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Einundzwanzigstes Kapitel.

Als Adrian nach Hause kam, sah er Anthonys Brief überschrieben, gesiegelt und mit Freimarken versehen auf dem Tisch liegen.

»Ich habe eine Menge Zeug zur Post zu bringen,« sagte er. »Soll ich diesen Brief mitbesorgen?«

Hatte Susanna ihn in ihr Geheimnis eingeweiht? Es mußte wohl so sein, denn anders läßt es sich nicht gut erklären, daß sie den natürlich nach Craford gerichteten Brief noch an demselben Abend auf der Isola Nobile in den Händen hielt.

Lächelnd las sie ihn.

»Welche der vielen Villen, die ich von meinem Fenster aus sehe, mag wohl die Ihre sein?« fragte er. »Den ganzen Tag habe ich mich darüber besonnen. Das ist das Einzige, was hier tatsächlich mein Herz bewegt, was ein Gefühl in mir erregt durch seine Gedankenverbindung mit Ihnen. Den ganzen Tag klingt mir ein Sonett von Ronsard im Ohr – erinnern Sie sich dessen? – Voici le bois. Aber ich möchte wissen, welche Villa, welcher Garten Ihnen gehört. Warum habe ich mich nicht danach erkundigt, als ich aus dem Paradies vertrieben wurde? Vermutlich könnte ich es hier leicht erfahren – ich dürfte wohl nur danach fragen. Aber Ihr Name ist mir zu heilig. Ich kann ihn nicht vor Menschen aussprechen, die vielleicht nicht ihr Haupt entblößen, wenn sie ihn hören.«

Susanna lachte leise.

Auf einer andern Seite (der Brief war acht Seiten lang) war zu lesen: »Es ist natürlich sehr schön hier. Die Art wie sich die Stadt am Hügel aufbaut, der rote und gelbe und lila Verputz der Häuser, die Blumengärten, der strahlend blaue Himmel – alles ist malerisch und schön. Aber ich verlange nicht nach Schönheit, wenigstens nicht nach dieser Art von Schönheit. Ja, wenn Sie mit mir hier wären – dann! Aber Sie sind in Craford und nicht hier, und ich sehne mich nach Craford. Es gab eine Zeit, wo mir Craford als der trübseligste Ort von ganz Europa erschien, und wo der Gedanke an Italien alles in sich begriff, was leuchtend und schön und romantisch war, einerlei ob in Rom oder Florenz oder Venedig. Es gab eine Zeit, wo mich nichts mit solcher Wonne erfüllte, als mir morgens beim Erwachen sagen zu können: ›Ich bin in Italien – in Italien – in Italien!‹ Aber die Zeiten haben sich geändert. Damals waren Sie in Italien, und heute sind Sie in Craford. Italien ist für mich zu Staub und Asche geworden und Craford ist der einzige Ort, wo Leben Leben ist – ich sehne mich nach Craford!«

Und wieder auf einer andern Seite hieß es: »Ich kann nicht leugnen, daß mich in der Kathedrale eine gewisse Rührung überkam. So viele Generationen meines Geschlechtes sind in ihr getauft und getraut worden und liegen in ihr begraben. Und wie oft mögen Sie dort gebetet haben! – Man zeigte uns die Reliquien von San Guido, und die Spina d'Oro. Nun, und man ist ja schließlich auch nicht von Stein! Ich versuchte, mir darüber klar zu werden, in welchem Teil der Kirche Sie für gewöhnlich zu knieen pflegten, welches Ihr Betstuhl sein möchte, aber leider ohne Erfolg! Dennoch fühlte ich etwas wie einen Hauch Ihrer Gegenwart und mein Herz schlug höher. Ebenso ging es mir im Palazzo Rosso. Unter den Augen all dieser bewegungslosen und schweigenden toten und dahingegangenen Valdeschi in ihren Rüstungen, Krausen, Puffen und Perücken konnte man nicht ganz gleichgültig bleiben. Ein alter Diener, der uns herumführte und sagte, er sei schon ich weiß nicht mehr wie viel hundert Jahre im Dienst der Familie, begrüßte mich als ›Verwandten‹, weil er meinen Namen Craford erkannte, und zeigte uns daraufhin auch die Privatgemächer und das Bild meines Großvaters. Auch in einem Stein hätte sich dabei etwas gerührt. Aus dem Thronsaale war ich plötzlich davongeführt und zurückgetragen worden zu dem Regennachmittag in Craford. Ich wandelte wieder an Ihrer Seite auf den Klippen, hörte Ihre Stimme und schwelgte in dem Gefühl Ihrer Nähe und Ihrer wundervollen Schönheit, wie Sie gegen den Wind ankämpften, mit dem Hintergrund der See und des Himmels. Erinnern Sie sich? Erinnern Sie sich, wie stark und kräftig die Luft war mit ihrem Duft von wildem Thymian, und wie die Strandschwalben uns umzogen? Als wir durch die langen, etwas kahlen Räume schritten, schien mir Ihr Schatten vor uns her zu huschen. Oder wenn ich aus den hohen Fenstern blickte, glaubte ich, Sie müßten eben unten über die Piazza oder die Riva gegangen sein. Was die Isola Nobile betrifft, so bedaure ich allerdings, daß sie nicht mir gehört, aber nur, weil ich nicht in der Lage bin, Ihnen einen so fürstlichen und doch so lieblichen Wohnort anbieten zu können.«

Susanna lachte.

Gegen den Schluß hin schrieb er: »Ich sehe auf die See hinaus und stelle mir vor, daß sie ja von hier bis nach England reicht und also eine Art Verbindung zwischen uns herstellt. Vielleicht sehen auch Sie in diesem Augenblick aufs Meer hinaus. Ich stelle mir vor, daß Sie auf Ihrer Terrasse wandeln und auf das graublaue Meer hinausschauen. Es scheint uns zu verbinden. Aber hier ist es nicht grau, hier ist es blau, ganz blau, von einem wahrhaft blendenden Blau bis auf die Stellen, wo es im Sonnenlicht blendend weiß erscheint oder im Schatten beinahe purpurrot leuchtet. Ach warum sind Sie nicht hier? Ich glaube, wenn Sie hier wären, würde mir alles anders erscheinen. Ich kann mir sogar denken, daß ich dann Sampaolo lieben könnte. In neun Tagen – neun Tagen! Aber morgen sind es nur noch acht und übermorgen nur noch sieben Tage! Nur, sage ich? Ach, ich zähle auf diese Art nur, um meinen Mut aufrecht zu erhalten. Neun Tage! Ach, wer diese neun Ewigkeiten aus dem Kalender streichen könnte! Warum schlägt mich nicht irgend ein guter Mensch tot und erweckt mich nach neun Tagen wieder zum Leben? Ach, es war grausam von Ihnen! Grausam, gar zu grausam!«

Susanna sah aus ihrem Fenster über die dunkle Bucht hinüber zu den elektrischen Lampen der Riva, die zitternde Lichter auf die Flut herübersandten, und warf eine Kußhand in der Richtung der Piazza San Guido. Dann ging sie in das Bibliothekzimmer und suchte nach einem Band von Ronsard.


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