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Im Tal des Opfertempels. Das Innere eines aus Fellen bestehenden großen Zeltes. Von drei durch Teppiche und andere Gewebe abgeteilten quadratischen Räumen der mittlere. Die beiden andern sind rechts und links davon gedacht, je eine verhängte Tür führt dorthin. Die Gewebe und Vorhänge, durch die der Mittelraum gebildet wird, sind alte, prunkhafte indianische Stücke mit bunten Federn und viel Gold. Eine große Sonne von Gold und ein silberner Mond, ebenfalls alter Herkunft. Überall sind bizarre, altertümliche Bildnereien eingewirkt. Alles ist prächtig und königlich. Auf einem mit Brokaten bedeckten Tisch Bücher und Geräte.
Die Hinterwand des Raumes besteht ganz aus schweren Vorhängen, die, beiseitegeschoben, den Blick in eine erhabene Gebirgswelt eröffnen. Alle Gipfel überragt ein mit ewigem Schnee bedeckter Vulkan. Einzelne Gewitter ziehen, leise murrend, langsam zwischen den Höhen umher. Leichte Zuckungen und Erschütterungen des felsigen Erdreichs sind zu bemerken.
Prospero, in der Gewandung eines indianischen Priesterkönigs, sitzt am Tisch, in Betrachtung versunken.
Prospero.
Furchtbare Schöpfung, Ewigschaffendes,
das an das ewige Vergehen sich
ewig verschwendet! – Fürchterliche Schöpfung,
du ringend ewig-unvollendete,
die in ein Sieb schöpft! – Fürchterliche Schöpfung,
die eine Kreatur wie mich erschafft,
sie zu verworrnen Bildern eines Halbschlafs
erweckt und ihr den Blick in eine Welt
des unerwecklich tiefen Schlafes freigibt.
Oder ist dieser Erdfels etwa wach?
Etwa weil ich Bewegung Leben nenne
und sich das Meer, der Berg, der Lavastrom,
der Blitz, die Flamme, das Gewölk bewegt?
Wir nennen's Leben, was wir sehen: doch
mit tiefrem Rechte nenn' ich's Schlaf, ja Tod.
Furchtbare Schöpfung, die uns mit Magie
säugt, daß wir Träume haben müssen, die
sie um die fremden Glieder hüllt wie Schleier,
um unser Sein unrettbar zu verwirren.
Wo wäre etwas, das uns nicht verwirrt?
Mutter, warum versteckst du dich und bist
doch magisch lastend sichtbar überall,
so heiß und kalt, so grausam und so liebreich,
so ewig und so flüchtig, so unendlich
und doch so kerkerhaft beengt, ein Bild
der Hoffnungslosigkeit und doch zugleich
der höchsten Hoffnung. Warum mischest du
den Duft der Äser und den Hauch der Blüten
und machst aus diesem jenen über Nacht?
Zeig mir die Götterfrucht, die nicht zu Kot wird!
Furchtbare Schöpfung: warum machst du Mensch
und Tier zu Mördern? Schenkst das Leben dem
Todbringer? Den aus Gott Gebornen machst
zum Todgebärer du! Furchtbare Schöpfung,
die Leiden brütet aus dem Ei des Glücks
und aus dem Ei des Leides flücht'ge Freude . . .
kurz, die Magie gebiert und ewiges Blendwerk.
Sie zeigt das Kleinste uns und macht's zum Größten,
breitet Vergangenheit und Zukunft aus
wie unermeßlich weite Ländereien
vor uns und hinter uns: und alles das
ist Blendwerk eines einzigen Augenblicks,
unfaßbar klein, unfaßbar flüchtig und –
doch auch dasselbe wie die Ewigkeit.
Er neigt sein Haupt und entschlummert. Tehura kommt von links, behorcht den Schlafenden, nimmt einen Wedel und fächelt ihn leise. Von draußen herein tritt Oro.
Tehura.
Der König schläft.
Oro. Sei es ein heiliger Schlaf,
in dem der Himmel seine Zweifel löse!
Tehura.
's ist kein natürlicher Schlaf, mein Vater. Er
befällt ihn bleiern, wie ein zweiter Tod.
Sprich laut. Nicht können Worte ihn erwecken.
Oro.
Tochter, sprich du! Denn warum bin ich hier?
Du weißt es, welche Sorge mich nicht losläßt.
Tehura.
Das Volk muß sich gedulden, Vater, bis
Erleuchtung fällt vom Himmel auf den Sohn
und niederglänzt vom Sohn auf alle Häupter.
Oro.
Blick dort hinab! Das Tal des Todes wimmelt
von bunten Menschen zwischen bunten Zelten,
und immer wieder richten aller Blicke
sich hierherauf und nach der Felsenplatte,
wo sich des Priesterkönigs heiliges
Gezelt erhebt. Der Menge Ungeduld
wächst, und so mehrt sich auch die Zahl des Volks.
Sie hat sich fast verdoppelt seit dem Auszug.
Tehura.
Nun, und was weiter, Vater?
Oro. Es ist heut
der dritte Tag, der letzte Tag des Opfers,
und noch liegt alles um den Tempelsee
in regungsloser Stille da: es hat
das hohe Fest nicht einmal nur begonnen.
Tehura.
Laßt sie Ball spielen oder das Patolli.
Die Maskentänzer mögen hüpfen und
Tanzrasseln schwingen! Und die Possenreißer,
wo sind sie, die das Lager sonst belustigen?
Oro.
Du irrst. Der Sinn des Volkes ist bedrückt:
er steht nicht mehr nach Possen und nach Spielen.
Tehura.
Schlachtet denn Schafe, stellt Gelage an,
teilt Wein aus . . .
Oro. Ehmals warst du klug, Tehura,
getragen ward dein Wort vom Hauch Opús.
Oft hast du deines Vaters Tun bestimmt,
weil er verstand und sich verstehend beugte.
So kam es, daß geschah, was nun geschehn ist:
zum König weihte ich den Tonatiuh
und gab dich, da du ohne Bruder bist,
ihm hin, damit er dich als Weib erkenne
und du dem künft'gen König seines Bluts
und meines Bluts das Leben gäbest. Doch
er hält dich keusch, berührt dich nicht, und mir
wird deine Rede fremder stets und dunkler.
Tehura.
Das mag wohl sein, mein Vater.
Oro. Wohl verlangt
die Menge unten Fleisch: doch Fleisch der Gottheit!
Auch Trank: doch einen Trank, der mehr als Wein ist.
Blut! Gottesblut! Und Blutbrot der Versöhnung!
Das ist die Speise, die das Volk verlangt,
und was geschieht, wenn man sie ihm verweigert?
Tehura.
Bist du im Glauben schwach geworden?
Oro. Nein.
Doch warum tritt der Magus nicht hervor
endlich und gibt das Zeichen zum Beginn
der ernsten, der ersehnten heiligen Handlung?
Warum geschieht nichts? Worauf wartet ihr?
Tehura.
Worauf wir warten, Vater? Auf das Wunder.
Oro.
Wahrlich, fast muß ein Wunder kommen, wenn
der düstre Himmel sich entwölken soll,
der murrend schicksalschwere Rätsel sammelt.
Denn wo ist Yakka, wo die Himmelstochter,
die er, dem Meer entsteigend, auf dem Arm trug?
Sie meidet ihn. In trotziger Ferne weilend,
ist sie auch hierher ihm nicht nachgefolgt.
Und Amaru, der tolle Amaru,
der ehemals sein Schatten war, wo ist er?
Der von des Magus Blick zu leben schien
und die Befehle nahm von seinen Wimpern!
Er hat dem Dämon Nama sich verschworen
und viele unsrer besten Krieger mit ihm.
Und das ist's, was den Geist der Menge aufregt. –
Durch ihr Getöse schleichen sich Gerüchte,
als habe racheschnaubend Amaru
die Niederung der Flüsse überfallen,
die Dörfer eingeäschert und verwüstet,
seit wir den Zug antraten hierherauf.
Tehura.
Ist dies die Spur der Füße Amarus,
weh ihm dann in der Stunde, wann der Schoß
der Schicksalswolke mit Gewalt sich auftut.
Prospero (erwachend, seherisch).
Oro, nun ist es klar: ich sah das Opfer!
Nie traf dein Messer, Oro, solch ein Opfer.
Schon ist es nah. Harrt, harret auf das Opfer!
Pyrrha stürzt atemlos herein und Prospero zu Füßen, zerrissenen Gewandes, das Haar aufgelöst.
Pyrrha.
Vater, ich bin verfolgt! An meinen Fersen
sind Jäger, die mich jagen als ein Wild.
Ich ward umstellt, doch bin ich durchgebrochen.
Man hetzte mich. Die Stimme Amarus
erkannt' ich, wie sie gellend durch die Felsschlucht
zu wildrem Rennen die Verfolger antrieb.
Doch ich war schneller, ließ sie bald zurück.
Nur einen nicht . . .
Prospero. Ich kenn' ihn!
Pyrrha. Einer war
und blieb an meine Ferse angeheftet.
Das Blut erstarrte mir, wenn ich mich umsah.
Prospero.
So sieh dich nur nicht um: er ist noch da.
Pyrrha.
Wo? (Sie blickt schnell herum.)
Prospero. Siehst du ihn? Nicht? Laß ihn dir beschreiben.
Pyrrha.
Ich sehe niemand, Vater.
Prospero. Das heißt blind sein.
Er hat mit dir zugleich das Zelt erreicht
und steht, blutrauchend, rot und heiß, am Eingang.
Pyrrha.
Will er mich töten?
Prospero. Nein, nicht dich, nur mich.
Pyrrha.
Doch er war waffenlos, der mich verfolgte.
Prospero.
Entscheide du, Tehura, sieh dort hin,
und Oro, du! Sprecht, ob er nicht bewehrt ist?
Am Ende seht auch ihr nur leere Luft.
Glühn seine Augen nicht in Mordlust wie
Karfunkel?
Oro. Herr, ein Traum beängstigt dich.
Prospero.
Wie machtvoll ist ein Traum, der so beängstigt.
Ja, nenn es Traum, doch dann ist dieser Traum
des Grauns, des Grames tausendfaches Echo,
ein Traum, der tausendfach ein und dieselbe
Schandtat erneuert, ja, der tausendmal
mit gleichem Meuchlerstoß dem gleichen Opfer
den Fang gibt. Wahrlich, dann ist es ein Traum,
weit fürchterlicher selbst als jene Tat,
die sein verfluchter Ursprung war. – Genug jetzt.
Du fandest also, wie ein Wild verfolgt,
Pyrrha, den Weg zurück zu deinem Vater.
So lange, Pyrrha, miedest du den Vater,
bis sie dich zu ihm hetzten wie ein Wild.
Erzähle Näheres von dem Erlebnis.
Pyrrha.
Nicht edel ist es, Vater, daß du mich
mit bittrem Hohne kränkst im Augenblick,
wo ich, schutzflehend, dir zu Füßen liege;
es ist nicht meine Schuld, wenn ich dir fern bin,
Schuld derer ist's, die mich bei dir verdrängte.
Prospero (da Tehura sich entfernen will).
Bleib!
Tehura. Ich verdränge niemand, o Erlauchter!
Prospero.
Nein, wahrlich nicht. Ich kenne dich. Wer hätte
die Stirn auch, dich des anzuklagen? Du
bist mild und gütig wie die stille Mondnacht,
und du dort, lerne von ihr, was sie ist. –
Nun geh und ruhe, denn du mußt erschöpft sein,
und laß uns die Gespenster unsres Bluts,
mein Erbteil so wie deines, von uns scheuchen.
Peteto, ein junger Krieger, stürzt mit letzter Kraft herein.
Peteto.
König: Brand! Mordbrand! Unsre Dörfer überfiel
der blutige Empörer Amaru,
verheerend, einer Wetterwolke gleich,
brach er mit seinen Scharen ins Gefild.
Sie rufen Nama! Nama! Und er ist's,
der fürchterliche Nama, der sie anführt.
In die Gestalt des Tonatiuh hat sich
der zaubermächtige Dämon eingehüllt:
Sein weißes Haupt umlodern rote Flammen,
und Blitz auf Blitz zuckt tödlich seine Hand.
Er ist bemalt mit Blut. Er brüllt. Er schont
das Ungeborne nicht im Mutterleibe
noch auch, was einer Mutter Schoß gebar.
Prospero.
Schweig, atme, schöpfe Luft und rede langsam.
Peteto.
O König, Waffen, Waffen! Zu den Waffen!
Heiß mich nicht schweigen, König, laß mich Schreie
ausstoßen, die zum Kampfe rufen, denn
blutlechzend sind die Wölfe hinter mir.
Sie brechen wohl, indes ich mühsam hier
mit letzter Lunge Worte mir entquäle,
ins Lager schon, voran der Dämon: um
uns alle von der Erde zu vertilgen.
Prospero.
Spürst du das, Pyrrha? Pyrrha nannt' ich dich,
weil ich aus einer Flut, die alles mir
verschlang, ein anderer Deukalion,
nur dich in meiner Lade rettete.
Spürst du, wie eine zweite Flut jetzt steigt
und zu den Gipfeln rätselvoll heranschwillt,
den schwer erklommnen Gipfeln meines Daseins?
Gib acht, sie dehnt sich bald darüber hin,
denn wider diese Flut hilft keine Arche.
Ins Zelt dringt jetzt nach vorangegangenem Getöse eines Kriegshaufens Ormann, erhitzt, von Staub, Blut und Kampfraserei entstellt. Amaru und seine Krieger folgen.
Ormann (zu Prospero).
Dich such' ich, dich!
Prospero. Wenn du mich suchst: hier bin ich.
Ormann.
Dich such' ich, dich.
Prospero. Und ich bin hier, du siehst!
Ormann blickt in wortloser Bestürzung starr in die Augen Prosperos.
Du willst mein Königtum, den Bettel: nimm es!
Er reißt sich den Kronenreif vom Kopf und schleudert ihn zu Ormanns Füßen. Ormann sinkt wie unter einem Keulenschlage zu Boden. Bestürzung und Grauen bemächtigt sich aller. Dann bricht eine Panik aus, und in wildem Durcheinander fliehen die eingeborenen Krieger schreiend und ihre Waffen von sich werfend. Nur Amaru, obgleich mit Grauen und Furcht ringend, flieht nicht.
Oro.
Wer ist nun stärker, Schlange Amaru,
der Gottgesandte oder du und Nama?
Da liegt dein Satan Nama. Auf und hilf ihm!
Amaru.
Mein Leben ist verwirkt: legt mich in Fesseln.
Peteto und zugelaufene Krieger Prosperos tun es. Amaru wird schnell abgeführt. Prospero scheint in dem Augenblick, als er den Kronreif wirft, erstarrt zu sein. Eine Zeitlang wagt niemand, ihn durch eine Anrede zu stören.
Oro (bricht das Schweigen).
Herr, schrecklich hast du deine Macht gezeigt,
befiehl, Erhabener, was nun geschehn soll.
Prospero.
Oro, was tat ich?
Oro. Taten deiner Gottheit.
Prospero.
Tehura, hilf mir: was geschah mit mir?
Warum ist alles schwarz um mich, warum
bedeckt den ganzen Leib mir Schweiß des Todes?
Oro.
Die Macht, die aus ihm schlug, ist zu gewaltig
fast für die Seele selbst, die sie beherbergt.
Prospero wird auf der einen Seite von Tehura, auf der andern von Oro gestützt. So geleiten sie ihn in den Nebenraum. Zurück bleiben, außer dem bewußtlosen Ormann, Pyrrha und Peteto.
Pyrrha (unverwandten Auges auf Ormann blickend).
Peteto!
Peteto. Yakka!
Pyrrha. Meinst du, daß er tot ist?
Peteto.
Ein Blitz schlug aus der Brust des Tonatiuh
und traf ihn, Yakka!
Pyrrha. Aber dieser hier,
sofern ich etwa nicht im Schlafe liege
und eines schweren Traumes Gaukelei
mich narrt, ist auch ein Tonatiuh.
Peteto. So scheint es.
Pyrrha.
Geh, lege deine Hand auf seine Brust
und fühle nach dem Herzen ihm.
Peteto. Berührung
des Dämons Nama bringt den sichren Tod.
Pyrrha.
Ich sage dir, es ist ein Tonatiuh,
so reinen Bluts als ich und als mein Vater.
Peteto.
Ein tückischer Zauberer ist der Teufel Nama,
und wie es ihm beliebt, nimmt er Gestalt an,
und wer ihn ansieht, dessen Sinn verwirrt er.
Pyrrha.
Könnt' ich nur meine Blicke von ihm ziehn,
er hält sie magisch fest: und du hast recht,
mein ganzes Wesen überkommt Verwirrung.
Peteto.
Komm ihm nicht nah! Er stellt sich tot. Er lebt.
Pyrrha.
Er ist nicht tot. Ich weiß, er kann nicht tot sein.
Hol Wasser, daß wir seine Stirne netzen
und seine trocknen Lippen ihm befeuchten!
Peteto.
Im Krug zu schöpfen geh' ich, dir, nicht ihm.
Er geht.
Pyrrha.
Was tu' ich nun, was lass' ich? Und an wen
soll ich in meines Herzens Not mich wenden?
Er lebt. Er ist ein Mensch von Fleisch und Blut,
auf wirrer Lebensbahn hierher verschlagen,
schiffbrüchig und verfolgt, wie ehmals wir.
Allein, er hat gefrevelt, hat gemordet,
mich wie ein Tier gehetzt und meinen Vater
entthronen und vertreiben wollen. Er
kam hilfsbedürftig flehend nicht zu uns,
sein Schritt war Raub und blutige Gewalttat.
Warum verlösch' ich fast bei dem Gedanken,
dies Raubtier könnte tot sein oder werde
sein Haupt als Sühne lassen unterm Beil?
Und was war an der wunderlichen Tat
des Vaters mir nicht wunderlich, als er
den Kronreif jenem fremden Räuber hinwarf?
Und hätte dieser ihn ergriffen, ihn
in seines goldnen Haares Flut gepreßt,
bei Gott, ich hätte aufgeschrien vor Jubel.
Doch so, als meines Vaters Zauber ihn,
den furchtbar Strahlenden, so kläglich fällte,
warum schwoll mir die Ader an der Stirn?
Es fehlte wenig, und ich trat vor ihn,
der da lag, um dem Vater Haß und Zorn
mit wilden Worten ins Gesicht zu schleudern.
Tehura ist eingetreten und Pyrrha gegenüber abwartend stehengeblieben.
Tehura.
Ist dies der gleiche Mann, der auf der Insel
sich dir zuerst von allen offenbarte,
als du den Riesengeier tötetest?
Pyrrha.
Er ist's. Und bei Opú, ich werde nie
zulassen, daß ihm irgendwer ein Leid
antue, seine Gottheit fernerhin
noch im geringsten kränke. Duld' ich es,
seid des gewiß, so bin ich selbst ein Leichnam.
Tehura.
Ist dieser Mann ein Mensch von Fleisch und Blut?
Pyrrha.
Was sonst?
Tehura. Ein Blendwerk, das der Rachedämon Nama
vielleicht zu deines Vaters Sturz ersann.
Pyrrha.
Nun wohl, dann ist das Leben selbst ein Blendwerk.
Tehura.
Oder wenn Götter sich befehden können
und wenn der Weinende im Ball der Sonne
zwieträchtige Söhne hätte, wäre dieser
vielleicht ein Brudergott, dem Bruder todfeind?
Pyrrha.
Der Jugendstrahlende des Greises Bruder?
Er, der kaum eben mit Titanenfaust
die Pforte, die golderzne, schwere, einschlug,
die von des Daseins Schatzgewölbe ausschließt,
der Bruder überlebten Alters, das
schwer seufzend an der Grabestüre anpocht?
Tehura.
Auch, meinst du, sei es kein Geschöpf des Magus
und eins mit ihm auf unsichtbare Art,
wie etwa wider uns Gestalten wüten,
die sich zur Qual die eigne Seele schuf?
Pyrrha.
Dies ist ein Mensch und kein Gespenst! Dies ist
Fleisch meines Fleisches, Blut von meinem Blut.
Tehura.
Auch du bist ein Geschöpf des großen Magus.
Pyrrha.
Wieso das?
Tehura. Da er ja dein Vater ist.
Pyrrha.
Doch dieser nicht mein Bruder noch mein Vater.
Tehura.
Was dann?
Pyrrha. Ich weiß nicht.
Tehura. Dann ist er dir mehr. –
Yakka, du liebst mich nicht: wohl, Göttliche!
Von den Verbannten dieser Insel bist
du wohl am fernsten deinem wahren Reich.
Wie eine Strafe trägst du deine Schönheit.
Hier ist ein zweiter deiner hohen Art,
doch unter welchem fürchterlichen Sterne
spült' ihn der Ozean an unser Eiland?
Du zwiefach nun Verlaßne, wenn er tot ist!
Du zwiefach nun Verschollne, wenn er lebt!
Pyrrha.
Was drohst du, was verhöhnst du mich?
Tehura. O Yakka,
laß uns nachsinnen, ob wir etwa nicht
der schwersten Stunde zu begegnen wissen,
dem sterngebornen mächtigen Zauber, der
zwei Worte, die bestimmt sind, sich zu meiden,
in eins verschweißt: gefunden und verloren. –
Du nanntest zwar den König einen Greisen,
der kraftlos an die Tür des Grabes pocht,
allein, du sahst, selbst als er seine Macht
von sich zu werfen schien, blieb sie doch bei ihm,
und noch ist der gelähmt, dem er sie zuwarf. –
Nie sah ich ihn wie heut, als er den Strahl
hinschleuderte. Allein, der erste Blitz
verkündet nur das Wetter, das heraufsteigt.
Er knirscht, er schäumt, er windet sich vor Blutdurst.
Pyrrha.
Nun wohl, so werden Götter sich bekämpfen.
Tehura.
Nicht so. Nichts ist hier von Gewalt zu hoffen,
manches von Sanftmut, ja, und mehr von Liebe.
Geh, dieses Frevlers Urteil ist gefällt,
sie kommen, es ihm zu verkündigen.
Sieht dich dein Vater hier und kannst du nicht
ganz deinen Trotz und deine Worte meistern,
so wirst du um so sicherer verderben,
den zu erretten dich dein Schicksal antreibt.
Pyrrha bricht in verzweifeltes Schluchzen aus, schlägt die Hände vors Gesicht und stürzt davon. – Tehura tritt an den noch immer ohnmächtigen Ormann heran und betrachtet ihn forschend. Plötzlich drückt sie beide Hände aufs Herz
Du bist es! Bist du's wirklich? Ja und ja!
Wo könntest du, o junger Löwe, sonst
entsprungen sein als aus des Löwen Lenden?
O stolze Mutter, die in ihrem Schoß
dich tragen durfte, dich zur Welt gebar,
dir ihre Brüste schenken durfte! O
glückselige' Mutter! – Wie er daliegt! Nicht,
als habe fremder Zauber ihn gefällt,
sondern des eignen Bluts unbändige Welle.
So sinkt der Kraterberg in eigne Glut
oder quillt Ströme aus geschmolznen Erzen, wie
ein Brunnen, in die eignen Paradiese.
So wird der rasende Gigant betäubt
von seines Rasens gottentstammter Wut.
Ormann (öffnet die Augen, erblickt Tehura, richtet sich halb empor).
Astorre, Dello! Seid ihr da? Wo seid ihr?
He! Welche Last liegt auf mir, welcher Traum?
Astorre! Ah, er ist nicht mehr, er ist
gestorben. Ormann, fasse dich, komm zu dir!
'nen Faden durch dies Wirrsal! Langsam! Nur
nicht übereilt! Astorre starb. Wie starb er?
Halt fest, mein Hirn, zerbrich nicht! Ja, er starb!
Und was geschah dann? Zauberei! Wer ist's,
der starb: Astorre oder Ormann?
Dann trat ich in die Ringe der Verdammnis.
Prasselnde Brände. Mordbrand. Flammen, die
das frisch verspritzte Blut auftrocknen. Es
zischend auftrocknen. Nama! Was ist das?
Der Fürst des Abgrunds. Wo ist Amaru?
Verdammte Wechselbälge meines Geists. –
Helft! Hilfe! Helft mir! Muß ich denn so enden?
Tehura.
Trink diesen Wein. Komm zu dir. Fremdling. Trink.
Ormann (schlägt ihr den Trinkbecher aus der Hand).
Die Pest? Häßlicher Satan, heb dich von mir,
was stehst du in den Kellern meines Geists,
stehst unausrottbar, glotzest unverwandt
und häufst mir Wut und Grauen auf die Seele?
Wo ist die andre?
Tehura. Welch andre, Fremdling?
Ormann (heftig).
Die andre! Hörst du nicht? Wer sonst, die andre!
Tehura.
Ich weiß nicht, wen du meinst.
Ormann. Hündin, die andre!
Die andre! Mißgeburt der Hölle, oh!
Tehura.
Komm zu dir, deine Worte sind nicht gut,
allein, du sprichst im Fieber, und du bist
dem heiligen Gestirne nah verwandt,
dem Höchsten nah verwandt, den wir verehren,
und sieh, wenn du mich wissen lassest, wen
du lieber hier an meiner Statt gesehn . . .
Ormann.
Glaubst du, daß ich um deinetwillen wohl
mit Nama mich verschwor, mit Amaru
Blutstropfen mischte, brannte, mordete
und sinnlos um mich raste wie ein Bluthund?
Tehura.
Das tatest du?
Ormann. Das tat ich freilich: ja!
Tehura.
War sie ein Weib wie ich, um die du's tatest?
Ormann.
Sie war kein Weib, wenn du ein Weib bist, nein!
Dann war sie eine Gottheit, eine Göttin.
Tehura.
Wo sahst du sie zum erstenmal?
Ormann. Im Tale
des Todes.
Tehura. Wo wir alle uns begegnen.
Ormann.
Was sagst du?
Tehura. Nichts. Die Göttin hast du dann
wie eine Hirschkuh – oder nicht? – gejagt.
Ormann.
Es könnte sein. Wie weißt du das?
Tehura. Ich weiß es.
Ormann.
Weißt du noch mehr? Wie? Was?
Tehura. Es könnte sein.
Ormann.
Mir dämmert etwas. Laß mich sinnen.
Tehura. Tu das.
Ormann.
Stand hier ein Mann mit weißer Haut?
Tehura. Er stand hier,
mit weißer Haut, doch weißer ist sein Haupthaar.
Das Glück, der Gram, die Weisheit hat's gebleicht.
Wer es berührt, dem steigt ein Feuerquell
brennend empor aus weher Brust ins Auge.
Ormann.
Was heißt das? Und dies war er, der Betrüger?
Tehura.
Betrüger nennt ihn einzig Amaru,
weil Amaru sich einst in mir betrog.
Ormann.
Weh, weh, in welche Wirrnis fiel mein Geist!
Nun bin ich wahrhaft erst verschlagen, nun erst.
Am Weltrand steh' ich schwindelnd, an den Ufern
des Wahnsinns. Oder bin ich eingesargt,
und meine Gruft ist um mich, und bist du,
basaltne Jungfrau, mein basaltnes Denkmal,
das düster schweigend von mir predigt? Dann
sprich lieber doch zu mir, mein Denkmal! Sprich,
wenn du auch Stein bist. Bin ich doch ein Leichnam.
Und warum soll ein Stein nicht sprechen, wenn
ein Leichnam spricht und beide einsam sind
und beide aufeinander angewiesen
für Zeit und Ewigkeiten? Gnade! Oh!
Tehura.
Du lebst. Du liegst in keiner andren Gruft
als der, darin wir alle atmen. Du
bist überreizt vom Kampf. In diesem Kampf
bliebst du nicht Sieger. Dich hat Amaru
getäuscht, verführt, belogen. Amaru
liegt steif gefesselt, reglos, wie ein Tier
im unterirdischen Verlies des Tempels.
Auch du bist ein Gefangner, und man sprach
bereits dein Urteil. Du bist schuldig! Und
anstatt die alte schwere Schuld zu sühnen,
häuftest du neue Schuld auf alte Schuld.
Ormann.
Was da von alter Schuld, von neuer Schuld,
auf dieser Insel hab' ich keinen Richter.
Tehura.
Du hast ihn, hast ihn selber dir gesucht
durch Sturm und Woge aller sieben Meere
und bist nun ganz in seiner heiligen Hand.
Ormann.
Ich bin ein weißer Mann, ein Halbgott, bin
ein Herr, ein Sonnensohn, ein Tonatiuh
und hebe diese Krone auf, die mir
der Zauberer, der Medizinmann, hinwarf.
Laß sehn, wer nun des andren Richter ist.
Er hat den Kronreif entdeckt, den Prospero ihm vor die Füße geworfen hat und der noch daliegt, nimmt ihn auf und drückt ihn in sein Haar.
Tehura (mit gerungenen Händen).
O Strahlender, du bist ein Tonatiuh,
doch hast, ein Gott, an Göttern dich versündigt.
Dein Urteil ist gesprochen: nimm es hin.
Ormann.
Meinst du, man richte Götter mit dem Strange?
Tehura.
Nimm hin dein Urteil, Herrlicher. Es ist
ein Spruch der Gottheit, keines Menschen Spruch,
er macht zur Gottheit den, dem er gefällt ist;
nichts von unwürdigem Tod, nichts von Entehrung.
Zum Glanz, zur Allmacht führt er dich empor,
nur freilich auch zum Opferblock, zum Tode.
Ormann.
Ich will nicht sterben!
Tehura. Sei geduldig, sei
demütig, sei ergeben in dein Schicksal:
nur so vielleicht mag es ein Wunder wenden.
Ormann.
Nichts da von Demut, niemals! Was ist das?
Es erdröhnen dumpfe Pauken zu eintöniger Flötenmusik. So erscheint ein Zug indianischer Kinder, Jünglinge und Männer, alle mit Blumen geschmückt und bekränzt.
Die Kinder eröffnen den Zug. Es folgen dann Huemac und Matzatzin, Weihrauchgefäße schwingend, alsdann Oro im vollen Schmuck des Hohenpriesters. Hinter ihm drein schreiten ehrwürdige Gestalten, alte, ebenfalls geschmückte Tempelpriester. Diesen nach eine andächtige indianische Menge. In abgezirkeltem Zeremoniell umwandeln sie die Lichtgestalt Ormanns, der den Vorgang mit funkelnden Augen, aber nicht ohne Befremdung betrachtet. Allmählich ordnen sie sich vor ihm in einen Halbkreis. Huemac und Matzatzin knien nieder, die anderen folgen ihrem Beispiel.
Oro.
Herabgestiegen aus dem Sonnenball,
Sohn Gottes, selber Gott, sei uns gegrüßt!
Wir haben voller Inbrunst dein gewartet,
Glückseligster! Lichtstrahlender! Du bist
nun bei uns. Sieh, in Klarheit tauchen sich
auf deinen Wink nun alle Gipfel rings.
Es schweigen alle ruhelosen Zeichen
in Luft und Erde, die uns dich verkündet.
O du, sieh gnadenreich auf uns herab,
Furchtbarer! Fuhrest du vom Himmel nicht
wie fressend Feuer? Loderten um dich
nicht goldne Flammen, Schlangen gleich? Indes
wie soll ein Gottesleib aus Himmelsglut
wohl anders durch das Land des Fluches schreiten?
Und doch bist du ganz Liebe, ganz Beglückung.
Wir sind voll Schuld. Mit uns das ganze Volk.
Mit tiefer Bangigkeit erflehten wir
die ungeheure Stunde der Entsühnung.
Und als sie zögerte, das Wunder sich,
der Stern des Bundes sich nicht senken wollte,
das Unbegreifliche der Gottesliebe
sich zu versagen schien, – da klang
auf einmal durch die Welt dein heiliges Nahen.
Diesmal nicht schweigend und geheimnisvoll,
auch nicht im niederen Gewand der Demut
erschienest du dem Volke der Verstoßung:
nein, im Gewand des Schreckens tratest du
diesmal vor unsern Priesterkönig hin,
allmächtig seine Krone von ihm fordernd.
Öffnet die Teppiche! Tut auf das Haus,
damit im Tal des Todes nicht das Volk
im Elend bangen Wartens länger schmachte.
Zeigt ihm die Gottheit, die sich selbst gekrönt
und ausersehn zum Opfer der Versöhnung.
Teppiche werden auseinandergezogen. Man erblickt die gewaltige Berglandschaft, überragt von dem rauchenden Schneeberge. Man hört ausbrechenden Jubel einer Volksmenge. Oro ist vor das Zelt hinausgetreten und spricht zum Volk
Nun jubiliert! Er ist erschienen! Er,
der strahlende, der grundbarmherzige Gott!
Aufs Angesicht! In Staub mit euch! Er wird,
mit eurer Sünden Überlast beschwert,
im See des Todes baden und euch reinigen.
Und daß ihr seine ewige Liebe je
und je nie mehr vergessen sollt, so wird
auch diesmal der Unsterbliche, der Kaiser
des Himmels, sich für eure Schuld hinopfern,
sein Fleisch und Blut hingeben auf dem Block.
Ormann.
Astorre, bist du bei mir?
Oro. Ja, Gott ist!
Tanzt, singt! Gott ist, und er vergißt euch nicht.
Der See des Todes wird zur Flut des Lebens,
und wer genießt vom Fleisch und Blut der Gottheit,
der ißt und trinkt die ewige Seligkeit.
Es entsteht ungeheurer Jubel. Auf einen Wink Oros erheben sich die Knienden, und die Prozession zieht hinaus, wie sie gekommen.
Ormann (nimmt den Kronreif ab und betrachtet ihn).
Was seid ihr, Kronen?
Oro. Jubelt, tanzt und springt!