Gerhart Hauptmann
Die goldene Harfe
Gerhart Hauptmann

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Dritte Szene

Mansardenzimmer im Schloß. Der Vollmond, fast tageshell, dringt herein. An einem runden Tischchen, in bequemer Kleidung, sitzen Graf Friedrich-Alexis und Graf Friedrich-Günther beim Wein. Die drei Kerzen des Armleuchters sind nicht angezündet.

Graf Friedrich-Günther. Wie überaus seltsam, Alexis – wir sind nun hier.

Die nahe Uhr des Schloßturms hebt aus. Sie schlägt zwölfmal.

Graf Friedrich-Alexis. Beinah bin ich erschrocken, Günther. Die Uhr muß ganz in der Nähe sein, man hörte ja die Gewichte rasseln.

Graf Friedrich-Günther. 's ist Punkt zwölf Uhr: du hast wohl an ein kettenrasselndes Gespenst gedacht, das Gespenst mit dem Stundenglase?!

Graf Friedrich-Alexis. An so etwas habe ich nicht gedacht. Immerhin, eine seltsame Suite von Zimmern, die wir bewohnen: Fledermäuse im Vorflur und draußen im Mond, hin und her. Uralte Balken und Sparren wie Gebein, aber Gott sei Dank nur der Holzgeruch, den ich gern habe. Spuk, Gespenster, wozu das noch? wo ja alles ein Spuk, ein romantischer Zauber ist! Diese alten deutschen Waldsitze können flüstern, seufzen, ächzen, stöhnen, ja schreien! Sie sind nämlich beseelt, und Seelen leiden. Und wenn wir nochmals die Welt umreisten – da draußen gibt es dergleichen nicht.

Graf Friedrich-Günther. Ich gebe dir recht, und es hat uns mit Macht hierhergezogen. Aber warum hat uns ein Etwas, ich weiß nicht was, trotzdem so lange ferngehalten? Und es ist vielleicht fraglich, ob es richtig war, unserm Zuge hierher nun doch nachgegeben zu haben.

Graf Friedrich-Alexis. Wieso? was spräche dagegen, Günther?

Graf Friedrich-Günther. Ich finde, daß man in dieser Umgebung verändert wird.

Graf Friedrich-Alexis. Das wäre dann freilich recht schnell gegangen . . . Übrigens laß uns die Kerzen anzünden, damit doch der blutrote Wein, der wie Tinte aussieht und schmeckt, seine Farbe bekommt. Er bemüht sich, die Dochte zu entzünden, und bemerkt dabei, daß der Leuchter zwei ganze Kerzen und einen kurzen Lichtstumpf trägt. Als die beiden ganzen Kerzen brennen, sagt er. Sonderbar, wie alles eine bestimmte, eine symbolische Sprache spricht, wenn einmal das Gemüt dominiert.

Graf Friedrich-Günther. Bei Unglücksfällen! bei Todesfällen! in Kriegszeiten!

Graf Friedrich-Alexis. Erinnre dich, wie wir vor einer Attacke, vor jedem Treffen, auf dem Rücken der Pferde harrend, den Flug und Schrei eines Vogels, den Fall einer Sternschnuppe ausdeuteten!

Graf Friedrich-Günther. Wir prophezeiten den Untergang des Korsen, als überraschend ein Meteor alles hell machte, so daß die Gäule scheu wurden, und dann mit leisem, musikalischem Ton zersprang und verschwand. – Worauf wolltest du aber hinaus, Alexis?

Graf Friedrich-Alexis. Wobei hinaus? wie meinst du das?

Graf Friedrich-Günther. Scheinbar bezog es sich auf die drei Kerzen.

Graf Friedrich-Alexis. Wir waren drei, und der eine von uns hat ausgebrannt.

Graf Friedrich-Günther. Nein, wie du siehst: es gibt noch immer ein bläuliches Leuchten.

Graf Friedrich-Alexis, der in der Tat den Lichtstumpf entzündet hat. Heller leuchtet unten im silbernen Mond die goldne Kuppel an seinem Grabtempel. – Was war mit dir, als wir an der Gruft standen? Ich kenne dich gar nicht so fassungslos.

Graf Friedrich-Günther. Nun, Juliane stand zwischen uns – ein Anlaß war denn doch wohl gegeben. Und wie es bei solchen feierlichen Gelegenheiten öfters ist, der Zufall spielte sinnvoll herein. Du erinnerst dich, daß irgendein Junge, der draußen am Park vorüberging, unermüdlich »Ich hatt' einen Kameraden« trällerte.

Graf Friedrich-Alexis. Das mag alles ganz richtig sein, jawohl – auch mich erschütterte diese tote Gegenwart des Lebendigen, das wir so innig gekannt haben, zumal mir die Hofmeisterin gesagt hatte, daß man Heinz-Herbert mit der Locke des Kindes Juliane auf dem Herzen bestattet habe.

Graf Friedrich-Günther. Ja, mir hat sie es auch gesagt. Du warfst sie ja einstmals weg, diese Locke, als wir erst kurze Zeit auf dem Marsch waren. Du sagtest damals, es sei was daran, das dich rückwärts ziehe: das aber erschwere dir den Einsatz deiner ganzen Persönlichkeit, den du einmal beschlossen hättest.

Graf Friedrich-Alexis. Ja – ich glaube, so dachte ich.

Graf Friedrich-Günther. Ich trage sie immer noch auf der Brust, gleichwie der Kamerad in der Gruft, Alexis.

Graf Friedrich-Alexis. Es ist mir bekannt, ich weiß es, Günther. Du hast ja daraus kein Geheimnis gemacht. Man trennt sich nicht gern von einem bewährten Talisman. Alle trugen ja irgendwo etwas dergleichen. So: nun trinken wir Heinz-Herberts Andenken!

Er hebt das Glas, und die Brüder stoßen an.

Graf Friedrich-Günther, nachdem er getrunken, fährt fort. Ja, ja . . . armer Heinz-Herbert! tapferer Heinz-Herbert! todesmutiger, kühner Heinz-Herbert! Und doch hatte er Grübchen in den Wangen und sah wie ein junges Mädchen aus.

Graf Friedrich-Alexis. Eigentlich hatte er nur zwei Dinge lieb: das Vaterland und Juliane, die Schwester.

Graf Friedrich-Günther. Er hat sie nur Adelaide genannt.

Graf Friedrich-Alexis. Einmal hat er zu mir gesagt: »Was wird aus ihr, wenn ich bleiben sollte?«

Graf Friedrich-Günther. Mir hat er einmal Briefe gezeigt, die das Kind Adelaide an ihn gerichtet hatte. Das andre Mal fand ich einen von ihm an sie, nach einem plötzlichen Aufbruch, im Quartier. Die zärtlichste Neigung sprach aus den Briefen, wie sie zwischen Geschwistern sonst nicht üblich ist.

Graf Friedrich-Alexis. Ein lieber Junge, ein kühner Streiter, der beste Kamerad von der Welt.

Graf Friedrich-Günther. Etwas in ihm, dessen bin ich gewiß, hat zum Tode gedrängt. Sie war sein Idol, ihm wollte er dienen. Die andre, die letzte, die höchste Hoffnung der werdenden Jungfrau gegenüber konnte er nicht haben und hatte er nicht. Sollte er nicht vielleicht die gefundene Lösung im Grabe ersehnt haben, die Locke des Kindes auf der Brust?

Graf Friedrich-Alexis. Unergründlich, heißt es ja wohl, ist des Menschen Herz.

Graf Friedrich-Günther. Ganz unrecht hast du übrigens nicht, wenn dich meine Bewegung am Grabmal seltsam berührte. Warum sie mich plötzlich so ergriffen hat, wüßte ich nicht. War's der Bericht von der Locke, die der Verewigte, wie ich, auf dem Herzen trägt? – ich möchte nicht sagen und kann nicht sagen, was ich letztlich empfunden habe: es ist zu verschwommen, zu unbestimmt. Aber irgendwie bestand ein Kontakt zwischen mir und der Gruft, die mich frösteln machte.

Graf Friedrich-Alexis. Ich wurde besorgt, ich sah es dir an.

Graf Friedrich-Günther. Du erinnerst dich, wie ich zu dieser Reise gestanden habe: jetzt wollte ich sie, dann scheute ich wieder davor zurück.

Graf Friedrich-Alexis. Das ist mir freilich nicht anders ergangen.

Graf Friedrich-Günther. Du hast sie gewollt, hast sie aufgeschoben, aber doch nicht mit dem seltsamen Unterton, den das Für und Wider in meiner Brust hatte. Nämlich es war eine Furcht, eine Furcht bis zum leichten Schauder in mir . . . ja, sagen wir geradezu, wie man vor einem Verhängnis zittert. – Ich rede Unsinn, vergiß es, Alexis.

Graf Friedrich-Alexis. Man muß diese Dinge zu Ende denken, anders, Günther, besiegt man sie nicht.

Graf Friedrich-Günther. Nein, nein: der Krieg ist vorbei. Was im Kriege erlaubt war, schickt sich für nüchterne Burschen wie uns im Frieden nicht. Damals gab es genug Kameraden, die bei heiterster Laune am Lagerfeuer ihr offenes Grab sahen. Ich sehe nun freilich gewiß nicht mein offenes Grab. Aber die Empfindung, vor der ich in der Ferne gescheut habe, kam doch heut, wie erwartet, mit Macht über mich. Mir war, als könne ich nicht mehr von hier fortkommen . . .

Graf Friedrich-Alexis, lachend. Das kann sehr verschiedene Ursachen haben, mein Günther . . . Er steht auf, nimmt eine Flöte und spielt mehrere Läufe. Dann fährt er fort. . . . die mit Nänien und Tod nicht zu verwechseln sind! Ich will diese Gründe nicht weiter ausführen. Aber höre, Günther, ein Mann, ein Wort: Ist die in der Tat etwas lastende Atmosphäre dieses Schlosses irgendwie nicht für dich, erkläre dich kurz, und ich sitze mit dir morgen früh im Postwagen . . .

Graf Friedrich-Günther erhebt sich, um in sein Schlafzimmer zu gehen. Keine Übereilung, wir wollen's beschlafen, Alexis.

Graf Friedrich-Alexis, immer mit Flötenbegleitung. . . . und wenn du bis morgen früh nicht warten willst, beordere ich auf der Stelle Postpferde.

Graf Friedrich-Günther, heiter. Daß du Ernst machen würdest, bezweifle ich nicht: du bist ein Mann der kurzen Entschlüsse. Aber der Morgen dämmert ja schon, im Parke flöten, mit dir um die Wette, die Nachtigallen – warum soll man es nicht ein paar Tage im Paradiese aushalten?! Am Fenster. Horch mal, Alexis – hörst du das?

Graf Friedrich-Alexis nimmt die Flöte vom Mund, tritt ans Fenster, lauscht. Im Parke flöten nicht nur mit mir um die Wette die Nachtigallen, sondern da unten ist jemand, der Harfe spielt. Man hört Harfen-Arpeggien deutlich und laut. Wer mag das sein? die Musikerstochter?

Graf Friedrich-Günther. Mit diesem Maestoso? Nein! nur aus Julianens Seele kann das hervorgehen . . .

Beide horchen, bis das Harfenspiel verstummt.

Graf Friedrich-Alexis. Das war ein Willkomm für uns, guter Günther, und zu gleicher Zeit eine Aufforderung, frei, heiter und überwindend zu sein. Und in diesem Sinne: gute Nacht, Günther.

Graf Friedrich-Günther. Heißsporn Alexis, gute Nacht!

Graf Friedrich-Alexis. So will ich mich noch ein wenig abkühlen . . . Er tritt ans Mansardenfenster und flötet.
    Brüderlein fein, Brüderlein fein . . .
    sollst nit so traurig sein . . .

Die Schloßuhr hebt aus und schlägt halb eins.

 


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