Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lesseps

Legendarisches Porträt

Gellend die Leere. Das graue Gähnen. Die Last des Nichts. Die Zeit ohne Zukunft.

Die Mauern des Gefängnishofes sind zehn Meter hoch.

Die Augenweide, die sonst bis zu den Sternen reicht und die Erde und Ferne umspannt, zurückgenommen ins engste Grau-in-Grau.

Die Blicke der mottengrauen Sünder prallen von den finsteren Mauern ab wie Bälle, die Kinder ewig an dieselbe Wand werfen.

Die Runde der Verurteilten macht weiten Kreis. Trappt hoffnungslos. Eintönig.

Nicht irgendwohin.

Wie der Uhrpendel klappt und trappt, der die Zeit zerschneidet. Stück um Stück in die Abgründe werfend. Für immer verloren.

Irgendwo zwischen den kahlen Pflastersteinen ein Fleck Grün. Nicht handtellergroßes Moos. Die Augen der Büßer entschlüpfen einen Blitzblick flüchtig unter das kühle Grün wie der Wandrer unter einen Hollerbusch.

In der grauen Reihe der Alte reckt wach geworden die toten Augen, als käme ein Ruf. Er ächzt.

Gott hat auch ihn vergessen.

Mancher der Fahlkitteligen sieht sich mit Scheu nach dem Graukopf um.

Die Gestalt ist verschoben. Mächtig. Hängend. Vermagert. Wie eine ausgeweitete Riesenhaut schlottert die farblose Tracht wie auf steifen Stöcken.

Der Ausdruck von Stirn und Nase und Lippen verwichene Macht.

Scheue Abkehr aus mißtrauischen Blicken.

Die Tore des Lebens sind hinter dem alten Verbrecher zugefallen.

Seine plumpe Gestalt schiebt sich in einer fremden Gleichgewichtsführung vorwärts, als gingen die Schritte schroff bergab.

Oben im Himmel ziehen Krähen hoch.

Man hört keinen Laut.

Ziehen Wildgänse in gewinkeltem Keil.

 

Drinnen in einem Gefängnisraume der Tisch kahl. Das Gebetbuch mit Goldkreuz an den Boden geworfen.

Auch hier hastet der verfallene Mensch wie ein Landstreicher weiter. Unermüdlich. Mit kindischer, einsamer, großer Gebärde. Mit dem Blick des gehetzten Edeltieres, das man aus einem Königsleben verjagte.

Manchmal bemalt der Versunkene Blätter um Blätter.

Sinnlose Entwürfe. Zittrig. Verworren. Am Tische sitzend. Mit gesteiften Augen starrend. Wie im Zorn auseinandergesprengtes Gewirr. Wie von Fluten gepeitscht. Berge, Krater, Felsen, Arbeiterhäuser. Menschen und Kreaturen. Alles verschlingend.

Gar nicht wissend, wozu.

Gar nicht wissend, aus welchen Abgründen solche Geschäfte noch vor die entrechtete Seele steigen.

Der Himmel leer. Leer von Zukunft.

Auch die Vergangenheit hat sich ganz an dem verstoßenen Leben abgelebt.

Seine große, unerhörte Vergangenheit.

Versunken irgendwo der Himmel Frankreichs.

Die fortwirbelnde Erde.

Der Himmel über der weiten, blühenden Welt.

Der Himmel über unermeßliche Meere gespannt.

Ganz versunken irgendwo Handelsgeschrei und ewig gebietendes Leben.

Die bunten Häfen an allen Goldküsten leuchtend.

Die Heere schaukelnder Schiffsmaste und ragender Schlote.

Die weiten Wildnisse mit den Riesenturbinen. Mit den stampfenden Riesenbaggern. Von Menschenhorden hastig durchwimmelt.

Mit den Zyklopenbauten von Speichern und Arbeitsbaracken.

Alles versunken.

Nur eingeängstigt hinter eisernen Gitterstäben in die eigenste, engste Leibesmühsal eilt seines Erzväteralters grausiges Lebensgespenst seine Runden noch ab.

Wirst seines strotzenden, kühnen Erschauens letzte Reste im Winde hin.

Hastet ans Ende zu kommen.

 

O du Einbildungsreicher!

Du großer Verbrecher!

Du kühnster Sünder, den Gott je geliebt hat.

Du türmst den Ossa auf den Pelion.

Du stößt Erdwände groß wie Provinzen und Reiche ins Meer.

Du willst unerbittlich die irdische Herrlichkeit türmen.

Was gilt dir Anspruch der Zeit.

Was gilt dir Anspruch der Menschen.

Auch Napoleon wollte das schönste Menschenreich auf der Erde gründen.

Auch er warf Menschenansprüche wie Spreu in den Wind.

Auch er war Erdgefahr.

Auch er mußte seine Träume wie ein gefangener Kondor hinter Gitterstäben verbüßen.

Wer vom Blute Gottes getrunken, wird Erdgefahr.

Auch der Schöpfer vergeudet um seiner Träume willen Berge Goldes und Millionen Leben.

 

Es war in weiten, fürstlichen Räumen.

Der Herr über Weltteile, die er umbaute, saß in seinem königlichen Arbeitssaale.

Draußen tobte Paris.

Schlugen Tausende Droschkenkutscher ihre Pferde wund.

Stürmten Omnibusse.

Schrien Ausrufer ihre Anpreisungen durch die Straßen.

Und nicht bloß in Frankreich, rings auf der Erde begehrten die kleinen Menschen nach ihren Renten.

Der alte, vornehme Herr las die Depeschen des Tages.

Die Panamakurse hatten einen erschreckenden Sturz erlebt.

Gar kein Zweifel.

Der flutende Wasserweg rollte noch nicht von Meer zu Meere.

Die Einbildungskraft sah sich wieder betrogen.

Das Werk war nicht fertig. Es fraß und verschlang noch.

Aber er glaubte an die gewaltigen Kanäle und Schleusen. Er glaubte felsenfest an den Durchstich.

Er sah alle Schleusen schon geöffnet. Sah schon Wälder von Masten ziehen.

Sprang auf und meditierte im Gehen.

Auch von Amerika schrien die Rentner: »Hoffnungslos!«

An den Banken herrschte richtige Panik.

Da suchte der alte Titan plötzlich sein Weib.

Aber der Leibdiener sagte, die Herrin sei in die Stadt gefahren.

Sekretäre kamen, meldeten Ingenieure an.

Man harrte noch immer des alten Zauberers, ihn um tausend Hilfen gegen die Bergeinstürze anzuflehen.

»Nichts!«

Der Leibdiener und der Jäger staunten nur heimlich auf die großen, unerhört gesteigerten, unerhört geschäftigen, herrischen Mienen.

Ein Geisteszustand in dem von Macht und Glanz und Reichtümern und Ruhm beschütteten Greise, als wenn nicht ein ganzes Land, gleich alle Menschheit heimlich in seine innerste Höhle gellte:

»Hoffnungslos … hoffnungslos … hoffnungslos!«

Treiben Gedanken wie Nebel im Sturme. Entschließung aufbäumt. Der Alte wird jach.

Will zu den Spiegelfenstern hineilen, der Menschheit es wieder neu zuzurufen:

»Genie … Gebärer … Schöpferkraft … stärker wie Felsengebirge und Wasserstürze … ich schuf einst das Werk … ich schaffe das Neue!«

Da blieb er eisig.

Nichts kam aus ihm.

Er hatte unter seinen Fenstern den Knäuel erbitterter Rentner gesehen, die nach Golde die Hände reckten.

Er jetzt nur wie ein verfolgter Hirsch horchend.

Gespannten Schrittes rückwärts in die tieferen Räume zurück.

Und wie in zorniger Würde gesteift vor dem Schreibtisch, begann er auf ein kostbares Blankpapier große, jähe Lettern zu schreiben:

»Hier bin ich … Lesseps … von verehrender Arbeit welk und weise geworden … achtzig Jahre ruhelosen Lebens … und trage die Last noch … und trage die Zukunft … ein auf die steinige Erde verstoßener, harter Froner Adam … was wollt ihr Rentnerhorde …«

Eine Weile dann starr in sich. Dann schrieb er weiter:

»Pharaonentraum mein Traum … Napoleonstraum mein Traum … hahahaha … und Englands Ingenieure schrien mir damals entgegen: ›Irrsinn‹ … aber ich kannte das Ziel … ich maß alle Dinge … ich sammelte alle Hilfe zum Werke auf Erden … Hindernis beugte mich nie … und voll Gesichte der steinigen Erde war ich immer … Luft, Licht, Himmel, Land und Meer, was sind sie für Götter … ich hatte immer den Blick wie einer, der über den Erdball fliegt … ich sah, was der Schöpfer für die Menschen noch nicht getan hat … der Schöpfer verzeihe mir meine Gewalttat … ich wollte die steinige Erde verbessern … ich entflammte in dem Gefühl, daß Gott den Menschen geschaffen hat, damit er kühn sei … begann Könige zu beleben aus meines Vogelfluges Gesichten … gewann Menschenhorden, die alle schrien: ›Wage das Werk … damit die Meere ineinanderströmen!‹ … ich gewann eines ganzen Zeitalters Enthusiasmus … begann Erdteile zu versenken … den Meerwogen Mauern und Dämme bauen … und zeichnete meinen ersten Traum in die steinige Erde ein …«

So saß er wieder und starrte vor sich.

Und die Feder fiel ihm aus der Hand. Rollte ein Stück auf dem Papiere herunter. Indes er beständig ins Leere sah mit weit eröffneten, schauenden Augen.

Dann sprach er dumpf:

»Jetzt ist diese eine unbegreiflichste Stunde … jetzt erschöpft sich das Zukünftige und das Vergangene  … vor mir der ewige Abgrund … jetzt ist die Zukunft aus!«

Die Dame des Hauses rollte leicht unter die Vorfahrt im Garten.

Ein Fenster stand offen. Ruch von Orchideen quoll herein. Die spanischen Pferde trappten laut in der Unterfahrt. Da jagte er hastiger:

»Sagten die Menschen nicht, als jenes erste Werk glückte, durch den Mund ihrer Lobhudler und Ruhmredner: ›Dem Tode selbst könnte ich ruhig entgegensehen … der kühnste Mut wäre mein Teil … am Tage des letzten Gerichtes im Tale Josaphat würde ich blühenden Lorbeer um die Stirne tragen‹ … o Wahn dieser Erde … o Flucht alles irdischen Wertes!«

Und er lief, erregt mit der Faust die Lüfte schlagend. Redete hart:

»Das größere Werk meines Lebens ist noch nicht getan … noch bersten die Dämme … noch überstürzen die Steinlawinen die neuen Kanäle … das Werk hat neunhundert Millionen gefressen … hält jetzt neunhundert Millionen ehern umklammert … ich selber ein mit Ungeheuern und Riesen, mit Erddämonen und Feuern ringender Mensch … wollt ihr mich etwa in eurer Ungeduld mit den drohenden Greifhänden erschlagen, ihr Rentnerhorde  …«

Und er setzte sich neu. Begann wie in Beglückung jetzt aufzubäumen.

»Tausende Kräfte der Menschen riß ich in eine gewaltige Wirkung zusammen … ein Dirigent des größten Orchesters … wie anders sonst könnten Menschenwerke über den Menschen hinaus gewaltig werden … und Gott selber aus der Höhe über das Menschentum triumphieren … Tat war ich immer … Idee war ich immer … meine Tage waren ausgefüllt bis zum Rande, wie sehr sie auch eilten … einblies ich den Odem zu gleicher Zeit in hunderttausend erzene Trompeten … hahahaha … aber jetzt … wankt der Grundstein … der Glaube der Schwachen verwandelt sich in Begierde nach Gold … wollt ihr mich etwa jetzt in eurer Rache mit den drohenden Greifhänden erschlagen … ihr Rentnerhorde …«

Und er sann weiter:

»Ihr, die ihr nach nichts giert als nach Behagen und wieder Behagen … nach Golde und wieder nach Golde … als nach dem engen, zwecksüchtigen, dürftigen Tage!«

Und er redete vor sich hin:

»Kaum vom Morgengrau seid ihr angehellt … aus dem Werke des Hellsehers wollt ihr nur eure Tagrationen erhaschen … ihr, die ihr den Fluch der Erde tragt … ihr Ideenlosen … das Reich der großen Gesichte … das große Vorauserlebte an der kühnen, zeugenden Menschenseele zu rächen …«

Ausbrach er wie ein kindisches Kind in zorniges Weinen.

Sprach schluchzend:

»Nun muß ich ehrlos werden ... nun werden mich die Schwachen verspotten, wie die Kriegsknechte den König mit der Dornenkrone ... nun werden ihre Greifhände meinen Ruhm zerbröckeln ... nun wird mich der Hochmut ihrer hochmütigsten Richtergebärde aus ihrer Menschheit hinausweisen ... der giftige Biß des Massenhasses wird mich hoffnungslos treffen ...«

Dann war lange Stummheit.

Bis der vornehme, alte Herr sich ganz irdisch zum Diener wandte.

Das letztemal in seinem Leben mit kindlicher, sanfter Weisheit lachte:

»Ja ja, Felix ... ich bin der große Versprecher ... ich bin der große Verbrecher ... ich habe die größten Meere einander zugesprochen ... die Meere liegen noch fern voneinander ... die Wogen rollen noch nicht triumphierend von einem zum andern hin ... die Lage ist plötzlich hoffnungslos!«

Dann rief er sehnsüchtig: »Weib!«

Sein Weib, jugendlich, reich, geneigt wie ein zärtlicher Engel, stand schon hinter ihm. Streichelte sogleich unablässig das alte, in dieser einen Stunde in unerhörtes Leiden verwandelte, hehre Gesicht. Streichelte es mit kaum hörbarem Mundgeflüster, das fast auch erstickte:

»Die Rentner schreien nach ihren Renten ... dein Grundstein, ihr Glaube, ist nicht mehr ... die Lage ist plötzlich hoffnungslos!«

Und der erstarrte Mann:

»Die Rentner schreien ... sie wollen greifen ... sie glauben niemals ... die Lage tanzt immer auf Messers Schneide ... es begibt sich mein Schicksal ...«

Und er begann fahl zu werden wie aus Erde. Beständig auf die drunten murrende, erbitterte Rentnerhorde staunend. Und schrie heraus:

»Ich hasse das rückgewandte Gesicht ... ich mag nicht in Sodoms Brände starren ... mit dem Blick des Entsetzens ... mit dem Blicke der Armut ... mit dem Blick ohne Zukunft ... ich werfe meinen Himmel wie ein steinernes Tor ...«

Dann sprach der Alte kein Wort weiter.

Stand.

Vergaß sein Weib.

Vergaß immer mehr sein eigenes Leben.

Brach in sich ein.

Die äußeren Schultern sanken tiefer.

Die Gesichtszüge wankten im Bau.

Das Gesicht gewann pergamentene Starre.

Seine Backen wurden eherne Falten.

Seine Lippen färbten sich dunkelbraun.

Seine Augenbüschel hingen wie Bärenklauen über den halbgeschlossenen Augen.

Der noch vor Minuten hochgehaltene Schädel schien überzufallen. Wie auf dürrem Stiele hängend stand der grau umhangene Kopf jetzt im Raume.

Sein Weib erstarrte von Schreck ...

 

Der zertrümmerte, alte Mensch schob noch fünf Jahre in der eintönigen Runde der grauen Büßer vorwärts. Der Erdenherrlichkeit fern. Als verstoßener Adam.

Leer von Hoffnung.

Leer von Zukunft.

Aber der Himmel hing lachend über den großen, irdischen Meeren, die seine Vorausschau einander versprochen hatte.

Und einmal brachen die gewaltigen Meere jauchzend ineinander wie geliebte Wesen, die einander suchten und fanden.

Und in den Lüften über der Erde aus dem Lobgesang ganzer Menschenhorden gab es ein heimliches Klingen seines titanischen Namens.


 << zurück weiter >>