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Zweiter Akt

Park bei Wiegands Landhaus.

Es ist eine Art von Waldlichtung. Rechts und links ansteigende Hügel mit Büschen und Bäumen flankieren einen flachen Kessel, dessen Mittelpunkt eine halb verfallene, schwach plätschernde Marmorfontäne bildet.

Den Hintergrund schließt in sanft geschwungener Linie das Ufer des Sees ab. Links hinten, mit der Front gegen die Fontäne steht ein großes Leinwandzelt in der Art der Jahrmarktsbuden. Rechts hinten, dem Zelte gegenüber, ein alter verwitterter Turm, der auch als Wohnung dient. Daneben befindet sich ein niedriges Bootshaus mit nicht sichtbarer Anlegestelle.

Eine Aussichtsbank steht ganz vorne rechts auf der Anhöhe. Ein Waldweg führt von rechts her an der Bank vorbei mit Stufen und Treppen in die Lichtung hinunter und setzt sich, an der Fontäne vorüberleitend, nach links hinauf zwischen dem Zelt hinten und einer verwachsenen Laube, ganz vorn links, ins Dickicht fort. Dieser Weg ist die Verbindung zwischen der Lichtung und dem Wiegandschen Landhaus, das rechts in größerer Entfernung zu denken ist.

Ein paar bemooste Marmorfiguren. stehen rechts und links am Rand des Gehölzes sowie hinten am Seeufer. Eine vierfach geteilte Steinbank umgibt das Bassin der Fontäne.

Die ganze Szenerie trägt einen verwachsenen und verwilderten Charakter. Nach hinten geradezu und rechts hinüber, schweift der Blick über die unabsehbare Wasserfläche des Sees. Nur links hinten, vom Zelt halb verdeckt, zeigen sich jenseitige Uferberge.

Es ist eine Woche nach dem ersten Akt, am Nachmittag des Johannistages. Kreuz und quer über den Platz weg sind von Baum zu Baum Stricke gespannt, an denen bunte Lampions befestigt sind.

Auf der Steinbank der Fontäne im Mittelgrund sitzen und lehnen in zwangloser Gruppe Dräger, Rasumoff, Marquardt mit etwa fünf, sechs andern Mitgliedern der Gemeinschaft. Dräger ist dünn, nervös mit rötlichem Spitzbart, Ende zwanzig. Rasumoff, pockennarbiger, wildhaariger, schwarzbrünetter junger Russe. Marquardt vierschrötig, ungelenk, Typus des intelligenten jungen Handwerkers. Spaten, Hacken und sonstiges Arbeitszeug liegen zu Füßen der Sitzenden. Vor der Gruppe steht Dubsky in der Haltung eines, der soeben gesprochen hat.

Rasumoff zu Dubsky Bravo, Brüderchen! Das ist es! Hat wer Geld, soll geben! Hat wer kein Geld, soll nehmen! Werd' ich mich nicht schämen, Hand aufzuhalten! Fühl' ich mich überall wie zu Hause, wo immer ist! Meine Heimat die Welt! Freie Männer wir alle! Und freie Weiber erst recht!

Stimmen aus der Gruppe Sehr richtig! Rasumoff hat recht!

Dubsky Die Herren werden mir bestätigen können, daß ich mich hier stets als Vorkämpfer der Intelligenz gegenüber dem Geldsack gefühlt, daß ich das Weltkriechen vor warmem Kalbsbraten, Roastbeef und Schinken in Brotteig nie mitgemacht habe. Er hält inne, horcht nach rechts Still! Hört man nicht Schritte?

Dräger nach einem Augenblick Nein, es war nichts.

Dubsky Es wäre fatal, wenn man überrascht würde. Er sieht sich unbehaglich um.

Marquardt Weil grade von Kalbsbraten ist gesprochen worden, ich sag' ganz offen, daß mir's bei Wiegand und seiner Frau immer verflucht gut geschmeckt hat, so wahr ich Hans Marquardt heißen tu'!

Dubsky zähnefletschend Es klagt dich auch kein Mensch deswegen an, mein lieber Marquardt.

Marquardt schlägt mit der Faust auf die Steinbrüstung Das wollt' ich auch keinem geraten haben! Ich bin man 'n einfacher Tischler gewesen. Durch Wiegand bin ich hierher auf die Insel gekommen, er hat mir die Mittel gegeben, daß ich mich im Kunstgewerbe hab' ausbilden gekonnt, und so bin ich was geworden und steh' ganz anders da. Soll ich nu vielleicht lügen und sagen, ich bin Wiegand keinen Dank schuldig? Hä?

Dräger schnarrend Es kommt doch alles darauf an, ob man die Leistungen Wiegands gegen unsere Gesellschaft hier als eine Art von Wohltat oder als selbstverständliche Verpflichtung anzusehen hat. Ich meinerseits stehe natürlich auf letzterem Standpunkt.

Dubsky Ich halte deine Ausführungen juristisch für sehr lichtvoll, mein lieber Dräger.

Dräger Wie ist Wiegand in den Besitz der Insel hier gelangt? Durch einen Zufall! Nämlich durch Erbschaft!

Stimme aus der Gruppe Erschlichen!

Marquardt Das ist gelogen, behaupt' ich! Wer sowas sagen tut, derjenige soll's auch beweisen! Oder, meiner Seel', so einer ist für mich ein ganz gemeiner Schuft! Schweigen in der Gruppe.

Dräger schnell einfallend Über die Mittel, denen Wiegand seine Erbschaft verdankt, wollen wir hier nicht weiter sprechen. Nehmen wir an, es war der Zufall. Gut! Hätte der Zufall nicht ebensogut einem andern unter uns passieren können?

Stimmen Sehr wahr! Sehr richtig!

Dräger Und hätte dann nicht jeder von uns mit dem geerbten Geld eine Insel der Seligen begründen können?

Dubsky Auch das ist ungemein tiefsinnig, mein lieber Dräger!

Dräger Ergo, was folgt? Die Insel hier und alles, was drauf und dran ist, gehört nach Naturrecht ebensogut uns wie Wiegand. Wir sind die rechtmäßigen Mitbesitzer ...

Dubsky hat mehrmals nach rechts gehorcht, unterbricht Dräger Entschuldige, lieber Dräger! Diesmal sind es unbedingt Schritte und Stimmen. Ich würde dringend raten, sich zurückzuziehen. Ich habe keine Lust, jetzt einen Skandal mit Bruno Wiegand zu provozieren. Man hört von rechts her ferne Stimmen sich nähern.

Ein Mitglied Ja, wollen gehen! Wollen gehen! Alle erheben sich, nehmen ihre Gerätschaften auf.

Marquardt Das kommt davon, wenn man sowas hinter dem Rücken von jemand bereden tut! Wie ein Dieb in der Nacht muß man ausreißen!

Dubsky der mit Dräger schon rechts hinten ist, dreht sich um Beruhige dich, lieber Marquardt! Es ist ja ohnehin bald die Stunde des täglichen Wassertragens laut Anordnung unseres hohen Präsidenten. Ich werde mich meiner Distelkultur widmen gehen.

Erster Inselgenosse zum zweiten Was machst du? Ich hab' im Weinberg zu tun.

Zweiter Inselgenosse Ich will mal sehen, wie's mit meinen Mohrrüben steht Sie gehen nach rechts hinten.

Dubsky sich zu den Mitgliedern zurückwendend Ich danke den Herren für das Interesse und bitte um strenge Diskretion. Vielleicht findet sich bei der Festivität heute abend Gelegenheit, die Frage zum Austrag zu bringen. Alle rechts hinten ab.

Gleich darauf erscheinen auf der Anhöhe rechts vorn Lothario, Marcipansky und Lamormain, schwer bepackt mit Rucksäcken und Dekorationsstücken. Lothario ist groß, vornübergebeugt, fidelbogenartige Figur, gelichtetes Haar, unrasiertes Gesicht, vernachlässigte Garderobe mit Resten von Eleganz. Marcipansky ist klein, ältlich, kugelrund, Kopf kahl wie eine Kegelkugel. Lamormain blutjung, hohlwangig, glattrasiert. Alle drei steigen von der Anhöhe rechts den Waldweg in die Lichtung hinunter.

Lothario zeigt nach dem Leinwandzelt links hinten Wir sind am Platz, Genossen meiner Schmach! Dort die Zinnen unseres Festspielhauses!

Marcipansky wischt sich den Schweiß von der Stirn Hol' dich die Pest, Direktor! Der berühmteste Falstaff zweier Welten muß Dekorationen und Kulissen schleppen wie der gemeinste Packesel! Man zeige mir den Kontrakt, der mich zu sowas erniedrigt!

Lothario Man zeige mir den Mann, der mir auf der Stelle tausend Mark pumpt, und ich verspreche euch ein Leben, Kinder, daß die Mitglieder der hochnäsigen Hoftheaterschmiere sich wie die Bäckergesellen gegen euch vorkommen sollen! Ist es mir vielleicht an meiner gräflichen Wiege gesungen worden, daß ich nochmal Requisiten persönlich über Land transportieren würde? Auf, Kinder!

Lamormain sieht nach der Uhr Ja! Mit der Probe hat es jetzt wirklich Eile.

Marcipansky Mit Proben hat es nie Eile. Die Vorstellung ist ja erst am Abend. Ich wette ein Sektfrühstück gegen einen Hosenknopf, daß Lamormain seine Rolle schon wieder am Schnürchen hat.

Lamormain Ja, ich lerne immer nachts. Da lernt sich's am leichtesten.

Lothario Rollen lernen? Wird das immer noch gemacht?

Marcipansky Von wem ist denn eigentlich das Festspiel? Wie heißt das Schwein?

Lamormain Das ist doch wirklich unerhört! Es ist von einer Dame!

Marcipansky Um so schlimmer! Er hat seine Rolle vorgezogen Moritura heißt das Schwein! Ich wußte ja, es war ein polnischer Name. Sie sind währenddes nach links hinten gelangt.

Lothario Kommt, Kinder, wollen mal zuerst die Bühne zurecht machen! Unsern Theatermeister haben wir zu Hause gelassen. Der Mann hat dreizehn lebendige Kinder zu versorgen. Alle drei treten in das Leinwandzelt links hinten ab.

Auf dem Waldhügel zur Linken erscheinen Hedwig Bauer und Lanzinger. Lanzinger ist Mitte zwanzig, schmal, dekadent, mit müden Bewegungen, elegant angezogen.

Hedwig die Lanzinger um ein paar Schritte voraus ist, als wolle sie nichts mit ihm zu tun haben, dreht sich brüsk um, mustert ihn von oben bis unten Dann sind das wohl auch schon die Früchte der berühmten Erbschaft?

Lanzinger mit Blick an sich herunter Der neue Sommeranzug? Ja, er sitzt ausgezeichnet. Auch das matte Oliv steht sehr rund zu meinem Ton.

Hedwig ist in die Lichtung hinuntergestiegen, bleibt an der Fontäne stehen Früher brauchte man sich wenigstens nur über deine auffallenden Krawatten zu ärgern.

Lanzinger Ist es meine Schuld, daß meine Tante nicht eher gestorben ist? Jetzt wo sie glücklich erledigt ist ...

Hedwig Fünf Tage liegt sie unter der Erde!

Lanzinger Ja, jetzt mach' ich ernst. Mit den Krawatten hab' ich angefangen. Jetzt geh' ich auf den ganzen Menschen.

Hedwig Und der Geck und Reaktionär ist fertig! Pfui Teufel!

Lanzinger Liebes Kind, jedes Wesen hat die ihm innewohnende Idee zu verwirklichen. Meine Idee ist ...

Hedwig Zur komischen Figur zu werden!

Lanzinger besieht seine Fingernägel Wenn das meine Idee wäre, so ließe sich auch nichts dagegen tun. Wer fragt denn das Weberschiffchen, das sich abspult, ob es ihm Spaß macht?

Hedwig Das heißt also, es ist ganz gleichgültig, ob man Raubmörder wird oder Spinoza?

Lanzinger So ist es! Der Raubmörder würde vielleicht auch gern Spinoza werden. Schon weil es bequemer ist. Aber seine Idee läßt es nicht zu. Seine Idee zwingt ihn. So geht meine Idee auf die volle Kongruenz der inneren und der äußeren Individualität. Der Sommeranzug, über den du dich so sehr echauffierst, ist also einfach ein Derivat meines differenzierten Nervenlebens, das ist doch klar wie Kloßbrühe!

Hedwig Wo hast du denn das machen lassen? Doch nicht hier auf der Insel der Seligen?

Lanzinger Du hast wohl Tinte getrunken? Die Wollsäcke, die man hier bekommt, sind höchstens was für Leute wie Rehbein oder Medardus Neumann.

Hedwig nach rechts weitergehend Als du die Wollsäcke trugst, da warst du ein Mensch, den man noch gern haben konnte. Jetzt ...

Lanzinger ihr immer folgend Ich habe nie Wert darauf gelegt, in der Plebs unterzugehen. Ich suche neue Formeln. Neue Sensationen. Sie sind den Weg rechts hinaufgestiegen, bleiben an der Aussichtsbank stehen Deshalb geh' ich in die Großstadt.

Hedwig Und das alles, weil du zu Geld gekommen bist! Deine Tante hätte auch was Besseres tun können.

Lanzinger setzt sich auf die Bank, schlägt die Beine übereinander Meine Tante hätte absolut nichts Besseres tun können. Ich werde mich der alten Dame auch dankbar erweisen. Sie soll einen hochmodernen Grabstein bekommen. Ich schreibe eine Konkurrenz für Neutöner aus. Beteilige dich doch daran!

Hedwig Ich werde einen Grabstein für dich machen in Form eines Geldsacks und darauf schreiben, hierunter erstickte der Dichter Rudolf Lanzinger.

Lanzinger Was verekelst du mir meine Erbschaft? Hat sich denn dein Abgott Wiegand vor seiner großen Erbschaft gefürchtet? Hat er nicht das ganze schöne Geld, das ihm seine Freundin hinterließ, ruhig eingesteckt?

Hedwig Um es für seine Ideen nutzbar zu machen! Um die Insel der Seligen damit zu begründen!

Lanzinger Meinst du, ich werde mein Geld nicht ebenfalls für die Projektion meiner Ideen nutzbar machen? Keine vier Wochen und ich habe mich von allen Sensationen peitschen und von allen Lüsten kreuzigen lassen! Ekstase ist nichts, was einem in den Schoß fällt. Zur Ekstase heißt es sich hinaufsteigern. Nur aus Taumel und Verachtung erblüht die gelbe Blume der Dekadenz.

Hedwig Also dann glückauf! Wann soll die gelbe Blume losblühen?

Lanzinger Sobald ich das Geld der toten alten Frau flüssig gemacht habe! Hoffentlich in den nächsten Tagen!

Hedwig Adieu, Herr Lanzinger! Lassen Sie sich's wohlgehen auf Erden! Sie kehrt ihm den Rücken.

Lanzinger steht auf Warum hast du nicht den Mut gehabt, die Konsequenzen zu ziehen? Hättest du getan, was alle tun ...

Hedwig Ich bin nicht so eine! Merk' dir das!

Lanzinger träumerisch Eine Individualität wie meine läßt sich ja vielleicht überhaupt nicht festhalten ...

Hedwig Es besteht auch kein Bedürfnis, Individualitäten wie deine festzuhalten. Leb' wohl! Sie geht schnell rechts ab.

Lanzinger sieht ihr kopfschüttelnd nach Fatal solch ein Differenzierungsprozeß! Aber unvermeidlich! Er geht pfeifend ebenfalls rechts ab.

Gleichzeitig kommen von rechts hinten her Finsterlin und Frau Lindenblatt in eifrigem Gespräch. Finsterlin ist ein großer schöner Mann mit Christuskopf, wallendem Haar und Bart, in langen weißen Talar gehüllt, Sandalen an den nackten Füßen, eine spitze, mystisch bemalte Priestertiara auf dem Kopf. Frau Lindenblatt ist eine zarte Vierzigerin mit grau meliertem schönem Haar und immer noch anziehendem Gesicht.

Frau Lindenblatt Ich weiß nicht, was man immer gegen das Älterwerden sagt. Eine reife Frau kann doch einem erfahrenen Mann tausendmal mehr bieten als so ein junges Gänschen, das noch von nichts eine Ahnung hat.

Finsterlin streicht sich nachdenklich den Bart Du denkst zu hoch von den Männern, liebe Lindenblatt. Wir sind nichts als die Vollstrecker des Gattungswillens. Die Natur geht auf die Erhaltung der Art. Das ist alles.

Frau Lindenblatt Bei Durchschnittsmännern, Meister! Aber spreche ich denn von Durchschnittsmännern? Sie gehen langsam über den Platz nach links hinauf.

Finsterlin bartstreichend Gewiß, ideale Naturen werden ja das Instinktmäßige und Untermenschliche des Vorganges durch höhere Geistigkeit zu adeln suchen. Künstlernaturen zumal!

Frau Lindenblatt Ich dächte, wer den »sterbenden Buddha« gemalt und die Blätter »vom freien Tode« radiert hat ...

Finsterlin Nun, wie gefallen dir meine Blätter vom freien Tode? Sage mir aufrichtig deine Ansicht! Du weißt, ich habe mich jetzt ganz auf die kalte Nadel verlegt ...

Frau Lindenblatt Wundervoll grauenhaft sind sie! Alpdruck kann man davon bekommen! Träumen kann man davon!

Finsterlin kramt in seinem Kaftan Ich habe eine neue Serie von masochistischen Sachen bei mir. Wenn es dich interessiert? Er unterbricht sich, sieht zum Himmel auf Aber was wird aus meinem Nachmittagsluftbad? Meine Sonnenuhr drüben sagt mir, daß es Zeit ist.

Frau Lindenblatt Nimm doch dein Luftbad hier, Meister! Ich setze mich unterdessen auf die Bank und studiere deine neuen Sachen.

Finsterlin Der Platz ist mir zu beengt hier. Die vielen bunten Lampions benehmen mir den Atem.

Man hört von rechts her aus dem Wald jodeln und laute Rufe Holtriaho! Holtriaho! Bruno Wiegand! ... Bruno Wiegand! Holtriaho!

Finsterlin Da kommen ja auch Leute! Nur schnell, schnell fort! Das ist der grobe Bildhauer! Man hört es am Jodeln. Ich bin jetzt nicht in der Laune, banale Gespräche zu führen.

Frau Lindenblatt Meister, ich weiß eine prachtvolle Stelle hier oben mitten im Märchenwald. Ganz einsam und gar nicht weit von hier.

Finster1in Stört uns dort auch niemand? Meine Sachen wollen mit Andacht genossen sein.

Frau Lindenblatt ihn nach links in den Wald ziehend Komm nur! Komm! Beide verschwinden links. Auf dem Waldweg rechts kommen gleich darauf Dorothee und Kasper gegangen. Kasper ist groß, breitschultrig, ungeschlacht, blonder Riese mit Vollbart.

Dorothee Nein, hier scheint er nicht zu sein. Man sieht keine Menschenseele.

Kasper Aber Stimmen hab' ich unbedingt gehört! Sie steigen die Stufen des Waldwegs in die Lichtung hinab.

Dorothee Also du sprachst von Dräger ... Ja! Mir war er immer widerlich. Aber natürlich! Auf die Frau wird nicht gehört! Ihr müßt ja alles besser wissen, ihr Herren der Schöpfung! Du meinst also ...?

Kasper Ich warne euch vor dem Bengel! Glaubt meinem Wort! Du und dein Mann! Dubsky ist ja der Anstifter ...

Dorothee Hoffentlich passiert heute beim Fest nichts. Vor einem Jahre war's nahe dran, daß ihr euch gehauen habt. Man hat schon immer Angst, einer bringt den Revolver mit und schießt!

Kasper lacht dröhnend Keine Sorge! Auf der Insel der Seligen wird nur gehauen! Schießen verboten!

Dorothee Glaubst du denn, daß Dubsky und Dräger was vorhaben? Vielleicht heut' beim Fest?

Kasper Es liegt was in der Luft. Du weißt, die Geschichte mit der Gütergemeinschaft ... Dubsky hat das sehr fein eingefädelt. Sie sind unten in der Lichtung angelangt, stehen an der Fontäne.

Dorothee Wo Bruno nur stecken mag? Er sollte doch mit Marenholdt hierher gegangen sein?

Kasper Vielleicht da oben im Märchenwald! Er ruft aus voller Brust Bruno Wiegand! Bruno Wiegand! Holtria ... ho! Holtria ... ho! Das obere Turmfenster im Hintergrunde rechts wird aufgestoßen.

Medardus Neumann streckt seinen struppigen Kopf heraus. Er ist anfangs Fünfzig mit verwitterten Zügen. Das ergrauende einst dunkle Haar fällt ihm wirr um Kopf und Schultern. Seine Toilette ist mangelhaft, offenes Hemd, alter schäbiger Rock Wer ruft bei nachtschlafender Stunde? Wer mordet den Traum der Mitternacht? Er sei verflucht! Zu siebenfacher Wiederkunft in dreizehn Ewigkeiten sei er verdammt!

Dorothee Guten Morgen, Medardus Neumann! Hier unten haben wir vor drei Stunden Mittag gegessen.

Medardus Neumann Was mahnst du mich an meine Leiblichkeit, schillernder Erdenwurm! Was schleuderst du den Begriff des Mittagessens wie eine Brandfackel in mein zeitloses Turmdasein!

Dorothee Es steht alles am bekannten Platz, Milch und Obst und Brot. Und vergiß nicht, dich vorher zu waschen!

Medardus Neumann hoch aufgerichtet in der Fensteröffnung Ist heut' der Tag der monatlichen Säuberung? Steht Vollmond in eurem Kalender? Oder was führst du sonst für Gründe an, ungestüme Mahnerin?

Dorothee Du wirst doch nicht ungewaschen zum Fest kommen?

Medardus Neumann Für mich ist jeder Atemzug ein Fest! In meinem Reich hier oben herrscht ewiger Feiertag! Soll ich darum unausgesetzt am Waschnapf stehen? Soll ich meinen armen Leib, dies Gefäß der Sterblichkeit ...

Dorothee Schäm' dich was! Ich seh' dich acht Tage nicht an!

Medardus Neumann Wohl denn, leichtgeschürztes Sinnenwesen! Um deiner Rosenwangen willen sei's getan!

Dorothee Aber mit Seife! Hörst du! Mit richtiger Seife!

Medardus Neumann faltet die Hände Vater, dein Wille geschehe! ... Was ist denn das für ein so ganz besonderer Feiertag, den ihr heute da unten begeht?

Kasper ruft hinauf Bist du denn ganz aus der Zeit? Heut' vor drei Jahren ... Du warst doch auch dabei!

Medardus Neumann Wann wär' ich nicht dabei gewesen! Ist irgend jemand, der irgendwann einmal nicht dabei gewesen wäre? Von Ewigkeit sind wir dabei gewesen und in Ewigkeit werden wir dabei sein. Aber du hast recht, Jüngling. Heute vor drei Jahren tauchte die Insel der Seligen aus dem Ozean des immer und ewig Gewesenen auf. Die Sonne des goldenen Zeitalters stieg über den blauen Fluten des Weltmeeres empor. Ihr habt wohl getan, daß ihr den Platz da unten mit bunten Wimpeln geschmückt habt.

Dorothee Das sind ja gar keine Wimpel! Das sind Ballons, die an der Leine festgemacht sind.

Medardus Neumann schwermütig Ballons, die an der Leine festgemacht sind! ... So laßt sie doch fliegen! Schneidet sie ab und schickt sie zu meinen freien Höhen empor, ein Heer von bunten Sommervögeln!

Dorothee Sie fallen ja auf die Erde, wenn man sie abschneidet. Versuch's doch selbst!

Medardus Neumann sinnend Ich müßte die Treppe hinab und nachher wieder herauf .... Ruft mich später! Ruft mich, wenn die Fledermaus schwirrt und der Irrwisch tanzt! Gute Nacht! Er schlägt das Fenster zu.

Dorothee Schlaf wohl, alter hartgesottener Zigeuner!

Kasper Der seit dreißig Jahren keinen roten Heller in der Tasche gehabt hat! Und so einer lebt! So einer existiert! Nach Jahrhunderten wird es noch heißen, da war mal einer, der hat das Geld abgeschafft gehabt! Einen einzigen hat es gegeben, vor Jahrhunderten!... Und den Menschen hat man gekannt! Mit so einem Menschen hat man in einer Zeit gelebt! Kolossal! Kolossal!

Dorothee faßt ihn an der Schulter Kasper! Kasper! Wo bist du?

Kasper reibt sich die Stirn, sieht sich um Ja, wo bin ich? ... Da drüben ist der Märchenwald, und dies ist Johannistag. Jetzt fahr' ich auf den See und stürz' mich in die Flut. Heut' abend heißt es frisch sein! Er winkt ihr zu, verschwindet nach rechts hinten. Man hört ihn noch einmal in der Ferne jodeln. Von links her auf dem Waldweg erscheinen Wiegand und Marenholdt.

Marenholdt Nimm an, lieber Freund, Teklenburg läge auf dem Mond. Was hältst du davon? Ein Ministerposten auf dem Mond? Reizt dich das nicht?

Wiegand Mach' dich nur lustig!

Marenholdt Nein! Nein! Teklenburg liegt nämlich wirklich auf dem Mond. Ich muß es doch wissen: Ich komme ja gerade von daher. Eine niederträchtige Reise, sag' ich dir! Aber wenn man erst oben ist, das beste Klima von der Welt!

Wiegand sieht in die Lichtung hinunter, zu Dorothee Was gab's denn mit Kasper?

Dorothee lacht Er war dabei, eine Liebeserklärung zu machen.

Wiegand in die Lichtung hinuntersteigend Wem? Dir?

Dorothee feierlich Der alten Vogelscheuche da oben! Eurem Erzzigeuner, eurem Medardus Neumann!

Marenholdt ebenfalls hinuntersteigend Soweit ich das Regime von Medardus Neumann übersehen kann, dürfte es jetzt für ihn drei Uhr morgens sein. Er drehte sich gerade auf die andere Seite.

Dorothee Stimmt! Wir hatten ihn aufgeweckt. Aber es half nicht. Er schnarcht schon wieder.

Marenholdt Die Philosophie hätte dir das voraussagen können. Der Charakter des Menschen ist indelebilis, unveränderlich. Das merkt man, wenn man einen alten Freund nach Jahren wiedersieht. Er klopft Wiegand lächelnd auf die Schulter.

Wiegand schüttelt den Kopf Und ihn, ach, wie anders findet! Wie unendlich viel anders! Daß mir dein Angebot überhaupt denkbar erscheint, daß ich mich innerlich damit beschäftige, mich damit abzufinden suche ...

Marenholdt Seltsame Leute, ihr Zukunftsapostel! Man bringt euch einen Ministerposten und ihr werft einen die Treppe hinunter. Man zeigt euch einen Weg, wie ihr ins Freie kommen könnt, und ihr schließt euch in eure Studierstube und paukt die Paragraphen des Tausendjährigen Reichs. Man gibt euch Mittel an die Hand, eure Ideen fruchtbar zu machen, und ihr stopft euch die Ohren zu und schreit nur immer: Freiheit! Freiheit, die ich meine!

Wiegand Meine Ideen fruchtbar, lebensfähig machen ... Wirfst du schon wieder den Angelhaken aus?

Marenholdt lächelt, streicht sich das Kinn Oh, ich habe mich mal sehr gut aufs Angeln verstanden. Ich bin ein großer Angler vor dem Herrn gewesen.

Dorothee an die Steinbank vor der Fontäne gelehnt Nette Fische mögen da angebissen haben!

Marenholdt Fische aller Arten, schöne Freundin! Ganz gewöhnliche Sumpfbarsche und ganz delikate Bachforellen!

Dorothee So durcheinander? Nicht wahr?

Marenholdt Wie das eben beim Angeln geht. Man kann sich ja nicht aussuchen, was anbeißt. Ja, wenn man es in der Hand hätte ...

Dorothee Der Kenner muß es doch schon am Anbeißen merken?

Marenholdt Ach, beste Freundin, über wen so die richtige Angelleidenschaft kommt, der fragt nicht viel, was er fängt! Dem wird das Angeln bald zum Selbstzweck.

Dorothee So einer bist du also auch gewesen?

Marenholdt nickt lächelnd So ein richtiger Angler! Als ich noch nicht das Reißen in den Gliedern hatte.

Dorothee ballt die Fäuste gegen ihn Oh, ihr Bande, ihr, ihr Hundebande!

Marenholdt achselzuckend C'est la guerre, schöne Freundin! C'est la guerre! Er zuckt zusammen, faßt nach der rechten Hüfte Siehst du, es ist ja auch nicht ungestraft geblieben, es zwickt mich ganz beträchtlich!

Dorothee Kommt das vom Angeln her?

Marenholdt Vom Angeln und vom Jagen und von ähnlichen Sporten! Man konnte sich nicht immer so in acht nehmen. Es war doch manchmal etwas luftig ...

Wiegand ist auf- und abgewandert, ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, bleibt vor Dorothee stehen Bist du wieder in deinem Fahrwasser? Ich habe zwar nicht zugehört ...

Dorothee Er hat zwar nicht zugehört, aber irgendwas muß ich doch wieder verbrochen haben!

Wiegand zu Marenholdt Wärst du gekommen, ehe ich hier anfing! Wer weiß! Damals war ich noch jung und frisch und voller Mut. Was ich anfaßte, darauf lag das Glück.

Marenholdt Es folgte alles seinem Gesetz. Du mußtest erst dein Pensum hier absitzen.

Wiegand Und die Quintessenz vom Ganzen lautet: Meine Ideen waren totgeboren! Mein Leben ist ein einziger Schiffbruch gewesen!

Marenholdt Wie nennt ihr doch den Wald, in dem wir vorhin saßen? Ihr habt ja einen eigenen Namen dafür.

Dorothee Den Märchenwald meinst du?

Marenholdt Ganz richtig! Den Märchenwald.

Wiegand Wir haben ihn so getauft, weil das Licht so seltsam zwischen den hohen Stämmen hereinfällt ...

Marenholdt Ja, ja, man hat das Gefühl, man kann darin verschwinden und nie wieder auftauchen.

Wiegand Oder nach tausend Jahren! Wenn die Zeit sich erfüllt hat. Aber dann ist man grau und alt und zerfällt zu Zunder in dem Augenblick, wo man wieder ans Licht kommt.

Marenholdt Der Mann bist du selbst, lieber Freund!

Wiegand lacht kurz auf Ich? Wieso? Wir sind ja glücklich aus dem Wald heraus. Er reicht nur bis dorthin. Er deutet nach links hinüber.

Marenholdt lächelt Mir scheint, er bedeckt hier die ganze Insel. Und du steckst mitten darin! Wo das Licht am seltsamsten um die uralten Stämme spielt, da hält's dich umfangen.

Wiegand Mag sein! Dann bin ich eben für eure Welt verloren.

Marenholdt hat sich auf die Steinbrüstung der Fontäne neben Dorothee niedergelassen, schlägt die Beine übereinander, sieht Wiegand bedeutsam an Eine Rettung gibt es doch!

Wiegand Und?

Marenholdt Wenn der Freund, der den andern verschwinden sah, das Zauberwort kennt und es dem Freunde in den Wald nachruft. Dann öffnet sich das Dickicht, die Riesentannen treten auseinander und geben den Verlorenen frei.

Wiegand So ganz ohne Lösegeld?

Marenholdt Vielleicht mit einem nachdenklichen Zug um Mund und Augen! Weil er ja in den Minuten dadrinnen mehr gesehen und erfahren hat, als mancher sein ganzes Leben lang.

Wiegand Ja, der Kopf brummt mir, wenn ich zurückdenke. Weit, weit zurück! Eigentlich vom ersten Anfang an! Es hat alles so einen traumhaften Charakter. Meine ganze Vergangenheit erscheint mir so unwirklich, so unzusammenhängend, als ob das gar nicht ich wäre.

Marenholdt Kein Wunder! Du hast Hofluft geatmet. Du bist Missionar im Orient gewesen, danach Anarchist, Staatsverschwörer, Sektenstifter, Bücherschreiber, Dichter ...

Dorothee Ehemann, Vater, Geliebter ...

Marenholdt Diese drei nur im Nebenamt! Das zählt nicht mit. Aber jedenfalls hast du eine Vielheit der Berufe vereinigt wie selten einer.

Wiegand Ja, jedes für sich könnte wohl ein Leben füllen. Daß ich das alles zusammen war, das eben ist das Unbegreifliche für mich, das gibt mir das Gefühl, als sei meine ganze Laufbahn so ein Weg durch den Märchenwald gewesen.

Marenholdt Und jetzt fügst du als neue, ich will nicht sagen als letzte Poststation das Ministerium in Teklenburg hinzu und kommst als reifer Mann in die Welt zurück, von der du vor zwanzig Jahren mal ausgegangen bist. Dann hat sich der Ring geschlossen. Vorläufig!

Wiegand Meinst du, das Zauberwort ist stark genug, mich aus dem Wald zu rufen?

Marenholdt Unbedingt! Ein Mann wie du braucht Ellenbogenfreiheit. Ein Mann wie du muß wirken können. Auf wen willst du wirken? Auf Menschen doch!

Wiegand lacht Sind das hier keine Menschen?

Marenholdt Nein! Mit wenigen Ausnahmen. Es sind Gehirne! Es sind Denkwerkzeuge! Muskelapparate! Kaumaschinen! Geschlechtsfunktionen! Alles mögliche! Aber es sind keine Menschen! Ich gebe zu, einige haben Witz, Geist, Phantasie. Es ist sehr amüsant, mit ihnen ein paar Tage zu hausen, aber mit ihnen mein Leben verbringen, dies kostbare einzige Leben ... Bewahre mich Gott davor!

Dorothee klatscht in die Hände Bravo, bravo! Du bist mein Mann!

Marenholdt Sie leiden hier alle an irgendeiner Hypertrophie, meist des Gehirns. Es fehlt ihnen das, was sie in höherem Sinne zu Menschen macht. Die verbindende Melodie fehlt ihnen. Es ist lauter Instrumentation. Man kann auf einer viel niedrigeren Stufe stehen und doch ein Mensch sein. Solche wirst du genug da draußen in Teklenburg und anderswo finden. Das ist das Material, das du brauchst.

Wiegand Umgekehrt! Umgekehrt! Was war denn meine Idee anders, als solche, die keine Menschen sind, keine echten, wahren Menschen, dazu zu machen! Deshalb rief ich ja alle diese Hypertrophischen, wie du sie nennst, diese Gehirnmaschinen und Denkapparate, und führte sie hierher in die Einsamkeit und brachte sie in Berührung mit der Natur, mit der alten, großen Mutter, mit dem Boden, mit der Erde. Hinunterzuschrauben versuchte ich sie, nicht hinauf. Ihre Organe erst mal wieder mit sich selbst in Einklang zu bringen, die körperlichen und die geistigen, und so aus den Gehirnautomaten wieder beseelte Wesen zu machen, das war die Idee.

Marenholdt Ich denke, sie war totgeboren? Sie hat Schiffbruch gelitten?

Wiegand Ah, du willst mich festnageln!

Marenholdt Deine eigenen Worte!

Wiegand Ich sage dir, nagele mich nicht fest! Ich lasse mich vielleicht mehr gehen, als gut ist. Solche mutlosen Augenblicke hat jeder. Aber wenn ich an all das denke, was ich hier trotzdem schon angepflanzt habe und noch weiter anpflanzen könnte ...

Dorothee All die Kohlrabi- und Gelbe-Rüben-Beete!

Wiegand halb komisch Weib, mach' mich nicht rasend!

Dorothee ebenso Du machst mich rasend! Einen Mann zu haben, der alle Tage zwanzigmal von einem Extrem ins andere umschlägt!

Rechts oben auf dem Waldweg kommen die Moritura, hinter ihr Dubsky in raschem Schritt. Die Moritura ist Ende zwanzig, schlank, ätherisch, in wallend phantastische Gewänder gekleidet.

Die Moritura Ein Skandal wär's, wenn die Probe schon angefangen hätte! Du hättest auch besser aufpassen können! Sie bleibt stehen, um Atem zu schöpfen.

Dubsky zähnefletschend Mir scheint, ich bin nicht bloß auf die Welt gekommen, um aufzupassen, ob Schmierenkomödianten vorbeigehen oder nicht. Ich habe an Wichtigeres zu denken.

Die Moritura Dann verspricht man es nicht, wenn man es nicht halten will!

Dubsky Dann verspricht man es gerade! Ich habe in meinem ganzen Leben immer nur das gehalten, was ich nicht versprochen hatte.

Die Moritura mit Geste Ich verspreche dir auch etwas, aber ich halte es!

Dorothee hat ebenso wie die beiden anderen unwillkürlich nach oben gehorcht, legt den Finger an den Mund Das sind Dubsky und die Moritura! Die zanken sich wieder.

Dubsky ist an den Rand der Höhe getreten, hat einen Blick hinunter geworfen, wendet sich zur Moritura, halblaut Hast du die Klopfpeitsche nicht gleich bei dir? Es könnte eine hübsche Szene geben. An Zuschauern fehlt es ja nicht. Er wendet sich zurück, ruft hinunter Hat einer von den Herrschaften eine Ahnung, ob die Künstler des Stimmungsensembles schon drüben auf der Bühne sind?

Dorothee ruft hinauf Ja, ein paar sind schon da. Sie haben sich mit den Kulissen abgeschleppt.

Die Moritura zu Dubsky, mit den Füßen aufstampfend Also doch! ... Das wird dir angekreidet, du Stiesel! Sie läuft an Dubsky vorbei, die Stufen hinunter.

Wiegand zu Dorothee So? Die sind schon da? Das wußt' ich ja gar nicht.

Die Moritura ist unten angelangt, faßt sich ans Herz, atmet krampfhaft Ach, mein Herz, mein armes, abgearbeitetes Herz!

Dorothee Warum läufst du so, wenn du es nicht vertragen kannst? Setz' dich doch hin!

Die Moritura Aber die Probe hat ja schon angefangen! Sie werden mir mein Werk verhunzen! Sie fährt auf Wiegand los Hättest du dich wenigstens darum gekümmert! Sie sinkt auf die Steinbank Ach, ich kann nicht mehr!

Wiegand im Begriff zu gehen Ruhig Blut, liebe Moritura! Schlimmstenfalls wird eben von vorne exerziert. Er geht nach hinten links, verschwindet im Zelt.

Die Moritura Ruhig Blut! Ruhig Blut! Mein Werk ist mein Kind! Es handelt sich um mein Kind!

Dorothee Wenn du dich nur halb soviel um deine beiden wirklichen Kinder gekümmert hättest!

Die Moritura immer nach Atem ringend Die sind wohl aufgehoben, die beiden kleinen Erdenwürmer!

Dorothee Ja, ausgezeichnet! Im Findelhaus!

Die Moritura Das Leben ist ein Passionsweg, Leiden bleibt niemand erspart. Aber es gibt noch höhere Sorgen als die um kleine Kinder. Mein Werk! Mein armes, unschuldiges Werk! Sie springt auf.

Dubsky der der Moritura gefolgt ist und zähnefletschend neben ihr steht Willst du dich nicht hinüber bemühen? Keine zwanzig Schritte, und du bist auf der Bühne! Er macht eine galant einladende Gebärde.

Die Moritura Hohn auch noch? Wer ist Schuld als du, daß ich zu spät komme! Wozu setzt man dich auf die Bank, wo die Schauspieler vorbei mußten, wenn du nicht aufpassen kannst?

Dubsky Ich hatte Durst. Ich mußte etwas trinken gehen.

Die Moritura Wenn du nicht Alkohol einpumpen kannst, ist dir nicht wohl!

Dubsky Der eine pumpt Alkohol ein, der andere Brom in ganzen Wagenladungen! Ich ziehe Alkohol vor.

Die Moritura Gib mir die Äthertropfen! Mir ist schlecht von all dem Ärger!

Dubsky zieht ein Fläschchen aus der Tasche, reicht es ihr Bitte!

Die Moritura Den Zucker hast du natürlich vergessen! An alles muß man auch denken helfen ! ... Ach, wie das schwindelt! Wie das schwindelt! Sie faßt mit der Linken nach dem Kopf, setzt mit der Rechten die Flasche an.

Dubsky sucht in der Tasche Ein Stückchen muß sich noch irgendwo verkrochen haben.

Die Moritura hat getrunken Laß nur, es ist schon gut.

Dubsky Du trinkst ihn ja meistens ohne Zucker.

Die Moritura Ah, jetzt kommt wieder Leben! Leben! Starkes, klopfendes Leben!

Marenholdt der bis jetzt schweigsam dabei gesessen hat Leiden Sie öfter an solchen ... solchen Schwindelanfällen?

Die Moritura Seit meinem fünften Jahre! Es sind die Vorposten, die der Tod von früh an in mein Dasein gesandt hat.

Wiegand erscheint vor dem Zelt Liebe Moritura, wir probieren die zweite Szene.

Die Moritura Die zweite Szene! Und die erste? Wo ist die erste geblieben? Man geht ja mit meinem Werk um wie mit einem alten Strumpf! Sie läuft ein paar Schritte, dreht sich zu Dubsky um Möchtest du nicht mit?

Dubsky Du weißt, ich bin Pamphletist ...

Die Moritura Und als solcher hast du kein Organ für ernste Kunst. Aber das Bühnenbild siehst du dir an!

Dubsky Wenn es durchaus sein muß ... Er folgt ihr zögernd.

Die Moritura Hier, steck' das Fläschchen wieder zu dir! Sie gibt ihm das Ätherfläschchen.

Dubsky Den Baldrian und das Natron hab' ich schon. Er steckt das Fläschchen zu sich.

Die Moritura Man muß vorsichtig sein, es wird noch genug Ärger heute geben.

Dubsky Ich werde mir nächstens wie eine wandelnde Apotheke vorkommen. Beide gehen in das Zelt ab. Dorothee und Dubsky sehen sich stumm an.

Marenholdt Dieser Dubsky! Diese Moritura! Alle diese andern! Das ist also das Resultat, wenn man Gehirnraubtiere zu Pflanzenfressern machen will.

Dorothee Tut man nicht ein gutes Werk, wenn man Bruno hier hinauszubringen sucht?

Marenholdt Mein Witz ist leider zu Ende.

Dorothee Der Witz einer Frau noch lange nicht! Ich habe einen Plan, aber du darfst mir nicht widersprechen. Du mußt ruhig' zuhören und mit dem Kopf nicken.

Dubsky tritt aus dem Zelt, kommt näher.

Dorothee halblaut Jetzt gilt's! Sie ruft Dubsky zu Na, ist alles in Ordnung?

Dubsky Der Direktor des modernen Stimmungsensembles ist ein abgesagter Feind alles überflüssigen Beiwerks auf der Bühne.

Dorothee Ist die Moritura nicht sehr aufgeregt?

Dubsky Ich habe ihr den Baldrian und das Natron dagelassen.

Dorothee Daß du überhaupt Urlaub bekommen hast!

Dubsky formell Ich bin durchaus in der Lage, meine Entschlüsse selbständig zu fassen. Fräulein Selma Schulz nimmt nur den Einfluß darauf, den ich selber wünsche.

Marenholdt Wer ist Fräulein Selma Schulz?

Dorothee Die Moritura! Natürlich!

Dubsky wie vorher Wenn Sie Fräulein Selma Schulz eine besondere Freude bereiten wollen, Herr Baron, so rate ich Ihnen, sie mit diesem Namen anzusprechen.

Marenholdt Danke sehr! Pseudonyme sind mir heilig.

Dubsky Es dürfte zwanzig Jahre her sein, Herr Baron, seit ich die Ehre hatte, Ihre werte Bekanntschaft zu machen?

Marenholdt Ja, Sie hatten damals einige kleine Schwierigkeiten mit Behörden oder dergleichen ...

Dubsky Sie sehen, ich bin inzwischen ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft geworden.

Marenholdt Finden Sie den Lebenskreis hier so ausgesprochen bürgerlich?

Dubsky Über die Maßen! Wir graben in der Erde! Wir jäten und gießen unsere Beete! Wir feiern Stiftungsfeste nach dem Kalenderdatum! Wir hängen Lampions an die Bäume und machen italienische Nacht! Könnte das alles nicht ebensogut in einem Kriegerverein geschehen oder in einer landwirtschaftlichen Ausstellung mit Rindviehprämiierung?

Marenholdt Ja, es gleicht sich ja leider alles auf Erden. Ob Insel der Seligen oder irgendein fettes Philisterland, es kommt schließlich auf eins hinaus.

Dubsky Auf die bekannte Handvoll Dreck, mit der uns definitiv der Mund gestopft wird, meinen Sie, aber ehe es soweit ist, scheint es mir nicht gleichgültig, ob man Hunderte und Hunderte für Festivitäten hinauswirft, oder ob man sie höheren Zwecken dienstbar macht.

Marenholdt Zwecken welcher Art?

Dubsky Zwecken eines gesteigerten und verfeinerten Gemeinschaftslebens!

Dorothee hat abgewandt dagesessen, wendet sich plötzlich zu Dubsky Warum sagst du das Bruno nicht ins Gesicht?

Dubsky feixend Ich sage es ja dir! Ich möchte dich gerne mal wieder wütend sehen!

Dorothee Das nenne ich Feigheit, einem Menschen ins Gesicht freundlich tun und hinter seinem Rücken hetzen!

Dubsky Liebe Dorothee, ich habe persönliche Feigheit nie als etwas Unwürdiges angesehen. Mut kann jeder Schlächtergeselle haben. Ich werde mich schön hüten, mir die Finger zu verbrennen! Ich lasse jedem sein Steckenpferd und bitte nur, mir auch meins zu lassen.

Marenholdt Worin besteht das?

Dubsky Den Hanswurst dieser edlen Gemeinschaft zu spielen! Hanswürste dürfen ja wohl die Wahrheit sagen, es glaubt ihnen ja doch keiner.

Dorothee Leider wirst du das Vergnügen kaum mehr lange haben.

Dubsky sieht sie an Wieso nicht?

Dorothee Das kann ich dir jetzt noch nicht verraten.

Dubsky Wollt ihr mich etwa aus eurem erlauchten Kreise ausschließen? Ist man nicht fügsam genug? Hat man sich die allerhöchste Ungnade zugezogen?

Dorothee Wenn es danach ginge, müßtest du doch schon längst draußen sein, lieber Dubsky.

Dubsky Du bist sehr freundlich, liebe Dorothee. Was kann es denn also sonst sein? Du machst mich neugierig!

Dorothee Kannst du auch neugierig werden? Ei schau!

Dubsky Haben Sie eine Ahnung, um was es sich handelt, Herr Baron?

Marenholdt Ich bin dem Zusammenhange nicht so genau gefolgt, Herr Dubsky.

Dubsky Die Hypothese lautet, ich würde hier nicht mehr lange den Hanswurst spielen können. Ist Ihnen etwas darüber bekannt?

Marenholdt Selbst dann würde doch wohl die Diskretion ...

Dubsky Liebe Dorothee, du weißt, ich habe dich immer geliebt!

Dorothee Leider ohne Erfolg!

Dubsky mit Augenaufschlag, die Hand auf dem Herzen Es ist noch nicht zu spät! Fühl' nur, wie mein Herz für dich schlägt!

Dorothee Gut, ich will sehen, ob du diskret sein kannst.

Dubsky Diskret wie ein Sperling auf dem Dache!

Dorothee Nein! Nein! Du mußt mir versprechen, daß du es nicht weitersagen willst.

Dubsky Keiner Menschenseele! Ich schwöre es dir beim Grabe meiner Mutter!

Dorothee Ich denke, du weißt nichts von deiner Mutter?

Dubsky Um so eher kann ich doch bei ihr schwören. Also jetzt sagst du es mir, nicht wahr? Wollt ihr mich wirklich aus eurem Kreise ausschließen?

Dorothee Nein, aber der Kreis selbst könnte sich doch auflösen? Bruno könnte zum Beispiel in eine andere Lebensstellung kommen ...

Dubsky auffahrend zu Marenholdt Dabei haben Sie doch die Hand im Spiele?

Dorothee Ich will dich nicht länger quälen, lieber Dubsky, du hast mir ja Diskretion versprochen.

Dubsky Beim Grabe meiner Mutter!

Dorothee geheimnisvoll Bruno soll nämlich Minister in Teklenburg werden ...

Dubsky Minister? Bruno Minister? Ah, das ist eine Büberei! Er macht ein paar Schritte.

Dorothee Ja, nicht wahr? Und ich kann dir verraten, daß er schon angenommen hat. Aber ganz unter uns! Es darf noch kein Mensch erfahren!

Dubsky hat sich gefaßt, reicht Dorothee die Hand Ich gratuliere dir, liebe Dorothee! Du wirst eine glänzende Ministerfrau abgeben.

Dorothee ihm die Hand schüttelnd Das habe ich mir auch schon immer gedacht, lieber Dubsky! ... So, und jetzt weißt du, warum du nicht länger Hanswurst bei Bruno bleiben kannst.

Dubsky Er könnte mich ja zu Hofe mitnehmen?

Dorothee Ich will mich für dich verwenden. Adieu, mein Freund! Ich muß anfangen zu packen, die Reise geht bald los. Sie winkt beiden zu, geht rasch nach rechts hinauf, verschwindet oben.

Dubsky stellt sich mit den Händen in den Hosentaschen vor Marenholdt Und die Fäden des Puppenspiels halten natürlich Sie in der Hand?

Marenholdt erhebt sich Ich bitte, mich zu entschuldigen, Herr Dubsky! Er zieht sehr höflich seinen Hut, geht langsam nach rechts hinauf, ab.

Dubsky sieht ihm nach, ballt die Faust Minister willst du werden, alter Freund? ... Noch bist du's nicht! Du sollst deinen Hanswurst kennen lernen!

Wiegand tritt aus dem Zelt, kommt rasch nach vorne.

Dubsky geht auf ihn zu Gut, daß du kommst! Ich muß dich unbedingt unter vier Augen sprechen.

Wiegand Um was handelt es sich denn?

Dubsky während des Folgenden weich mit Augenaufschlag Wie lange geht unser Weg nun schon zusammen, lieber Bruno?

Wiegand etwas überrascht Ja so an die dreißig Jahre! Ich denke, wir kamen gleichzeitig auf die Quinta.

Dubsky Also eine dreißigjährige Freundschaft!

Wiegand lachend Oder ein dreißigjähriger Krieg!

Dubsky Ja, nach der Auffassung hast du gehandelt. Dir war nicht wohl, wenn du nicht herrschen konntest. Wo du hinkamst, mußtest du die erste Rolle spielen.

Wiegand Na, und du? Ich bin gespannt, was du warst?

Dubsky Ich war der nachgiebige Teil. Ich habe mich in deine Launen gefügt, wo es nur anging.

Wiegand lacht laut auf Dubsky! Laß dir den Puls fühlen! Wer hat sich schon auf der Schule über Mitschüler und Lehrer, über Gott und Menschen lustig gemacht? Wer hat später die blutigsten Artikel, die giftigsten Verse gegen alles Bestehende geschleudert? Wer ist der gefürchtetste Pamphletist des Zeitalters, du oder ich? Besinn' dich mal, Herr Herostrat!

Dubsky Jedes Wort von dir ist ein Keulenschlag! Ja, ich habe Verse gedrechselt und Artikel fabriziert, die durch die Welt geflogen sind! Aber du, du, du hast die Taten getan, die für die Nachwelt dastehen! Ich habe Papierballen mit Tinte beschmiert, und du hast dich in Menschenherzen eingeschrieben! Wer ist also der Beneidenswerte von uns beiden?

Wiegand dessen Gesicht sich verfinstert hat Ich bin nicht mehr jung und naiv genug, um dir auf deinen Leim zu kriechen. Ich weiß ganz gut, wie weit mein Können hinter meinem Wollen zurückgeblieben ist, wie vergänglich wohl all mein Schaffen sein wird. Aber das ist auch gleichgültig. Man ist Mensch gewesen und hat mit seinem Pfunde gewuchert. Wie viel oder wie wenig dabei herausspringt, mögen Spätere entscheiden!

Dubsky Ich bin ja auch durchaus zufrieden, wenn wir weiter so zusammenstehen, du als erster, ich als zweiter. Wiegand In deinen Worten steckt wie immer etwas Hinterhältiges. Sei doch einmal im Leben offen!

Dubsky mit großer Gebärde Bist du offen gegen mich, Bruno?

Wiegand nach einem Augenblick Nein! Ich bin es auch nicht! Im Kampf aller gegen alle gewöhnt man sich das ab. Die einzige Überlegenheit, die man vielleicht gehabt hat, gibt man mit dran. So macht einen das Leben flach und gemein!

Dubsky Bruno! Du willst Minister in Teklenburg werden! ... Du bist es in diesem Augenblicke schon!

Wiegand Woher weißt du das? Wie kannst du das wissen?

Dubsky mit hochgezogenen Brauen Und keinem von deinen Freunden sagst du ein Wort! Man wird an der Nase herumgeführt!

Wiegand Niemand wird an der Nase herumgeführt! Es ist einfach noch nichts entschieden!

Dubsky mit hochgezogenen Brauen Mein lieber Bruno! Die Geschichte kann dir den Hals brechen.

Wiegand Brecht mir doch den Hals, wenn ihr könnt! Hier stehe ich und warte darauf!

Dubsky Ich mache dich nur darauf aufmerksam, in welche schiefe Stellung du geraten kannst, wenn die Geschichte bekannt wird.

Wiegand Ich bin Manns genug, für meine Handlungen einzustehen!

Dubsky Lieber Bruno, du bist der Begründer und Vorsteher einer großen anarchistischen Gemeinschaft und konspirierst hinter dem Rücken deiner Genossen mit den Staatsgewalten. Was muß das für einen Eindruck auf die Welt machen! Von deinen Freunden gar nicht zu reden.

Wiegand Ah! Kommst du mit deinen herostratischen Flugblättern, alter Freund? Erkenne ich meinen Dubsky wieder?

Dubsky mit heruntergezogenen Mundwinkeln Du beleidigst mich! Es gibt Zeitungsschreiber genug, die den fetten Brocken aufschnappen würden. Was wäre die Folge? Du stündest als ein Gerichteter vor der Öffentlichkeit! Und glaubst du, ein toter Mann könnte auch nur Minister bleiben?

Wiegand steht mit den Händen auf dem Rücken, in Nachdenken versunken da, sieht auf Allerdings! Bei schiefer Beleuchtung durch Böswillige kann die Sache ein schlimmes Ansehn gewinnen. Er macht ein paar nachdenkliche Schritte.

Dubsky Sie wird ein schlimmes Ansehen gewinnen! Verlaß dich auf mich!

Wiegand In Wirklichkeit liegt der Fall so, daß ich an eine neue Lebensbasis gedacht habe, längst ehe Marenholdt kam.

Dubsky Aber der war es, der den Stein ins Rollen brachte?

Wiegand macht wieder ein paar Schritte, bleibt rechts am Fuße der Anhöhe stehen Ich bin in dem Alter, wo man zum erstenmal zurücksieht und Inventur macht. Wo man sich fragt, bist du auf dem rechten Wege oder nicht? Ich habe immer aus dem Vollen geschöpft, habe nie mit mir selber hausgehalten. Jetzt, wo der Weg vorwärts jedenfalls kürzer ist als das Stück, das vorbei ist, wo man also schon auf der Nachmittagsseite wandert, jetzt wird es Zeit, sich zu sammeln. Seine Kräfte, seinen Willen auf einen Punkt zu konzentrieren und sich das schlechte Geschäft, das unser Dasein nun mal ist, nicht noch unnütz zu verschlechtern.

Dubsky geduckt Du beklagst dich über schlechte Lebensgeschäfte? Du?

Wiegand auf und ab gehend Lieber Dubsky, wir alle von unserer Generation, wir sind grenzenlose Verschwender gewesen! Wir sind als Revolutionäre, als Weltverbesserer auf den Plan getreten! Jedes Geschlecht hat seine Aufgabe zu erfüllen. Unsere war es, Sturm zu laufen und Bresche zu legen. Daß wir dabei am eigenen Glück zu kurz gekommen sind, daß wir uns vielleicht vor der Zeit verbraucht haben ... Kein Wunder!

Dubsky Und um dem abzuhelfen und künftig bessere Geschäfte zu machen, willst du jetzt Minister werden?

Wiegand Ich will es nicht! Andere wollen es von mir! Andere behaupten, es wäre im Grunde kein so großer Unterschied zwischen dem Amte hier, das ich mir selbst gegeben habe, und dem Amte, das mir angetragen wird. Das Ziel bliebe das gleiche, nach seinen besten Kräften der Menschheit zu nützen.

Dubsky zähnefletschend Es sind verdammt feine Diplomaten, die dir das eingegeben haben!

Wiegand Was wir hier tun und treiben, geschieht des Beispiels wegen. Durch die Macht des Beispiels wollen wir wirken. Darüber hinaus geht es nicht, wird es niemals gehen. Als Staatsmann und Minister kann ich unmittelbar wirken. Soll das einen Mann von meiner Art nicht reizen?

Dubsky tritt vor Wiegand hin Du hast von mir wissen wollen, woher ich die Nachricht von deiner Ministerkandidatur habe? Gut! Ich habe sie von deinem Freund und Vertrauten, Herrn Baron von Marenholdt.

Wiegand Von Marenholdt selbst? Marenholdt sollte herumgehen ...

Dubsky Herr von Marenholdt geht herum und erzählt unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit, daß du Minister werden sollst!

Wiegand Was sollte er nur für eine Absicht dabei haben?

Dubsky Man will dich aufs Glatteis locken, Bruno! Man will dir eine Falle stellen! Steckst du den Kopf in die Schlinge und sagst ja, dann überliefert man dich dem allgemeinen Gespött, der allgemeinen Verachtung!

Wiegand aufgeregt auf und ab Unmöglich! Solch ein Mittel ...!

Dubsky Nach den Mitteln fragen diese Herren nicht viel. Wenn nur wieder einer von den Unsrigen unschädlich gemacht ist! Daß es gerade den besten, den ehrlichsten von allen trifft, was kümmert das einen Zyniker wie Marenholdt!

Wiegand dreht sich plötzlich um Dubsky! Du lügst schon wieder!

Dubsky mit hochgezogenen Brauen und zähnefletschend Glaubst du mir nicht? Ich schwöre es dir beim Grabe meiner Mutter!

Wiegand Die Wahrheit, Dubsky! Ohne Schwüre und große Worte!

Dubsky die Hand auf dem Herzen Bei allem, was mir heilig ist!

Wiegand Aber was ist dir heilig?

Dubsky Unsere Freundschaft ist mir heilig! Unserer Freundschaft zuliebe warne ich dich!

Wiegand sieht ihn lange an Ich glaube, du bist viel unglücklicher, Dubsky, als du selbst ahnst!

Dubsky mit heruntergezogenen Mundwinkeln Hanswurste sind immer tragische Figuren! Merkst du das erst jetzt?

Wiegand Du bist ein Unfroher! Du bist auf der Nachtseite geboren! Deshalb darf man deine Stänkereien auch nicht so ernst nehmen. Diesmal aber handelt es sich um eine Lebenssache und um einen Mann, der mein Freund ist ...

Dubsky hat sich geduckt Ich will dir beweisen, daß ich es aufrichtig mit dir meine. Du weißt, daß in unserer Gesellschaft eine starke Strömung gegen dich besteht. Ich persönlich stehe dem ja prinzipiell fern. Ich habe zum Frieden geredet, wo ich nur konnte.

Wiegand Und wie verhält es sich mit der Idee, aus unserer freien und individualistischen Gemeinschaft hier eine kommunistische Zwangsgenossenschaft zu machen? Gütergemeinschaft und dergleichen einzuführen? Wer ist der Vater dieser Idee, Dubsky?

Dubsky Lieber Bruno, die Frage nach der Vaterschaft ist eine der heikelsten, die an einen Mann gestellt werden können. Ich verspreche dir, daß die Idee als ein totgeborenes Kind begraben werden soll ...

Wiegand Und wirst es halten, Dubsky?

Dubsky Ich halte es, wenn du deine Verpflichtungen gegen uns einhältst.

Wiegand geht mit großen Schritten auf und ab, bleibt schließlich vor Dubsky stehen Gut, wenn dein Wort wahr ist, dann soll mich keine Macht der Welt aus eurem Kreis herausbringen! Denn dann kann ja das wiederkommen, was wie ein Morgenglanz über dem ersten Jahr hier gelegen hat, der Einklang der Seelen! Das neidlose Vertrauen vom einen zum andern!

Dubsky Hier hast du meine Hand! Heute abend beim Fest lass' ich eine große Kundgebung für dich vom Stapel!

Jürgen erscheint rechts hinten am Bootshaus, kommt rasch nach vorn, schwenkt seine Mütze Guten Tag, Vater! Guten Tag, Onkel Dubsky! Er reicht beiden die Hand.

Dubsky Guten Tag, lieber Jürgen! Du kommst vom See?

Jürgen Ja, ich habe unten am Turm angelegt. Ich hab' zwei Stunden gerudert.

Wiegand droht ihm mit dem Finger Gesegelt willst du sagen?

Jürgen sieht sich um Aber nicht der Mutter verraten! Herrlich war es auf dem Wasser!

In der Zeltöffnung hinten erscheint

Die Moritura Dubsky! Bruno Wiegand! Mein Stück wird gemeuchelt! Mein Stück wird verhunzt!

Lothario hinter ihr erscheinend Hilfe! Hilfe, erlauchter Mann! Ihre Dichterin bringt mir meinen Komiker um! Hilfe!

Marcipansky hinter den beiden in der Zeltöffnung Ich lasse mich keinen Ochsen titulieren! Ich habe vor dem Publikum zweier Welten gestanden! Mag die Dame ihr Gewäsch allein spielen!

Die Moritura Gewäsch? Sie Rindvieh! Sie ... Sie ...! Wiegand eilt nach hinten Ruhe, meine Herrschaften, Ruhe! Die Probe nimmt ihren Fortgang! Himmel Donnerwetter! Er schiebt die Streitenden vor sich her ins Zelt ab.

Lothario allein vor der Zeltöffnung zu Dubsky und Jürgen Krach auf der Probe, meine Herren ... Ein Bombenerfolg wird das! Ebenfalls ins Zelt ab.

Dubsky Das ist das Leben, mein lieber Jürgen!

Jürgen Wie meinst du das, Onkel Dubsky?

Dubsky mit heruntergezogenen Mundwinkeln Ein Puppenspiel im Puppenspiel des Puppenspiels! Wir kämpfen und leiden und nehmen uns verzweifelt tragisch. Dabei sind alles nur gemalte Kulissen von Leinwand und Pappe, und wir selber stehen davor und sagen Rollen her, die uns ein Unbekannter auf den Leib geschrieben hat. Wir agieren Götter, Dirnen und Hanswurste mit einem heiligen Ernste, als seien wir nie etwas anderes gewesen, könnten nie etwas anderes sein, und in einer Stunde sind die Lichter ausgelöscht und das gleiche Dunkel verschlingt den Heldenspieler wie den Intriganten ... Bist du einmal in einem Spiegelsaal gewesen, mein lieber Jürgen?

Jürgen Ich denk' schon, Onkel Dubsky. Man sieht sich selbst so und so oft.

Dubsky Man sieht fünfzig Dubskys und fünfzig Jürgens und noch einmal fünfzig und wieder fünfzig, und alle tun sie das gleiche. Welcher von allen ist nun der richtige?

Jürgen Man muß sich nur an der Nase zupfen, Onkel Dubsky.

Dubsky Meinst du, die andern werden sich nicht auch an der Nase zupfen und sich einbilden, sie sind es?

Jürgen Das ist ja eigentlich entsetzlich! Man könnte verrückt werden, wenn man daran denkt, oder sich aufhängen oder vor sich selbst fortlaufen ...

Dubsky zähnefletschend Nichts von dem allen! Man streckt einfach die Zunge heraus, so lang und so weit man kann! Stell' dir vor, hundertfünfzig Dubskys, die sich gegenseitig die Zungen herausstrecken! Gibt das nicht einen Mordsspaß?

Jürgen tritt näher Onkel Dubsky, ich hab' mich schon manchmal danach gefragt ... lohnt es sich eigentlich, daß man lebt?

Dubsky zieht die Brauen hoch Es lohnt sich nicht, mein lieber Jürgen!

Jürgen Wozu sind wir dann überhaupt da?

Dubsky Unsere Rollen zu spielen, sind wir da, der eine den König, der andere den Bettler, und einander die Zungen herauszustrecken!

Jürgen Als du so alt warst wie ich, Onkel Dubsky, hast du da auch schon so gedacht?

Dubsky Hätt' ich mit vierzehn gewußt, was ich mit vierzig sein würde, ich glaube, ich hätte den ersten besten Strick genommen ... Er kehrt sich ab, macht geduckt ein paar Schritte.

Jürgen Ich komm' mir manchmal so dumm vor, wenn ich euch alle hier sehe! Dann auch wieder nicht! Man weiß selbst nicht ...

Dubsky dreht sich um Daß das Leben ein ganz gemeiner Pferdehandel ist, das wirst du noch früh genug merken. Meinst du, ich habe nicht auch einmal den Ossa auf den Pelion getürmt und den Olymp für einen Maulwurfshaufen angesehen? Er schlägt sich vor die Brust Da hast du die Herrlichkeit, die davon übriggeblieben ist!

Jürgen Nein! Es muß doch noch etwas dahinter sein! Etwas, das sich gar nicht sagen, gar nicht ausdenken läßt! Etwas ungeheuer Schönes! Wenn man nur erst hier raus wäre!

Dubsky Möchtest du von hier fort?

Jürgen Für mein Leben gern! Das ist ja das Unglück, daß man festsitzt und nicht loskommt! Wenn ich da drüben überm Wasser die Berge sehe und die blauen Wälder, ganz weit, nur so wie im Traum ... Sag', Onkel Dubsky, was soll man tun, wenn man es vor Sehnsucht gar nicht mehr aushält? Was hättest du an meiner Stelle getan?

Dubsky zähnefletschend Ich wäre ausgerissen!

Jürgen Wirklich, Onkel Dubsky?

Dubsky Ich bin mehrmals von der Schule ausgerissen, mein lieber Jürgen, oder glaubst mir das nicht?

Jürgen Mehrmals ausgerissen! ... Aber sie haben dich immer wieder bekommen, nicht?

Dubsky Man hatte kein Geld. Man wurde aufgegriffen.

Jürgen ballt die Faust Wenn ich mal so was tue, ich richt's mir schlauer ein! ... Und ich tu's auch noch mal! Es geht ja nicht länger so mit dem Leben hier. Ein Tag wie der andere! Immer das ewige Einerlei!

Dubsky Graben, Hacken, Säen, Wassertragen ...

Jürgen Sieh mal zum Beispiel Mutter an! Die hat früher so viel gelacht. Jetzt ...? Kaum, daß sie noch mal einen Witz macht!

Dubsky mit hochgezogenen Brauen Ist dir schon bekannt, mein lieber Jürgen, daß dein Vater Minister im Teklenburger Ländchen werden soll?

Jürgen Vater Minister? ... Aber dann muß er ja von hier fort? Und wir mit, Mutter und ich? Hurra! Wir reisen! Wir reisen!

Dubsky Ihr seid noch nicht weg, mein lieber Jürgen, die Sache ist noch nicht entschieden.

Jürgen Noch nicht entschieden? ... Ach was! Vater muß einfach! Ich setz' ihm so lange zu, bis er ja sagt! ... Sag' mal, Onkel Dubsky, was hat denn Vater eigentlich als Minister zu tun?

Dubsky grinsend Den Leuten Sand in die Augen zu streuen, mein lieber Jürgen!

Jürgen Nein! Dazu ist Vater zu stolz!

Dubsky geduckt Vielleicht hat dein Vater sein Lebtag den Leuten Sand in die Augen gestreut ...

Jürgen Das verbitt' ich mir, Onkel Dubsky!

Dubsky süß Ich habe nur Spaß gemacht, mein lieber Jürgen. Wir tun ja alle nichts anderes.

Jürgen Segelst du mit, Onkel Dubsky?

Dubsky Wenn du mich am Garten absetzen willst?

Jürgen In fünf Minuten sind wir da. Sie gehen gegen das Bootshaus zu. Jürgen dreht sich zu Dubsky um Onkel Dubsky, Vater muß Minister werden! Ich bring' ihn dazu! Wollen wir wetten?

Dubsky Ich bin neugierig, wie du das anfangen willst.

Jürgen Paß nur auf! Ich tu' etwas, was sich kein Mensch träumen läßt. Beide rechts hinten ab.

Wiegand tritt aus dem Zelt links hinten, spricht zu Lothario, der in der Zeltöffnung stehen bleibt Der Karren wäre also wieder im Gang!

Lothario feurig Dank, begnadeter Mann, Dank! Ich rufe mit Lessing: Wohl dem Volk, wo solche Geister den Ton angeben! Er verschwindet mit großer Gebärde im Zelt.

Wiegand geht nachdenklich ein paar Schritte nach rechts.

Dorothee kommt eilends von rechts den Waldweg herunter Ich suche dich, mein Gebieter.

Wiegand Ich dich gleichfalls.

Dorothee Also! Deine untertänige Sklavin wartet. Sie kreuzt die Arme übereinander, mustert ihn von oben bis unten.

Wiegand Du bist doch ein Kindskopf, Dorothee! Sei doch mal ernsthaft!

Dorothee Ich bin doch in keinem Sargmagazin angestellt! Man hat sowieso schon immer neben dem Pulverfasse gelebt ...

Wiegand Du bist ja auch ganz verschrumpelt davon geworden!

Dorothee Das könnte dir so passen, damit du einen Grund hast, dir eine jüngere zu suchen ...

Wiegand Weib ...!

Dorothee O nein, mein Freund, ich habe eine gute Natur! Ich will mich so lange wie möglich jung erhalten. Dir zum Trotz!

Wiegand Wenn du vielleicht fertig bist ...

Dorothee Sprich doch! Ich warte darauf! Es hindert dich ja keiner! Sie sieht ihn herausfordernd an.

Wiegand Himmeldonnerwetter ...!

Dorothee Ja, fluche nur! Fluchen ist ja immer eure letzte Zuflucht.

Wiegand Ich sehe, es geht nicht. Er wendet sich zum Gehen.

Dorothee Erst will ich wissen, wie du dich entschieden hast?

Wiegand Dann sei also vernünftig!

Dorothee Nimmst du Marenholdts Vorschlag an?

Wiegand Ich habe dir schon vor einer Stunde gesagt, ich kann nicht darauf eingehen.

Dorothee Du hättest dich ja besinnen können.

Wiegand Nein! Ich bleibe, wo ich bin und was ich bin! Ich lasse meine Leute hier nicht im Stich!

Dorothee lauernd Ist denn irgend etwas passiert, daß das auf einmal so fest steht?

Wiegand Ich habe mich mit Dubsky ausgesprochen, wir haben uns geeinigt.

Dorothee Wußte er denn schon von der Ministergeschichte?

Wiegand Ja, merkwürdigerweise! Er fing selbst davon an ...

Dorothee springt auf Und mir hat er beim Grabe seiner Mutter geschworen, er will's niemand weiter sagen!

Wiegand Beim Grabe seiner Mutter? Dir auch?

Dorothee stürmisch Und so gut er mich belogen hat, so gut wird er dich auch belügen! Merkst du jetzt, was du an ihm hast?

Wiegand beherrscht sich mühsam Dorothee, von wem wußte Dubsky die Ministergeschichte? Es sollte doch Geheimnis bleiben. Etwa von dir?

Dorothee Ja, von mir! Von mir!

Wiegand Also nicht von Marenholdt?

Dorothee Marenholdt hat kein Wort verraten! Ich war's! Ich habe Dubsky vorgeredet, du hast den Posten schon angenommen, es ist alles abgemacht! Jetzt geht er herum und schreit die Neuigkeit auf allen Straßen aus! Begreifst du jetzt, daß du keine Wahl mehr hast? Daß du fort mußt, ob du willst oder nicht?

Wiegand Und mit solchen Mitteln hast du mich zwingen wollen, Weib?

Dorothee Es war ja zu deinem Besten! Ihr Männer wollt's ja nicht anders haben! Bitten und Vorstellen hilft nichts, also heißt es klug sein und von hinten herum kommen.

Wiegand mit großen Schritten auf und ab Nein, darauf war ich nicht gefaßt! Daß Dubsky mich belügt ... Gut! Er muß lügen, wie das Opossum stinken muß! Aber daß das Weib, das man lieb hat, hinter dem Rücken des Mannes hinterlistige Intrigen spinnt ...

Dorothee Gemeinheit! Mich mit Dubsky in einen Topf zu werfen! Weil man nicht mit ansehen will, wie sich so ein Mannsbild verbraucht und verzehrt!

Wiegand vor ihr stehen bleibend Weib, ich lasse mir meinen Weg nicht vorschreiben! Ich lasse mir keinen fremden Willen aufzwingen! Nicht von dir und nicht von Dubsky! Ich kann nur mir selbst und meiner Überzeugung folgen!

Dorothee Gut! Das Weib hat das gleiche Recht wie der Mann. Ich hab's nicht umsonst von dir gelernt. Meine Überzeugung ist, daß unser ganzes Leben hier nur noch ein Selbstbetrug ist und daß wir zugrunde gehen! Deshalb mach' ich Schluß!

Wiegand Was soll das heißen?

Dorothee wirft den Kopf zurück Ich gebe dir bis heute abend Bedenkzeit! Bleibst du dann eigensinnig, so gehe ich allein! ... Und den Jungen nehm' ich mit!

Wiegand Himmeldonnerwetter! Du bleibst! Und der Junge bleibt ebenfalls!

Dorothee Ah! Bin ich also kein freies Weib? Darf ich nicht nach meiner Überzeugung handeln?

Wiegand Dorothee, komm' zur Einsicht!

Dorothee Ich will doch sehen, ob du mich mit Gewalt halten wirst, Herr Weltverbesserer!

Wiegand Tu, was du mußt! Er geht nach rechts gegen die Anhöhe.

Dorothee erschrocken Was ist denn los? Wo willst du denn hin? ... Bruno!

Wiegand dreht sich um Bitte, du bist ein freies Weib! Liebe ist nichts, Überzeugung alles! Also, wenn sich unsere Wege scheiden sollen ... Leb' wohl!

Lanzinger ist rechts oben erschienen, erblickt Wiegand Ah, da bist du ja!

Wiegand Was gibt's?

Lanzinger Ich wollte dir nur offiziell mitteilen, daß ich übermorgen abreise. Halb und halb weißt du es ja schon.

Wiegand legt Lanzinger die Hand auf die Schulter Lanzinger! Kerl! Hat dir das lumpige bißchen Geld, was du geerbt hast, total den Kopf verdreht? Bedenk', was das heißt, eine Insel der Seligen aufgeben!

Lanzinger Mir scheint, wer selbst auf der Suche nach neuen Lebensformeln und Sensationen ist, sollte doch anderen nicht den Weg dazu verbarrikadieren ...

Wiegand mit Ahnung Deutlicher, mein Sohn! Deutlicher!

Lanzinger Oder willst du als Minister von Teklenburg die Insel der Seligen weiterführen?

Wiegand Als Minister von Teklenburg ...! Wann hast du das von Dubsky erfahren?

Lanzinger Vor fünf Minuten! Die ganze Insel ist schon voll davon!

Wiegand zu Dorothee Hast du's gehört, Weib?

Lanzinger Ich habe ja nie begriffen, wie jemand einem ideologischen Phantasma zuliebe sein schönes Geld an eine Horde von ungewaschenen Bohemiens hinauswerfen kann. Jetzt versteh' ich deine innerste Tendenz besser. Du hast dir damit eine Brücke schlagen wollen zur bürgerlichen Gesellschaft zurück. Du hast der Welt dein Organisationstalent vordemonstrieren wollen. Jetzt, wo du damit reüssiert hast, jetzt stößt du das Sprungbrett beiseite. Ein sehr ingeniöser Plan!

Wiegand Geh! Geh auf der Stelle! Oder bei allen Teufeln ...! Er macht eine drohende Gebärde.

Lanzinger Ah, du willst den Kato weiterspielen? Dann Pardon! Er geht rechts, woher er gekommen, ab.

Wiegand zu Dorothee Dein Mittel hat gewirkt! Freust du dich?

Dorothee geknickt Ach, hör' doch nicht auf den dummen Jungen! Hör' auf mich, Bruno! Und auf Marenholdt! Ich hab' es gut gemeint. Wenn ich mich wirklich versehen hab' ... verzeih! Sie streckt ihm die Hand entgegen.

Wiegand kehrt sich schweigend ab.

Dorothee Willst du mir nicht die Hand geben?

Wiegand abgewendet Du hast ein falsches Spiel mit mir gespielt, Dorothee! Du hast mir vielleicht meine ganze Zukunft durchkreuzt! Du hast mir klipp und klar erklärt, daß du dich von mir trennen willst ...

Dorothee Und das hast du geglaubt, du Kindskopf du?

Wiegand Ich weiß selbst nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht. Ich bin etwas irre an meiner Menschenkenntnis geworden.

Dorothee Also keine Hand, keinen Blick?

Wiegand Ich komme nicht so schnell drüber weg, Dorothee ...

Dorothee wendet sich ebenfalls ab Was willst du tun?

Wiegand Was jetzt kommt, ist Einkehr und Rechenschaft ...

Dorothee wieder mit Wendung zu ihm Und dabei soll ich dir gar nicht ein bißchen mehr helfen?

Wiegand Nein! ... Ich habe mich zu verantworten. Vor mir selbst und vor den andern! Dazu muß ich allein sein. Er geht, ohne sich umzusehen, rechts ab.

Dorothee sieht ihm nach, wischt sich über die Augen Und er meint, ich werd' ihm den Gefallen tun und ihn allein lassen? ... So ein dummer, dummer Kerl!

Vorhang.


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