Gerhart Hauptmann
Die goldene Harfe
Gerhart Hauptmann

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Dreizehnte Szene

Das Innere einer Jagdhütte. Graf Friedrich-Günther hantiert am Feuer eines offenen Herdes. Auf dem unpolierten Tisch eine unangezündete Kerze im Leuchter, ein Notizbuch und Bleistifte. Durch die Fensterluken und, wenn die Tür aufgeht, sichtbar: Nadelwälder in bergiger Gegend. An der Wand hängt unter anderem ein Jagdgewehr.
Es ist gegen Abend.

Graf Friedrich-Günther hat eine Weile hantiert, in den Kessel geblickt, der überm Feuer hängt, die Glut darunter zusammengeschoben. Er hat dann das Buch genommen, flüchtig hineingeschaut, dies und das in sein Notizbuch notiert. Er hat das Gewehr vorgenommen, durchgeputzt, geprüft usf. Dabei singt, dudelt, pfeift er ununterbrochen vor sich hin, bald ausgesprochen, dann wieder nur nach der Melodie, den letzten Vers der »Adelaide«.
    Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe
    eine Blume der Asche meines Herzens;
    deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen:
    Adelaide!

Da klopft es an die Tür.

Graf Friedrich-Günther ist heftig zusammengefahren, ruft dann, ebenfalls mit Heftigkeit. Draußen geblieben, wenn ich bitten darf! Besuche empfängt man nicht auf der Jagdhütte. Er singt weiter vor sich hin.
    Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe
    eine Blume der Asche meines Herzens . . .
        Es klopft abermals. Ich wiederhole: Besuche empfängt man hier nicht!

Die Tür wird geöffnet, und Graf Friedrich-Alexis, forstmäßig gekleidet und ausgestattet, tritt ein.

Graf Friedrich-Alexis. Außer vielleicht, mit Erlaubnis, den Besuch meiner Wenigkeit.

Graf Friedrich-Günther. Mag sein, Alexis. Aber doch höchstens deshalb, weil die Begriffe des Besuchers oder des Besuchs zwischen uns überhaupt nicht vorhanden sind.

Graf Friedrich-Alexis. Oder werden sie doch allmählich möglich . . .? Erlaubst du, daß ich ein bißchen hierbleibe, oder – sag es ganz offen – störe ich dich?

Graf Friedrich-Günther. Worin solltest du stören, Alexis?!

Graf Friedrich-Alexis. Ich verdränge vielleicht durch meine materielle Gegenwart die zarte Gestaltenfülle deiner dichterischen Einbildungskraft.

Graf Friedrich-Günther. Verstehe ich falsch, oder ist wirklich deinen Worten ein Gran Ironie beigemischt?

Graf Friedrich-Alexis. Dann nur ein sehr verdünntes, ein müdes Gift, lieber Günther.

Graf Friedrich-Günther. Das wäre! Alexis und Müdigkeit? nun gar der Alexis dieser Tage? Bitte nimm Platz. Ich hatte mir eben etwas heißen Wein zurechtgemacht. In dieser Höhe und Kühle kann man immerhin etwas Wärme gebrauchen. Wer verriet es dir eigentlich, wo ich hause?

Graf Friedrich-Alexis. Du schmeichelst dir doch wohl kaum, man wisse das unten im Schlosse nicht?! Aber du bist schon über drei Tage abwesend. Wenn du nun auch als Dichter auf außergewöhnliche Rücksicht Anspruch hast, so wäre es doch wohl an der Zeit, unten wieder einmal acte de présence zu machen.

Graf Friedrich-Günther. Ist es darum, daß du persönlich den Aufstieg zu mir unternommen hast?

Graf Friedrich-Alexis. Nein! Was mich zu dieser Kletterpartie veranlaßte, war keine Absicht, sondern Gemütslage . . . und zwar eine solche, wenn du erlaubst, die auf Dauer nicht zu ertragen ist.

Graf Friedrich-Günther. Auch ich erwäge fast stündlich die möglichen Auswege. Wiederum summend.
    Einst, o Wunder . . . usw.

Graf Friedrich-Alexis. Eigentlich, lieber Günther, beneide ich dich. Man hält dich, man fühlt es, für denjenigen von uns beiden, der besonders zu bedauern ist. Vielleicht aber bin ich noch mehr zu bedauern. Seien wir einmal wieder, wie es sonst üblich war, rückhaltlos freimütig –: will ich mich ihr nahen, so blickst du ihr, einer tragischen Maske ähnlich, mit großen Tränenkugeln unter den Augenöffnungen über die Schulter.

Graf Friedrich-Günther klopft mit dem Bleistift auf den Tisch. Mit großen Tränenkugeln unter den Augen: gut!

Graf Friedrich-Alexis. Und wenn ich sie liebkose – ich habe das natürlich getan wie du –, treibt immer zugleich der Gedanke an dich einen giftigen Dorn durch meine Schläfen!

Graf Friedrich-Günther. Ähnliches habe auch ich erlebt.

Graf Friedrich-Alexis. Und ich bin überzeugt, Juliane geht es nicht anders. Wenn du ihr über die Schultern blickst . . .

Graf Friedrich-Günther. . . . die tragische Maske mit Tränenkugeln unter den Augenlöchern . . .

Graf Friedrich-Alexis. . . . so ist mir, als sollte ich tausendmal lieber diese fast unerträgliche Marter abwerfen. Steig du hinunter, laß mich hierbleiben, Günther.

Graf Friedrich-Günther. Auf daß nun du als tragische Maske mit großen Tränenkugeln unter den Augen«, mit dem leeren Blick, der versteint, über Julianens Schultern blickst?!

Längeres Stillschweigen.

Graf Friedrich-Alexis. Wir sind beide nicht mutig, sind beide feig.

Graf Friedrich-Günther. Wir können nicht leben, wir können nicht sterben. Denn auch ich finde die Entschlußkraft zum einen nicht und zum andern nicht.

Graf Friedrich-Alexis. Ich habe sie ebensowenig gefunden. Und doch wäre es, Gott weiß es, nicht das erstemal, daß ein Bruder dem anderen das Feld überlassen und sich geopfert hat.

Graf Friedrich-Günther. Es ist der Fall, wo Liebe von sich den Tod fordert und Liebe und Tod ein und dasselbe ist.

Graf Friedrich-Alexis. Sie fehlt mir einstweilen, die Kraft zum Märtyrer. Und kurz: ich bin zu dir heraufgestiegen, um dir einen Vorschlag zu tun. Laß uns versuchen, Günther, den unabweisbaren Forderungen des Lebens standzuhalten und männlich, ich sage ausdrücklich männlich, einen entscheidenden Schritt zu wagen.

Graf Friedrich-Günther. Also du meinst, den toten Blick der Maske zu ertragen, die über Julianens Schulter blickt?

Graf Friedrich-Alexis. Dazu müßte der eine von uns beiden allerdings fähig sein. In diesem Falle könnten wir uns das Wort geben, daß der zum Verzicht Verurteilte um der beiden Übriggebliebenen willen den stoischen Ausweg nicht ergreifen, also das Leben weiter mutig ertragen wird. Das müßte auch schon darum geschehen, damit die für uns schwerste aller Gefahren vermieden wird.

Graf Friedrich-Günther. Was nennst du die schwerste aller Gefahren?

Graf Friedrich-Alexis. Daß Juliane durch uns vernichtet würde.

Graf Friedrich-Günther. Das alles sprichst du – ich könnte es ebensowohl gesagt haben. Nun also, ich bin bereit: wie der Würfel auch fallen mag.

Graf Friedrich-Alexis. Die Entscheidung wird diesmal kein Würfel sein, wenn du meiner Ansicht bist. Wir wollen auch dieses Mal kein Los ziehen. Sie selbst muß die Entscheidung herbeiführen.

Graf Friedrich-Günther. Wie willst du Julianens Entscheidung herbeiführen?

Graf Friedrich-Alexis. Durch rücksichtslosen moralischen Zwang.

Graf Friedrich-Günther. Ich fürchte, auch nur zur Teilnahme an einer solchen Vergewaltigung nicht fähig zu sein.

Graf Friedrich-Alexis. Man muß einen rettenden Schnitt erzwingen, wenn er anders nicht geführt werden kann, und Juliane allein kann ihn führen. – Und nun nimm dein Gewehr und komm mit hinunter.

 


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