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Auf halbem Wege zu den Freunden im Isarwinkel kehrte Raufpeter um. Die Ankunft des jungen Seebacher auf dem Hof machte ihn stutzig. Wenn der jetzt ins Dorf um Hilfe liefe!! Die Talkirchener sind langsam, aber möglich wär's doch, daß das Nest an der Isar belagert oder wenigstens bewacht würde, während Peter bei den Kameraden ist. Und dann ist's aus mit der Rach'! Er wird lieber sterben, als sich ergeben, aber die andern – Auch zu einem Handstreich am hellen Tag folgen sie ihm nicht. Ihn reizte von jeher mehr die Gefahr als der Gewinn; er ist der richtige Räuberhauptmann, der nicht Tod und Teufel fürchtet, die andern sind nur Spitzbuben.
Er muß warten, bis es dunkelt. Warten mit der sengenden Wut und fressenden Rachgier im Herzen!
Er riß sein Hemd auf und bohrte sich die Fingernägel in die Brust. So nah' am Ziel schmettert's ihn hinab! Der Friede verdirbt ihm alles, was Berechnung und Zufall so schön zurecht gelegt. Seine schwankenden Wünsche verwechselte er jetzt mit klaren Entschlüssen. Er hätte den Panduren den jungen Seebacher samt den Spießgenossen verraten. Da macht man Frieden in Wien!... Du! du! knirschte er und schüttelte die Faust gegen den Himmel.
Aber ist es denn schon zu spät?
Ein Tropf, wer seine Sach' aufgibt, wenn nit alles so geht, wie er will! So lang' der Peter nit an Hand' und Fuß' ein Krüppel ist, so lang' ist nix verloren. Heut' heißt's: Feurio, Mordio!
Und er sah schon Wald und Himmel in der roten Lohe.
Mit sich einig, umging er den Hof und begab sich nach Talkirchen.
Im Dorf war's wieder so still, wie in der schlimmsten Zeit. Ein paar Bübchen spielten vor einem Bauernhaus mit einem hölzernen Rössel, das nur noch zwei Beine, aber vier Räder hatte. Beim Anblick Peters ließen die Kinder ihr Spielzeug im Stich und liefen schreiend ins Haus, so wild und verstört sah er aus. Peter drückte auf die Türklinke beim Bader. Die Tür war verschlossen.
Vor der offenen Kirche stand ein Häuflein Bauern, alle barhäuptig und horchend, die einen den Kopf seitlich geneigt, andere mit gestrecktem Hals. Als Peter über den leeren Platz ging, vernahm er die wohlbekannte Stimme des predigenden Pfarrers in der Kirche, sah auf einen Augenblick die Kerzenflämmchen im dämmerigen Hintergrund.
»Die Fratzen vorhin haben den Klaubauf g'merkt; ob die frommen Lampeln da drin wittern, daß der Wolf vorbei geht?«
Im Hausflur beim Wirt saßen ein paar Panduren an einem Bierfaß und würfelten; zwei andere, von kleinem Wuchs, aber verwegenem Aussehen, waren Zuschauer. Diese beiden waren Peter bekannt. Ich hab' Glück, dachte er, die zwei Wildkatzeln können Deutsch beinah' wie ich.
Er wurde von seinen Bekannten nicht eben warm empfangen. Die Spieler würfelten nach einem Blick auf Peter ruhig weiter. »Kommte zu fruh. Isse Predigt – nix Bier! Diese Bauerlimmel verfluchtige sein ibermutig seit heite fruh. Aber sinme noch nicht furt. Vier Mann mit vier Flintel, acht Pistol und vier Säbel fürchten sich nit. Macheme ganzes Dorf tot, wenn muxen.«
»Übelauf? Da passen wir z'sammen. Mich derreißt die Wut. Warum spielt's net auch?«
Der Soldat zeigte seine leeren Hosentaschen. »Hamme kein Moos. Isse Hundeleben. Bauer seiniger wird's erfahren. Isse noch nit heim?«
Die Spieler, in Streit geraten, brüllten und fluchten derartig, daß der Hofhund draußen rebellisch wurde und zu kläffen anfing.
»Gehn wir ins Hinterstübel,« sagte Peter zu seinen Bekannten. »Der Hausknecht laßt mit sich reden. Bier oder Schnaps – eins ist alleweil zu haben.«
Während der Zank der beiden Spieler fortdauerte, ließen sich die drei in einer kahlen Hinterstube nieder. Das Gebell des Hofhundes ging in ein Heulen und Winseln über. Das Tier, an der Kette zerrend, lief hin und her. »Der Thras hat mich g'merkt,« sagte Peter, »das Viech hat mich gern.« Und plötzlich war der Raufbold aufgeräumt und guter Dinge. Freigebig war er immer, und da außer dem zugänglichen Hausknecht niemand in der Wirtschaft war, gab es Bier und Branntwein die Fülle. Der Fensterladen war geschlossen, doch durch einen breiten Spalt brach der Sonnenschein herein, streifte am runden Tisch das blatternarbige, verkniffene Gesicht des einen Panduren und die kupferrote Habichtsnase des andern und setzte Peter ganz ins Helle. Das mehlbestaubte Kraushaar und der wirre Bart entstellten ihn nicht allein, die Leidenschaften, die seit einer Stunde in ihm wühlten und ihn marterten, verzerrten und alterten sein Gesicht. Er sah wie ein verzweifelter Spieler aus.
Erst hatte man gespaßt und gelacht, jetzt steckten sie die Köpfe zusammen und dämpften ihre Stimmen.
»Und ich sag' euch, er ist gestern auf dem Hof gewesen und ist heut' noch dort. Und wenn's mit dem Frieden seine Richtigkeit hat, könnt's abziehen wie ein begossener Pudel, und der junge Seebacher und jedes alte Weib und die Kinder im Dorf machen a lange Nasen hinter euch her!«
»Schießenme!«
»Das darfst nimmer. Heut' müßt's g'schehn, jetzt muß 's g'schehn, oder ihr seid die Petschierten!«
Der Blatternarbige kraute sich hinterm Ohr und blickte auf den Kameraden, der den Mund nur zum Trinken auftat. Dann sprach er bald ungarisch, bald tschechisch auf ihn ein.
Den Soldaten war nicht wohl in ihrer Haut. Ihr Hauptmann kam von München nicht zurück und sandte keine Ordonnanz. In der Stadt hatten auch sie die Friedensgerüchte gehört; die veränderte, die drohende Haltung der Dörfler erschien ihnen eine Bestätigung. Auf einem solchen Posten stille liegen, ist schwer.
»Isse Frieden, isse Konskription aus und Amen.«
»Frieden! – himmelherrgottsakra! Wir haben ihn noch net, und wenn ich Enk (euch) den Buab'n verrat', müßt's ihn fassen oder es seid's Hasenfuß', und ich pfeif auf die ganze Armee!«
»Und Mutter seiniges is reich?«
»In einem heimlichen Kastel unterm Hausaltar liegen die harten Taler – ein paar tausend g'wiß!«
»Dlazoci!« Zigeunerisch: Silbergeld. sagte der Gesprächige, »Toler,« der Ungar, und beider Augen funkelten.
»Und Bibi Bibi = Muhme. – Mädel isse schön?«
»Ein bildsaubres Dirndel! Eh' man ein Vaterunser bet't, ist alles g'schehn. Der Bua wird – Kinderg'spiel! – 'bunden, und 's Türl machen wir zu. Und das Haus und was drin ist, g'hört uns, bis Nacht werd. Und dann marsch mit dem Buab'n nach München! Und ich geh' mit, denn daß ihr's nur wißt, ich bin auch einer, den ihr g'jagt und net derwischt habt! Aber itzunder stell' ich mich freiwilli, denn wenn Fried' werd in Bayern – unter Schlafhauben mag i net leben. Gelt, da macht's Augen! Aber ich sag' euch: der Raufpeter ist mehr wert als zehn Seebacher!«
»Gehnme!«
»Und die zwei im Flez?« Flez = Flur.
Der Blatternarbige verleugnete aus Habgier seine Kameraden. Das seien Dickhäuter, zu einem kühnen Handstreich nicht zu brauchen. Und da sich zwischen den Spielern draußen eben wieder ein mörderischer Streit erhob, nahmen die drei ihren Weg durch das Fenster. Peter führte seine neuen »Brüderln« auf Feldwegen hinterm Dorf in den Wald.
In der Kirche war die Gemeinde beim Rosenkranz.
Nach dem Abzug Peters war im Seebacher Hause guter Rat teuer. Sepp ließ sich nicht blicken.
Wenn Max ins Dorf ginge, um Hilfe anzurufen, fürchteten die Frauen, daß ihn Peter überfalle, Max hinwieder wollte die Frauen nicht allein lassen. Ebensowenig gab er einen zweiten Gang Walpurgs zu. Brachen sie gemeinsam auf, war ein Überfall nicht ausgeschlossen oder dem Wüterich der Hof preisgegeben.
»Da sieht man, wie weltverlassen wir da außen sind,« jammerte Loni. »Auf dem Hof liegt das Unglück. Sobald 's Frieden werd, verkaufen wir ihn und ziehn nach Talkirchen.«
»Den Seebacher Hof! Mutter, wo denkst du hin! Net um ein G'schloß! G'schloß = Schloß. Es wird alles gut ausgehn, und die Welt wird wieder friedli und schön sein. Und dann heirat' ich mein Schatzerl –«
»Ich bitt' dich um Gottes willen! red mir jetzt nix von Liebschaften! Bet'n wir! – Ich hab's Zittern noch in allen Gliedern. Heiliger Christus, wenn nur der Sepp käm'!«
»Vielleicht ist er in der Gruben. Er halt's mit dem Peter.«
»Glaub dös net! Du tust dem armen Hascher unrecht. Mit aufg'hobenen Händ' hat er mich heut' – Jesses, da kimmt der Peter wieder!«
Max konnte die Mutter beruhigen – sie waren jetzt in der Wohnstube – weder Freund noch Feind zeigte sich.
Zwei bange Stunden vergingen; für das Liebespaar freilich hatten auch sie ihre Seligkeit.
»Was läuten s' denn in Talkirchen?« brach die Bäuerin ein langes Schweigen. »Jetzt ist doch kein Rosenkranz net?«
»O ja! Ich hab's ganz vergessen zu sagen. Wie ich im Dorf war –«
»Pst! Pst!« Max wandte sich vom Fenster ab zu den Frauen. Er war kreideweiß. »Einer schleicht am Stadel hin zum Tor – ein Rotmantel – er muß hinten über die Mauer sein – der kommt net allein! – Er macht 's Tor zu –«
Apollonia brach in die Knie. Ihr Sohn zog sie empor. »Jetzt in die Kuchel – die Gitter am Fenster und die Türen san fest!« Er drängte die Frauen vor sich her in die Küche und verriegelte hinter sich die Tür.
»Wann's nur Rotmäntel san – all's geb' i her, mei Gut und mei Geld!«
Da zitterte das Haus von einem gewaltigen Stoß gegen die Haustür.
»Das is der Raufpeter!! Mutter! die Walpurg und ich – gib uns deinen Segen – jetzt geht's um Tod und Leben!«
»Gott verzeih' uns unsre Sünden! Gott erhalt' uns einander, meine Kinder!«
Sie sanken sich in die Arme, dann stellte sich Max vor die Frauen in den Hintergrund am Herd und hob sein Gewehr. »Max!« sprach eine Stimme hinter ihm, »es gibt nix anderes: mit dir leben, oder mit dir sterben!«
Einem zweiten Stoß folgte ein dritter, und die Haustür ging in Trümmer. Max stand schußbereit, Walpurg, in der Rechten ein Beil, trat rasch neben ihn, wahrend die Bäuerin mit starren Augen, wie von Sinnen, immer: »Jesus, Maria und Josef! Jesus, Maria und Josef!« stammelte.
»Isse kaiserliche Kummission!« rief eine Stimme im Flur; »aufg'macht!«
»Ergib di!« tönte Peters heisere Stimme.
»Schuft elendiger!« antwortete Max. »Hast vergessen: liaber boarisch sterben, als kaiserlich verderben! Lebendig sollt's mi net kriag'n. Aber vor mir werd ein andrer hin. Komm eini, du Lump, und i schieß'.«
»Spatzen magst schießen, aber net mi.« Und mit einem Fußtritt sprengte der Raufbold die Tür. Seebacher drückte los, doch der Flintstein versagte. Im nächsten Augenblick stürzte sich Peter auf ihn, Max fiel rückwärts und das Gewehr entsank ihm. Aber im Sturz riß der Jüngere den Raufbold mit sich und gewann mit der Kraft der Verzweiflung auf eine Sekunde die Oberhand. Dann schäumend, brüllend vor Wut packte ihn Peter mit dem linken Arm, schleuderte ihn zur Seite, zog mit der Rechten blitzschnell sein Messer – da krachte ein Schuß, und der Raufbold, in die Schläfe getroffen, brach mit einem Schrei auf dem Leibe seines Gegners zusammen.
Als Max stürzte, hatte Walpurg das Beil fallen lassen und das Gewehr ergriffen; sie springt auf den Herd, legt an und schießt im entscheidenden Augenblick.
Jetzt erst, nach dem Schutz, erschienen die Rotmäntel auf dem Schauplatz; sie hatten das »Kinderg'spiel« dem neuen Kameraden überlassen, und sowie die zweite Tür einbrach, mit genauer Lokalkenntnis die Wohnstube geöffnet und sich über den Hausaltar hergemacht. Noch war die Küche voll Pulverdampf, noch waren sie unschlüssig, als ein hundertstimmiges Geschrei im Hof, im Flur sie erschreckte.
Sepp, Gottlieb, Meindl stürzten herein, ihnen nach Alte und Junge. Im Nu waren die Räuber auf dem Boden, entwaffnet und gebunden.
Während die Bäuerin rasch sich erholte und die Glückwünsche der Männer, die immerhin als Retter erschienen waren, mit bescheidenem »Gott vergelt's Ihnen!« erwiderte, hing jetzt Walpurg, über ihre Tat erschüttert, ja entsetzt, in Weinkrämpfen an Maxens Brust. »Ich dank dir mein Leben,« sagte Max innig.
»Ich glaub' schon, daß es hat sein müssen, aber den Knall werd' ich zeitlebens hören und den schrecklichen Menschen, wie er hing'fallen is, nimmer vergessen!«
»Aber Burgel,« tröstete ihr Vater, »wenn wir Soldaten lebenslang an die Schlachtfelder und unsre Arbeit dort denken müßten! Warum soll denn ein Mädel net kuraschiert sein? Jetzt bist erst recht mein Herzkäferl!«
»Du hast's aus Notwehr 'tan!« sagte Meindl. »Weder ein Richter, noch irgend ein anderer Mensch wird dir unrecht geben. Es ging um eines Ehrlichen Leben und um deine Ehr'!«
»Das schon, aber besser wär's halt doch g'wesen, wenn der Vater früher kommen wär'!«
»Nit grübeln, wir wollen Gott dafür danken, wie's kommen ist – und den braven Sepp nit vergessen!«
Sepp kniete an der Leiche, deren Kopf und Brust man mit einem Tuch bedeckt hatte. Und jetzt warf sich Walpurg an der Seite des Treuen nieder und betete für die Seele des ungetreuen Knechtes, den ihre Hand gerichtet hatte. Dann ließ sie sich ins Freie führen.
Inzwischen war der Arzt, der im Talkirchener Siechenhaus den falschen Franzosen behandelte, angekommen, und ein flinkes Bürschlein kam mit der Nachricht vom Isarwinkel, daß sich die Bande ohne Widerstand Plinganser und den Seinen ergeben hätte, und der Zug mit den Gefangenen bald eintreffen werde.
Über allem dem war der Abend angebrochen, und der Himmel leuchtete in Gold und Purpur. Da zitterte ein tiefer Ton – wie die tiefste Note einer mächtigen Orgel – durch die Luft. Den Ton kannte jeder Münchener: die Bennoglocke! Alsbald fielen andere Glocken, tiefe und helle, ein: von der Stadt her hallte festlich, feierlich der Hymnus. – »O Freunde, horcht! horcht!« schrie Meindl, »dies Geläut –«
Da donnerte dumpf ein Kanonenschuß. »Der Frieden ist verkündigt!«
Alle warfen sich auf die Knie.
Aber dann unermeßlicher Jubel! Auch in Talkirchen begannen die Glocken zu läuten, Böllerschüsse knallten, und das Freudengeschrei der Bevölkerung mischte sich in den Lüften mit dem Ruf der Studenten:
»Frieden! Frieden!
Hoch Max Emanuel!«
– – Bei dem Toten waren nur der Arzt und Sepp. Nach den Aufgaben und Ereignissen der letzten Tage konnte das Gehirn des armen Menschen die neue Prüfung nicht mehr bestehen. Als der Arzt das Tuch von dem stillen Mann wegnahm, der jetzt wieder und mehr als je im Leben dem Lorenz Seebacher ähnlich sah, vergaß Sepp seinen Groll, vergaß die letzten Begebenheiten und ihren Zusammenhang überhaupt. Das Geläute, Schießen, das Abendrot, das wie Feuerschein von außen hereinbrach, verwirrten ihn vollends. Er glaubte sich wieder in Sendling. Mit einem irren Blick aufwärts hob er flehend die Hände:
»Weihnacht ist da; es läut't zur Metten,
Wir aber woll'n die Kinder retten.«