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Außer den sommerlichen Besuchen der Verwandten und der Freunde sprach kaum jemand anders öfter auf Drakebo vor als der Pastor. Nur zu Weihnachten bequemte man sich zu zwanzig bis dreißig Kilometer langen Fahrten, denn so weit muß sich auf dem Lande manchmal »die Nachbarschaft« erstrecken, wenn man standesgemäßen Verkehr haben will.
Pastor Lemström mochte ein Ehrenmann und Gelehrter sein, ein hervorragender Prediger und Seelsorger war er gerade nicht. Er war ein ehemaliger Gymnasiallehrer mit einem häßlichen Gesichte und einem hübschen Doktordiplom der philosophischen Fakultät. Es war ihm nicht geglückt, Oberlehrer zu werden, aber als Ersatz hatte er mit einigen fünfzig Jahren von der Regierung die Pfarre Skrukeby erhalten, zu der Drakebo gehörte.
Ein Courmacher war er auch nicht, obgleich er in Damengesellschaft sehr angeregt und unterhaltend war. In jüngeren Jahren war er auch zu unbemittelt gewesen, um sich verheiraten zu können, und nun war es dazu beinahe zu spät, besonders bei seiner schmächtigen Gestalt und wenig anziehendem Äußeren. Es ging ihm jedoch in seinem alten Pfarrhause recht gut. Eine alte Schwester, die niemals ausging, pflegte ihn und stand dem Haushalte vor.
Lemström, der in seiner Jugend von einer Professur geträumt hatte, hatte von seiner Schulfuchszeit her die Gewohnheit beibehalten, stets und überall zu dozieren und zu belehren, und er schien dabei augenscheinlich anzunehmen, daß seine Zuhörer alles menschlichen Wissens bar seien. Sogar dem Magnaten seines Kirchspiels auf Drakebo, wo er sonst sehr ritterlich und äußerst artig auftrat, hielt er gern einen freien Vortrag über Dies und Jenes, bis er abends mit seinem klapperigen Wagen und den kleinen, zum Schlachten fetten Füchsen wieder abfuhr. Wenn die Gnädige, schon wieder im Wagen sitzend, ihn nach der Kirche bat, in den nächsten Tagen einmal in Drakebo Mittag zu essen, so erfaßte er den Wagenschlag mit beiden Händen, als wollte er das Gefährt mit Gewalt festhalten und begann:
»Ich danke Ihnen ganz ergebenst, gnädigste Frau Baronin. Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein. Ich kenne kaum etwas so Angenehmes wie ein gutes Mittagessen in Gesellschaft verehrter und hochgeschätzter Freunde. Und in diesem Falle stehe ich mit meiner Ansicht nicht allein. Der Gebrauch Mittagsgesellschaften zu geben, stammt aus den allerältesten Zeiten, und die alten Römer hatten ihre Genußsucht in diesem Punkte zu einer ansehnlichen Höhe getrieben. Da man jedoch nach kurzer Zeit bei eifrigem Essen ziemlich satt wird, versuchten sie der Kürze des Genusses auf eine Weise abzuhelfen, die ... ja, es schickt sich nicht, daß ich Ihnen dies näher erkläre, Frau Baronin. Genug, sie konnten mit dem Essen wieder von Anfang anfangen, wenn sie auch ein Weilchen vorher förmlich vollgestopft gewesen waren. Und was Lucullus betrifft ... Oh, ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie so lange aufgehalten habe, Frau Baronin.«
In seinem Priesteramte war dieser Diener des Herrn mehr als löblich zerstreut. Er hatte eine fette Konsistoriumspfründe, zu der er sich gemeldet hatte, deshalb nicht bekommen, weil er unter andern einen jungen Weltbürger bei der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft umgedreht und an den Füßen getauft hatte. Auf einer andern Stelle waren seine Aktien unwiderruflich dadurch gesunken, daß er beim Kirchgang der Schulzenfrau Unsern Herrn eifrig angerufen hatte »mit diesem Weibe, das deine Verordnungen und Gebote leichtsinnig übertreten« Nachsicht zu haben.
Das alte Fräulein Lemström war gerade keine feine Köchin erster Güte und ihr Bruder pflegte daher dem Tische in Drakebo außerordentlich große Ehre anzuthun. Es ging dort auch recht hoch her, sobald Besuch kam, und während er sein Inneres versorgte, begannen die ein wenig unsicheren Blicke des Pastors zu ihr hinüberzufliegen, der er, wie er wohl wußte, hauptsächlich diesen Genuß verdankte. Und nach der Mahlzeit wandte er sich oft zu Jenny.
»Schon seit den ältesten Zeiten hat man versucht, dem Gaumen die Lebensmittel mundgerecht zu machen, unserer Zeit aber blieb es vorbehalten, die Wissenschaft der praktischen Zubereitung nach dem Nahrungswerte populär zu machen. Gewisse Dinge, zum Beispiel die Kohlensäure ... Ja so, Sie haben zu thun, Fräulein, ich bitte gehorsamst.«
Die gelbgrauen Augen des würdigen Seelsorgers blickten immer öfter vom Teller auf, um sich mit Wohlwollen und Interesse auf Jennys frisches anmutiges Gesicht zu heften, über dessen Züge sich nun der Sommer des Lebens ausbreitete und dem der rosige, schöne Teint ein liebliches, in seiner Ruhe anziehendes Aussehen gab. Es kam sogar vor, daß der Pastor bei diesen Streifzügen seiner etwas kurzsichtigen Augen, so die Zeit versäumte, daß er nicht einmal von allem, was auf dem Tische stand, doppelte Portionen essen konnte. Eines Tages fing er an mit Jenny von seiner Schwester zu sprechen.
»Wenn es auch ein großer Irrtum ist, anzunehmen, wie man es oft thut, daß die Menschen in den alten Zeiten älter wurden als heutzutage – mit Ausnahme der in sanitärer Hinsicht ungünstig gestellten Bewohner großer Städte beweist die Statistik das Gegenteil – so ist doch wohl ein Alter von 76 Jahren geeignet, den Gedanken auf die Zeit zu lenken, da sowohl die Kräfte wie die Lust zur Thätigkeit schon infolge des langsameren und schwerfälligeren Verlaufes des Stoffwechsels notwendig abnehmen müssen.
Meine Schwester Magdalene ist nun sechsundsiebzig Jahre alt und hat ihr Lebelang fleißig gearbeitet. Weder ihre Laune, noch ihre Omeletten sind jetzt, wie sie früher waren, und ich denke mit Unruhe an die Zeit, wo sie meinem Hause nicht mehr wird vorstehen können. Sie ist die Älteste von zwölf Geschwistern, ich der Jüngste, fast zwanzig Jahr jünger, fast – zwanzig – Jahre – jünger, Fräulein Jenny.«
»Oh, Herr Pastor, es giebt so viele arme, tüchtige Mädchen, die, in der Hoffnung, eine gute Stelle zu bekommen, gerne die Leitung Ihres Hauswesens übernehmen würden,« tröstete Jenny.
»Ja, das glaube ich, wenn ein solches Mädchen wie Sie, Fräulein Jenny ... das wäre ... hm.«
Jenny selbst verfiel anfangs gar nicht auf die Möglichkeit, daß der Pastor Heiratsgedanken haben könnte, die Baronin aber und die Baronessen begannen sie im vollen Ernste mit dem Hirten der Gemeinde zu necken und als ihr dadurch die Augen für seine eigentümliche Galanterie geöffnet worden waren und sie eins zu dem andern legte, fürchtete sie fast, daß die Neckenden recht hatten.
Es war ein beunruhigendes Symptom, daß der Pastor, der früher sein völlig graues Haar in Zotten von der Länge einer halben Elle hatte wild um den Kopf flattern lassen, plötzlich anständig geschoren auftrat und das alte ehrwürdige Halstuch, das einem Handtuche glich und dreimal hin und zurück um den dünnen Hals geschlungen war, auf einmal durch einen kleinen, modernen Kragen und eine gewöhnliche, schmale weiße Binde ersetzt hatte. An demselben Tage, als er zum erstenmal so verändert in Drakebo erschien, sagte er zu Jenny:
»Sowie den verschiedenen Individuen eine höchst ungleiche Lebensdauer beschieden ist, so hängt das Eintreten der Verwelkungsperiode meistens von seiner Gesundheit und der Art ab, wie er seine Kräfte verbraucht hat, auch wohl von seinem Schlafe und dem individuellen Temperamente. Es dürfte wahr sein, daß man eigentlich gerade so alt ist, wie man sich fühlt. Ich fühle mich eigentlich noch verhältnismäßig jung. Pardon, Fräulein, für wie alt halten Sie mich ungefähr?«
»Ja, wüßte ich nicht, wieviel Sie in Ihrem Leben ausgerichtet haben, Herr Pastor, und daß Sie also älter sein müssen, so würde ich Sie so auf fünfundvierzig schätzen, und ich glaube wohl, daß Sie sich wie ein dreißiger fühlen,« sagte Jenny und lachte.
»Fräulein Högfeldt, Sie ... ja, Sie scherzen auf eine so verständige und liebenswürdige Weise, daß ... hm ... Es wäre außerordentlich angenehm, wenn ... wenn Sie nicht stets so von der Wirtschaft in Anspruch genommen wären.«
So kam er eines Tages am hellen Vormittage in einem neuen Wagen und seinem besten, schwarzen Rocke und bat die Baronin geradezu, mit Fräulein Högfeldt allein sprechen zu dürfen. Jenny begriff, was kommen würde, aber das Gefühl der Verlegenheit verringerte sich gewissermaßen durch die echt weibliche Empfindung des Verdrusses darüber, daß der erste Mann, der ihr einen Heiratsantrag machte, ein alter, häßlicher Kerl war, der dem Alter nach ihr Vater hätte sein können.
»Guten Morgen, liebes Fräulein Högfeldt, ich habe mir von der Frau Baronin eine Unterredung mit Ihnen erbeten, und stürze mich nun in die Sache in medias res, wie die alten Römer sich auszudrücken pflegten. Die Geschichte und alle Erfahrungen geben es uns deutlich an die Hand, daß die Frau den Mann an Scharfsinn und Divinationsgabe weit übertrifft, und Sie werden daher wahrscheinlich mein Anliegen erraten. Soweit die menschliche Forschung auch in die Vorzeit eingedrungen ist, ist das Heiraten, ja, das heißt, ich meine, die Ehe, für die meisten Menschen von jeher ein Bedürfnis gewesen. Was mich betrifft, so halte ich es insofern für eine höchst ernste Sache, daß es wünschenswert ist, wenn der Mann dabei nicht zu jung ist. Schon bei den Griechen ... ja, mit einem Worte: wollen Sie meine Frau werden, Fräulein Högfeldt?«
Jenny, die sich ziemlich entfernt von dem Pastor auf einen Stuhl gesetzt hatte, biß sich so in die Lippen, daß sie beinahe bluteten, und fühlte nichts von dem Mitleiden, das ein gutes Mädchen sonst gewöhnlich für den Mann hegt, der sich ihretwegen zum Narren macht. Sie sah nämlich, daß von einer Herzensneigung im höheren Sinne bei dem Skrukebyer Pastor garnicht die Rede sein konnte. Und deshalb antwortete sie ganz ruhig:
»Es wird gewiß schon in den ältesten Zeiten Mädchen von so sonderbarem Wesen und mit so eigentümlichen Anschauungen gegeben haben, daß sie so große Vorteile, wie Sie sie mir erbieten, nicht genügend zu schätzen wußten. Es ist gern möglich, daß ich nicht weiß, was zu meinem eigenen Besten dient; ich fühle aber, daß ich Ihren ehrenden Antrag nicht annehmen kann.«
Und dabei sah sie ihm schelmisch gerade in die Augen, ziemlich gewiß, daß er nicht sehr niedergeschmettert sein würde.
Das war er auch nicht, sah aber doch finster drein und saß eine ganze Minute lang schweigend da. Dann sagte er nachdenklich:
»Ja so ... hm .. ja so. Unter den Kennzeichen, die der große Herzensforscher Paulus für die Liebe angiebt, ist auch das, daß, »sie alles hofft.« Darf ich nicht hoffen, daß die Zukunft mir eine günstigere Antwort auf meine Herzenswünsche bringen kann?«
Jennys Augen funkelten. Sie kam sich selbst albern, ungezogen und boshaft vor, aber jedesmal, wenn sie den lüstern blinzelnden, rotgrüngelbgrauen alten Kerl, der sie haben wollte, ansah, geriet sie in ganz unbändige Wut und in einem solchen Anfalle erwiderte sie jetzt:
»Das glaube ich allerdings, aber nur unter einer Bedingung!«
Lemström sprang auf, eilte zu ihr hin, faßte ihre Hand und stammelte:
»Und die wäre? Sie ist im voraus bewilligt. Soll ich meine Landwirtschaft verpachten, damit der Haushalt weniger beschwerlich wird? Oder soll ich mir einen Adjunkten nehmen, damit ich mehr zu Hause sein kann? Ach seien Sie so gut ...«
»Unter einer Bedingung, Herr Pastor, und die ist, daß Sie sich – einen andern Gegenstand für Ihre Gefühle suchen! Es giebt ja so viele nette, verständige Mädchen auf der Welt. Entschuldigen Sie, ich habe zu thun.«
Und damit eilte Jenny hinaus; sie fühlte lebhaft, daß sie sich sehr schlecht benommen hatte, konnte es aber nicht bereuen und wenn sie damit ihr Leben hätte retten können.
Nach dem Mittagsessen blieb die Gnädige eine Weile im Eßsaale und sah Jenny sehr forschend an.
Ebenso nach dem Abendessen.
Aber diesmal konnte sie sich nicht länger halten und sagte mit einem gewissen Verdruß:
»Ich hoffe, Jenny, daß Sie so gut sind, zu rechter Zeit zu kündigen, damit wir uns nach einer neuen Stütze umsehen können.«
Jenny verstand sehr gut, was damit gemeint war, es machte ihr jedoch Spaß, die Naive zu spielen, und deshalb sagte sie ganz erstaunt:
»Wenn Sie unzufrieden mit mir sind, Frau Baronin, will ich natürlich nicht bleiben.«
»Aber wann werden Sie denn heiraten, Jenny?«
»Wahrscheinlich überhaupt nicht, Frau Baronin!«
»Was sagen Sie da, Jenny? Hat der Pastor nicht um Sie angehalten?«
»Da ich höre, daß Sie davon wissen, Frau Baronin, ist es wohl kein Unrecht, wenn ich es eingestehe.«
»N–u–n?«
Jenny wurde blutrot und ihre Stimme zitterte, als sie antwortete:
»Und Sie glauben natürlich, Frau Baronin, daß ein armes Mädchen, das sich sein Brot bei andern Leuten verdienen muß, nur eine Antwort auf eine solche Frage haben kann. Aber ich war doch so – dumm.«
Die Baronin stürmte in den Salon zu ihren Töchtern.
»Sie hat dem Pastor einen Korb gegeben, könnt ihr euch so etwas denken ...«
»Ist sie denn total verrückt?« sagte Baronesse Julie.
»Ihr sollt sehen, sie hat eine andere Neigung,« meinte Baronesse Annie.
»Oder sie hat schon ihren Roman gehabt,« warf Laura träumerisch ein.
»Ihr glaubt doch wohl nicht, Mädchen, daß sie sich in Axel vergafft hat!« rief die Gnädige voll Entsetzen aus.