blasedow nahm absichtlich eine Schüssel so, daß er das Salzfaß umstieß. Tobianus eilte, es wieder zu füllen. Doch wie einen Hund hetzte Blasedow durch einen Blick seine Frau auf ihn und ließ diese sagen: »Lassen Sie doch, Tobianus, verschüttet Salz soll man nicht wieder aufraffen, sonst hat man kein Glück!« Jetzt, wo eben die Zwischenpause des zweiten und dritten Ganges eingetreten war, konnte sich Blaustrumpf nicht länger halten, sondern holte tiefen Athem und sagte mit einer leisen Stimme, die aber Tobianus wie eine unglückbedeutende Grabesstimme vorkam: »Ich erstaune, daß Sie in Ihrem Hause so viel kleines Unkraut von abergläubischen Sprichwörtern und sogar darnach eingerichteten Gewohnheiten dulden.« Blasedow erwiderte eben so gelassen: »Es ist schwer, es auszurotten. Die Schwalben nisten Jahr aus Jahr ein in meinem Hause; ich habe nicht den Muth, ihr Nest einzureißen, ob ich gleich nur Lärm und Schmutz an den Fenstern davon habe.« Blaustrumpf, immer noch mit lauernder Gelassenheit: »Das würdigste Amt eines Seelsorgers ist aber Kampf gegen Vorurtheile. Die Menschheit soll ausgelüftet werden. Der reine Chlorkalk der Vernunft soll die Spinneweben des Aberglaubens von den Wänden vertreiben. Ich erstaune, daß Sie sich diesem großen Zwecke nicht anschließen.« Blasedow sagte dagegen: »Kreuzzüge gegen die Krenzspinnen kann ich nicht unternehmen, und wenn die ewige Seligkeit darauf stände! Die Tradition und die Natur bieten dem Menschen so vielen Stoff, daran die Religion und Ahnung des Ewigen anzuknüpfen. Wer freilich alles Geheimnißvolle gleich einreißt, wer kecken Muths in abgelegene Oerter geht und dann wieder kömmt und sagt: Seht, was hat mir's geschadet? dem kann's freilich nichts schaden. Die Religion ist so etwas Entlegenes und die Gottesnähe eine solche Himmelsferne, daß ich froh bin, hie und da eine Spur zu entdecken, die zu ihr führt, wenn auch erst über die unwegsamsten Irrgänge!« Blaustrumpf hatte nach einer so gemüthlichen Erklärung freilich den Vortheil des Witzes voraus und sagte: »Sie rechnen also auch die Kreuzspinnen zu den unmittelbaren göttlichen Offenbarungen?«
Blasedow schwieg und besann sich auf seine Position. Es gibt Menschen, dachte er, denen gegenüber man immer nur den Verstand walten lassen soll. Im Gespräch mit ihnen verliert man immer, wenn man einmal sein Gemüth, sein Herz an's Fenster schickt, um die Unterhaltung mit dem Manne auf der Straße fortzuführen. Er schlug daher das Stammbuch seines Herzens krachend zu. Er drückte aus seinem Humor, wie aus einem Schwamme, alle Gefühlsfeuchtigkeit durch die kleinen Porenhöhlen heraus und nahm aus seinem Waffenverließ jene Speere hervor, welche einen Widerhaken hatten und nicht von dem reuigen guten Herzen wieder herausgezogen werden konnten. Einen solchen Speer schleuderte er jetzt kühn auf Blaustrumpf zu und traf ihn mit diesen Worten: »Gott! ich habe vergessen, daß Sie für das fürstliche Raritäten-Cabinet reisen und Wichtelmänner und Wehrwölfe auf dem Lande fangen wollen. Wie ich gehört habe, ist wieder eine neue Reformation, wie vor dreihundert Jahren, im Werke.« – »Keineswegs,« fiel Blaustrumpf ein, »wir wollen nur die Kirchenverbesserung in ihrem gehinderten Ziele weiterfördern; wir wollen die dogmatischen Ströme in der Theologie durch zeitgemäße moralische Canäle verbinden und durch die theologischen Systeme statt der schwerfälligen frühern Beweis-Landstraßen die praktischen, auf den Wink zusagenden oder nicht zusagenden Eisenbahnen des natürlichen Menschenverstandes ziehen.« Blasedow ergänzte: »Vortrefflich; wenn man aber nur erst die Einsamkeit und die Sternennächte abgeschafft hätte! Es ist der wahren Religion nichts günstiger, als die Glückseligkeit der Menschen. Wenn der Landesfürst darnach strebt, daß Niemand mehr in Verzweiflung kömmt, und man Alles von ihm haben kann, dann wird sich Niemand mehr an Gott wenden! Es ist immer gut, wenn die Fürsten sich auf diese Art um die Aufklärung verdient machen. Sie nützen wenigstens damit dem Magen, wenn auch nicht gerade dem Herzen ihrer Unterthanen. Namentlich müßten aber die Fenster des Abends nach neun Uhr bei Strafe der Vernunft-Excommunication nicht mehr aufgemacht dürfen, damit man beim Anblicke des gestirnten Himmels nicht in die alte Religion des Träumens und Ahnens zurückfalle und sich von dem Augustinischen Beweise für das Daseyn Gottes entferne. Es wär' auch gut, den Wäldern ihr Rauschen und den Flüssen ihr Plätschern zu verbieten. Auch sollten der Musik gewisse Tonreihen nicht gestattet bleiben, und Orgeln und Harfen gänzlich außer Gebrauch gesetzt werden, weil durch diese Instrumente doch immer wieder das Unerklärliche der Gottheit hindurchsingt und klaget und die Menschen wie mit Sirenengewalt zu verlocken sucht, sich im Strome des ewigen Aethers und der himmlischen Gottesahnung zu baden.« In dieser Art spottete denn Blasedow, aber auf feierliche Weise, fort; doch Blaustrumpf sagte: »Gäbe Gott, man könnte alles Dumpfe und Halbe in der Welt ausrotten und könnte gerade jene Momente vertilgen, welche immer wieder an die Schlaglichter der Vernunft und Aufklärung die Schlagschatten der Mystik setzen! Wer seinen Gott,« fuhr er fort, »nicht am hellen, lichten Tage hätte, würde ihn des Nachts unter Sternen und funkelnden Johanniswürmchen nicht finden. Lassen Sie uns übrigens,« schloß er mit Würde, »von diesen Dingen abbrechen, und beruhigen Sie mich vielmehr über eine Angelegenheit, welche diesem Hause seit einiger Zeit einen verdächtigen Ruf in der Umgegend gegeben hat und auf das Landvolk nicht gut wirken kann!«
Tobianus und Gertrud erblaßten, als sie diese Bemerkung hörten. Beide hatten einen innern Rapport, der noch nie zwischen ihnen ausgesprochen war und erst über Blasedow's Leichenhügel einmal Worte finden sollte, und Tobianus war nun gar der Lockvogel des Gespenstes, ein unfreiwilliger Geistescitirer, da es nie anders im Pfarrhause spukte, als bei seinen Besuchen. Blasedow meinte: »der Besuch des Consistorialraths käme gerade jetzt erwünscht: denn ein so großer Gegner der Geister, wie er, werde auch wohl mit diesem fertig werden, und könne er ja heute Abend den Versuch einer Teufelsbannung anstellen.« Blaustrumpf erkundigte sich nach allen nähern Umständen und begriff namentlich nicht den Zusammenhang des Tobianus mit dem Spuke. Dieser war so verwirrt, daß ein schlechter Inquirent ihn selbst für verdächtig gehalten hätte. Blasedow sagte auch: »er vermuthe, Tobianus stände in geheimem Verkehr mit den Unterirdischen und wisse auf geschickte Weise mancherlei, was man ihm nicht zutrauen sollte, anzuzetteln.« Gertrud erröthete darüber, und Tobianus zeigte gleichsam die leeren Hände der Unschuld vor und suchte sich von einem Verdachte zu rechtfertigen, der ihn ernstlich gar nicht treffen konnte. Blasedow fuhr fort: »so gut, wie manche Menschen, die nicht einmal an die Elektricität glaubten, elektrisches Haar hätten, könne auch Tobianus eine kleine Hölle mit sich führen, ohne daß er dran glaubte. Ja, es hätte einen Professor der Physik gegeben, der gegen das Nachtwandeln geschrieben hätte, und doch bei Neumond auf allen Dächern gesehen worden und in manches verbotene Fenster gestiegen wäre.« Tobianus vermied besonders Gertrud's Blick und suchte sich dadurch zu vertheidigen, daß seine gespenstischen Eigenschaften doch erst zu wirken anfingen, wenn er in Blasedow's Atmosphäre käme. Dieser leugnete das nicht und erklärte es chemisch, wie sich die verschiedenen Luftarten auch erst bei passender Mischung entzündeten. Tobianus war in großen Aengsten: denn auch Blaustrumpf staunte ihn vom Kopf bis zur Brust an, wo der Teller stand, und griff sich zuweilen an seinen Kopf; »ob es möglich wäre – unter Geistlichen! unter Geistlichen!« rief er. Blasedow beruhigte ihn. »Sie wollten,« sagte er, »eine große Beschwörung für die Nacht veranstalten und sich durch einen Punsch dazu rüsten. Man könne ja den Dr. Mörder'schen Thomasius als Beschwörungsbuch dabei brauchen und gleich sehen, wie weit die Grenzen des natürlichen Menschenverstandes und die Kraft des Buches gingen.« Tobianus dankte Blasedow im Stillen, daß er das Buch erwähnt, und benutzte es als Ableiter seiner Verlegenheit. Er besaß es eigenthümlich und überraschte den Schwiegervater und den Verleger des Thomasius, d. h. des gedruckten, mit seiner gründlichen Kenntniß der von Mörder entwickelten Grundsätze. Blasedow sagte: »durch die kritischen Dardanellen der Jenaischen Literaturzeitung wäre das Buch wie ein stolzer Dreimaster hindurchgeschwommen, und die Kanonenschüsse von den Forts hätten es nicht treffen, sondern nur begrüßen wollen.« Blaustrumpf, der die angezogene Recension selber geschrieben hatte, ärgerte sich, daß Blasedow Alles ausstöberte, und meinte: »das Buch verdiene auch nur unbedingte Huldigung.« – »Ja,« sagte Blasedow, »der Jenaer Recensent wußte auch nichts darin zu verbessern, als einige Druckfehler.« Blaustrumpf arbeitete nach Kräften, von den Jenaer Dardanellen loszukommen, und segelte mit Tobianus durch alle Inselgruppen der deutschen Journalistik hindurch, während ihnen Blasedow wie ein griechischer Brander beizukommen suchte und dann und wann einige ironische Pechkränze auf den Bord ihrer Unterhaltung warf. Inzwischen saßen sie schon im Garten und tranken Caffee und hatten auch Herrn Ritter, den Gertrud schnell rufen ließ, als ebenbürtig in ihren Kreis aufgenommen, als Blasedow folgendes Lied von der jetzigen deutschen theologischen Kritik von seinem Jüngsten, dem abgerichteten satirischen Dompfaffen, abpfeifen ließ. Alboin mischte sich kecklich in die Unterhaltung und sagte: »Die theologische Journalistik ist in Betreff der Kritik ein Spießruthenlaufen, wo die Geißeln aus Christi Dornenkrone genommen sind, und der Redacteur dazu die große Trommel der christlichen Liebe schlägt. Die Parteien gehen, wenn sie sich nicht einander Scheiterhaufen errichten, doch immer mit dem mitleidlosen Blicke jenes levitischen Reisenden an sich vorüber und lassen den armen von der Philosophie und neuern kritischen Forschung geplünderten Leib des Herrn, ohne ihn zu kennen, am Wege liegen. Die Anzahl der Kerzen, die im Tempel angezündet werden sollen, beschäftigt den Sohn Aarons mehr, als der Hülferuf des Verwundeten. Das Christenthum ist tolerant geworden, die Theologie aber ausschließlich und alleinseligmachend. Die Verschiedenheit der Principien hat in der Theologie ordentlich eine Aristokratie hervorgerufen, die sich mit den Plebejern in der Wissenschaft und den bloßen Rittern nicht gemein machen will. So wenig auf die Hauptfrage ist das theologische Antwortgeben gerichtet, daß nur die Manieren, Begründungen und der Schematismus den Parteien ihr buntes und abstechendes Colorit gibt. In Betreff der Hauptfrage des Christenthums reiten sie wie auf den Mauern des Kynast rund im Kreise herum und halten künstlich genug den Rand. Der Wurmfraß der theologischen Kritik ist die Consequenzmacherei und die damit verbundene Angebung. Die Herren scheuen sich nicht, ihre wechselseitigen Untersuchungen in der Prüfung bis auf gewisse Grenzpunkte zu führen, wo ein jäher Abhang ist, und man als irreligiös und unchristlich durch die Consequenzenmacher gleich vom tarpejischen Felsen gestürzt wird. Da ist ein Lehrsatz. Er ragt wie ein verwitterter Felsblock aus dem Meere hervor, das Alter schützt ihn und der Leuchtthurm der Kirche mit angehörigen Pfründen, der darauf gebaut ist. Die Wellen der gesunden Vernunft wogen nun heran, die Brandung der Kritik und des weißen, schönen, klaren Schaums neuer Entdeckungen und Wahrheiten ist wunderbar; doch, weil der Fels nicht weicht, so sollen die Wellen darum weniger schön sich gekräuselt haben, sie sollen nicht zum großen Ocean der Ideenwelt gehören; der alte Thurm mit seiner Priester-Oellampe trotzt auf seinen Felsen. Und hier ist wenigstens noch ein Hinderniß der Geschichte; allein die theologische Kritik wirft der Wahrheit noch weit mehr Steine des Muthwillens in den Weg. Die Consequenzen hält sie dem kühn schnaubenden Roß des Gedankens vor, es wird scheu, es fürchtet den Ruf der Ketzerei. So herrscht in keiner Wissenschaft so viel Wegelagerung, als in der heiligen. Jeder Newton, jeder Euler in diesem Bereiche würde sich für die Maschinen und Instrumente schon, mit denen er seine Experimente machen will, eine schützende Wagenburg bauen müssen. So kommt es auch, daß in keiner Wissenschaft mehr über den Anfang gestritten wird, als in der Theologie. Sie ist noch immer nicht im Reinen, was Verstand, Vernunft, Glaube, Offenbarung ist. Ihre Systeme sind zur größeren Hälfte mit Voruntersuchungen angefüllt; statt über den Vogel, den sie sehen, zu sprechen, sprechen sie über die Augenlinse und die Brille. Dies entspringt aus der Furcht, in Consequenzen gezogen und, statt von den Jüngern Christi, von den Jüngern Jesu, von den Jesuiten geprüft zu werden. Die Rationalisten sogar gehören zu diesen Jesuiten. Denn für ihren kleinen Bettelsack von Dogmen scheuen sie sich nicht, um ihn durchzuschmuggeln, alles Wissenschaftliche in der Theologie nach seinem Paß zu fragen, wie Diebe, die, um selbst fortzukommen, sich unter ihre Verfolger mischen und rufen: Halt ihn!«
Und in der That, Blaustrumpf, wie ein Puterhahn glühend und grollend, rief : »Halt ihn!« als Alboin seine eingelernte Weisheit einpackte und aus Scham, wie sogar vernünftigere Kinder thun, wenn sie etwas Gescheites vorgetragen haben, davon lief. Blasedow selbst, mit verstelltem Zorn, ergriff eine Bank aus der Jasminlaube und stürzte dem kleinen Swift nach, der wie das Wetter davonblitzte. Ob er ihn gleich nicht erreichen konnte, so benutzte er doch diese Verfolgung, um sich selbst einer zu entziehen, und verbarg sich auf seinem Zimmer. Blaustrumpf hielt eine Strafpredigt über diese gottlose Erziehung noch an sich, weil er sie in recht vollen Strömen auf ihren Urheber wollte niederregnen lassen; allein dieser kam nicht zurück, und das übervolle Gefäß seines Zornes mußte allmählich gegen Tobianus und Ritter überlaufen und leck werden. Diese drei Herren sprachen den Nachmittag und die Dämmerung des Abends die ganze Theologie und Pastoralwissenschaft durch und geriethen über alle Streitigkeiten des Tages selbst in welche. Die Geister von tausend Büchern, die sie citirten, fochten mit ihnen, und wenn sie etwas einiger gewesen wären, so hätten sie in ihrem Eifer leicht eine neue Religion in der kurzen Zeit stiften können oder etwas erfinden, was, wenn sie es früher schon hätten einführen können, Christus den Tod am Kreuze würde erspart haben. Das sagte auch Blaustrumpf und bemerkte gleichsam mit dem Unwillen eines Hebarztes: »Warum bin ich nicht früher gerufen worden?«
So ehrenvoll es Tobianus schien, bei dieser neuen Religionsstiftung zugegen gewesen zu seyn, so überkam ihn doch mit zunehmender Dämmerung ein unheimliches Grauen. Die Aussicht auf den Punsch wog seine Angst nicht auf. Er sah den Consistorialrath fest entschlossen, es mit dem Spuke aufzunehmen, und Dienst-Rücksichten geboten ihm auch, ihn in seinem Eifer gegen den Aberglauben zu bestärken. Nun wußte er aber, daß er selbst dabei eine unbewußte Rolle spielte. Er war die leuchtende Flamme, wie Blasedow sagte, welche die Fledermäuse in's Zimmer locke. Durch seine Vermittlung kam der Spuk zum Vorschein; über ihn ging der Weg in's dunkle Jenseits der Natur. Dies machte ihn schaudern und benahm ihm die Lebensgeister, noch ehe er sie durch den Punsch wieder auffrischen konnte. Der Gedanke, daß, wenn er die Ursache des Gespenstes war, er auch bei Bannung desselben die Rückwirkung auf irgend eine empfindliche Weise empfinden müßte, zernagte ihn. Er wurde schweigsamer und mit hereinbrechendem Dunkel vollends muthlos. Es war ihm, als müßte er sich auf einen Elektrisirstuhl setzen, oder als könnte ihn jeden Augenblick der Schlag rühren. Er entfernte sich von den beiden geistlichen Disputanten, die sich nicht einmal ein Compliment ohne Controverse sagen konnten, und irrte wie ein Nachtwandler im Hause und Hofe umher. Er hätte gern die Flucht ergriffen, wenn es nicht zu spät gewesen wäre. Gertrud sah ihn und dachte, er sucht etwas, was ich ihm nicht zu zeigen brauche. Sie schwamm bereits in all den vier Elementen, welche die Welt und den Punsch bilden, und Tobianus hätte gern in einem Winkel die Nacht und den Abend verschlafen.
Er hielt es auch nicht aus. Blasedow kam herunter. Herr Ritter wollte bleiben, und Blaustrumpf streifte schon die Aermel auf, um das spukende Hexenkind aus der Taufe der gesunden Vernunft zu heben. Blaustrumpf malte eine Galerie Wagner'scher Gespenster an die Wand, bei denen Tobianus dachte: Er hat gut lachen: er spielt keine Rolle mit. Mit diesen Gedanken taumelte er in den Hof. Es war ganz finster geworden. Die Hühner und Tauben schliefen schon. Man konnte fallen, wenn man nicht Bescheid wußte. Tobianus formte sich einen Gedanken aus, der an der brütenden Wärme seiner Angst bald eine sichre Gestalt gewann. Er wollte sich auf den Heuboden verbergen und in Frieden und Sicherheit die Bannung des Gespenstes abwarten. Dem Vorwande, er hätte nur Ruhe suchen wollen, hoffte er, würde es an einem Tage an Glauben nicht fehlen, wo es so mancherlei Außergewöhnliches zu verdauen gegeben hätte. Ach, Tobianus, besinne dich! du wirst ein Gespenst des Abends vermeiden und dir ein anderes dein Lebenlang aufbürden! Wähle zwischen einem Spuk, den ja Blaustrumpf sogar heute zerstören will, und einer ewigen Furie, in die du Gertrud verwandeln wirst! Es sind Räthsel, aber sie lösten sich einfach.
Als sich nämlich Tobianus in der That schon leise auf den Boden geschlichen und sich im duftigsten Heu versteckt hatte, bemerkte er in einiger Entfernung ein Flüstern und Lachen, das sich mit glücklicher Behaglichkeit im Heu wiegte und hin und her schaukelte. Er war durch sein leises Auftreten der Entdecker einer glühenden Neigung seines Kutschers, des uns wohlbekannten Peter Erich, zu einer der Mägde Gertrud's geworden und konnte gleich seinen Priestersegen über das in sorgloser Glückseligkeit schwelgende Paar aussprechen. Er hatte sich freilich an dieser unechten und plattirten Ehe keinen Vorwurf zu machen; dennoch peinigte ihn schon die Nähe des abwesenden Sacramentes, wie schon Andre bemerkt haben, daß es ein peinigendes Gefühl ist, falsche Banknoten, die man doch nicht selbst verfertigte, nur in der Hand zu haben. Tobianus ahnte sogar, daß sich diese Nachbarschaft im Verlaufe des Abends und der Nacht zu Scenen entwickeln könnte, die ihn zum Mitschuldigen derselben machten. Er überlegte, ob es besser wäre, eine Sünde lieber zu toleriren oder sich in die Gefahr einer Ceremonie zu begeben, die zuletzt doch nur etwas Peinliches für ihn hatte und in Gegenwart dreier beherzter Männer ihm keine ernstliche Besorgniß hätte einflößen sollen. Kaum jedoch neigt sich das Zünglein der Wage von den verliebten Zungen neben ihm ab, als er im Hofe Lärm vernimmt und wenigstens so viel deutlich unterscheiden kann, daß Peter Erich aufspringt und die Magd einstweilen zu verlassen gedenkt, um eine etwa andringende Gefahr zu recognosciren. Peter Erich mußte aber sehr wenig Vertrauen zu seiner Lage haben: denn er sprang schnell die Leiter hinunter und überließ Tobianus einstweilen die Bewahrung seiner Ariadne auf einem Naxos, das für den Pfarrer neckisch genug wurde. Helle Schlaglichter fallen in die dunkle Heukammer. Stimmen rufen mit Besorgniß nach dem so nothwendigen Rapport der ihrer Entwickelung so nahen Geistergeschichte. Die Magd zittert nebenan und wühlt sich so tief in das Heu, daß sie von dem Angstschweiße des Tobianus aus kaum noch die Breite eines ihm ohnehin mangelnden Schnupftuches entfernt war. Jetzt sind Gertrud, Blasedow, Blaustrumpf, Ritter auf dem Heuboden und behaupten, die Müdigkeit müsse ihn vielleicht hieher getrieben haben. Blasedow braucht eine ungeheure Heugabel und sticht aufs blinde Ungefähr in den weichen Wiesenwachs hinein. Da trifft er die Magd, und Gertrud entdeckt etwas von einem geistlichen Rocke. Wie sich allmählich der verborgene Hintergrund dieser Entdeckungsscene herauswickelt, ruft sie in einem beinahe convulsivischen Anfalle von Eifersucht Zeter über den treulosen Verführer ihres Hauswesens. Die Männer lachten, selbst Blaustrumpf, der bei Lichte aber eine Brille aufsetzen mußte, um Alles besser zu sehen. Die Magd war davon gesprungen, und nur Tobianus stand da, sprachlos, verwirrt, eine männliche Susanne vor den von den Umständen allerdings bestochenen Richtern. Dazu kam, daß er Peter Erich, seinen eigenen Kutscher, ungern nannte, weil doch immer etwas davon auf ihn und seine Kalesche fiel. Gertrud weinte und mußte die Leiter hinuntergetragen werden. Erst die kräftigen Ausathmungen des dampfenden Punsches gaben ihr wieder neues Leben, doch nur dazu, daß sie wünschte, sie läge im tiefsten Grabe. Tobianus hatte selbst so viel Angst ausgestanden, daß er seine Rechtfertigung nur in stotternden Absätzen geben konnte. Auch war die Beschwörung noch nicht vorüber. Blaustrumpf sagte: »daß man sich doch diese wenigstens nicht verderben wolle,« und meinte damit zunächst den Punsch, den er zu schöpfen begann. Die Gemüther wurden warm; Gertrud hatte, als es zehn Uhr schlug, Furcht in der Küche und kam mit verweinten Augen und nasser Schürze in's Zimmer. Tobianus nahm ein Glas, credenzte ihr's und legte dabei die Hand auf's Herz. Sie weinte bitterlich. Doch, da sich der Freund hoch und theuer vermaß, sah sie ihn fragend und schmerzlich an und zog ihm endlich versöhnt noch einiges Heu aus dem verwilderten Haare. Die Kinder waren zu Bett, die phantastischen Wolken eines verhältnißmäßigen Rausches zogen über die Stirne der glühenden Männer. Sie wechselten ihre Charaktere ohne ferneren Rückhalt aus und zeigten sich die blanken Karten ihrer Gesinnungen. Das hinderte aber die steigende Lust der Behaglichkeit nicht, bis Gertrud auffuhr und an die Thüre rannte. Blaustrumpf stieß den Stuhl hinter sich um und griff nach einem bereit gehaltenen Exemplar des Thomasius. Er stürmte zur Thür hinaus auf die Hausflur und erblickte die beiden kleinen weißen Gestalten, den häuslichen Störefried. Schon hat er einige Donnerworte auf die lallende Zunge gelegt, um sie fortzuschleudern, da reißt ihm Tobianus, der ihn in seinem Eifer zu mäßigen sucht, die Rockschösse seines besten Frackes hinten ab. Die daraus entstehende Verlegenheit und Verwirrung wurde jedoch von Blasedow meisterhaft benutzt. Er ergriff aus seinem Stiefel ein darin versteckt gewesenes spanisches Rohr, warf das über den Frack mit Tobianus rechtende Consistorium links, seine Frau rechts und stürmte den die Flucht suchenden weißen Schatten nach. Vom Garten aus vernahm man einige durch die stille Nachtluft gellende Streiche mit dem spanischen Rohr und ein zweistimmiges jämmerliches Klageduett. Blasedow ließ sich nicht wieder sehen. Die Andern aber staunten und begaben sich, erschöpft und übermannt, ohne klare Gedanken, zur Ruhe.