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Als Kapitän Carroll von der Landstraße in den Heckenweg einbog, hatten Maruja und Faquita vor etwa einer Stunde das Haus durch denselben geheimen Gang und dieselbe nach dem Garten führende Thür verlassen, welche sich späterhin für ihn und Pereo öffnete. Die beiden jungen Mädchen hatten offenbar die Kleider gewechselt; Maruja trug das Kostüm ihrer Zofe – Faquita war tief verschleiert und so gekleidet, wie sonst ihre Herrin; aber es war charakteristisch, daß, während Faquita sich in ihren geborgten Federn offenbar unbehaglich und unbeholfen fühlte, Maruja in der kurzen Saya, dem besetzten Mieder und den über ihren schönen Kopf geschlagenen gestreiften Shawl ungleich koketter und berückender aussah, als die rechtmäßige Eigentümerin dieser Dinge.
Die beiden Mädchen eilten schnellen Schrittes die lange Allee hinab und wendeten sich, nachdem sie das Ende derselben erreicht hatten, im rechten Winkel nach einem schmalen, im Gebüsche halb verborgenen Pförtchen. Dasselbe führte in einen alten Weingarten, welcher sich noch von der Niederlassung der frommen Väter herschrieb, jetzt aber der gelegentlichen Bebauung durch Tagarbeiter und die Leute des Hauses überlassen war. Die langen, lückenhaften Reihen von uralten, niedrigen, verkrüppelten Weinstöcken, erstreckten sich bis zu einem dicht mit Roßkastanien bewachsenen Hügel, welcher den Anfang der Cañada anzeigte, und hier trennte sich Maruja von ihrem Mädchen und schritt, indem sie den verhüllenden Shawl noch dichter um ihr Köpfchen zog, hastig zwischen den Weingeländen auf ein kleines verfallenes, nach dem Hügel hin liegendes Backsteingebäude zu, das – ehedem ein Teil des Refektoriums der alten Mission – gegenwärtig nur hin und wieder von den Weinbergsarbeitern als Rast- und Ruheplatz benutzt wurde.
Als Maruja dem Hause näherkam, wurden ihre Schritte langsamer, und als sie die Thür erreicht hatte, ließ sie die Hand einen Moment unschlüssig auf der Klinke ruhen. Im nächsten Augenblicke aber drückte sie dieselbe leise auf, trat über die Schwelle – schnell fiel die Thür hinter ihr ins Schloß, und mit einem halbunterdrückten Schrei lag das junge Mädchen in Henry Guests Armen.
Aber dies währte nur einen Augenblick; ihre um seinen Nacken geschlungenen weißen Hände lösten sich und hoben sich wie bittend zu ihm empor, eine Bewegung, die ihn mehr rührte, als das Flehen ihrer Augen und der süße, sprachlose Mund, der fast das Atmen zu vergessen schien.
Der junge Mann ließ Maruja in den Stuhl gleiten, von dem er sich eben erhoben hatte, trat einen Schritt zurück und blickte mit seinen schwarzen, halbwilden Augen in tiefem Ernst zu ihr nieder. Und er hatte wohl Ursache, sie so zu betrachten – denn es war nicht mehr die selbstbewußte, stolze, herrschende Schönheit, die da vor ihm saß, sondern ein schüchternes, erschrockenes Mädchen, das mit seiner ersten tiefen Leidenschaft kämpfte.
Alle die klugen und vernünftigen Dinge, die sie hatte sagen wollen, alles, was ihr klarer Verstand und ihre Erfahrung sie gelehrt, war durch diesen Kuß auf ihren Lippen erstorben. Sie vermochte zur Wahrung ihrer weiblichen Würde und um den Forderungen der Wohlerzogenheit nachzukommen, nichts zu thun, als daß sie – in der hoffnungslosen Bemühung, ihr kurzes Röckchen dadurch länger erscheinen zu lassen – die kleinen Füße unter den Stuhl zog und Guest bat, sie nicht anzusehen.
»Ich mußte die Kleider mit Faquita tauschen, weil wir beobachtet wurden,« sagte sie, sich im Stuhle vorwärts beugend und den gestreiften Shawl fester um die Schultern ziehend. »Ich mußte mich heimlich aus dem Hause stehlen und durch den Garten schleichen, wie eine Zigeunerin. Wenn ich doch nur eine Zigeunerin wäre, Henry, anstatt –«
»Anstatt die reichste, stolzeste Erbin des Landes,« fiel Henry Guest mit einem Anfluge der alten Bitterkeit ein. »Ganz recht – fast hätte ich es vergessen.«
»Und ich war es gewiß nicht, die daran erinnerte,« sagte sie die Augen zu dem jungen Manne erhebend. »Ich wies nicht darauf hin, weder an – an – an jenem Tage im Gewächshause, noch damals – als – du mir zum erstenmal sagtest, daß du mich liebtest, noch da ich einwilligte, hier mit dir zusammenzutreffen. Nur du bist es gewesen, Henry, welcher immer von der Verschiedenheit unserer Verhältnisse, von meinem Reichtum, meiner Familie, meiner Stellung in der Gesellschaft gesprochen hat – so lange gesprochen hat, bis ich gern bereit gewesen wäre, diese Stellung – mit der Faquitas zu vertauschen, wie ich die Kleider mit ihr tauschte, wenn ich hätte glauben können, daß dich das glücklicher machte.«
»Vergib mir, Geliebte,« rief der junge Mann, indem er sich vor ihr auf die Kniee warf und sich so tief über die kleine Hand, die er ergriffen hatte, niederbeugte, daß sein dunkler Kopf beinahe in ihrem Schoße ruhte. »Vergib mir! Du bist zu stolz, Maruja, um zuzugeben, sogar nur vor dir selbst zuzugeben, daß du dein Herz einem Manne geschenkt, dem du deine Hand nicht reichen, mit dem du dein Vermögen nicht teilen könntest. Aber andere würden vielleicht nicht so denken – und auch ich bin stolz und würde es nicht ertragen, wenn man ein Recht hätte zu sagen, daß ich nach dir gestrebt, ehe ich deiner würdig war.«
»Aber du hast kein Recht, stolzer zu sein als ich,« rief Maruja, indem sie mit einem Anflug ihres alten gebieterischen Wesens aufstand. »Nein Harry – lieber Harry – laß mich!« rief sie abwehrend, konnte aber dennoch nicht hindern, daß sie, als sie fortfuhr, mit dem Kopfe an seiner Schulter lehnte. »Es ist nur diese Heimlichkeit, deren wir uns zu schämen haben, Harry. Ich glaube, mit dir könnte ich alles andere ertragen – aber alles müßte frei und offen geschehen. Wenn du nur kämest, dich um mich zu bewerben, wie – wie – die anderen – selbst auf die Gefahr hin, daß sie dich zurückwiesen, von deiner zweifelhaften Herkunft sprächen – von deiner Armut, von dem harten Leben, das du geführt! Denn wenn dich die Leute dann angriffen, könnte ich dich verteidigen und für dich kämpfen. Wenn sie sagten, du hättest weder Vater noch Mutter, könnte ich, glaube ich, für dich lügen und sagen, es wäre nicht wahr – wenn sie von deiner Armut sprächen, würde ich ihnen meinen Reichtum entgegenhalten, und wenn sie darauf hinwiesen, wie schlecht es dir gegangen, würde ich sagen, daß ich stolz auf deinen Mut und deine Ausdauer im Unglück sei, vorausgesetzt, daß ich dabei die Thränen zurückzuhalten vermöchte!«
Diese Thränen traten ihr auch jetzt in die Augen und er küßte sie hinweg.
»Aber wenn man dich bedrohte, wenn man mich aus dem Hause wiese?« sagte er.
»Dann würde ich mit dir davonlaufen,« entgegnete sie, indem sie ihr Gesichtchen an seiner Brust verbarg.
»Wenn ich dir nun vorschlüge, gleich jetzt mit mir zu fliehen?« fragte er düster.
»Jetzt!« wiederholte sie, erschrocken aufblickend.
Sein Gesicht verfinsterte sich und sein Auge nahm den alten feindseligen Blick an.
»Höre mich an, Maruja,« sagte er, ihre Hand fest in die seinige nehmend. »Als ich der Leidenschaft unterlag, als ich mich damals im Gewächshause vom Wahnsinn fortreißen ließ, da bestand die einzige für mich denkbare Sühne darin, daß ich mir im Innersten meiner Seele das Gelübde ablegte, deine Güte und dein weiches Herz niemals zu mißbrauchen, dich niemals in die Versuchung zu führen, dich selbst, deine Freunde, deine Familie um meinetwillen, um des unbekannten Vagabunden willen, zu vergessen oder zu verlassen. Als ich dann sah, daß du Mitleid mit mir hattest, als du meinen Liebesworten Gehör schenktest, da war ich freilich zu schwach, um diesem einzigen Sonnenstrahle, der in mein elendes Leben fiel, auszuweichen; aber als sich plötzlich eine Aussicht vor mir eröffnete, eine Aussicht, von der ich dir später sagen werde, da schwur ich mir noch einmal zu, mich von dieser Aussicht und Hoffnung zu keiner Handlung hinreißen zu lassen, deren ich mich später vielleicht zu schämen hätte, oder welche dir Ursache zur Reue geben könnte. Doch ich habe mich überschätzt, Maruja. Ich habe zu viel von dir verlangt. Du hast recht, Geliebte. Diese Heimlichkeit, dies Verstecken ist unserer unwürdig. Jede Stunde, die es gedauert – so glücklich sie mich auch gemacht haben mag, jeder Augenblick, den es noch dauert – mag er mich auch mit Seligkeit erfüllen, trübt den reinen Glanz unserer einzigen Verteidigungswaffe, macht dich zur Lügnerin und mich zum Feigling. Nein, dieser Zustand muß aufhören – muß heute noch aufhören! Maruja, einzig Geliebte! Wohin meine Hoffnungen und Pläne führen werden, weiß bis jetzt Gott allein – und so bietet sich uns nur ein einziger Ausweg. Ich muß heute noch fort, um nie wiederzukehren, oder ich muß dich mit mir nehmen. Erschrick nicht, Maruja, sondern höre mich zu Ende. Hast du den Mut, alles zu wagen? Willst du noch diese Nacht mit mir fliehen? Wir eilen dann zu dem Pater drüben in dem alten Missionshause und schließen einen Bund, den nur der Tod wieder zu lösen vermag. Wir können Faquita mit uns nehmen – es ist nicht allzu weit von hier – kehren, wenn wir den Segen der Kirche empfangen, zurück und werfen uns deiner Mutter zu Füßen. Sie kann uns dann nur noch beide aus dem Hause jagen – und wir lassen in diesem Falle den verfluchten Reichtum und alles Elend, das daran hängt, für immer dahinten.«
Maruja erhob den Kopf, legte ihre beiden Hände auf seine Schultern und sah ihn mit ihres Vaters durchdringenden Augen an, als wolle sie auf dem Grunde seiner Seele lesen.
»Bist du wahnsinnig, Harry?« fragte sie. »Hast du bedacht, was du mir vorschlägst? Heißt das: mich nicht in Versuchung führen? Bitte, denke ein wenig darüber nach, Geliebter,« fügte sie hinzu, indem sie ihre Hände von seinen Schultern gleiten ließ und ihn fast krampfhaft an den Armen faßte.
So standen sich die beiden jungen Menschen einen Moment stumm gegenüber, während sich ihre Augen mit fast wildem Ausdruck in die seinen bohrten. Ein Schlag draußen an die Thür und ein unartikulierter Aufschrei schreckte sie empor.
Mit einer unwillkürlichen Bewegung schlang Harry Guest seine Arme um das Mädchen.
»Es ist Pereo!« flüsterte Maruja, welche sofort ihre ganze Kraft und Entschlossenheit wiedergefunden hatte. »Er sucht dich, Harry! Fliehe, so schnell du kannst. Er ist wahnsinnig und in voller Wut. Er hat uns in der letzten Zeit fortwährend überwacht – hat uns nachgespürt bis hierher. Du darfst ihm nicht begegnen; dort die andere Thür, welche nach der Cañada führt, bietet einen Weg zur Flucht. Fliehe, Liebster – wenn du mich lieb hast, so fliehe schnell.«
»Um dich seiner Wut zu überlassen! Nein, Maruja! Flüchte du durch jene Thür, verriegele sie hinter dir und rufe die Dienerschaft zu Hilfe. Ich werde diese Thür öffnen, ihn hier einschließen und mich dann davonmachen. Sorge dich nicht um mich – es hat keine Gefahr – und wenn ich mich nicht täusche, hat er gar nicht die Absicht, mich anzugreifen,« setzte er plötzlich mit verändertem Tone hinzu.
»Aber vielleicht hat er bereits das ganze Haus zusammengerufen. Horch!«
Draußen wurde ein Geräusch, wie wenn zwei Männer miteinander kämpften, hörbar, und nach einer Weile klang die Stimme Kapitän Carrolls klar und mit vollkommen ruhigem Tone herein:
»Sie sind in Sicherheit, Miß Saltonstall. Ich glaube, ich habe ihn fest; aber vielleicht ist es doch besser, daß Sie die Thür nicht öffnen, bis weitere Hilfe herbeigekommen ist.«
Die beiden drinnen sahen einander an, ohne ein Wort zu sprechen. Ein grimmiges Lächeln spielte um Guests Lippen. Maruja erhob ihre kleinen Hände zu seinem Nacken und umschlang den etwas Widerstrebenden.
»Höre mich, Geliebter,« sagte sie so sanft und ruhig, als umfange sie die ungestörteste Sicherheit. »Du verlangtest eben von mir, ich sollte mit dir fliehen – sollte mich heimlich und ohne die Einwilligung meiner Familie mit dir trauen lassen – dich gegen den Einspruch meiner Freunde noch diese Nacht heiraten! Ich zögerte, Harry, denn ich war erschrocken und thöricht. Jetzt aber sage ich dir, daß ich dich heiraten werde, wann und wo du willst – denn ich liebe dich, Harry – nur dich allein.«
»Dann laß uns sogleich gehen,« erwiderte er, indem er sie leidenschaftlich umfaßte. »Wir können die Straße durch die Cañada erreichen, ehe wir entdeckt sind. Komm!«
»Und du wirst dich in all den Jahren, die vor uns liegen, immer erinnern, Harry, daß ich dich und nur dich geliebt habe?« fuhr sie fort, während sie ihn noch immer umschlungen hielt. »Du wirst dich immer erinnern, daß ich, ehe ich dich kennen lernte, nicht gewußt habe, was Liebe ist – daß ich, seit ich dich liebe – an keinen anderen gedacht habe. Wirst du das, Harry?«
»Ich will und werde es – aber jetzt –«
»Und jetzt,« sagte sie, mit einer stolzen Gebärde nach der Thür zeigend, vor der Carroll stand: » Jetzt öffne die Thür!«