Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Höfchen des Bauern Helmbrecht. Vater Helmbrecht sitzt und dengelt die Sense. Mutter Helmbrecht läuft ab und zu. Sie tut leichtere Arbeit. Es ist ein Sommertag und frühzeitig.
Vater Helmbrecht. Nu, jeja, man wird alt. Er steht auf. Vor zehn Jahren war ich noch jünger, Mutter.
Mutter Helmbrecht. Je schwächer der Bettler, je stärker die Krücke.
Vater Helmbrecht. Betteln und arbeiten ist noch immer zweierlei, Mutter.
Beide arbeiten eine Weile schweigend.
Mutter Helmbrecht. Wie war das, Mann, als du gestern unsere Tochter gesprochen hast?
Vater Helmbrecht seufzt. Das war noch immer nich anders, Mutter, als ich dir das schon gestern abend und heute früh in der Kammer erzählt habe.
Mutter Helmbrecht. Ob das wahr is, was die Seebauern sagen, daß die Gräfin seit vielen Wochen allein im Schlosse ist?
Vater Helmbrecht. Ja, Mutter, was sie sagen, ist ebenso wahr, wie es wahr ist, daß wir nichts anderes als alte, hilflose und beraubte Leute sind.
Mutter Helmbrecht. Hast du der Kalbe die Tränke gegeben?
Vater Helmbrecht. Ich sag' dir, Mutter, ich möchte gehn und möchte, so alt ich bin und so ein geringer Mensch, als ich bin, Mutter – möcht' ich gehn und dem Tochtermanne die Wahrheit sagen!
Mutter Helmbrecht. Wenn das so leicht wär' in solchen Sachen, daß einer die Wahrheit richtig zu wissen kriegt. Wo hast du denn gestern die Tochter gesprochen, Mann?
Vater Helmbrecht. Na ja, wie ich sagte: ich saß also in der Zwiesel, obendrin im Olivenbaum, als machte ich so Oliven los . . .
Mutter Helmbrecht. Du warst also in den Schloßpark gegangen?
Vater Helmbrecht. Na ja! Ich dachte halt eben: soll das nun kommen, wie es will! Und da schlich ich mich in den Park hinein.
Mutter Helmbrecht. Und da hast du sie also gesehen, Vater?
Vater Helmbrecht. Wie ich die Axt und die Hacke sehe . . .
Mutter Helmbrecht. Warum hast du also nu nich gefragt, was aus dem Kinde geworden is – wenn du doch mit ihr, wie du und ich jetzt reden, gesprochen hast?
Vater Helmbrecht. Was wird denn sein? Sie haben den schlechten Bankertwurm ums Leben gebracht.
Mutter Helmbrecht. Da reden welche so, und welche reden auch wieder anders davon. Ich hätte, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, Mann, danach gefragt.
Vater Helmbrecht. Was einer weiß, danach braucht er nich fragen. Unser Mädel haben sie drei, vier Wochen lang bei Wasser und Brot in der Milchkammer eingesperrt. Und als sie so nich krepieren wollte, hat sie müssen nackt und bloß, wie der Herr mit seinen Saufkumpanen im großen Saale bankettiert und gebechert hat . . . und wie sie haben die neue Braut lassen hochleben, weil doch der Markgraf jetzt eine richtige Adelige nehmen wird! . . . da hat sie müssen unter Spottgelächter von einem zum andern gehn.
Mutter Helmbrecht. Hat dir die Tochter das selber gesagt?
Vater Helmbrecht. I, wie du dir das denkst, so war das nich. Ich saß bloß auf dem Olivenbaum, wo sie eben manchmal untertags vorübergeht. – Na ja, und da kam sie auch also gegangen . . . kam und setzte sich also und saß dir wohl eine halbe Stunde lang, wie ein Stück Holz, auf der Bank, die unter dem Baume steht. – Erschrecken wollt' ich sie nämlich nich, und da warf ich immer so sachte, eins, zwei, drei . . . warf ich dir immer wieder eins, zwei, drei grüne Oliven auf sie herunter. Da merkte sie auf, und da sagte ich: »Tochter Griselda, wann kommst du endlich nach Hause zurück?« – »Bald, Vater!« gab sie mir da zur Widerpart und lief dir auch schon ganz schnell davon.
Mutter Helmbrecht. Was wolltest du damit sagen, Alter?
Vater Helmbrecht. Ich weiß nich, wie es mir in die Zähne kam.
Mutter Helmbrecht. Was wollte sie damit sagen: »bald«?
Vater Helmbrecht. I, Mutter, das weiß ich ebensowenig: ich fragte, wann?, und sie sagte, bald!
Mutter Helmbrecht. Ja, Alter, das ist eine schwere Angst, die unsereiner so auf der Seele hat, und man kann sich dabei nicht rühren und regen.
Vater Helmbrecht. Soll doch lieber ein Lamm mit dem Wolfe zur Krippe gehn als eine ehrliche Bauernmagd zu Bette mit einem Edelmann! Na ja, und die Wirtschaft geht hinter sich! – Mutter, setz dich, du bist ja doch nich dazu imstande . . . laß mich das Heu in die Raufe tun.
Griselda, ganz so wie früher, als Magd, kommt in eifriger Tätigkeit aus dem Stall. Sie antwortet resolut und beiläufig auf Helmbrechts letzte Worte.
Griselda. Das ist schon geschehen, Vater.
Vater Helmbrecht traut seinen Augen nicht. Was ist das? – Mutter Helmbrecht schreit laut auf. Griselda, bist du's? Wo kommst du her?
Griselda. Aus dem Stalle. Ich habe die Ziege gemolken.
Mutter Helmbrecht. Vater – wer ist das? – Siehst du sie auch? Griselda, bist du gestorben im Schloß, und kommst du als Geist? –
Griselda, kurz, hart. Ja, ich bin gestorben im Schloß! – Und alles dort ist für mich gestorben! – Hier leb' ich! Alles dies hier lebt jetzt wieder für mich. Ich hätte es nie vertauschen sollen.
Vater Helmbrecht. Griselda, bist du es ganz leibhaftig?
Griselda. Wer wollte es sonst wohl sein, Vater? Höchstens sind meine Hände weicher geworden. Aber gebt mir nur tüchtig zum Zugreifen! – Wo ist die Milchkanne? Wo ist der blaugestrichene Kleientrog?
Mutter Helmbrecht. Griselda, du kannst hier nicht mehr mit angreifen!
Griselda. Wenn ihr mich nicht mehr brauchen könnt, dann müßte ich, wenn es nicht anders ist, Arbeit suchen gehen.
Mutter Helmbrecht. Wo kannst du denn hingehn, sag bloß, Griselda?
Griselda. Meinst du denn etwa, ich sollte mich umbringen? Die Welt ist weit, und arbeiten kann ich überall.
Mutter Helmbrecht. Wo hast du denn aber dein Kind gelassen?
Griselda. Ich hatte kein Kind! Ich wollte kein Kind! Ich kann Kinder haben, so viel ich will: nach Männern brauch' ich nicht lange zu suchen.
Mutter Helmbrecht. Griselda, hat dich der gnädige Herr aus dem Hause gejagt?
Griselda. Ja, Mutter, der Graf hat mich aus dem Hause gejagt.
Mutter Helmbrecht. Warum hat dich der gnädige Herr aus dem Hause gejagt?
Griselda. Weil ich's nicht besser verdient habe, Mutter.
Mutter Helmbrecht. Womit hast du es denn so schlecht verdient? Hast du am Ende deinen Mann durch dein widerspenstiges Wesen in Wut gebracht?
Griselda. Im Gegenteil: ich habe es deshalb so schlimm verdient, weil ich eine niederträchtige, lammsgeduldige Dirne gewesen bin. Weil ich geschwiegen statt geschrien habe! Weil ich nicht um mich geschlagen habe, weil ich nicht um mich gebissen habe! Weil ich nicht jedem von ihnen an die Gurgel gefahren bin!
Am Zaunpförtchen erscheint Graf Eberhard. Er tritt unschlüssig ein wenig näher. In einiger Entfernung steht die Baronin, scheinbar gleichgültig.
Griselda, heftig auf den Grafen los. Wer hat Euch erlaubt, hier einzutreten? Hinterm Zaune ist Platz genug.
Graf Eberhard. Griselda, bewillige mir ein Wort.
Griselda. Ich habe mit Euch nichts mehr zu reden.
Graf Eberhard. Gräfin Griselda, kehre mit uns ins Schloß zurück. Die Kutsche steht hinten am Haus, auf dem Feldwege.
Griselda. Soll ich Treppen scheuern im Schloß, gnädiger Herr?
Graf Eberhard. Wer sollte dir das wohl jemals zumuten?
Griselda. Soll ich jemals wieder ins Schloß kommen, so will ich auf zwei ehrlichen Füßen und mit zwei ehrlichen Händen ehrliche Arbeit tun.
Graf Eberhard. Beziehe deine Gemächer, Gräfin! Komm mit uns und fasse dich in Geduld.
Griselda. Sagt mir, Ihr wollt mich lebendig einmauern, so will ich mit tausend Freuden mit Euch gehn. Sonst niemals, niemals, des seid gewiß.
Graf Eberhard. Gräfin Griselda, ich frage nicht, ob du es wirklich bist. Du kannst nicht von Grund aus so vergessen haben, was du dem Stande schuldest, dem du doch eben nun angehörst.
Griselda. Hier meine zwei Füße: das ist mein Stand! Dem gehör' ich an. Das eben war es, das hatte ich vergessen! Ich hatte vergessen, daß ich fluchen, schreien, drohen, wettern, einen Stier bei den Hörnern packen kann. Ich hatte vergessen, was ich besitze, und lebte dafür in erlogener Schwäche von Gnadenbrot.
Graf Eberhard, zu Mutter Helmbrecht. Sagt Ihr Eurer Tochter zwei Worte, Mutter!
Mutter Helmbrecht, mit weinender Stimme. Was habt Ihr mit ihrem Kinde gemacht?
Die Baronin, über den Zaun. Es ist dem Kinde kein Härchen gekrümmt worden.
Mutter Helmbrecht. Ich kann ja nicht wissen, was zwischen unserer Tochter und dem Grafen geschehen ist. Es kann ja sein, daß sie unrecht hat, und wenn sie sich etwa vergangen hätte . . .
Graf Eberhard. Es kann nicht davon die Rede sein, daß sich die Gräfin vergangen hat. Sucht sie nur zu bewegen, Mutter . . . Vater Helmbrecht, Ihr müßt als erfahrener Mann doch vernünftig sein!
Griselda erhebt, da Graf Eberhard Miene macht, näherzukommen, einen Stein. Vater! Mutter! . . . Entweder . . . oder . . . diese Menschen sollen keinen Schritt in das Höfchen tun.
Vater Helmbrecht. He, Mädel, holla, hast du den Koller bekommen?
Die Baronin. Ich müßte mich eigentlich wundern, daß die Gräfin Griselda so schnell ihre Würde, ihren Stand und alles, was sie sich schuldig geworden ist, vergessen hat. Was wäre denn weiter Schlimmes geschehn? Ein Edelmann bleibt ein Edelmann. Man muß damit rechnen, daß er seinem angeborenen herrischen Willen nicht irgendeines Abenteuers wegen, mag es auch noch so ernsthaft in seinen Folgen sein, entsagen kann.
Griselda. Redet, ich habe Wachs in den Ohren.
Graf Eberhard. Ihr werdet also zurück ins Schloß unter keiner Bedingung mit uns gehen?
Griselda. Außer ihr ruft mich, die Treppen zu scheuern.
Graf Eberhard. Wie kommst du auf diesen Gedanken, Griselda?
Die Baronin. Kommt, bester Graf, Ihr werdet, fürcht' ich, Seide nicht weiter spinnen, grade in diesem Augenblick. Eigentlich freilich sollte man sich mehr als je erstaunen, daß zwei solche Naturen wie sie und der Graf, zwei so durch Tollheit verwandte Seelen, dermaßen auseinandergeraten sind. Man möchte sagen: Einigt euch! Ihr seid aufeinander angewiesen.
Graf Eberhard. Griselda, du wirst jetzt mit uns gehn.
Griselda. Bringt einen Befehl vom gnädigen Herrn, so werde ich kommen und Treppen waschen. Das ist meine Pflicht und entehrt mich nicht.
Graf Eberhard. Wer entehrt dich, Griselda?
Griselda. Euer Almosen!!
Graf Eberhard. Griselda, es kann dir nicht erspart bleiben. Entweder du entschließest dich jetzt, zu deinem eigenen Besten das Rechte zu tun und mit uns freiwillig ins Schloß zurückzugehen, oder . . .
Griselda. Oder?
Graf Eberhard tritt entschlossen auf sie zu. Oder ich bringe dich gegen deinen Willen und gegen jeden, der sich mir etwa entgegenstellt . . .
Mutter Helmbrecht, da der alte Helmbrecht ein Ortscheit ergriffen hat. Vater, Vater, du sollst dich nicht einmischen!
Vater Helmbrecht. Und so laßt sie in Frieden, Herr. Sie ist und war eine Bäuerin, und was sie gewesen ist, soll sie bleiben.
Graf Eberhard. Nochmals: oder ich bringe dich mit Gewalt zu den Deinen zurück.
Die Baronin. Griselda, du bist diesem Winkel entwachsen, komm mit!
Griselda. Gewalt? – Sie umfaßt den Grafen unerwartet, hebt ihn auf und setzt ihn vor der Gartentür ab, die sie hinter ihm zuschließt. – Wild, halb triumphierend, halb weinend. So! Jetzt redet mir wieder von Gewalt, und dann will ich ernsthaft darüber nachdenken.