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Nicht zur Nachahmung der großen Muster in der Autobiographie sind die nachfolgenden Blätter geschrieben worden. Des Verfassers Person war ihm bei ihrer Abfassung in dem Grade gleichgültig, daß er ausdrücklich sich gegen die Auslegung verwahren muß, als hätte er ein Entwickelungsbild von sich selbst entwerfen wollen.
Er schilderte seine frühste Jugend ihrer Tatsachen wegen. Diese Thatsachen sind keinesweges abenteuerlich... jedes Findelkind, jeder Waisenknabe würde der Neugier größre Reizungen anbieten können... Aber denkwürdig schien dem Verfasser zunächst schon seines Jugendlebens Schauplatz.
Es ist Berlin... Diese große Stadt hat sich für die, die in ihr geboren wurden, bekanntlich den übelsten Windeln- und Wiegenruf erworben. Sie gilt dafür, daß sie nur gesuchten Witz, kalten Verstand, baarste Gemüthsleere hervorbringen kann. Alle Gebiete Deutschlands haben sich in unsern Tagen geregt und ihren Schooß geöffnet, um zu zeigen, daß die Quelladern deutscher Sitte, deutschen ursprünglichen Lebens durch sie hindurchzogen; Berlin allein ist dabei stumm und regungslos geblieben. Schwaben zeigte sich als das Goldland des Gemüths, das Rheinland als der Armida-Garten der Phantasie, Thüringen öffnete die Felsenspalten seiner Sagen, in denen verzauberte Kaiser über unsres Volkes Zukunft träumen, Schlesien, Westphalen, selbst die Lüneburger Haide und die Deutsch-Böhmen haben über die Meilenzeiger der Landstraße, die bunten Röcke der Polizei und das große Nivelliment der modernen Wirklichkeit hinweg ein heimlich Inneres, ein traulich Anderes und irgendpoetisches Bild von sich zu geben versucht; nur Berlin brachte als spezifisch Berlinisches immer und immer nur seine Eckensteherwitze, seine Kreuzzeitungsfeuilletons, seine Weißbiergemüthlichkeit und die Schusterjungencouplets aus der Friedrich-Wilhelmsstadt.
Ist denn nun aber wirklich Berlin ganz so flach, wie es sich giebt und genommen wird? Geht jener unterirdische Silberstrom des reinen deutschen Gemüthslebens wirklich um die Mark Brandenburg herum und kreuzt sich auch nirgends mit der bescheiden fluthenden und doch auch vom Gebirge kommenden Spree? Man möchte die Nichtbegegnung fast glauben, wenn man sieht, was alles auf der entsetzlich breiten Grundlage von Berliner Trivialität sich Fremdartiges aufbauen darf und von Heimischem meist nur Thatsachen, die im deutschen Vaterlande wenig Credit gewinnen wollen. Und doch besitzt Berlin in sich selbst eine weit bessere Entwickelungsfähigkeit, als die speziellen Interessen der dortigen Tonangabe ihm seit fünfzig Jahren gestatten wollen. Es ist nicht so verlassen von einer gewissen Ursprünglichkeit, wie es sich in seiner Neigung zur Selbstpersiflage darstellt. Es ist nicht einmal so kahl, so sandig, so farblos in seiner Natur, wie man nach den allgemeinen topographischen Bedingungen der Mark glauben sollte.
Vielleicht nützen die nachfolgenden Blätter einem bessern Studium. Es wäre sicher schon erfreulich, wenn die Tausende von Berlinern, die das spezifisch Berlinischseinsollende erst auf dem Theater oder in der bekannten Jargon-Literatur kennen gelernt haben, einmal den Blick von ihrem Geburts- und Heimathsschein aufzuschlagen wagen und bekennen dürften: Endlich schwindet etwas dieser falsche Schimmer totaler Unpoesie, dieser Beigeschmack von Verstandesnüchternheit, der auf dem Berlinischen Ursprunge durchaus liegen soll! Die nachfolgenden Blätter sind nur eine Probe dessen, was der Verfasser von späteren Lebenszeiten reicher, eine Probe dessen, was tausend Andre aus ihrer Jugend sicher viel bunter und mannichfaltiger an besseren Berliner Erinnerungen geben könnten.
Nächst dem Interesse des Schauplatzes glaubt der Verfasser auch von Seelen- und Lebenszuständen Manches dargestellt zu haben, was den Erzieher und den Freund des Volkes beschäftigen könnte. Hie und da giebt er Beiträge zu einer Wissenschaft, die man neuerdings die Gesellschaftskunde genannt hat, einer Wissenschaft, die die leere und allgemeine Bezeichnung des Volkes in seine einzelnen Bestandtheile gruppirt und über die wir kürzlich von W. H. Riehl ein so förderndes Buch erhalten haben.
Endlich stellten diese Blätter, besonders wenn ihnen einmal ein zweiter Theil (für 1821 – 1831) folgen sollte, sich die letzte Aufgabe, ein allmäliges sich Entwinden und langsam freiwerdendes Losringen von einem tiefeingeimpften und fast zur andern Natur gewordenen spezifischen »patriotischen« Lokalgeiste zu schildern. Einen schönen und lieblichen Jugendwahn als drückenden Ballast auf hoher Lebensfahrt auszuwerfen, kostet für jedes fühlende Herz Ueberwindung. Aber wenn der Verfasser zeigen könnte, daß man bei erkannten Irrthümern doch liebende Pietät und strenge Beurtheilung in ein Gleichgewicht bringen kann, »das der Empfindung nicht schenkt, was dem Verstande gehört« so hätt' er noch einen geheimen und von ihm mit vertrauendem Herzen angestrebten Zweck dieser Blätter erreicht.
Die endlich an der Darstellung vielleicht auffallende, zuweilen scherzend übertreibende Wort- und Bilderwahl möge die Thatsachen nicht verdächtigen, die ohne Ausnahme faktisch sind und Niemanden anders, als bereits Verstorbene, treffen! Der bekannte aufgebauschte Ausdruck des komischen Heldenepos schlich sich hie und da nur deßhalb zuweilen in die Prosa ein, weil eine innere Besorgniß den in der Würdigung seiner Herzensmotive selten glücklichgewesenen Verfasser bestimmte, überall da, wo seine eigne Person zu sehr hervortrat, lieber sogleich selbst Gelegenheit zu einem Lächeln zu bieten, das er allerdings in diesem Buche dann und wann auch bei Wohlwollenden wird voraussetzen müssen.
Dresden im Februar 1852.