Heinrich Hansjakob
Aus dem Leben eines Vielgeprüften
Heinrich Hansjakob

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3

Es war an des Kaisers Geburtstag. Die Böller krachten herab vom Schloßberg, als ich gegen zehn Uhr morgens wieder am Fenster saß und mit meinem Freund mich in geistigen Rapport setzte.

Ehe dies geschah, hatte ich bemerkt, daß er heute viel unruhiger war als sonst. Er zog bald das rechte, bald das linke Hinterbein in die Höhe. Ich wußte nicht recht, ob dies geschehe aus Angst vor dem Schießen oder aus Freude am heutigen Festtage. Ich glaubte fast, die deutsche Untertanen-Seligkeit sei selbst in einen alten Gaul gefahren.

Seine Miene widersprach aber der letztern Vermutung. Und als er merkte, daß ich im Zweifel sei, telegraphierte er:

»Ich ziehe heute meine Beine in die Höhe, weil mich wieder mein alter Rheumatismus sticht, den ich teils als Herrenpferd, teils als Droschkengaul auf dem Kleberplatz in Straßburg geholt habe.«

»Doch laß mich erst meine Vorgeschichte erzählen, ehe ich mehr von meinen Schmerzen rede und von meinem Leben auf dem Kleberplatz.«

»An einem schönen Sonntag fuhr mein Herr mit mir nach Straßburg; denn die Hanauer und Hanauerinnen alle gehen gerne in diese Stadt. Sprache, Tracht, Sitte und Stamm haben sie ja gemeinsam mit den Elsässern.«

»Im Gasthaus zum ›Elsässer Hof‹ nehmen sie meist ihre Einkehr. Als wir an jenem Tag bei demselben anfuhren, hatte ich, stolz dahertrabend, die Aufmerksamkeit eines jüdischen Pferdehändlers auf mich gezogen. Er stand, als wir ankamen, gerade unter der Türe des Wirtshauses.«

»Ich muß seinem Kennerblick gefallen haben: denn während mein Bauer abstieg, fragte er ihn: ›He, Mann, ist der Sandschimmel nit feil?‹«

»›Amme (einem) Bur,‹ so sprach der Hanauer, ›isch alles feil, wenn er güet zahlt werd, nur d' Fröu und d' Kinder nit. Dene Schimmel gäb' i aber am liabste her. Er paßt nit ins Bureg'schäft. Er het an Herregeist. Er springt liaber, als er ziaht.‹«

»Das hörte der Hebräer nicht ungern und ich auch nicht; denn vom Pflug und vom Düngerwagen wegzukommen, war ja längst mein höchster Wunsch.«

»Bauer und Jude gingen, nachdem ich ausgespannt und dem Hausknecht übergeben war, in die Wirtsstube, kamen aber nach einiger Zeit in den Stall: der Knecht mußte mich herausführen und einige Male im Hof hin- und hertraben lassen.«

»Eine halbe Stunde später war der Verkauf abgeschlossen. Ich gehörte für 800 Mark und 20 Mark Trinkgeld dem Pferdehändler Samuel Levi in Straßburg; sein Knecht sollte mich innerhalb acht Tagen abholen.«

»So geschah es. Der Knecht kam und holte mich. Ich hatte es nicht erwarten können. Leichten Sinnes ging ich von der Seite meiner Mutter, die mich schweren Herzens scheiden sah; denn überall und stets sind die Mütter beim Scheiden gefühlvoller als die Kinder, auch bei uns Pferden.«

»Der Knecht legte mir einen scharfen Zaum an, bestieg mich und ritt davon. Ich war kaum vor dem Dorf draußen, als ich merkte, ich stünde unter einem andern Herrn.«

»Mein Reiter zog den Zaum so schmerzhaft fest an und drückte mich mit seinen Beinen derart, daß ich hinten und vornen ausschlug. Das bekam mir aber schlecht: Der Zaum wurde noch schärfer angezogen, und die Reitpeitsche sauste so stark auf meinen Leib, daß, gegen diese Streiche die Peitschenhiebe meines Hanauers die reinsten Liebkosungen waren.«

»Schweißtriefend und an allen Gliedern zitternd, kam ich, geplagt und geängstigt, in Straßburg an. Ich wäre gerne heute schon wieder zurückgekehrt an die Seite meiner Mutter, allein es war zu spät.«

»Es sollte aber noch schlimmer kommen. Das war nur der Anfang des Liedes meiner Leiden.«

»Am andern Tage wurden mir der Schwanz und die Mähne toupiert. Auf beide war ich stolz gewesen. Sie mußten fort, und unsere Feinde, die Mücken, konnten fortan ungestraft mich plagen,«

»Nun wurde ich am Wagen dressiert zum Karossier; der Pferdehändler nennt das ›Einfahren‹ – ich nenne es ›Einschinden‹.«

»Wie gerne hätte ich in jenen Dressier- und Schindtagen den Pflug meines Bauern gezogen durch die nassen Furchen des Hanauerlandes!«

»Zu all der Plackerei kam noch der Hunger. Es gab nur kleine Portionen Heu; denn ich sollte schlank werden. Da hing in der Raufe nicht immer Heu, wie im Hanauerland, wo unsereiner mehr Futter zum Zeitvertreib hatte, als in Straßburg beim Levi bei den Hauptmahlzeiten.«

»O, wie oft dachte ich an meine gute Mutter und an ihren Rat, und wie gern wäre ich wieder heim ins Hanauerland, um dort für Lebenszeit zu bleiben und den braven Bauern treu und gehorsam zu dienen!« – hier hielt er, von Schmerz übermannt, inne, mein alter Schimmel, und schwieg einige Zeit. Dann fuhr er wehmutsvoll weiter:

»Als ich allein eingefahren war, wurde ich mit einem andern Rotschimmel meiner Größe zusammengespannt, damit wir beide gleichmäßig gingen an der Karosse.«

»Mein Kamerad war aus Rußland gekommen und hatte nach den riesigen Steppen, in denen er seine Jugend verlebt, noch mehr Heimweh, als ich nach dem Hanauerland.«

»Wir sprachen, in nächtlicher Schlaflosigkeit neben einander im Stalle stehend, oft von Fluchtversuchen. Aber nirgends zeigte sich ein Hoffnungsschimmer des Gelingens. Was ihr Menschen von Tieren einmal in eurer Gewalt habt, laßt ihr nicht leicht mehr los aus eurer Tyrannei,«

»Es blieb also mir und dem Russen nichts anderes übrig, als unglücklich zu sein und stillen Haß zu tragen gegen euch Menschen.«

»Mein Kamerad hatte schon auf dem Transport hierher so viel gelitten durch Hunger, Entbehrung und Schläge, daß er noch weit verbitterter war, als ich, dem die kurze Ueberführung vom nahen Hanauerland wahrlich auch kein Spaß war.«

»Einigen Trost in unserem Hasse gewährte es, daß wir sahen, wie auch ihr Menschen nicht glücklich seid. Die Knechte des Juden Levi händelten oft im Stalle und schlugen sich wund. Auch wurden sie von ihrem Herrn oft beschimpft als Lumpen und beschimpften dann den Levi wieder, wenn er fort war, als einen Spitzbuben.«

»Sie erzählten oft von Elend, Krankheit, Not und Tod unter euch Menschen. Wir hörten es und dachten, unseren Tyrannen gehöre auch was für die Art, in der sie mit dem ›lieben Vieh‹ umgehen.«

»Wir hatten in unserem Stall auch allerlei Gesindel aus dem eigenen Geschlechte: boshafte und närrische Pferde, Beißer und Schläger. Wenn sie nur nach den Knechten gebissen und geschlagen hätten, wär's uns eine Freude gewesen; so aber behandelten sie uns junge auch nicht besser als die Menschen.«

»Diese Rosse waren dabei noch dumm: denn wer angebunden und gefesselt ist, sollte nicht nach seinen Tyrannen ausschlagen. Er bekommt die Schläge zehnfach zurück und wird noch kürzer angebunden.« –

»Nachdem wir zwei, der Russe und ich, hinlänglich eingefahren oder, richtiger, eingepeitscht waren, kaufte uns ein reicher Bankier der Stadt.«

»Und hiemit beginnt ein neues Stadium meines Lebens und Leidens. Doch eben kommt mein Milchmann, und ich muß von dannen. Das nächstemal Fortsetzung.«

 


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