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Der Morgen brach unfreundlich an. Die Westwolken, die schon die Nacht drohten, hatten sich über den ganzen Horizont gezogen. Das liebliche Blau der vergangenen Tage war verschwunden; die Schwüle der Luft war noch wie bisher dieselbe. Blüte und Blatt schmachteten der endlichen Erfrischung durch Regen entgegen. Noch standen die Wolken starr und fest, noch wollten sie sich auf die staubige Erde nicht niedersenken.
Schon arbeiteten die Schnitter im Felde, um vor den drohenden Gewitterstürzen die Ernte in Sicherheit zu bringen, als Dankmar mit Hackert ausgefahren war, um die begonnene Reise fortzusetzen. Der Heidekrüger schlief wol noch, aber die kluge geschäftige Hausmagd, die sich Liese nannte und der die Sorge für das große Hauswesen ganz allein obzuliegen schien, war schon früh bei der Hand in dem von Arbeitern und Mägden belebten Hofe. Auch das Städtchen Schönau erblickte Dankmar jetzt am fernern Rande des Waldes und mancherlei lebhaften Verkehr, durch welchen diese Wirthschaft des Heidekrügers Justus bedeutsamer mit der ganzen Gegend verbunden wurde. Es erklärte sich ihm jetzt das sichere Gefühl, mit dem der Heidekrüger von seinem Einflusse auf die nächstbevorstehenden Wahlen sprechen konnte.
Als Dankmar in den Hof gekommen, fand er Hackert schon mit Aufzäumen des Pferdes beschäftigt und vor ihm die Liese, die ihm mit furchtsamem Ausdruck, eingedenk des gestrigen Abends, zu seinem Erstaunen eine gefüllte Börse mit den Worten hinhielt:
Die Herrschaft in der Nacht hat Dies für Sie dagelassen.
Wer? fragte Hackert verdrießlich.
Der Herr Justizrath! sagte die Liese.
Sie irrt sich wol. Das Geld ist wol für Sie bestimmt....
Die Magd Dankmarn erblickend, rief ihm, ihr beizustehen. Der Herr Justizrath hätten, erzählte sie, dem Heidekrüger gestern Nacht diese Börse mit all' dem Gelde drin geben wollen, der hätte aber wie immer gethan, als könnte er blank nicht fünf zählen....
Was? sagte Dankmar. Eine gute Magd, die so ihren Herrn verleugnet?
Liese wurde roth.
Ich merkte schon lange, setzte Dankmar scherzend hinzu, daß Liese mit ihrer Herrschaft nicht im Reinen ist....
Ach, sagte das schon ältere Mädchen, der Heidekrüger ist ein braver Herr, aber zu hoch studirt. Wie ich herzog zu ihm – es sind jetzt an acht Jahre, die Frau Heidekrügerin lebte damals noch – ging Alles nach der Schnur; denn die Frau führte das Regiment. Als sie starb, wollt' ich fort, weil mir der Herr zu hochgestapelt war und für Unsereins kein Gehör hat....
Der Heidekrüger hochgestapelt? Kein Gehör? Ein Volksmann? sagte Dankmar.
Ich ließ mich beschwatzen und blieb, und es ging auch, weil Die von der Polizei dem Herrn alle Bücher weggenommen hatten und auch einige gute Freunde von ihm im Loche sitzen mußten. Da ließ er die großen Staatssachen und das Geschäft hier kam wieder in Gang. Aber seit ein paar Monaten ist wieder Alles im Brand. Nicht eine vernünftige Antwort hat man von dem steifen Mann. Was soll ich da? Ich will in einen andern Dienst.
So, so, Liese! Nun, als ehrlich kann man Sie empfehlen. Was soll die gefüllte Börse?
Hackert stand in einiger Entfernung und horchte halb herüber.
Der Justizrath wollte die Börse dem Heidekrüger geben, daß er die Zeche abzieht und den Rest da an den...
An meinen Kutscher... sozusagen...?
Ja Herr, an den...
Sie blinzelte Dankmarn zu, als wenn man nicht recht wisse, wie man mit dem gespenstischen jungen Menschen dran wäre und ihn näher bezeichnen solle....
Schon gut, sagte Dankmar, der steife Heidekrüger hat viel Vertrauen zu seiner ungetreuen, unpolitisch gestimmten Liese....
Gezählt hab' ich's nicht. Aber Das merk' ich schon, es ist mehr als mein ganzer Lohn auf drei Jahre beträgt. So nehm' er doch! Damit wandte sie sich, fast collegialisch, wieder an Hackert und brummte etwas vom Hans Narren.
Hackert wies sie finster zurück.
Als Dankmar zureden wollte, bat er ihn ungeduldig, endlich einzusteigen und die Gans schnattern zu lassen.
Gib mir den Beutel, setzte er noch rasch hinzu und betrachtete die Häkelarbeit der Börse. Es war rothe Seide mit Gold durchzogen, das Ganze sehr kunstvoll durcheinandergewirkt. Laß mir den Beutel! Behalte nur getrost das Übrige; Verrätherin, die ihren Herrn verleugnet!
Als ihm die Magd den Beutel reichte, schüttete er den ganzen Inhalt erst in seine volle Hand und sagte wirklich:
Halt' die Schürze auf, Hexe!
Dann warf er die aus Gold- und Silberstücken bestehende bedeutende Summe der Liese in den Schoos und murmelte:
Die Börse will ich behalten. Was drin war, gib entweder deinem Herrn, er soll's dem Schlurck wiederzustellen, oder behalte es selbst.
Ich will nichts behalten. Wir stehlen hier nicht, antwortete die Magd, empfindlich über Hackert's grobes Benehmen und sein... Anhexen.
Ist Sie großmüthig? Eine Tugendprahlerin? So gibt sie auf Heller und Pfennig, fuhr Hackert fort, dem Heidekrüger das Geld da oder stellt in meinem Namen, in Fritz Hackert's Namen, hört Sie, Fritz Hackert's, dem Justizrath Schlurck das Ganze zurück, wenn er des Weges kommt, oder schickt's ihm. Verstanden?
Lateinisch redet Ihr nicht! brummte die Magd ärgerlich und zugleich doch aufs äußerste erstaunt.
Der Herr da will zahlen, fuhr Hackert resolut fort, indem er Dankmarn, der ihm jetzt ernstlich das Geld zu behalten zureden wollte, die Rede abschnitt. Was ist er schuldig?
Einen Thaler fünf Groschen, sagte die Magd, und überreichte eine Rechnung.
Dankmar nahm einen der Hackert'schen Scheine aus seiner Tasche, nicht ohne Verlegenheit zu ihrem seit der Nacht ihm wieder unheimlichen Darleiher hinüberblickend. Hackert erwiederte diesen Blick und schielte, indem er die Rechnung einsteckte, zu den Thalerscheinen, als kennte er sie. Ist der Nachtwandler verschwenderisch und geizig zugleich? dachte Dankmar und wußte sich diesen Gegensatz nicht zu reimen. Doch war Hackert's Blick auf den Inhalt seiner Rocktasche nur ein flüchtiger. Die von der Magd erhaltene Börse fesselte ihn lebhafter. Er betrachtete die Häkelarbeit mit der Andacht eines Menschen, der an der Echtheit einer Reliquie deshalb nicht zu zweifeln wagt, weil er das tiefe Bedürfniß fühlt, sie zu verehren. Wäre Hackert allein gewesen, er hätte die Börse, deren Inhalt er so stolz verschmähte, vielleicht geküßt. Mindestens betrachtete er sie mit andächtigster Theilnahme.
Jetzt hinter einem Manne zu sitzen, von dem er wußte, daß er bei Nacht im Schlafe wandelte, war Dankmarn natürlich peinlich genug. Die Erinnerung an die Erlebnisse der vergangenen Nacht überhaupt und die aufregenden Gespräche trat verworren und wüst in ihm auf. Der Gedanke an seinen eigentlichen Reisezweck, die Wiederentdeckung eines ihm verloren gegangenen werthvollen Besitzes, würde vielleicht in den Hintergrund getreten sein, wenn Schlurck's Reden ihn nicht aufs lebendigste geweckt hätten. Was er in diesen Tagen nur über die alten Zeiten schon in dem Tempelhause von Angerode nachgedacht hatte, stimmte mit den Äußerungen Schlurck's, das Wesen der Ordensgesellschaften betreffend, merkwürdig zusammen. Ihm freilich waren die alten Templer nur in dem verklärten Märtyrerglanze erschienen, wie sie auf dem Bilde seines Bruders strahlten. Schlurck sprach zwar auch in seiner Weise hochachtend über sie. Diese war aber für ihn eine geringschätzende. Endlich gewann ihm Das, was Schlurck über den Reubund gesagt hatte, ein lebhaftes Interesse ab. Hinter dem Spotte des Justizraths lag ein gewisser Ernst, dessen einschmeichelnde Macht er nicht zurückweisen konnte. War die Zeit von Ideen nicht wirklich bis zur Armuth verlassen? Schmachtete sie nicht nach Thaten des Geistes und neuen Offenbarungen? Einen Augenblick überkam ihn der Gedanke: Wie, wenn du in diesen von der Regierung geduldeten Modebund trätest und ihn zu deinen Ansichten herüberleitetest! Wie, wenn Das, was ein Bollwerk des Absolutismus sein soll, eine Schutzmauer des Kampfes gegen ihn würde? Hatte er neben sich in Hackert einen Ausnahmemenschen, dessen Zustand auf dunkle Nachtseiten der Natur führte, so war ihm auch das Ordenswesen plötzlich eine geheimnißvolle Nachtseite der Gesellschaft und er konnte nicht umhin, sich selbst zu sagen: Wer sieht schon jetzt die ganze Reihenfolge Dessen ab, was Alles im Menschen- und Völkerleben als Keim zukünftiger Entwickelungen liegt? Kein sterbliches Auge verfolgt die schlummernden Möglichkeiten. Wer ahnte einst die Gestaltungen, die nun voll und kräftig in der Gegenwart reifen? Wer verfolgt die Wege, die sich tief im Schooße der Erde der Maulwurf des Weltgeistes gräbt? Welche wunderbare Entwickelung hätte der Tempelherrnorden nehmen können, wenn ihn vereinte weltliche und geistliche Macht nicht unterdrückt und aus der Wettbahn der Kräfte, die das Mittelalter stürzten, hinausgedrängt hätte? Die Päpste bereuten später bitter genug, daß sie im französischen Exil, abhängig von der Willkür französischer Herrscher, den Templerorden aufgehoben hatten, diesen gewaltigen Arm, der ihnen nach dem Verluste des heiligen Grabes und einer veränderten Bestimmung des Ordens im Herzen der weltlichen Gewalt die Waffe hätte führen können, die ihnen später erst das Gift und die Intrigue des Jesuitenordens wurde! Dreißigtausend Tempelherren hätten – Philipp der Schöne fürchtete es – bewaffnet in Frankreich allein gegen die Ausbildung der weltlichen Tyrannei auftreten können, und was wäre es denn auch für ein Unglück gewesen, wenn immerhin der Geist eines Innocenz des Dritten über den weltlichen Supremat gesiegt hätte? Es früge sich, ob wir uns nicht besser ständen, wenn der Monarchismus in der absoluten Weise, wie er jetzt auf den Völkern Europas lastet, im theokratisch regierten Europa niemals sich hätte entwickeln können? Es früge sich, ob wir nicht durch die Kirche, die doch allein die Bewahrerin der Bildung geblieben ist, trotz ihrer theilweisen Verfinsterung doch wol zu größerer Wahrung unserer Menschenfreiheit gediehen wären, als durch den Staat, der uns Revolutionen über Revolutionen brachte und jetzt erst recht im neunzehnten Jahrhundert begonnen hat, ohne alle Rücksicht auf Leben und Tod, mit grausamster Consequenz, für sein frivoles, irdisches, egoistisches Bestehen förmlich, wir sehen es täglich, zu wüthen! Das erkannte Philipp der Schöne, der klügste politische Kopf seiner Zeit, und rottete die bewaffneten Vertheidiger der Hierarchie mit Hülfe eines von ihm eingesetzten lasterhaften Papstes aus. Das templerische Element flüchtete sich in den Johanniterorden, der leider keines größern Gedankens mehr fähig war. Man fühlte Das. Man dachte an Erneuerung. Immer und immer sollte der Bund wiederhergestellt werden, der dem Papste Kraft über die Gemüther gegeben hätte und zugleich seinen Arm bewaffnet. Aber erst, als das Papstthum sich überlebt hatte, gelang ihm der alte römische Plan durch Ignaz Loyola und Franz Lainez. Eine geistliche Ritterschaft war nun wieder da. Freilich bewaffnet mit dem Schwerte der Scholastik. Das Kreuz des reinen Templermantels... mit heimlichem und offenem Blute gefärbt. Diese verspätete Ritterschaft kämpfte für eine verlorene Welt, für eine verwelkte Blüte der Jahrhunderte..... Warum aber erhob sich nicht die Reformation zu einem Gegenbunde gegen die Jesuiten? Warum brachte sie es nicht weiter als bis zu den allgemeinen und indifferenten Anschauungen der Maçonnerie? Die Freimaurer sind der Gegenbund der Jesuiten, aber welch ein Feld ist noch übrig, um aus dem Logenschurzfelle des Maurers einen echten Templermantel zu machen, aus der Kelle einen wehrhaften Schild zu schmieden, aus dem Hammer ein Schwert, blank und im Kampfe haarscharf?
Diese Gedanken regte bei Dankmarn Schlurck's Wort im Allgemeinen an. Im Besondern aber trat ihm auch die Äußerung, daß er jenen berühmten Proceß führte, der ihn nun bald selbst betreffen konnte, mit beklemmender Überraschung entgegen. Durch den Verlust Dessen, was er eben so bedeutungsvoll gewonnen hatte, sah er sich zwar ausgeschlossen von der Theilnahme an einem alten Rechtshandel, dessen Führung bei Schlurck in den gewandtesten Händen war; allein sollte er das Verlorene wiederfinden, wie konnte er in diesem Falle nicht noch mit Schlurck in Gegensätze gerathen, die greller waren als die der verflossenen Nacht?... Doch warf Dankmar bald diese Grübelei aus seinen Betrachtungen fort und hielt sich an das Nächste, an die Natur und an die Abenteuerlichkeit seiner Reise, zu deren Räthseln vorzugsweise Hackert und jetzt auch seine Beziehung zu Schlurck gehörte, dessen Geschenk an den nervenkranken Nachtwandler von einer auffallend innigen Theilnahme zeugte.
Hackert störte die unhörbaren Selbstgespräche seines Gefährten nur durch das Knallen der Peitsche, die am Walde widerhallte, und ein Locken und Pfeifen des Mundes, immer wenn er Vögel sah und diese vom Wege in die Schatten der Bäume zurückhüpften. Als er merkte, daß Dankmar geneigt war, auf ihn zu hören, begann er:
Im Stalle gestern lag ich schlecht; ich zog doch vor, oben in einem guten Bett zu schlafen. Haben Sie gut geruht?
Dankmar bemerkte wohl, daß Hackert seine plötzliche Erscheinung im obern Corridor auf natürliche Weise erklären wollte, als einen freiwilligen Entschluß. Warum sollte er ihm diese Beschönigung seiner Krankheit stören? Es rührte ihn vielmehr, daß der Mensch über Etwas, das ein angeborenes Schicksal ist, das Gefühl der Scham haben konnte! Er erinnerte sich, daß Siegbert oft beim Anblick elend geborener oder körperlich verwahrloster Menschen gesagt hatte: Wie finden sich diese Menschen nur mit ihrem Schöpfer zurecht! Wie tragen sie nur ihr Leid, nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen zu können! Welche langen Kämpfe des Gemüths gehören dazu, bis der unheilbar Kranke, der ewig liegen muß, sich nicht mehr frei bewegen kann, sein Schicksal als unabänderlich hinnimmt und sich von den Freuden des Lebens noch soviel in die Vorstellung bringt, daß er denkt: Das bleibt dir doch noch; Das lohnt sich doch noch, all diesen Jammer zu tragen, und mit ihm auszuharren, und wär' es nur der warme, milde Sonnenschein! Dankmar, um sich dem Kranken gegenüber ganz unbefangen zu zeigen, vermied jede weitere Frage, auch die wegen Hackert's näherer Beziehung zu Schlurck. Er lenkte von Allem, was seine Neugier reizte, auch von dem Inhalt der Börse, die er zurückbehalten, und der schönen Häkelarbeit, auf Etwas hinüber, das ihm jetzt schon für gleichgültiger erschien, seine Ankunft in Hohenberg und die Untersuchung wegen eines an dem Fuhrmann Peters wahrscheinlich verübten Raubes.
Bei den Leuten auf dem Heidekrug, sagte Hackert, hab' ich mich erkundigt. Wir passiren noch eine kleine Stadt, Dassel geheißen, dann kommen wir ins Hohenbergsche nach Berghübel und gegen Abend sind wir in Plessen am Fuße des Schlosses Hohenberg. Es ist ganz Recht, dort treffen wir noch lustige Gesellschaft. Alle Creditoren der Hohenberg'schen Masse, Schlurck's Frau, seinen Buchhalter Bartusch, dann einen Bankier von Reichmeyer und ein Dutzend Vampyre aus der Stadt, die alle in den fürstlichen Zimmern rumoren und sich geadelt glauben, weil sie unter adeligen Wappen schlafen können. Wenn Prinz Egon – aber sehen Sie nur – Sie werden ja da gegrüßt!
Dankmar hatte mit Theilnahme sein Auge nur auf Hackert ruhen lassen und forschte in seinen Zügen nach einem Verständniß dieser jedenfalls noch unentwickelten und doch schon so überreifen, in sich wohl unklaren Natur. Das Wägelchen ging langsamer, weil sich der Wald in die Höhe zog. Sich nun umwendend, erblickte er am Rande des kleinen Grabens, der frisch ausgehöhlt neben der Straße sich zog, den Tischlergesellen von gestern Nacht. Er trug den leichten Ranzen über dem Rücken, hatte ein sauberes Taschentuch vorn in der Brusttasche seiner blauen Blouse stecken und schritt mehr im Gange eines Lustwandelnden als eines ermüdeten und schwertrabenden Wanderers. Dankmar hatte ihn seit gestern Abend, wo er bei den politischen Unterhaltungen einen schlafenden Zeugen abgab, aus dem Gedächtniß verloren; jetzt aber trat er ihm wieder mit der ganzen Bedeutsamkeit, die ihn schon gestern in seiner zurückgezogenen Bescheidenheit umgab, auffallend genug entgegen. Sein Gruß war höflich, ohne unterwürfig zu sein. In seinen schönen Zügen lag ein feines Lächeln. Kein Wunder, dachte sich Dankmar, daß eine französische Dichterin in unsern vorschreitenden Zeiten gewagt hat, einen sogenannten Kunsttischler in einem ihrer communistischen Romane so liebenswürdig hinzustellen, daß er selbst das Interesse einer hohen gebildeten Dame erwecken konnte!
Wir sollten den Mann einladen mitzufahren, meinte Dankmar. Es ist ein Tischler und von überraschender Bildung....
Höflich sein auf der Landstraße? antwortete Hackert kalt und wollte das Pferd antreiben. Er machte ein Gesicht, das alle Merkmale eines Neides ansichtrug, der aus ihm über die Theilnahme, die der Handwerker fand, deutlich zu sprechen schien.
Es ist ja Platz neben mir; fuhr Dankmar fort.
Neben Ihnen? Warum denn nicht hier vorn? Wir vergessen überhaupt unsern Vertrag, fiel Hackert unruhig und fast heftig ein.
Nur Mitleid mit einem so großen Unglück Hackert's, wie er es gestern entdeckt hatte, bestimmte Dankmarn darüber zu lächeln.
Das wär' ein Tischler, sagen Sie? fuhr Hackert fort. Den Gauner hab' ich heute früh schon im Hofe als verdächtig erkannt. Ein Batisttaschentuch in der Blouse! Wenn er's nicht gestohlen hat, ist's ein Beweis mindestens für Spionage. Sei Einer ja behutsam jetzt, wenn man sogenannte Arbeiter sieht, die von dem Rechte der Arbeit reden, aber keine Schwielen in der Hand haben. Die Polizei weiß sehr gut, was sie jetzt Alles auszustöbern hat. Hier herum wimmelt's von jungen Accessisten, die ihr Probestück ablegen mit einem falschen Paß....
Probestück mit falschem Paß? Was heißt Das? fragte Dankmar.
Lieber Gott, die alten Unteroffiziere und Wachtmeister reichen jetzt für die sogenannte praktische Polizei nicht mehr aus. Um jetzt eine Polizeicommissariusstelle zu bekommen, verkaufen hundert Referendare, Assessoren sogar und Lieutenants ihre Seele, wenn sie eine haben, und leisten, was Blindschleichen und Menschen nur können, die eine Anstellung finden und gern heirathen möchten.
Wie kommen Sie auf einen solchen Verdacht? fragte Dankmar, doch erstaunt, weil er sich gewisser Äußerungen erinnerte, die auch Schlurck gestern fallen ließ.
Ach! Es sind jetzt wenig Menschen Das, was sie scheinen, sagte Hackert. Wie bei gewissen Koffern, mit denen man nach Frankreich und Rußland reist, haben zahllose Menschen jetzt einen doppelten Boden. Ich wohne in der Brandgasse. Mein Vicewirth, Hausmann, oder wie Sie den Kastellan einer Armenkaserne nennen wollen, ist ein Schlosser, seine Frau eine Flickschusterin, und Abends treibt der Mann Polizeigeschäfte, und sie – nun sie kuppelt. Nebenan wohnt ein verdorbener Klempner. Das ist ihr und sein College. Nach oben hinauf ist's nicht besser. Die Politik hat ja die Menschen so vielseitig gemacht! Der schnüffelt, Der heuchelt, Der gibt an! Und Den da, den hab' ich auch schon längst weg.
Für was halten Sie ihn?
Im Heidekrug beschnüffelte er Alles. Eine Dreschmaschine sah er zehn mal an, wie die Kuh das neue Thor, und einen Pflug zeichnete er sich sogar ab. Ich gebe mein Wort. Es ist entweder Assessor Müller selbst, der auf dem Polizeipräsidium arbeitet, oder sonst Einer, der von ihm hierher geschickt ist, um Recherchen zu machen, natürlich politische. Die Spitzbuben haben ja jetzt die schönsten Tage. Die Polizei spürt nur nach Revolution. Neulich sagte ein junger Mensch, der seit mehren Jahren unter polizeilicher Aufsicht steht, weil er in seiner Kindheit einmal in aller Unschuld wo eingebrochen ist: Es ist ordentlich beleidigend, sagte er, für unsereins; wir sind ganz aus der Mode gekommen! Wenn Einer bei dem Hofjuwelier selbst einbräche, nicht drei Tage würde davon gesprochen!
Dankmar fand diese Vermuthung über den Tischler nicht ganz unwahrscheinlich, und so wenig Neigung er sonst hatte, mit Spionen oder den offenen unsanften Armen der weltlichen Hermandad in Berührung zu kommen, so hätte er doch vielleicht noch Gelegenheit finden können, sie heute für sich in Anspruch zu nehmen. Seines verlorenen Schreins gedenkend, sprang er aus dem Wagen und wandte sich zum großen Ärger des scheelblickenden Hackert zu dem Wanderer hinüber.
Haben Sie in dem Wirthshaus eine gute Nacht gehabt? fragte er, als der angebliche Tischler ihm nahe genug war und sich ihm so anschloß, daß Beide nebeneinanderschritten.
Ich schlief später noch in einem Zimmer neben Ihnen! antwortete der Fremde. Aufrichtig! Ich hatte mich nur so gestellt, als wollt' ich im Wirthshaussaale bleiben. Der Schlemmer interessirte mich, und als vollends noch Sie hinzukamen und das Gespräch belehrend für mich wurde, schloß ich die Augen ohne zu schlafen. Hernach ging ich wie Sie in ein leidliches Bett.
Da haben Sie uns also... belauscht? bemerkte Dankmar, erstaunt über diese Offenheit.
Wenn Sie's so nennen wollen! sagte der Fremde; ja! Hätt' ich mich wach gezeigt, so würd' ich dem Manne haben sagen müssen, warum ich nicht von ihm zu trinken annehmen wollte, oder was noch schlimmer gewesen wäre, ich hätte mich hinreißen lassen, seinen jämmerlichen Lebensansichten zu widersprechen....
Dem Wirth, glaub' ich, sagte Dankmar lachend, würde dann doch die Geduld gerissen sein. Er schien Sie längst nur mit großer Selbstüberwindung in einem Saale zu dulden, wo einer seiner Gäste Trüffeln und Champagner ausbreitete.
Ich weiß! Vor unserer Umwälzung hätt' er mich zur Thür hinausgeworfen und auf den Heuboden verwiesen, antwortete der Wanderer. Die Zeiten werden schon wiederkommen und vielleicht mit Recht. Was anmaßend und zudringlich ist, bleibt zu allen Zeiten besser vor der Thür als drinnen.
So wandeln Sie wohl, sagte Dankmar, in politischen Dingen den Mittelweg des vortrefflichen Herrn Heidekrügers?
Statt aller Antwort gab der Fremde seinem edelgeformten Kopf nur den Ausdruck eines Lächelns, das Dankmar nicht umhinkonnte geradezu für fein und geistreich zu erkennen. Dies Lächeln entwaffnete ihn. Er mußte einen Augenblick schweigen.
Nach einer Weile begann der Fremde von selbst:
Ist denn Das auch ein System? Ist denn Das auch eine Meinung? Was diesen Heidekrüger beseelt, ist nichts als der crasseste Egoismus der Eitelkeit! Dieser Mann hat ein vortreffliches Landgut und brave Dienstboten, die unter seinem Dünkel leiden. Warum bleibt er nicht in seinen Scheunen und auf seinen Feldern? Er krankt, jedes seiner Worte verräth's, an der traurigen Großmannssucht, welche die Hauptrolle in unsern politischen Kämpfen spielt. Er kommt mir vor und Tausende mit ihm kommen mir vor wie Grundbesitzer, die bei Anlegung einer neuen Eisenbahn durchaus verlangen, daß die Linie an ihrem Eigenthum vorübergehen soll. Ohne sie gibt es nichts. Ohne sie kein Wind und Wetter. Ohne sie nicht Sonnenschein und Mondschein. Es ist dabei ein Trost, daß diese Menschen nicht ganz servil sind. Sie stellen sich der Regierung gegenüber doch manchmal ein bischen auf die Hinterfüße und wollen erobert, wollen gesucht, wollen geschmeichelt sein. Aber erst große Worte! Erklärungen! Die Hand aufs Herz! Lafayette! Lafayette! Hat man jedoch einen solchen Provinzial-Cato endlich an der Leine irgend einer kleinen menschlichen Schwäche gefangen, so kann man Dienstags auf der pariser Fastnachtsprozession keinen größern Ochsen sehen als ein solches, um jeden Preis an das Bestehende gefesseltes, früher liberal gewesenes Hornvieh.
Dankmar fühlte nach dieser wie eine Bombe platzenden Kernäußerung, daß, wenn der Fremde ein Spion war, er als Agent provocateur in der That Talent besaß. Unmöglich konnte er ein Tischler sein. Er beschloß jedoch, harmlos zu bleiben, nicht weiter nach dem Sinn der blauen Blouse zu forschen und vor seinen Überzeugungen, die er immer frei bekannte, keine Furcht zu verrathen. Da ihn diese Unterhaltung bei dem trüben Wetter und der einförmigen Gegend nur erfreuen konnte, trat er ohne weiteres Mistrauen, ohne ängstliche Furcht, ganz offen mit seinen Empfindungen hervor.
Ganz wahr bezeichnen Sie diese Gattung von Menschen, sagte er, die leider zu sehr den Schwerpunkt unserer Zustände bilden! Sahen Sie nicht, wie scheinbar uneigennützig dieser Biedermann jeden Anspruch auf persönliche Auszeichnung vonsichwies und wie er doch seine Anforderungen an einen Volksvertreter gerade so nur stellte, daß sie auf ihn allein zutreffen mußten? So machten es Cäsar und Cromwell auch, als sie in Versuchung geriethen, sich krönen zu lassen, und nicht wußten, was ihnen größer stehen würde, die Krone oder der Schein, sie ausgeschlagen zu haben! Wie schlau und fein durchschaute Schlurck diesen Tartüffe vom Lande, den deutschen patriotischen Ehrenmann, der nur das »Gute« will und doch den Untergang der Welt von dem Augenblick an datirt, wo man vor dem Zorn seiner zusammengezogenen Augenbrauen nicht in Ohnmacht sinkt!
Ja! Ja! Dieser Schlurck ist ein pfiffiger Spitzbube! sagte der Fremde mit nachdenklichem Ernst.
Und mir mit seinem politischen Nihilismus noch lieber als diese aalglatten Heuchler, diese doctrinair gewordenen Spießbürger!
Auch der Nihilismus taugt nichts, sagte der Fremde, der sich immer gebildeter zeigte und Dankmarn überraschte. Aus nichts wird nichts. Ein Nihilist bringt ebenso die Welt in Verwirrung wie der phrasenhafte Egoist. Der Nihilist springt von Meinung zu Meinung, gehorcht Jedem, der gerade die Gewalt hat, und ist der rechte Widersacher, der Erzfeind aller guten Dinge. Wir leiden an keinem Übel so sehr, als an der Eitelkeit und an der Genußsucht. Die Genußsucht ist der eigentliche rothe Faden der Revolution, der sich durch alle unsere Gesellschaftsschichten zieht. Die Genußsucht stürzt die Staaten im Grunde um, sie lockert das unterste Gebäude. Sie lehrt jenes Übermaß im Siege bei allen Parteien. Paris! Paris! Das ist nicht der Heerd der Gedanken, sondern der Heerd der Genußsucht! Wissen Sie, was die ganze, die ganze Welt regiert? Der Cours der französischen Rente. Ich war in Frankreich. Der Franzose arbeitet bis in sein funfzigstes Jahr. Dann will er noch zwanzig Jahre genießen. Er kauft sich Staatspapiere und lebt von ihren Zinsen. Um diese Zinsen auf hohem Fuße zu erhalten, werden in Paris alle Heiligthümer des Himmels und der Erde verrathen. Ein plötzlicher Sturm kann den Rentenfuß herabdrücken, man wird soviel lügen, soviel verrathen, soviel preisgeben von Dem, was vielleicht die Menschheit aus ihren Nöthen hätte herausbringen können, bis wieder die alte trügerische Windstille da ist und zur Beglückung aller in Europa lebenden Gesellschaftsdrohnen, die vom todten Ertrage des Capitals leben, die Renten hinaufsteigen. Die französische Börse, die Vertreterin der lungernden, arbeitsmüden oder arbeitsscheuen Genußsucht, regiert die Welt. Die Capitalisten werden, dazu sind sie zu feig, sich einem großen Sturm nicht mit Gewalt widersetzen, aber sie werden Alles aufbieten, allmälig wieder die Zügel in die Hand zu bekommen und der Politik eine solche Wendung zu geben, bis sie wieder auf ihrem Lebensthermometer, auf dem Courszettel das Quecksilber der Rente auf dem Grade sehen, wo es in den Tagen stand, wo ein Bankier auf dem Throne Frankreichs saß.
Fügen Sie aber noch Etwas hinzu, sagte Dankmar, ergriffen von der wahren Schilderung dieses gebildeten Mannes, der ihm plötzlich wie verklärt vor Augen stand.... Fügen Sie noch Eins hinzu! Das Unglück der Welt verschuldet Paris auch dadurch, daß das Princip der Genußsucht dort auch Die ergreift, die eine Zeitlang im Dienste der Ideen gestanden haben. Möchte man, wenn man sieht, wie dort die Dinge jetzt gehen, nicht glauben, alle diese tonangebenden Charaktere wären nur so lange ehrlich und heldenmüthig, bis sie sich eine Stellung erobert haben und an der Quelle der Gewalt sitzen? Dann schöpfen sie diese Quelle rasch ab. Sie ahnen, daß ein Windstoß morgen sie wieder ins Nichts stürzen kann. Nun soll es im Fluge gehen, daß sie sich bereichern und dem steilen Felsen der Existenz einen californischen Goldklumpen fürs ganze Leben abgewinnen. Nun wird gelogen, betrogen, die alte Gesinnung Lügen gestraft. So kamen die Heerführer der Franzosen einst als Herolde einer neuen Zeit, und diese alten Republikaner waren nur beutesüchtige Genußmenschen, die für ihr Alter Vorräthe sammeln wollten. So haben jetzt in Paris alte Demokraten conservative Bedenklichkeiten, ja sogar junge Wüstlinge, Spieler von Baden-Baden, die mit einem kindischen Napoleoniden in Strasburg und Boulogne eine Emeute versuchten, die durch Theatercoups lächerlich wurde, sprechen jetzt vom Jahrhundert, von der Mäßigung, von der Philosophie des Bestehenden, von der Grenze der Freiheit. Nein! Die Genußsucht ist ihre wahre Philosophie. Ihre Maitressen sind die wahren Egerien dieser neuen, meist militairischen Numas in rothen Hosen.
Der Wanderer in der blauen Blouse nickte beifällig. Dankmar ersah daraus, daß er auch feinere Anspielungen vollkommen verstand.
Welche Mittel gibt es aber dagegen? fragte der Wanderer, dem auch Dankmar zu gefallen schien.
Ich sinne täglich darüber nach. Wo soll man die Besserung suchen?
Ich finde sie in der Heiligung der Arbeit, sagte der Fremde nicht ohne Feierlichkeit; in der alleinigen Bekränzung Dessen, der sich beschäftigt und reelle Werthe erzeugt. Es gibt zu viel Geistesarbeiter und zu wenig wahre Handarbeiter. Die Handarbeit muß in den Vordergrund aller unserer politischen Beziehungen treten, ihr müssen die größten Belohnungen zufallen; denn nur durch die spartanische Erziehung der Menschen zur Arbeit kann sie von Grund aus gebessert werden. Ich bin kein Socialist. Ich werfe gerade den Communisten vor, daß sie die Arbeit viel zu sehr als eine Last, als einen Fluch hingestellt haben, als einen Jammer, der einmal die Menschen drücke und den man ihnen versüßen, erleichtern müsse. Ist Das nicht wiederum Genußsucht? Ist Das nicht wiederum dasselbe Übel, an dem wir die ganze Gesellschaft kranken sehen? Nein; gerade im Gegensatze zu den Communisten muß die Arbeit als eine Quelle der höchsten Freuden dargestellt werden, und Institutionen müssen auftauchen, die die Arbeit und Alles, was mit ihrer Förderung zusammenhängt, in den Vordergrund aller Politik stellen.
Verstehen Sie darunter Belohnungen? fragte Dankmar gespannt und tief ergriffen von diesen Worten, die aus dem Munde eines Denkers kamen.
Belohnungen, Auszeichnungen, Erhöhungen des Lohnes, Sorge für die Angehörigen der Arbeiter, unmittelbare Beziehung der Staatsformen nur zu der Arbeit, Vertretung der Gewerbe im Vorzug gegen alle andern Stände, die, sei es Kaufmanns-, sei es Gelehrtenstand, nur die Diener Dessen sein können, der arbeitet. Wenden Sie mir nicht ein, daß die Bildung immer den Vorsprung vor dem Arbeiter gewinnen wird, auch da, wo jene vielleicht nur eine und dieser zwei Stimmen hat! Ich will, daß auch der Arbeiter gebildet ist. Ich will ihm nichts entziehen von Dem, was sich der Bevorrechtete zum Schmucke seiner Seele verschaffen kann. Der Staat soll es ihm geben. Der Staat soll aufhören nur die Garantie des Besitzes zu sein, er soll einzig und allein eine Schutzwehr und Garantie der Arbeit werden. Die Franzosen haben mit ihrer Garantie der Arbeit nur einen halben Schritt gethan. Für die Arbeiter zwar Summen aussetzen und die Arbeit erleichtern, dabei aber die ewige Rente behalten und die Staatspfründen und das Militair und die ganze Maschinerie der künstlichen Arbeit, der sogenannten Geistesarbeit, und die Repräsentationsarbeit der Beamten im alten Bestande zu lassen, Das ist es nicht, was helfen kann. Auf einen Arbeiter müssen zwei Müßiggänger aufhören müßig zu sein; Das nur kann helfen. Machen Sie die Arbeit zur einzigen Garantie der Rente, und Sie werden sehen, wie Alles die Arbeiter umschmeicheln, wie man bedacht sein wird, ihre Arbeit ertragsfähig zu machen und in dieser Eigenschaft zu erhöhen. Sie sehen an solchen Eisenbahnen, die einen niedern Curs ihrer Actien haben, wie das dabei betheiligte Publicum Alles aufbietet, um diesen Curs zu heben und den Werth der Schienenlinie zu erhöhen. Dies ist nur ein ungefähres Beispiel jener organischen Verschmelzung, in der ich mir die Arbeit in das allgemeine Leben des Staats aufgenommen denke. Die Arbeit muß endlich aufhören, eine Ausgesetzte, ein Paria der Gesellschaft zu sein.
Dankmar war entzückt. Er theilte diese Meinung theoretisch nicht ganz; ihn ergriff nur der Contrast der Blouse und dieser geistreichen Worte. Übrigens zweifelte er nicht, daß er hier doch wol einen jener socialistischen Schwärmer vor sich hatte, der sich Handwerker nannte, weil er es wirklich einmal war, längst aber in einen höhern Bildungsstand übertrat und nur die alte Weise beibehielt, um den Arbeitern näher zu stehen und ihnen Vertrauen zu erwecken. Nach einigem Bedenken entgegnete er:
Ich habe lange Zeit, um den gewaltsamern radicalen Mitteln zur Besserung der Welt auszuweichen, mich mit diesen linderen beschäftigt, die Sie andeuten. Oft habe ich mir die Menschheit als einen kranken Organismus gedacht, wo der rasche, vielbeschäftigte und ungeduldige Arzt sogleich Eisen und Feuer verordnet, der tieferblickende, wohlwollende und prüfende aber nur eine Umstimmung der Functionen. Wenn ich dann aber zuletzt doch sah, daß zur Umstimmungsmethode Jahrhunderte gehören würden und vor allen Dingen solche Staatsformen, wie wir sie eben von dem Status quo nicht erlangen können, so bin ich immer wieder darauf zurückgekommen, daß wir bei der alten Methode der Französischen Revolution, bei der Zerstörung des Feudalstaats, zur Zeit noch leider müssen stehen bleiben. Wir müssen – es hilft doch nichts – nivelliren. Die Fürsten und der Adel müssen durchaus dem Vorrecht des Bluts entsagen, der Begriff der Gewalt muß in die Souverainetät des Volks gelegt werden und alle bisherigen Stützen der Macht in den Dienst der neuen Staatskräfte treten. So nur finden wir Zeit und Gelegenheit, jene größern, anfangs vielleicht nationalen Naturprocesse durchzumachen, die in der Triebkraft aller solcher Völker liegen, denen die Geschichte die Einwurzelung in ihre Heimatlichkeit und den Glanz und die Größe dieser Heimatlichkeit raubte. Dann können nach den nationalen Wiedergeburten die Völker jene noch größern Beglückungen der Gesellschaft anbahnen, die in einer veränderten Gliederung des Menschengeschlechts überhaupt liegen und in jenen Neuerungen, die Sie andeuten. Ich verkenne keineswegs, wie gefahrvoll die Entwickelung jener Zustände ist, die man die Herrschaft des Volks, Demokratie, nennt. Allein die Reformation hatte auch ihre Bauernkriege, ihre Bildersturmexcesse und ihre Wiedertäufer. Ihr besserer Kern erhielt sich und ließ nicht einmal dasjenige Gute verkennen, das auch in jenen gräuelvollen Misverständnissen noch theilweise lag. So muß es auch mit der Demokratie werden. Oder glauben Sie wirklich, daß unter der Alleinherrschaft der Könige das Alles sich ausführen läßt, was Sie sich unter der Heiligung der Arbeit gedacht haben? Ich glaube an die Monarchie, als an eine in der menschlichen Natur begründete Staatsform; aber die edle ideelle Monarchie ist die Monarchie der Zukunft, nicht die der Gegenwart. Mit der Monarchie der Gegenwart, die sich aufs Mittelalter, auf den Adel, das Militair, die Beamten, die gottbegnadete Berufung stützt, ist nichts Derartiges anzufangen, wie Sie sich's als heilsam denken. Blicken Sie um sich! Die deutschen Fürsten haben plötzlich aus der demokratischen Frage eine nationale und nun aus der nationalen gar eine Cabinetsfrage gemacht! Dynastie wetteifert mit Dynastie, und die alten verjährten Vorurtheile der Völker und Stämme werden aus der Trödelkammer der Geschichte wieder hervorgesucht, abgestäubt, mit dem Firniß neuer Redensarten überputzt und so zum Gefechte geführt. Kommen wir da weiter? Werden da, wenn diese nutzlosen Kämpfe, die nur Blut, Geld und frivole Gedanken kosten, vorüber sind, nicht wieder dieselben alten Schäden bald zum Vorschein kommen? Oder ist es nicht gleich besser, zu sagen –
Fort mit allen Fürsten und reinen Tisch gemacht? fiel der Fremde lächelnd ein.
Dankmar schwieg, weil ihn der satirische und durchdringende Blick seines Gefährten jetzt plötzlich befremdete. Es spielten ihm um die zusammengekniffenen feinen Mundwinkel soviel pikante Schattirungen, daß er sich plötzlich vornehmen mußte, in seinem Vertrauen nicht zu weit zu gehen. Der Fremde strich seinen schönen Kinnbart, der sich rund um das längliche Oval seines edlen Gesichts zog und ihm viel Ähnlichkeit mit Dankmarn selbst gab, und sagte:
Ich muß lachen, wie ich als einfacher Tischler dazu komme, Ihnen, einem studirten Herrn, so ernst entgegnen zu wollen, und doch bin ich nicht Ihrer Meinung....
Sie wirklich ein Tischler? sagte Dankmar, fast verletzt darüber, daß der Fremde noch jetzt sein Incognito in dieser Weise aufrechterhalten wollte.
Ja! Ja! Ich bin ein Tischler, sagte der Fremde. Warum denn nicht? Ich könnte Ihnen manchen eleganten Stuhl zeigen, den ich zusammenleimte, und noch viel mehr hab' ich mich geübt, Meubles zu zeichnen, hübsche Formen zu erfinden. Doch gesteh' ich Ihnen sehr gern, daß ich auch, wenn ich will, auf meinen Arbeiten selbst sitzen darf und sie nicht zu verkaufen brauche. Ich bin ein Tischler, aber ich trage diese Blouse nur, weil es, wie Sie sehen... stäubt.
Fürchten Sie da aber nicht, daß man Ihnen einen Paß abfodert und Sie ein Incognito, das Sie zu bezwecken scheinen, lüften müssen? fragte Dankmar.
In diesen Zeiten fodert man keine Pässe; antwortete der Fremde; ich gehe auch nur bis Hohenberg.
Bis Hohenberg? sagte Dankmar. Hohenberg ist auch mein Reiseziel.
Sie werden früher dort ankommen als ich. Von hier werd' ich noch zehn Stunden zu gehen haben und Sie wol nur noch sechs zu fahren.
Sie sollten mit meiner schlechten Kalesche vorlieb nehmen, bemerkte Dankmar. Er that Dies nicht ohne Zögern, da eben Hackert hinter ihnen ungeduldig und lärmend mit der Peitsche klatschte.
Der Fremde sah sich den Wagen an und blieb mit den Worten: Der Staub ist allerdings sehr lästig! stehen.
Hackert rührte sich nicht vom Platze, öffnete auch den Schlag nicht, sondern schien ruhig abzuwarten, ob Dankmar ihn ganz als Kutscher behandeln und jetzt sogar zwingen würde, einen wandernden Handwerksburschen zu fahren.....
Beide Fälle, ob nun die blaue Blouse zu Dankmar oder zu ihm gesetzt wurde, waren seinem empfindlichen Ehrgefühl peinlich. Er schnitt die grimmigsten Gesichter, sprach von Ermüdung des Gauls, schlechtem Wege, engem Platz. Der Fremde, erstaunt über die Unhöflichkeit eines Menschen, den er nur nach dem Bock, auf dem er saß, beurtheilte, schien einen Augenblick zu vergessen, daß er diesem doch auch nur ein wandernder Tischler sein konnte, und über die von Hackert's Mienenspiel ihm gegebene Andeutung, sich, wenn er aufstieg, vorn zu ihm zu setzen, schoß ihm fast das Blut ins Gesicht; doch schien er sich sogleich zu fassen, als Dankmar, alle weitern Erörterungen mit dem widerwärtigen, ewig nergelnden Hackert abschneidend, diesem den Zügel und die Peitsche aus den Händen riß, sich selbst auf den Bock setzte, Hackerten und den Tischler auf den Wagen verwies und mit den Worten: Ich fahre gern einmal selbst! vorn Platz nahm und selbst das Rößlein des Pelikanwirthes nun zu rascherm lustigen Trabe anfeuerte.