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Eine Schlinge wird gelegt

Im Zollhaus warteten Erdmann, Bandow und Rieselang auf die Ankunft des Inspektors Mayerhofer. Am Vormittag hatte er angerufen und mitgeteilt, er werde noch vor Abend in Oberlomnau eintreffen.

»Wenn der Inspektor selber kommt, ist bestimmt was los«, meinte Rieselang und sah zum Fenster hinaus auf die Zollstraße.

Er sollte sich nicht getäuscht haben, denn Mayerhofer brachte wichtige Nachrichten mit. »Ich muß sofort nach Friedland weiterfahren, deshalb kann ich Ihnen nur ganz kurz und bündig einige Anweisungen geben. Einzelheiten arbeiten Sie dann selbst aus, Herr Erdmann.«

»Jawohl.«

»Wie geht es übrigens Ihrem Jungen?«

»Alles wieder in Ordnung, Herr Inspektor.«

»Freut mich. – Also, meine Herren, kommen Sie, bitte, mal her!«

Mayerhofer trat an den Tisch und breitete eine Karte aus, auf der an verschiedenen Stellen rote Kreuze eingezeichnet waren. Er beugte sich über das Blatt und verband zwei der Kreuze mit einem grünen Strich.

»Das wäre Ihr Bezirk. Von Regnitz bis zur Andreasbaude soll die Grenze in den nächsten Tagen besonders scharf überwacht werden. Beamte des Zollfahndungsdienstes konnten mehrere wertvolle Feststellungen machen. Es wird vermutet, daß ein Fremder, der sich vor Monaten hier in der Nähe niedergelassen hat und den harmlosen Händler spielt, den gesamten Schmuggel längs des Gebirges organisiert. Damit er selbst nicht weiter auffällt, hält er sich vollständig im Hintergrunde. Deshalb begnügt er sich offenbar gerade in Ihrem Bezirk mit kleineren Sachen. Wo man wohnt, will man bekanntlich in Ruhe leben.«

»In unserem Bezirk?« fragte Erdmann etwas erstaunt.

»Ja. Er wohnt in einem verlassenen Haus in Panitz, das er erst kürzlich von der Forstverwaltung gemietet hat. Vielleicht helfen ihm Leute aus der Umgebung bei seinen Geschäften, ich weiß es nicht, könnte es mir aber denken. Es handelt sich jedoch, wie ich vorhin schon sagte, um keine weltbewegenden Sachen, die hier über die Grenze gebracht werden. Dies zu Ihrer Beruhigung. Aber – und jetzt kommt die Hauptsache – der Kerl steckt überall seine Finger in verbotene Geschäfte, vielmehr, er zieht sie erst auf. Seine Helfer, die er darüber begreiflicherweise im unklaren läßt, ahnen vielleicht gar nicht, wer er ist und was er treibt. Das soll uns wenig angehen. Mitgegangen, mitgehangen! Allerdings kommt es mir mehr darauf an, diesen Likasch zu erwischen. So heißt er nämlich. Ob es sein richtiger Name ist, erscheint fraglich.«

»Das wird schwer werden, Herr Inspektor«, sagte Erdmann. »Solche Burschen schicken immer die anderen vor, und wenn man sie nicht auf frischer Tat ertappt, ist guter Rat teuer, da leugnen sie das Blaue vom Himmel herunter.«

»Ich weiß es«, fuhr Mayerhofer fort. »Irgendwo haben aber auch diese Schlauberger eine verwundbare Stelle, und wenn der gute Likasch gerissen ist, müssen wir eben noch gerissener sein. Vermutlich wird er eines Tages verduften und anderwärts auftauchen, um dort seinen unsauberen Handel von neuem anzufangen und Dumme zu suchen, die ihm helfen. Die gibt's ja leider überall. Nun hat er sicherlich in den letzten Monaten eine Menge Geld zusammengescharrt. Er wurde nämlich von uns heimlich überwacht, wenn er sich in den Grenzorten aufhielt. Dort kam er hin und wieder mit Leuten zusammen, denen er Geld auszahlte. Auf eine Bank oder Sparkasse tragen solch dunkle Gestalten ihre Gelder nie, das ist ihnen viel zu gefährlich, weil es auffällt.«

»Sie meinen, er hat es bei sich?« fragte Bandow.

»Ich glaube es bestimmt. Wo sollte er es sonst verstecken? Schmuggler sind argwöhnisch. In Geldsachen trauen sie keinem, auch ihren besten Freunden nicht.«

Erdmann überlegte vergeblich, wieso gerade das Geld dieses Likasch so wichtig sein sollte. Wenn man ihn nicht beim Schmuggeln abfing, war ihm schwerlich etwas nachzuweisen. Er sagte es auch dem Inspektor. Seine beiden Kameraden äußerten ebenfalls ihre Bedenken. – »Ganz recht«, entgegnete Mayerhofer, »mit dem Geld an sich können wir den schlauen Fuchs kaum in die Falle locken, solange es bei ihm ist, das Geld.« – Die drei Zollbeamten wußten nicht recht, was ihr Vorgesetzter damit sagen wollte.

»Hören Sie zu! – Dieser Likasch hat im Dorf Freunde oder Bekannte oder wie man sie nun nennt. Durch sie erfährt er bisweilen, was an der Grenze vor sich geht, ob da und dort die Wachen verstärkt werden und so weiter, kurzum, er sieht sich dann vor und richtet sich nach diesen Auskünften. Nun hat sich ein Beamter der Zollfahndungsstelle Kaltenstein schon vor Wochen mit einem von Likaschs Bekannten angefreundet, einem ganz harmlosen Weber, der manchmal mit dem Schmuggler im Wirtshaus sitzt. Der Weber wohnt in der Nähe der Grenze und sieht halt dies und jenes. Das erzählt er dann so beiläufig im Wirtshaus oder Likasch horcht ihn aus. Vielleicht denkt sich der Weber gar nichts dabei. Also, diesen gesprächigen Mann hat sich der Beamte vorgeknöpft, ohne sich natürlich zu erkennen zu geben. Gestern beim Panitzer Kirchweihfest saßen sie wieder beisammen und, wie das so ist, wurde viel gegessen und getrunken. Likasch war auch dabei. Der Beamte sitzt nun als gemütlicher Wanderer, der sich zur Erholung in der Gegend aufhält, mit unter den Gästen und gibt sich den Anschein, als hätte er schon ein Glas zuviel in die Kehle gegossen. Dabei – ich müßte mich in unserem Wissel sehr täuschen – war er bestimmt einer der Nüchternsten von allen.«

»Wissel? Den kenne ich gut, er ist ein Landsmann von mir«, warf Erdmann ein. »Wir gehörten im Felde zu einer Kompanie. Man kann sich auf ihn verlassen, namentlich wenn es sich um kniffliche Dinge dreht.«

»Hören Sie weiter. – Unser Wissel erwähnt in solch vorgerückter Stimmung nebenbei, sein Bruder wäre Beamter im Zollamt Kaltenstein. Dabei prahlt er absichtlich, was er nicht alles von seinem Bruder wüßte. Dann erzählt er zwischendurch wieder etwas anderes und bringt zuletzt das Gespräch auf Panitz. Da soll wohl geschmuggelt werden, hätte er gehört, und einer von den Panitzern wäre besonders verdächtig. Am Mittwoch bekämen die Grenzer wieder Verstärkungen, diesmal besonders viel, und sie würden wohl auch da und dort bei verdächtigen Leuten nachsuchen. Ob man in Panitz nichts davon wisse? Nein? Oh, dann sollten sie den Mund halten und keinem was weiterplappern, denn es wäre eigentlich ein Amtsgeheimnis; er hätte nur zufällig von seinem Bruder davon gehört.«

»Ein toller Kerl, der Wissel!« meinte Erdmann.

»Sie riechen wohl schon den Braten?« fuhr Inspektor Mayerhofer fort. – »Passen Sie auf! Nach Wissels Ansicht wird sich nun dieser Likasch – denn er hat es natürlich mit angehört – aus dem Staube machen, wenigstens für eine Weile. Da ihm der Boden bei uns zu heiß geworden ist, wird er aller Voraussicht nach versuchen, über die Grenze zu gehen, wo man ihn anscheinend weniger kennt. Und es wäre seltsam, wenn er nicht sein Geld und was er sonst noch an wertvoller Ware im Hause hat, mitnähme. Er fragte nämlich Wissel, ob es wirklich zuträfe, daß von Mittwoch ab die Grenzer schnüffeln kämen. Natürlich hätte er ein ruhiges Gewissen; zu ihm könnten die Grenzer Mäuse fangen kommen, etwas anderes würden sie nicht vorfinden. Merkwürdigerweise schien ihn aber doch die Nachricht zu beunruhigen, denn kurz darauf verschwand er aus dem Dorfkrug und ließ sich den Abend über nicht mehr blicken.«

»Das war gestern beim Kirchweihfest?« fragte Erdmann.

»Ja, und in einer Stunde, sofern es einigermaßen dunkel ist, erhalten Sie zwanzig Mann Verstärkung.«

»Zwanzig Mann? – Ich denke am Mittwoch?«

»Heute schon? Wir haben doch erst Montag.«

Mayerhofer lächelte. Er beugte sich wieder über die Karte. »Ich gehe aufs Ganze, denn ich glaube, wenn wir den Kerl erst hinter Schloß und Riegel haben, wird diese Art Schmuggelei aufhören. Likasch ist also der Meinung, daß die Verstärkungen erst Mittwoch eintreffen, und wird dementsprechend seine Helfer angewiesen haben, entweder heute oder spätestens Dienstag nacht, die Schmuggelware schleunigst über die Grenze zurückzuschaffen, damit sie bei etwaigen Haussuchungen nicht in unsere Hände fällt. In Panitz hat er kaum viel Ware liegen, aber ich denke, sein Geld wird er auf alle Fälle mitnehmen wollen. Es muß eine ganze Menge sein. Wenn wir ihn damit fassen, ist der Spuk aus.«

Der Inspektor trat einen Schritt beiseite, daß die drei anderen die Karte besser sehen konnten. »Hier, der Weg zur Baude, westlich der Straße, wird besetzt, dann die Fichtenschonung unterhalb der Schwarzen Kuppe, ferner das Gelände um den Steinbruch. Sagen Sie aber den Leuten, die Sie dort hinstellen, sie sollen sich vorsehen, daß mir da keiner hinunterpurzelt. Die Nächte sind nicht mehr so hell wie im Sommer, außerdem wird es sicher wieder neblig.«

»Um so besser«, entgegnete Erdmann, »die Streife am Steinbruch übernehme ich mit zwei Mann selbst. Es muß sich da schon einer auskennen.«

»Gut so. Tut mir leid, Sie für eine Nacht oder zwei in dieses scheußliche Herbstwetter hinauszujagen, aber es nutzt nichts. Sie übernehmen das Kommando, und ich kann mich darauf verlassen, daß es klappt.«

»Jawohl, Herr Inspektor«, sagte Erdmann.

»Was sonst noch zu regeln ist, besorgen Sie selbst. Vor allem, verteilen Sie die Mannschaften geschickt. Am Tage dürfen sie sich keinesfalls in der Nähe der Zollstraße blicken lassen. Sie rücken über die Hohe Lehne aus Richtung Weißwasser an und auf demselben Wege ab. Den Tag über bleiben Sie in dieser Scheune, damit die Leute in den Dörfern nicht erst aufmerksam werden.« – Mayerhofer zeigte auf einen kleinen, schwarzen Punkt am Rande eines Gehölzes, unweit von Weißwasser, ehe er mit einem Blick nach der Uhr seine Karte zusammenfaltete. Die Beamten begleiteten ihn bis zum Schlagbaum, wo der Wagen wartete.

»Haben denn die zwanzig Mann Proviant?« fragte Bandow. »Unter Umständen sind sie doch zwei Tage unterwegs.«

»Alles erledigt. Sie haben mit ihnen nur während der nächtlichen Streife zu tun. Um das übrige kümmert sich der Truppführer, der genau unterrichtet ist.«

»Bandow hat bloß Angst, daß er sein Abendbrot opfern muß«, scherzte Erdmann, der trotz der wenig schönen Aussicht, zwei Nächte um die Ohren zu schlagen, seinen Humor behielt.

»Für zwanzig Mann würde es sowieso zu knapp werden«, verteidigte sich Bandow.

»Sollte irgend etwas dazwischenkommen, so erreichen Sie mich ab fünf Uhr auf Zollstation Fröhlingsdorf«, sagte Mayerhofer, ins Auto steigend.

»Jawohl, Herr Inspektor!«

»Und nun viel Glück!«

»Hoffentlich!« – Die drei grüßten. Der Wagen fuhr davon.


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