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»Du weißt jetzt meinen Willen, Arthur, und hast ihn zu befolgen,« sagte der Revierförster in kurzer entschiedener Weise zu seinem Sohne, »gehe jetzt, wohin Du Lust hast, nur nicht an einen gewissen Ort.«
Arthur entfernte sich schweigend, sein schönes Gesicht war dunkelroth und seine klassisch geschnittene Oberlippe zuckte; doch hielt er es für gerathen sich scheinbar dem Vater zu fügen, Arthur wußte zu gut, daß dieser kein Mann war, bei dem Widerspruch gute Früchte trug. Aber bemerkte der Vater den Blick des Sohnes? Er sah ihn nicht, denn sonst würde er erschrocken sein; es war ein vielsagender Blick, jedoch kein liebevoller.
»Du scheinst unzufrieden mit Arthur?« fragte Julie, sie zitterte ein wenig bei diesen Worten, denn sie liebte ihren ältesten Sohn leidenschaftlich.
»Nicht ohne Grund Julie, Arthur war ungehorsam. Ich weiß, daß Baron Geyersfels hier ist und habe unserm Sohne verboten, mit ihm zu sprechen, auch das verrufene Haus, wo die sogenannte Gräfin wohnt, soll er nicht besuchen, und doch sah ich ihn herauskommen!«
»Du sahst es selbst, lieber Halldorf?«
»Nur meinen eigenen Augen kann ich glauben, daß mein Sohn gegen meinen ausdrücklichen Befehl handeln konnte. Arthur ist ein so denkender, entwickelter, fast jünglinghafter Knabe, daß ich die Uebertretung meines Befehles nicht kindischem Leichtsinn oder seiner Einfalt zuschreiben kann.«
»Er hat doch früher niemals Neigung gezeigt, jenes Haus zu besuchen das, ich gebe das zu, leicht ein Gegenstand der Neugier werden kann, wenn man bald Dieses bald Jenes über seine Bewohner sprechen hört;« bemerkte Frau Halldorf etwas verstimmt.
»Vertheidige Arthur nicht, liebe Julie,« wandte Halldorf ein. »Niemand spricht jetzt mehr von dem Hause und der armen Wahnsinnigen, selbst um Herrn von Geyersfels kümmert man sich bei uns im Dorfe nicht viel, er interessirt die Leute nicht, ich aber habe ihn am ersten Tage bemerkt, wie er um unser Haus schlich.«
»Du? Kanntest Du früher den Baron, daß Du sogleich wußtest, wer jener Mann war, welcher, wie Du sagtest, um unser Haus herum strich?« fragte sie und machte sich mit ihren Pflanzen zu thun, deren gelbe Blätter sie abzupfte.
»Ich sah ihn vor Jahren, kurz vorher, ehe ich Dich kennen lernte; seinen Charakter schilderte mir Dein Bruder, ich weiß – doch gleichviel, ich traue dem Baron wenig Gutes zu. Aus welchen Ursachen hängt er sich an unsern Arthur? Dieser Knabe kann doch keine Gesellschaft für den vielgereisten Mann sein? Jedenfalls will ich nicht, daß er ihn spricht und in jenes Haus geht.«
»Du hast Recht, Halldorf, aber in jedem Menschen, besonders in einem so jungen, liegt der Trieb nach dem Verbotenen. Wäre es nicht gerathener, Arthur nicht zu untersagen, ihn dagegen mehr unter Augen zu halten? Ohnehin gehen seine Ferien bald zu Ende,« sagte Julie sanft.
»Nein Julie; Lerne gehorchen! ist ein weiser Spruch, mein Sohn darf nicht thun, was mir, seinem Vater zuwider ist, kein gutes Kind thut es.«
Julie schwieg. Nach einer langen Pause fragte sie: »wie lange bleibt der Geometer noch hier?«
»Ich glaube drei Wochen, er hat noch ein gut Stück Arbeit vor sich, er ist ein Mann, der seine Sache versteht.«
»Wirst Du Arthur nach der Stadt begleiten, mein Bruder würde sich freuen, wenn er Dich sehen könnte.«
»Ich weiß es noch nicht, wenn ich Zeit finde, vielleicht. Willst Du vielleicht diese Reise mit machen?«
»Ich lasse die jüngern Kinder nicht gern allein!«
»Wie Du denkst, liebe Julie. Du warst am Geburtstage am Grabe deiner guten Mutter.«
»Ja!«
Er sah sie an, es lag etwas von einer Frage in seinem Blicke. Sie schwieg, es war ihr nicht möglich, ihrem Gatten zu sagen, daß sie mit Geyersfels gesprochen hatte; wenn Halldorf sie direct gefragt hätte, würde sie nicht geläugnet haben, er schien jedoch entweder diese Bemerkung nur zufällig gemacht zu haben, oder ihrem eigenen Gefühle zu überlassen ob sie ihm von ihrem Zusammentreffen mit dem Baron Mittheilung machen wolle oder nicht.
Was hatte sie denn auch für eine Verpflichtung gegen Halldorf; sie begehrte ja nie, daß er ihr von jeder Unterredung, welche er hatte, Mittheilung machte; sie brauchte sich keines Wortes, das sie gesprochen hatte, zu schämen.
Ob Halldorf in ihrer Seele las? Er sagte kein Wort, warf leicht hin, daß er noch viel zu schreiben habe und ging in das kleine Cabinet, in welchem er zu arbeiten pflegte.
Julie stützte den Kopf in die Hand, es that ihr weh, daß Arthur dem Vater, der es so treu meinte, nicht gehorchte, sollte sie den Sohn mütterlich vor Geyersfels warnen? Welchen Grund konnte sie angeben, und hatte sie nicht, ohne ihr Wollen freilich, diesem Manne bitteres Herzleid zugefügt? Was auch seine Fehler gewesen sein mochten, sie hatte er doch lange und tief geliebt, warum sollte er nicht die kurze Zeit die er in Birkendorf zubrachte, ihren Sohn sehn?
Sie ging in ihr Gemach und nahm die Blätter wieder zur Hand welche Sidoniens Geschichte enthielten. Aufgeregt mit pochendem Herzen las sie weiter.