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Park- und Gartenanlagen

SSeit mehr als zweihundert Jahren trägt Leipzig den Namen einer Gartenstadt. Früher als anderswo hat sich hier in den Kreisen der begüterten Bürger der Sinn für die Natur entwickelt, aber früher als anderswo zeigt sich hier auch das Bestreben der Privatleute, ihre gärtnerischen Schöpfungen dem Publikum zugänglich zu machen und so das Allgemeinwohl zu fördern. Die Gärten lagen vor den Toren; Wassers- und Kriegsnöte haben oft genug die Mühe und die materiellen Opfer der Besitzer zu Schanden gemacht, aber die Anlagen blieben bestehen, folgten den Wandlungen des Modegeschmacks und überstanden die große gärtnerische Revolution, die in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die geradlinigen Blumenparterres des französisch-holländischen Gartens in die scheinbar völlig kunstlose Natur des sogenannten englischen Parks ummodelte. Erst die um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beginnende Ausdehnung der Stadt hat die alten Patriziergärten bis auf wenige dürftige Reste beseitigt.

Zu den ältesten und bedeutendsten Gärten der Stadt gehörte der Groß-Bosische, der ehemals das Areal zwischen dem Roßplatz und der heutigen Nürnberger Straße einerseits und der Johannis- und der Ulrichsgasse andrerseits einnahm. Er war in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts von dem Ratsherrn Kaspar Bose angelegt und mit Statuen und kleinen Gebäuden, die zur Aufnahme einer Gartenbibliothek, eines Naturalienkabinetts, einer Rüstkammer, ja sogar eines Theater- und Konzertsaales dienten, geschmückt worden. In großen Treibhäusern gediehen die Gewächse fremder Zonen; staunend sahen die Leipziger hier im Sommer 1700 eine Aloe (vermutlich Agave americana) 5138 Blüten tragen ein Ereignis, das durch eine Denkmünze verewigt wurde. Über den Garten veröffentlichte man eine ganze Literatur, er erschien den Dichtern jener Zeit als ein irdisches Paradies, und Gottlob Benedikt Nitzsche sang im Jahre 1725:

»Mein Liebchen ist, wie Bosens Garten,
Ein auserlesnes Blumenfeld,
Das hier und da viel tausend Arten
Vollkommner Schönheit in sich hält,
Ein Auszug vieler Seltenheiten,
Ein Meisterstück von Artigkeiten u. s. w.«

Sogar der Papst in Rom pflegte sich, wenn er Reisende aus Sachsen empfing, nach dem Groß-Bosischen Garten zu erkundigen.

Von kürzerem Bestande war der erst 1809 von dem weimarischen Hofgärtner Chr. Aug. Breitner angelegte Wintergarten (»Hortus Breiterianus«), der einen mehr wissenschaftlichen Charakter getragen zu haben scheint, und dessen Name sich noch in der Wintergartenstraße erhalten hat.

Auf der Nordseite der Stadt gab es zwei berühmte Gärten, den Stieglitzischen auf dem Areal der jetzigen Gerberstraße, der einen Teich, Kanäle, Brücken und bedeckte Laubgänge aufwies und die erste in Leipzig kultivierte Akazie enthielt, und Löhrs Garten auf dem Terrain zwischen der heutigen Pfaffendorfer Straße und den zu den Häusern der Gerberstraße gehörenden Höfen. Löhrs Garten war ursprünglich im Rokokogeschmack angelegt, wurde aber häufig umgeändert und in der Völkerschlacht vollständig verwüstet. Seine gärtnerische Bedeutung lag in der reichen Sammlung der hier kultivierten amerikanischen Hölzer.

Bei weitem die meisten Gärten lagen westlich von der Stadt. Des Reichenbachschen, später Gerhardschen Gartens ist schon in einem früheren Kapitel gedacht worden. Nicht weit davon, etwa zwischen Elster- und Erdmannstraße, befand sich Reichels Garten. August der Starke hatte ihn für eine seiner Leipziger Favoritinnen, die Frau des Kaufmanns Andreas Friedrich Apel, die mit einem ihr als Meßgeschenk verehrten Fächer nicht zufrieden war, in Fächerform anlegen und durch den Bildhauer Permoser mit vier, heute noch am Eingänge der Dorotheenstraße sichtbaren Statuen olympischer Herrschaften schmücken lassen. Auf den Kanälen fand am 12. Mai 1714 zu Ehren der polnischen Majestät das erste Fischerstechen statt, das von Gondolieren, die man zu diesem Zwecke aus Venedig verschrieben hatte, arrangiert worden war. Im Jahre 1786 ging der Garten in den Besitz des Kaufmanns Chr. Moritz Reichel über, der ihn später zum Teil in einzelnen Parzellen vermietete. Im Jahre 1822 wurde hier die weltberühmte Struvesche »Anstalt zum Trinken künstlicher Mineralwässer« eröffnet. In seiner Glanzzeit war der Garten reich an seltenen Gewächsen; 1723 blühte hier sogar ein Kaffeebaum, später enthielt er einträgliche Obstplantagen. Allein die Kirschbäume brachten einen jährlichen Pachtertrag von 1000 bis 1200 Talern.

Ein schon früh von Reichels Garten abgetrennter Teil war Rudolphs, später Riedels Garten. Er hat wohl am längsten den holländisch-französischen Stil beibehalten und galt lange als einer der vornehmsten Vergnügungsorte Leipzigs, weiter aufwärts an der Pleiße, etwa in der Gegend des heutigen Reichsgerichts, lagen der einst berühmte Winklersche und der Triersche Garten. Der letztere kam im Jahre 1800 durch ein Vermächtnis an die Universität, die ihn zu einem botanischen Garten einrichtete. Dahinter dehnten sich bis zur alten Pleiße hin die großen, mit mehreren Teichen geschmückten Gartenanlagen von Schimmels Gut, das mit seiner Insel »Buen Retiro« bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein zu den beliebtesten Ausflugsorten zählte und damals etwa die Stelle unseres Charlottenhofs vertrat.

Der Gemeinsinn und der Opfermut, denen das Leipzig der Vergangenheit seine Gärten verdankte, haben für die von der werdenden Großstadt verdrängten Anlagen Ersatz geschaffen. Zunächst, etwa in der Mitte der sechziger Jahre ging der Johannapark, eine Stiftung des Bankiers Wilhelm Seyfert zur Erinnerung an seine, infolge einer unverhofften freudigen Überraschung verstorbene Tochter, in den Besitz der Stadt über. Die Anlage vereinigt die großzügigen Landschaftsbilder eines Parkes mit reizenden gärtnerischen Einzelheiten. Die Seele des Ganzen ist der von Schwänen belebte See, auf dessen glatter Fläche sich herrliche Gruppen auserlesener Bäume spiegeln. Von welcher Seite man auch den Park betreten mag, immer wird man von neuem von dem Anblick des sanft gewellten, vortrefflich gepflegten Rasenteppichs mit den an blühenden Ziersträuchern überreichen Gebüschkulissen entzückt werden. Unvergleichlich schön ist vor allem die Perspektive von dem vornehm-schlichten Denkmal des Stifters aus nach Süden und Südwesten hin. Das satte Grün des Rasens, die mannigfachen Farbtöne der Belaubung, der Spiegel des Wassers, in dem sich das Blau des Himmels und die weißen Wolken eines Sommertages malen, die kühn geschwungene Brücke, hinter der sich die Parklandschaft in weite Fernen weiterzuziehen scheint, der volle Schwall des hochaufsteigenden Springbrunnstrahls, dessen fallende Tropfen wie ein glitzernder Schleier weit über die Rasenfläche dahinwehen, die hellen Gewänder und leuchtenden Sonnenschirme promenierender Damen – wer möchte sich an diesem Bilde, in dessen Elementen Natur und Kunst um den Vorrang streiten, nicht immer wieder gern und dankbar erfreuen? Besonders glücklich ist die architektonische Umrahmung der Anlage. Die Nähe der Stadt macht sich nirgends störend bemerkbar, nirgends treten Häusermassen unvermittelt heran.

In südwestlicher Richtung geht der Johannapark in eine neue Gartenanlage allergrößten Stiles, den Albertpark über, der mit seinen schönen Erdwellen und den beiden, von herrlichen Blumenparterres umgebenen Teichen ein Vermächtnis der unvergeßlichen Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung im Jahre 1897 ist. Einst dehnten sich hier um das Hochflutbett der Pleiße sumpfige Wiesen, dann, zu Beginn der neunziger Jahre, begann man die großartigen Erdbewegungen vorzunehmen, die die Gegend auf weite Strecken hin vollständig veränderten und ein blühendes, von Alleen durchschnittenes Gelände gleichsam aus dem Nichts entstehen ließen. Der Ausstellungspalast, die eleganten Restaurants, die Pavillons, Kioske und Zelte sind nach einem kurzen, einzig schönen Sommer wieder verschwunden, aber der Leipziger, der heute das in seinen Grundzügen erhalten gebliebene, gärtnerisch jedoch immer mehr vervollkommnete Terrain durchwandert, denkt mit leiser Wehmut an die sonnigen Tage und vielleicht lieber noch an die lauen, von tausenden und abertausenden bunten Illuminationslämpchen erhellten Abende zurück, da hier auf den breiten Wegen eine dichtgescharte frohe Menge in zwangloser Geselligkeit auf und nieder flutete, venezianische Gondeln und Spreewaldkähne zu einer Fahrt auf der glatten Wasserfläche luden, die Leuchtfontäne ihre Strahlengarben zum nächtlichen Himmel emporsandte, und die weichen Klänge neapolitanischer Volkslieder aus der Pergola der bis in alle Einzelheiten »echten« italienischen Weinkneipe über den See dahinzogen.

Die Ausstellung hat eine doppelte Mission erfüllt, an die ihre Unternehmer wahrscheinlich kaum gedacht haben. Sie hat uns nicht nur eine der schönsten städtischen Gartenanlagen zum dauernden Gedächtnis vermacht, sie hat auch in den sechs Monaten ihres Bestehens den Leipziger zum Großstädter erzogen und ihn aus den Banden des Philistertums befreit, das ihm bis dahin mehr oder minder anhaftete. Sie hat seinen Geschmack gebildet und seine Ansprüche gesteigert und so den Aufschwung gefördert, den das gesamte Leben Leipzigs dank den materiellen Erfolgen des Unternehmens unleugbar genommen hat.

Wenn wir uns heute unseres Albertparkes freuen, so dürfen wir nicht vergessen, neben den Schöpfern und Leitern der so wohl gelungenen Ausstellung auch den Altvordern den Zoll unseres Dankes zu entrichten, die uns in den herrlichen alten Waldbeständen des Scheibenholzes und der Nonne den natürlichen Abschluß und Rahmen zu den neuen Anlagen hinterlassen haben. Wie man ein Stück ererbten Urväterhausrats pietätvoll bewahrt und als Kern und Grundstock seines Besitzes betrachtet, so verehrt man in Leipzig mit Recht die alten Eichenbestände, die ein weitsichtiger Magistrat durch allen Zeitenwandel hindurch der Bürgerschaft zu erhalten gewußt hat.

Auch die jüngste Schöpfung Leipziger Gartenkunst, der Palmengarten, hat einer Anleihe an den alten Besitzstand nicht entraten können. Und gerade der Umstand, daß man den schönen Ritterwerder mit in das Areal der Anlage hineinzog und daß man, namentlich auf der Ostseite des Gartens, die vielen alten aber kerngesunden Bäume sorgfältig erhielt und bei der Gestaltung des Planes mit feinem Verständnis für ihre landschaftliche Wirkung berücksichtigte, hat dem Palmengarten vom Tage seiner Eröffnung an den Charakter des Fertigen, durch und durch Reifen und Vollendeten gegeben. Der Kindheitszustand, an dem ähnliche Anlagen oft jahre- oder jahrzehntelang kranken, wurde auf diese Weise glücklich übersprungen, wie auf ein Zauberwort schien hier gleichsam über Nacht ein Paradies mit Waldesschatten und sonnigen Rasenflächen, mit der Blumenpracht fremder Zonen und dem würzigen Hauche deutscher Wiesen entstanden zu sein.

Wenn es das Kennzeichen eines echten und bedeutenden Kunstwerkes ist, daß man ihm die von seinem Verfertiger darauf verwandte Mühe und Arbeit nicht anmerkt, daß man sogar den Schöpfer über der Schöpfung vergißt, so ist der Leipziger Palmengarten ein Kunstwerk ersten Ranges, wer denkt heute noch daran, daß auf dem einst völlig ebenen Terrain Erdbewegungen im Umfange von 80 000 Kubikmetern nötig waren, um die sanften Wellungen des Bodens zu erzielen, deren die Gartenkunst unserer Zeit nicht mehr entbehren kann, daß beinahe 13 000 Kubikmeter Erde ausgeschachtet werden mußten, auf daß unser Auge der Spiegel eines Sees erfreue?

Als im Frühjahr 1893 der erste Gedanke an die Gründung eines Leipziger Palmengartens laut wurde, da konnte man fast überall Stimmen hören, die sich mit mehr oder minder großem Skeptizismus über den Plan äußerten und dem Unternehmen ein Ende mit Schrecken voraussagten. Der Erfolg hat bewiesen, daß die Idee an sich glücklich war, und daß man es verstanden hat, sie auf eine geschickte, nach jeder Richtung hin wohl erwogene Weise zu verwirklichen. Glücklich war vor allem die Wahl des Terrains mit seinen günstigen Wasserverhältnissen und der nicht zu unterschätzenden weiten Fernsicht über das Wiesengelände des Hochflutbettes bis zur Stadt, glücklich nicht minder die Wahl der Firmen, die mit der Anlage des Gartens, der Gebäude und der Maschinen-Einrichtungen betraut wurden.

Von wesentlicher Bedeutung für den Gesamteindruck des Palmengartens ist das Hauptgebäude, das Gesellschaftshaus mit der anschließenden Palmenhalle. Trotz den gewaltigen Dimensionen, die man ihm mit Rücksicht auf seinen Zweck geben mußte, ist der Charakter des architektonisch Wuchtigen und Monumentalen, der hier bei einem wenn auch in seinen Verhältnissen in das Grandiose gesteigerten Gartengebäude durchaus nicht am Platze gewesen wäre, vermieden worden. Das Haus ist auch nicht wie so manche seinesgleichen eine unglückliche Verquickung von Schloß und Bahnhofshalle, sondern ein ins Große übertragener Pavillon, ein von vier Türmen flankiertes architektonisches Zelt, das mit seiner reichen Verwendung von Eisen und Glas den Eindruck des Leichten und Luftigen macht, und dem sich die nächste Umgebung – besonders die vorgelagerten Terrassen und das prächtige Blumenparterre der Eingangsseite – organisch angliedert. Dem entspricht auch die innere Einrichtung des Gebäudes, die geschmack- und maßvolle Verwendung von Pflanzenmotiven in der Dekoration und die Verbindung des Hauptsaales mit der Palmenhalle, die sich, wie beim Theater die Bühne an den Zuschauerraum, an den Saal anschließt und nur durch eine hohe Glaswand von ihm getrennt ist.

Die Palmenhalle muß den Pflanzenfreund natürlich am meisten interessieren. Kann sie sich auch mit einigen ältern Anlagen dieser Art hinsichtlich der Größe nicht messen – das Palmenhaus der Charlottenburger Flora ist mehr als doppelt, das des Herzogs von Devonshire in Chatsworth gar dreimal so groß – weist sie auch keine tropische Pflanzenriesen von dem Alter der aus dem Besitze des Herzogs von Nassau erworbenen Bestände des Frankfurter Palmengartens oder der berühmten Palmensammlung zu Herrenhausen bei Hannover auf, so entzückt sie doch das Auge des Kenners durch das landschaftlich reizvolle Arrangement der Pflanzen und durch den Reichtum an charakteristischen Formen. Jedes Exemplar, von den majestätischen Areca-, Cocos-, Kentia-, Sabal-, Phönix- und Livistona-Arten, den Bananen, Bambusen, Baumfarnen und Philodendren hinab bis zu den buntblättrigen Caladien, den leuchtend blühenden Anthurien, den seltsamen Orchideen steht hier am rechten Platze und kommt, obwohl es sich dem Gesamtbilde auf das glücklichste einfügt, auch als einzelne Pflanze zur vollen Geltung. Auch hier wird durch künstliche Terrainwellungen die Illusion geweckt, als dehne sich die Tropenlandschaft mit ihrem zartgrünen Selaginella-Teppich in weitere Ferne aus, während Wasserbecken und bemooste Grotten den Eindruck der feuchten Urwaldschwüle, in der wir hier weilen, noch erhöhen.

Und wenn wir dann wieder hinaustreten aus diesem Zaubergarten einer fremden Welt, von der Terrasse aus den Blick über das Gartengelände schweifen lassen und erquickt die kühlen Düfte atmen, die von den Blumenbeeten, den schattigen Gehölzen und den Wiesen zu uns herüberwehen, dann freuen wir uns doppelt unserer gemäßigten Breiten und unseres kälteren Himmels, die uns zwar keine Palmen bescheren und uns nötigen, jeden Genuß durch Arbeit zu erkaufen, die uns aber dafür auch erlauben, nach getanem Tagewerke des Lebens froh zu werden und in der freien Natur, in Wald und Feld, in Park und Garten Erholung und Stärkung zu suchen.

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