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Vierzehntes Kapitel.
Polnischer Punsch


Mm die wichtige Episode des gemischten Thee's, die mm begann, im würdigen Romanstil einzuleiten, müßten wir ungefähr sagen: Da öffneten sich beide Flügelthüren, und hell bestrahlt von der zahlreichen Wachskerzen blendendem Schein, die Wangen sanft geröthet von der eben gepflogenen Unterhaltung mit der dürren Justizräthin Und der blaffen Kaufmannswittwe, erschien der schöne Pole, Graf Czrabowski, am Eingänge des Saales. – Aber wir verschmähen dergleichen bestechendes Beiwerk und schreiben einfach der Wahrheit gemäß, daß er, den alle Blicke erwarteten, jetzt auf ungezwungene Art in das Zimmer trat, ein siegreiches Lächeln auf den Zügen, die Lippen leicht geöffnet, damit man die weißen Zähne sehen konnte, und darauf mit einem zierlichen Complimente, das wie ein Blitz über sämmtliche achtzehn Damen dahin fuhr, auf Clementine Weibel zuschwebte, ihr die Hand küßte und sich ganz ungemein freute – so sagte er – sie endlich wieder zu sehen.

Sie antwortete durch jene gewisse Bewegung junger Damen, die den altmodischen Knix verdrängt hat und wobei die Ausführung so erscheint, als würden sie durch eine Springfeder in die Höhe geschnellt; dann führte Clementine den Grafen an den größeren Tisch, wo sogleich an verschiedenen Stellen mehrere Lücken entstanden, um Stühle einschieben zu können; daß er dabei ihre Hand nicht los ließ, sah Herr Schilder mit wahrem Ingrimm.

Darauf setzten sich Beide an irgend einer passenden Stelle, wo man Stühle einschob, und nun machte die junge Dame ihren Gast in der Schnelligkeit mit dem ganzen Kreise bekannt. Alle bemühten sich, ein so gewinnendes Compliment wie nur möglich zu machen, mit Ausnahme des Herrn Schilder, der nur kurz mit dem Kopfe nickte, und des Herrn Larioz, der gar nicht vorgestellt wurde.

Letzteren aber fixirte der Graf ein paar Sekunden lang sehr aufmerksam, was dieser aber ganz ungezwungen erwiderte, worauf es einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen konnte, daß Beide mit dem Resultate ihrer Betrachtungen nicht sehr zufrieden zu sein schienen.

Wer kümmerte sich aber darum in diesem Augenblicke? War doch der gemischte Thee glänzend wieder aufgefrischt worden, hatte sich doch die Unterhaltung auf wahrhaft wunderbare Weise animirt. Der Graf sprach rechts und links, über den Tisch hinüber, sogar an den kleinen Tisch hinter sich, der seit Clementinens Weggehen dem Nichts verfallen war. – Und wie wußte er das unbedeutendste Gesprächsthema auszubeuten; wie gönnte er Jedem seinen Antheil daran! fragte bald da, bald dort, erzählte, ließ sich erzählen und war dabei so blendend und geistreich, daß ein junges Mädchen, die im Allgemeinen wenig beachtet wurde, zu ihrer Nachbarin sagte: »es durchschauere sie förmlich, und jetzt fühle sie erst, wie ein Mann eigentlich sein müsse.«

Die Aermste hatte freilich bis dahin noch keinen Begriff davon gehabt. Aber auch Andere, die schon mehr Erfahrung hatten, wie zum Beispiel die blasse Kaufmannswittwe, fühlten still seufzend dasselbe und gestanden sich, daß so ein geheimnißvoller Fremder doch ein ganz anderes Wesen sei.

Was sich aber am köstlichsten bei Graf Czrabowski ausnahm, das war der eigenthümliche Accent, mit dem er sein sonst sehr geläufiges Deutsch aussprach. Er zischte bei manchem Wort so deliciös zwischen den Zähnen, er versetzte die Artikel auf eine so wundervolle Art, daß man ihn gar zu gern sprechen hörte. Ja, ohne unserer wahrhaftigen Geschichte vorzugreifen, können wir hier schon sagen, daß die Art, so zu sprechen, wie es der polnische Graf that, förmlich Mode wurde und man lange noch manchen geckenhaften jungen Menschen fand, der sich dasselbe angewöhnte und nun ebenso unwiderstehlich zu sein glaubte wie der wunderbare Fremde.

Jetzt war die Zeit gekommen, wo sich der gemischte Thee in ein Souper verwandeln sollte. Dazu brauchte man den Salon, in welchem sich die Felspartieen befanden, um hier kleine gedeckte Tische aufzustellen. Es galt nun vor allen Dingen, die älteren Damen mobil zu machen und sie in das Wohnzimmer hinein zu treiben, wo unterdessen Babette und die Putzfrau durch übermenschliche Anstrengungen in kurzer Zeit den großen und kleinen Theetisch abgeräumt hatten.

Clementine Weibel, die den Wink ihrer Schwester Emilie, welche sich unter der Thür des Salons sehen ließ, verstanden, schlug ein allgemeines Spiel vor, woran auch die ältere Gesellschaft Theil nehmen sollte. Dies bezweckte, dieselbe aus dem Salon heran zu ziehen, und während sie diesem Rufe folgend sich langsam in Bewegung setzte, um zur jüngeren Generation zu stoßen, umkreisten hinten Herr Banquier Springer, sowie der Hausherr die hartnäckig Zurückbleibenden, um sie nach Art einer Schafherde, wenn auch nicht gerade durch Bellen und Beißen, vorwärts zu treiben.

Nachdem dies gelungen, wurden die Portieren herabgelassen, und während darauf im Salon ein unerhörtes Klappern und Klirren von Tellern und Gläsern vor sich ging, proponirte Clementine Weibel ein allgemeines Gesellschaftsspiel und lud den Grasen Czrabowski durch einen zärtlichen Druck auf den Arm ein, sie dabei zu unterstützen.

Dieser war auch sogleich bereit dazu und rangirte die Gesellschaft mit ungemeiner Energie in so weitem Kreise wie möglich, bei dem es aber doch so enge herging, daß eine innige Berührung mit den Nachbarn unvermeidlich war. Die blasse Kaufmannswittwe hatte es durch Gewandtheit und Ausdauer so weit zu bringen gewußt, daß sie an die rechte Seite des Grafen gepreßt wurde, während dieser selbst neben dem Stuhle des Fräulein Clementine Weibel fast ganz verschwand.

Herr Schilder saß auf Kohlen; es kochte eine ganze Hölle in seinem sonst so sanften Herzen. Er sah wie ungeheuer vergnügt Clementine war, wie sie über Alles lachte, sogar über das, was die Kaufmannswittwe sagte, die sie sonst nicht ausstehen konnte; er sah, wie sie bei jedem dieser heftigen Lachanfälle gegen den Stuhl des Grafen prallte, wie sie diesen dann jedesmal um Verzeihung bat, und wie ihr dieselbe dann auch mit dem süßesten Lächeln gewährt wurde. Er blickte im Kreise umher nach einem Freunde, nach einem Helfer, und seine Blicke blieben abermals auf dem unbeweglichen Gesichte des Herrn Larioz haften, der hinter dem Stuhle Clementinens stand und mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdruck auf das Paar niedersah.

Daß es über alle Beschreibung heiß in dem Zimmer war, brauchen wir wohl nicht zu sagen; aber Niemand schien von der Hitze so angegriffen zu werden, wie der unglückliche Schilder; er athmete mühsam, der Schweiß rieselte ihm von der Stirn, und dabei war er so zerstreut und nur mit einem einzigen Gedanken beschäftigt, so daß, als ihm seine Nachbarin, eine wohlconditionirte Postsekretärstochter, im Laufe des Spieles den Grafen Czrabowski schenkte, er lauter, als gerade nothwendig war, hinausrief: »Hol' ihn der Teufel!«

Glücklicherweise unterbrach wenige Zeit nachher das Oeffnen der Portieren seine Tantalusqualen, um ihn anderen und nicht minder grausamen zu unterwerfen. Das Souper begann, und wie es sich von selbst verstand, führte der Graf Clementine Weibel an einen der kleinen Tische, und so gern Herr Schilder ebenfalls dorthin gefolgt wäre, so hatte er doch nicht den Muth dazu; es war ihm noch ein Trost, daß sich die blasse Kaufmannswittwe von irgend einem Lieutenant ebenfalls dorthin führen ließ; denn er betrachtete diese mit richtigem Gefühl als eine Art Hemmschuh für die Beiden, als ein Etwas, das mit der Wirkung kalten Wassers dazwischen trat, wenn sich vielleicht im Laufe des verführerischen Gesprächs die Köpfe zu sehr erhitzen sollten.

Es geschah übrigens mit dem Gefühle der Verzweiflung, als Herr Schilder nach einer aufmunternden süßen Miene der Frau Rechtsconsulentin den Arm der Sekretärstochter ergriff und dieselbe mit fast ängstlicher Hast nach einem Tische schleppte, wo noch zwei Plätze frei waren, von denen aus man aber genau sehen konnte, was an dem Tische, wo sich der Graf und Clementine befanden, vorging.

Der junge Fabrikant war um so unruhiger, als er umherspähend Herrn Larioz vermißte, von dem er annahm – er wußte eigentlich selbst nicht genau, weßhalb – daß derselbe mit seinen eigenen bitteren Gefühlen über den polnischen Grafen harmonire.

Der lange Schreiber war aber, wie er das bei Soireen im Hause seines Prinzipals zur Zeit des Soupers immer zu thun pflegte, in das Schlafzimmer der Kinder gegangen, wo er mit Fritzchen und Louisen sein bescheidenes Nachtessen einnahm.

Das Souper nahm indessen seinen gewöhnlichen Verlauf; die Felspartieen leisteten das Uebermögliche, und man begriff kaum, wie sie hierzu noch im Stande waren, da sie noch vor einiger Zeit so furchtbare Verheerungen bei dem Theetische bewerkstelligt hatten; die Herren bedienten die Damen und die Damen wiederum die Herren; man trank sich Gesundheiten zu, und Alle entwickelten einen guten Appetit mit Ausnahme des Herrn Schilder, der nicht nur fast keinen Bissen aß, sondern auch auf die klarsten Fragen die unklarsten Antworten gab. Dabei verwandte er kein Auge von dem Tische, an welchem. Clementine Weibel saß, und wenn er auch nichts Besonderes dort entdeckte, so kam es ihm doch vor, als brauche die junge Dame immer einige Vorbereitungen, wenn sie sich erheben, wollte, um irgend etwas zu holen.

Nach dem Souper kamen abermals Spiele an die Reihe, und spät gegen Mitternacht sollte die Soiree wie immer mit einem Punsche beschlossen werden. Auf die Anfertigung dieses Punsches baute Herr Schilder einige kühne Hoffnungen; er glaubte darin Vorzügliches zu leisten und wurde bei den meisten befreundeten Familien aufgefordert, sich diesem Geschäfte zu unterziehen. Es war das ein Augenblick, fern von dem Geräusche der Welt in der stillen Küche zugebracht, wo sich schon Gelegenheit fand, ein freundliches Wort anzubringen.

Je mehr die Zeit zu Anfertigung des Punsches heran nahte, um so näher hielt sich Herr Schilder bei der Gruppe, wo Clementine Weibel saß, an ihrer Rechten der polnische Graf, an ihrer Linken ein Lieutenant – eine Gruppe, bei der sich auch die Kaufmannswittwe befand, sowie Madame Springer, und wo es außerordentlich vergnügt und lustig zuging.

Nun ist es aber für Jemand, der sich in einer gedrückten Stimmung befindet, sehr schwer, lustig zu sein. Die harmlosesten, ja, heiter sein sollenden Aeußerungen kommen in solchen Augenblicken bitter und gereizt hervor, und selbst das Lächeln, das man auf seinen Zügen sehen läßt, erscheint mehr wie ein Grinsen der Verzweiflung. Herr Schilder hatte sonst ganz gute Einfälle, aber heute wollte kein einziger gelingen; er kam sich selbst unbegreiflich fade vor und mußte es erleben, daß sie, in deren Augen er so gern geglänzt hätte, sich von ihm wegwandte, und daß allein der polnische Graf ihm ein kleines Lächeln zollte, das aber ebenso gut für ein Lächeln des Mitleids gelten konnte.

Aber bei der Punschbereitung, das nahm er sich fest vor, da wollte er der jungen Dame einige passende Worte sagen.

Mochte der Rechtsconsulent in dem Herzen des Fabrikanten lesen oder mochte er auch die lachende Gruppe gern gesprengt sehen oder sonst seine Nebenabsichten haben – genug, er wandte sich mit dem freundlichen Lächeln, welches die Lippen eines Hausherrn beständig ziert, an Clementine Weibel und sagte ihr ziemlich laut, ob sie nicht wie gewöhnlich dem Herrn Schilder helfen wolle, seinen so bekannten und vortrefflichen Punsch zu brauen.

Clementine schaute im Kreise umher, das heißt sie wandle nur ihren Kopf, ohne dabei mit den Augen die Blicke des interessanten Fremden zu verlassen, und sagte: »Ach ja – mit Vergnügen.«

»Mein Freund, der Herr Schilder,« setzte der Rechtsconsulent händereibend hinzu, »ist groß in der Anfertigung des Punsches; er muß das Geheimmittel haben, denn wenn wir auch alle sein Recept kennen, ist doch Niemand im Stande, dieses Getränk so wohlschmeckend wie er anzufertigen.«

»Die Uebung, Herr Doktor, die Uebung,« entgegnete der junge Fabrikant geschmeichelt. Er. fühlte sich in diesem Augenblicke überglücklich, doch wenigstens etwas Anerkennenswerthes für die Gesellschaft leisten zu können. Wenn nur einiges Gefühl in ihrem Herzen war, so mußte sie ihm jetzt einen freundlichen Blick schenken, um so mehr, als sich nun auch die Lieutenants, sowie der langhaarige Maler vernehmen ließen und eingestanden, daß sie selten etwas Famoseres getrunken als den Punsch des Herrn Schilder.

Da nahm der herzerobernde Fremde das Wort und sagte mit seiner affektirt sanften Stimme, welche übrigens von den blitzenden Augen Lügen gestraft wurde:

»Auch ich werde mich sehr erfreuen, ein Punsch von Herrn Schilder's Fabrikation zu trinken – wirklich sehr erfreuen, das Recept zu kennen; denn bis jetzt habe ich gedacht, wir allein seien im Stande, ein Punsch zu machen.«

»Das glaube ich auch wohl!« rief eifrig der Maler. »Auf meinen Reisen (er sprach gern von seinen Reisen, obgleich eigentlich Niemand wußte, welche Länder er bereist hatte,) traf ich mit vielen Ihrer Herren Landsleute zusammen, die einige Mal das Ausgezeichnetste in Punsch leisteten.«

»Polen und Rußland,« entgegnete stolz der Graf, »sind eigentlich das Land der Pünsche.«

Als er das sprach, überschauerte es die blasse Kaufmannswittwe, und auch Clementine Weibel fühlte sich angenehm erregt. – »Pünsche« hatte er gesagt, ach, und er sprach dieses Wort so deliciös aus! – Pünsche! Es klang das so weich, so wohllautend und doch wieder so melancholisch. – O, es war ein einziger Mensch, der liebenswürdige Fremde, dachten drei Viertel der anwesenden Damen, und viele derselben, die ihn das zauberische Wort hatten sprechen hören, spitzten ihren Mund und sagten mit einem himmelnden Blick: »Pünsche – Pünsche!«

Da sprach die alte strenge Justizräthin wohl unbedachter Weise die schrecklichen Worte: »Es wäre wohl nicht uninteressant, einmal einen polnischen Punsch zu versuchen.«

Und alsbald erklang es von allen Seiten: »Ach ja, Herr Graf, ein polnischer Punsch!«

Junge Damen, die heute Abend noch nicht des Glückes theilhaftig geworden, mit dem Helden der Gesellschaft ein Wort zu reden, näherten sich ihm mit stehend aufgehobenen Händen und sprachen so begeistert, als hofften sie ein Stückchen Seligkeit zu erlangen: »Ach, bitte, bitte, bester Graf, einen polnischen Punsch!«

»Ein polnischer Punsch!« sagte der langhaarige Maler beistimmend.

»Ein polnischer Punsch!« meinte die Frau Rechtsconsulentin, da sie sah, wie ihr Gemahl finster die Lippen zusammenbiß.

»Gewiß, ein polnischer Punsch!« sprach auch Madame Weibel mit dem energischen Tone ihrer Stimme.

Und »polnischer Punsch, polnischer Punsch!« klang es wie Hohngelächter der Hölle in den Ohren des unglücklichen Herrn Schilder.

Daß Graf Czrabowski dem allgemeinen Drängen nachgab, versteht sich von selbst. Nur Clementine Weibel machte einige bescheidene Einwendungen – Einwendungen, die den armen Fabrikanten vielleicht wieder etwas hätten aufrichten können, und wie die Liebe so gern zum Verzeihen geneigt ist, so sprach es schon in ihm: »O Gott, sie will keinen polnischen Punsch, sie will am vaterländischen festhalten!« Da sah er, mit welchen Blicken sie diese Einwendungen begleitete, als sie sprach: »Aber, Mama, das geht ja nicht; der Punsch wird in der Küche gemacht, wir können den Herrn Grafen doch nicht in die Küche führen, in die Küche, wo es, wie du wohl weißt, am Abend einer Soiree nicht immer so aussieht, wie es sollte.«

Darauf nickte der Herr Graf mit dem Kopfe und entgegnete lächelnd: »Ich werde nichts sehen als« – der Blick, den er bei diesen Worten auf das junge Mädchen warf, war wahrhaft mörderisch – »als – als die Sachen, die wir zu diesem Punsche gebrauchen.«

Da hierauf die Schwiegermutter befriedigt mit dem Kopfe nickte, eilte Clementine triumphirend in die Küche, um das Nothwendige herzurichten und dabei in der Geschwindigkeit so viel aufräumen zu lassen, als nur irgend möglich war. Obgleich sie dicht bei Herrn Schilder vorbei kam, obgleich dieser sie mit seinen Blicken bannen zu wollen schien, sah sie ihn doch gar nicht; sie dachte nur an die Küche, an den polnischen Grafen und an den polnischen Punsch. – Glückliche Clementine!

Wie der junge Fabrikant nach diesem für ihn so entsetzlichen Auftritte aus dem Salon ins Wohnzimmer kam und von dort in das Eßzimmer gelangte, wo die Putzfrau mit Abräumen des Buffets beschäftigt war, das wußte er eigentlich selbst nicht. Er ging wie in dichtem Nebel und streckte zuweilen seine Hände aus, als müsse er sich durch das Gefühl orientiren. Auch durch das Eßzimmer ging er und kam an die Thür zum Schlafzimmer der Kinder, die er öffnete und, vielleicht ohne es selbst zu wollen, dort eintrat.

Fritzchen und Louise saßen an ihrem Tische neben Herrn Larioz; dieser hatte ein großes Buch vor sich, worin sich buntgemalte Ritter zu Fuß und zu Pferde befanden, die er den Kindern erklärte. Bei dem Eintritt des Herrn Schilder blickte er in die Höhe und schien nicht einmal überrascht, als er dessen verstörtes Gesicht sah; er nickte bloß mit dem Kopfe und bot dem Eintretenden einen Stuhl, den dieser auch annahm und sich seufzend darauf niederließ.

»Sind die Gesellschaftsspiele vorüber?« fragte Herr Larioz, worauf der Andere antwortete: »Ja, es ist Alles vorüber.«

Dieses »Alles« schien der Schreiber so zu verstehen, wie es Herr Schilder gemeint; denn er wandte seinen Kopf hin und her und sagte, nachdem er einen langen Blick auf den jungen Mann geworfen: »Ja, ja, die Welt liegt sehr im Argen; man muß aber nicht Alles so schwer nehmen.«

»Ja, wenn man's nur leicht nehmen könnte! Es ist eigentlich närrisch von mir, nicht wahr, daß ich die Gesellschaft verlasse und Sie hier in Ihrer stillen Einsamkeit überfalle? Ich weiß auch nicht, wie das gekommen ist; ich wollte nur dem polnischen Punsch aus dem Wege gehen.«

»Dem polnischen Punsch?« fragte Herr Larioz und blicke in die Höhe.

»Ach ja, Herr Graf Czrabowski thut der Gesellschaft die Ehre an, in der Küche mit Fräulein Clementine einen polnischen – Punsch zu brauen.«

»Ah so, ah so!« erwiderte Herr Larioz und schaute gedankenvoll nach der Thür, aber nicht nach der, zu welcher Herr Schilder eingetreten war.

»Tante ist in der Küche,« sagte Louise, »da will ich ihr helfen gehen.«

»Ich auch,« meinte Fritzchen.

Und beide Kinder waren im Begriff, von ihren Stühlen herab zu steigen. Der lange Schreiber blicke fragend auf sein Gegenüber, und Herr Schilder wollte schon ziemlich erleichtert sagen: »Thut das, Kinder,« als er den Blicken des Anderen begegnete und darin etwas zu lesen schien, was er erst dann verstand, als Herr Larioz nun mit großer Ruhe sprach: »Man muß in der Welt klar sehen, das ist die Hauptsache – bleibt nur da, Kinder, ihr würdet draußen nur geniren.«

Hätte das jeder Andere im Hause gesagt, so würden die Kinder erst recht in die Küche gegangen sein; aber vor dem großen ernsten Manne hatten sie einen so außerordentlichen Respekt, daß es nur eines Wortes von ihm bedurfte, um sie zum Gehorsam zu zwingen.

Wenn Herr Schilder den Blick des Schreibers verstanden hatte, so wußte dieser auch genau, was die Angst bedeuten sollte, mit welcher der Fabrikant nach der Thür schaute, die nicht einmal fest verschlossen war und die auf den Hausflur und von da in die Küche führte. Dabei dachte Herr Larioz: Es ist doch Alles Lug und Trug in der Welt, keine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit mehr zu finden! Habe ich doch selbst gesehen, wie die da draußen zuerst mit dem vortrefflichen Schilder süße Blicke gewechselt, dann es ebenso mit ein paar Lieutenants gemacht, sowie mit dem langhaarigen Maler, und jetzt braut sie in der Küche einen polnischen Punsch! – O, über diese Welt!

Er blickte, wie er oft zu thun pflegte, vor sich hin und schaute weit, weit in andere Sitten und andere Zeiten. – »Sollte man nicht sein Schlachtroß besteigen?« murmelte er in sich hinein; »sollte man nicht sein gutes Schwert ziehen und, sich deckend mit dem festen Schilde, hinein sprengen in das elende Gewimmel, das da unter unseren Füßen seine unsauberen Fäden zieht? – Ja, bei Gott und San Jago! Das sollte man thun, aufdecken alle die Heimlichkeiten, so viel es möglich ist, und Lug und Trug zerstören.«

Darauf athmete er tief auf und sagte mit ruhiger Stimme: »Ich werde mir in der Küche ein Glas Wasser holen.«

Herr Schilder nickte befriedigt mit dem Kopfe und folgte dem langen Schreiber mit dankbaren Blicken, der sich nun langsam erhob, die Thür weit öffnete und hinaus schritt.

Unterdessen waren Clementine und der Graf Czrabowski mit der Anfertigung des polnischen Punsches beschäftigt. Babette hatte alle Ingredienzien auf den Küchentisch gestellt und sich dann pflichtschuldigst entfernt. Die Beiden waren allein in dem halb dunkeln, räucherigen Gemach, und nur dumpf hörte man aus den Gesellschaftszimmern das Lachen und Plaudern der Gäste; doch machten diese immer noch einen solchen Lärm, daß es jedes andere Geräusch übertönte. Clementine zerschnitt Orangen, drückte sie in die Suppen-Terrine aus, und der Graf sagte: »Ach, welch deliciöser, wunderbarer Geruch das ist! Man glaubt im schönen Süden zu sein, in Italien, wandelnd in Myrten- und Orangenwäldern.«

»Sie waren in Italien?« fragte sie.

»Ja und nein,« gab er zur Antwort; dann setzte er mit einem Seufzer hinzu: »Ich war allein da, und allein umher irren, ohne ein Herz, das im Stande ist, uns zu verstehen, ohne Jemanden, der zu uns spricht: Ach, wie ist das so schön! – da zählt eine solche Reise gar nicht.«

»Ach, ich glaube das,« entgegnete Clementine seufzend und wandte ihren Kopf ein wenig herum, worauf sie fast erschrak, als sie dicht vor sich die blitzenden Augen des Fremden erblickte.

»Nur zu Zwei kann man genießen,« fuhr dieser fort, setzte aber gleich darauf in leichterem und gefälligem Tone hinzu: »Warum diese Melancholie, die mich so oft und schmerzlich überfällt, vor Ihnen zeigen, mein schönes Fräulein? Was kümmert uns die Vergangenheit, was kümmert uns Italien? Ist doch die Gegenwart so wunderschön!«

Er stand sehr dicht bei dem jungen Mädchen, als er das sprach.

»Aber was machen Sie?« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, als er sah, daß Clementine ihre vom Orangensaft nassen Finger an einem Küchenhandtuch abtrocknen wollte. »Welche Verschwendung, diese köstlichen Tropfen!«

Rasch hatte er ein feines Battisttuch hervorgezogen und warf es leicht und gewandt über die beiden Hände des jungen Mädchens, ergriff dieselben und bemühte sich, mit manchem Druck, die Stelle des Küchenhandtuches zu versehen. Es war das ein etwas gefährliches Manöver, und Clementine athmete tief und schwer auf, das Blut schoß ihr ins Gesicht und ihre Augen flammten.

Der Graf hatte sein Tuch sorgfältig wieder abgewickelt, brachte es dann an seinen Mund und schien begierig, den Duft der Orangen einzusaugen. »Sehen Sie,« sagte er darauf, »was Sie hinweg werfen wollten, hat mich für mehrere Tage glücklich gemacht – für mehrere Tage, denn noch lange wird mich der Duft dieses Tuches an einen seligen Augenblick erinnern.«

Clementine war unruhig, ihre Hand zitterte, als sie nun eine der Flaschen emporhob, um die Flüssigkeit auf den Orangensaft und den Zucker zu gießen.

»Ich muß Sie unterstützen,« sprach der Graf mit leiser, schmeichelnder Stimme, »das ist Ihrer Hand zu schwer.« Damit legte er seinen linken Arm um ihre Taille, aber nur in der Absicht, um mit den Fingerspitzen ihre Hand zu halten, die wirklich auffallend zitterte.

Die zweite Flasche goß er selbst in die Terrine, aber mit seiner rechten Hand, denn sein linker Arm war beschäftigt.

»Wie das betäubend ist!« sagte das junge Mädchen, nachdem sie sich einen Augenblick tief auf die stark duftende Flüssigkeit hinabgebeugt. – »Ach, so betäubend!«

Auch er war ihrem Beispiele gefolgt und hatte den Kopf niedergesenkt, so tief, daß seine Lippen ihr Haar berührten.

»O, man kann das nicht lange aushalten,« fuhr Clementine fort, nachdem sie ein paar Sekunden in dieser Stellung verharrt. »Das verwirrt ordentlich die Sinne. Ah!« machte sie und warf ihren Kopf heftig zurück. Da er in diesem Augenblicke nicht das Gleiche that, sondern nur sein etwas bleiches Gesicht gegen das glühende des jungen Mädchens wandte, so war es von ihrer Seite wirklich ganz absichtslos und unwillkürlich – wir wollen das wenigstens annehmen, – daß sich ihre Lippen fanden und auch sogar einen kleinen Moment in dieser Bewegung verharrten.

Da hörten die Beiden eine tiefe Stimme hinter sich sagen: »Das ist also ein polnischer Punsch?«

So überrascht werden ist immer eine höchst mißliche Sache; es gibt da freilich allerhand Auswege, aber sie sind nicht immer mit Vortheil anzuwenden; man kann die Sache höchst gleichgültig nehmen, als habe der, welcher uns überrascht, mit seinen vielleicht sehr vortrefflichen Augen sich doch nur geirrt; doch, gehört dazu eine außerordentliche Frechheit, die nicht Jeder besitzt; man kann die Geschichte in Lachen verkehren; sie kann es für einen etwas albernen und unziemlichen Scherz declariren; doch bedarf es dazu einer Geistesgegenwart, die in diesem Umfange ebenfalls nicht Jedermanns Sache ist; man kann mit einem Schrei aus einander fahren, der eine Theil kann sich flüchten, der andere mit einem gewissen bekannten Gesichtsausdruck überrascht stehen bleiben, und das ist die gewöhnliche Lösung solcher verdrießlichen Rencontres; aber es ist ein bischen compromittirend.

Der Graf und Clementine, eigentlich sie allein, behandelten die Sache auf die letzt angegebene Art; er hätte vielleicht zum ersten oder zweiten Auskunftsmittel seine Zuflucht genommen; da aber das junge Mädchen mit einem lauten Schrei von der Küche in die Speisekammer flüchtete, so blieb ihm nichts übrig, als ziemlich verblüfften Angesichts die strenge Miene des langen Mannes anzuschauen, den er vorhin im Gesellschaftszimmer in der Fensterecke gesehen, und dessen Züge ihm schon damals nicht besonders gefallen.

»Das ist also ein polnischer Punsch, Herr – Graf?« wiederholte der Eingetretene, indem er mit der rechten Hand den armen Herrn Schilder abwehrte, der sich erregt vordrängen wollte, obgleich er nicht alles gesehen, was der Schreiber erschaut.

Graf Czrabowski hatte übrigens im nächsten Augenblicke seine Fassung wieder gewonnen und versuchte es, sich aus der Affaire zu ziehen. Doch schüttelte Herr Larioz mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck seinen Kopf und sagte: »Das mag anderswo gebräuchlich sein, auf solche Art mit jungen Mädchen Punsch zu brauen; bei uns in anständigen Häusern aber denkt man, es sei sehr frech, sich so zu benehmen.«

»Ja, sehr frech,« sprach auch zitternd vor Zorn Herr Schilder, der sich nun gewaltsam vordrängte und dicht vor den interessanten Fremden hintrat. – »Sehr frech, ich wiederhole es und will es zehn Mal wiederholen, und so laut als ich kann.«

Leider that er das Letztere in vollem Umfange, so daß sich Herr Larioz veranlaßt sah, ihn um Mäßigung zu ersuchen. Und daran hatte der Schreiber Recht, denn wer bei solchen Veranlassungen anfängt zu schreien, gibt sich eine Blöße, die ein geschickter Gegner gleich zu benutzen versteht.

Und ein solcher Gegner war der Herr Graf Czrabowski; er fuhr lächelnd durch sein Haar, er drehte lächelnd an seinem zugespitzten Schnurrbart, erjagte lächelnd: »Das nenne ich Gastfreundschaft, einen einzelnen harmlosen Fremden so zu überfallen!«

Hätte nur zuerst Clementine und nachher Herr Schilder nicht so laut geschrieen! Aber in den Gesellschaftszimmern war es mit einem Male sehr still geworden, und jetzt öffnete sich die Thür vom Salon auf den Gang, und Madame Weibel schlich heraus, welcher ihr Schwiegersohn mit gerunzelter Stirn folgte.

Die Beiden traten in die Küche; Niemand wagte eine Frage zu stellen, man sah sich erstaunt an. Herr Larioz stand mit hoch erhobenem Kopfe an der Thür, Herr Schilder haschte nach Athem, während er seine beiden Hände krampfhaft schloß und öffnete; der Graf spielte verlegen mit seiner Uhrkette, und Clementine war verschwunden.

Die Schwiegermutter war die Erste, welche ihren Mund öffnete und fragte: »Wo ist meine Tochter?«

Ein paar Sekunden lang antwortete Niemand, dann sagte Herr Schilder, indem er. heftig schluckte: »Sie hat sich, als wir in die Küche traten, dort in die Speisekammer geflüchtet.«

»Geflüchtet?« rief Madame Weibel, und sie legte einen Ausdruck auf dieses Wort, der offenbar sagen wollte: »Seit wann findet sich ein Mitglied der Familie Weibel in die Nothwendigkeit versetzt, sich zu flüchten?« – Und dann fuhr sie fort, indem sie ihre spitze Nase gegen den langen Schreiber richtete: »Was haben Sie eigentlich in meiner Küche zu suchen?«

»Was ich dort suchte, habe ich gefunden,« entgegnete Herr Larioz mit großer Ruhe.

Der Rechtsconsulent hatte bis jetzt kein Wort gesprochen, nur hatte er sämmtliche Anwesende mit strengem Blicke betrachtet, der sich aber in einen ängstlichen verkehrte, als er hinter sich die Salonthür geöffnet und das Gesicht der blassen Kaufmanns-Wittwe sah, die neugierig heraus horchte.

»Gehen wir hinein,« sprach er eilig, »gehen wir alle hinein – dummes Zeug! Ich bitte, meine Herren, gehen wir hinein!«

»Und Fräulein Clementine?« fragte Herr Schilder einigermaßen zur Unzeit.

»Lassen Sie meine Tochter, wo sie ist,« sagte streng Madame Weibel. »Und Sie,« wandte sie sich an Larioz, »haben doch wohl gehört, was Ihnen mein Schwiegersohn befohlen? Machen Sie, daß Sie aus meiner Küche fortkommen, – Sie –!« Dieses »Sie« war mit einem so giftigen Blicke begleitet, daß jeder Andere unfehlbar davor zurückgewichen wäre.

Der lange Schreiber aber, der diesen Blick kannte und nicht fürchtete, zuckte lächelnd die Achseln und sprach zu Herrn Schilder: »Kommen Sie, sonst haben wir Beiden noch das größte Unrecht begangen.«

»Das haben Sie auch,« entgegnete ungemein erbost die Schwiegermutter; denn ihrem geübten Verstande war es schon im ersten Augenblicke klar geworden, um was es sich handelte. »Was haben Sie an Küchenthüren zu horchen und Andere noch dazu zu veranlassen!«

Der Rechtsconsulent, der klüger war und ruhigeres Blut besaß, als seine Schwiegermutter, wollte sich begütigend ins Mittel schlagen, doch war es zu spät. Clementine, die jedes Wort verstanden hatte, und der es in der Speisekammer anfing zu eng und unbehaglich zu werden, glaubte den Zeitpunkt gekommen, wo sie mit einigem Eclat siegreich hervorbrechen könne. Und das that sie denn auch; sie stürzte weinend an den Hals ihrer Mama, indem sie sagte: »Ach ja, es ist nur die helle Bosheit von dem Schreiber, er hat an der Küchenthür gelauscht und uns absichtlich erschreckt. – O, das ist schändlich.«

»Ja, es ist schändlich,« murmelte der polnische Graf, der bis jetzt für gut befunden hatte, stillschweigender Zuschauer zu sein.

»Ja, sehr schändlich!« sprach die Schwiegermutter mit Pathos. »Schändlich über alle Beschreibung – Sie langer, nichtsnutziger Mensch!«

Es war gut, daß der Rechtsconsulent in diesem Augenblicke seine Hand auf den Arm des Herrn Larioz legte und ihm ernstlich sagte: »Ich wünsche jetzt Ruhe, wir wollen das morgen untersuchen,« – worauf der Schreiber einen tiefen Athemzug that und sich dann verneigte.

Leider hatte die Toilette des Fräuleins Clementine Weibel in der rauchigen Speisekammer einigen Schaden gelitten, was nicht dazu beitrug, die gute Laune der beiden Damen zu erhöhen. Clementine wollte in ein fortgesetztes Weinen verfallen, was sich aber der Rechtsconsulent verbat, indem er sie ersuchte, ihre Toilette so gut als möglich zu corrigiren und dann zur Gesellschaft zurückzukehren. Er zitterte, wenn er daran dachte, daß man drinnen Vermuthungen schöpfen könne, oder daß die blasse Kaufmanns-Wittwe etwas verstanden. Deßhalb sagte er mit sehr eindringlicher und fester Stimme, obgleich er ganz leise sprach, zu Madame Weibel: »Frau Schwiegermutter, Sie mögen zufälliger Weise anderer Ansicht sein, aber ich ersuche Sie dringend, in den Salon zurückzukehren und den Leuten drinnen, die wahrscheinlich die Köpfe zusammen stecken, irgend etwas Glaubwürdiges zu erzählen. Oder wollen Sie« – setzte er mit zusammengebissenen Zähnen hinzu – »morgen ein Stadtgerede haben, das vielleicht der Wahrheit sehr nahe kommt? – Bitte, sagen Sie mir später Ihre Meinung, aber jetzt gehen Sie.«

Eine Sekunde lang maß ihn die erzürnte Dame von oben bis unten, und dann sagte sie: »Gut, Herr Schwiegersohn, das Maß ist überfüllt.«

Damit rauschte sie hinaus.

»Und Sie, Herr Graf,« wandte sich der Hausherr mit höflichem, aber trockenem Tone an den etwas verblüfft dastehenden interessanten Polen, »darf ich Sie wohl bitten, zur Gesellschaft zurückzukehren?«

»Wenn Sie mir erlauben, Herr Doktor,« entgegnete der Fremde nach einer Pause, wobei er den Versuch machte, einen Blick von Clementinen aufzufangen, die aber kluger Weise das Taschentuch vor die Augen hielt, »so ziehe ich mich heute Abend zurück und werde mir morgen erlauben, Sie zu besuchen, um eine kleine Erklärung über die eben gehabte Scene entgegen zu nehmen.«

Er warf den Kopf etwas stolz in die Höhe, und Herr Larioz zuckte bedeutsam mit dem rechten Arm. Nach einem abermaligen vergeblichen Versuche, einen Blick von dem jungen Mädchen zu erhalten, setzte er seufzend und mit Beziehung hinzu: »Nach dem, was ich heute Abend erlebt, ist mir Stille und Ruhe angenehm.«

Damit machte er dem Hausherrn eine Verbeugung, ging hinaus, ließ sich von der lauschenden Babette Paletot und Hut geben und verschwand.

Zweimal zuckte Clementine zusammen und schien im Begriffe, das Tuch von ihren Augen zu entfernen, um ihm einen Blick nachzusenden, doch siegte ihre Klugheit, und sie vergrub ihren Kopf noch tiefer in die Hände.

»Wir wollen morgen weiter darüber sprechen,« sagte alsdann der Rechtsconsulent zu seinem Schreiber; »gehen Sie noch eine kleine Weile zu den Kindern oder –«

»Nach Hause, ich verstehe,« erwiderte lächelnd Herr Larioz, indem er sich umwandte, um noch für einen Augenblick in das kleine Schlafzimmer zu treten. Das, was er gesehen und gehört, hatte ihn tief erschüttert; er hatte es nicht für möglich gehalten, daß man so Recht in Unrecht verwandeln könne. Ja, sprach er seufzend, die Welt ist voll Arglist und Trug, und es gehört ein langer Kampf und ein kräftiger Arm dazu, um daraus siegreich hervor zu gehen. Aber Sieg oder Untergang, das ist meine Losung. – Und ich kann einmal diesem finsteren Getreibe nicht zuschauen, ohne hinein zu sprengen und »Licht und Recht« rufend, die Gegner mit geschlossenem Visir nieder zu stoßen. – Gott und San Jago werden mir helfen.

Herr Schilder war mit Clementinen allein in der Küche zurück geblieben. Ob der Rechtsconsulent den Fabrikanten absichtlich nicht in den Salon genöthigt, wissen wir nicht anzugeben, aber wir vermuthen es. Er stand zwischen der Thür und dem Küchenschranke und betrachtete ziemlich verlegen die Nägel seiner Finger; sie war in der Nähe des Anrichttisches, wo sich noch der halb fertige Punsch befand, und schluchzte lauter als vorhin. Daneben vernahm man das Zischen des kochenden Wassers in dem Kessel auf dem Feuer, der zuweilen vergnügt seinen Deckel lüftete, als wollte er sagen: Schaut nur daher, mein Wasser kocht schon lange, wollt ihr es nicht aufgießen zur Freude der dürstenden Menschheit?

Trotzdem, daß Clementine in Schmerz versunken zu sein schien, hatte sie doch Fassung genug, um genau zu überlegen, wie die ziemlich verfahrene Sache noch zum Besten zu lenken sei. In Fragen wie die vorliegende verzweifelt ein Mädchenherz selten, und auch Clementine schöpfte Hoffnung in dem wirklich kummervollen Blicke, mit dem der junge Fabrikant sie betrachtete, was zu bemerken ihr Raum genug blieb zwischen Finger und Schnupftuch. – Was thun? sich in eine Erklärung einlassen? den Feind langsam mit Worten angreifen? – Das konnte vielleicht zu einer augenblicklichen Versöhnung führen; aber Clementine wollte mehr; sie fürchtete sich vor dem Gerede der Welt, sie sah den einzigen Weg, auf dem es ihr gelingen konnte, ihre Feinde nicht nur zum Schweigen zu bringen, sondern auch vor Neid vergehen zu machen. Aber dieser Weg, der allein zu einem glücklichen Ziel führen konnte, bestand in einer förmlichen Ueberrumpelung des ziemlich wehrlosen Feindes, und muthig wie sie war, beschloß sie diese Ueberrumpelung.

Nach einem lauten Schluchzen und nach einer Attitüde, bei der sie das Gesicht mit empor gehobenen Händen gegen die rauchige Decke der Küche wandte, warf sie sich schmerzbewegt und wie aufgelöst vor Kummer gegen den erstaunten Fabrikanten, der die Wahl hatte, sie entweder vor sich auf den Boden niedergleiten zu lassen oder in seinen Armen aufzufangen. – – Er that das Letztere; ja, er that noch mehr: er wandte seinen Blick nicht ab, sondern er schaute dem schönen Mädchen in die von Thränen glänzenden gefährlichen Augen, die sie von unten herauf schmachtend auf ihn richtete; auch verschloß er seine Ohren nicht, sondern er nahm ihre Worte, obgleich sie ihm wie ein süßes Gift erschienen, in sein Herz und – – war verloren.

»Und Sie konnten glauben,« schluchzte sie mit einem sehr gut gemachten krampfhaften Zittern ihres Körpers, »was Ihnen schlechte Menschen zugeflüstert? – Sie, dem ich so viele Beweise meiner – – Freundschaft gegeben? – Sie konnten mich verdammen? – Sie, an dessen Urtheil mir so viel liegt? – O, wie ist die Welt so schlecht!«

Bei den letzten Worten machte sie einige schwache Anstrengungen, sich los zu winden, doch der arme Herr Schilder, wie eine Fliege im Netz der klugen Spinne gefangen und sich freuend über seine Gefangenschaft, hielt sie fest und fester, ja, er wagte es, seinen Kopf hinab zu beugen und sie auf die Stirn zu küssen. Wie schreckhaft zuckte sie zusammen! Wie war ihm dieses schreckhafte Zusammenzucken ein sicherer Beweis, daß sich der lange Schreiber vorhin geirrt und daß dieses Mädchen nicht im Stande sei, sich von einem hergelaufenen Grafen bei der Zubereitung eines polnischen Punsches küssen zu lassen! Ja, er fühlte sich außerordentlich glücklich, sein Herz schlug schneller, und er sagte mit bewegter Stimme: »Seien Sie ruhig, Clementine, es war ja nur meine Liebe zu Ihnen, die mich hieher trieb, und nur an Sie will ich glauben, wenn ich so glücklich sein darf, Ihre Gegenliebe zu erhalten.«

Da wand sie sich leicht aus seinen Armen, schaute ihn mit einem unaussprechlichen Blicke an und lispelte sanft erröthend – wir können nicht anders, als uns in diesem schönen Augenblicke des Romanstyls zu befleißigen – sie wand sich also aus seinen Armen, ihr Blick war unaussprechlich, sie erröthete und lispelte die bedeutungsschweren Worte: »Sprechen Sie mit meiner Mutter!«

Damit entschlüpfte sie ins Nebenzimmer, wo Babette schon lange bereit stand, um die Toilette der jungen Dame, so viel es thunlich war, wieder in Ordnung zu bringen.

Herr Schilder blieb am Anrichttische stehen; er lächelte vergnügt in sich hinein, er schaute rechts, er schaute links, er schaute in die Höhe, er schaute vor sich nieder, und als er Letzteres that, blickte er hinab in die Suppenterrine, wo der polnische Punsch unzubereitet geblieben war. Gott sei Dank, sprach er zu sich selber, daß der nicht fertig geworden ist! Versuchen wir, ob er an den kostbaren Ingredienzien nichts verdorben, und wenn wir nichts Verdächtiges finden, so machen wir siegreich ein harmloses deutsches Gebräu.

Nachdem er hierauf mit dem Löffel gekostet, noch etwas Pomeranzensaft und Rum dazu gethan, da die Beiden zu viel Zucker hinein gemischt, goß er eigenhändig das dampfende Wasser in die Schüssel und erfreute sich hierauf an dem würzigen Duft, der in seine Nase stieg.

Der Punsch war fertig, Babette trug ihn ins Zimmer, und Herr Schilder schritt hinterdrein, erhaben, im Gefühle seines Sieges, süß lächelnd, Glück und Freude strahlend.

Die Gäste, vor allen die blasse Kaufmannswittwe, wußten nicht, was sie glauben sollten. Wohl hatte man einiges gemurmelt von dem Auftritt in der Küche, was der Wahrheit ziemlich nahe kam, doch war das Aussehen der Betreffenden so ganz anders, als man erwartet hatte.

Der Rechtsconsulent trug sein gewöhnliches Gesellschaftslächeln zur Schau, und Madame Weibel hatte Geistesgegenwart genug, ein paar vertrauten Freundinnen zu versichern, daß man sich selbst in der geordnetsten Haushaltung nicht immer auf seine Mägde verlassen könne. »Die Babette,« sagte sie, »ist sonst wirklich eine ganz brauchbare Person, aber sorgfältig nach den Etiquetten auf den Flaschen zu sehen, das hält auch sie für überflüssig.« – Nur daß der polnische Graf nicht wieder kam, war die einzige Klippe, an welcher das Lächeln des Hausherrn, sowie die Geistesgegenwart der Schwiegermutter zu scheitern drohte.

Glücklicher Weise erschien in diesem Augenblicke, wie wir schon vorhin gesagt, Babette mit der Punschbowle und Herr Schilder mit freudestrahlendem Gesichte; glücklicher Weise, wiederholen wir, ging Herr Schilder auf Madame Weibel zu und sagte ihr leise einige Worte, welche die alte würdige Dame mit einigem Erstaunen, aber mit einem Erstaunen des Stolzes und der Freude zu vernehmen schien. Sie machte ein wehmüthig verklärtes Gesicht, reichte dem jungen Fabrikanten die Hand und sprach alsdann zur Justizräthin, die einigermaßen finster darein schaute und der es durchaus nicht gefallen wollte, daß in einem Hause, welches sie mit ihrer Gegenwart beehrte, unerklärliche Dinge vorkommen sollten:

»Sehen Sie, so sind diese jungen Leute; läßt man sie nur eine Minute allein, so passirt immer etwas.«

»Es passirt etwas?« fragte lauernd die Gerechtigkeit.

»Ja, stellen Sie sich vor, Frau Justizräthin,« entgegnete Madame Weibel, sich umschauend, mit so lauter Stimme, daß es wenigstens ein Dutzend der nah und fern Stehenden hören konnte, »da hat dieser böse Schilder den Augenblick benutzt, um meine Tochter Clementine in der Küche um ihr Jawort zu bitten.«

»Ah!« machte die Justizräthin enttäuscht, denn auch sie hatte eine hoffnungsvolle Tochter, mit welcher der junge Fabrikant schon öfters sehr freundlich gesprochen.

»Ah!« machte es rings im Kreise, und man sah gezwungenes Lächeln und lange Gesichter. Nur das Ah! der blassen Kaufmannswittwe war ein Laut der Freude und klang, als wenn ihr eine Centnerlast vom Herzen rolle. – Also nicht der schöne polnische Graf!

Dann wurde von allen Seiten gratulirt, und ein wohlgenährter Kanzleidirektor, der Junggeselle war und eine gute Tafel liebte, sagte schmunzelnd: »Eine Verlobung in der Küche ist ein gutes Omen; ich werde häufig bei Ihnen speisen, lieber Schilder.«

Herr Larioz hatte sich unterdessen noch für einen Augenblick in das Kinderzimmer zurückgezogen; er wollte nicht so aus dem Hause fortstürzen, wie es der polnische Graf gethan; er war sich seines Rechtes bewußt, und es kochte in ihm, wenn er bedachte, daß der Trug und die Unredlichkeit dieser Welt wieder einmal den Sieg davon tragen solle. Es that ihm weh, was er erlebt, und er mußte sich zu einem Lächeln zwingen, als die Kinder freundlich auf ihn zusprangen und wissen wollten, warum man in der Küche so laut gesprochen. Ja, obgleich es ihm lieber gewesen wäre, wenn er, um seiner düsteren Gedanken Herr zu werden, mit großen Schritten hätte im Zimmer auf- und abspazieren können, so mußte er sich doch von Fritzchen und Louisen auf einen Stuhl niederziehen lassen, um ihnen einige der fabelhaften Geschichten zu erzählen, die sie so gern hörten und die er auch in ruhigen Augenblicken gern zu erzählen pflegte, von tapfern Rittern, die hoch zu Roß, ihr gutes Schwert in der Hand, ehemals im Lande umher zogen, um Drachen zu tödten und gefangene Königstöchter zu befreien.

Er hatte gerade eines der eben erwähnten Ungeheuer so genau als möglich beschrieben, als sich die Nebenthür öffnete und Madame Weibel mit der Rechtsconsulentin eintrat; letztere trug auf einem Teller zwei kleine Gläser Punsch für die Kinder. Das Auge der Schwiegermutter verfinsterte sich, als sie den Schreiber bemerkte, und Madame Emilie schien durch ihren eigenthümlichen Blick fragen zu wollen: Verstehst du diese Frechheit, noch da zu bleiben?

»Herr Larioz erzählt uns eine schöne Geschichte,« sagte Louise, die noch nichts von eigenthümlichen Blicken verstand.

»Gerade als du herein kamst, Großmama,« setzte das Bübchen hinzu, »hat er von einem prächtigen Drachen erzählt. Eine schöne Geschichte!«

»Die jetzt wohl aus ist?« entgegnete Madame Weibel in schneidendem Tone.

Worauf Herr Larioz sehr ruhig antwortete: »Ja, Madame, sie ist vollkommen zu Ende.«

Damit erhob er sich, um nach der Fensternische zu gehen, wo sein Hut stand.

Madame Weibel schaute ihm mit einem finsteren Blicke nach und meinte, halb zu ihrer Tochter gewandt: »Die Geschichten in diesem Hause hätten schon lange aufhören müssen, wenn dein Mann ein gescheidter Mann wäre, oder« – setzte sie achselzuckend hinzu – »wenn gewisse Leute einsähen, wie überflüssig sie sind.«

Herr Larioz fuhr ruhig mit der Hand über seinen Hut, und versetzte: »Es ist aber leider nicht Jedermann gegeben, sein Ueberflüssigsein einzusehen.«

»Adieu, Adieu!« rief die Schwiegermutter, indem sie mit ihrer Hand heftig gegen den Schreiber winkte.

Dieser hätte sich auch unfehlbar zurückgezogen, wenn sich nicht in diesem Augenblicke abermals die Thür geöffnet hätte und Clementine, die wahrscheinlich im Nebenzimmer gelauscht hatte, mit flammendem Blick eingetreten wäre und zu ihrer Schwester gesagt hätte: »Du kannst mir glauben, Emilie, wenn ich in deinem Hause nochmals solche Menschen finden muß, wie diesen da, so betrete ich deine Schwelle nicht mehr.«

»Ich war Ihnen wohl hinderlich, mein Fräulein?« sprach Herr Larioz mit großer Ruhe.

»Hinderlich?« rief das junge Mädchen, indem die Röthe des Zorns ihre Wangen bedeckte, »hinderlich? Wie kann mir das hinderlich sein?« Dabei machte sie dieselbe verachtungsvolle Handbewegung, wie vorhin ihre Frau Mutter. »Wenn mir nicht die paar Worte zu gut wären, die ich an Sie verschwende, so würde ich Ihnen sagen, daß Sie –«

»Sagen Sie lieber nichts,« erwiderte der Schreiber, indem er einen einzigen, aber großen Schritt näher trat und Clementine mit seinen Augen scharf fixirte.

»Ja, sage es ihm nur!« rief die Schwiegermutter. – »Ein solcher Schleicher und Spion – ein nichtsnutziges Subjekt!«

»Madame!«

»Ein nichtsnutziges Subjekt, das es wagt, meine Tochter zu verdächtigen, während er selbst vor Scham die Augen nicht aufschlagen sollte. – Ja, Scham!« lachte sie krampfhaft hinaus; »was kennt so Einer von Scham!«

»Die verlernt man freilich bei Ihnen, Madame,« entgegnete der also Gereizte, und es war ein Wunder, daß er nicht noch Schlimmeres sagte. Doch hatte er mit seinen Worten in ein Wespennest gestochen.

»Habt ihr's gehört?« kreischte Madame Weibel, indem sie auf ihn zutrat. »Habt ihr's 'gehört? Und das muß ich alte Frau mir von dem Knechte deines Mannes sagen lassen!«

Da öffnete sich abermals die Thür, und hastig und mit bleichem Gesichte trat der Rechtsconsulent in das Zimmer, die Hände wie flehend erhoben.

»Da kommt der Rechte!« höhnte die Schwiegermutter, indem sie eine laute Lache aufschlug, »jetzt werdet ihr sehen, wie er seinen Helfer in Schutz nimmt.«

»In Schutz werde ich jeden nehmen, dem in meinem Hause Unrecht geschieht,« entgegnete der Hausherr nach einem liefen Athemzuge in sehr leisem, aber doch verständlichem Tone. »Zuerst aber frage ich euch« – und dabei zitterte seine Stimme – »seid ihr denn gänzlich von Gott verlassen, hier so zu schreien und alle Welt aufmerksam zu machen? – Um des Himmels willen gebt doch Ruhe!«

»Ruhe wird hier nie einkehren,« rief die Schwiegermutter, »und was die Welt sagt, ist mir gleichgültig!«

»Ja, was die Welt sagt, ist uns gleichgültig,« kreischte nun auch die Rechtsconsulentin, welche den ganzen Abend die Dulderin gespielt und nun ins andere Extrem übersprang.

»So schreit ins Teufels Namen!« rief der Rechtsconsulent bebend vor Zorn. – »Larioz, gehen Sie nach Hause, wir sprechen morgen darüber.«

»Ja, er soll gehen, das Ungeheuer!« rief Madame Plager weinend, »er, der mich und meine Kinder, ja, meine ganze Familie unglücklich machen möchte – dein schlechter Helfershelfer, dein – o pfui!«

Dabei spuckte sie heftig aus, und der arme Rechtsconsulent, der von den flammenden Blicken der drei Weiber noch das Schlimmste befürchtete, schob seinen Schreiber zur Thür hinaus. Doch geschah das nicht schnell genug, um Madame Weibel verhindern zu können, ihnen eines der Punschgläser sammt Inhalt nachzusenden, wobei sie so glücklich oder so unglücklich traf, daß das Glas dem Herrn Larioz allein an den Kopf flog, der Punsch dagegen Herrn und Gehülfen zu gleichen Theilen beschüttete. In demselben Augenblicke sprang Clementine gegen die Thür, drückte sie mit voller Kraft hinter den Beiden zu und schob den Riegel vor.

Der lange Schreiber war auch nicht mehr gleichgültig geblieben; seine Hand zitterte heftig, als er nach seinem Stock und Paletot griff, und es bedurfte eines bedeutungsvollen Blickes des Rechtsconsulenten, sowie eines flehentlichen Zeichens des Schweigens nach der Salonthür, um ihn zu veranlassen, äußerlich ruhig die Treppen hinabzusteigen. Dabei aber knirschte er mit den Zähnen und dachte an Dies und Das, an Kampf und Waffengeklirr, wie ihm jetzt eine tüchtige Klinge in der Hand lieber wäre, als sein langes spanisches Rohr, wie er es als einen Segen des Himmels ansehen würde, wenn sich die drei Weiber droben in drei Männer verwandeln wollten, wenn er sie treffen könnte auf einem freien Plane, um einen der Kämpfer nach dem anderen niederwerfen und ihnen alsdann das Schwert auf die Kehle setzen zu können, bis sie sprächen: »Ja, wir sind ein heuchlerisches Gezücht voll Lug und Trug!«

Damit war er die Treppen hinuntergegangen und stand nun vor der Hausthür, in der dunklen Nacht weiter denkend: Und so würde ich nicht nur die da droben besiegen und entlarven, sondern alle, die unter der Maske der Heuchelei und Freundschaft ihren Nebenmenschen die Tage stehlen und das Leben verbittern, – und so muß es kommen; sollte ich auch darüber zu Grunde gehen. – Er blickte bei diesen Worten in die Höhe, wo aus dem Dunkel klare Sterne strahlten, und fuhr alsdann in seinem Selbstgespräche fort: Wenn mir alsdann auch hier unten die Anerkennung fehlt, so wird mich doch ein höheres Bewußtsein lohnen.

Als er das gesagt, vernahm er ein Oeffnen des Fensters droben und eine höhnende Stimme, die herabrief: »Babette wünscht, wohl zu schlafen!«

Doch war es nicht diese Stimme allein, die ihn zusammenfahren ließ, sondern ein Gefühl, als verfinsterten sich plötzlich alle seine Himmel, und als sendeten drohende Wolken einen dichten Regenguß herab.


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