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V.
Schluß von Sidoniens Lebensgeschichte.

»Mit raschen Schritten ging ich auf meine Schwester zu, ›du hast mich nicht erwartet, Sidonie,‹ sagte ich, ›aber gleichviel, ich sehe daß Du leidest, ich bin nicht der unerfahrene Jüngling mehr, aber Dir noch brüderlich zugethan, wie in der Kinderzeit. Sage mir Alles, was Dich quält, warum Du in dieser Einsamkeit lebst, und baue auf deinen Bruder.‹

Lange schwieg sie, desto mehr sagten mir ihre Thränen. Sie hatte erlebt, was schon viele Mädchen vor ihr erfahren haben und noch viele erleben werden, die eine eheliche Verbindung ohne Wissen und Zustimmung der Familie eingehen, welche über ihren Stand ist. Der Prinz hatte sich vor Zeugen feierlich am Altare mit ihr vermählt, ein angesehner Priester hatte sie copulirt und ihr Gemahl war fest entschlossen, ihr die angelobte Treue zu halten, er hatte bisher in keine ihm vorgeschlagene Vermählung gewilligt. Der regierende Herr schien sogar von des Prinzen geheimer Ehe gewußt und sie Anfangs nicht mißbilligt zu haben, denn der junge Herr hatte keine Schulden mehr gemacht, sich mit keinen dem Landesherrn mißfälligen, ehrgeizigen Plänen beschäftigt und was der Prinz in Italien that, war, so lange es nicht öffentliches Aufsehn machte, dem Hofe ziemlich gleichgültig. Aber jetzt, nachdem der Thronerbe plötzlich in der Blüthe seiner Jahre gestorben war, ohne Söhne zu hinterlassen, jetzt wo der zweite Prinz des Hauses in Folge eines Sturzes mit dem Pferde unheilbar krank darnieder lag, war der Prinz Waldemar in den Augen seiner Familie natürlich eine andere Person geworden. Sein Vater hatte ein langes Gespräch unter vier Augen mit ihm und die Folge desselben war gewesen, daß er dem Grafen Ellernburg den Auftrag ertheilt hatte, meine Schwester außer Landes zu führen. Prinz Waldemar mußte Grund haben, von dem regierenden Herrn für Sidoniens Sicherheit zu fürchten. Dennoch liebte ihr Gemahl sie noch genug um zu wünschen, daß sie in seiner Nähe bliebe, damit er sie oft ins Geheime besuchen könne, und Ellernburg wählte das ihm gehörende Landhaus über der Grenze. Es waren in Eile einige Gemächer prächtig und geschmackvoll für sie hergerichtet worden und zwei Diener so wie eine italienische Duenna begleiteten Sidonie. Die Diener, Koch und Kammerdiener sprachen nur Französisch, hatten die Weisung, mit Niemand im Orte zu reden und wurden so hoch bezahlt, daß man sich auf sie verlassen konnte. Die Italienerin war ihrer Gebieterin wahrhaft ergeben und die beiden Franzosen sahen in dem Prinzen Waldemar schon den künftigen Regenten und große Vortheile für sich in der Perspective, wenn sie reinen Mund hielten.

Prinz Waldemar besuchte seine Gemahlin oft, seine bekannte Leidenschaft für die Jagd lieh dazu den besten Vorwand, auch für einen Botaniker galt er jetzt, er legte Herbarien an, sah oft den Professor der Botanik von der Universität bei sich, und machte, die Botanisirbüchse über den grünen Rock gehangen, oft weite Fußtouren, bei welchen ihn nur ein einziger Kammerdiener begleitete. Sidonie liebte Waldemar so innig, daß sie zufrieden mit dieser Abgeschiedenheit war, sie vertraute ihm unbedingt, früher oder später mußte ja der Tag kommen, an welchem er sie öffentlich als seine Gemahlin seiner Familie vorstellte. Sie dachte oft an Philippine Welser, und Sidoniens Schicksal war ein schöneres, sie hatte ja lange Zeit im steten, herzlichsten Zusammensein mit dem Geliebten in Italien verbracht, und jetzt erschien er ja fast jede Woche, und mit immer neuer Liebe und Leidenschaft. Fast täglich erhielt sie Briefchen von ihm und sandte lange Schreiben an ihn ab. Prinz Waldemar brachte seiner Gemahlin oft Bücher mit und sprach mit ihr darüber, sie hatten, um in steter Gedankenverbindung zu bleiben, immer dieselbe Lectüre.

Eines Tages hatte der Prinz ihr beim Abschiede gesagt, daß eine längere Reise, welche er auf allerhöchsten Befehl antreten müsse, ihn mehrere Wochen fern von Sidonien halten werde. Sie nahm mit großer Wehmuth von ihm Abschied und versprach ihm, für ihre Gesundheit zu sorgen und geduldig auf seine Rückkehr zu harren. Nach seiner Abreise vertiefte sie sich in ein Buch, welches er ihr mitgebracht hatte, es waren die ersten beiden Theile eines neuen, höchst interessanten Romanes, der dritte Theil war vergessen worden. Sidonie sandte den Kammerdiener in das nächste Städtchen nach dem Buche. Ohne dasselbe kehrte er zurück, es mußte erst verschrieben werden. Endlich, nach einigen Tagen traf es ein, und wurde der Gebieterin sogleich von der Kammerfrau überbracht. Es war in die Landeszeitung eingewickelt welche von ziemlich neuem Datum war. Neugierig ergriff Sidonie das Blatt und las. Es ward ihr dunkel vor den Augen, sie glaubte falsch zu lesen und las wieder, sie hatte nicht geirrt, deutlich stand es da, was ihr durch die Seele fuhr wie ein Schwert: Prinz Waldemar war am ersten dieses Monats in der Schloßkapelle im Beisein der hohen Familie des erlauchten Brautpaares mit der Prinzessin Anna getraut worden. Eine lange Beschreibung der Vermählungsfeierlichkeiten folgte. –

Was Sidonie damals empfunden und gedacht haben mag, schildert wohl keine Feder. Lange saß sie starr auf einer Stelle, dann sprang sie auf, um ihr Asyl zu verlassen und sofort nach der Residenz zu reisen. Vielleicht hätte sie diesen Plan ausgeführt, aber ihre Kräfte verließen sie, an der Hausthür sank sie ohnmächtig zusammen.

Wochen lang brachte sie auf dem Krankenbett zu, ihre Dienerschaft hatte einen vorzüglichen Arzt aus dem nahen Städtchen herbei geholt, welcher die Krankheit Sidoniens für ein hitziges Nervenfieber erklärte und für eine gute Wärterin sorgte, da die Italienerin nicht fähig war, alle Lasten allein zu tragen. Als Sidonie wieder soweit hergestellt war, daß sie Besuch empfangen konnte, erschien das Ellernburg'sche Ehepaar und so schonend als möglich theilte die Gräfin der Verlassenen, Schwergekränkten mit, daß der Landesherr, nach dem ihm der Prinz die volle Wahrheit mitgetheilt habe, dessen geheime Ehe, die ohne Zustimmung seines Oberherrn geschlossen worden sei, für ungültig erklärt habe. Doch wolle der Allergnädigste auf besondere Bitten des Prinzen der Baronesse Geyersfels den Titel Fürstin von Maleszow geben nach einer Besitzung in Polen, welche Sidonie erhalten sollte unter der Bedingung, stets auf dem Schlosse Maleszow zu leben und über ihr Verhältniß mit dem Prinzen zu schweigen.

Meine Schwester hörte diese Vorschläge schweigend an, endlich sagte sie: ›ich werde dieses Haus, ja diese Gegend ruhig verlassen, aber erst muß ich noch einmal mit Prinz Waldemar gesprochen haben, und als die Gräfin Ellernburg Sidonien vorstellte, daß sie ihren weiblichen Stolz zu Hülfe rufen und doch einen Mann nicht sehen solle, welcher so leicht in die Scheidung gewilligt und sich mit einer Andern vermählt habe, entgegnete Sidonie kalt und mit wahrhafter Würde: zur Scheidung gehörte auch meine Einwilligung, man begehrte sie nicht, ich betrachte mich nicht als geschieden, sondern als die rechtmäßige Gemahlin des Prinzen Waldemar. Will Prinzessin Anna, königliche Hoheit, mit meinem Gemahle als dessen Geliebte leben, so kann sie das thun, ich aber verlange ihn zu sprechen, richten Sie dies aus, Gräfin Ellernburg, wenn Sie nicht wollen daß ich als Selbstmörderin ende; aber sein Sie versichert, nach meinem Tode soll das Volk erfahren, wie heilig sein Landesherr die Ehe hält und was er sich gegen die Tochter eines alten freiherrlichen Geschlechtes erlaubte. Ich habe für den Fall meines Todes Verfügung getroffen!‹

Was konnte die Gräfin Ellernburg anders thun als den Auftrag meiner Schwester vollziehn?

Prinz Waldemar erschien vor seiner Gemahlin. Was Sie ihm gesagt, was er Ihr geantwortet haben mag, hat kein sterbliches Ohr vernommen. Alles was ich weiß, ist daß Prinz Waldemar bleich und in sich versunken Sidonien verlassen hat. Seine Ehe war eine traurige, die arme Prinzessin Anna hat ihn wohl niemals heiter gesehn. Dicht neben der heißesten Liebe liegt der glühendste Haß, Sidonie hatte Waldemar zu heiß geliebt, um nicht jetzt von Rache und Zorn erfüllt zu sein. Sie wußte es, daß er sie verläugnet hatte, obgleich er sie damals noch liebte, sie empfand es schwer, daß die Welt sie statt für Waldemar's Gemahlin, für seine verlassene Geliebte hielt und wußte, daß sie, wenn sie klagbar wurde, in dem Lande, wo ihr Gemahl dem Throne der Nächste war, ihren Prozeß nicht gewinnen würde. Deßhalb versprach sie Waldemar, sich jedes öffentlichen Schrittes zu enthalten, aber sie erklärte ihm mit eiserner Festigkeit, daß sie sich stets für seine rechtmäßige Gemahlin halten werde, sie wolle nicht nach Polen ziehn und an gewissen Tagen im Jahre, an ihrem Geburtstage und an ihrem Trauungstage begehre sie seinen Besuch.

Was konnte Prinz Waldemar nicht von Sidonien erwarten, falls er diese Wünsche nicht erfüllte? Das einsame Leben in Birkendorf, das fortwährende Brüten über ihr zertrümmertes Lebensglück, ihre gekränkte Ehre, machte sie krank an Geist und Körper. Sie hatte die wunderlichsten Einfälle und führte dieselben so weit als ihr möglich war, aus. Den Garten ließ sie verwildern, eben so das Haus verfallen, nur die Zimmer, welche sie bewohnte und in denen sie von Zeit zu Zeit den Prinzen empfing, mußten schön erhalten werden. Ich besuchte sie zuweilen und deßhalb erzeigte mir Ihr Bruder, Julie, die Ehre, mich für den Kuppler des Prinzen Waldemar zu halten. Daß ich mich meiner Schwester öffentlich annehmen, ihre Rechte dem Prinzen, ja dem Landesherrn gegenüber öffentlich verfechten wollte, können Sie mir zutrauen, allein ich wußte sehr wohl, daß mit dem Degen in der Faust nichts auszurichten war; ich wandte mich an einen ausgezeichneten Rechtsgelehrten, welcher als gerecht, scharfsinnig und dabei als republikanisch gesinnter Mann bekannt war. Er hörte mich ruhig und aufmerksam an und gab mir nach langem Ueberlegen den Bescheid, daß obwohl das moralische, ja sogar das Kirchenrecht für meine Schwester sprächen, doch hier das Staats- und auch das Hausgesetz der allerhöchsten Familie vor jedem Richter Geltung haben müsse, denn kein Prinz, am wenigsten einer der möglicher Weise zur Regierung gelangen könne, habe das Recht sich ohne Zustimmung des Landesherrn zu vermählen, gleichviel ob mit einer Prinzessin oder einer einfachen Bürgerstochter. Meine Schwester habe das freilich nicht gewußt, auch würde kein Billigdenkender sie für leichtsinnig halten, allein gegen die Annulirung ihrer geheimen Ehe könne sie vor keinem Gerichtshofe der Welt Einspruch thun, ›mußte doch,‹ schloß der Sachverwalter seine Rede, ›der Kronprinz von Hannover, als er sich mit der Prinzessin von Sachsen-Altenburg vermählen wollte, außer der Einwilligung seines königlichen Vaters, auch die der Königin Victoria haben, da sie das Haupt des Hauses Hannover ist.‹

In das Unabänderliche fügt sich Jeder, weil er muß. Sidonie blieb in ihrem Asyl, sie weinte und verzweifelte nicht mehr, aber sie war auch nicht zu bewegen, das Haus zu verlassen, um fern vom Vaterlande auf schönern Fluren Erheiterung zu suchen. Als ich ihr einmal rieth, daß sie nach Frankreich oder England gehen solle, darauf anspielte, daß bei ihrer Jugend und Schönheit ein würdigerer Mann ihr seine Liebe weihen und ihr Herz gewinnen könne, wurde sie todtenbleich und sagte mir zornig, daß sie solche Worte niemals wieder hören wolle, sie betrachte sich stets als Waldemar's Gemahlin. Jetzt, Julie, hoffe ich bei Ihnen gerechtfertigt zu sein; Sie werden nicht mehr glauben, daß ich der Vertheidiger eines schwachen, ehrlosen Weibes bin, der feile, demüthige Diener eines charakterlosen Fürsten.

Ich habe seit dem Tage, an welchem Sie mir sagten, daß ich Sie nie wieder sehen solle, keinen glücklichen mehr gehabt. Ich suchte auf Reisen Zerstreuung, vielleicht Glück, ich fand weder die eine, noch das andre, Alles was die Jugend erfreuen kann, war für mich mit Wermuth gemischt. Ich reise jetzt wieder fort, auf lange Zeit, ohne Zweck und Ziel; geben Sie mir wenigstens die Versicherung, daß Sie jetzt anders von meinem Charakter denken, als Geleit mit auf meine vielleicht dunkeln, dornigten Pfade. Lassen sie mich nur noch einmal, wie in früheren glücklichen Tagen, wo ich um ihre Wohnung schlich, bis Sie aus der Hausthüre traten, Ihre theure Hand fassen und Ihnen zurufen: Gott segne Sie, Julie, Gott gebe Ihnen Glück!

Wilfried.«

 

Julie legte die Blätter zusammen, ihre Hände waren eiskalt, ihre feine Lippe zuckte.

Mit Sidonien empfand sie tiefes Mitleid, aber das Rachsüchtige in der Handlungsweise der Baronin stieß ihr sanftes Gemüth ab, dagegen stand Wilfried in reinerem Lichte vor ihr und sie mußte zugeben, daß ein Vater wie der seine jedes Recht auf seine Kinder verwirkt hatte. Wilfried war nicht glücklich, das sagten nicht nur seine Worte, das las sie auch in seinen blassen, ernsten Zügen, die noch immer so schön waren, wie zu der Zeit, wo sie ihren kurzen Liebesfrühlingstraum geträumt hatte.

Ihr Blick fiel auf das Bild ihres Gatten, es schaute sie mit seinen offenen, ehrlichen Augen an. Nie hatte Halldorf ihr ein rauhes Wort gesagt, nie einen Blick für andere Frauen gehabt, in ihrer Krankheit, damals als sie Arthur geboren hatte und sich lange nicht erholen konnte, war sie treu von ihm gepflegt worden. Oft hatte sie ihrer Tochter einen Ehegatten von solchem Charakter gewünscht wie ihr Vater war; aber ach, auch niemals hatte Halldorf für Julien jene berauschende Zärtlichkeit voll Poesie und Leidenschaft gehabt, welche dem fein organisirten, dichterisch angelegten Weibe Alles ist, und für die es, obgleich unkluger Weise, so große Opfer bringt, denn ach, wie theuer wird nicht oft ein kurzes strahlendes Glück bezahlt?

Immer und immer summte Julien eine alte Melodie durch den Kopf deren Worte lauteten:

»Ich hätte wohl können glücklicher sein,
Und ach, auch glücklicher machen.«


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