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Peter kehrte heim. Er hatte die letzten Häuser hinter sich und schritt seelenvergnügt zwischen den Bäumen hin, die im Wind und Regen schwankten. Da, ein dumpfes Dröhnen! Von der nahen Landstraße bog ein Trupp im Takte marschierender Soldaten in die Dorfgasse. Nun ward es Peter doch bänglich ums Herz. Er machte seinen Schirm zu, zog die Schultern hoch und schlich hinkend an den Bäumen hin. Dann blieb er stehen, die Mütze in der Hand, ein demütig gebückter Alter.

Zwischen zwei Rotmänteln ging ein todbleicher junger Mensch in Bauerntracht. Peter kannte ihn wohl. Es war der Sohn der Pfaundlerbäuerin, der Kranken, zu der die Ratschkatl trösten ging. Hinterher schritten zwei Offiziere an der Spitze der Mannschaft, die Kapuzen übergezogen, mit beiden Händen quer den krummen Säbel haltend, den Kopf gegen den Regen etwas gebückt. Sie sahen mehr martialisch als militärisch aus; Häuptlinge wie Gemeine erinnerten an Zigeuner. Im Vorbeimarsch drehte jeder die Augen nach Peter. Einige in der Truppe kannten ihn von ihren nächtlichen Runden her. Die zogen eine lustige Fratze. Rumbidi bum! brummten sie vor sich hin.

Peter war froh, als er die Rotmäntel im Rücken hatte. Die Hauben, sagte er bei sich, darf ich jetzt nit aufsetzen, sonst pappt's an. Wär' der Zug länger g'wesen, hätt's mir meinen ehrwürdigen Schädel abg'waschen! Er dachte an den armen Rekruten. Lieber würde es ihm gewesen sein, wenn sie statt des Pfaundler den Seebacher Max »arretiert« hätten. Ein böser Gedanke ...

»Bist den Rotmänteln begegnet?« fragte Apollonia den Ankömmling.

»Ja, mit dem Pfaundler Karl.«

»Erst waren s' beim Pfaundler und dann bei uns!«

»Kreuzmillionen –«

Es war die erste Feuerprobe gewesen. Die Frauen allein im Haus, und da kommen mehr als zwanzig Wildlinge angerückt, die gefürchteten Rotmäntel, und man weiß: jetzt heißt es lügen! Glücklicherweise hatte der Hauptmann gemessenen Befehl: Es wird junge Mannschaft ausgehoben, aber nicht geplündert und das Frauenzimmer respektiert. Und mit dem Hauptmann war, wie der Bader richtig ahnte, nicht gut Kirschen essen. Je nach den Umständen plünderte er mit oder hielt strenge Mannszucht. Im letzteren Fall besorgte er, wenn einer nicht gehorchte, die Arbeit des Profosen wie des Stockmeisters selbst.

Während die Soldaten Hof und Haus besetzten, wurde Apollonia vom Hauptmann verhört. Sein Leutnant, ein Deutschungar, machte den Dolmetsch. Sowie sie hörten, daß der Gesuchte nicht mehr da sei, wurde von der Mannschaft jeder Winkel durchsucht und das Unterste zu oberst gekehrt. Währenddem setzte der Hauptmann das Verhör fort. Nach jeder Antwort fluchte er in fünf Sprachen, von denen er allerdings nur seine Muttersprache, das Slowakische, gründlich kannte. Er blieb dabei: der Bursch fuhr gestern nicht zufällig zu Verwandten, sondern ist gefahren, weil er zufällig von der neuen Aushebung hörte. Wenn dieser Maximilian Seebakker sich binnen 48 Stunden nicht freiwillig stellt, wird er allen Behörden als fahnenflüchtig angezeigt und wird von allen Kirchenkanzeln vor seiner Aufnahme gewarnt. Er wird ausgeliefert, gerichtet, erschossen. Das sei so sicher, wie zweimal zwei vier.

»Aber wenn's derweilen Frieden wird?« wagte Walpurg zu fragen. Da rollte der Hauptmann die Augen und fluchte noch fürchterlicher als bisher. Was sie denn wollten? Lebten sie denn nicht im tiefsten Frieden? Bayern ist eine kaiserlich österreichische Provinz jetzt und in alle Ewigkeit.

Der Feldwebel meldete, daß der Rekrut unmöglich auf dem Hofe versteckt sein könne. So hieß denn der Hauptmann seine Leute antreten. Loni wurde nochmals verwarnt. Schafft sie in der angegebenen Frist den Mann nicht her, wird ihr Hab und Gut mit Beschlag belegt, und ihrem Sohn sind zehn Kugeln sicher. Man fangt ihn, stellt ihn an eine Wand – Gebt Feuer! Pum! da liegt er – mausetot.

Der Hauptmann reckte sich, drehte seinen Schnauzbart hoch und verließ mit dröhnendem Schritt die Stube. Sein Leutnant folgte; doch in der Tür kehrte sich dieser noch einmal um und warf Walpurg ein Kußhändchen zu.

Spar deine Busseln für deine Landsmänninnen auf, murmelte Walpurg, du g'schecketer Hanswurst! – – Anstatt der Bäuerin Trost zu spenden, machte Peter zu ihren Mitteilungen eine bedenkliche Miene und meinte, wenn den Kaiserlichen so gar viel an der Ergreifung des jungen Seebacher gelegen sei, würde Loni am besten tun, ihren Sohn zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Als kaiserlicher Soldat könne Max zehn Schlachten mitmachen und heil und gesund bleiben, doch wenn er als Flüchtling vor ein Kriegsgericht gestellt werde, seien ihm, wie der Hauptmann sagte, zehn, zwölf Löcher in der Haut sicher. Und erwischt würde er, denn viele Hunde seien eines Hasen Tod. Die Mutter schrie auf vor Schrecken, Walpurg dagegen entbrannte in hellem Zorn, denn sie besaß noch den schönen Glauben an den Sieg des Rechts. »Das rat'st du, und willst ein Patriot sein und bist selber ein Deserteur! Du bist doch den kaiserlichen Spürnasen entgangen, warum soll's der Vetter nit auch? Glaubst du, elendiger Loder, einen bessern Schutzengel zu haben als der brave Max?«

Der Raufbold machte ein pfiffiges Gesicht. »Ja, schon, ich bin halt nur ein armer Teifel und g'ringer Knecht, aber der Max hat eine reiche Hofbäurin zur Mutter, und sein Vater ist der starke Lorenz g'wesen, der Anno fünfe den Kaiserlichen wer weiß wie viele Soldaten verschlagen hat, bevor s' ihn selber nieder'knallt haben.«

»Der Peter hat recht,« jammerte die Bäuerin. »Dem armen Heiter, dem Max, geht sein Vader nach: sie werd'n kein' Ruh' geben, bis s' ihn haben. Peter, sag mir um Gottes willen: ist der Bua denn nit gut aufg'hoben dort, wo er ist?«

»Eine Wochen oder zwei wird's schon gehn. Aber wenn's so weiter pritscht, steigt die Isar. Dann kann ma' nimmer dazu, und er muß verhungern.«

»Sag mir, wo er ist,« rief Walpurg, »und ich bring' ihm alles, was er braucht.«

»Na, dos is nix für Frauensleut'. Es gibt nur einen, der ihm helfen und ihn derretten kann, und dös bin i!«

»Tu's, tu's, Peter,« bat die Mutter, »und – unser Herrgott hört mi! – Du sollst's net bereun!«

Peter sah seinen Weizen blühen. »Heut' nacht geh' ich zum Max. Dann heißt's für mi beten, denn i wag' mein Leben.«

Peter machte sich über das Mittagsmahl, das heute spät auf den Tisch kam, mit vollster Eßlust her; die Frauen nahmen kaum einen Bissen. Arbeit wurde keine getan; während Loni und Walpurg sich beredeten oder still für sich weinten und beteten, streckte sich Peter auf das Bett des Flüchtlings, das besser war als das seine, und stärkte sich für den nächtlichen Gang durch einen langen Schlaf. Da das Wetter schlecht blieb, dunkelte es früh. Als ob er gegen die Gefahren gefeit sei, seitdem sie auch dem Reichen, dem künftigen Herrn, drohten, machte sich Peter schon in der Dämmerstunde auf den Weg.

Auf mich verlohnt sich die Hatz nicht mehr, dachte er, jetzt sind s' hinter den bessern Leut'n her ... Wenn auf dem ersten Platz nicht gut sein war, stellte sich der eitle, aber schlaue Peter gern auf den zweiten.

Die Isar ging hoch.

Du hast den Teufel an die Wand g'malt, sagte er bei sich, als er die Furt hinter sich hatte, denn das Wasser war selbst da reißend und reichte Peter bis an die Hüften. Heut' mußt noch einmal z'ruck, aber dann net wieder!

»Wo ist der Seebacher?« war seine erste Frage in der Höhle.

»Erst hat er greint«, Greinen – weinen. antwortete der Wildschütz, »jetzt flackt er da hinten auf der Streu und schlaft.« Leiser fuhr er fort: »Wie steht's? Der Franzos ist nimmer komma.«

»Die Hund' haben ihn 'packt, aber zum Glück auch halb aufg'fressen.«

Ein dumpfes Murmeln drückte mehr Beifall als Beileid aus.

»Ich hab' nix g'hört und denkt als: die Hund', die Hund'! Also aussag'n kann er nit?«

»Vorläufi net.«

»Dann ist's ja guat. Taugt hat er eh' Eh' = ohnehin. nix und war net mal ein richtiger Franzos.«

»Heut' friert mich a,« sagte Peter und warf sich neben dem Feuer auf die Erde.

»Hör mal,« schrie der Wilderer grob, »der neue Kamerad is mit leere Händ' komma; was bringst ihm mit?«

»Nix, aber dir einen Buckel voll Schläg', wenn du net anders mit mir red'st! Ohne mein Eisensteckerl hätt' mich die Isar bis Münka g'rissen.«

»Wann 's Wasser höher steigt,« meinte einer, »schwemmt's uns raus aus dem Loch.«

»Wann's Frieden werd,« sagte der Wildschütz, »müssen wir so wie so reisen. Mir ist ein bayrischer Scharwachter net lieber als ein Pandur. Zum Reisen braucht ma Geld. Der Lisch ist uns durch. Wer kimmt dran? Und der Seebacher muß mittun.«

»Red nit so laut,« wisperte Peter. »Freiwillig tut der net mit. Von dem heißt's auch:

Springt a Glück dir in Weg,
Und du packst net sein Schopf,
Bist im Unglück verzagt:
O du trauriger Tropf!«

»Dann schmeißt ihn in d' Isar! Wir san von anderem Holz. Zeig mir 's Haus und den Hof, und ich halt' das Glück beim Grips!«

»Net heut' und net morgen, aber bald sag' ich euch: wo! Und hungern und dursten sollt ihr derweilen nit. Wann's morgen Nacht wird, schickt mir zwei Mann auf unsern Hof. Ich werd' auf sie warten. Aber den Wilderer mag ich net. Er ist ein Ruach. Ruach = habgieriger Mensch. – Und jetzt werd' ich mit unserm verzagten Buaberl reden.«

Peter rüttelte den Schläfer wach und erzählte ihm ein Langes und Breites von dem militärischen Besuch auf dem Hofe. »Siehst jetzt die Wohltat ein, daß ich dir das Winkerl da 'zeigt hab'?«

»Mi friert.«

»Ja, da mußt dich halt zu den Kam'raden ans Feuer setzen. Komm, wir wollen uns was Lustiges erzählen!«

Am andern Morgen kam Sepp heim. Der Lehrer wartete im Hause seines Bruders dessen Rückkehr aus Miesbach ab. Den treuen Knecht duldete es nicht in der Ferne. Der Wolf ist im Stall! Heim! Heim! Triefend und keuchend langte er an. Obwohl ihm der Magen knurrte, trug er den Brotlaib, den ihm die Schwägerin mitgegeben, noch unberührt im Lederranzen. Und die eigene Notdurft war vergessen, als er schon von weitem das Gebrüll seiner Ochsen hörte. Die armen Viecher haben Durst! Die Frauensleut' haben den Kopf verloren, aber wozu ist denn der Peter da?!

Peter war in der Küche bei den Frauen. Die Bäuerin saß, die Augen verweint, die gerungenen Hände im Schoß, am Herd. Walpurg hatte auch verweinte Augen, aber sie schälte, mit dem Rücken gegen die beiden gekehrt, für das Mittagsmahl Birnen.

»Gut aufg'hoben ist er, und kreuzfidel war er gestern nacht.«

»Dös glaub' i net,« versetzte Walpurg, ohne sich umzudrehen.

»O mei, o mei!« sagte Loni, »die jungen Leut' sind halt so.«

»Und er laßt die Frau Mutter recht schön bitten: wenn er heut' nacht ein Paar Kameraden schickt –«

»Was ich hab', g'hört ihm! Aber uns kannst es verraten, wo er ist.«

»Das darf ich net. Aber er ist dort sicher, wie in Abrahams Schoß und unter lauter Patrioten.«

Die Patrioten heut' nacht seh' ich mir an, dachte Walpurg.

»Und im Dorf bist auch schon g'wesen.«

»Man muß halt an alles denken. Es ist alles beim Alten. Die Rotmäntel laufen wie die Mäus' im Dorf umeinand', und vom Friedmachen ist keine Red' mehr.« Walpurg kehrte sich um. »Das ist net wahr. Heut' früh hat ein Schaarenschleifer vorg'sprochen, der ist aus der Stadt komma, und der hat mir verzählt: In München sind's ganz rebellisch vor Freud', denn der Fried'n ist ausg'macht bis auf das Punktum und Streusand drauf. Und unser Kurfürst ist schon unterwegs.«

»D' Scherenschleifer sind die größten Lugenbeutel auf der Welt,« rief Peter, und das Blut stieg ihm ins Gesicht. »Und was man gern hört, dös glaubt ma freili gern. – Ja, Seppel, wie schaust denn du aus?« Der arme Mensch kam aus dem Stall herein. »Schaamst dich net? Habn s' dich von Holzkirchen an die Fuß' her 'zog'n?«

»Ja, Sepp, bist schon da! Wie ist's 'gangen?«

»Guat 'gangen ist's,« antwortete Sepp, ohne die Augen von Peter zu verwenden. »Aber das kranke Blümel Blümel – Name einer Kuh muß sein Trankel kriag'n. Und da muß mir der Peter helfen.«

Der andere folgte dem Mahner verdrießlich in den Stall. »Ich trau' dem Peter net.« sagte Walpurg voll Eifer. »Ihn druckt was!«

Die Bäuerin glaubte zu wissen, was im Herzen des wilden Burschen vorging. »Was soll er denn haben?« fragte sie verlegen.

»Daß der Vetter lustig war, ist g'wiß verlogen. Aber dem Schaarenschleifer glaub' ich. So freudi sagt man keine Lug'! Noch die Wochen kommt der Fried' ins Land!«

Plötzlich kniete die Bäuerin vor dem Hausaltar und streckte die Hände zu dem Madonnenbild unter dem Kreuz. »Heilige Mutter Gottes, erweis' uns die Gnad'! Aber bald – bald! sonst ist's für mich zu spät.«

Walpurg schaute scheu auf die Verzweifelte. Das Unglück hat die stolze Apollonia ganz verwandelt. Aber kehrt denn das Unglück zum erstenmal bei ihr ein? Hat sie nicht schon ein Kind begraben? nicht ihren Mann auf so schreckliche Weise verloren? Und doch nach dieser harten Schule so völlig fassungslos!?

Loni stand auf. Sie las die Verwunderung in den Augen des Mädchens und versuchte eine Ausrede.

»Du hast mich mit deinem Verdacht gegen Peter ganz verstört. Wenn er's nit gut mit uns meint, was soll aus uns werd'n! Er ist ja unsere einzigste Hilf'.«

»Die Frau Tant' hat ihm früher doch selber net 'traut!«

»Warum soll sich ein Mensch nit bessern können? Ist er nit arbeitsam? Hat er, seit er bei uns ist, auch nur ein einzig's Mal g'rauft? – Und die Mädeln,« setzte sie stockend hinzu, »die Mädeln laßt er auch in Ruh'! Na, na, Walpurg, so darfst du net von ihm reden. Nimm mir meinen letzten Glauben net! Ein liederlich's Frücht'l ist er freili g'wesen, aber uns ist er treu.«

Sie setzte sich auf ihren Platz am Herd und starrte in Gedanken vor sich hin. Dann sagte sie – und es klang wunderlich nach ihrem leidenschaftlichen Ausbruch vor dem Kreuz:

»Wenn doch die Ratschkatl kommen möcht'!«

»Die lügt auch,« versetzte Walpurg trocken. Sie warf einen Blick durchs Fenster. »Das Blümel ist störrisch. Die gibt dem Peter zu tun. Ich lauf' g'schwind ins Dorf. Der Regen hat aufg'hört. Da werden doch Leut' auf der Straßen sein. Vielleicht kann ich was erfahren.«

»Ich bitt' dich um Gottes willen, geh net fort! Ich darf net – ich will net allein bleiben!«

Es war das erstemal, daß die Bäuerin ihre Verwandte um etwas bat. Wie unglücklich und verlassen mußte sich die Frau fühlen! Walpurgs dankbares Herz schlug der Leidenden wieder entgegen. Das Geständnis lag ihr auf den Lippen: Ich sorg' mich und leid' um Max wie du – ich hab' ihn lieber als alles auf der Welt! Gib uns deinen Segen! Und wie's kommen mag: Du bleibst meine Mutter und ich dein Kind!

Da klatschte eine Peitsche. Sepp trieb die Ochsen aus dem Stall. Die Bäuerin trat ans Fenster, und ihre Gedanken nahmen eine andere Richtung. Loni sah das Feld, das heut' geackert wird, sah Stück für Stück ihr ganzes Gelände, als ob es vor ihren Augen läge.

»Ich bin nit die einzige, die Unglück hat,« sprach sie, als sie wieder am Herde saß. »Andre Leut' trifft's auch. Was fangt die Pfaundlerbäurin jetzt ohne ihren Karl an? Heut' nacht hab' ich von dem armen Buab'n träumt und ihn als Hochzeiter g'sehn. Das bedeut' nix Gut's. Wenn der Pfaundler Karl im Feld umkommt, erbt seine Schwester, die Resi, den ganzen Hof. Das war' was für meinen Max.«



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