Gerhart Hauptmann
Indipohdi
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Im Opfertempel. Der Raum mit dem Block. Dieser, in der Mitte, aus Obsidian, gleicht einer großen Säulentrommel. Zyklopische Lavaquadern bilden die Mauer. Der Raum ist rechteckig gedacht. Eine langseitige Hinterwand. Rechts eine Öffnung, die durch einen schmalen Steingang ins Freie führt. Links schmale Erztür, verschlossen. Zugang in lichtlose Höhlung. Im Hintergrund kleine, verschlossene Erzpforte. Außerdem offenes Loch in unterirdische Höhle. – Schädel, Gebeine. Ewiges Lämpchen über dem Block. Die Erzpforte im Hintergrund wird aufgeschlossen. Tehura erscheint mit einer brennenden Fackel. Sie läßt Prospero eintreten und verschließt dann die Tür.

Prospero (bleibt stehen, blickt sich um).
Von meinem dunklen Genius geführt,
da bin ich nun. Und dies ist nun die Stätte,
die schaudervolle, vielberufene,
die aller wartet. Ich betrete sie
freiwillig! Freilich auch mit dir,
Tehura, dunkelgoldnes Bild des Lebens,
und von der Frucht durchwärmt, die du mir hast
in dieser hochgebenedeiten Nacht,
der bitterschmerzlich-wonneseligen
geschenkt. – Ich lag im Seelentod. Mein Leib
war starr und fühllos. Da umrang mich Glut,
umschlang mich dunkle Glut der Liebe, floß
um mein von Tränen überströmtes Antlitz
Flut schwarzen Haares, deines Haares, mich
umschmeichelnd mit dem Duft von Spezerei
und aller heißer Blüten süßer Öle.
Und sieh, mich weckte von den Toten auf
die sanft bewegte Bronze deines Leibes.
Durch meine Adern goß sich heiße Jugend,
und Lebenswirrnis sog ich, gleich der Biene,
in deines Mundes roter Blüte, in
der tauig aufgebrochnen, fast vergehend.
Du Männin, Mannesmutter! Mutter mir,
mir Neugebärerin und Weib und Schwester –
gesuchte selige Insel meines Lebens! –
Was ist mir dieser schaudervolle Ort
jetzt noch, und wie veracht' ich seine Schrecken,
mit so viel tiefster Seligkeit bewehrt.
Und doch, es war der Wille – nicht der meine,
doch eines andern, der des meinen sich
bedient wie eines Handschuhs! –, daß ich von
dem Quell- und heißen Wiesengrund des Lebens
in diese kalte Höhlung treten muß,
die finster ist und nach Verwesung duftet,
und an den Quell des Todes, dessen Flut
von hier aus alles eisig überrieselt,
was glüht und lebt: ihr Eis wird unsichtbar,
doch überall, allüberall gefühlt!
Und selbst die Bettlerschale, deren Gabe
brennt und mit blauer Flamme sprüht, enthält ihn.
    (Man hört näher und ferner Pauken, Tamtams und Muschelhörner.)
Der Tanz beginnt. Horch, sie begrüßen schon
des Opfertages blutige Morgenröte.
Meinst du wohl, ob sie wissen, wen sie opfern?

Tehura.
Sie wissen's nicht. Doch niemals wirst du es
zulassen, mein erhabener Geliebter!
Sie werden das nicht opfern, was dein Blut ist.

Prospero.
Du sprichst es aus: das Opfer ist mein Blut. –
Zehn Jahre sind es, daß man mich vertrieb.
Ich drehe meine Hand, so lange scheint's mir!
War's eben erst? War's gestern? Das Erinnern
stellt alles ohne Gnade vor mich hin,
es unterschlägt mir nicht den kleinsten Umstand
aus jenen furchtbarn Tagen meines Sturzes.
Wir flohn. Die Fürstin starb. Sie starb am Wegrand.
Ich nahm von einer Toten Abschied, und
bis heute weiß ich nicht, wer sie begrub,
nur, wer sie tötete. – Du sollst's erfahren!
Nicht jung mehr, als ich diese von den Töchtern
der Fürsten meines Lands zum Weibe nahm,
erhielt ich doch in angemeßner Zeit
aus ihrem jungen Leibe einen Erben:
Ormann. Du hörtest niemals diesen Namen,
den meine Zunge heut zum erstenmal,
seit ich auf eurer Insel weile, bildet.
Ormann! Ormann! Es ist, als trüge man
Licht auf der Zunge, das so Haupt als Brust
mit schönem Glanz durchwärmet und durchleuchtet.
Er ward geboren, ward getauft. Er wuchs.
Er lernte Vater, lernte Mutter sagen.
Er sprach die Worte aus, wie Kinder tun,
doch lieblicher. Der blonde Flaum des Haupthaars,
er ward zur Last blaßgoldenen Gespinstes,
das um das schönste Antlitz ringelte
und um den schönsten Nacken niederging.
Der Knabe ward zum Eros, und aus Eros
ward jener jugendliche Held Achill,
den Mädchenkleider wohl verbergen konnten. –
Wer wurde satt, ihn anzusehn? Wer wollte
nicht immer wieder seine Stimme hören,
der einmal sie gehört? Wir, seine Mutter
und ich, die täglich seiner Gegenwart,
ja stündlich seines Reizes uns erfreuten,
wurden nicht müde, seiner zu genießen.
Schon äußerlich genoß er jedes Vorzugs
vollkommener Bildung und Gestalt. Er war
mit Anmut liebreich, war ganz Zartsinn, doch
was mehr ist, unter seiner reinen Stirn
hervor, durch Blicke, die wie Sterne strahlten,
schlug ein bestrickender, ernst-heitrer Geist,
der sieghaft alles sich zu Füßen herrschte.
Gedanken blitzten auf, Einfälle, Worte,
witzreiche Prägungen verblüfften, rissen
zum Lachen hin. Sprühende Laune fuhr
mitunter wohl in Tollheit aus, doch schien's
mir und der Mutter immer wundervoll,
ja göttlich. Um die Winkel seines Mundes
saßen ihm holde Schälke. Doch er blieb
stets maßvoll auch im Übermut. Kurzum,
so war er! Dies war Ormann! – Was er wurde,
Tehura, das erfahre nun! – Es kam
die Zeit, wo der melodische Kinderlaut
in seiner Kehle tief und männlich ward:
und wieder war's ein Klang, der jeden anzog.
So ward der Prinz im Jüngling Ormann zwar
verehrt, doch mehr der Jüngling Ormann noch
im Prinzen. Und dem einen wie dem andern
ward mit Abgötterei gehuldigt, beiden
lag jung und alt im Herzogtum zu Füßen.
Dichter besangen ihn. Erlauchte Meister
des Pinsels wie des Meißels traten in
erhabnen Wettstreit, um den Götterprinzen
und seine Schönheit zu verewigen.
Aus manchen Meisterwerken strahlt sein Antlitz
über Altären, aus vielgliedrigen
Gemälden an den Wänden von Palästen
grüßt er herab. O diese Locken! O
dies stolze, warme, trügerische Auge
voll offnen Glanzes! Diese Wangen und
ihr Pfirsichflaum, die unschuldvollen Grübchen
darin! Und dies betörend milde Lächeln,
vermählt mit einem süßen Hauch des Grams,
um den beredten Mund. Wie manche Nacht
ging alles dies durch meine Träume oder
drängte sich vor das aufgerißne Auge
des Einsamwachenden in schwarzer Nacht. – –
Du hörst mich röcheln und nach Atem ringen.
Es geht vorüber, laß es gut sein. – Nun
zum Schluß: verführt durch eigner Gaben Glanz,
durch echtes und durch falsches Lob betört,
benützt durch Niedertracht und Schmeichelei
fiel Ormann. Gift'ge Ohrenbläser hauchten
in ihn die Pest der Ehrsucht. Schurken schwenkten
Weihkessel vor ihm her, gefüllt mit Tollkraut.
Der Rauch verrückte seine Seele! Wahnwitz
befiel ihn, aufgebracht in Wut, beschloß
er wider seinen Vater sich zu kehren,
des innige Liebe seine Speichellecker
und Hudler ihm als blut'ge Tyrannei
auslegten. Kurz, Ormann, mein Sohn, er war's,
der mich vom Throne stieß, der mich vertrieb,
Vater und Mutter aus den Toren hetzte
durch Pöbelhaufen, Knüttel, Spieße, Hunde,
der ganz unkindlich grausam, gnadenlos
mein und der Mutter Herz den Geiern preisgab. –
Du siehst mich weinen, wie ich nie geweint.

Tehura (fällt vor ihm nieder, umschlingt und küßt seine Knie.)
O wundervoller Dulder du! Und auch
zugleich glückseligster Vollbringer. Ja, du bist
beladen mit der Menschheit Sündenschuld,
unschuldig, und ein König, ungebeugt,
ich fühle das, gehst du den Weg der Sühnung.
Du ballst um dich, gleich wie ein Stern sein Licht,
dein Schicksal oder hüllest es um dich
wie einen königlichen Purpur, der
von goldnen Bildern deines Lebens starrt.
Und so gebietest du, was ist und sein wird.
O Großer, ewig Guter, webe mich
in einen Zipfel deines Mantels, und
so laß mich nicht mehr von dir, denn ich muß
in dir erstehn, Geliebter, und vergehn.

Prospero.
»Und so gebietest du, was ist und sein wird«:
So! Nur auf diese eine Art! Nur so!
Das Fremde duldend, das Ureigenste
glücklich vollbringend. – Glücklich, was ist das?
Wenn Tun und Dulden unverworren eins sind!
Du, Sehende! Du siehst den Zaubermantel, den
ich duldend tätig, tätig duldend trage,
und ahnest auch, wohin ich unter ihm
nun unverbrüchlich schreiten muß. Dorthin,
wo er von meinen Schultern fällt für immer.
Mit mir bist du geworden, Sonnentochter,
nach deinem Wort. Mit mir willst du vergehn.
So soll es doch vielleicht sich noch erfüllen,
was ich dereinst von dir erbat: den Ort
mir auszufinden für die irdische Ruhestatt.

Oro im Priesterornate sehr feierlich durch den Haupteingang.

Oro.
Ich wußte, daß ich dich hier treffen würde,
im Allerheiligsten.

Prospero.                     Ich habe dich
hierhergewünscht mit meiner ganzen Kraft.

Oro (beugt leicht ein Knie).
Herr, meine Tochter hat in dieser Nacht
Gnade vor dir gefunden.

Prospero.                               Und so bist
du, der sich oftmals meinen Sohn genannt
und der mein Bruder ist, nun auch mein Vater!

Er hebt ihn auf, küßt ihn auf die Stirn. Oro erschauert.

Oro.
Und du mein Gott.

Prospero.                     Ich bin kein Gott.

Oro.                                                         Du bist es.
Du bist ein Gott, nichts weniger.

Prospero.                                           Kann wohl
ein Gott so leiden? Eines Gottes Brust
so Kampfplatz aller Ungewitter sein,
die sich in dieser sonnendüsteren
zweideutigen Schöpfung ballen und entladen?

Oro.
Er kann, er muß es. In zerrißner Brust
trägt Gott die Wetterstürme jeden Schicksals
freiwillig, und um so viel größer ist,
was er an Kampf und Schmerz sich auflud, als
er größer ist als wir.

Prospero.                       Was lud ich mir
freiwillig auf?

Oro.                     Du opferst deinen Sohn.

Prospero.
Wie weißt du das?

Oro.                             Ich weiß es.

Prospero.                                       Und so ist's. –
Nun aber höre, Oro, was ich dir
nunmehr eröffnen muß. – Auf diesen Block
erstarrten Feuers, das der Glutberg einst
aus seinem Donnerbrunnen rinnen ließ,
leg' ich dies Pergament, von mir beschrieben.
Es ist versiegelt, und nur deine Hand,
Oro, darf es eröffnen. Darf es dann
eröffnen und nicht früher, als bis hier
vor dir und diesem Block das Opfer steht,
dicht vor dem Augenblicke der Vollstreckung.
Und ihm, dem Opfer, gibst du's in die Hand,
dem, den du meinen Sohn nennst, daß er es
laut lese und verkünde.

Oro (nimmt das Pergament an sich, küßt es und birgt es in seinem Talar).
                                      So geschieht es.

Prospero.
Und nun: Man sagt, bevor ihr zum Vollzug
der heilig-schauerlichen Handlung schreitet,
gebt ihr dem Opfer eine stille Stunde
in dieser finstren Blut- und Schädelstatt,
von der sein Nachen in die neuen Himmel
des Lichtes abstößt. Und alsdann erst führt
ihr ihn, mit Gold bedeckt, ins heilige Bad
und dann zum Tode. Nun, der heilige Brauch
ist auch von mir erfüllt. Du bist mein Zeuge.

Oro.
Du redest dunkle Worte, Himmlischer.

Prospero.
Oro, leb wohl. Wir beide steigen nun,
mein Weib und ich, den Höhenweg hinan
am Berge, den ihr nennt den Rauchenden.
Der Fels, der Flammen über sich gebreitet
und heulend Glut aus Eiseskiefern speit,
erwartet mich. Der heilige Riese, der
das Erdreich eurer Täler wogen machte
und euch mit Blutlicht ängstigte des Nachts
und mit Getöse, wie er noch tut: er
will sich mit eurem Magus unterreden. –
Und das geschieht nun, Oro, während hier
im Todestal sich Gott mit euch versöhnt.
Und nichts, bevor ich wiederkehre, darf
geschehn, als was das Pergament dir kundtut.
    (Er berührt den Block.)
Du zweite Wiege, blutige Wiege, du
furchtbare Todeswiege, lebe wohl.

Prospero, ehrfürchtig berührt von Tehura und Oro, entfernt sich mit beiden durch ebendie Tür, durch die er gekommen. Pyrrha kommt durch den Haupteingang, sieht sich scheu um, schleicht zur Erztür links, die sich öffnet.

Pyrrha.
Puh, ekelhaftes Schlachthaus! Scheußliche
Spelunke! (Sie ruft in die geöffnete Höhle)
                  Dello, he! und Amaru,
lebt ihr noch oder seid erstickt dort unten?

Dello (ungesehen).
Der Wilde schläft. So kommst du doch noch?

Pyrrha.                                                                   Ja,
ich halte stets mein Wort. Man muß ihn wecken.

Dello (wie vorher).
Erst konnte sich der Teufel nicht genugtun
in gurgelndem Gegröl. Er nannte das
Totengesänge, und nun schnarcht er, liegt
bewußtlos wie ein Stein und regungslos.

Pyrrha.
Auf! denn ein Augenblick verloren, heißt
für deinen Prinzen, dich und Amaru
alles verloren. Doch den Augenblick
benützen heißt soviel wie alles retten.

Amaru springt aus der Höhle.

Amaru.
Hier, Himmelstochter, hier ist Amaru.
Befiehl: du bist die Schleuder! und der Stein,
der tödlich treffende, ist Amaru.
Gebiete, zeige ihm das Wild: dein Hund,
Adler und Jaguar ist Amaru.

Pyrrha.
So triff denn, Stein, die Stirn des Magus! Hund
und Jaguar, zerreißt ihn mit den Zähnen.
Er ist ein Ungeheuer, nicht mein Vater.
Folgt! Habt ihr Waffen? Sicher will ich euch
geleiten. Möge gleiche Sicherheit
den Mordstahl führen in des Feindes Herz.
Verzagter, zitterst du, vollbring' ich's selber.
Denn wißt, ich schwor zu Nama. In mir brennt
die Höllenkraft und Wut des Dämons Nama. –
Die Krieger Namas, deine Krieger, sind,
o Amaru, durch mich befreit. Sie liegen
im Hinterhalt, vor Kampfbegierde zitternd,
sie harren deines Winkes, Amaru!
Du wirst zur Wut sie stacheln, Amaru,
zur Raserei erregen, Amaru!
So brecht ihr in den Festzug, Amaru,
sprengt und zerstreut die heilige Prozession,
wenn sie zum Schlachthaus zieht mit ihrem Opfer,
und raubt den Sonnensohn aus ihrer Mitte.
Ich höre Schritte, schnell hinab, hinab!

Amaru verschwindet in der Höhlung, die Pyrrha verschließt. Sie selbst versteckt sich. Ormann wird durch Huemac und Matzatzin wie ein Blinder mit verbundenen Augen an den Händen hereingeleitet. Die Priesterknaben tragen Kränze. Ormann ist mit Blumenketten umwunden.

Ormann.
Wo schleppt ihr mich, ihr Priesterknaben, hin?
Und wollt ihr mir die Augen noch nicht öffnen?

Huemac.
Bald, o du Himmlischer, sind wir am Ziel.
Dies ist die heiligste der Handlungen
außer dem Sakrament der Opferung.
Noch einmal siehst du diese Welt als Mensch,
siehst sie am Orte ihrer tiefsten Qual
und leidest diese Qual im Geist, bevor
du sterbend sie als Mensch und Gott erleidest.

Matzatzin.
Wie gerne blieb' ich bei dir, Tonatiuh,
um dich in deiner Angst zu trösten, dir
den kalten Blutschweiß von der Stirn zu wischen,
solange du noch Mensch bist. Doch ich darf nicht.

Huemac.
Du nimmst dir selber deine Binde ab,
sobald wir dich verlassen haben.

Ormann.                                               Geht denn.

Die beiden Dienerknaben entfernen sich ehrfürchtig und auf leisen Sohlen.

Ormann (hat langsam die Binde abgenommen).
San Borondon! Bei Gott, ich ahne, ich
bin angelangt auf meine selige Insel
San Borondon! – Die Luft hier ist verdickt
von toten Dünsten, ekelduftenden,
als wäre hier der Leichnam eines Fluchs
seit Ewigkeiten eingesargt, um Pest,
Wahnsinn und Mord zu brüten. – Oh, was ist dies?
Die Binde mitgeborner Blindheit fällt,
und wir, die, hungernd nach dem Quell des Lichts,
den Führern trauten, die ihn uns versprachen,
wir finden sehend uns im Grabe? – Nein.
Ich glaube, glaube an San Borondon! –
Gewiß, dies ist ein finstrer Augenblick,
gleichsam ein hoffnungsloser! Doch ich soll,
so sagten meine dunklen Henker mir,
die Sonne nochmals sehn vor meinem Tode.
    (Er betastet den Opferblock.)
Halt ein, was greif ich hier? O Trug der Hölle,
wie viele Binden deckten meine Augen,
da nun erst, wie mir's scheint, die rechte fällt?
Du Block erstarrten Feuers, runde Trommel
von Obsidian, mit Bildwerk ganz bedeckt,
die obere Fläche mit dem Bild der Sonne,
ich kenne dich, schon einmal hab' ich dich
gesehen und berührt vor wenig Tagen,
und deine Sonne meinten meine Henker. –
So leuchte, wenn du kannst! So leuchte! Sprenge
mit dem Posaunendonner deines Urlichts,
allmächt'gen Ausbruchs, diese blut'ge Höhlung
menschlicher Schmach und Finsternis! Du kannst nicht,
denn dich gebar und du gebierst allein
die ewige Finsternis. Du wirst mit Blut,
mit meinem rauchend frisch vergossenen,
in dem vertieften Becken deiner Mitte
und seinen Strahlenrinnen ringsumher
nachäffen das hochheilige Gestirn,
und wenn dich klappernde Gebeine und
wahnwitzige Leichen kreischend rings umtanzen
und ich gefesselt auf dir liege, wimmernd
vielleicht und winselnd, du verfluchter Stein,
so nennt mein Mörder mich den goldnen Mann,
den goldnen Gott, der in der Sonne weinet.
Wo du auch sein magst, weine, weine, Gott! –
Gemach, komm zu dir selber, Ormann. Du
hast oft getötet und hast Tod und Leid
oftmals erdulden machen. Trage nun
auch stark und ohne Zittern Leid und Tod.
Und ist Astorre nicht vorausgegangen?
Wie könnt' ich das vergessen?! – He, Astorre!
Oh, welche Tröstung! Welcher milde Klang
durchlebt auf einmal mich! Ich fühle dich.
In den Zyklopenblöcken rauschen Saiten
von Harfen wie aus Sonnengold. – Du hast
mir prophezeit. Was war es doch? Du sprachst,
von Wundern schwer sei dieses Eiland und
ich werde bald die Jägrin selber jagen,
die ich den Lämmergeier töten sah.
Wahr! Beides wahr! Astorre, du bist hier!

Pyrrha wird sichtbar. Ormann schreitet verzückt und weinend mit ausgestreckten Armen auf die Erscheinung zu

Astorre, Himmlischer!

Pyrrha.                               Komm zu dir, Fremdling!

Ormann.
O Engel, Engel Gottes, steht mir bei!

Pyrrha.
Ich bin kein Engel, nein, du Göttlicher:
zu sehr bin ich von Schmerz zerrissen und
von Leid und von Erbitterung durchwühlt.
Wisse, ich bin die Tochter jenes Mannes,
dessen verruchter Machtspruch dich, du Gott
des Lichts, dem Messer dieser Wilden preisgibt.
Er ist nicht mehr mein Vater, nein, und ich
bin nicht mehr seine Tochter.

Ormann.                                         Rede fort,
du außerirdischer Klang in meinem Ohr.
Bewege weiter dich in meinem Auge,
du lichtes Nachbild eines Augenblicks,
des seligsten in meinem seligen Leben.

Pyrrha.
So laß mich kurz sein, denn es drängt die Zeit.
Mein Vater war ein Schwächling. Darum auch
stieß ihn die Welt der weißen Menschen aus,
und deshalb haßt er sie bis diese Stunde.
Auch hier auf dieser Insel blieb er's, blieb
ein Weichling, der mit Träumen lebte: denn
nichts andres tat er, seit ihn Schicksalssturm
hierher verschlug. So kam es auch, daß sich
seiner der Hohepriester Oro ganz
bemächtigte: ein schlauer Wilder, der
ihn braucht, um seine Herrschaft zu befestigen.

Ormann.
Bei Gott, hier kann kein Zweifel walten, nein,
du bist es, die den Lämmergeier traf
mit ihrem Pfeil. Die Jägrin bist du, die
schnellfüßige Hinde, die ich selber jagte.
So muß die Stirn der Göttin strahlen, so
ihr Auge Blitze schießen aus der Nähe,
so muß von schönem Scheitel niederfließen
die kühle Goldglut der Olympierin:
der Lockenstrom des Haars. Und solchen Hals
und solche selige Schultern muß er baden.

Pyrrha.
Dich zu befreien komm' ich, dich zu retten.

Ormann.
Ich bin befreit, ich bin gerettet, oh!
Und welch ein wunderlicher Gaukler ist
das Schicksal. War nicht eben hier ein Grab
voll finstren Grausens? Und nun ist hier lauter Licht.
War hier nicht alles häßlich, dumpf und ekel,
und wirft mich nun der Schönheit Übermaß,
ambrosischen Zaubers voll, nicht fast zu Boden?
Nicht soll dein Mund mich Schwächling heißen dürfen.
    (Er ist mit einem Sprung bei ihr.)
So war ich stets. So bin ich jetzt noch! Was
den Glanz der Schönheit nicht verbergen konnte,
und stünden Cherubim mit bloßem Schwert
daneben, es zu schützen, nahm ich mir
noch stets mit kühner, kurzentschloßner Hand.
    (Er faßt sie bei den Armen.)
Bist du auch Göttin, bleibst du doch ein Weib.
Den aber wollt' ich sehn, Mensch oder Gott,
der dich, du höchste Beute meines Lebens,
mir, eh mein letzter Lebenshauch die Brust
verließ, entreißen könnte. Herrlichste,
sieh, wie vergeht, wie schwindet deine Kraft!
Ja, ja, was Stolz!? was Scham!? Was Widerstand!?
Ich brenne, dürste, lechze! Qual nach dir
verzehrt mein Mark: Erlöserin, erlöse!

Er reißt sie an sich. Sie hängt willenlos in seinem Arm. Mit wütenden Küssen bedeckt er sie. Volle Umarmung. Stille. Geräusche von Pauken und Zimbeln nähern sich jetzt.

Pyrrha (erwacht, reißt sich los).
Sie kommen, o wir sind verloren! Rettung!
    (Sie öffnet wie vorher die Kerkertür.)
Dello und Amaru!
    (Amaru springt hervor und stellt sich neben Ormann.)
                            Zu spät! Zu spät!

Oro erscheint durch den Haupteingang, an der Spitze von bewaffneten Eingeborenen.

Oro.
Ergreift den Tempelschänder, bindet ihn!

Oros Befehl wird schnell ausgeführt, bevor Amaru sich ernsthaft zu wehren vermag. Ormann bleibt frei, aber ebenso wie Pyrrha von Lanzenspitzen umstarrt.

Nicht weiß ich, was sich hier begeben sollte,
Yakka, allein, dich schützt dein heiliges Blut.
Auch was der Sonnensohn begeht, ist heilig.
Doch wisse: alte Satzung schreibt uns vor,
wenn Zeichen sprechen und die Zeichendeuter
sie dahin deuten, daß dem Sakrament
Behindrung etwa drohe durch Dämonen:
in solchem Fall das Opfer zu beschleunigen.

Ormann.
Blutrünstiger, schmutz'ger Götzenpfaffe, schweig!
Vergeblich habt ihr eure Schlächtermesser
aus scharfem Feuerstein hervorgesucht,
und deren keines ritzt mir nur die Haut.
Du Narr, nun fühl' ich fast den Gotteswind
im unsichtbaren Segel meines Schicksals,
sieh, er umspielt mich, und ich lache, und
er füllt mit salziger Frische mir die Brust
und mit triumphhaft seliger Entzückung.

Oro.
O Tonatiuh, du wirst dich opfern, wirst
des heiligen Messers Schnitt mit Augen sehn,
dein rauchend Herz in meiner Rechten pulsen . . .

Ormann.
Du Narr, du Metzger! Deine freche Hand
dringt wohl in eines räudigen Hundes Brust
und hält ein räudiges Hundeherz gen Himmel,
damit sich Höllengeier daran sättigen.
Meins ist mit Panzern siebenfach geschützt,
und was ich jetzt von dir erwarte und
mit Ungeduld erwarte, ahndevoll
im Vorgenusse tiefster Seligkeit,
es ist das Liebeswunder meines Lebens.
Wirf weg dein Messer, denn es ist dir nutzlos.
Sag lieber, was du mir zu sagen hast,
denn sieh, ich weiß, du hast mir viel zu sagen.

Pyrrha.
Nie wirst du diesen hier berühren! Nie, nie!

Oro (unsicher geworden).
Nicht dir gilt meine Antwort, Yakka, ihm nur.
Fremdling, du hast mich alten Mann geschmäht,
der seine Pflicht erfüllt vor Gott und Menschen.
Doch da du bist, was du nicht weißt, so bist du
sicher vor meinem Zorn. Und du hast recht
in einem: eine Offenbarung ist
dir noch beschieden, eh du stirbst: lies! lies!

Ormann (hat das gereichte Pergament verzückt und fast willenlos entgegengenommen. Er liest).
»Ormann, mein Sohn, die Schrift ist dir bekannt.«
Die Schrift, die Schrift bekannt? bekannt? Nein, Vater!
»Du warst so hungrig nach dem Leben und
so durstig, daß es deiner Seele schien,
du könntest deinen Hunger nur dann stillen,
wenn auch mein Fleisch in deinem Mund, mein Blut
in deinem Becher wäre.« – Vater, Vater,
nun reißest du das Herz mir aus der Brust
und hältst das zuckende gen Himmel und
gibst seine Schmach der offnen Sonne preis.
Hier steht: »Nun lebe, denn ich opfre mich
aus freiem Willen, gern und auch für dich.«
Wo bist du, Vater? Niemals, lieber Vater,
o Abba, Abba! Vater, Vater, Vater! –
»Erweise Ehrfurcht Oro, meinem Bruder!
Er wird dich stützen, und das Volk ist gut
und wird sich einer milden Herrschaft fügen.
Ich schreibe neue Offenbarungen
auf erzne Tafeln, wer sie findet, der
sei ihrer wert. Ormann, nun lebe wohl,
Pyrrha, leb wohl, und zeuget das Lebendige!«
Vater! Wo ist mein Vater? Raum! Gebt Raum!
Der ist des Todes, der mich aufhält. Vater!
Habt Mitleid! Raum! Ich suche meinen Vater!
Vater! ich komme! Vater! Vater! Vater!

 


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