Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

Was am Tage vor der Hochzeit im Vatikan vor sich gegangen war, hat man nie genau erfahren können. Franzi erfuhr nur soviel, daß sich zur selben Zeit Calm-Podoski, ein Verwandter der Familie Wittgenstein, in Rom aufgehalten hatte. Dieser Calm-Podoski hatte einen erwachsenen Sohn, der sich planlos auf den Straßen herumtrieb, bei der Kirche San Carlo di Corso vorbeikam, dort die großen Vorbereitungen sah und aus Neugierde die Arbeiter fragte, was da stattfinden solle. Die Arbeiter gaben ihm auch Auskunft über die am anderen Tage stattfindende Hochzeit. Der Junge eilte nach Hause, worauf Calm-Podoski sich mit einem anderen Verwandten der Fürstin, Odescalchi, in Verbindung setzte. Sie sprachen gemeinsam beim Kardinal Catarani vor und machten ihm die Hölle heiß, daß hier ein Attentat gegen die Heiligkeit der Ehe vollführt werden sollte. Die Fürstin Carolyne hätte die Kardinalskonferenz irre geführt, die Annullierung entbehre jedes wahren Grundes. Wie dann der Kardinal Catarani den Kardinal Antonelli zu überzeugen vermochte, und wie diese beiden Kardinäle es fertigbrachten, daß der Papst seinen Entschluß auf eine so ungewöhnliche Art, und zwar noch am selben Abend, widerrief, – das blieb zeitlebens ein Rätsel.

Um diese Einzelheiten kümmerte sich aber Carolyne überhaupt nicht mehr. Ihre krankhafte religiöse Schwärmerei war in einen abergläubischen religiösen Wahn übergegangen. Sie war felsenfest davon überzeugt, daß sie der Herrgott durch den Papst hatte strafen wollen; er wollte sie für ihren Ehebruch strafen, und sie hatte sich dem Willen des Herrgotts zu beugen. Mit der nunmehr endgültig im Sande verlaufenen Ehe beschäftigte sie sich schon nach wenigen Tagen nicht mehr. Kardinal Antonelli hatte ihr nämlich einen Floh ins Ohr gesetzt: er forderte sie auf, sich mit kirchlicher Literatur zu befassen.

Franzi durchschaute sofort, wo der kluge Kirchenfürst hinaus wollte. Dessen Menschenkenntnis entging die eitle Ruhmsucht der Fürstin nicht, die einst als Muse eines großen Künstlers zur Geltung gelangen wollte, jetzt aber Gelegenheit hatte, sich in das heilige Gewand der Religion kleiden zu können. Die Fürstin konnte gut lateinisch und war überzeugt, einen hervorragenden Stil zu schreiben. Antonelli verstand ihr klarzumachen, welch schöne Aufgaben in der kirchlichen Literatur noch auf sie warteten. Damit könne sie sogar die Sünde ihres großen Lebensromanes auch vor Gott wieder gutmachen. Und Carolyne ließ sich nicht lange bitten. Sie beschloß, Franzi ihre geschwisterliche Fürsorge, Zärtlichkeit und Anteilnahme zeit ihres Lebens zu bewahren, ihre Liebe aber und ihr Frauentum auf ewig zu begraben, ihr Herz einzig und allein Gott zu weihen. Es war ihr ja in dieser Welt sowieso niemand mehr übriggeblieben, nur ihre Religion und Franzi.

Denn mit ihrer Tochter und mit ihrem Schwiegersohn kam sie nicht mehr zusammen. Schwiegermutter und Schwiegersohn hatten sich überworfen. Und zwar wegen der siebzigtausend Rubel, die man vor der Hochzeit Okraszewski hatte zahlen müssen. Der Schuldschein war seinerzeit auch von Manja als Bürgin unterzeichnet worden, und Okraszewski hatte die Unterschrift nun zu Geld gemacht. Das Recht stand ihm auch zu, denn nach dem Beschluß der Kardinalskonferenz hatte der Papst die Annullierung der Ehe endgültig verkündet. Konstantin Hohenlohe jedoch hatte von der Unterschrift seiner Frau erst jetzt erfahren und wollte nicht für seine Schwiegermutter zahlen. Daraus entstand ein großer Familienstreit, bei dem die junge Frau nicht geneigt war, gegen ihren Mann Stellung zu nehmen. Zwar zahlte Fürst Konstantin zuletzt doch noch, das Einvernehmen zwischen der Schwiegermutter und dem jungen Paar war aber zerstört. Dazu kam nun noch, daß die Ehe in der letzten Minute doch nicht zustande kam, Fürst Konstantin diesen Betrag also dem Polen umsonst gezahlt hatte.

»Wie anders wäre alles gekommen«, sagte Franzi, »wenn Sie nicht darauf bestanden hätten, daß wir uns in Rom trauen lassen. Wenn Sie damals sofort nach Weimar gekommen wären, nachdem der Heilige Stuhl sich auch zum zweiten Male zu Ihren Gunsten entschieden hatte, hätten wir uns dort trauen lassen können und wären heute schon längst Mann und Frau.«

»Das alles kümmert mich heute nicht mehr«, erwiderte Carolyne, »ich habe die heilige Aufgabe und Ruhe meiner Seele gefunden. Sie würden mich sehr glücklich machen, wenn Sie diese Frage nie wieder anschnitten.«

Franzi sprach also in Zukunft nicht mehr davon, konnte sich selbst aber von seiner Verantwortung nicht freisprechen. Er hielt es für unwürdig, so billig freizukommen. Sein Testament hatte er schon geändert, als einzigen Erben für sein ganzes Hab und Gut setzte er die Fürstin ein und hinterlegte dieses Testament in Weimar an amtlicher Stelle. Sein Pflichtgefühl konnte sich aber noch immer nicht beruhigen. Diese Frau fristete jetzt aus den kümmerlichen Resten ihres einst so großen Vermögens ihr Leben in der ewigen Stadt, sie hatte ihre Tochter verloren und war alt geworden. Alles das neben ihm und für ihn. Und er selbst war ganz unfähig, ihr alles das zu ersetzen. Nur Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit und Geduld konnte er dieser Frau entgegenbringen, an die ihn weder Liebe noch Ehe, sondern eine noch viel zwingendere moralische Pflicht band bis zum Tode. Carolyne wollte aus Rom nicht wieder weg. Also blieb er auch da. Nach Weimar zurückzukehren hatte er keine Lust mehr, dorthin hätte es ihn nur gezogen, wenn er das große weltbedeutende Theater für das Wunder der Tetralogie hätte erbauen können. Diesen Traum hielt er aber für unerfüllbar.

Mit der Fürstin konnte er nicht mehr zusammen wohnen, nachdem die Hoffnung auf eine Ehe für immer zunichte geworden war; jetzt hätte nichts mehr eine derartige wilde Ehe rechtfertigen können. Und da ihr Liebesverhältnis auch sein Ende gefunden hatte, war es bequemer, wenn jedes in seinen eigenen vier Wänden lebte. Beide gingen schon dem Alter entgegen, wo kleine Gewohnheiten und die ungestörte Bequemlichkeit einem immer wichtiger werden. Franzi suchte sich also eine Wohnung für sich allein. In einem Hause der Via Felice fand er eine geeignete Unterkunft, eine bescheidene kleine Wohnung mit dem Blick auf das Forum. Sehr anspruchslos, fast mit der Einfachheit eines Mönches, richtete er sich ein. Morgens stand er zeitig auf und arbeitete bis spät in den Mittag hinein, nach dem Mittagessen arbeitete er wieder bis spät am Nachmittag und ging abends zur Fürstin. Sie speisten zusammen, unterhielten sich und verabschiedeten sich dann wieder. Zwischen zehn und elf Uhr legte er sich schon zur Ruhe. Viele Stunden des Tages widmete er Rom.

Von der ewigen Stadt konnte er nicht genug bekommen. Sie weckte in ihm auf Schritt und Tritt unzählige fesselnde Erinnerungen an das klassische Altertum und die achtzehneinhalb Jahrhunderte des Christentums. Wenn er durch die Porta del Popolo schritt, blieb er vor einer kleinen Kirche stehen und dachte daran, daß dort die Reformation begonnen hatte. In dem Augustinerkloster hinter dieser Kirche wohnte einst Martin Luther, als er in Ordensangelegenheiten hier weilte und die Korruption des päpstlichen Staates in der Nähe zu sehen bekam. Dann blieb er vor Michelangelos »Moses« stehen, und es fiel ihm ein, was er von ihm gelesen hatte: als Michelangelo die unerhört großartige Statue beendet hatte, war er von seinem eigenen Werk dermaßen erschüttert, daß er es anschrie: »Warum sprichst du nicht?« Und in seinem unbändigen Zorn schlug er mit dem Hammer auf das Knie der Statue. Franzi sah sich das Knie der Statue näher an und fand tatsächlich einen Riß. Dann suchte er die Kirche Santa Maria Maggiore auf. Auch darüber hatte er gelesen: in den ersten Zeiten des Christentums träumten ein römischer Edler und der damalige Papst gleichzeitig, daß die heilige Mutter Maria genau an der Stelle eine Kapelle errichtet haben möchte, wo es am anderen Tage schneien würde. Am anderen Tage schneite es tatsächlich am Esquilino, obgleich es erst August war, und der Papst zeichnete in den frisch gefallenen Schnee den Grundriß der Kirche ein. Dann sah sich Franzi die Sammlungen des Vatikans an, die Engelsburg, den Tiber, er entzückte sich an den alten Straßennamen, wie zum Beispiel »Straße des Mundes Gottes«, stöberte ziellos in allen Winkeln herum und überließ sich voll und ganz der Stimmung dieser so reichen Stadt. Die Worte Goethes fielen ihm ein: »Rom ist dem Meere ähnlich, je tiefer man geht, um so tiefer wird es.« Und auch die Worte des heiligen Bernhard kamen ihm in den Sinn: »Hier ist die Luft reiner, der Himmel näher und Gott freundlicher.«

Am liebsten hielt er sich aber doch in seiner Gegend auf, in der Unordnung der Ruinen, auf dem steinigen, klassische Schätze verbergenden Forum Romanum. Seine Wohnung lag in unmittelbarer Nähe der Kathedrale »Basilica di Santa Maria«. In dieser Kirche kehrte er täglich drei- bis viermal ein. Das Volk nannte diese Kirche Santa Francesca Romana. Aus den bröckelnden Ruinen des altertümlichen Palastes des Maxentius trat er in die schillernde Dämmerung dieser Kirche ein. Ein byzantinisches Marienbild hing über dem Altar, ringsum byzantinische Mosaiken mit Heiligengestalten auf Goldgrund. Und unter dem hohen Altar in einer höhlenartigen Vertiefung eine weiße Statuengruppe: der Engel begrüßt die Jungfrau. Rundherum rote Draperien mit goldener Borte. Zu beiden Seiten des Altars kauerten ständig ein oder zwei andächtig raunende oder gar ächzende Beter. Mit verkrampften Fingern langten sie durch das starke Gitter, hinter dem zwei wundertätige Steinklumpen in die Mauer eingelassen waren. Daneben die Aufschrift in italienischer Sprache: »Auf diesen Steinen ruhten die Knie des heiligen Petrus, als die Dämonen den Simon Magus mit sich in die Luft rissen.« Die Gläubigen betasteten mit zitternden Fingern die Kniespuren des heiligen Petrus und baten inbrünstig um ein Wunder, vielleicht um die Genesung eines kranken Kindes, oder um das Kalben ihrer Kuh, oder um einen Treffer in der Lotterie.

Von der Kirche aus sah man auf die würdigen, strengen und vornehmen Gebäude des Palazzo di Venezia. Hier wohnte der Botschafter von Österreich, kein anderer als Baron Alexander Bach, den Franz Joseph nach dem Mißerfolg seiner gewaltsamen innenpolitischen Einigungsmaßnahmen in die Außenpolitik übernommen hatte. Sobald sich die Erregungen der ersten Tage gelegt hatten und sein Leben wieder in geregelte Bahnen kam, besuchte ihn Franzi. Er machte auch noch einige Höflichkeitsbesuche, aus denen sich dauernde Beziehungen zu einzelnen vornehmen römischen Familien entwickelten. So war er beim Empfang des Ministerpräsidenten Minghetti, der jeden Sonntagnachmittag stattfand, ständig anwesend. Dann lernte er eine sehr merkwürdige, romantisch veranlagte Dame kennen. Espérance von Schwartz war die Tochter eines Hamburger Bankiers namens Brandt, ihre Mutter hatte einst als Erzieherin am Weimarer Hof gewirkt, aber noch lange vor Franzis Zeit. Ihr erster Gatte verübte Selbstmord, der zweite ertrank im Meer. Die reiche Witwe wurde mit Garibaldi bekannt, schwärmte für ihn und wurde seine Geliebte. Durch die Arbeit an den Aufzeichnungen Garibaldis, die sie für eine Veröffentlichung zu ordnen und zu übersetzen hatte, wurde sie auch Schriftstellerin. Sie schrieb unter dem Namen Elpis Melaena, trat auch unter diesem Namen in der römischen Gesellschaft auf und hatte stets viele Gäste bei sich. Franzi lernte innerhalb weniger Wochen jede bedeutende and interessante Gestalt der römischen Gesellschaft kennen. Viele suchten ihn in seiner Wohnung auf, um sich ihm vorzustellen, wie zum Beispiel Paladilhe, ein römischer Stipendienschüler des Pariser Konservatoriums. Die jungen Musiker pilgerten im allgemeinen so zu ihm, wie andere Romreisende zum Papst. Der erste Klavierspieler der Welt hatte, trotzdem er längst vom Podium abgetreten war, einen ungeminderten Ruf.

Von Wagner erhielt er nur hin und wieder Nachricht. Der »Tristan« war noch gar nicht aufgeführt worden, aber schon arbeitete Wagner an einer neuen Oper. Diesmal sehnte er sich nach einem leichten, sonnigen Thema. Er holte sich seine Hauptgestalten aus dem deutschen Mittelalter, der eine Held seines neuen Werkes, dem er den Titel »Die Meistersinger von Nürnberg« gab, war Hans Sachs, der Schuhmacher und Poet, Walther von Stolzing war der zweite, und es war unschwer zu erkennen, was Wagner mit dieser symbolischen Oper deutscher Art, Kunst und Verbundenheit sagen wollte. Walther von Stolzing, der aus weiter Ferne kommende Ritter, hielt sich nicht wie die Meistersinger von Nürnberg an hundert strenge Regeln, sondern sang sein neues, eigenartiges, aus dem innersten Herzen hervorquellendes Lied. Die strengen Meister der Sängerzunft schüttelten unzufrieden ihre Köpfe, und der hochmütigste unter ihnen, der Stadtschreiber, vermerkte fortwährend mit Kreidestrichen, wie oft der Ritter gegen die offiziellen Sängerregeln verstoßen hatte. Dieser Schreiber hieß im Text Hans Lick, der Komponist hatte also den Wiener Musikkritiker, den großspurigen Gegner der neuen Musik, Hanslick, beim Namen genannt. Der Ritter, besser gesagt Wagner selbst, hatte unter den Meistersingern nur einen verständigen Freund, den alternden Schuhmacher und Sänger Hans Sachs, den wirklich Begabten, der die wahre Begabung verstand. Das war ganz offensichtlich auf die Gestalt Franzis gemünzt.

Die Handlung dreht sich um Eva, die schöne Tochter des Meistersingers Pogner, deren Namen Wagner wahrscheinlich nicht umsonst so gewählt hatte. Das war sicherlich die erträumte Frau, die als herrlicher Lohn seiner Kunst die Seine werden wollte. Aber auch Hans Sachs hegt eine stille Liebe zu dem Mädchen, doch tritt der alternde Sänger zuletzt weise zurück und überläßt die heimlich Geliebte dem jungen Walther von Stolzing.

Franzi verstand das nicht ganz. Wer soll diese Frau sein, die er Wagner überläßt? Soll das als Symbol für den entscheidenden musikalischen Sieg gelten? Was will Wagner mit dieser Eva sagen? Dieses Geheimnis störte ihn, je mehr er sich aber anstrengte, den Sinn der flott dahinströmenden Verse zu erraten, um so weniger verstand er. Dann ließ er das Rätselraten bleiben, der Text des Stückes gefiel ihm so, wie er war, sehr gut. Es kam ihm vor, als sei diese Oper im Grunde genommen eine Streitschrift über seine eigenen leidenschaftlichen musikrevolutionären Bestrebungen, freilich eine, wie sie, seit die Welt besteht, noch nie geschrieben wurde.

Die Tetralogie lag ganz zu unterst der Schublade, der »Tristan« konnte nicht aufgeführt werden, und für die »Meistersinger« konnte Franzi jetzt auch nichts mehr tun. Die Aufgabe, sich für Wagner auch weiterhin vor der großen Öffentlichkeit einzusetzen, hätte er jetzt fallen lassen können. Er gab aber auch hier in Rom den Kampf nicht auf. Wagner war von dem sächsischen König amnestiert worden, sein Exil hatte somit aufgehört. Nach zwölfjähriger Verbannung war er wieder berechtigt, jeden musikalischen Posten in jedem beliebigen deutschen Staat zu bekleiden. Und Franzi versuchte nunmehr, Wagner auf seinen verlassenen Platz in Weimar zu setzen. In dieser Angelegenheit schrieb er eifrig lange Briefe an den Großherzog. Vorerst ohne jeden sichtlichen Erfolg. Er gab aber den Gedanken nicht auf. Er stellte sich das so vor, daß Wagner sich erst einmal in dieses Theater hineinsetzen sollte, mit seiner geschickten und gewalttätigen Art würde er sich schon durchkämpfen, und mit Dingelstedt würde er gewiß auch gründlich fertig werden.

Was seine eigene Musik betraf, so hatte er alles andere beiseite gelegt und befaßte sich nur mit dem Oratorium der »Heiligen Elisabeth«. Der Text, bei dessen Einteilung Roquette sich brav an die sechs Wandgemälde der Wartburg gehalten hatte und der nach vielem Umschreiben und Korrigieren schon eher Franzis geistiges Eigentum war, bot eine ganze Reihe tondichterischer Aufgaben. Die Legende begann mit der Ankunft der von zahlreichen Rittern begleiteten ungarischen Königstochter Elisabeth auf der Wartburg, mit festlichem Empfang und höfischen Spielen. Darauf folgte die Szene zwischen der heiligen Frau und ihrem Gatten, in der Gott die Notlüge Elisabeths zum Wunder werden läßt und ihre milden Gaben in Rosen verwandelt. Im dritten Satz brechen der Landgraf und die Kreuzritter ins Heilige Land auf. Im vierten wird Elisabeth als Witwe Herrin des Schlosses, ihre grausame Schwiegermutter aber jagt sie mit ihren Kindern aus dem Schloß hinaus in den Sturm. Im nächsten Bild tragen die Engel die Seele Elisabeths in den Himmel. Und zum Schluß wird die ungarische Königstochter in Anwesenheit Kaiser Friedrichs von Hohenstaufen zur Heiligen erklärt. Märsche, Sturm, Wunder, Begräbnis, Gebet, Litaneien, Jagdlieder, Kinderchor – alles. Und zu allem hatte er die erforderlichen Motive. Danielik, der Domherr zu Erlau, hatte ihm gleichermaßen verwendbares Material zur Verfügung gestellt, wie Kronperger, der Franziskaner-Guardian in Pest. Er beabsichtigte, dem ganzen Stück einen starken ungarischen Grundton zu verleihen, sogar für den Aufmarsch der Kreuzritter bearbeitete er ein ungarisches Motiv. Für die Gestalt Elisabeths fand er in der mittelalterlichen Kirchenmusik eine andächtige, weihraucherfüllte Melodie. » Quasi stella matutina« sang ein Brevivarium aus dem sechzehnten Jahrhundert zum Gedenktage der heiligen Elisabeth: »Wie der Morgenstern …«

Er war tief in die Arbeit an dem Oratorium versunken, als er ein Telegramm erhielt, daß Blandine einem gesunden Jungen das Leben geschenkt habe. Nach der Großmutter und dem früh verstorbenen Onkel sollte er Daniel heißen. Franzi komponierte mit inniger Freude weiter und gratulierte den glücklichen Eltern in einem langen Brief zu dem kleinen Daniel Ollivier. Aus Saint-Tropez, vom Gute Olliviers, traf nach dem Telegramm aber ein erschreckender Brief ein: die Geburt habe die junge Mutter sehr mitgenommen; sie fühle sich nicht wohl. Franzi rettete sich mit seiner quälenden Angst in die Arbeit. Während er arbeitete, verwandelte sich das Gesicht der heiligen Elisabeth in das Gesicht Blandines. Immer sah er die blasse junge Frau vor sich, auf ihrem Gesicht das Märtyrerleiden der Mutterschaft. Als er den Tod der heiligen Elisabeth komponierte, übermannte ihn hin und wieder eine derartige Erregung, daß er aufspringen mußte und das Gefühl nicht loswerden konnte, den Tod seiner eigenen Tochter zu komponieren. Als er in seiner Arbeit so weit gekommen war, daß die ungarische Königstochter die Glorie der Heiligen empfängt, kam das Telegramm an, Blandine sei gestorben.

Nach Daniel Blandine. Dieser Schicksalsschlag warf ihn nieder. Er wurde krank. Der Arzt konnte nicht sagen, was ihm fehlte. Und wenn Carolyne ihn ausfragte, konnte er seine Leiden auch nicht genau beschreiben. Er fühlte sich bloß unendlich müde, aus dem kleinsten Anlaß weinte er fortwährend, manchmal schlief er drei Tage und drei Nächte lang nicht, dann überkam ihn wieder ein sonderbarer Halbschlaf, in dem er selbst hörte, daß er dummes Zeug zusammenfaselte, seinem Gehirn aber nicht zu befehlen vermochte. Er sah Daniel und Blandine vor sich, er griff mit zitternder Hand nach ihnen, und wenn er ins Leere griff, stierte er mit stumpfem Blick vor sich hin.

Endlich genesen, erkannte er sich selbst kaum wieder, als er in den Spiegel sah. Er war um Jahre gealtert und sein Haar war schneeweiß geworden. Seine müden Glieder konnte er kaum schleppen. Er hatte zu nichts mehr Lust und mied die Gesellschaft. Nur zur Fürstin ging er jeden Abend, jetzt war er aber nicht mehr so höflich und unterhaltsam wie früher. Er saß wortlos da und lauschte Carolynes Worten. Besser gesagt, er ließ sie nur sprechen und hörte ihr gar nicht zu. Seine Gedanken wanderten unschlüssig ins Leere.

Dann fand er sich langsam wieder, seine gequälte Seele erhob sich zu Christus. Nur von diesem konnte er Trost empfangen, der mehr gelitten hatte als er. Die undeutlichen Umrisse einer großen und heiligen Symphonie begannen in seinen Gedanken zu reifen: der Heiland selbst sollte ihr Gegenstand sein.

In dieser Zeit hätte ihn jedermann für einen Mondsüchtigen halten können. Nur sein Körper hielt sich in der irdischen Welt auf, seine Seele lebte in Christus. Die Bibel trug er immer bei sich, eine alte französische Bibel, noch aus seiner Jugend, und die lateinische Vulgata. In den Straßen Roms ging er mit gerunzelter Stirn, tief in Gedanken versunken, blieb plötzlich stehen, nahm eine seiner Bibeln vor und begann zu blättern. Die Vorübergehenden rempelten ihn an, er achtete nicht darauf. Er suchte irgendeine Prophezeiung aus dem Alten Testament, um sie mit einem Satz der Passion zu vergleichen. Wenn er den Text fand, las er ihn gleich an Ort und Stelle, und wenn ihn die vielen Menschen allzusehr störten, sah er sich um, wo die nächste Kirche war, damit er in der kühlen Stille dort ungestört nachdenken konnte. Jeden Tag ging er in die Sixtinische Kapelle, und wie ein Märtyrer, der vor den Folterwerkzeugen seine Brust entblößt, so gab er den Schmerz seiner Seele dem Chorgesang preis, an dessen Schönheiten er sich nicht sättigen konnte. Er besuchte den Schwager Manjas, den Bischof Hohenlohe, und sprach mit ihm über theologische Probleme. Dann hielt er sich auch gerne in dem Archiv des Vatikans auf. Er fand dort jenen Pfarrer Theiner wieder, den er in dem Jahr der Geburt Daniels in Rom kennengelernt hatte. Er fand ihn um zwanzig Jahre älter, aber ebenso liebenswürdig und gütig wie damals. Auch mit ihm sprach er andauernd nur von der großen Gestalt seines Werkes, Christus. Auch mit der Fürstin redete er alle Abende über nichts anderes, als über die Gestalt des Gottessohnes. Carolyne war in ihrem Element, ihre Religiosität strömte in endlosen leidenschaftlichen Tiraden aus. Ein sonderbares Paar war das im zweiten Stockwerk des Miethauses in der Via del Babuino: der weltberühmte Musiker und Liebling der Frauen und die Fürstin, die ihm zuliebe Gatten und Heimat verlassen hatte, debattierten in fieberhafter Erregung über die Vorgänge im Garten Gethsemane, als ob sie sich über ein tragisches Erlebnis eines ihrer Bekannten unterhielten.

Allmählich wurde ihm der Wirrwarr der Großstadt unerträglich. Der Lärm der Straße machte ihn reizbar, und das gesellschaftliche Leben drückte ihn wie eine schwere Last, denn er erhielt dauernd Einladungen, denen auszuweichen sehr schwer war. Aus Rom konnte er nicht wegziehen, er konnte Carolyne nicht allein lassen, und sie fühlte sich hier schon wie der Fisch im Wasser; von früh bis abends verbrachte sie ihre Zeit damit, geistliche Personen zu empfangen und zu besuchen, zwischendurch schrieb sie religiöse Betrachtungen. Franzi litt unschlüssig, während die musikalischen Einzelheiten seines großen Planes sich in seiner Seele immer klarer formten.

An einem Wintertage beklagte er sich bitter beim Pater Theiner im vatikanischen Archiv, daß er seinen Platz gar nicht fände; aus Rom könne er nicht wegziehen, aber hier wohnen zu bleiben, ginge über seine Kräfte. Tags darauf besuchte ihn der Pater.

»Ich habe eine für Sie geeignete Unterkunft gefunden, mein lieber Freund.«

»Wo?«

»In einem Kloster außerhalb der Stadt und trotzdem nicht zu weit weg. Wenn Sie wollen, können wir es sogleich zusammen ansehen. Und wenn es Ihnen gefällt, können Sie sofort übersiedeln.«

In der Gegend des Forums nahmen sie sich einen Wagen. Theiner wies den Kutscher an, sie auf den Monte Mario zu fahren. Nach langer Fahrt ließen sie die Häuserreihen der Großstadt hinter sich, der schneelose Winter ließ auf beiden Seiten braune Schollen, sich weit in die Ferne ziehende Felder sehen. Es verging eine gute Stunde, bis sie an dem Hügel angelangt waren, dessen steilen Weg der Wagen im Straßenkot nur schwer erklettern konnte. Auf halber Höhe lag das Kloster.

»Jetzt steigen wir aus«, sprach Pater Theiner, »ich möchte Sie aber bitten, sich nicht eher umzudrehen, als bis ich es Ihnen sage.«

Auf weißen Steinstufen schritten sie aufwärts, eine weite Terrasse breitete sich vor ihnen aus. Linker Hand das Portal einer Kirche, rechter Hand das angebaute Gebäude des kleinen Ordens. Über dem Torbogen der Kirche ein Wappen: im oberen Feld ein schwarzer Adler, im unteren Feld auf weißem Grund drei rote Kreise.

»Das ist das Kloster der Madonna del Rosario. Drehen Sie sich aber noch nicht um.«

Der Pater läutete am Eingang des kleinen Ordenshauses. Eine unsichtbare Hand öffnete das Tor. Sie gingen hinein. Pater Theiner bog wie ein alter Bekannter im engen Torbogen nach rechts ab. Sie begegneten einem Mönch in der Kutte.

»Hier ist mein Freund, lieber Fra Beato, von dem ich dir schon erzählte habe. Bitte zeige ihm sein Zimmer.«

Sie stiegen ins erste Stockwerk hinauf. Auf der weiten, weißen Fläche der Wand ein einziges schwarzes Kruzifix. Tiefe Stille. Steinfliesen auf dem Boden. Der Mönch trat durch die kleine, braun gestrichene Tür. Franzis Herz fing freudig an zu hämmern. Das war so, wie er es sich erträumt hatte: eine kleine Zelle, ein Gebetschemel, ein Bett, ein an die Wand gerückter Tisch, ein Harmonium. An der Wand ein Kruzifix. Der Weihwasserbehälter. Das war die Andacht und glückselige Ruhe selbst. Im Kachelofen knisterte das Feuer, in die angenehme Wärme mischte sich von irgendwoher ein starker Duft von Äpfeln.

»Bezaubernd«, sagte Franzi überwältigt, »so etwas habe ich mir in meinem geheimsten Traume erhofft.«

»Das glaube ich. Jetzt erlaube ich Ihnen auch, auf die Stadt herabzublicken. Schauen Sie zum Fenster hinaus.«

Franzi trat ans Fenster und sah hinaus. Unten im Tale breitete sich vor ihm die ewige Stadt in ihrer ganzen Pracht aus. Rechts über den kahlen Wipfeln der Bäume des Hügels sah man nur die mächtige Kuppel der Peterskirche, weiter nach links aber war das Gelände des Hügels flach, und das ewige Rom wurde sichtbar, das ewige Rom des Romulus, des Julius Cäsar, des Apostels Petrus, der ersten Christen, des Papsttums, Tassos, der Renaissance und des heutigen modernen Lebens. Aus dem gewaltigen Häusermeer erhoben sich die zwei Türme des San Carlo, etwas weiter nach links zwischen zwei Kuppeln ein roter Turm: die Santa Maria Maggiore. Über den dunkelgrünen Flächen des Monte Pincio, weit im Hintergründe, die die Campagna abschließenden Berge, verheißungsvoll, als ob man auch noch die weißen Gebäude von Frascati sehen könnte.

»Unerhört«, flüsterte Franzi.

»Ja, das ist unerhört. Das ist die schönste Aussicht auf Rom. Dieses Zimmer des Ordens steht leer, der Orden sieht Sie gerne als Gast, solange Sie nur wollen, wenn Sie Lust haben, hierher zu ziehen.«

»Ja«, Franzi zögerte, »eine unbeschreibliche Freude wäre es, hierher zu kommen … Werde ich aber das Kloster nicht stören, wenn ich musiziere? Denn mein Klavier kann ich nicht entbehren.«

Der Mönch erwiderte liebenswürdig:

»Wir werden den Stundenplan besprechen. Am größten Teil des Tages können Sie nach Herzenslust Klavier spielen. Padre Theiner hat uns mitgeteilt, daß Maestro an einem Kirchenwerk arbeiten. Das wird uns sehr freuen.«

»Das ist selbst für einen Traum noch zu schön. Am besten wäre es, gleich hierzubleiben. Wegen meiner Sachen muß ich aber leider nochmals zurück in die Stadt.«

Noch am selben Tage zog er hinaus. Er ließ sich sein Klavier kommen, das man nur mit großer Mühe durch die enge Tür der Zelle hindurchzwängen konnte. Franzi stellte sich nacheinander den Insassen des Klosters vor. Im Refektorium setzte er sich zu dem bescheidenen Mönchsmahl, als ob er schon seit langer Zeit hier gelebt hätte. Und als er sich in seine Zelle zurückzog und auf die schimmernden Lichtpunkte Roms herabsah, weitete sich seine Brust unendlich. Jetzt, jetzt fühlte er zum ersten Male in seinem Leben, daß es ihm gelungen war, aus dem weltlichen Leben herauszutreten, er war jetzt bei Gott und sah auf das ferne Leben des Alltags herab, wie er es schon immer ersehnt hatte: aus einer stillen, besänftigenden reinen Ferne. Vor dem Schlafengehen betete er, mit erhabener Andacht an die beiden Verschiedenen denkend, an Daniel und Blandine.

Von da ab lebte er so, als ob er selbst ein Mönch wäre. Beim Morgengrauen stand er auf und ging jeden Tag in die kleine Kirche, um Orgel zu spielen. Das Kirchenschiff hatte nur fünf Reihen Bänke, aber auch in diesen saßen kaum Menschen. In die Stadt verlief er sich nur jeden zweiten, dritten Tag, um Carolyne zu besuchen. Wenn er aber aus dem Hause in der Via del Babuino hinaustrat und einen Wagen suchte, frohlockte er schon vor Sehnsucht, so schnell als möglich wieder auf dem Hügel zu sein, in der gesegneten Stille der Ruhe und Andacht. Die Tage vergingen in dem Glück der Arbeit, aus den Tagen wurden Wochen und aus den Wochen Monate.

Der März war schon herangekommen, als er die Nachricht von seinem dritten Enkel bekam: bei Bülows war abermals der Storch eingekehrt. Er hatte ein kleines Mädchen gebracht, sie sollte Blandine heißen. Am Monte Mario grüßte das Keimen eines neuen Lebens die Nachricht von der Geburt des Kindes. Ein feenhafter Frühling keimte am Hügel auf, jeder Tag brachte irgendein neues Wunder von Blumenblüten, ersten Schmetterlingen und Vogelgezwitscher im Gebüsch. Man konnte schon das Fenster öffnen, und die Töne des Klaviers ergossen sich in den Duft der Pinien und in den Duft des frischen Rasens.

Und als der Sommer das Kloster grüßte, schwoll das Vogelgezwitscher so mächtig an, daß es ab und zu gar nicht mehr möglich war, auf die Musik zu achten. Franzi lockte die Vögel mit Brotkrümchen auf das Fenstersims, und bald hatten sie keine Angst mehr, wenn er ihnen ganz nahe kam. Er sah sie als seine Brüder an in ihrem selbstvergessenen Gesang. Der heilige Franz von Assisi fiel ihm ein, der ihnen predigen und mit ihnen sprechen konnte. Unstet ließ er seine Finger über die Elfenbeintasten huschen, um ihr Gezwitscher nachzuahmen. Noch immer vermochte er auf dem Klavier alles zu sagen, was er wollte und was ihn bewegte. Das Gezwitscher wurde immer breiter und mit einem Male löste sich aus ihm die warme, überirdische Stimme des heiligen Franz von Assisi. Er brachte das zu Papier. Es wurde eine Komposition daraus.

Seine vertraute Ruhe stöberte aber eine neue Erregung auf. Carolyne hatte sich in den Kopf gesetzt, ihrem Freund eine weltbedeutende Stellung zu verschaffen. Bei den ihr bekannten Kirchenfürsten rollte sie den Gedanken immer wieder von neuem auf, daß der Papst die Regelung der katholischen Kirchenmusik und deren gesamte Organisation über die ganze gebildete Welt Franzi anvertrauen müßte. Der Plan nahm seinen Lauf, und immer mehr und mehr Menschen sprachen davon. Franzi konnte sich zuerst mit der Idee der Fürstin nicht befreunden, ihm war es um seine wohltuende, liebgewordene Ruhe leid. Dann nahm aber auch er diesen Gedanken auf, wie ein Fisch den Köder, und jetzt zappelte er schon an der Angel. Er malte sich schon aus, wie er mit dem Führer der Cäcilianischen Bewegung eine große Tagung veranstalten würde, er dachte schon über die Neugestaltung der Gregorianischen Methode nach, er hatte schon den Bischof Gustav von Hohenlohe aufgesucht und ihn um die Unterstützung des Vatikans zu seinen Plänen gebeten.

Und an einem Sommervormittag ergriff den kleinen Orden eine ungeheure Aufregung. An der Landstraße vor dem Hügel hielten die prächtigen Kutschen des Vatikans. Die Mönche liefen verwundert zusammen. Ihre Augen trogen nicht. Er war es wahrhaftig: Papst Pius IX. schritt höchstpersönlich die heißen, blendenden Marmorstufen aufwärts. Neben ihm Kardinal Merode, der Günstling und der gefährlichste Widersacher des Staatssekretärs-Kardinals Antonelli. Hinter ihnen Gustav Hohenlohe, der Kämmerer, Bischof von Odessa, und zwei junge diensthabende Geistliche. Kaum ein paar Minuten waren vergangen, da waren sie schon in Franzis Zelle. Der jedem Herrscher Europas schon gegenüber gestanden, der mit der Königin Viktoria gescherzt und sich mit Napoleon III. geistreich unterhalten hatte, der sich gegen die Etikette der spanischen Königin aufgelehnt, den Zaren geärgert und vom König von Preußen den Pour le mérite erhalten hatte, – jetzt sank er auf die Knie und kannte nichts anderes als Demut, als der Statthalter Christi ihm den Fischerring gnädigst entgegen hielt.

Aus anderen Zellen mußte man Stühle herbeischaffen, damit die Gäste Platz nehmen konnten. Sie saßen in der kleinen Zelle eng zusammengedrängt. Der Papst war ein sonderbarer Greis. Auf seinem Gesicht lag eine mystische Kälte. Nach dem Urteil der ihm Nahestehenden war er von seiner göttlichen Mission tief überzeugt; er glaubte zum Beispiel, daß er durch Handauflegen heilen könne. Körperlich war er schon sehr schwach. Als er sich setzte, mußte man ihm von zwei Seiten her unter die Arme greifen. Sein Geist aber war lebhaft und frisch. Auffallend war, daß er von sich nur in der dritten Person zu sprechen pflegte.

»Der Papst beschäftigt sich mit der Frage der Kirchenmusik. Mehrere haben die Aufmerksamkeit des Papstes auf Sie gelenkt, mein Sohn.«

»Ich fühle mich hoch geehrt, Heiliger Vater.«

»Ja. Und was ist dieses Papier dort am Klavier?«

»Eine kleinere Tondichtung. Ich arbeite in der Hauptsache an einer Christus-Symphonie, Heiliger Vater, das da habe ich nur nebenher geschrieben. Wie ich mir den Heiligen Franz von Assisi vorstelle und die Vögel, denn hier am Monte Mario gibt es sehr viele Vögel.«

»Spielen Sie es vor. Der Papst will es hören.«

Franzi spielte es vor. Die Augen des Heiligen Vaters füllten sich mit Tränen.

»Wissen Sie, mein lieber Sohn, wofür man Ihre Musik verwenden könnte? Für gerichtliche Zwecke. Wenn Sie vor eingefleischten Verbrechern spielen würden, so ist der Papst der Überzeugung, daß Sie sie zur Reue bewegen könnten. Keiner könnte lange widerstehen. Der Papst hat die Musik sehr gerne. Haben Sie nicht zufällig das Stabat Mater gehört, das man Sonntag in der Sixtinischen Kapelle sang?«

»Ich glaube, es ist dieses«, antwortete Franzi, die Anfangsakkorde anschlagend.

»Ja, das ist es. Spielen Sie es, mein lieber Sohn. Der Papst wünscht zu Ehren der Heiligen Jungfrau zu singen.«

Und Papst Pius IX. sang in der kleinen Zelle zur Begleitung Franz Liszts. Er sang sehr zart und geschmackvoll mit seiner feinen Greisenstimme. In der Seligkeit des gebrochenen Greises, der sich so ganz den Tönen hingab, war etwas Rührendes.

»Es war sehr schön«, lobte er zum Schluß. »Der Papst ist sehr zufrieden. Und diese Angelegenheit mit der kirchlichen Musik wird er nicht vergessen.«

Er erhob sich, und da sich ihr Herrscher erhob, sprangen mit einem Male auch alle anderen auf. Der Heilige Vater reichte den Ring abermals zum Kuß. Franzi geleitete ihn barhäuptig bis zu den wartenden Kutschen. Als die Wagen vorbeifuhren, entrang sich ein tiefer und beglückter Seufzer seiner Brust:

»Ach, wenn das doch gelingen würde!«

Er sah den dahinfahrenden Wagen lange nach, und plötzlich behagte ihm die Stille des Klosters nicht mehr. Sein Verlangen nach Ruhe war gestillt. Er fühlte sich aufgewühlt und erregt. Er wollte durchaus in die Stadt und ging nur zurück, um seinen Hut zu holen. Dann eilte er schon den Hügel abwärts.


 << zurück weiter >>