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Die Galerie des markgräflichen Schlosses, wie in der zweiten Szene. Seit den letzten Geschehnissen sind etwa acht Monate vergangen. Draußen ist das oberitalienische Frühjahr. Die Baronin, der Schloßpropst und der Arzt, ein schon ergrauter Herr von edler Haltung, schreiten im leisen Gespräch auf und ab.
Der Arzt. Diese Ehe des Markgrafen von Saluzza ist ja landkundig, Ehrwürden. Ich habe eigentlich überall Wunderdinge davon gehört.
Der Schloßpropst. War es in einem guten oder schlimmen Betracht, Meister?
Der Arzt. Ich denke, man redete nur mit dem höchsten Lobe davon. Ich erinnere mich, daß man besonders hervorhob, dieses kernfrische Kind aus dem Volke habe aus seinem erlauchten Gebieter, dem man allerlei unregelmäßige Neigungen nachsagte, einen sanften und glücklichen Menschen gemacht.
Die Baronin. Diese Leute haben sich täuschen lassen.
Der Schloßpropst. Die Gräfin Griselda ist eine Heilige.
Die Baronin. Wir hatten es uns, wie nicht zu leugnen ist, nach dem, was vorausgegangen war, anfänglich ärger gedacht: mit Bänke und Tische kurz und klein schlagen, Teller und Schüsseln an den Kopf werfen und dergleichen mehr, und so wurde tatsächlich der Anschein erweckt, als wenn diese wunderliche Wahl bei dem sanftmütigen Einschlag der Dorfschönen zu einer Art Wunder gedeihen sollte. Die Wildheit des Markgrafen legte sich. Auf seine Derbheit folgte eine süßliche Zärtlichkeit. Aus seiner allgemein gefürchteten Vorliebe für eine tagelöhnermäßige Lebensform wurde eine stammbuchmäßige Empfindsamkeit. Es schien, diese Magd wußte wirklich den Stier zu reiten, oder sie leitete ihn an einem unsichtbaren Nasenring.
Der Arzt. Diese Heirat ist jedenfalls überaus volkstümlich. Sie hat den Herrn von Saluzza wohl zum populärsten Manne der Lombardei gemacht.
Die Baronin. Mag sein! – Immerhin ist es noch die Frage, ob ein solcher Grad der öffentlichen Beliebtheit nicht mehr zu beklagen als zu beneiden ist. Er figuriert ja in Gassenhauern.
Der Arzt. Es ist nicht gesagt, daß ein Volkslied immer ein Gassenhauer ist.
Der Schloßpropst. Ich weiß sehr wohl, welches Lied Ihr meint, und war auch bei dem hübschen Anlaß zugegen, der den Poeten dazu begeistert hat. – Es war bei der Hochzeit. Markgraf Ulrich schwelgte in einem mit der Sonne gradezu um die Wette strahlenden Humor und schwamm ganz offen in reinster Glückseligkeit. Plötzlich befahl er der neugebackenen Markgräfin, sie solle doch der Gesellschaft einmal einige Proben der einzig menschenwürdigen Künste zeigen, deren ein Mann oder Weib von schlechter Erziehung nicht mächtig sei, als da sind: Gras mit der Sichel abhauen, Erde mit einem Spaten umgraben und aufwerfen! – Ihr werdet die Gräfin sehen, Herr Medikus. Es gibt vielleicht in diesem Augenblick keine zweite so schöne Frau im ganzen Bereich der Eisernen Krone! – Damals trug sie ein schweres Brokatgewand. Sie hatte die Grafenkrone auf den Scheitel und Perlen in die gewaltige Mähne ihres herrlichen kornblonden Haares gelegt: dennoch besann sie sich nicht einen Augenblick. Sie schnitt das Gras, daß die Schwaden herumflogen. Sie nahm den Spaten aus eines Gärtners Hand und grub wie ein Knecht, daß die Schollen knirschten.
Die Baronin. Der Rausch ist verflogen! Der Reiz dieses leider so folgenschweren rustikalen Abenteuers, wie der so manches früheren, vollkommen abgestumpft.
Der Arzt. Weiß der Graf, daß ich hier bin?
Der Schloßpropst. Er hat bis zum gestrigen Tage, obgleich die Stunde der gnädigen Gräfin näher und näher rückt, weder damit gerechnet noch davon gewußt.
Der Arzt. So wäre wohl also das Schlimmste von allem, was in einem solchen Falle geschehen kann, eingetreten: die schöne Leidenschaft des regierenden Herrn hat sich abgekühlt.
Die Baronin. Wäre dem so, Herr Medikus! Aber ich fürchte, sie ist in ihr Gegenteil umgeschlagen.
Der Schloßpropst. Worin ich Euch widersprechen muß.
Die Baronin. Ihr werdet mir nicht bestreiten können, daß der Graf das beklagenswerte Weib während ihrer nahenden schweren Zeit von jedem Beistand, von jeder Hilfe mit Hartnäckigkeit zu trennen sucht. Dann werdet Ihr mir noch minder bestreiten, daß er dem etwa in Aussicht stehenden Thronerben ohne einen Funken natürlichen Vatergefühls entgegensieht. Ja, daß sogar Maßnahmen in die Wege geleitet sind, das Neugeborene, ohne Wissen der ahnungslosen Mutter, die bereits Strümpfchen häkelt und Hemdchen näht, beiseite zu schaffen.
Der Arzt. Beiseite zu schaffen? Wie meint Ihr das?
Der Schloßpropst. Wir wollen dabei zunächst nichts Schlimmeres denken, als daß es dem alten Grafen Eberhard und seiner betagten Gattin in Obhut gegeben wird. Aber es scheint in der Tat, als wenn ihm weder an einer zu erwartenden Tochter noch selbst einem Sohn das allergeringste gelegen wäre. Ja, jüngst in der Schloßkapelle, als ich nicht unterlassen konnte, das künftige Leben in mein Gebet einzuflechten, bemerkte ich, wie seine Miene auf einmal hart, bleich und finster ward.
Die Baronin. Sie hätte besser daran getan, mit Tischbeinen um sich zu schlagen und fortzufahren mit Wasser über den Kopf gießen und Schemel werfen! Es geht aber jetzt keinesfalls an, daß Graf Ulrich dies an sich harmlose Bauernweib, nachdem er ihren gesunden Willen gebrochen hat, seinen eigenen Wahnwitz büßen läßt. Die Baronin geht ab.
Der Arzt. Könnt Ihr mir sagen, inwieweit man die Worte dieser Dame für bare Münze zu nehmen hat?
Der Schloßpropst. Insoweit Ihr bei einem an sich nicht bösen Geschöpf mit einer alten Enttäuschung zu rechnen versteht.
Graf Ulrich tritt überraschend ein. Der Schloßpropst zieht sich zurück.
Graf Ulrich, prächtig gekleidet. Ihr seid ein Arzt: wer hat Euch berufen?
Der Arzt. Ich habe mir sagen lassen, daß es von Angehörigen Eures Hauses, seltsamerweise ohne Eure Einwilligung, geschah.
Graf Ulrich. So werde ich bald genötigt sein, denen, die sich herausnehmen, mir fortgesetzt unerbetene Dienste zu leisten, den Umstand zu Gemüte zu führen, daß ich allein, kein andrer als ich, noch immer der Herr in meinen vier Pfählen bin.
Der Arzt. Ich kann keine üble Absicht darin erkennen, Erlaucht, wenn man um Eure Gattin die allerunumgänglichste Sorge trägt.
Graf Ulrich. Das versteht Ihr nicht! – Ihr werdet also meinethalben ihren Kammerfrauen, wenn es so weit kommen sollte, Befehle erteilen. Ihr werdet anordnen, was zu tun ist.
Der Arzt. Die Kammerfrauen werden mir an die Hand gehen, jawohl.
Graf Ulrich. Ihr mißversteht mich. Ich ersuche Euch, achtzugeben. Ich bin nicht gewohnt, und besonders in diesem Hause nicht, daß man auch nur einen Wink von mir nicht versteht! – Ihr werdet Eure Verordnungen geben, und die Kammerfrauen werden das Zimmer der gnädigen Gräfin betreten.
Der Arzt. Ihr könnt nicht meinen, daß ich das Zimmer der gnädigen Gräfin Griselda nicht betreten sollte?
Graf Ulrich. Ebendas ist es, was ich gemeint habe. – Übrigens, »gnädigste Gräfin« genügt.
Der Arzt. Ich muß natürlich das Zimmer der gnädigen Gräfin betreten.
Graf Ulrich. Dann werde ich Euch durch meine Reitknechte hinauswerfen lassen!
Der Arzt wendet sich kurz, reckt ein wenig den Kopf und sieht ihn an. Ihr habt keine Ursache, mich zu beleidigen! Ich hätte mehr Ursache, beleidigt zu sein, wenn Ihr etwa meine Zeit zu mißbrauchen gedenkt, die ich um Euretwillen anderen leidenden und bedürftigen Menschen entziehen muß. Lebt wohl! Er wendet sich zum Gehen.
Graf Ulrich. Ihr werdet hierbleiben, denn wir brauchen Euch. Aber Ihr werdet keinen Fuß über die Schwelle des Zimmers meiner Gattin setzen.
Der Arzt steht, wendet sich, beobachtet ihn scharf. Man läßt die Tiere im Stall nicht ohne menschlichen Beistand, Erlaucht, wenn ihre Stunde über sie kommt. Ihr würdet vergebliche Mühe haben, mir als ein Edelmann einzureden, daß Ihr die erlauchte Frau, Eure Gattin Griselda, in gleicher Not der Hilfe zu berauben gedenkt.
Graf Ulrich. Ich sagte Euch schon, es genüge, wenn Ihr »gnädigste Gräfin« sagt. Ich möchte nicht, daß der Name Griselda, den ich selbst nur selten und wie den Namen Gottes in den Mund nehme, alle fünf Minuten von einem anderen Plebejer wie ein Allerweltsbissen Brot im Maule herumgewendet wird! – Genug! – Redet weiter! Ihr seid ein Wundarzt, seid Geburtshelfer: ich hoffe, daß man Eure Dienste nicht nötig hat.
Der Arzt. Ich hoffe es selber, Erlaucht. Auf dem Gesicht des Arztes liest man den überraschenden Eindruck einer soeben gemachten Beobachtung. Ich habe Männer gekannt, Erlaucht, die ihrer Umgebung ähnliche Rätsel aufgaben wie Ihr und die man also auch ähnlich verkannte. Sie waren mitunter ganz so in Wildheit vermummt wie Ihr, weil sie eine gradezu lächerliche Zartheit und Verletzlichkeit des inneren Sinns zu verbergen hatten. Verzeiht die Umschweife, denn ich hätte eigentlich nur zu sagen: jeder von ihnen war, wie Ihr – etwas, was heute selten ist! –, ein Mann! – – Jedenfalls hoffe ich, daß Ihr handfeste Leute im Hause habt, denn ich werde später, wenn die schwere Stunde Eurer Gattin gekommen ist, den Antrag stellen, daß man Euch in Euer eigenes Verlies in Ketten legt.
Graf Ulrich. Ihr betreibt eine freche Kunst!
Der Arzt. Nur eine, die unerschrocken und mächtig ist! Die Gewaltigsten dieser Erde lernen das Dulden und Schweigen vor ihr.
Graf Ulrich. Und die Weiber der Gewaltigen, der Herren und Könige, die, wenn sie bis an die Augen vermummt gehen, nicht einmal ungestraft der Blick eines Knechtes streifen darf, zieht ihr nackt bis aufs Hemde aus und betastet sie, als ob sie käufliche Dirnen wären.
Der Arzt. Wir betasten sie! Und wenn es not tut, zerschneiden wir sie mit scharfen Messern.
Graf Ulrich greift einen Stuhl und läßt sich in einer Anwandlung von Schwäche darauf nieder. Ich schwitze Angstschweiß! Ich bin diesen Brutalitäten des Lebens nicht gewachsen! – Was heißt das? Warum gebiert sie? Ich will keinen Sohn! Ich hasse das Kind im Mutterleibe! Sie ist mein! Ich habe die Katzen vergiften lassen, weil sie sie streichelte! Soll ich mir eine fremde Kröte gezeugt haben, die ihr das Blut aus den Brüsten saugt?
Der Arzt. In welchen Anschauungen, unter welchen Lehrern und Lehren seid Ihr wohl großgewachsen, Erlaucht?
Graf Ulrich. Meinethalben bei einem Eber, der seine Jungen frißt!
Der Arzt, nicht ohne freundliche Ironie. Ihr seid blaß bis unter die Fingernägel! – Wollt Ihr nicht einen Schluck Portwein trinken?
Graf Ulrich springt auf. Hole der Teufel euch allesamt. Er läuft davon.
Der Arzt blickt ihm nach. Der Schloßpropst kommt wieder.
Der Schloßpropst. Ihr seid allein?
Der Arzt. Ja. Er hat mich mit einem gellenden Kopf, aber mit einer ziemlich sanften Erkenntnis zurückgelassen.
Der Schloßpropst. Ich habe gebebt. Das Exorzisieren ist meine Sache nicht! Aber mir war es doch, als der Markgraf mit Worten sich gegen sich selbst versündigte und die Frucht seiner Ehe zu verwünschen begann, als sollte ich einen Teufelsbanner herbeirufen.
Der Arzt. Ich bitte Euch, führt mich zur Gräfin, Herr Propst! – Und übrigens werde ich, wenn Ihr erlaubt, eine kleine Untersuchung an Euren Augen . . . oder lieber noch an den Augen Eurer Baronin anstellen.