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In Rom, in seinem verödeten Häuschen, aus welchem die Colombella entflohen war, kam ihm seine Frau entgegen mit einem Brief des Kindes. Colomba schrieb:
»O meine geliebten, meine schwer gekränkten, theuern Eltern, verzeiht mir, ach, verzeiht mir. Ich kann nicht leben ohne Eure Verzeihung. Auf meinen Knien und in Thränen gebadet bitte und flehe ich, verzeiht mir, daß ich jetzt Horburgs Frau bin. Ach, ich bin es nicht mit Freuden geworden; wenigstens nicht mit der Freude, die ich wohl nur geträumt habe. Wo Euer Segen fehlt und Eure Liebe – ach, da kann Eure Colomba unmöglich ganz glücklich sein.
Ich hatte keine Ahnung von Horburgs Plan. Marco brachte Eure Botschaft in's Kloster und wir Alle glaubten sie. Als ich den Wagen wechselte, hatte ich noch kein Arg, denn Horburg sprach mit verstellter Stimme. Erst als er sich zu mir setzte und meinen Namen nannte, erkannte ich ihn und rief:
»Fahren wir zu meinen Eltern?«
»Später, Colomba, später!« sagte er beklommen.
»Nein! sogleich!« rief ich, wollte den Wagen öffnen und herausspringen, denn mich überfiel eine unsägliche Angst; allein er hielt mich fest und sagte, wir gingen nach Florenz, um uns dort auf ewig zu verbinden und dann als Vermählte zu Euch zurückzukehren. Dann würdet Ihr Euch leicht versöhnen lassen. Diese Entführung sei das einzige Mittel, um uns Alle glücklich zu machen, während wir sonst in Trauer und Ungewißheit im besten Fall manches Jahr verlieren, wahrscheinlich aber auf immer uns trennen müßten. Das leuchtete mir zwar ein, doch jammerte ich fort und fort nach Euch, bis Horburg sehr ernst sagte:
»Wohlan! es kann geschehen! aber dann, Colomba, dann sind wir auch auf ewig getrennt. Eine Liebe wie die meinige begehrt Erwiederung und Vertrauen. Ein Weib, das Vater und Mutter lieber hat, als mich, ist meiner Liebe nicht werth.«
Auf ewig von ihm mich zu trennen, vermochte ich nicht. Ich schwieg und weinte – und hoffte, daß wir bald nach Florenz kommen würden. Ich wußte nicht, wie weit das von Rom sei! Wir fuhren ungeheuer rasch; aber die Nacht verging und der Tag verging und wir waren noch immer nicht da. Horburg ließ Wein und Früchte und Brod beim Wechsel der Pferde an den Wagen bringen; aber ich konnte weder essen noch trinken; ich hatte keinen Hunger, keinen Schlaf. Ich glaube, ich hatte Fieber; . . . in der Seele gewiß! – So kamen wir nach Siena. Da änderte Horburg seinen Reiseplan, obschon er die Pferde nach Florenz bestellt hatte. Er ließ sie im Stich und nahm einen Vetturin nach Livorno. Die Spannung, die Ungeduld gaben mir Kraft, um die Ermüdung auszuhalten. Ich sagte ihm, in Livorno müsse er wegen unserer Copulation gleich zu einem katholischen Geistlichen gehen. Er versprach es. Als wir in Livorno ankamen, brach ich zusammen vor Erschöpfung. Ich schloß mich in dem Zimmer, das mir angewiesen wurde, fest ein und fiel in einen eisernen Schlaf. Am andern Morgen ging ich in die Messe, um den lieben Gott zu bitten, daß er mir und Horburg gnädig sein und uns die Herzen meiner vielgeliebten Eltern wieder zuwenden wolle. Das beruhigte mich sehr; ich faßte Muth und Hoffnung. Ich war bis jetzt gar nicht freundlich gegen Horburg gewesen, mochte ihn nicht sehen, nicht hören, nicht ihm die Hand geben; ich fand es grausam, daß er mich so fortschleppte vom Vaterhaus. Aber jetzt, da ich nun bald seine Frau sein sollte, war ich wieder geneigt, sein gewalttätiges Verfahren zu entschuldigen und zu glauben, daß wir einem grenzenlosen Glück entgegen gingen. Dann kam Horburg und holte mich ab. Unterwegs sagte er mir, die katholischen Geistlichen dürften keine Copulation vornehmen, wenn, wie bei uns, ausweisende Papiere und andere Bedingungen fehlten. Er habe aber einen Geistlichen einer andern Konfession gefunden, der aus großer Barmherzigkeit, um jedes öffentliche Aergerniß zu vermeiden, uns copuliren wolle. »Ich gebe mein Ehrenwort,« setzte Horburg hinzu, »daß auch der frömmste Katholik eine also geschlossene Ehe nicht als bürgerlich ungültig betrachtet; – und das ist jetzt für uns die Hauptsache.« Mit beklommenem Herzen mußte ich ihm Recht geben, so bitter leid es mir auch war, keinen Priester bei diesem heiligen Sacrament zu sehen – und in der unfreundlichen Sacristei von ich weiß nicht welcher Kirche ging unsere Copulation vor sich. O meine geliebten Eltern, das war unaussprechlich traurig! . . . ohne Feier, ohne Freude. Hätte ich nur gewußt, wie ich wieder zu Euch kommen könnte, ich glaube ich wäre fortgelaufen, so verlassen, so einsam, so beängstigt fühlte ich mich. Aber nein! ich will nicht lügen! Der Gedanke, Horburg ganz und für immer zu verlieren, war mir so unfaßbar, daß ich meine peinliche Verlassenheit doch lieber aushalten wollte.
Gestern bin ich also vor Gott und mit seinem Segen Horburgs Frau geworden, obschon kein katholischer Priester sich bereit finden ließ, uns zu trauen. Allein ich kann ohne Euren Segen weder Ruhe noch Frieden, weder Freude noch Glück haben. Darum bitte ich auf den Knien, schreibt mir ein Wort des Trostes hieher, Livorno, post. rest. und laßt Gnade vor Recht gehen für Eure Colomba.«
»Welch ein Glück, daß das Gewissen dem armen Kinde keine Ruhe läßt,« seufzte die Mutter; und O'Connor spürte fast ein Gefühl von Freude über die Art der Entführung und über Colomba's Bericht und Stimmung. Nach ruhiger Ueberlegung schrieb er:
»Eltern sind immer geneigt, einem geliebten Kinde Kränkungen zu verzeihen, die es ihnen aus Verblendung zufügt. So geht es auch Deiner Mutter und mir, mein theures Kind. In unsern Herzen ist keine Spur von Zorn oder Groll, sondern nur ein unaussprechliches Weh über den Schritt, zu welchem Du Dich hast hinreißen lassen und dessen sträflichen Leichtsinn Du in Deiner gegenwärtigen Bethörung nicht gehörig würdigst. Eltern müssen immer darauf vorbereitet sein, mehr oder minder durch ihre Kinder zu leiden, denn sie sind bei denselben die Stellvertreter Gottes – und da Gott so vielfach durch uns Alle beleidigt wird, so ist es in der Ordnung, daß auf uns, als Eltern, ein Theil dieser Beleidigungen falle, da wir, als wir Kinder waren, vielleicht unsern Eltern etwas Aehnliches zufügten. Sei also getrost in Beziehung auf Deine Mutter und mich: wir lieben Dich, wir beten für Dich, wir haben für Dich keine andere Gesinnung als die der zärtlichsten Milde und Nachsicht, und wir vergeben Dir vollständig den Schmerz, den Du uns bereitet hast.«
»Aber, mein theures Kind, die schwere Beschädigung, welche Du Deiner eigenen Seele, Deiner im Blut Jesu erkauften Seele zufügtest, indem Du Dich gegen Gottes Gebot verfehltest – können wir Dir nicht vergeben, denn das liegt außerhalb unseres Bereiches. Wir können nur Gott bitten, daß er Deine Schuld an uns strafe; wir können uns nur ihm als Opfer darbieten; – Deine Versöhnung mit ihm mußt Du selbst in Reue und Buße bewirken. Du hast sein heiliges viertes Gebot, an welches er seinen Segen für das ganze Erdenleben geknüpft hat, mit furchtbarem Leichtsinn verletzt; Du hast die jungfräuliche Sittsamkeit, diesen himmlischen Schleier um die Seele des Weibes, gedankenlos zerrissen. Du hast es gethan, um Dich mit einem Manne zu verbinden, den ein einziges Wort bis in's Herz hinein brandmarkt: Apostat; und nachdem Du das Alles thatest, mein armes Kind, und Dich nun für sicher und geborgen hältst, ja sogar für gerechtfertigt – muß ich Dir erklären, daß Deine Ehe ungültig ist, daß Du, wenn Du in diesem Verhältniß bleibst, von der Kirche und ihren Sacramenten Dich trennst und daß Dir keine andere Rettung übrig bleibt, als zu uns, Deinen Eltern, zurückzukehren. Gültig ist eine Ehe nur dann, wenn sie vor dem rechtmäßigen Pfarrer geschlossen wurde. Und da ein Ehebund ein Act des freien Willens ist, eine Entführte aber, so lange sie unter der Botmäßigkeit des Entführers sich befindet, nicht als frei in ihren Handlungen betrachtet werden kann, so erkennt die Kirche mit hoher Weisheit eine solche Ehe nicht als gültig an. Zwei Gründe also machen Deine Verbindung zu einer unehelichen und folglich unerlaubten: erstens hat nicht Dein oder Horburgs rechtmäßiger Pfarrer Deine Verbindung eingesegnet; und zweitens bist Du eine Entführte und dadurch der Freiheit Deines Willens beraubt. Wie sehr Letzteres der Fall ist, geht aus jedem Wort Deines Briefes hervor! überall unterdrückt die Leidenschaft die Stimme des Gewissens; das ist schmachvolle Sklaverei, mein armes Kind – und die Kirche, die jede Art von Sklaverei verabscheut, am meisten aber die sittliche, erklärt eine Person, welche sich in diesem Zustand befindet, für unfähig, das heilige Sacrament der Ehe zu empfangen. Dies ist nicht meine Ansicht, nicht mein Urtheil, sondern das unserer gemeinsamen Mutter, der wir Alle, Du und ich, zu gehorchen haben; – der auch Horburg gehorchen müßte, wenn er sich nicht einen Gott und eine Religion zurechtgemacht hätte, die sich mit seinem Entschluß vertragen, nur seinen Willen als absolutes Recht, – nur seine Ansicht als absolute Wahrheit – nur sein Wohlgefallen als absolutes Gesetz anzuerkennen und zu befolgen. Es ist möglich, daß er bei seinem Abfall nicht klar in seine Beweggründe hineingeschaut habe. Der Hochmuth, die Eigenliebe, die Sinnlichkeit, die Ehr und Selbstsucht, ach alles Böse, das sich so gern in unserer hinfälligen Natur breit macht – Alles wird ihn verblendet haben – aber eine solche Verblendung, unter diesen Umständen und bei diesem Schritt, ist schon sündhaft. Will ich ihn noch so gern entschuldigen, so ist es doch Eines unleugbar und gewiß – Keiner wird ein Abtrünniger, um eine höhere Stufe der Tugend zu ersteigen, wohl aber, um mit möglichst geringer Gewissensunruhe aus einer niedrigeren es sich wohl sein zu lassen. Und einem solchen Mann hast Du Dich für Dein ganzes Leben unterwerfen wollen! und in welcher demüthigenden, das Zartgefühl verletzenden Weise! Du hast ihm bewiesen, daß Du im Himmel und auf Erden nichts Höheres anerkennst, als ihn! daß Du es unmöglich findest, dem Rath Deiner Eltern und der Warnung der Kirche Gehör zu geben! d. h. daß Du es unmöglich fandest, Gott zu gehorchen, der durch diese Stimmen zu Deiner verblendeten, unerfahrenen Jugend sprach. – Du hast also durch die That, durch Deine Handlungsweise gezeigt, daß Deine Seele nicht in der Verfassung ist, um ein so großes, so heiliges Sacrament zu empfangen. Und deshalb, Colomba, ermanne Dich! Fliehe den Mann, der Dich in eine Stellung gebracht hat, die Gott beleidigt und Dich erniedrigt. Kehre zurück zu Deinen betrübten Eltern, die vor Allem wünschen, Deine Seele zu retten. Kein Vorwurf soll Dich betrüben, kein Wort Dich kränken. Wir wollen unsern namenlosen Gram bezwingen und mit unserer Liebe zudecken, wenn Du zu uns, zu Gott, zu seiner Pflicht zurückkehrst. Ermanne Dich, Colomba! wir bitten Gott auf den Knien um Deine Rückkehr, um Deine Rettung.«
Mistriß O'Connor fügte diesen Zeilen einige ebenso zärtliche und ebenso entschiedene Worte bei und der Brief ging nach Livorno.
»Und wenn sie nicht wiederkommt – was dann?« seufzte die betrübte Mutter. »Wenn der Geier unsere Taube in den Krallen behält – was dann? – Können wir – dürfen wir sie ganz fallen lassen? uns ganz von ihr lossagen? sie ohne Zeichen der Theilnahme ihrem schrecklichen Schicksal überlassen? – – Ich vermag das nicht, Reginald! ich werde immer wieder von Zeit zu Zeit an ihr Herz klopfen und ihr die rettende Hand bieten.«
»Sie kommt vielleicht!« sagte O'Connor.
Aber sie kam nicht! Sie empfing und las auf den Knien das Schreiben der Eltern. Dann aber eilte sie schwimmend in Thränen zu Horburg und – fragte ihn, ob sie denn nicht wirklich seine rechtmäßige Frau sei? ob er sie in irgend einer Weise hintergangen habe?
Er schwur ihr tausend Eide, daß sie und nur sie und sie für immer und ewig seine Frau und so rechtmäßig seine Frau sei, als habe ihr Pfarrer in Rom die Einsegnung vollzogen.
»Denn die Assistenz des Geistlichen,« sagte er, »ist nur eine Form, ist nichts Wesentliches. In Frankreich, das doch sehr katholisch ist, schließen eine Menge von Katholiken ohne Priester und ohne kirchliche Zeremonien ihre Ehe und sie ist von der allervollkommensten bürgerlichen Geltung. Kein Mensch bezweifelt auch nur im Allerentferntesten, daß die Zwei ein Ehepaar sind. Bei der etwas übertriebenen Anschauungsweise Deiner Eltern, meine süße Colombella, ist es zu erwarten, daß sie auf die kirchliche Einsegnung der Ehe das größte Gewicht legen werden. Mein Gott! ich hätte mich ja sehr gern von einem katholischen Priester – und gewiß am allerliebsten von Deinem Pfarrer in Rom copuliren lassen. Aber, wer trägt die Schuld, daß es nicht geschah? . . . . sind es nicht Deine Eltern? – Und was ist das für ein seltsamer Vorschlag, daß Du zu ihnen zurückkehren mögest, nachdem Du mir Treue und festes Ausharren in Leid und Freude gelobtest und durch die süßesten und stärksten Bande unauflöslich Dich mit mir verbandest! Sind nicht die Bande der Natur von hoher Heiligkeit? Muthet man einer Mutter zu, sich von ihrem Kinde loszusagen, selbst wenn es ein Verbrechen begangen hätte? Warum denn einem Weibe, den Gatten zu verlassen, weil er, von Liebe hingerissen und durch den Widerstand der Eltern dazu gedrängt, den Schritt that, welchen ich gewagt habe und mit welchem sich Deine Eltern allmälig versöhnen werden, wenn sie sehen, daß Du glücklich bist. Bist Du es aber nicht, Colombella, so gehe zu ihnen zurück . . . ich halte Dich an keiner anderen Kette, . . . als an meiner und Deiner Liebe.«
»Ich kann Dich nicht verlassen . . . ich fürchte mich vor meinen Eltern – oder eigentlich vor der Beschämung, die ich jetzt, ihnen gegenüber, empfinden würde,« sagte sie, indem sie sich an Horburg schmiegte. »Aber unser Glück wird sie versöhnen . . . . das glaube ich fest. Ich vertraue dem Faden der Liebe und Versöhnung, der durch den Brief läuft.«
Sie war eben ein unerfahrenes Kind, ein unentwickelter Charakter – und war in den Brennpunkt einer Leidenschaft gerathen, gegen welche sie gar keine Waffen zu besitzen wähnte, weil sie zu ungeübt in der Verteidigung nach der Seite der Welt hin – und ohne jene Einsicht war, die aus Nachdenken und Erfahrung, von der Gnade erleuchtet, hervorgeht. Der Abfall ihres Mannes vom Glauben kam ihr freilich wie ein großes Unglück vor, – wie wenn Jemand das Unglück hätte, im Finstern von einem Felsen zu stürzen; sie sah ein trauriges Ereigniß, keine Sünde darin. Ist es aber keine Sünde, keine Empörung gegen Gott, der in Bezug auf die christliche Offenbarung zu den Aposteln, den Trägern der Kirche, gesagt hat: »Wer euch hört, der hört mich!« – so ist es auch kein trauriges Ereigniß, sondern ein höchst gleichgültiges, ja im Grunde gar keines. Alle tieferen Beziehungen und höheren Anknüpfungspunkte hören auf, sobald der Mensch aus dem Glauben, der einerseits eine Gnadengabe und andererseits eine christliche Tugend ist, eine individuelle Meinung macht, welche die indifferenteste Sache von der Welt ist. Entweder gibt es keine absolute und objective Wahrheit, die sich in und durch die christliche Glaubenslehre offenbart: – und dann steht es dem Narren wie dem Weisen, dem Lasterhaften wie dem Tugendhaften zu, nach eigenen Normen zu meinen; – oder es gibt eine: dann muß sie, weil sie eben die Eine und Einzige ist, in göttlicher Autorität begründet und bevollmächtigt sein, ihre ewig gültigen Normen dem Weisen wie dem Thoren, dem Tugendhaften wie dem Lasterhaften vorzuzeichnen; und dann tritt der, welcher diesen Normen widersagt, als Empörer wider sie auf. Die Empörung gegen rechtmäßige geheiligte Herrschaft ist Sünde, weil durch sie das Geschöpf dem Schöpfer den Gehorsam aufkündigt.
Colomba dachte jedoch nicht so weit und hoffte, ein so herrlicher Mann wie Horburg werde sich bald auf den rechten Weg zurückfinden. Horburg aber, nachdem er sich versichert hatte, daß Colomba ihn nicht verlassen werde, durchlas O'Connors Schreiben nochmals mit dem Auge der Eigenliebe, und da es den Apostaten ins Herz hinein kennzeichnete, fand er – eine ungeheure Beleidigung darin, so daß sein Stolz ihn geneigt machte, in dieser ganzen Sache keine andere Kränkung zu sehen, als die, welche er empfing.
»Sieh, wie deine frommen Eltern mich hart behandeln und Dich rauh zurückweisen,« sagte er zu Colomba, nachdem er den Brief gelesen; – »desto besser! Du bist nun ganz Mein und hast nichts auf Erden als mich! das ist mir ein unbeschreiblich süßes Gefühl.«
»Nein!« antwortete Colomba in ihrer kindlich natürlichen Weise: »sie prüfen uns nur und weisen uns zurecht, . . . . nicht zurück. Sie werden sich versöhnen lassen.«
»Es kommt mir drollig vor,« rief Horburg lachend, »eine Zurechtweisung zu empfangen. Seit mindestens vierzig Jahren war davon keine Rede.«
»Ich bin nicht so vollkommen wie Du!« sagte sie lieblich. Was ihr die Eltern über die Ungültigkeit ihrer Ehe geschrieben hatten, ging unter vor Horburgs Sophistik . . . Er fing an nachzudenken, was denn jetzt wohl zu beginnen sei. Bisher war sein Leben eine Kette von Aufregungen, von Bewegung der verschiedensten Art, doch stets nach Außen hin, gewesen. Er war jetzt älter geworden, gleichgültiger gegen die Außenwelt; er war durch seine Ehe auch zu einem gewissen Abschluß mit sich selbst gekommen, da er die Notwendigkeit einsah, für eine Familie zu sorgen, wenn er sie gründe. Er war mit seinem Einkommen auf das Jahrgeld des alten Herrnhuters beschränkt. Das Erbe seiner Mutter war kaum genügend gewesen, um frühere Schulden zu bezahlen. Colomba hatte so geringe Bedürfnisse und war so sehr an eine beschränkte Haushaltung gewöhnt, daß sie sich ganz von selbst in ihren neuen beschränkten Verhältnissen heimisch und zufrieden fühlte. Nur aber mußte er mit ihr im Ausland bleiben. Nach seiner Heimath zu gehen, zwischen Verwandten und Standesgenossen zu leben – und nicht so zu leben, wie sein Vater gelebt hatte und wie er selbst hätte leben können, ohne seine törichte Verschwendung – das fiel ihm gar nicht ein. Er beschloß also, sich vor der Hand in Florenz niederzulassen, wo die materielle Existenz außerordentlich leicht und durch die Schönheit der Natur und die herrlichsten Schätze der Kunst höchst angenehm war. In einer kleinen Wohnung am Lungh-Arno, mit dem Blick auf den Fluß und auf die Cypressen drüben im Garten Boboli, verlebte Horburg seine Rosenmonde mit Colomba. Beide fühlten sich sehr glücklich. Sie war ein äußerst bieg- und bildsames Wesen, neu und frisch in allen Dingen, ganz bereit, in ihm ein Orakel der Weisheit und einen Apostel der Liebe zu verehren und glücklich, weil sie ihn wegen seiner Ueberlegenheit bewundern und trotz derselben lieben durfte. Er war glücklich in dem so ganz fremden Genuß einer Häuslichkeit, welcher ein reizendes Wesen süßen Zauber lieh. Indessen konnte er doch nicht ununterbrochen mit Colomba spaziren und in Gemälde-Gallerien gehen; er nahm also seinen früheren Gedanken wieder auf, sich mit schriftstellerischen Arbeiten zu beschäftigen und einen Theil seiner Erlebnisse aufzuzeichnen. Er wählte die Jahre in der Vendée. Es waren die besten in seiner Vergangenheit. Was er am Tage schrieb, las er Abends Colomba vor und entzückte sie. Wie alle jungen frischen Seelen liebte sie heldenhafte Menschen und Thaten.
»Du mußt aber mehr Nachdruck darauf legen, daß das Volk für seine Religion kämpfte,« sagte sie.
»Nein!« erwiderte er; »das würde den Eindruck von wildem Fanatismus machen; – und den muß man vermeiden.«
Das Kapitel der Religion blieb von allen Gesprächen ausgeschlossen. Colomba war viel zu unbefangen, um es absichtlich zu thun; da aber Horburg kein Interesse dafür äußerte, so unterblieb es von selbst. Uebrigens störte er sie gar nicht in ihren frommen Gewohnheiten; sie ging täglich in die Messe; sie hatte ein hübsches Muttergottesbild gekauft, stellte es in ihr Schlafzimmer und ließ jeden Samstag eine Lampe davor brennen; sie verrichtete auf den Knien ihr Abendgebet vor einem Cruzifix; sie that das Alles mit einer Kindlichkeit und Einfalt, die ihren Mann entzückte, so daß er sich der Ansicht zuneigte, die katholische Religion habe etwas Eigenthümliches, um Frauen liebenswürdig zu machen – und das sei kein geringer Vorzug.
Nach einigen Monaten schrieb Colomba ihren Eltern, umging die große Frage der Rückkehr und pries ihr Glück und ihren Mann. Mistriß O'Connor antwortete mit der größten Zärtlichkeit, stellte aber wiederum Colomba's Ehe als eine ungültige hin, drang wiederum auf die Heimkehr der Tochter und fragte, ob Colomba denn nicht zu den Sacramenten zu gehen wünsche. Dies war aber noch gar nicht geschehen! Colomba's Gewissen war eingeschlummert, nachdem sie für ihren Leichtsinn demüthig um die Vergebung der Eltern gebeten und sich mit ihrer Liebe entschuldigt hatte. Jetzt war sie unter die Botmäßigkeit dieser Liebe gerathen und kannte kein höheres Gesetz als das – ihren Mann glücklich zu machen, und keine höhere Aufgabe als die, seine Liebe zu bewahren. Die frommen Gewohnheiten, in denen sie aufgewachsen war, behielt sie bei – als Gewohnheit und weil sie einen von Natur frommen Sinn hatte. Aber wie lange konnte das dauern neben einem angebeteten Mann, dessen eisige Gleichgültigkeit gegen alles Religiöse einen Hauch des Todes über jedes innere Leben mit Gott verbreitete. Es war vorauszusehen, daß Colomba, auf diesem Wege fortwandelnd, mit der Zeit so gleichgültig wie Horburg werden – und da mit der Zeit auch der Rausch jeder Leidenschaft verfliegt – äußerst unglücklich werden mußte.
Dies erkannte sogleich der Priester, zu dem Colomba eilte, um ihrer Mutter mittheilen zu dürfen, daß sie wenigstens Einmal das Sacrament der Buße empfangen habe. Er sah in ihr das arme, verblendete, im Strudel der Leidenschaft berauschte Kind, das sie eben war – und behandelte das schwache Seelchen, das ohne Arg und ohne Falschheit sich offenbarte, nachsichtig genug, um sie im guten Willen und in der Aufrichtigkeit zu erhalten und dann allmälig ihre moralische Kraft zu heben und zu stärken. Er sprach nicht von ihrer Rückkehr zu den Eltern; allein er erklärte ihr ganz einfach, daß die Kirche ihre Ehe mit Horburg nicht als eine gültig anerkenne und zwar aus den Gründen, die ihre Eltern angegeben hatten. Sie müsse bei Horburg darauf dringen, diesen heiligen Act jetzt vorzunehmen, da sie bereits seit drei Monaten in Florenz domicilirt sei und folglich einer Pfarrgemeinde angehöre und einen rechtmäßigen Pfarrer habe. Er selbst, der Pater Generoso, sei gern bereit, die Sache zu vermitteln und so bald wie möglich mit dem Pfarrer zu ordnen. Um alle Bedingungen der Kirche zu erfüllen, müsse sie sich von Horburg trennen, bis sie seine rechtmäßige Gattin geworden sei. Sie werde am Besten thun, sich deshalb in ein Kloster zurückziehen, das er ihr anweisen und wo sie sich auf den Empfang der Sacramente des Altars und der Ehe vorbereiten könne. Erst dann dürfe er ihr die Absolution ertheilen.
Horburg entsetzte sich, als er Colomba zurückkehren sah. Leichenblaß, mit verweinten Augen, mit bebenden Lippen trat sie ein und sagte mit zitternder Stimme:
»Rudolf! wenn Du nicht willst, daß ich im namenlosesten Elend vergehen soll, so erfülle die Bedingung, welche die Kirche macht, um die Rechtmäßigkeit unserer Ehe anzuerkennen. Dich kostet dieser Act nichts, als eine kleine Selbstverleugnung, die Gott Dir lohnen wird. Für mich ist er von der höchsten Wichtigkeit – denn meine ewige Seligkeit knüpft sich daran. Rudolf, erbarme Dich.«
»Beruhige Dich, Colombella,« sagte er zärtlich, »und glaube doch nicht den Worten eines Priesters.«
»Rudolf! das verstehst Du nicht!« rief sie außer sich; »ich glaube an Den, der vom Priester gesagt hat: Wer euch hört, der hört mich. Durch den Priester im Beichtstuhl spricht der heilige Geist! . . . Dem will ich gehorchen.«
Er wollte sie beruhigen, mit Worten, mit Liebkosungen.
»Schweige! rühre mich nicht an!« rief sie und trat einen Schritt zurück; – und dann, auf die Knie fallend, setzte sie hinzu. »O Rudolf, vergib mir! . . . . aber erbarme Dich meiner . . . . vergifte nicht mein Leben und Dein Leben! . . . . Ich habe Dir Alles geopfert . . . . aber meine Seele für die Ewigkeit . . . . nein! die nicht!« –
Horburg erkannte, daß hier der Moment eintrete, wo er nachgeben müsse, wenn er nicht sein Verhältniß zu Colomba unerträglich machen wolle; vielleicht rührte ihn auch die Todesangst ihrer verirrten, aber gläubigen Seele. Er entgegnete mild:
»Sei ruhig, Colombella, ich bin bereit, unsere Ehe, die für mich eben so gültig als heilig ist, in der Weise einzugehen, die man von Dir verlangt. Frage den Priester, was zu thun sei. Ich willige in jede Bedingung ein.
Ganz beseligt eilte sie zu Pater Generoso zurück, besprach das Nöthige mit ihm und begab sich dann sogleich in das Kloster, das er ihr anwies und das die Bestimmung hatte, Frauen aus der Welt eine Zeit der Zurückgezogenheit und geistlicher Uebungen zu gewähren. Inzwischen setzte Pater Generoso den Pfarrer in Kenntniß der Verhältnisse; – und nachdem dieser von Horburg das Versprechen erhielt, seine etwaige Nachkommenschaft in der römisch-katholischen Kirche erziehen zu lassen – und die Versicherung, daß sich Horburg für die nächsten Jahre in Florenz niedergelassen habe – trat der von Colomba heiß ersehnte Augenblick ein: sie empfing das Sacrament der Ehe. Mit dankbarer Freude für diese große Gnade machte sie ihren Eltern diese Mittheilung und bat um deren Segen.
»Wir segnen unser geliebtes Kind,« antwortete ihr Vater; – »was aber Deine Ehe betrifft, so begnügen wir uns, sie der Gnade Gottes zu empfehlen. Wir halten es für unmöglich, daß Du an der Seite eines ungläubigen Gatten glücklich werden kennest. Früher oder später wird der Schmerz Dich heimsuchen und es wird Deine schwere Buße sein, ihn sanft und geduldig zu tragen. Vergiß nicht, daß es Deine höchste Pflicht ist, Deinen Glauben zu bewahren, nach dessen Lehren und Vorschriften zu leben, nicht kalt noch lau zu werden und nicht nachzulassen mit Gebet zur die Bekehrung Deines Mannes. Wir werden das unsrige mit dem Deinen vereinen und Dich immer zärtlich lieben.«
Dieser Zeitpunkt machte einen großen Abschnitt in Colomba's Leben. Sie war zurückgetreten auf den Boden der heiligmachenden Gnade. An dem Licht und an der Kraft, welche ihr dort entgegenströmten, klärte sich ihre Erkenntniß auf und stärkte sich ihr Wille; – und als auch gar bald der Schmerz mit seiner läuternden Weihe hinzu kam, reifte mehr und mehr ihre Seele und die irdische Leidenschaft wurde allmälig eine heilige Liebe.
Sie empfing von nun an häufig das Sacrament der Buße. Als sie eines Tages strahlend von innerer Zufriedenheit aus der Kirche kam, rief sie beseligt:
»Ach Rudolf! wie gut ist Gott! Er hat mir alle meine Sünden vergeben!«
»Natürlich!« sagte Horburg.
»Nein!« rief sie; »das ist gar nicht natürlich! Menschen vergeben nicht einmal immer, wenn sie beleidigt wurden . . . . und der große Gott thut es!«
»Armes kleines Geschöpf!« sagte er halb zärtlich und halb spöttisch – »Du hast also Gott beleidigt und Sünden begangen?«
»Ach leider, ja . . . und Du auch« – sagte sie und faltete betrübt die Hände.
»O Du Taube an Einfalt! Du Colombella Du!« rief Horburg mitleidig: »wenn Du ein Geschöpf Gottes bist, wie Du glaubst es zu sein, so gehen Deine Sünden aus dem Wesen hervor, das Gott Dir gegeben hat. Dann bringst Du nur die Keime zur Entfaltung, die er in Dich legte; da kann von keiner Beleidigung die Rede sein. Er muß vergeben, was er veranlaßt hat.«
Colomba legte die Hand auf seinen Mund und rief.
»O schweige doch und unterrichte Dich besser! Gott gibt uns die Gnade, um das Böse, das in unserer Natur liegt, zu bekämpfen und abzutödten. Verschmähen wir sie, so sind wir böswillig und ungehorsam.«
»Welche unnütze Complication, mein armes Kind! Man erkennt deutlich, daß sie nicht aus göttlicher Weisheit hervorging! Die hätte den Menschen so geschaffen, wie sie ihn haben will, sei es vollkommen, sei es unvollkommen; – nicht aber ihn in einen Zwitterzustand versetzt, wo ihn die Gnade rechts – und die Natur links zieht und der unversöhnliche Zwiespalt Beider ihn elend macht. Ein solches Verfahren ist der göttlichen Weisheit ganz unwürdig . . . . denn die muß wissen, was sie will. Und das ist eben der Grund, weshalb ich nicht an die Welterschaffung und Weltregierung durch göttliche Weisheit glauben kann. Das Christenthum stellt in zahllosen Variationen seine Hypothesen über diesen Punkt auf; der Islam thut dasselbe; der Buddhismus auch; – alle Völker des Vor-Christenthums haben es ebenso gemacht. Alle arbeiteten am Faß der Danaïden . . . . und unverrückt steht die Menschheit auf der Stelle, wo vor Jahrtausenden die alten Pelasger standen, als sie auf einen Stein schrieben: Dem unbekannten Gott.«
»Wir haben Gott durch und in Christus kennengelernt,« entgegnete Colomba.
»Ja, Kind, ich weiß wohl, daß das Christenthum dies lehrt; aber wo ist die Beglaubigung dafür?«
»In der Kirche!« entgegnete sie.
»Nun und die Beglaubigung für die Kirche?«
Die arme Colomba, die in ihrem Leben keine Controverse geahnt, viel weniger geführt hatte, wußte weder die äußeren noch die inneren Zeugnisse dafür anzuführen, so daß ihr Mann gelassen hinzusetzte:
»Du siehst, wie die Sache in sich selbst zerfällt. Mit der Zeit wirst Du darüber zur Einsicht kommen. Aber einstweilen glaube Du immerhin das, was Dich glücklich macht.«
Dies war das erste religiöse Gespräch, das Colomba mit ihrem Mann führte. Es warf einen Schatten – auf ihren Glauben, wenn er Recht, auf ihr Glück – wenn er Unrecht hatte.
Tage reihten sich an Tage, wurden zu Monaten, wurden zu Jahren – und Jahre vergehen! Horburg lebte noch immer in Florenz. Er hatte seine »Erlebnisse in der Vendée« nach Deutschland geschickt und dort drucken und in den Buchhandel übergehen lassen.
Sie gefielen; – und das gefiel ihm. Sein Feldzug in Spanien bot ihm einen neuen interessanten Stoff. Er durchlebte auf diese Weise die besten Momente seines Lebens und gab Darstellungen von Ländern und Völkern, Zuständen und Verhältnissen, welche damals sehr wenig in Deutschland bekannt waren. Colomba hatte ihm einmal die Frage gestellt:
»Fällt es Dir nicht auf, daß zwei so durch und durch gläubig katholische Länder, wie die Vendée und Spanien, mit einer so unüberwindlichen Energie für ihre Freiheit kämpften? Für Freiheit des Thrones und der Kirche gegen revolutionären Terrorismus – die Vendée, für Freiheit des Vaterlandes gegen Fremdherrschaft – Spanien; und Beide mit so unerhörter, beharrlicher Begeisterung. Das im Glauben vergiftete Frankreich hingegen und das im Glauben zerrissene Deutschland leisteten weder dem Terrorismus noch der Fremdherrschaft Widerstand – während er bei dem gläubigen russischen Volk zur Feuersbrunst von Moskau aufflammt. Es muß also der religiöse Glaube etwas sein, das zu hohen Thaten begeistert.«
»Gewiß!« sagte Horburg gleichmüthig; »denke nur an den Islam. Der Muselmann trug den Koran auf der Spitze seines Schwertes durch drei Welttheile.«
»Eroberungen sind keine Großthaten, so wenig wie Räuber Helden sind,« sagte Colomba.
Sie war nicht mehr das Kind, das sie vor fünf Jahren war. Ihr Charakter, ihr Verstand waren gereift, ihre Einsicht entwickelt, ihr Urtheil gebildet. Das Alles hatte sie einem Mann zu danken, mit welchem die Hand Gottes sie zusammengeführt hatte. Diesen Mann sah sie nie in ihrer Wohnung, nie in der Gesellschaft, nie in den Verhältnissen und Umgebungen des alltäglichen oder des freundschaftlichen Verkehrs. Ueberhaupt sah sie ihn eigentlich nie; – aber sie sprach ihn alle acht bis vierzehn Tage Einmal, etwa eine Viertelstunde im Beichtstuhl der Kirche von Santa Maria Novella, welche von Dominicanern bedient wird. Pater Generoso gehörte diesem Orden an und Colomba hatte eine besondere Theilnahme für denselben, weil ihr Bruder Reginald Dominicaner – und dessen Kirche von S. Clemente in Rom täglich von ihr besucht worden war. Diese fromme Erinnerung hatte sie, auf die Mahnung von Mißtriß O'Connor, nach Santa Maria Novella – und die ewigwache Barmherzigkeit Gottes zu Pater Generoso geführt, der sein Leben im Beichtstuhl, im mühsamen, aufreibenden, heiligen Dienst der Seelen zubrachte. In seiner tiefen Demuth war er so leer von sich selbst, so abgetödtet in seinem Ich, daß alle Gaben des heiligen Geistes bei ihm einkehren, in ihm walten und durch ihn auf Andere wirken konnten. Er war also ein vollkommener Beichtvater und Seelenführer – und er brachte Colomba's junge Seele, die so ganz aus dem Gleichgewicht gekommen war und irre ging, wieder in ihre wahre Richtung – auf Gott! und indem er ihr Herz für die Ewige Liebe und ihr Auge für die Ewige Wahrheit öffnete, entwickelte sich unter dem Einfluß dieses übernatürlichen Sonnenlichtes langsam und nach und nach das schwache Kind zum starkmüthigen Weibe. Wie er das machte, was er sprach, was er ihr rieth – das gehört dem Gnadengeheimniß an, dessen Gott sich bedient, um Seelen an sich zu ziehen. Bei einer solchen Seelenerziehung kann man nur sagen: »An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen.«
Colomba's Rosenmonde verschwanden, weil es das Schicksal aller Rosen ist – zu verblühen. Sie begriff das nicht. Sie hatte geglaubt, ein leidenschaftliches Gefühl behalte stets dieselbe Intensivität und das Feuer derselben verbürge ihre Dauer. Nun nahm sie nicht bloß bei Horburg ein gewisses Sinke der Flamme wahr, sondern auch bei sich selbst. Sie empfand zuweilen ein leises Ungenügen, eine Leere, die ihr unerklärlich waren, denn sie liebte ja ihren Mann und er liebte sie – und war die Liebe denn nicht allgenügend? – Auch ein Gefühl von Vereinsamung schlich bisweilen an ihr Herz heran. Sie hatte freilich auch bei ihren Eltern von der Welt zurückgezogen gelebt; aber einerseits verstand die Zärtlichkeit der Eltern, sich theilnehmend zu ihrem kindlichen Sinn voll kindlicher Freuden und Gedanken herabzulassen – andererseits erhielt das ganze häusliche Leben durch den sanften und warmen Hauch gläubiger Frömmigkeit eine überaus innige und kindliche Färbung – endlich bilden die zahlreichen kirchlichen Feierlichkeiten Roms in ihrer tiefsinnigen Erhabenheit und ihrem mystischen Glanz einen beständigen Festkranz, der den Einzelnen und Alle umschlingt und verbindet und der für Colomba Freude, Zerstreuung und Genuß gewesen war. Diese drei Dinge fehlten in ihrer Ehe. Horburg verstand durchs nicht, sich zu ihrem unentwickelten Wesen herabzulassen. Er fand sie reizend, anmuthig und schön, wenn er eben in der Stimmung war, sich diesem Zauber hinzugeben, und dann entzückte ihn ihre sorglose Einfachheit und ihre Unkenntniß von Welt und Menschen und Leben; allein diese Stimmung hielt nicht an, wechselte, trat endlich in dem Maß in den Hintergrund, als Horburg sich mehr und mehr an Colomba's Art gewöhnte. Da das häusliche Leben nicht im Glauben gegründet war, so stand sie in demselben traurig allein und dies Alleinstehen entfernte sie auch von dem öffentlichen christlichen Leben, das ein Bedürfniß des Menschen ist, dem die Kirche mit ihren Festen so glücklich und weise entspricht. Ja! sie fühlte sich einsam – und begriff auch das nicht! – War denn Rudolf nicht da? – Sie hatte von einem Menschen ein vollkommenes Glück erwartet: sie mußte jetzt nach und nach von dieser doppelten Täuschung erwachen. Tritt dieses Erwachen bei einer Seele ohne festen Glauben und ohne jene Grundsätze ein, die auf demselben beruhen, so ist das der gefährliche Punkt, wo sie verzweifelnd oder leichtsinnig in die Schlingen des Bösen fallen kann. Wird aber nun der Glaube ihr Führer, so betritt sie den innern Kreuzesweg . . . . und da ist sie geborgen – nicht vor dem Leid, nicht vor Kämpfen und Stürmen, nicht vor Desolationen und Thränen, nicht vor bittern Myrrhen und scharfen Dornen; aber vor dem Untergang. Das ist die Kraft des »Mysterium crucis.« Sie bewährte sich an Colomba.
Seit fünf Jahren hatte sie ihre Eltern nicht gesehen, war aber immer im traulichsten Briefwechsel mit ihnen geblieben. Von Seiten Horburgs erfolgte keine Annäherung. In seinen Augen war O'Connor ein wilder Fanatiker – und Colomba's Entführung längst gesühnt durch ihr Glück: folglich war er im Recht, war er der Beleidigte, war es nicht an ihm, die Hand zur Versöhnung zuerst zu bieten – viel weniger eine Bitte um Vergebung auszusprechen. Jetzt schrieb Mißtriß O'Connor, daß ihr Mann an einem zehrenden Fieber hoffnungslos erkrankt sei, seinen Zustand kenne und Horburg bitte, Colomba auf einige Tage nach Rom reisen zu lassen. Sie gab schweigend den Brief an ihren Mann. Er las ihn und sagte:
»Sieh, wie er unversöhnlich ist . . . . Dein Vater! nur Dich will er sehen.«
»Um das Sterbebett des katholischen Christen lebt und webt die Kirche mit ihren Sacramenten, ihren Gebeten, ihren Gnaden, ihren Priestern, lieber Rudolf,« sagte Colomba. »Wie kann mein Vater Dich dazu einladen?«
»Und das soll etwas Heiliges sein, was die Menschen so scheidet!« rief er bitter.
»O nein!« erwiderte sie ernst, »das Unheilige scheidet. Nicht mein Vater schließt Dich aus von seinem Sterbebett: Du selbst hast es gethan.«
»Wann möchtest Du abreisen?« fragte er nach einer Pause; – »bald . . . nicht wahr?«
Dankbar und in Thränen lächelnd sah sie ihn an. Die Vorbereitungen zur Reise waren bald gemacht. Horburg begleitete Colomba bis Siena; dann reiste sie allein gen Rom. Das war der Weg, den sie vor fünf Jahren in entgegengesetztester Richtung mit Horburg zurückgelegt hatte. Wie anders . . . . damals – jetzt!
Als sie die Kuppel von St. Peter wie ein Gebirg am Horizont der römischen Campagna aufsteigen und mehr und mehr hervortreten sah, durchbebte ihr Herz eine Freude, welche man nur die katholische nennen kann; denn diese Kuppel ist eine Lapidarschrift jenes Wortes, das der menschgewordene Gott für alle Zeit gesprochen hat: » Tu es Petrus Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen!.« Und die Freude verwandelte sich in bittern Schmerz bei dem Gedanken, daß ihr Mann das Wort des Herrn verachtet und die Kirche verlassen habe, die Er auf Petrus gründete.
Ein ähnliches Gemisch von Wonne und Schmerz bereitete ihr das Wiedersehen der Eltern. O'Connor war im letzten Stadium der Krankheit, aufgerieben vom Fieber, zum Skelett abgemagert, jedoch so versenkt in den Willen Gottes, daß ein eigentümlich liebevoller Blick seines großen schwarzen Auges immer auf dem Bilde des Gekreuzigten am Fußende seines Bettes ruhte. Er konnte nur mit schwacher Stimme und abgebrochenen Worten reden, als aber Colomba an der Hand ihrer Mutter eintrat, wendete er den Blick auf sie und breitete ihr die Arme entgegen.
»O mein Vater! wie war es möglich, daß ich diese theure Stätte verlassen konnte!« rief Colomba in heftigster Aufregung neben ihm auf die Knie fallend und bedeckte seine Hände mit Thränen und Küssen.
Er winkte ihr aufzustehen und betrachtete sie so durchdringend, als wolle er ihr Bild seiner Seele einprägen. Wie schön war sie geworden! wie geistig edel sah sie aus!
»Der Schleifstein des Kreuzes that sein Werk an meinem Kinde. Sei gepriesen, o Herr!« sagte er mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Wehmuth und Triumph. – »Es glaubt, es wird Buße thun und Du wirst es retten aus dem Feuerofen Babylons, in welchen es gestürzt ist.«
»Buße für ihn und für mich!« flüsterte Colomba.
»So ist's Recht!« sagte O'Connor; »Reue versöhnt und erstürmt den Himmel.«
Er wurde immer matter; die große Freude hatte ihn erschöpft und er konnte nicht sprechen; aber sein Auge ging von Colomba zum Christusbilde und wieder zurück; er stellte sie in den Schutz des Kreuzes. So lebte er noch einige Tage, immer in der innigsten Vereinigung mit Gott und voll innigster Liebe zu den Seinen, die er zuweilen mit wenig Worten auf das selige Wiedersehen in der Anschauung Gottes hinwies und vertröstete. Einmal fragte er Colomba:
»Ist keine Hoffnung?«
»Sie verstand ihn nur zu gut und sagte traurig:
»Nach menschlichen Ansichten . . . . keine.«
»Bete . . . . harre aus . . . . auf der Via dolorosa;« – er bot ihr die Hand. Sie gab ihm die ihre und sagte fest:
»Bis in den Tod . . . . weil es ein Kreuzesweg ist.«
»Tochter meiner Seele!« sagte O'Connor und sein Auge leuchtete.
Reginald besuchte häufig das Vaterhaus. Er war seit mehreren Jahren Priester und im Begriff, als Missionär nach Irland zu gehen, wo O'Connel bereits daran arbeitete, das gemarterte Volk von den ersten und schwersten Ketten bürgerlicher und religiöser Sklaverei zu befreien. Aber O'Connor sollte den Trost haben, seine beiden Kinder an seinem Sterbebett zu sehen und aus der Hand seines Sohnes den Leib des Herrn zu empfangen. An einem schönen Spätsommerabend, als die Sonne, dem Untergang nah, nur noch die höchsten Wipfel der Cypressen im Garten anglühte, wie wenn eine Flamme aus einem Aschenhaufen bricht – da winkte O'Connor seine Frau zu sich heran und sagte ihr ein Paar leise Worte, die sie mehr mit dem Herzen, als mit dem Ohr verstand. Sie reichte ihm ein indulgenzirtes Sterbekreuz und sagte zu ihrem Sohn:
»Der Herr ruft seine Seele! Bete unsere Lieblings-Litanei, Reginald.«
Mutter und Kinder knieten nieder, Reginald begann die Litanei vom süßen Namen Jesu – und als er die Worte sprach: »Jesu, du wahres Licht!« da schlossen sich O'Connor's müde Augen auf immer für das Erdenlicht; die Sonne verschwand vom Gipfel der Cypressen und der Abendwind flüsterte durch das stille, dunkle Gezweig. Eine Seele floh aus dem Aschenkleide und der Hütte von Staub zur ewigen Heimath. Es senkte sich ein wunderbarer Friede, vor dem die irdische Klage verstummte, auf die Zurückbleibenden; – – – aber dann fuhr ein schneidendes Schwert durch Colomba's Herz und mit dem Seufzer:
»O seliger Tod im Schooß der heiligen Kirche!« – – sank sie bewußtlos in die Arme ihrer Mutter.
Sie blieb noch einige Zeit in Rom. Reginald reiste ab – vielleicht für immer.
»Du hast Dich dem Dienst Gottes und der Seelen geweiht,« sagte Mißtriß O'Connor gefaßt; – »ziehe denn hin als treuer Diener eines so guten Herrn und erringe Dir die Krone des ewigen Lebens, mein einziger Sohn. Dir ist das Loos auf's Lieblichste gefallen. Zeige Dich desselben würdig. Keine Mutter kann etwas Höheres wünschen für ihr geliebtes Kind.«
Er zog dahin, ein reiner Glaubensbote, zum Lande seiner Väter, wo ein Volk ihn empfing, das den Ausruf des Propheten versteht: »Wie schön sind die Füße der Friedensboten.« Er brachte diesem Volk den höheren Frieden, den der christliche Glaube verheißt und gewährt.
Mißtriß O'Connor blieb in ihrem Häuschen und nahm eine englische Convertitin zu sich, die von ihrer Familie verstoßen, hülflos in Rom znrückgeblieben war. In dieser Weise tröstete sich Mißtriß O'Connor in all den bittern Trennungen von ihren Lieben. Als aber der Abschied von Colomba kam . . . . brach die Kraft ihrer starken Seele zusammen. Von dem geliebten Gefährten ihres Lebens – von dem einzigen Sohn ihres Herzens und ihres Hauses konnte sie scheiden in frommer Ergebung, denn Beide waren da, wo und wie Gott sie haben wollte. Aber Colomba! – – Mißtriß O'Connor hatte nur zu gut erkannt, daß Colomba nicht glücklich sei. Horburg liebte sie sehr, aber ohne Verständniß ihres innersten Wesens, das nach und nach wie eine Rose aus der grünen Knospe hervorbrach. Ihre unschuldige Kindlichkeit hatte ihn bezaubert; ihre fremdartige und weltfremde Erscheinung ihn gefesselt; sie ruhte ihn aus von dem verwirrten und irren Treiben seiner Vergangenheit. Aber der Entwickelung ihrer Seele folgte er nicht und die Liebe, die auf Erden verbindet, um für den Himmel zu heiligen, kannte er nicht. Er blieb in der natürlichen Liebe stehen und die genügte ihr nicht mehr. Sie hatte die volle Wucht der Erkenntniß zu tragen, was das sei: eine Ehe, deren bestimmender Grund blinde Neigung war, welche kein höheres Motiv und keine Gnade kannte. Und sie hatte eine noch schwerere Wucht zu tragen: der Schmerz um eine Seele, die Gott verleugnet. Berührte Colomba diese wunden Stellen auch nur gerade so viel, um ihrer Mutter kindliches Vertrauen zu beweisen: so genügte das vollkommen für Mißtriß O'Connor, um einen Blick in die herbe Schule zu werfen, durch welche Colomba's Leben ging. Und würde sie dazu die Kraft bewahren? würde sie nicht nach zehn, nach zwanzig Jahren lau und gleichgültig gegen Gott und den Glauben werden – sei es, um sich in Harmonie mit ihrem Mann zu setzen – sei es, weil in der Intimität der Ehe die geistige Ansteckung gar schwer zu vermeiden ist. Oder konnten nicht andere Gefahren sie bedrohen? sie stand in der vollen ersten Blüthe der Jugend und Schönheit, während Horburg fast fünfzig Jahre zählte; konnte ihr vereinsamtes Herz nicht den Schwung zu Gott verlieren und sich einem anderen Herzen zuneigen? – Welch ein Meer von Sorgen für eine treue Mutter!
»Was fesselt Euch an Florenz? kommt nach Rom,« sagte sie zu Colomba.
»Horburg hat in Florenz Gesellschaft gefunden, die ihm zusagt,« entgegnete Colomba; »unterrichtete Männer, wissenschaftlich gebildete Männer bieten ihm einen mannigfaltigen Verkehr und Austausch der Gedanken – und er sagt, er bedürfe das für seine literarischen Arbeiten.«
»Und könnte er nicht in Rom dasselbe finden?«
»Er findet Roms geistige Atmosphäre allzu exclusiv,« sagte Colomba verlegen und setzte zögernd hinzu: »Er fühlt, daß ein trauliches Familienleben zwischen ihm und den Meinen unmöglich ist.«
»Dein armer Vater und Reginald haben uns verlassen,« entgegnete Mistriß O'Connor mit tiefer Wehmuth. » Meine Vorwürfe fürchte Horburg nicht!«
»O meine Mutter!« rief Colomba; »ich glaube, er würde weniger Deine Vorwürfe als Dein Schweigen fürchten. Er will nicht mit Großmuth behandelt sein, weil darin eine Ueberlegenheit liegt.«
»Kind!« sagte Mistriß O'Connor, »dann bleibt mir nichts übrig als den lieben Gott zu bitten, daß er Dein Herz an Sein heiliges Kreuz annagele. Nur da bist Du mir sicher genug.«
»Thue das, geliebte Mutter . . . . und Gott wird Dich gewiß erhören,« sagte Colomba sanft und zärtlich.