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Drittes Capitel.

Der Pelikan.

Von dem wunderbaren Vogel, der sich selbst die Brust aufschlitzen soll, um seine Jungen vor dem Verhungern zu schützen, war auf dem Wirthshause, das seinen Namen trug, ein hölzernes, ziemlich verwittertes Abbild über dem Thorwege zu sehen. Auch der rothe, blutähnliche Anstrich des zweistöckigen, mit mehr Holz als Steinen aufgebauten Hauses erinnerte an jene Sage, die die Naturforscher leider nicht bestätigen wollen. Ob im Übrigen der aufopfernde Geist eines Pelikans in dieser Fuhrmannsherberge waltete, mußte erst die Rechnung ausweisen, die die Brüder später zu bezahlen hatten. Vorläufig sahen sie sich vergebens nach einem würdigen Empfange um. Der Thorweg war leer. Keine dienende Pelikanschwinge flog ihnen entgegen und schon schickte sich Dankmar, ungeduldig das Pflaster des Thorwegs stampfend, an, einige allarmirende Donnerwetter in den stillen Sommerabend, in dessen Ruhe sich auch der Pelikan wiegte, und ein jetzt ertönendes Hundegebell zu schleudern, als plötzlich einem freudigen Aufschrei auf dem Hofe folgende, im Harzdialekte gesprochenen Worte sich anreihten:

Ei der Tausend! Sind Sie's denn wirklich? Musje Dankmar und Musje Siegbert! Kennen Sie mich denn nicht mehr? Die Kathrine Bollweiler aus Thaldüren, die bei Ihrem Herrn Vater selig gedient hat? Besinnen Sie sich nur! O Gott, o Gott, wie kommen Sie denn nur daher?

So und ähnlich variirte noch der Gruß fort, mit dem die beiden Brüder beim Eintritt in den Hof des Pelikans empfangen wurden. Hier unter halbabgeladenen Fuhrmannswägen, unter Strohhaufen, pittoresken und nicht nach Alpenflora duftenden Düngerhügeln, nicht minder stark parfümirten Stalleimern wurden sie von einer kleinen Frau begrüßt, die eben aus der Küche trat mit einer Schüssel voll frischen Salats, an den dem Garten zu gelegenen Brunnen wollte, um ihn zu waschen, sie erst groß und starr anblickte und musterte und dann, die Schüssel geradezu auf den Mist stellend, in obige Worte ausbrach.

Grüß Gott! Grüß Gott! Sie ist die Kathrine aus Thaldüren! sagte Dankmar, die muntere Köchin erkennend. Das trifft sich ja gut und besser als gut! Wie kommt Sie denn funfzig Stunden weit vom Harze her in die Küche hier vom Pelikan?

Aber Kathrine konnte sich nicht sammeln. Ihre Freude hatte noch nicht kräftigen Ausdruck genug gefunden. Besonders hing ihr Auge an dem Siegbert, der ihr freundlich die Hand bot.

Musje Siegbert! rief sie einmal über das Andere. Ach, was für Herren sind das geworden! Gesehen hab' ich Sie beide schon oft, wenn Sie hier vorbei gingen. Immer wollt' ich Ihnen nachlaufen und rufen: Pst! Pst! Aber ich hatt's Herz nicht und da dacht' ich: du sparst es dir einmal auf einen Sonntag Nachmittag auf, um sie lieber einmal ordentlich da zu besuchen, wo Sie wohnen; denn ich weiß, wo Sie wohnen, in der Neustraße. Nicht wahr?

Das weißt du? sagte Dankmar mit gutmüthigem Spott. Und Sonntags Nachmittags? Sieh! Sieh! Gerade das ist die Stunde, wo wir immer ganz sicher zu treffen sind! Das hätte sich ja nicht schöner machen können, Kathrine Bollweiler.

Siegbert, den es rührte, eine Magd seiner Ältern hier anzutreffen, und der Dankmar's Spott nicht leiden mochte, fiel ihm in die Rede:

Woher denn weißt du unsere Wohnung, Kathrine, und kommst nicht sogleich?

Das will ich Ihnen sagen! antwortete Kathrine und stellte die Schüssel mit Salat vom Miste weg auf einen Strohhaufen, während die Hühner gackernd herbeiliefen und der große Hofhund an der Kette, der anfangs ganz allein die Fremden mit seinem fürchterlichen Bellen begrüßt hatte, sich endlich beruhigte:

Mein Mann ist ja der Fuhrmann Peters aus Angerode, der alle Augenblicke einmal etwas bei Ihnen zu bestellen hat, und da hat er mir gleich, wie wir hierher zogen, gesagt, wo die Kinder meiner alten braven Herrschaft wohnen – aber man kommt so schwer ab.

Abzugeben? Wohnen? fiel Dankmar hastig ein. Peters? Wo steckt er denn? Seinetwegen kommen wir ja hier in den Pelikan.

Ich pass' auf ihn jede Stunde! fiel Kathrine ein. Wir sollten ihn schon heute Morgen von Schönau her erwarten, was immer seine letzte Station ist, aber es muß ihm etwas passirt sein....

Das will ich nicht hoffen! polterte Dankmar. Ich erwarte, daß er mir einen großen Schrein bringt, der mir wichtig ist....

Weiß ich ja, sagte Kathrine pfiffig. Hat's mir ja geschrieben von Angerode. Aber das Wetter macht zu heiß. Da zieht sich's langsam im Sande. Die Gäule verschmachten und die Fliegen thun auch das Ihrige. Heute Abend kommt er aber noch ganz gewiß. Es schwant mir so.

Weißt du was, Kathrine? Wir warten hier die Erfüllung deines schwanenden Gemüthes ab. Kann man denn in diesem Pelikan ein Plätzchen finden, im Freien, ohne Stallgeruch, einen Trunk aus gutem Keller, einen Nachtimbiß aus deiner bewährten Küche? Mir brenzelt's und prasselt's im Gemüth, seit ich dich sehe, wie von Eierkuchen und andern holden Jugenderinnerungen....

Hurtig! Hurtig! rief eine feine, sonderbar keuchende Stimme hinter ihnen. Sie wandten sich um und bemerkten eine dicke Figur, die sich inzwischen zu den Redenden gesellt hatte. Ohne Zweifel war dies der Wirth zum Pelikan. Der stattliche Herr war im leichtesten Sommernegligée. So fett, daß sein Schweiß, wie Falstaff sagt, die Erde spicken konnte, beförderte er auch in seiner Kleidung diesen heilsamen Einfluß auf die Fruchtbarkeit des Bodens, Hals und Brust offen, die Hemdärmel aufgestreift. Er schien unter dem hohen Stand des Thermometers schrecklich zu leiden. Keuchend und mit dünner Stimme sagte er:

Hinter der Scheune ist ein Garten, meine Herren, und die Kegelbahn. Aber Wochentags kommt keine Gesellschaft. Wenn's Ihnen nicht zu still da ist und zu einsam...

Grade recht, wenn's still ist, fiel Dankmar ein. Und nun, Herr Wirth, Zauberwinke! Herrscherbefehle! Bier, Wein, Cotelettes, Salat....

Nein, Eierkuchen! fiel Kathrine lachend ein. Eierkuchen, wie man ihn in Thaldüren backt.

Eierkuchen, wie man ihn in Thaldüren backt! riefen die Brüder fast im einstimmigen Ton.

Der dicke Wirth lachte und wackelte voraus, ihnen das Gartenstacket zu zeigen. Kathrine hinterher voll seliger Freude. Sie war sauber und reinlich gekleidet; die Haube, ihren verheiratheten Stand anzeigend, bedeckte das Gesicht einer noch recht schmucken Dreißigerin. In ihrer Zerstreuung nahm sie die Schüssel voll Salat mit in den Garten.

Frau Peters, was soll denn der Salat wieder im Garten? fragte der Wirth und lachte.

Ach, ich bin ganz confus! sagte Kathrine Peters und schlug sich vor die Stirn, indem sie nun wieder nicht wußte, sollte sie an den Brunnen oder in die Küche oder im Garten ihren jungen Pfarrerssöhnen aus Thaldüren einen Platz anweisen, der ihr der schönste schien.

Geh sie nur in die Küche, Frau Peters! Ich werde die Herren schon zurechtweisen!

Dies kräftige Wort des Wirths gab den Ausschlag.

Gut, Gevatter! sagte sie, nahm ihren Salat und kehrte in den Hof zurück. Eins, zwei, drei und Sie sollen prächtig bedient sein!

Durch einen kleinen Garten von Rasen, Gemüsebeeten und einigen Obstbäumen vom Pelikanwirthe geführt, fragte Siegbert:

Ei der tausend, Herr Wirth? Die Kathrine nennt Sie Herr Gevatter?

Das kann sie, antwortete der Dicke schnaufend, sie kann's, weil ich's bin. Die Peters ist sozusagen nicht blos meine Magd, sondern sie führt mir sozusagen die ganze Wirthschaft. Mein Weib ist todt, und den Spectakel mit den Mägden hatt' ich satt. Da sagt' ich zu meinem alten Freund Peters, der schon seit zwanzig Jahren bei mir einkehrt und mein Gevatter ist von Kindern, die todt sind: wüßt' ich eine brave Frau in gesetzten Jahren, die mir Ordnung im Hause hielte, ich heirathete wieder. Thue Das nicht, Alter! meinte Peters. Sieh! Ich mache dir den Vorschlag, ich ziehe von Angerode daher. Die Eisenbahnen machen unsere Fuhren immer leichter; es dauert eine Ewigkeit, bis so ein Wagen jetzt voll geladen ist und abgehen kann. Da lieg' ich denn auf der Bärenhaut und bin mehr hier als in Angerode. So muß ich zwei Wirthschaften führen. Besser ich ziehe hierher und sorge nebenbei für deinen Stall, da du alter Kerl bald so dick wirst, daß du nicht mehr hinein kannst, wenn du dir keine breitere Thür baust. Nun, und Das bin ich eingegangen, und das Ende vom Lied ist, daß der Peters seine Wirthschaft hier herübergeführt hat und die kleine Gevatterin hier jetzt uns Alle im Sack hat. Mir ist's recht. Sie sehen, ich komme nicht dabei zurück.

Der behaglich schmunzelnde Wanst rückte den Brüdern am Ende der Kegelbahn dicht an einem Bach, der den Garten begrenzte, einen Tisch zurecht. Das Plätzchen lag gar angenehm im Grünen. Ein voller Apfelbaum beschattete den Tisch mit seinen zackigen Ästen. Die im Untergehen begriffene Sonne warf ihre letzten röthlichen Strahlen herüber. Käfer summten, Vögel zwitscherten von den Nachbargärten her. Sie konnten für die Mittheilungen, die dem ungeduldigen Dankmar auf der Zunge brannten, keinen stillern Ort finden. Schon kam auch Kathrine wieder zurück mit vollen Flaschen, einem Windlichte für die Cigarren und einem Teller voll groben und feinen Brotes zur beliebigen Auswahl.

So! sagte sie; da sitzen Sie ja schon traulich beisammen. So schön wie in Thaldüren ist's freilich nicht. Die Aussicht fehlt – aber so ein Plätzchen gab's doch auch im Garten hinterm Pfarrhause. Und der Herr Vater – Gott hab' ihn selig! – wie gern saß der so Abends im Freien, wenn die Sonne unterging, und sprach dann wie ein Buch, trotzdem daß er's schwer auf der Brust hatte. Ich sagt's gleich, als es hieß, er ist Oberpfarrer in Angerode geworden. Ich war dazumal schon über sechs Jahre an den Peters verheirathet. Ich sagt's gleich, als er in das alte steinerne Pfarrhaus von Angerode zog, da hat's keine Luft für den braven Herrn und seine kranke Brust. Alles von Stein da und die hohen Zimmer und keine Wärme, wenn auch die Öfen groß genug waren und das Freiholz nicht gespart wurde. Wie lange hat er's drin gemacht? Zwei Jahre! Du lieber Heiland, der brave Mann! Wohnt denn die Mutter noch ihr Witwenjahr in dem Hause? Ich weiß, sie haben's ihr nehmen wollen. Feinde hatte Ihr Herr Vater immer; Das wußten Alle und Keiner begriff's warum? So ein engelguter Herr und doch sollt' er nicht in die Stadt kommen, bis es vor seinem Ende doch sein mußte und da war's sein Tod. In dem kalten Ritterhaus!

Frau Peters, der Eierkuchen! rief der Wirth zum Pelikan, der neugierig zugehört hatte, dann aber die träumerische Versunkenheit seiner Gevatterin nun im Interesse der Bedienung vom Vergangenen doch aufstören zu müssen glaubte.

Es ist auch wahr, fiel die ganz weinerlich gewordene Frau ein und lief hurtig wieder davon.

Nun lassen Sie's sich gefallen, sagte der Wirth zu den durch die Erinnerung an den Vater bewegten Brüdern; wie Sie's finden, ist's einmal, und wenn Sie Etwas wünschen, was wir haben, so rufen Sie nur!

Damit setzte er seinen schwerfälligen Mechanismus in Bewegung, wieder dem Hofe zu, und ließ die Brüder endlich allein in behaglicher, stiller Ruhe.

Ein eigenes Zusammentreffen, begann Siegbert und fühlte an die Tasche, ob er sein anvertrautes Pfand, die hundert Thaler, auch noch bei sich hatte; diese Kathrine hier im Pelikan! Wir waren wol Jungen von etwa zwölf und vierzehn Jahren, als sie einen Fuhrknecht heirathete. Wir selbst kommen uns kahl und schaal, zwecklos und ziemlich unnütz in der Welt vor, und ihr gehen wir auf wie die Engel und Propheten! Der Mensch weiß nicht, was Einer dem Andern ist! Sie hat nach uns geforscht, und beobachtet, ein Wiederbegegnen mit uns für ein großes Lebensglück gehalten, das sie sich auf einen schönen Sonntag Nachmittag, vielleicht nach der Predigt, aufsparte, und ich wette, sie träumte im selben Augenblick glückselig von uns, während wir über irgend Etwas in Verzweiflung waren und keinem Menschen in der Welt von Wichtigkeit zu sein glaubten, als nur unserer Mutter und allenfalls unsern Gläubigern!

Daraus siehst du, theurer Communist, sagte Dankmar, indem er seine Cigarre an dem von Kathrine hingestellten Lichte anzündete, daß die Armen auch nicht so ganz elend sind, wie du dir denkst. Sie haben wirklich mehr Paradies als wir uns einbilden und selbst besitzen. Eine Landpartie Sonntags ist dem Handwerksmann eine so große Freude, wie dir vielleicht eine Einladung beim Prinzen Ottokar sein würde. Doch lassen wir jetzt unsere socialen Betrachtungen und besprechen wir ernstere Dinge. Weißt du, bester Bruder –

Nichts weiter! unterbrach ihn Siegbert, ehe du nicht die Hauptsache berichtet hast: wie geht's der Mutter?

Sie ist wohl, sagte Dankmar und schenkte die Gläser voll. Wohlan! Das geht voran! Die Mutter lebe hoch!

Die Brüder stießen an. Die großen braunen Methgläser wollten nicht recht klingen. Der Wirth zum Pelikan schien keinen Wein zu führen. Doch war das Bier schmackhaft und ließ sich trinken.

Und nun, Bruder, fuhr Dankmar fort, höre mir zu! Es ist eine feierliche Stunde!

Ich bin begierig, welche Narrheit du auf dem Tapet hast, ergänzte Siegbert, während Dankmar sich räusperte und also begann:

Siegbert Wildungen, älterer Bruder des sehr ehrenwerthen Dankmar Wildungen, malendes Vorbild eines malerischen Referendars! Es kann dir nicht unbekannt sein, daß sich die Geschichte unsers Hauses in die ältesten Sagen der Vorzeit verliert. Ich will nicht untersuchen, ob sich schon unter den Rittern der Tafelrunde ein Wildungen durch seinen Durst – ich meine nach Abenteuern auszeichnete; soviel ist gewiß, daß am Hofe Karl's des Großen...

Theuerster Bruder, fiel Siegbert ein, sparen wir unsere Genealogie für lange Winterabende. Der Apfelbaum und die Johannisbeerhecken lachen uns aus, daß wir bei ihrem Duft in solchem alten Moder stöbern.

Johannisbeerhecken? fragte Dankmar und nahm dabei eine wichtige Miene an. Johannisbeerhecken?

Oder Stachelbeeren! Was scheidet uns da von den freundlichen Gärten der Nachbarschaft? Der Bach und die Hecken –?

Johannisbeerhecken! In der That! wiederholte Dankmar hinüberblickend. Seit ich in Angerode meine Entdeckungen gemacht habe, stutz' ich bei Allem, was an Johannes, gleichviel ob den Täufer oder den Apostel, erinnert.

Bist du Freimaurer geworden? fragte Siegbert staunend.

Gewissermaßen, ja! sagte Dankmar. Ich war so frei, in Angerode zu mauern, Wände zu durchbrechen und Johannisbeeren,... sieh, sieh, in welchem Zusammenhange könnten wol diese Beeren mit einem der beiden Johannes stehen? Warum nennt man überhaupt diese Beeren Johannesbeeren?

Ohne Zweifel hat sie der Täufer Johannes in der Wüste gegessen, erklärte Siegbert.

Oder... weil sie um Johannis reif sind – fiel Dankmar ein. Schade, daß meine Auslegung prosaischer ist!

Ich glaube, du bist närrisch, erwiderte Siegbert, ein wenig ärgerlich über den Humor des Bruders, der heute nicht ganz in seine Stimmung passen wollte.

Genug, lieber Bruder, Johannisbeeren oder Stachelbeeren, fuhr Dankmar fort, soviel ist richtig, daß du selbst sehr eitel auf den alten Ursprung unserer Familie bist; denn auf deinem Molay hast du einen deutschen Tempelritter angebracht, der mit dem französischen Heermeister des Ordens stirbt, in deinen Flammen, die wunderschön gemalt, aber in dieser Weise historisch nicht motivirt sind.

Das that ich aus gutem Bedacht, antwortete Siegbert; denn ein Hugo von Wildungen war der Ahn unsers früher adeligen Hauses, und wenn nicht Templer, doch Johanniterherr der deutschen Zunge in einem ehemaligen thüringischen Tempelhause.

Und Gott segne diesen Hugo von Wildungen! fiel Dankmar mit Lebhaftigkeit ein. Er hat dir den anachronistischen Frevel, ihn zweihundert Jahre vor seinem in Rom erfolgten Tode schon in Paris verbrennen zu lassen, aus Anerkennung deiner dabei gehegten guten verwandtschaftlichen Absicht gnädiglich verziehen. Denn wenn ich in Halle und Berlin mein Öl nur einigermaßen nicht ganz verloren habe – oleum perdere, lieber Bruder, eine schöne lateinische Redensart für: seine Collegiengelder zum Fenster hinauswerfen –, so werden wir mit Hülfe dieses von dir verbrannten Hugo von Wildungen vielleicht Besitzer einer kleinen, runden, gemüthlichen Million.

Siegbert konnte über diese Bemerkung nicht lachen; denn Dankmar sprach sie mit einem solchen Ernste, das Blut schoß ihm dabei so in die Wangen, der Eifer trieb ihn so convulsivisch vom Tisch empor, daß er im ersten Augenblicke glaubte, sein sonst so nüchterner, nur im Praktischen lebender Dankmar wäre von einer fixen Idee befallen.

Du staunst? fuhr Dankmar fort. Aber ohne einen triftigen Grund habe ich keine so wahnsinnige Eile gehabt, dich zu sprechen. Ohne einen solchen Sporn hätt' ich keine Sporen angeschnallt und mich auf einen jetzt vielleicht mit dreißig oder funfzig Thalern Verlust gemietheten Lasally'schen Fuchs gesetzt. Da mußte etwas vorgefallen sein, Herz, was sich der Mühe verlohnte, den Hals zu brechen; denn ich hatte die Absicht, dich aufzusuchen, wo du nur zu finden wärst, und nur dieser rothhaarige Proletarier, diese Kathrine Peters und die Johannisbeeren des Pelikans haben mich verhindert, dir Das sogleich mit der gehörigen Feierlichkeit anzukündigen, was mir seit fünf Tagen wie glühendes Feuer im Munde flammt.

Siegbert, erstaunend über die Aufregung des Bruders, konnte nichts als, alle Gegenrede vermeidend, ihn bitten, deutlicher zu werden und in Ruhe zu erzählen, was er ihm anzuvertrauen hätte.

Wohlan! Du bist von Thaldüren und dem angeroder Lyceum zur Akademie gegangen, fuhr Dankmar, sich wieder setzend, fort, ich zur Universität: wir haben in Angerode, aber nicht im Pfarrhause gewohnt, wo der Vater uns allzu früh starb. Seine frommen Collegen gönnten ihm nicht, da zu wohnen, wo er sterben sollte: denn es war bekannt, daß er sich gern des alten Ursprungs unserer Familie rühmte und von der Pfarrwohnung in Angerode, dem ehemaligen Profeßhause der thüringischen Tempelherren, im Scherz wie von einem Stammsitz seiner Familie sprach. Bei dem kurzen Besuche, den du gerade beim Tode des Vaters in Angerode machtest, wirst du dich des alten verfallenen Nebengebäudes an dem Tempelhause erinnern –

Das ganze Gebäude, ergänzte Siegbert, regte mich immer auf's lebendigste an. Das Tempelhaus zu Angerode ist einer der schönsten Reste des Mittelalters. Die herrliche Façade mit den symmetrisch geordneten Doppelfenstern, deren zwei immer ein Spitzbogen vereinigt, die beiden Giebel, ganz erinnernd an das alte, restaurirte Haus des Martin Behaim in Nürnberg, und selbst der Anbau, den man nicht zur Pfarrwohnung geschlagen hatte, obgleich verfallen und in gedrücktern Formen gehalten, doch gar lauschig und traulich. Dieser Anbau gehörte so unzweifelhaft zu dem Ensemble dieser ehrwürdigen alten Niederlassung, daß ich mich freute, zu hören, wie nun auch diese Räume bestimmt sind, mit der Wohnung des künftigen Oberpfarrers und dem Schulhause verbunden zu werden.

Und gerade in dem Augenblicke, ergänzte Dankmar, wo diese Übergabe erfolgte, kam ich nach Angerode. Man wollte der Mutter erst ihren einjährigen Witwensitz im Hause streitig machen, es wurde mir leicht, ihr Recht bei der Stadt durchzuführen. Schwieriger war es, ihr auch die Nutznießung des Anbaus zu sichern. Sie selbst verzichtete darauf. Du weißt, wie wenig sie bedarf. Aber ich wollte vom Rechte nichts vergeben sehen und bestand darauf, daß ihr auch diese jetzt freien Räume zur Verfügung gestellt wurden. Es war das Archiv und die Bibliothek des ehemaligen Tempelhauses, spätern Johanniterhofes. Das war ein Hetzen mit den Gerbern und Seifensiedern der Stadt! Die Einen wollten in dem alten Gemäuer ihre Felle aufbewahren, die Andern ihre Lichtdochte. Auch die Regierung kam und reclamirte den Ort zum Besten der wollenen Socken und leinenen Kostbeutel des Militairs. Aber ich trat als Advocat auf. Ich sagte ihnen: Diese Stadt Angerode hatte einst die Ehre, der Sitz eines reichen und mächtigen geistlichen Ritterhofes zu sein. Der Orden hat die Wohlfahrt der Stadt begründet. Als er in Folge der Reformation sich auflöste, wurde bestimmt, daß seine sämmtlichen Besitzthümer in Angerode an die Pfarrei der St.-Johanniskirche übergingen. Mit dem Tempelhause selbst geschah Dies. Eure Pfarrer konnten in den kalten großen Räumen mit den steinernen Fußböden, die nur für Ritter bestimmt waren, alle eines frühen Todes an Gicht und Rheumatismus sterben, aber den Anbau nahmt ihr zu diesem und jenem profanen Zwecke. Aus dem alten Archiv und der Bibliothek machtet Ihr das Unwürdigste! Gott sei Dank! Jetzt ist der Fleisch- und Mehloctroi daraus vertrieben, denn Ihr Angeroder habt dem Staat den Mehl- und Schlachtzins durch directe Steuern abgekauft. Nun falle dieser Raum an Die, denen er gehört, an Eure Seelsorger oder deren Witwen! So sprach ich und ich hätt' es doch ohne Proceß nicht durchgebracht, wenn sich nicht politische Freunde gefunden hätten, die die Sache ordentlich nach einem Princip auffaßten. Wie Das möglich war, weiß ich noch bis zur Stunde nicht; aber die Anbaufrage wurde Tendenzfrage, man machte einen Antrag bei den Stadtverordneten, und weil man Aufregung bei dem jüngern Theile der Bevölkerung und der mir rasch zugethanen arbeitenden Classe fürchtete, so hatten wir die Majorität, und die neuen Gelasse fielen nicht an die reichen Gerber und Seifensieder, nicht an die Regierung, sondern an die Geistlichkeit und deren Angehörige.

Eine seltene Ausnahme in diesen Tagen, bemerkte Siegbert, wo dieser Stand eher herauszugeben als zu gewinnen gewohnt ist.

Der Stand that da nichts, fuhr Dankmar fort, das Recht und meine Popularität entschied. Den alten angeroder Lyceisten kannten Alle, feierten Alle. Das Gefühl, mit dem die große eisenbeschlagene Eichenthür, die von unserm Schlafzimmer in den Anbau führt, von mir feierlich geöffnet wurde, entlockte der Mutter einen unwillkürlichen Seufzer, denn gerade da hatte das Sterbebett des Vaters gestanden. Da war er in deinen Armen gestorben, Siegbert, du kennst die Stelle. Die Thür krachte in ihren Angeln. Seit drei Jahrhunderten war sie nicht geöffnet worden. Der alte verrostete Schlüssel lag so lange auf dem Rathhause! Ein Schlosser hatte einen ganzen Tag daran zu putzen, ihn nur einigermaßen wieder brauchbar zu machen. Der Gewinn an Räumlichkeiten war nicht gering, aber da sie im verwildertsten Zustande sich fanden, konnte man sie jetzt schon zur Wohnung unmöglich herüberziehen. Da lagen die Acten der Mahl- und Schlachtsteuerschreiberei in Haufen aufgethürmt. Eine Auction erst entfernte sie. Von der Verbindungsthür stieg man einige Stufen hernieder und befand sich dann auf einem Gange, der mit Bildern alter Heiligen geschmückt war. Ob Boisserée daraus etwas herausfinden würde, was abgewaschen und mit Lack frisch überzogen an einen König von Baiern als altdeutsche Schule sich verkaufen ließe, weiß ich nicht. Dünnbeinig genug sahen die Kriegsknechte und die heiligen drei Könige vom Morgenlande aus, die man da auf Holz geklext hatte –

Still! Still, Dankmar! Deine Frivolität wird bestraft, unterbrach Siegbert den Bruder, Kathrine hemmt deinen Redefluß und zwingt dir eine unwillkürliche Pause auf.

Dankmar sah sich um. Kathrine brachte den Salat und ihr schnittlauchduftendes Backwerk. Selbstzufrieden trug sie das gelbe Erzeugniß ihrer Kunst. Die süßesten Kindheitserinnerungen gingen den Brüdern auf. Siegbert hätte sie gern gleich ausgesprochen, aber Kathrine fiel ihm ins Wort und sagte plötzlich mit trauriger Stimme:

Eigentlich sollt' ich gar nicht vergnügt sein, Sie so bedienen zu können. Lieber Gott, es vergeht doch kein Tag, wo nicht was Schlimmes kommt! Auf eine Freude immer zehn mal ein Unglück.

Was ist denn, Kathrine? fragten die Brüder theilnehmend, schnitten aber schon tapfer ihr Gebäck in gleiche Theile.

Da fährt ja eben, sagte sie klagend, der Fuhrmann von Quedlinburg vorüber – er spannt im Engel aus – und erzählt mir ein Unglück mit meinem Peters.

Das wäre! sprang Dankmar auf und seine Züge verfärbten sich.

Nein, nein, sagte Kathrine beruhigend, es ist weiter nichts, als die Achse hat er gebrochen –

Die Achse?

Und seine Ladung – Mein Schrein? rief Dankmar.

Ist Alles, wie es sein soll; beruhigte ihn Kathrine; aber so niedergeschlagen, sagt der Fuhrmann, ist mein Mann, so rabiat hätt' er ihn angetroffen, als wenn er seine ganze Fracht verloren hätte.

Das wäre mir schön! bemerkte Dankmar, sich nur mit Mühe sammelnd und auf dem Rasen hin und hergehend.

In Hohenberg ist's ihm passirt! berichtete Kathrine weiter. Wie? Das wird er wol erzählen. Er muß in einer Stunde eintreffen, so lange hat's gedauert, bis das Rad wieder hergestellt war. Aber woher kommt's? Von den schlechten Wegen. Seit die Eisenbahnen sind, geschieht nichts mehr für die Landstraßen, und doch muß man's segnen, daß es noch Gegenden gibt, wo der Gottseibeiuns selbst nicht mit Feuer und Dampf über die Wiese fährt. Schlimme Zeit! Aber jetzt lassen Sie's sich's schmecken und sowie er sich auf der Chaussee blicken läßt, meld' ich's an. Freude ist nicht viel an der Fahrt, wenn ein Fuhrmann auf eigene Rechnung fährt und ihm 's Rad bricht.

Damit ging sie. Aber Dankmar hatte eine unbeschreibliche Unruhe. Das Essen mundete ihm nicht.

Ich hätte den Schrein nicht von mir geben sollen! rief er einmal über das andere und rannte dabei auf und ab.

Aber beruhige dich doch nur mit deinem Schrein, sagte Siegbert. Ist denn das die Bundeslade selbst? Du hörst ja, daß sie da ist –

Ehe ich sie nicht sehe, mit Händen greife, habe ich keine Ruhe mehr –

Siegbert mußte lachen und meinte:

In meinem Leben hab' ich nicht gesehen, Dankmar, daß dich etwas so ernst stimmen kann wie dieser Schrein. Was hat es denn mit diesem Heiligthume? Man möchte glauben, es enthielte das goldne Vließ und käme direct aus Kolchis.

Siegbert, sagte Dankmar, seit einer merkwürdigen Nacht, die ich in dem Anbau des Tempelhauses zubrachte, ist mir nichts mehr so wichtig wie dieser Schrank...

Den du hoffentlich aus dem Eigenthum der Stadt Angerode nicht mitgenommen hast...?

Allerdings hab' ich Das. Dieser Schrank enthält Schriften, die sich lediglich nur auf uns und unsere Familie beziehen –

Fingirte Memoiren des Johannesritters Hugo von Wildungen, sagte Siegbert lachend, deine ersten schriftstellerischen Versuche im Geschmack der Bernsteinhexe oder der schlesischen Sybille, die man so lange für echt bewunderte, bis sich entdeckte, daß irgend ein ruhmsüchtiger pommerscher Landpastor oder ein gelangweilter schlesischer Stadtschreiber diese Märchen erfunden hat!

Spotte nicht! sagte Dankmar, in drei Jahren werden wir anders sprechen.

Sich setzend und ohne viel Appetit seinem Abendimbiß mäßig zusprechend, fuhr er nun in seinen Mittheilungen fort und erzählte dem erstaunenden Bruder die Entdeckung von Thatsachen, die in das Leben dieser beiden jungen Männer merkwürdig genug eingreifen und auch uns im Laufe dieser Erzählung mannichfach beschäftigen sollen, wenn wir auch gestehen, daß die Brüder selbst ohne Dankmar's Traum von einer Million beneidenswerth waren. Sie hatten Geist, Herz, Talent, jede Anwartschaft auf eine glückliche Zukunft. Ihren reichsten Schatz aber kannten sie nicht einmal. Es war dies die goldene poetische Jugend, die Jugend mit dem Zauberstabe, der Quellen aus Felsen schlägt, luftige Paläste in den Wolken bewohnbar macht und jeden schon am Gemüthe prickelnden Schmerz, jede kleine schon am Herzen nagende Täuschung mit dem Troste heilt: Du bist jung! Noch gehört dir das ganze Leben, noch gehört dir die ganze Welt!


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