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Der Mörder

Alle Dinge sind daseinsgierig. Sich behaupten, heißt zerstören. Nach Quellen greifen, heißt an sich reißen. Jedes Dasein ist Vergelten mit Rückstoß.

Auch das blaue Meer ist daseinsgierig. Schlappt mit seinen Wogen in die Felsen. Zerbröckelt Land um Land. Stürmt hinaus. Treibt und drängt. Wo es ist, ist Gewalttat.

Guiseppe hatte oft auf den blauen Wasserstürzen gesessen. Ritt nach Quallen. Trieb und mißhandelte sie mit den nackten Beinen, trotz ihrer Nesselkräfte. Schleuderte sie auf den Ufersand. Zerschnitt die giftigen Schleimklumpen in Stücke. Und wollte die Kreatur schreien hören.

Aber in diesen buntbeflitterten Gallertleibern war der Schrei der Seele noch unsichtbarer eingeschnürt als im Stein.

Damals war Guiseppe ein Junge von Leib und Gliedern, die mit bronzenem Glanze prunkten. Mit jachem, düsterem Auge, das viel Weißes zeigte.

Sah hart und bedrohlich aus.

War ein Maulheld und schöner Verführer.

Und die Jungen, die sich mit ihm auf den Meerwellen tragen und hinausspülen ließen, hatten heimlichen Widerwillen gegen ihn, weil er hundert Dinge immer bis zum Tode schändete.

Er konnte im Streite plötzlich die Hände krampfen, als wenn er jemand erwürgte. Konnte dabei mit den Zähnen knirschen und am Munde schäumen.

Deshalb waren die Kameraden meist demütig vor ihm. Taten, als wenn sie ihm ergeben wären.

Damals überkroch blauer Wein üppig das dürftige Hängespalier. Weizen schimmerte golden im kleinen Felde. Die Feigenbäume lagen mit Früchten tief niedergekniet um das niedrige Flachdach.

Und die Mutter Grimaldi, die verhärmte, zerlumpte, braune Bäuerin, konnte nie einen Ausweg sehen.

Die Alte wußte sehr wohl, daß auch der Vater Grimaldi nur ein Räuber war. Gewalttat übte. Gierte und griff. Verriet. Fluchte und Gott bespie. Ehe er die Sense ums Gemäuer schwang und den Rosenkranz drehte.

Und Guiseppe war in hartem Streite und Zorne aus dem kleinen Anwesen der Alten davongegangen. Und war von seinem dreizehnten Jahre an bis heute verschollen gewesen.

Das war lange her.

Jetzt war Guiseppe heimgekehrt aus der Fremde. Unerwartet. Ein Mönch von beinahe dreißig Jahren. Ein Kapuziner.

Braunbärtig und wollig schritt er an den Kaskaden von Marschall-Niel-Rosen vorüber, die von dem Giebel des Klosters herniederfielen. Stand, wo der Ruch der Blütenfülle mit den andächtig flötenden Lauten der Nachtigall in die Einkehr der Seelen einströmte. An der Klosterpforte vom heiligen Kreuze. Und fragte nach der jungen Nonne Carmela, die seine leibliche Schwester war.

 

Unterdessen war daheim vieles mehr hingegangen.

Die alten Grimaldileute waren beide Gerippe.

Die Mutter Grimaldi, die mit Seufzen eines Nachts in ihr Lumpenbette gekrochen, war jäh aus dem Schlafe emporgefahren.

Der Engel Gottes hatte weinend im Nachttraum vor ihr gestanden. Entrüstet von ihr abgewandt. Hatte sichtbar in den Himmel gefleht:

»Gebiete dem alten Räuber Grimaldi heiliges Leben ... er lebt verrucht!«

Da hatte keiner mehr wissen können, was in dieser nächtlichen Bestürzung und Beeiferung im Kampfe um Gott für Anklagen aus dem welken Munde der Alten auch gegen den Vater Grimaldi ausgefahren. Ehe die Knochenhand des hartherzigen Räubers sie tödlich würgte.

Nur stand vor der kindsjungen, scheuen, braunen Carmela, dem zweiten Kinde der Grimaldileute, als die in der Nacht in das nahe Nonnenkloster floh und noch einmal zurücksah, ein Trostgesicht: daß der göttliche Engel, das Mutterherz wie eine warme Flamme behutsam in Händen tragend, das niedrige Dach von der Mordhütte weggestoßen und die Flügel zum freien Flug in die himmlische Mainacht breit geweitet hatte.

Und jetzt war die braune Carmela längst selber Nonne und lag noch beständig vor der Heilandmutter auf Knien, die Schauer des Mordes mit den Rosen der Inbrunst zu umkränzen. Und den Fluch der Grimaldileute wegzubeten.

Und auch Guiseppe stand heute vor dem Kloster vom heiligen Kreuze. Klopfte herzhaft mit dem schweren Eisenringe.

 

Die junge Magd erschrak bis ins Blut, wie sie es von der Äbtissin selber erfuhr.

Sie stand jäh übergossen von Mohnröte der Scham vor der alten Nonne.

Schauer begannen aufzuquellen.

Die Priesterin sprach von Guiseppe.

Widerliche Gesichte kamen:

Dieser Guiseppe! Reif und üppig schon mit zehn Jahren. Damals schon gewalttätig nach ihr gierend. Ewig süchtig nach ihrer knospenden Nacktheit. Wie der furchtbare Vater. Beides Mannsvolk wie betrunkene Dämone hinter Mutter und Tochter her.

Aber die alte Nonne redete sanft:

»Guiseppe wäre der leibliche Bruder ... und wäre Mönch!«

Carmela erwachte langsam aus Scham und Erstarrung.

»Gehörte jetzt der Bruderschaft des heiligen Mönchs von Assisi an.«

In Carmela begann eine Last sich zu heben.

Und er käme von weit ... fern aus Ägypten ... und wäre jetzt ein Mann von starkem Glauben ... in ausdrücklicher Schrift von seinen Oberen freundlich anempfohlen.«

Carmela widerstrebte trotzdem hart.

»Es ist keine Sünde!« sagte die alte Nonne eindringlich.

»Aber mein Leben ist nicht mehr mein ... es gehört nur Gotte!«

Alles an Carmela bebte.

Sie war demütig wächsern geworden wie ein einbalsamierter Leichnam.

Konnte eine Ohnmacht fast nicht überwinden.

So trat sie zögernd ins Sprechzimmer ein.

Der Mönch knickste vor ihr, als wäre sie jetzt ein hehres, heiliges Sinnbild.

Wollte gleich auf der Eltern Ausgang sprechen kommen.

»Damals, als der doppelte Fluch sich an den Alten erfüllte ... nicht nur, daß der Wüterich die Schandtat des Mordes an der Mutter beging.«

Carmela zerrann jetzt in blutige Tränen.

»Daß sich der alte Räuber auch noch irgendwo in den Sümpfen selber erhängte, nachdem er aus dem Zuchthause ausgebrochen war.«

Guiseppe redete alles mit harter Stimme. Sah mit herzlosem Auge immer neu an der vergehenden, frommen Gestalt herab.

Carmela starrte die kalten, ehernen Blicke an.

Sie hatte den schon arg verfaulten, stinkenden Leichnam des Vaters selber im Brettersarge erst kenntlich gemacht.

Jetzt sah sie neu in das Mördergesicht.

Fand nicht zu sich.

Hörte nur noch Geplärr: daß die Behörden Guiseppe endlich in Ägypten ausfindig gemacht und ihm von der kleinen Erbschaft Nachricht gegeben.

Am offenen Fenster quollen Marschall-Niel-Rosen hinter Vorhängen aus dem Licht in die Schatten der kühlen Klosterwölbung. Klang Nachtigallengeschluchz in das einsame, eintönige, zögernde Gemurmel.

Die Vesperglocke rief zum Gebet.

Carmela machte das Kreuzzeichen.

Sie ging.

Sie weinte nicht mehr.

War mit der Inbrunst ihrer dunklen, reinen Jugend wieder gepanzert.

Wandte sich noch einmal zurück:

»Begreife ich recht ... du kommst ums Erbe ... so wisse, daß mir die heilige Mutter erlaubt hat, mein Erbe als Schmuck vor Gotte zu tragen ... in heißem Gebete um unsrer und unsrer Väter arge Sünden ... hier ... dieses köstliche Kreuz ... und den köstlichen Rosenkranz.«

Und Carmela ging plötzlich wie gescheucht von Guiseppe.

Der Mönch konnte noch gerade gierig die Juwelen bestaunen, die sie an sich trug. Und sein feister Blick kroch auf dem Boden hinter ihr drein wie eine Schlange.

 

Und Guiseppe war wieder in seiner Herberge.

Er hatte eine Kette von Abenteuern stets, die er nachschleppte.

An der Hafenspelunke, wo er wohnte, wohnte mit ihm eine junge Griechin. Ein Mädchen von schwärmender Jugend. Eine eben geprüfte Erzieherin.

Er hatte sie auf seiner Reise im Schiffe an sich gelockt.

Sie hatte in ihm zuerst den Mönch gesehen.

Wäre gern rein geblieben.

Dann den Mann, der sie mit der Wucht der Gestalt und dem Schwall seiner kühnen Worte und feierlichen Gebärden an sich gebunden.

Sie liebte ihn jäh.

Einmal verfallen, muß man weiter.

Lebte nur Gegenwart.

Hatte die Zukunft völlig vergessen.

Wollte nichts mehr.

Und der Mönch: ein aus der Hürde ausgebrochenes, kühnes Tier.

Lebte rücksichtslos weiter.

Verjubelte mit den Schiffern am Strande seine Stunden.

Spielte mit seiner Kraft. Und verspielte zehnmal wie alle Zeit Zukunft und Erbe.

Und erwachend, war er betäubt. Erzürnt. Gewalttätig. Hart und herzlos.

War wie ein Vieh, das man schlagen müßte.

Ehe sein Blut neu die Adern durchrann und die Sinne aufpeitschte.

Und heimlich umkroch er mit seinen Gieren das gelbüberblühte Kloster, worin Carmela mit den Kleinodien ihres Erbes die Schmach der Grimaldi hinwegzutilgen versuchte.

 

Tage waren neu hingegangen. Ehe Guiseppe seine leibliche Schwester neu zu sprechen begehrte.

Aber die stille Nonne Carmela wehrte ab. War entschlossen. Bat fußfällig, man möchte sie schonen. War nahe an Ohnmacht, als die Äbtissin sie neu zur Güte ermahnte. War tief erstarrt. Schaudernd.

Zu keinem Schritte und keinem Worte fähig. So tief erschreckt, als wenn sie dabei leibhaftigem Tode entgegensähe.

Man ließ sie gewähren.

Man wies den Kapuzinermönch ab.

Dann hatte Guiseppe noch mehrmals, als seine Lage und Notdurft im Hafen bedenklich anwuchs, aufdringlich vor der Klosterpforte gestanden und Einlaß begehrt.

Zwei Wochen waren schon hingegangen.

 

Carmela schwebte nachts wie schlafwandlerisch im Klostergarten.

Es hatte sie in der Zelle nicht gelitten.

Guiseppes hartnäckiges Klopfen mit dem Klosterringe hämmerte beständig in ihr Herz.

Der Steineichentisch, an dem die junge, wesenlos bleiche Nonne sich niederließ, lag einsam im weiten Sternenlicht.

Die Nacht flüsterte.

Ein Schein lag unten im See fast vergraben.

Der Wind überkräuselte leise von vielen Seiten die flüssigen Wellen und machte sie tief unten im Dämmer flimmern.

Da stand der Kapuzinermönch plötzlich vor ihr.

Carmela erkannte sofort den Blick der Grimaldi.

Das Böse atmete nahe.

»Aber nein, Carmela!«

Guiseppe nahte sich wie zum Stelldichein.

Er umarmte sie nur mit den breiten Händen.

Er küßte sie nur mit den heißen Lippen.

Carmela schrie nicht.

Sie war gleich betäubt.

Sie dachte, Gott schickte ihr eine Versuchung. Es wäre ein Traumbild.

Und Guiseppe klammerte sich gewaltsam an sie.

Carmela war es nur, als wenn die Nachtlüfte gellten.

Da klang auch die Nachtglocke zum Gebet.

Es beteten beide.

Dann war nur Traum.

»Gib mir das Kreuz!«

Kein Wort aus Carmela.

»Gib mir den köstlichen Rosenkranz!«

Kein Wort aus Carmela.

»Gib mir die Schätze!« flüsterte jetzt der Mönch.

Aber der Mönch hielt die junge Nonne jetzt schon in ehernen Klammern.

So daß Carmela plötzlich irrsinnig lachte.

Auch ihn mit jäher Inbrunst umklammert hielt: braunwolliger Mann, wie er war.

Ihn nicht lassen wollte.

Gewaltig seufzte.

Ihn erbitten wollte.

Anflehen in des unschuldigen Herzens letzten Nöten.

Unterdessen der Mönch heiß flüsternd der sinnlos lachenden Carmela fiebernd ins Ohr schrie:

»Gib die Schätze!«

Und griff sie. Um und um. Küßte sie wie eine niedrige Metze.

Hielt die Brüste umspannt.

Löste sorglich das Kreuz.

Löste sorglich den Rosenkranz.

Riß am Kleide. Zerriß die Schließen.

Hielt sie in Zangen. Hielt sie im Wahne.

Sie hatte nicht Macht. Sie schrie keinen Laut.

Er hielt seinen Mund auf den ihren gepreßt.

Einmal schrill inmitten der tiefsten Stille und sinnlosen Brunst hörte sie die Nachtigall gellen.

Er sog den Atem Carmelas aus wie ein trinkendes Tier.

Unter dem grausen Druck seiner Kraft vergaß sie zu ächzen.

Auch er begriff nichts.

Die breiten Hände Guiseppes hielten längst den weichen Hals Carmelas eng eingeschnürt.

Guiseppe murmelte nur noch dumpf Gebete. Als wollte er Gott zu dem Frevel und Morde herunterzwingen.

Dann war es im Klostergarten totenstill.

Die Nachtigall sang einsam Erlösung.

Blätter wehten im Nachtwind.

Guiseppe hatte das Geschmeide vom Boden zusammengelesen, scheu wie ein Schalk es bestaunt. Mit sicherem Griff in die Kutte geschoben.

Sprang zur Mauer. Schwang sich fort.

 

Nonnen kamen im Morgengrau. Riefen zärtlich. In alle Winde.

»Carmela« ... »Carmela« ... »Carmela« ...

Sie fanden Carmela mit zerrissenen Kleidern. Die Lippen furchtbar zerbissen. Die Gestalt geschändet. Die Kleinodien geraubt.

Durch das Kloster zitterte der Mord.

Auch aus der Seite Carmelas kam Blut geflossen.

Der Mörder hatte dem Leichnam auch den Dolchstoß in die Seite nicht erspart. Außer der greulichen Schandtat.

Die Morgensonne floß über die stürmenden Marschall-Niel-Rosenranken um die Klosterfenster.

Die Rosen flüsterten, daß Carmela schön und rein und voll Duft war.

Flüsterten: »Carmela wollte ihr Blut aus der Hölle losbitten ... wie eine Himmelsbraut mit ihrem schönen Geschmeide geschmückt ... aber Blut ist zäher noch als Gebete«.

 

Guiseppe Grimaldi ist Jahrzehnte später im Hafen wieder aufgetaucht. Hat noch lange unter anderem Namen gelebt.

Als Straßen- und Strandgauner.

Nachdem er damals bald die junge Griechin durch alle Gossen gezogen und an Männer verhandelt hatte.

Nicht mehr im Mönchskleid.

Er hat noch jahrzehntelang am Strande ein Boot gehalten.

Tat auch Lastträgerdienste.

Schleppte oder genoß mit heißem Atem.

Oder ging auf Fischfang. Fing besonders leidenschaftlich mit dem Feuerkorbe und der Strahlenangel in tiefer Nachtstille die unheimlichen Früchte des Meeres.

Hieß im Hafen der alte Räuber Spadaro.

War stets gefürchtet.

Und im Sterben hat er in einer Hafenspelunke einem Kapuzinermönch mit pompöser Genugtuung alle seine Lebenswege beschrieben und eifrig gebeichtet. Und hat von Gotte mit großer Gebärde Gnade verlangt.


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