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Das erste und heftigste Verlangen der Seele, welches sie nie verläßt, ist Neuheit, und dann Durchschauung, und endlich Vollkommenheit oder Zerstörung der Dinge. Dies treibt die Unsterbliche durch alle Welten. Sie schafft und wirkt, ihre Schwingen sind unermüdlich und verlieren ihre Kraft nie, und sie kann nicht aufhören, sich zu bewegen und bewegt zu werden, so bescheiden gegen sich, daß sie von sich selbst nichts weiß: aber die Iliade zeugt überall genug von Homeren.
Nun ist der Mensch selten in der Lage, daß seine Seele in der Wirklichkeit hienieden nach diesen ihren Neigungen glücklich sein könnte: sie wirft sich also aus Verzweiflung in die Kunst und treibt damit ihr Spiel. Wohl derjenigen, die lange in diesen seligen Träumen hinschwebt, ohne zu erwachen!
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Und durch ewiges Wirken und Gegenwirken ist das All in schönem Leben. Das Wesen äußert immer seine Kraft, so wie immer die Sterne leuchten und umeinander durch die Himmel schweben. Auch wenn wir schlafen, bewegen wir unsern Erdball um seine Sonne. Wie vieles andre mag das Wesen in uns tun, ohne daß wir uns dessen bewußt sind, und wofür die Sinnen keine Sprache haben! Unsre innige Vereinigung mit dem Ganzen herrscht immerfort, und wir sind nur zum Schein ein Teil davon, jedes besondre Ding nur ein Spiel, ein Mutwille des Wesens. –
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Alles Wesen besteht aus unergründlich Kleinem. Was unendlich klein ist, kann nur wenig Kraft und Bewegung haben. Um freier und gewaltiger zu sein, paart es sich mit seinesgleichen und vermehrt sich bis zu Sonnen- und Planetensphären, die sich durch die Himmel wälzen und schweben für uns in unbegreiflicher Fülle von Wonne, paart sich mit seinesgleichen und anderm, was es wie zum Fuhrwerk oder gleichsam Reittier brauchen kann. Und dies hat's auch wieder gut, indem es an der Lust des Edlern teilnimmt und für seinen Dienst reichlich versorgt wird.
Das Zusammengesetzte aber aus Verschiedenem ist in Betrachtung des Einfachen eine wahre Kleinigkeit. Was sind alle Vögel, Tiere und Fische gegen die unermeßliche Luft, das blendende Gewimmel der Gestirne, und gegen Meere und Erden in ihrer ursprünglichen Reinheit? Zusammengerottete winzige Sonderlinge! Die großen Massen allein leben und schweben in ewiger angestammter Wonne und Glückseligkeit: nur wir Heterogenen leiden und sind elend und plagen uns mit unsrer Erhaltung, immer in der jämmerlichen Furcht zu vergehen. Mitteldinger zwischen Sein und Nichtsein! Zusammengeballte Grenzen des Verschiednen! Die sich mit Träumen plagen und ihre eigentliche Natur nicht finden können, und auf das kranke Gewinsel zerrütteter Kreaturen horchen, da uns das ewige Licht in die Augen blitzt, Meere in die Ohren rauschen und alles augenblicklich in uns strebt, sich mit dem großen Mächtigen wieder zu vereinigen.
Bei solchem Einfachen gibt's kein Teilchen, jedes, wenn man sich es auch denkt, gehört so zum Ganzen, daß das Ganze zusammengenommen nichts bessers ist. Das Teilchen wie das Ganze und das Ganze wie das Teilchen, eins wirkt und regt sich wie das andre, jedes Gefühl blitzt durch das ganze All. Was das eine angeht, geht auch das andre an, es ist eins so mächtig, so ungeheuer und unermeßlich groß, wenn man eine solche Größe annehmen will, wie das andre. Die Meere und Tiefen von ursprünglichen Elementen sind es, woraus wir immer neu strömen und zusammenrollen, und unsre Urnatur ist unendlich göttlicher und erhabner als das augenblicklich zusammengeballte Eins verschiedner Kräfte, nach dem hohen Plato nur eine Stockung im unsterblichen Fluß der Glückseligkeit.
Aber daß etwas sein muß, was das Weltall zusammenhält, ist wohl klar genug! eine unbekannte Ursache an und für sich, doch bekannt in ihren Wirkungen, ein Wesen, das die andern Elemente zusammenbändigt von ihrem Schlafe zum Leben, zur Existenz, zur Harmonie und Einheit.
Wenn ich meinen Körper betrachte, und bedenke, daß ich ihn selbst soll zusammengearbeitet und gebildet haben, und doch nichts davon weiß, oder welches einerlei ist, daß das erste Menschenpaar dies soll getan haben, so dünkt mir augenscheinlich, daß ich nicht von mir selbst abhänge, und daß eine unbekannte Ursach im Spiel ist. Anfang und Ende ist für keines Menschen Kopf; und ebenso unbegreiflich, wie verschiednes ein lebendiges Eins macht. Unsre offenbare Willkür, der vorherbestimmte Endzweck aller unsrer Sinnen zum Beispiel, das Forterhalten der Gattungen, bleibt unerklärlich und übersteigt die feinste Philosophie.
Wir erkennen uns bloß als Zusammensetzung, als Wirkung und nicht als Ursache. Bei uns ist sie mit unserm Verstand eins, und es findet da kein Gezweites statt; bei andern Dingen läßt sie vielleicht den Sonnenstrahl, sowie ihn unser grobes Auge blickt, nicht in ihre Verborgenheit. Rein existiert sie bloß in ihrer ursprünglichen Vortrefflichkeit, schwebt im Genuß ihrer selbst: und vermischt erkennt sie nur die Vermischung.
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Bewegung und Berührung, Wesen und Form, Bewußtsein und darin entstehender Gedanke, dies ist das äußerste, wohin wir reichen.
Wie das Wesen Form wird und sich in unendliche Gestalten verwandelt? durch Ausdehnung und Anziehung, auf eine uns freilich unbegreifliche Weise, die wir jedoch durch die ganze Natur wahrnehmen und Forscher bis auf den Embryo verfolgen, wo sie Sinn und Erfahrung verläßt.
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Alles Wesen macht sich los, sobald es in irgendeiner Verbindung keine Lust mehr hat. Freiheit oder mit seinen Kräften nach Vergnügen zu schalten und zu walten, ist sein Element. Substanz kann von keinem Gott genommen, nicht vernichtet werden, sie ist undurchdringlich.
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Das ist eine ganz andre Hoffnung, Sicherheit von Unsterblichkeit, wenn ich Stürme durch die Atmosphäre brausen höre und in mir fühle: bald wirst auch du die Wogen wälzen und mit dem Meer im Kampf sein! Wenn ich den Adler in den Lüften schweben sehe und denke: bald wirst auch du in mächtigem Fluge so über dem Rund der Erde hangen, als Komet durch die Himmel schweifen, Sonne, Welten beglücken! und, stolzer Gedanke! wieder in das Meer des «Wesens der Wesen einströmen!
Aber auch das Verächtlichste werden?
Wer weiß alles, woran das Wesen seine Freude hat? Offenbar erscheint es uns in unendlichen Gestalten. Stein und Metall ist vielleicht im stärksten Genuß glücklicher, als der Sonnenstrahl durch die Himmel schießt, an Planeten aufprallt und in die Unermeßlichkeit zerstäubt; Stier und Hirsch und Maikäfer im Lenz-Gefühl der Lust, bei Vergessenheit aller Gedanken und Sinne, ebenso glücklich als Häupter mit Königskronen, Bischofsmützen, Lorbeerzweigen und Herzen mit Ordensbändern. Und dann könnten wir noch für so viel Genuß ein wenig leiden, für so lange Herrschaft kurze Zeit dienen.
Eins zu sein und alles zu werden, was uns in der Natur entzückt, ist doch etwas ganz anderes als das Schlaraffenleben, welches, vernünftigerweise und aller Erfahrung nach undenkbar, bezauberte Phantasien sich vorstellen.
Und warum sollten wir nicht in der ewigen Natur noch verehren, was wir immer wirksam, schön und gewaltig darin empfinden? Die ersten Ausgesandten, Diener Gottes? uns sinnlich vereinigen mit den höhern Schwestern und Brüdern? Nur Verstand von wenigen dringt durch all das prächtige Getümmel durch bis zum Throne des Herrn! «Warum wollen wir die Welt nicht nehmen wie sie ist? – Aber wir alle sind über kurz oder lang mit der Gegenwart nicht zufrieden, und das Wesen trachtet immer nach Neuem.
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Das Leben ist etwas Flüssiges. Es ist also kein «Wunder, daß sich die Menschen täglich, stündlich, ja augenblicklich verändern. Wenn wir jemanden im höchsten Grad seiner Liebe für uns in Marmor verwandeln könnten! Aber wer wollt es aushalten? Drum laßt's gehn, wie es geht, und schickt euch so gut drein, als ihr könnt.
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So müssen wir uns in das Schicksal fügen und dem Wesen gehorchen, das über alles waltet. – Genug, daß wir Leben haben und Menschen sind, wie vieles leidet unter einem härtern Drucke! Wer kennt die Freiheit? Ach, in der Natur ist alles eins dem andern unterworfen. Die Sonne hängt an Ketten, und kein Gestirn kann sich aus seiner Bahn bewegen.
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Der Mond läuft als ein wahres Sinnbild der Freuden der Erde, bald zu-, bald abnehmend und bald verschwindend, um sie herum. Wohl dem, der sie in ihrer Fülle schöpft und genießt.
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Ach! Daß alles bei uns so kurz ist und zerstückelt! In Nacht und Tag abgeteilt und Morgen und Abend, und daß wir den Tag noch mit unserm Mittagsmahl spalten! und immer essen und verdauen, und so wenig leben und Zeit haben, etwas Großes in einem Stück zu vollenden.
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Not ist der Uhrschlüssel, womit die Springfedern des Herzens von neuem wieder aufgezogen werden, und Sturm und Wetter auf der See des Lebens unendlich entzückender als aller Sonnenschein, wenn es vorbei ist.
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Der Mensch ist ein Wesen von Stahlfedern; seine Kräfte müssen immer einen Druck haben, um in Stärke zu bleiben, und dies gibt wunderlich zugleich frohen Genuß bei Leiden.
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Die Erwartung des Übels macht fast allezeit größere Qual als das Übel selbst. Alles Unbekannte wirkt bloß auf die Phantasie, die immer vergrößert oder verkleinert und nie das Maß der Wirklichkeit trifft.
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Auf andre Menschen bauen, heißt auf eines andern Dach bauen, wo man gar bald lästig, und schon ein geringer Grad von Wind zum Sturm wird.
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Das Leben unter vielen Menschen ist ein Gemisch von tausend verschiedenen Lichtern. Wessen Auge, der Natur getreu, nur an eins gewöhnt ist, der wird darin, je schärfer er sieht, desto blinder; wenigstens tun ihm dabei die Augen so weh, daß sie ihm aus dem Kopfe springen möchten.
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Die gewöhnlichen Reden, die man führt, sind Blätter, die der Wind bewegt. Blüte und Frucht erfordern mehr Stille. Doch kann man sie dabei sehen. Auch wohl abnehmen. Und zuweilen wie Samen, zuweilen wie Pfropfreis noch die Blätter mit dem Stiele.
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Was weiß der Mensch von der Zukunft? Was gestern war, ist ihm ja schon ein Traum; und das hatte er doch gelebt. Von der Zukunft hat er weder etwas gesehn noch gehört.
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Der Mensch weiß nie recht, was er will; und wenn er einmal hat, was er gewollt hat: so sieht er, daß es das nicht war. Und so geht all unser Bestreben ins Unendliche. Wir sind nie groß und glücklich, außer wenn wir aus uns selbst verschwinden. O Plato! Du hattest recht: wir sind gefangne Gottheiten. Wohl dem, der seinen Kerker bald durchbrochen.
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Ein echter Einsiedler muß, soviel möglich einem Menschen, gleich sein Gotte, der sich selbst genug ist, und seine Glückseligkeit finden in den großen Massen der Natur, fern von den kleinlichen Leidenschaften der Gesellschaft; muß seine Menschheit ausgezogen haben, und mit tiefer Empfindung der Reihe der organischen Formen der Natur immer in erhabnen Betrachtungen schweben. Vor fünfzig Jahren kann da schwerlich einer hingelangen.
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Das menschliche Geschlecht muß immer der Veränderung unterworfen sein, wenn es glücklich sein soll; ebenso wie der einzelne Mensch. Ein immerwährender Zustand von Glückseligkeit und Unglückseligkeit ist nicht möglich. Die verschiedenen Gesellschaften der Menschen und alles, was darinnen ist, Religion, Staatsverfassung, Moral, Künste, Wissenschaften, werden wie ein Wald angepflanzt und wachsen auf; die Eichen, so lange sie auch leben können, werden doch endlich alt, die Äste sterben ab, sie geben zuletzt keinen Schatten mehr, sie nützen nicht allein nichts mehr, sondern nehmen den jungen Stauden auch ihre Nahrung; der Wald muß abgehauen, wenigstens alle diese verdorrenden Bäume abgehauen und ein neuer gepflanzt werden. Dieses tun in den menschlichen Gesellschaften die großen Genien, die Eroberer, die Alexander, die Cäsarn, die Mahomete, die Sokratesse, Piatone, die Shakespeare, Arioste, Helvetiusse, Voltairen ... – jeder in seiner Sphäre; die Menschheit wird wieder zu ihrem Ursprünge, zu dem glücklichen Stande der Natur zurückgebracht, von dem sie so ausgeartet ist, daß man keine Spur mehr davon finden kann; da muß niedergehauen, niedergerissen werden das alte Werk ohne Barmherzigkeit, da gehören lykurgische Genies dazu, deren Stärke eine gewisse Art von Grausamkeit ertragen kann. – Sie fangen eine neue Ordnung der Dinge an, gleich der wiederkehrenden Frühlingssonne. Die unnützen Mitglieder der Gesellschaft werden ausgerissen, abgeschnitten, das Land wird umgepflügt, Samen hineingestreut, die Alexander sind die Pflüger, die Lykurge säen, die Sokratesse jäten, und die Arioste zäunen das Feld mit Rosen und Myrten ein und besingen die Schönheit der Flur.
Es ist ein gefährliches Werk; die Bären, Wölfe, Eulen und Schlangen empören sich dagegen. Gelingt's, so sind sie Wohltäter der Menschheit; glückt's nicht, so haben sie die Pflichten der ersten der Menschen getan, und sie genießen bei diesem Gedanken einen Grad von Glückseligkeit, an welchen der Blick der Pygmäenseelen nicht reicht. Rousseau, Voltaire, Macchiavell haben in diese Knorpel von verdorrten Eichen bis jetzt nur einige Streiche tun können; die großen herkulischen Genies müssen noch kommen, die sie ganz darniederreißen und was Neues pflanzen.
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Was dem Menschen vor allen andern Tieren eigen ist, das ist die Perfektibilität, oder daß er sich zu immer größrer Vollkommenheit bilden kann und läßt. Und dies geschieht hauptsächlich durch die Gesellschaft. Was wäre jeder einzelne Mensch ohne die Gesellschaft? In der Dankbarkeit, in der Erkenntlichkeit dagegen befindet sich eine der Hauptquellen der Moral. –
Die Vortrefflichkeit der menschlichen Natur erscheint nur im ganzen Geschlecht. Ein Mensch hat nicht Lebenszeit genug, um alles zu tun und zu fassen, was der Mensch vermag. Er wird unwiderstehlich von der Natur zur Gesellschaft getrieben; es herrscht in seinem Gefühl, daß er nur ein Teil von einem Ganzen ist.
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Jedes Wesen darf von Natur um sich greifen, soviel es Macht hat, es sei unter seinesgleichen oder andern Dingen. Du zürnst, daß du gehorchen mußt? Gehorche nicht, wenn du kannst! Daß der Sultan zu Konstantinopel herrscht, da es ihm Millionen Sklaven erlauben, wie kannst du das ihm übelnehmen? Willst du über nichts herrschen? Ist nicht jeder Mensch ein Sultan, wenn er kann? Nicht jedes Tier, wenn es kann? Die Verständigen werden freilich nie gehorchen, wenn sie nicht müssen; und ein despotischer Staat enthält, so klar als zwei mal zwei vier ist, mehr Narren und Dummköpfe in sich als gescheite Leute.
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Mit der Idee von einem vollkommenen Staate kann man leider geschwinder fertig werden als der Wirklichkeit; da legen Grund und Boden, Ursprung und Geschichte des Volks, gegenwärtige Stärke an Leib und Seele, dessen Glauben, Meinungen und Sitten und Nachbarn unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg und kommen lauter unbezwingliche, borstige Ungeheuer zum Vorschein. Hier hast du kurz mein Glaubensbekenntnis; und ich will dir reinen Wein einschenken.
Man betrachtet eine Gesellschaft von Menschen, die man einen Staat nennt, am besten als ein Tier, das von innen Kräfte, Proportion aller Teile haben und gesund sein muß, und volle Nahrung, um für sich auf die Dauer zu existieren und glücklich zu sein, und von außen Stärke, Erfahrung und Klugheit, um sich gegen die Feinde zu erhalten; denn alles von außen, wie Kindern bekannt, ist Feind.
Das Wohl des Ganzen ist das erste Gesetz, wie bei jedem lebendigen Dinge; und jede Staatsverfassung, wo nur ein Teil sich wohlbefindet oder gar abgesondert wäre, ist ein Ungeheuer, eine Mißgeburt.
Ein Despot also, das ist ein Mensch, der ohne Gesetze, die aus dem Wohl des Ganzen entspringen, über die andern herrscht, ist kein Kopf am Ganzen des Staats, sondern ein Ungeziefer, ein Bändelwurm im Leibe, eine Laus, Mücke, Wespe, das sich nach Lust an seinem Blute nährt; oder will man lieber: ein Hirt, weil doch dies das beliebte Gleichnis ist, der seine Schafe schiert und melkt und die jungen Lämmer schlachtet und die fetten alten, wahrlich nicht zu ihrem Besten, sondern zu seinem Besten.
Der Staat ist endlich ein Tier, das seine Gesetze hat weder von Kühen noch Schafen, sondern von der Natur des Menschen, weil er aus Menschen besteht; und kein Mensch ist so über andre wie ein Hirt über seine Herde. Ein vollkommner Staat muß ein Tier sein, das sich selbst nach seiner Natur, seinen Bedürfnissen und Erfahrungen regiert, wie ein Ulysses für sich nach den Umständen und gegen andre.
Eine reine Aristokratie, wo mehrere beständig herrschen nach ihrem Gutbefinden, ohne Gesetze aus dem Wohl des Ganzen, nur mit Gesetzen für ihr Wohl, die sie nach Belieben ändern, ist eine vielköpfige Hyder von Despotismus, viel Ungeziefer auf dem Leibe statt eines.
Ein Staat von Menschen, die des Namens würdig sind, vollkommen für alle und jeden, muß im Grund immer eine Demokratie sein; oder mit andern Worten: das Wohl des Ganzen muß allem andern vorgehn, jeder Teil gesund leben, Vergnügen empfinden, Nutzen von der Gesellschaft und Freude haben; der allgemeine Verstand der Gesellschaft muß herrschen, nie bloß der einzelne Mensch.
Die Lage aber zu erhalten, dazu gehört ein durchgearbeitetes Volk, das sich selbst, seine Kräfte und sein Interesse kennt und sich in einen Punkt vereinigen kann; und selten ist einer, der an der Spitze steht, aus Liebe oder Gewalt imstande, eine andre Verfassung in eine solche umzuändern, geschweig ein Philosoph auf seinem Studierzimmer. Die ursprüngliche Ungleichheit der Menschen und die daraus entspringende äußerliche Ungleichheit der Besitzungen und der Gewalt und des Ansehens machen noch überdies den gordischen Knoten, der durch keine Vernunft an und für sich, ohne Rücksicht auf die jedesmalige Verfassung, aufzulösen ist. Nur ein Dichter kann auf einmal Tausende und Millionen von Menschen wie überein gedrechselte Maschinen in einen Raum, wo kein Grad der Breite von Europa, Afrika, Asien und Amerika ist, hinstellen und in beliebige Ordnung bringen.
Was für Mühe kostete es nicht dem römischen Volke, das in dieser ersten Kunst über alle Nationen hervorragt, ehe es sich von der Gewalt der Könige losmachte und hernach durch seine Tribunen die Aristokraten bändigte? Oh, es ist dem Menschen so süß, über andre zu herrschen, deren Knaben und Töchter und Weiber sich aufwarten zu lassen, ihren besten Wein zu trinken, ihre besten Früchte, ihr bestes Gemüs und Fleisch zu schmausen, sie im Sonnenbrand arbeiten zu sehen und selbst im kühlen Schatten zu faulenzen, sie unter den Schwertern und dem donnernden Geschütz der Feinde zu wissen, wenn junge zarte Dirnen ihm sorgsam die Fliegen wegwedeln! ...
Sie haben allerlei Blendwerk von Beschönigung ausersonnen, worunter das täuschendste ist, dem Staate Ruh und Ordnung zu verschaffen und behende Stärke zu geben, und stellen sich an, als ob sie nur dessen erste Diener wären und große Lasten auf sich trügen. Wie ist aber ein Bedienter, dem niemand befiehlt, der keinen Herrn über sich erkennt! Wie ist ein Bedienter, der nach Gutbefinden Gesetze macht und gibt und keins annimmt, nach Willkür ohne Gesetze straft? Gesetzt auch, Ruh und Ordnung – ist dies Glückseligkeit? Im Kerker ist auch Ruh und Ordnung.
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Kraft zu genießen oder, welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Ding sein Recht; und Stärke und Verstand, Glück und Schönheit den Besitz. Deswegen ist der Stand der Natur ein Stand des Krieges.
Das Interesse aller, die sich in eine Gesellschaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, stiftet Gesetze und innerlichen Frieden; alles richtet sich dabei, wie bei jedem andern lebendigen Ganzen, immer nach den Umständen.
Der beste Staat ist, wo alle vollkommne Menschen und Bürger sind; und diesem folgt, wo die mehrsten es sind. Hier wird kein Nero gedeihen! Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher sein und seines Staats Rechte kennt und ausübt.
Jedes hat fürs erste das Bedürfnis zu essen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung sich zu schützen und zu sichern, die Wahrheit von dem Notwendigen einzusehen, und wenn es mannbar ist, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, sich dieses friedlich zu verschaffen, so darf es dazu die äußersten Mittel brauchen; denn ohne dasselbe erhält es weder sich, noch sein Geschlecht.
Wirkliche (nicht bloß eingebildete und erträumte) Glückseligkeit besteht allezeit in einem unzertrennlichen Drei: in Kraft zu genießen, Gegenstand und Genuß. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen, verstärken und verschönern ...
Die höchste Weisheit der Schöpfung ist vielleicht, daß alles in der Natur seine Feinde hat; dies regt das Leben auf! Sterben ist nur ein scheinbares Aufhören und kömmt beim Ganzen wenig in Betrachtung. Alles, was atmet, und wenn es auch Nestor wird, ist ohnedies in einer kurzen Reihe von Tagen nicht mehr dasselbe ...
Was das ganze menschliche Geschlecht betrifft, durch Meere und Gebirge und Klima, durch Sitten und Sprachen abgesondert, welcher Kopf will es in Ordnung bringen? Die Natur scheint ewig wie ein Kind in das Mannigfaltige verliebt, und will zu jeder Zeit deswegen rund um die Erdkugel Szythen, Perser, Athen und Sparta.
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Wenn kein Darius und Xerxes gewesen wären, so kennten wir keinen Miltiades, Leonidas, Themistokles und Aristides. Ohne Übel gibt's kein Leben; ohne große Übel kein großes Gut. Stärke und Größe zeigen sich nur und allein in großen Gefahren. Ohne sie müssen sie zugrunde gehen oder bestehen nicht. Eine Insel voll Löwen, ohne andre Tiere, müssen sich selbst zerfleischen, oder verhungern, oder sich ersäufen. So ging's Rom, da es keine Feinde mehr hatte. Daraus die Antwort auf die Grausamkeiten der Spartaner gegen ihre Iloten. Wenn der Adler nicht raubt und zerfleischt, ist er weiter nichts als ein paar Pfund Fleisch mit Federn überwachsen. Wenn Cäsar den Pompejus in die Pfanne haut, dann ist er fürchterlich. Setzt ihn auf einen Katheder und laßt ihn das herrlichste Kollegium über Krieg und Staatskunst lesen, und er ist eine Null wie die Grandisonen unsrer Romane und die theatralischen Herkulesse. Die stärkste Kraft ist ohne Leben und freie Bewegung nichts. Unsere Staaten gleichen Meeren, in Flaschen eingepfropft. Die stärksten Orkane, die von guten Geistern über die Menschheit darin geblasen werden, erregen keinen Sturm.
Die Neuern unterscheiden sich von den Alten dadurch, daß sie mehr Ruhe und weniger Leben haben, und dieses wenige noch auf Kartenspiele verwenden. Der unruhige, tätige Geist ist von ihnen gewichen.
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Unser heutiges Leben ist in der Tat nur ein gemachtes Leben, wie Uhrwerk. Es hat gar die Veränderung, Neuheit und Mannigfaltigkeit nicht mehr wie die Natur. Das beste Leben muß dem Wetter gleichen, Wind und Regen und Sonnenschein, Sturm und Erdbeben, Winter und Sommer. Unser Stubensitzen, unsre Regelmäßigkeit bringt uns um alle Freuden. Man sollte nichts bis zur bloßen Gewohnheit kommen lassen.
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Gerad in einer so innerlichen Verwirrung, Gärung, Anarchie, wie zu Florenz nach der Vertreibung Peters von Medicis war, konnte ein Kopf reifen wie der Macchiavells. Es ist gerad der Zeitpunkt gewesen, wie die Beweglichkeit, innerliche Rege aller Säfte bei den Pflanzen nach Aufhörung des Winters, wo die Erde noch zerflossen ist und nichts sich festgesetzt hat; die größte Tiefe, wohin bürgerliche Verfassung reicht, Kampf aller Elemente derselben.
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Die Welschen sind wie die giftigen Tiere; ihr Zorn ist Messerstich. Sie sind meist bloße Empfindung; ein tiefer Gedanke oder Empfindung mit umgreifenden Gedanken kann nicht bei ihnen hausen. Und so leben sie immer für den Moment.
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Die Griechen und Römer, wie überhaupt südliche Völker, stehn jeder für sich da wie Bäume; die Norden wie Buschwerk, das alles ineinander steckt: keiner von den Norden existiert vollkommen für sich; alle in andern, wenige einzelne ausgenommen. Die Erfahrungen kann man überall machen.
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Es ist ein Vergnügen, anzuhören, wie gebildet der gemeinste Mann meistens überall in Italien ist, und wie jede gute Poesie gleich der ganzen Nation eigentümlich wird, wie sie dieselbe deklamieren und so recht inniglich ihre Schönheiten fühlen. Aber wiederum ist wahr, die welsche Nation hat nicht genug Geduld und kein Phlegma auf keinerlei Weise, um stark in der Philosophie zu werden. Sie können kein Ganzes, das etwas lange währt, eh es völlig erscheint, ausbeobachten; und dies gehört platterdings mit Stille und langsam immer schärfer dringender Überlegung zu einem Philosophen. Die deutsche und englische Nation hat dazu die besten Eigenschaften von Natur.
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Bozen. – Hier sieht man den Unterschied von deutscher Art und deutschem Blut erst recht. – Gutherzig und freundlich ist alles, und eins hängt an dem andern; totaler Unterschied von Welschland, wo jedes für sich ist. Voll Blut und Fleisch tritt jedes Geschöpf einher. –
Man sieht in den Gesichtern viele Gedankenlosigkeit bei Langeweile; sie wissen sich nicht besser zu beschäftigen, als daß sie arbeiten. Die Bewegung der Lebensgeister mit ergründen und phantasieren ist ihnen ziemlich fremd. Besonders machen die Weiber hier einen starken Kontrast mit den Welschen; sie tun hier fast alles und in Welschland schier nichts, wo sie wie Göttinnen leben und sich selten oder im Schleier oder Zendale sehen lassen. Wie man in Rom die Facchinen auf den Straßen sieht und die Köche und Kammerdiener in den Küchen, so hier die Weiber und Mädchen mit ihren Schüsseln und Beuteln in einer Kette an den Miedern. Dies ist gewiß, daß der Mensch sein Glück auf verschiedene Art sucht, herumirrt und es selten findet, weil wenige wissen, worin das wahre besteht, und auf den Zweck losgehn, der täglich und stündlich anders ist und sein muß, wie die Bewegung, die jeden Moment andre Punkte von Wesen berührt. Was ist Leben anders als Bewegung?
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Wir Teutsche können unsre Natur nicht leiden, unsern langen Winter und das Regenwetter im Herbst und Frühling und wünschen uns heraus: so sehr wir's auch im gemachten Enthusiasmus lobpreisen. Ferner haben wir die unkünstlerischste Staatsform: was in Wien gefällt, wird in Berlin verachtet, und umgekehrt; außerdem ist gar keine Republik, wo wahrer Geist der Freiheit und Drang in Geschäften herrschte, wo die Kunst einschlüge wie die Reden des Demosthenes, die Tragödien des Euripides und Komödien des Aristophanes in Griechenland – daraus entsteht, daß wir Welsche, Franzosen, Engländer mehr als uns schätzen und folglich auch deren Werke, und daß unsre Großen nicht Geld genug für uns haben und wir keinen eigentlichen Zweck bei unsern Arbeiten. Unser Publikum ist keines geläuterten Enthusiasmus fähig, wie bei den Italienern, Spaniern und Franzosen, wo die guten Köpfe nichtsdestoweniger dem Meister zu verstehen geben, woran's ihm noch fehlt; und unser Klima macht nirgendwo recht ein Ganzes.
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Sobald man in Deutschland herübertritt, fühlt man eine neue nahrhaftere, frischere und rauhere Gegend, die alle Sinne angreift. Wie noch so ganz anders zu Roveredo! Dies geht durch alles bis auf die Bäume. Und so macht das Ganze bis an den Belt eine eigne Natur aus, die wenig mit Frankreich und noch weniger mit Italien gemein hat, wo alles trocken, zart und fest und fein ist. Hier hingegen ist alles saftig, frisch und steif, aber auch stark und mächtig und doch dabei gutherzig und freundlich. Eins hängt an dem andern. Gänzlicher Unterschied von Italien, wo jedes nur für sich zu sein scheint.
Die größere Freiheit in den Künsten ist unser Bestes, eben weil sich die Mächtigen wenig darum bekümmern.
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Die Produkte der Kunst müssen in Deutschland wie das Unkraut wachsen; da ist keine Pflege und Wartung. Sie sehen auch meistens darnach aus; denn bei keinem Volke, das klassische Literatur hat, ward so plattes Zeug ausgeheckt. Sie gehen da selten ins wirkliche Leben über. Das, was man bei uns gute Gesellschaft nennt, der Hof und der Adel und die Gelehrten selbst, die sie alle wie Frühlingsonne erziehen und zur Reife bringen sollten, bekümmert sich wenig um sie, betrachtet sie als unnütz, bloßen Zeitvertreib und hat sie niemals zur eigentlichen Beschäftigung gemacht, um echten guten Geschmack für sie zu gewinnen. Für alle Art von Schönheit in der Natur sind wir unwissend und platterdings Barbaren. Es scheint, daß eine Grenzscheide für Poesie und alle bildende Kunst gezogen wäre, wo die Sprachen aufhören, die von der lateinischen abstammen. Klima und Regierung ist ihnen da zuwider.
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Der Deutsche ißt und trinkt gern etwas Gutes, aber nichts Allzufeines oder Allzuscharfes. Er hält überhaupt die herrliche Mittelstraße, wobei man wohl am glücklichsten zu sein pflegt; denn alles zu Scharfe oder zu Feine ist eine Spitze, die entweder nur einen Moment Empfindung läßt oder leicht Schmerz erweckt; doch ist dieser Moment immer das höchste Leben und folglich, wenn man Glückseligkeit ohne Rücksicht auf Zeit betrachtet, auch der glücklichste.
Rheinwein und Mosler und noch lieber beständig gutes, saftiges, nicht allzu starkes Bier ist sein bestes Getränk. Der Kerndeutsche mag den Champagner nur für einen Moment, und so den Kapwein oder welsche und griechische Weine. Rindfleisch und Erbsen und Schinken und Sauerkraut sind sein Labsal. In der tierischen Liebe will er nichts von allen den französischen und welschen erkünstelten Stellungen, sondern er sieht auf das Bequeme, Füllende und Kräftige. Seine Tapferkeit ist Mut und Stärke und Verstand; die hinterlistigen Streiche sind ihm fremd, und es fehlt nur ein Hannibal, um es ganz zu unterjochen, wenigstens, zumal in unsrer ausgearteten Zeit, auf eine Zeitlang.
Dasselbe Verhältnis ist im Moralischen. Der Kerndeutsche ist ein Mittelding im Glauben, er glaubt weder zu viel noch zu wenig, wenn er in guter Natur erwachsen ist. Sein Verstand erstreckt sich nicht auf Spitzfindigkeiten.
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Die deutsche Geschichte ist ein Archipelagus von Geschichte; man findet da keine große Einheit, woran man sich halten könnte. Ein schönes Ganzes ist da schwerlich herauszubringen; sie ist außerdem noch am schwersten zu schreiben unter allen Geschichten, wenn man auch nur einigermaßen ein Ganzes machen will.
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Der Geist wird nicht gesehen, denn er würde furchtbare Liebe erwecken, wenn so das Bild desselben allein dem Auge sichtbar wäre.
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Der Mensch muß allezeit größer sein oder sich wenigstens größer machen als das Ganze, was er fassen will; wenn er Gott und die Welt denken will, muß er sich größer machen, als Gott und die Welt ist. Wenn man auch in Wirklichkeit etwas Unermeßliches vor sich hat: so nimmt die Seele gleich einen höheren Standpunkt.
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Die neuen Ideen des Genies erzeugen sich von selbst in der Seele durch ein unbegreifliches Ohngefähr, wie die Welt mit allen ihren schönen Formen in Gott entstanden sein muß. Wenigstens kann, was den allerersten Ursprung betrifft, tiefer keine Metaphysik. Die verborgne Gottheit wird nirgends strahlender sichtbar als bei den erhabnen Produkten des menschlichen Geistes. Wie der Blitz am Himmel sich entzündet und glänzend das Wetter durchflammt, so wird der neue Gedanke; und oft schlägt er ein und hinterläßt dauernde Folgen seines Daseins.
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Der große Mensch auf die Dauer muß zwar aus sich selbst bestehen, aber auch auf andre wirken, das ist: ihnen Gegenstände zum Genuß verschaffen, ihren Verstand und ihre Sinne reinigen und schärfen, sie aus der Trägheit ins Leben erwecken, sie zu Wohltätern der Gesellschaft bilden; kurz, ihnen Gutes tun, wie die Sonne der Welt – sonst ist er für sie ein Nichts, und noch weniger, ein Ungeziefer, das auf ihre Kosten lebt. Ein Mensch, der bloß auf andre wirkt, zu seinem Nutzen und zu ihrem Verderben, kann zwar auch groß sein, aber wahrhaftig glücklich nie; denn der Genuß ist nie völlig und lauter und rein, wenn man dasjenige nicht liebt, was man genießt. Und seine Größe wird nicht lange Bestand haben; denn ein kleines Ganzes muß der Natur der Dinge nach immer endlich einem größren weichen. –
Groß ist, was über das gewöhnliche Maß geht. Wer also etwas groß nennt, muß das Maß angeben, das das Gewöhnliche bei ihm hält. Vom Menschen überhaupt ist derjenige groß, der ein freies, völliges Erkenntnisvermögen mit gesundem, reinem Sinne hat; denn gewöhnlich ist seine Seele schon mit Vorurteilen verdorben.
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Sobald der Mensch zu klaren Begriffen über sich und seine Verhältnisse mit andern kommt, tritt er wieder zurück in den Stand der Natur; und er muß zu allem Bürgerlichen, was nicht auf Natur sich gründet, mit Gewalt gezwungen werden. Daraus der Verfall bürgerlicher Sitten in allen aufgeklärten Zeiten. Der Pöbel, das Kind, tut's dann dem Manne, dem großen Menschen nach und weiß die Freiheit der Natur nicht zu gebrauchen. Es mordet, wo jener herrscht, und hurt sich zuschanden, wo jener den Überfluß seiner Kraft mit tausendfacher Lust wie edle Pflanzen verteilt. Da entsteht dann, wie nicht anders sein kann, das bellum omnium contra omnes.
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Gedicht ist ein Gesicht eines aus der Wirklichkeit entrückten Menschen, entweder in die Vergangenheit oder Zukunft, wobei ihn sein Geist wie eine Gottheit erleuchtet. Poesie hat bloß mit dem Unsichtbaren zu tun. Deswegen ihre genaue Verbindung mit Religion und Musik; denn auch diese ist etwas, was uns nicht zu dieser Welt zu gehören scheint, weil wir nichts mit dem Sinn des Verstandes, dem Auge, davon sehen und nicht, als Kinder der Natur, wie alle Wilden, begreifen, wie es zugeht. Der Ausdruck, die Sprache der Poesie ist also die Sprache eines Begeisterten, die Sprache eines, der trunken ist an allen Sinnen. Daher mag vermutlich der Beiname Homer der Blinde entstanden sein. Sie muß sich folglich über diese, die wir gewöhnlich sprechen, erheben. Sie ist voller, sinnlicher, die innigste Vermischung von Geist und Wort. Die Poesie erweitert unser Leben über die Spanne Wirklichkeit. Sie ist keine Sache der Jugend; es gehört dazu ein unendlicher Vorrat von Leben. Man muß gleichsam davon trunken sein und von außen nichts mehr bedürfen.
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Die ersten Dichter waren Priester und ihre Gedichte nichts anders, als was bei uns Legenden der Heiligen sind. Wer ein neu Gedicht im Homerischen Geist machen wollte, müßte gerad die Heiligen so aufstellen wie er seine Götter; und gewiß würden sie das gläubige Volk entzücken, wenn sie mit Geist und Leben angebracht wären. Die Schwarzkünstler, womit sich Ariost und einige andere beholfen haben, kommen diesen lange an Wirkung nicht bei. Wenn Tasso episch Genie gehabt hätte, so war sein Stoff der glücklichste, den man aussinnen kann; aber der Pinsel hat an keinen Heiligen gedacht. Ganz erbärmlich ist's, wenn wir den Zeus und Apollo und die Venus und Grazien einflicken, ohne daß die Szene im alten Griechenland ist. Überhaupt ist der heutige vervielfachte Unterschied der Stände der Dichtkunst ganz nachteilig, und wenige Dichter haben das Gefühl des Wunderbaren aus der niedern Klasse von Menschen erlangt. Es ist lauter Nachäfferei.
203
Petrarca war in den Augen der Vernunft ein schmachtender Narr sein Leben lang, ohne alle Hoffnung. Laura hätte ihn gewiß drübergelassen, wenn er kein Poet gewesen wäre und schon soviel Lärm geblasen hätte. Sie konnte nicht anders und mußte aushalten, so weh es ihr auch vielleicht in der Seele tat, denn Petrarca war gewiß ein Mensch von dem feinsten Gefühl und außerordentlichem Talent. Nur äußerst schwach war er und von allen Menschen seines Jahrhunderts umfangen, die etwas zu bedeuten hatten, und dabei ebenso eitel. Man muß gewiß Mitleiden mit ihm und der Laura haben; es war Schicksal; sie konnten nie zusammen, es war zu weltkundig. Er war am meisten schuld, aber warum hörte er nie auf zu leiern? Großes hat er ganz und gar nichts sonst getan; seine Poesie erhebt sich über andre, weil er beständig in guter Gesellschaft lebte.
Dante war ein Mann wie ein Fels, voll hohen Ehrgeizes, deswegen seine Theologie und Philosophie; er wollte über die Berühmtesten seines Zeitalters hervorragen. Wenn er Kraft genug gehabt hätte, sie zu verachten, und einen bessern Plan zu seinem Gedicht genommen hätte als so ein gotisches Gewirr, so wäre er der welsche Homer oder ein ebenso originaler Mann für Italien, wie Homer für Griechenland. Er hat Stärke, Feuer, tiefes Gefühl, Einbildung und männliche Würde, Adel und Herrschungsgeist. Der Fürst unter den welschen Dichtern wird er deswegen immer bleiben. Die Schicksale nach seiner Verbannung haben ihm nicht Ruhe und Heiterkeit genug gelassen.
Boccaz war unter beiden am mehrsten Mensch und der Klügste. Er genoß das Leben und wickelte sich durch die Welt, wie's am besten gehen wollte. Er lernte besser die niedrige Klasse von Leuten kennen als jene, als Kaufmannsbursch und Reisender mit allerlei Art. Mit Leuten von Stande kam er aber nicht so zurecht und vermochte wenig über sie. Deswegen machte er auch so emsig den Bücherwurm, weil er wenig in Geschäften gebraucht wurde. Dante und er sind am mehrsten wahr; Petrarca geht meistens in der Luft mit den Füßen über der Erde. Der Mensch mit seinen fünf Sinnen hat mehr an ihnen.
Alle dreie sind wilde Stämme ihres Zeitalters, für sich selbst hervorgeschossen und nicht gesät und gepflanzt. Sie haben Nahrung gesucht, wie sie sie um sich her fanden aus Trieb ihrer Natur. Sie sind groß geworden, und hernach hat sich alles unter ihren Schatten gesetzt. Dante und Boccaz sitzen eigentlich recht fest unter ihren Menschen und leben und weben mit ihnen und sind notwendig da und das, was sie sind. Petrarca ist ein luftig Phantasiewesen, was zu jeder andern Zeit auch sein konnte, wo gerad auch ein schönes, reizendes Weib war, das sich nach Schicksal ihm nicht preisgeben durfte; aber doch ist auch er bei seiner Laura aufgewachsen, und kein Mäzen hat ihn gemacht.
204
Niemand ist glücklicher zu unsern Zeiten als der Schriftsteller, aber er muß es recht anzufangen wissen und seine Sachen gut verstehen. Er kann die mehrste Wirkung machen und ist größer als König und Kaiser. Unser Krieg ist Maschinenwerk, unsere bürgerliche Verfassung Geburt und Zufall; es bleibt dem wahren Menschen nichts anders übrig. Auch wird dies von jedermann erkannt, so wie der schlechte Schriftsteller das elendeste Ding bleibt; weil nichts abgeschmackter ist, als wenn ein Esel sich wie ein Löwe gebärdet.
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Der große Schriftsteller bleibt immer der größte Mensch. Er ist derjenige, der seine Wirkungen am weitesten verbreiten kann. Die andern Künste sind sinnlicher, aber wie tausendmal engere Schranken haben sie! Er hat Verstand und Empfindung mitzuteilen; die andern Künstler bloß Empfindung. Und alles, was der Mensch bloß empfinden kann, hat er mit dem Tier gemein. Dies ist auch durchaus stillschweigend anerkannt worden. Homer ist immer größer geblieben als der, welcher den Vatikanischen Apollo gemacht hat. Man fühlt es, daß der Mensch mehr bei ihm hat.
206
Lessing ist keiner von den Schriftstellern, die den Menschen ganz ergreifen. Das Große, Allgemeine war nicht seine Sphäre. Aus den Tiefen der Natur und der Leidenschaften hat er nicht geschöpft. Aber mit lautrer Seele und hellem Geiste faßte er scharf das einzelne. Man kann ihn mit Recht den Vater der deutschen Kritik nennen. Poesie, bildende Künste und Theologie sind seine drei Hauptfächer. Seine Dramaturgie, sein Laokoon, sein Nathan die Hauptwerke; und die Fabeln, Minna von Barnhelm und Emilia Galotti seine künstlerischen Produkte. Der Religion ist er nie bis auf den Grund gegangen; nur den Verfolgungsgeist hat er mächtig angegriffen und die Unfehlbarkeit der Theologie. In den bildenden Künsten hat er nicht Erfahrung genug gehabt und zuviel auf Hypothesen gebaut. In der Poesie selbst hat er sich nicht nach seinen Lehren gerichtet; seine unschuldige Emilia wird ermordet, die Tugend ist durchaus unglücklich, und das Laster geht unbestraft davon; und in seiner Minna verläßt er das Allgemeine. Seine Fabeln halten am mehrsten die Kritik aus. Seine Sinngedichte bedeuten wenig und haben mehr gelehrten als natürlichen Witz. Er scheint das Leben nicht genug genossen zu haben. Die Liebe hat er nie in ihrem vollen Feuer dargestellt. Seine Minna und sein Tellheim zeigen den heißen Durst der Leidenschaft nirgends; Tellheim würde auch sonst seinen Arm ganz behalten haben und etwas jugendlicher und kräftiger geworden sein. So äußert auch der Prinz in der Emilia nur Strohfeuer, und sie und ihr Bräutigam sind ziemlich kalt. Marinelli, ein reicher Gegenstand, ist etwas Kleinliches gegen einen Richelieu oder Potemkin. Und der Prinz, der in die Kirche läuft und hinter einem Mädchen kniet und ihm Liebeserklärungen vorsagt, ist wohl überhaupt gegen das Costume.
Bei diesem allem bleibt er einer der angenehmsten deutschen Schriftsteller; Gedanken und runden Ausdruck vermißt man in seinen reifern Schriften nirgends. Seine Rettungen gehören unter sein Bestes und zeigen seine Güte und Gerechtigkeit. Überall erscheint er als ein Mann von Scharfsinn und hellem Verstand und geschliffnem Witz. Seine zu frühe Gelehrsamkeit mag ihn von dem großen unkonventionellen Natürlichen abgeleitet haben, das er im Detail oft meisterhaft trifft, rettet und rächt.
207
Gewiß Fragment! Denn es ist nichts von Plan zu einem Ganzen zu sehen. Oder doch sollt es vielmehr heißen: Ideen ohne Zusammenhang zu einem Faust?
Verschiedenes ist vortreffliche Darstellung der Natur, und das beste: die Szenen mit Margarethen, welche auch die Hälfte ausmachen. Verführung eines unschuldigen Mädchens und deren Angst mit der Frucht der Liebe unterm Herzen und gewissermaßen Kirchenbuße.
Wenn man kein Ganzes machen will und nur einzelne Szenen darstellen, ist es weit leichter, die Natur zu treffen.
Übrigens merkt man, wo Goethens erstes Jugendfeuer noch ist und wo er neuerdings hinzugeflickt hat.
Die Hexen- und Studentenszenen tun wenig Wirkung. Diese Kraftgeniestreiche sind jetzt schon alle durchgepeitscht und kommen zwanzig Jahre zu spät. Schwadronieren und hie und da kräftiger Sinn. Licht in einer düstern Rumpelkammer ...
Es war ein König in Thule. – Ist ganz vortrefflich und das schönste.
Margarethe ist das beste im Ganzen, ganz nach der Natur. – Du holdes Himmelsangesicht!
Meine Ruh ist hin – vortrefflich Lied.
Die Szene über Religion ist göttlich. Aber wie Faust so sprechen kann, unbegreiflich ...
Die Knittelverse oft ganz vortreffliche Poesie in Kernsprache, sie schicken sich wirklich am besten zu originaldeutschen Szenen.
Goethe hat's drucken lassen, weil doch um vieles schade war, daß es sollte verlorengehen; er konnt's anderswo nicht brauchen. Alles war ohne Plan gemacht oder gewiß nur in einer äußerst dunkeln Idee von Plan ...
208
Fülle von Leben, Gefühl und Empfindung, stark und zart; das einzelne scharf und fest fassender, überlegender Verstand; unendlich reiches Gedächtnis; aber Mangel an Kunst, ein Ganzes hervorzubringen, daraus zu bilden, das der Wahrheit und Schönheit des Wirklichen gleichkommt. Fast alle Personen sind im Widerspruch mit sich selbst hier, am mehrsten der Held des Romans ...
2. Buch, 3. und 4. Kapitel. Hier fängt das Meisterhafte an. Durchaus klassisch. Charakter, Begebenheiten durchaus vortrefflich. So etwas hält sich ewig. Welche reizende Schilderung und Aufführung der Philine! Und welche ebenso reizende von Mignon! Diese zwei Personen sind das eigentlich Vortreffliche des ganzen Werks, aber vorzüglich an Mignon hat er sich selbst übertroffen, so tief hat Goethe noch nichts ausgefühlt und auserdacht ...
209
Ein geringes Haus mit den edelsten Materialien aufgeführt. Ein mittelmäßig Stück voll der lieblichsten Poesie, schönsten Bilder, sinnreichsten Gedanken.
Antonio, auf den alles gebaut ist, ist ein Unding, ein Widerspruch, sein Charakter außer aller poetischen Wahrscheinlichkeit. Grob bis zur Plumpheit in Gegenwart des ausgebildetsten Fürsten gegen einen seiner Günstlinge: und dabei ein ausgelernter Hofmann; ein Dichter ohne Ader und Phantasie; und spricht originell, in dem schönsten Ausdruck; alt und kalt wie ein Felsen: und will höllisch eifersüchtig die Gunst schöner Weiber mit niemand teilen. –
Tasso ist am besten dargestellt. Doch sollte zur Täuschung mehr von seiner ersten unglücklichen Jugend gesagt werden, die ihn so mißtrauisch gemacht hat. Übrigens erregt er bei seiner tollen Heftigkeit wenig Interesse. –
Aus dem Stoffe hätte etwas ganz vortrefflich Hohes, Tragisches können gemacht werden: sobald Goethe den Tasso als großen Dichter aufstellen wollte, wie er getan hat. Der Stoff ist ohngefähr wie im wütenden Ajax von Sophokles. Aber da ist Ulysses ein ganz andrer Mensch als Antonio. Und Ajax ohne Vergleich theatralischer als Tasso. So gleicht dieser fast den neuern italienischen Stücken des sechzehnten Jahrhunderts, die man den Griechen nachmachte; kleinliche Leidenschaften.
Das Ganze ist eins von Goethes ausgearbeitetsten Werken; und es ist schade, daß so viel göttliche gediegene Poesie für bloße müßige Lektüre ohne weitern Zweck verschwendet ist.
Die Personen kommen und gehen wieder, man weiß nicht, warum; sie fangen Gespräche und Abhandlungen an, man weiß auch nicht recht, warum. Nichts im Zuge des Ganzen ist kräftig entschieden. Bloß das ist sichtbar: Tasso soll aus einem glücklichen Zustand durch seine Empfindlichkeit und Heftigkeit in einen unglücklichen gestürzt werden. Aber weder Glück noch Unglück ist theatralisch und bedeutend. Und die Mittel dazu unnatürlich, künstlich und unerheblich. Lächerlich ist's sogar, wie auf die letzt die kleine Mittlerin Leonore, und dann der Herr Antonio und der Herzog durch die Szenen zucken, herbeigelaufen kommen und das armselige Liebespaar überraschen. Ganz unweiblich ist's, daß die Prinzessin der Leonore zuvor ihre Liebe gegen Tasso entdeckte, welche sie selbst gleich im Anfange mit ihrer Neigung gegen Tasso foppt. Eifersüchtig hätten sie beide auf einander sein, und einander sich ihre Liebe verbergen sollen. Das ist Weiberart. Überhaupt ein paar matte gelehrte Kreaturen. Das ganze Stück ist Widerspruch auf Widerspruch. Goethe scheint immer eifersüchtig auf die Geschöpfe seiner eignen Phantasie zu sein. Man merkt überall die Absicht, daß er der Meister und mehr sein will als sie. –
210
Hyperions Briefe sind voll lebendiger Empfindung und tiefem Gefühl. Er ist ein Apostel der Natur. Es sind Stellen darin, so warm und eindringend, daß sie selbst den alten Kant ergreifen und von seinem bloßen Schein aller Dinge bekehren sollten. –
211
Es ist zum Verwundern, wie der nordische Philosoph so vielen gelehrten Leuten weisgemacht hat, sie könnten auf der Reise durchs Leben mit gemaltem Wein und Brot und Schinken sich ganz vortrefflich befinden, wenn man nur einen gewissen Talisman bei sich trüge, den er eigens dazu verfertigt habe, und wovon leicht Fabriken könnten angelegt werden.
Am mehrsten haben sich noch die Hamburger dagegen empört, die sich auf Wohlleben verstehen. Und sie sagen oft in ihrem Unparteiischen Korrespondenten, daß sie diese Philosophie nicht ausstehen könnten.
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Das Falsche und Unerträgliche des Kantischen Systems liegt darin, daß behauptet wird: Wir wüßten von den Dingen an und für sich gar nichts und hätten nur Vorstellungen davon, die gar nichts Wirkliches enthielten, die bloß Folgen der Kategorien und der Formen der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) wären, welche wir auf die Dinge an und für sich anwendeten. – Dieses System ist zu tyrannisch für Leben in der Welt und für glückseliges Leben, als daß es ein Mensch, der fühlt, empfindet und denkt, erdulden könnte, sobald er es kennt und einsieht. Dem Menschen werden hier die Augen ausgestochen, die Nase zertreten, die Ohren taub geschlagen, die Zunge verbrannt und alles Gefühl verhärtet. – Nicht ob eins edler, mächtiger als das andre sei; Sonne, Luft und Wasser und Dreck seien weiter nichts als bloße Vorstellungen. Mit dem tollen unsinnigen Wort Vorstellungen wird alles abgefertigt. –
Kants moralisches Prinzip ist nichts andres als: handle so, als ob du im tausendjährigen Reiche lebtest. Viel zu wenig wäre: handle so, als ob du in der Platonischen Republik oder Utopien lebtest. Damit würde man in unsern bürgerlichen Verfassungen schön ankommen!
213
Der Mensch, sich selbst überlassen, glaubt von nichts etwas zu wissen, bis er sich es einigermaßen sinnlich vorstellen kann; und wo der Sinn aufhört, fängt die Einbildungskraft an und kommt ihm zu Hilfe. Das ist so ganz seiner Natur gemäß, dadurch erklärt er sich endlich alles. Das ist die Quelle seiner Wahrheit, seines Irrtums; und er befindet sich dabei glücklich oder unglücklich, aber immer lebt er damit und regt sich und kommt damit an irgendein Ziel der Ruhe. Es gibt nichts anders für ihn in der Welt. Alle die hochtrabenden Phrasen von reiner Vernunft und Transszendentalem geben ihm keinen Genuß. Alles andre ist leer und hat keinen Gehalt.
Fahren wir also noch weiter fort, uns diese feinen, dem Auge entschwindenden Sachen durch die Einbildungskraft in etwas sinnlich zu machen.
214
Nach Platons Erklärung ist die Schönheit die ursprüngliche Idee der Dinge in Gott. Und die Seelen, die sein Anschauen genossen und diese Ideen erkannten, schaudern, wenn sie in diesem Leben die Bilder davon mit den Augen erblicken, erinnern sich dunkel ihres vorigen Zustandes, erschrecken und werden entzückt. Ihre Schwingen regen sich, gehen vom warmen Einfluß auf, der Federstock keimt. – Es ist gewiß eine erhabne Hymne auf die Liebe, und liegt tiefe Wahrheit zugrunde.
Was sich selbst bewegt, ist Seele, ewig, ohne Anfang: davon alles Werden, und alle Körper, die sich bewegen. Schönheit ist die vollkommenste Harmonie der Bewegung, und die Seele erkennt darin ihren reinsten Zustand. Schönheit gibt der Seele das lauterste Gefühl ihres Daseins. Schönheit ist die freieste Wohnung der Seele. Schönheit erinnert die Seele an ihre Gottheit, an ihre Schöpfungskraft, und daß sie über alle die Körperwelt, die sie umgibt, ewig erhaben ist. Im Anfang macht ihr dies Freude, aber endlich Pein; sie sieht sich gefangen, und daß sie nicht mehr ist, was sie war: und die Tränen rinnen über ihren nichtigen gegenwärtigen Zustand. Doch stärkt sie wieder ihre ewige Natur und die süße himmlische Hoffnung regt ihre Fittiche, daß sie doch bald aus dieser Dunkelheit, aus diesem Wahne von Irrgestalten sich erheben werde in das Licht zu den Scharen der seligen Geister, wo weder Frost noch Hitze abwechseln, und alles ist in seiner mannigfaltigen Wahrheit und ursprünglichen Schönheit.
Nicht geboren werden übertrifft alle irdische Glückseligkeit; und wenn du da sein wirst, so ist, je geschwinder, je besser, wieder dahin zu kehren, wo du herkommst. Sobald die Jugend sich einstellt mit ihren tollen Streichen, wer windet sich mit aller Arbeit daraus? Wer steckt nicht in Plagen und Leiden? Morde, Parteien, Streitigkeiten, Gefechte und Neid. Auf die Letzt überschleicht uns das unzufriedne, schwache, menschenscheue, verhaßte Alter, wo alle Übel haufenweise zusammenwohnen. – So seufzte selbst der bewunderte Sophokles am Ende seiner glücklichen und glänzenden Laufbahn.
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Jedes lebendige Wesen bezieht alles, was in seinem Umkreis ist, auf sich und ist sich selbst mehr als alles. Folglich ist das Schwächste das Grausamste; denn es muß das Stärkere sich gleichzumachen suchen, damit es nicht mehr sei als es selbst. Kinder sind grausamer als Erwachsene, Weiber als Männer, Feige als Tapfere. Und so alles innere Vergnügen an Leiden anderer. Kein Starker hat Gefallen am Leiden eines Schwachen. Wäre der Schwache boshaft und litt verdiente Strafe, so wäre seine Bosheit selbst für den Starken Stärke, vor der er sich fürchten hätte müssen. Grausamkeit zeigt immer, wenn auch körperliche Stärke dabei sein sollte, eine schwache Seele. Und so auch mit der Schadenfreude; diese ist ein Kapitalschlüssel, die Herzen zu eröffnen; und ein Geheimnis im menschlichen Leben, womit man seinen Mann geschwind auf die Probe stellen kann. Außerdem noch freut sich keiner mehr über eines andern Schaden, als worin er selbst gebrechlich ist.
216
Wir können an uns selbst nicht im Spiegel sehn, auch in dem nämlichen Moment, was wir denken und empfinden; und sogar verschiedene Leidenschaften zeigen sich bis auf ihre hohe Grade im Gesichte überein. Die ganze bildende Kunst ist ein vages unbestimmtes Wesen, das seinen Hauptwert eigentlich von der Schönheit der Formen und der Konturen erhält, und dann außerwesentlich ist sie eine große Zierde der Poesie und Geschichte, die aber natürlich ganz ohne sie bestehen können. Poesie ist das innere Leben selbst; Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen. Wer jenes nicht schon in sich hat, kann bei diesem wenig fühlen und erkennen. –
Allerlei Gestalten träumen mag man sich wohl; aber Wahrheit, physiognomische mit Leib und Leben wie Wirklichkeit, ohne Miene und Gebärde Punkt für Punkt von der Natur selbst abkonterfeien, geht über des Menschen Kräfte, dazu haben wir noch keine Wissenschaft, keine Gründe und Regeln, weder Ja noch Nein. Unser Bestes ist noch die allgemeinen Züge der Leidenschaften und andern starken Empfindungen, die sich in Bewegung besonders von außen zeigen.
Ich habe von dem Menschen, außer der fleischlichen Vermischung, hauptsächlich den Genuß durch seine Reden und Handlungen, durch Worte und Bewegungen, beides kann mir die bildende Kunst nicht geben. Man stelle sich seinen Freund auch in dem interessantesten Moment der freundschaftlichen Liebe auf einmal wie zu einer Büste versteinert, wie unveränderlich mit seinen Mienen und Gebärden vor. – Mit Erinnerung der Worte aller vor und nach dem Moment wird das Bild gewiß löblich in die Seele leuchten und jederzeit einen Freudenschauer erregen. Aber wie die Erinnerung sich schwächt, wird es nach und nach immer weniger bedeuten, und bei dem Gedanken an tausend andre Szenen endlich leer und sogar Spott werden, statt daß nur ein herzlicher Brief von demselben immer neu die Seele erquickt, sooft man nötig hat, ihn wieder durchzulesen. Was soll nun so ein Bild auf andre für Wirkung machen, die sich dabei platterdings gar nichts Gewisses vorstellen können, die die Person nicht kennen, nichts von ihr aus der Geschichte wissen? Geschieht dies bei wirklichen Menschen, was wollt ihr mit euren Idealen, wovon ihr nicht eine Form als wahr beweisen könnt? Die schönsten Bilder sind weiter nichts als ein geistig Licht in die Seele, die sie aufheitern und allerlei unbestimmte süße Gefühle in ihr erregen, wie ein reiner Akkord auf einem wohlklingenden Instrumente. Und solche Schönheit ist das eigentliche Wesen der bildenden Kunst, und keine Handlung, die die Poesie weit wahrer und lebendiger vorstellt.
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Wenige Menschen kommen so weit, daß sie begreifen, daß sie das nicht selbst sind, was in ihnen denkt, daß dies ein Wesen ist, was alles durchdringt und sich mit nichts vermischt, vermischen kann, sondern nur die Masse aller andern Dinge durchwandelt, erkennt, was da ist, und ordnet; und daß ihr Selbst, Kopf, Brust und Arme und Beine mit Augen und Ohren nur wenig, verschieden zusammengeordnete Materie der ungeheuern Vorratskammer der Natur ist.
218
Pythagoras, als Zaubrer, der sich in alle Arten lebendiger Formen verwandeln kann, vom Wurm an und Fisch bis zum Esel, Hengst, Löwen und Menschen und Adler und wieder zurück bis zur Eiche und Blume, und in jeder die Glückseligkeit genießt, weswegen das reine göttliche ewige Wesen Form ward. Ein philosophischer, metaphysischer Roué.
219
Ich besitze ein Arkanum, vermittelst dessen mir das Innere eines Menschen, er sei Mann oder Weib, und wenn er sich auch mit den täuschendsten Masken verbergen könne – sichtbar wird, und wodurch ich die moralische Welt betrachte, wie die Astronomen den Sternhimmel durch ihre Sehröhre. Man muß aber eine gewisse Art von Nacht um sich machen, wenn man sich dessen will bedienen können – und dies können sehr wenig Menschen, insbesondre sehr wenig Bürger der gelehrten Republik, welche fast alle die Begierde haben, sich immer in ihrem höchsten Glanze zu zeigen.
220
Die schlechten Menschen irren nicht sowohl in dem Urteil, das sie über die Tugend der andern fällen, als daß sie sie nicht selbst ausüben: die Tugend hat ich weiß nicht was für göttliche Kennzeichen, die selbst den Bösewichtern nicht erlauben, sie zu verkennen.
221
Gut und nützlich und zuträglich ist einerlei; gut ist ein völlig relativer Begriff, und nichts ist an und für sich selbst gut. Aber schön ist jedes Ding in der Natur an und für sich, wenn es das ist, was es seiner Art und Zeit nach sein soll. Ein Löwe ist schön, ob er gleich nicht dem Menschen nützlich ist, und so jedes Element im Aufruhr. Die Sokratische Philosophie hat das Fatale, daß sie alles auf den Menschen und die Gesetze des Staates bezieht und nichts an und für sich betrachtet; ein herrlicher Bürger war der Alte, aber dadurch hat er alle Naturmenschen gegen sich aufgebracht. Er war Athenienser mit Haut und Haar.
222
Selbständig wirken ist Leben; mechanisch tun müssen Tod.
223
Der wahre Mensch ist immer traurig; seine Freuden sind Blitz in Nacht.
224
Aus eines schönen Weibes Antlitz blickt dem Manne, was er ewig sucht und nie findet.
225
Die Liebe ist desto stärker, an je mehr sie hängt. Der größte Mensch kann am stärksten geliebt werden und auch wieder lieben, nachdem der Gegenstand ist. Alle Liebe geht aber von Fleischeslust aus, das ist die Grundwurzel.
226
Die lebendigen Geschöpfe haben, wie die Blumen und Pflanzen, wie die Bäume, ihren Frühling, Sommer, Herbst, und leider! auch Winter; aber mit dem Unterschiede, nur einmal in ihrem Leben. Der Jugendgeist verschwindet auf ewig, wenn er einmal von uns Abschied nimmt. Die ersten heftigen Empfindungen des Herzens sind die Blüten der Glückseligkeit unsers ganzen Lebens. Wenn diese einmal verdorben sind, dann ist wenig mehr zu hoffen.
227
Der Mensch, bei dem die Zeiten der Liebe vorbei sind, ist ein Unedler geworden.
228
Der frappanteste Unterschied zwischen Unschuld und Sünde ist Anhalten im Genuß. Dadurch unterscheiden sich die Alten von den Neuern. Beweise sind alle Künste. Hauptsächlich aber Musik. Dadurch unterscheidet sich der unverdorbne Mensch von dem verdorbnen: der Große von dem Kleinen. Das ist der sicherste Probierstein im Leben. Dieser Satz ist einer von der reinsten Evidenz.
229
Die eigentliche wahre Liebe ist allein der Drang, mit einer Person vom andern Geschlecht ein Kind zeugen zu wollen; und dauert ihrer Natur nach so lang, bis das Kind geboren ist und als es den Eltern Freude macht. Wenn man unsre Heldengedichte, von den griechischen an, unsre Schauspiele und Romane liest, so findet man diese Leidenschaft fast nie in ihrer Fülle. Alles ist darinnen gewissermaßen nur Vorspiel dazu, ein leeres Wortgeklingel, dem Leser und Zuhörer ihr eigen Gefühl beilegen, welches nicht darinnen ist. Bei der Liebe des Paris zur Helena, bei der des Äneas zur Dido, des Rinald zur Armida, und fast allen Theaterspielen kömmt von Kindern selbst und was sich darauf bezöge, gar nichts vor. Diese Leidenschaft, so viele Millionenmal sie auch schon dargestellt worden ist, hat also noch in ihrer Tiefe volle Neuheit für einen Künstler; volle und mannigfaltige Neuheit. (Im Ardinghello ist sie wahr und rein hervorgeschöpft, bis auf die Vatergefühle und Muttergefühle, wozu der Zeitraum zu kurz war; bei der Lucinde sind sie nur mit wenig Worten angegeben.)
Alles andre, was noch bei uns den Namen Liebe führt, ist Freundschaft, Geselligkeit, Wollust; welche letztere selbst mit dem höchsten Reiz einer Ninon von achtzehn Jahren, einer Lais und Phryne, eines Alkibiades ein bloßes Jucken der Zeugungsglieder und Spiel ist, gegen das Göttliche dieser Leidenschaft.
Wenn ein Dichter ein Mädchen der Liebe schildern will, so kömmt es also wahrlich wenig darauf an, ob es kleine Füße, lange Haare usw. hat, sondern ob der Bau ihres Körpers vortrefflich ist, gesunde und starke Kinder zu empfangen und zu gebären, ob ihre Lenden gut dazu gewölbt sind, ob ihre Brüste kräftig sind, sie zu stillen, ihre Augen und Lippen gutherzig aussehen, alles Ungemach der ersten Erziehung zärtlich auf sich zu nehmen, ob sie stark genug ist, die Geburtsschmerzen auszuhalten.
Nach diesen Regeln, die doch wohl die einzigen wahren sind, prüfe man nun einmal die Schreibereien unsrer Dichter, und man wird sich wundern, wie wenig Ahndung sie davon hatten, da sie doch so nah vor Augen liegen. Selbst Werther scheint bei seiner Lotte nur das zu lieben, daß alles so leicht von ihr gefaßt wird, was er spricht; und Wielands Danae ist nun gar zu sehr gemachtes Ding und hat auch nicht einen Zug von Natur.
230
Oh, wie verlangt mein Herz, jene glückseligen Inseln und das feste Land auf beiden Seiten noch heutzutag zu sehen und wie das heitre milde Klima noch jetzt dort das Lebendige bildet! Ach, wir sind so weit von der Natur abgewichen und von der wahren Kunst zurück, daß wir fast insgesamt einen bekleideten Menschen für schöner halten als einen nackten! Das kostbarste, prächtigste, feinste und niedlichste Gewand ist für den echten Philosophen und das Wesen, das nach klarem frischem Genuß trachtet, ein Flecken, eine Schale, die ihn hemmt und hindert.
231
Oh, wie will ich mich freuen, wenn ich einmal unter Menschen komme, die nackend gehen und wo ich nackend gehen kann.
232
Jedes muß sich selbst am besten der Kräfte zu seiner Glückseligkeit bedienen, womit es auf diese Welt ausgesteuert worden ist, und der Lage und Sphäre, wohinein es bei seiner Geburt gesetzt wurde. Dies hebt den Menschen über Menschen und macht einen weit größeren Unterschied zwischen den Graden ihres Genusses, als zum Exempel zwischen den verschiedenen Weinen und ihrem Geschmack ist, wo man nicht glauben sollte, daß sie alle von derselben Rebe herkämen. –
Ein Frauenzimmer ist unklug, das mit einer Gestalt, die gefällt, erwuchs, und Vermögen besitzt, wenn es sich das unauflösliche Joch der Ehe aufbinden läßt. Eine Göttin bleibt es, unverheiratet, Herr von sich selbst, und hat die Wahl von jedem wackern Manne, auf so lang es will. Es lebt in Gesellschaft der Verständigsten, Schönsten, Witzigsten und Sinnreichsten; erzieht seine Kinder mit Lust, als freiwillige Kinder der Liebe; erhöht sich zum Manne: da es hingegen im Ehestande wie eine Sklavin weggefangen worden wäre, nichts mehr vermöchte nach Gesetz und Gewohnheit und sich endlich von dem kleinen Sultan selbst, welchem es sich aufgeopfert hätte, verachtet sehen müßte, ohn einem andern Vortrefflichen seine Hochachtung wirklich auf eine seelenhafte Art, nicht bloß mit Tand und Worten, erkennen geben zu dürfen. –
233
Was die Eifersucht betrifft: so ist sie gewiß ... eine unnatürliche Leidenschaft und entsteht ganz allein aus armseliger Schwäche, Mangel oder Vorurteil; Brüder und Helden, jeder wert, ein Mann zu sein, sollten sich eine Freude daraus machen, ein schönes Weib gemeinschaftlich zu lieben. Der geringste Genuß wird durch Anteilnehmung mehrerer verstärkt und gewinnt dadurch erst seinen vollen Gehalt: warum sollte es nicht so sein bei dem größten? Und ist eine junge Schönheit nicht imstande, ihrer viele zu vergnügen? Verliert der eine etwas, wenn der andre auch von der Quelle trinkt, woran er schon seinen Durst gelöscht hat? In einer guten bürgerlichen Gesellschaft sollte platterdings auch gesellschaftliche Liebe und Freundlichkeit sein; allein wir können uns von dem Krebsschaden der Vorurteile vieler Jahrtausende noch nicht heilen. Eins und eins ist wahrlich nicht viel mehr als einsiedlerisch und gegen die Natur; sie behauptet deswegen auch immer ihre Rechte, wie jeder weiß, der nicht ganz blind ist. Bei der großen Mannigfaltigkeit wäre es Unsinn, jederzeit von bloßem Brot zu leben. Jeder Mensch existiert für sich und in keinem andern; wenn dies die Natur gewollt hätte, so wären wir zusammengewachsen. Und geht's nicht so unter allen Gattungen von Tieren, Gras und Kraut und Bäumen? Jedes vereinigt sich mit dem andern nach Gelegenheit. Oh, ihr Armseligen, die ihr keinen Begriff von Leben und Freiheit habt und Großheit des Charakters! Daß dies die reine wahre Lust ist, mit seiner ganzen Person, so wie man ist, wie ein Element göttlich einzig unzerstörbar, lauter Gefühl und Geist, gleich einem Tropfen im Ozean durch das Meer der Wesen zu rollen, alles Vollkommne zu genießen und von allem Vollkommnen genossen zu werden, ohne auf demselben Flecke klebenzubleiben. Sobald etwas ganz genossen ist, weg davon! Dies ist das allgemeinste Gesetz der Natur, wodurch sie sich ewig lebendig und unsterblich erhält. –
234
Die Freundschaft ist die Grenze der Liebe. Die Liebe verlangt und will ihren Menschen ganz, und ruht nicht eher, als bis sie ihn ganz hat.
Die Liebe ist inniger in Leib und Seele als die Freundschaft. Die Freundschaft steht bald bei ihr im Hintergrund, und wenn die Frucht der Liebe, ein wohlgebornes Kind, erfolgt ist, so verschwindet sie nach und nach. Dies ist in der Natur. Nur große Bedürfnisse können dies ändern. Gefahren im Kriege, große Zwecke in bürgerlichen Verhältnissen, der Gegenstand in der Liebe und Freundschaft endlich selbst. Doch muß der Freund die geliebte Person immer weit aufwiegen.
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Was will das sagen: Leidenschaft? Die Leidenschaft ist mit ihm durchgegangen? Das so schief ausgedrückte: der Wille ist gut, das Fleisch ist schwach?
Daß der Gedanke, alle Vernunft nur eine Eigenschaft ist, Modifikation, und nicht das eigentlich handelnde principium, das Wesen.
Begierde, Abscheu gehen aus dem Innern des Wesens selbst hervor, und die Modifikationen verschwinden, sobald das Wesen vom Enthusiasmus erwärmt wird und seine ewige Verwandtschaft, chemisch zu reden, mit etwas fühlt. Man nennt diese auch Charakter. Man pflegt dabei auch zu sagen, wider besser Wissen handeln.
Es kömmt nun freilich darauf an, wie die Grundsubstanz ist. Und da kann man nicht anders annehmen, als daß sie bei einem Epaminondas anders sein muß als bei einem Cäsar Borgia, reines Gold anders als mit Kupfer vermischtes. Daß, wo die Menschheit in ihrer höchsten Reinheit ist und handelt, die höchste Moral sich befindet, die Norm, der Kanon sittlicher Schönheit. Und daß viele entschieden vortreffliche Menschen durch alle Zeitalter hierüber entscheiden. – Wo das Wesen ganz offenbar für sich handelt und sich nicht nach den Gedanken richtet, sieht man nicht selten bei der Leidenschaft der Liebe. Die Sinnen allein erkennen den Gegenstand der Vereinigung in diesen Fällen, und alle andern Rücksichten von bürgerlicher Konvenienz, Schicklichkeit, verschwinden. Der Same und die Organe dafür handeln.
So handelt bei Säufern die Zunge, der Gaumen, der Schlund, die ursprünglichsten Modifikationen des Wesens. Bei andern sogenannten Unmäßigen das Auge, das Ohr. Jeder, der zuweilen so gehandelt hat und seine Gedanken, wie leichte Nebel, in diesen Fällen verscheuchte, wird dies erkennen. Nur ein festes Gedankensystem kann dagegen mit Glück kämpfen, das mit dem Alter das Wesen gleichsam wie mit einer Kruste überzieht, daß es nach Belieben springen muß wie Brunnen in Röhren.
Wenn das Wesen alberne Vorurteile durchbricht, dann muß man es als etwas Göttliches verehren.
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Alles muß seiner Natur folgen. Ich zittre und knirsche mit den Zähnen, daß es nicht anders ist: der Mensch hat keine Freiheit. Sieh die Inseln der Glückseligkeit vor dir, mit vor Verlangen kochendem Herzen nach ihrer Lust, von üppigem Mut alle Nerven geschwellt: und widerstehe mit kalter Überlegung der Gefahren, die vielleicht auf dich warten, indes der günstigste Wind über dir in den Wipfeln hinsäuselt! Was ist das, daß der Mensch so nach Ruhe trachtet und sie hernach doch nicht leiden kann? Daß das Ziel keins mehr für ihn ist, sobald er es erreicht hat, und er immer ein neues Leben haben muß? Ach, unser Wesen hat keinen Frieden, und Brand und Glut in und über alles ist dessen erste Urkraft.
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Ich sitze hier an den Höhen des Tals von Lucca, wo über mir der Wind durch die Buchen säuselt und unter mir die Quellen rieseln, bewegt in der innersten Seele, wie am Scheidewege meines Lebens. Oh, wer die Zukunft aufhüllen könnte! Aber diese kennt niemand als der, der alles weiß; wir sind nur Funken, unsers Schicksals ungewiß, die in dem Unermeßlichen herumstäuben. Wohl dem, der wie ein Schmetterling sich an den Blumen ergötzt, die er vor sich findet! Hat der, welcher mit Gefahren kämpfte und sein Ziel errang, am End etwas Beßres? Genuß jedes Augenblicks, fern von Vergangenheit und Zukunft, versetzt uns unter die Götter. Was hat der Mensch und jedes Wesen mehr als die Gegenwart? Traum ohne Wirklichkeit alles übrige.
Doch weg mit dieser Mückenweisheit! Unser Geist hat mehr Tiefe. Nur die Kraft ist selig, die Widerstand nach ihrem Maß überwältigt und ihn nach ihrem Wesen ordnet, sei's auch unter Pein und Leiden. Dem Herkules, der den Antäus bezwang, rannen die Schweißtropfen süßer hervor aus seiner Stirn, als ihm je die Umarmungen einer schwachen, gefälligen Dirne waren; und nur Omphale, die ihn die Spindel drehen machte, verdiente die Liebe des Helden.
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Das ganze menschliche Geschlecht ist zu keiner Zeit weder alt noch jung; es bleibt immer in seiner völligen Kraft, wie die ewige Natur, und strebt immer nach größerer Vollkommenheit des Ganzen. Wer kann behaupten, daß es im 18. Jahrhundert nicht vollkommner ist, als es im siebzehnten war? Und so gehe man weiter zurück, und man wird finden, daß das Ganze selbst in den Jahrhunderten, die wir die finstersten nennen, im zehnten und elften Jahrhundert vollkommner war als zu den Zeiten der Römer und Griechen, wo nur kleine Punkte desselben strahlten und neunzehn Zwanzigteile in Wildheit und Elend vegetierten. Die Fackel der himmlischen Vernunft wird so lange zünden und in lebendige Flamme setzen, bis alles eine glückliche harmonische Masse ist, soviel als die Lage unsres Erdenkreises und die Kräfte der menschlichen Form vergönnen.
Daß der Planet, den wir bewohnen, nicht immer so war, wie er jetzt ist, bedarf wohl keiner tiefen Untersuchung; man lese deswegen nur flüchtig den Naturkündiger Saussure über den Montblanc, die höchste und älteste Oberfläche von Europa, Asia und Afrika; daß er einmal eine flüssige Masse war, ist hier wohl klar genug. Wieviel Jahrhunderte oder Jahrtausende sie brauchte, bis sie zu vegetabilischem Leben fähig war, hat die Chemie und Astronomie noch nicht ergründen können. Ebensowenig wie alt die vollkommenste organische Komposition des Menschen darauf ist. Aber daß sie darauf einmal einen Ursprung gehabt hat und die menschliche Form nicht ewig ist, wie die Spinozisten vernünfteln, ist wohl ebenso klar. Und so wenig können wir wieder für die Zukunft ergründen, was aus unserm Planeten mit allen seinen organischen Formen werden wird. Eben weil die Natur, das ewige Wesen, unendlich und unergründlich für jede Form sein muß.
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Wir sind ein ewiges Spiel der vis centripeta und centrifuga, wie alle Dinge, die wir sehn. Woraus bestehn sonst die Pflanzen und Tiere? Es gibt keine Schöpfung aus dem Nichts, folglich ist alles da, was ist; und das neue Werden ist weiter nichts als andre Zusammensetzung der Grundsubstanzen, der Elemente und ihre Auflösung. Wir können damit nicht weiter kommen als an die vis centripeta und centrifuga. Jedes Element hat seine Kräfte; die Hauptkraft von jedem scheint zu sein, sich mit seinesgleichen wieder zu vereinigen, Luft mit Luft, Wasser und Erde mit Wasser und Erde. Die Willkür, die wir nur bei Menschen und Tieren gewahr werden, hat ihre Schranken und kann nicht aus den Kräften der andern Naturen hinaus; wir können nicht von uns weg wollen, nicht in die Erde und über die Erde. Das Element der Organisation, worin es auch bestehen mag, scheint über alles zu herrschen, aber doch nur eine Zeitlang; es kann die Wirkung der andern Kräfte doch nicht völlig hemmen und nicht einmal leiten, wenn sie an Zahl zu mächtig werden.
Aus diesen Sätzen können wir nun Systeme schneiden: wir kommen am Ende aber doch auf bloße Namen und unerklärliche Ursachen, wobei wir stehnbleiben müssen, weil wir nicht ins Dunkle sehen und nicht feiner fühlen können, als unser Gefühl ist. Daher geht alles System endlich ins Ungewisse und zerfällt von selbst. Es ist ein ewiger Kampf in der Natur, und wo die streitenden Parteien gleich mächtig sind, nennen wir's Ordnung, Form, Schönheit und Leben, und wie die Namen alle weiter heißen. Wie Kinder scheuen wir Tod und Vergehen; wir würden bei beständiger Dauer in immer einerlei Komposition vor langer Weile endlich auf ewiger Folter liegen. Die Natur hat sich aus eigenen Grundtrieben dies Spiel von Werden und Auflösen so zubereitet, um immer in neuen Gefühlen ewig selig fortzuschweben, und unser Urberuf ist, dies zu erkennen und glücklich zu sein. Pythagoras hatte ganz recht, die Welt ist eine Musik. Wo die Gewalt der Konsonanzen und Dissonanzen am verflochtensten ist, da ist ihr höchstes Leben; und der Trost aller Unglücklichen muß sein, daß keine Dissonanz in der Natur kann liegenbleiben. Die höchsten Granitfelsen von Wallis und Uri zermalmen endlich die Regen des Himmels und Katarakten der Eisdecken über ihnen; und Jahrtausende sind Momente der Ewigkeit ...
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Alle Erfahrung erhärtet, daß auf unserm Planeten das Unterste zuoberst gewesen ist. Wo itzt Gebirge stehen, waren Seen, und wo Seen sind, waren Gebirge. Das Alter der Welt kann nicht anders als ungeheuer sein. Wann ein Sizilianer aus den Laven des Ätna die Welt schon um viele Jahrtausende älter macht, so ist für den Scharfsinnigen der Ätna selbst mit allen seinen Laven nur ein Moment, eine Schaumblase auf den Tiefen der vergangenen Zeiten. Die höchsten Eisgebirge müssen wieder zu Ebnen werden, in Täler sich verkriechen. Das Meer wird sie überschwemmen; sie werden bis zum Mittelpunkt der Erde versinken. Wenn Erde in Wasser zugrunde geht, warum könnte nicht einmal die ganze Oberfläche dieses Planeten eine runde Kugel von Wasser vorstellen? Hernach kann es wieder heißen: Und der Geist Gottes schwebte auf den Wassern?
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Das Mächtigste und Sinnlichste, was wir auf festem Lande haben, ist ein Sturmwind. Und so hat der November und Dezember, die traurigsten Monate, auch seine hohen Naturfreuden. Am Ufer der Meere besonders.
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Die Sonne löscht alle Freuden der Nacht aus! wie die schönen Sterne, so die süßen Melodien und Harmonien der Phantasie, und die stärksten Gefühle der Vergangenheit und Zukunft.
Die Nacht hat etwas Zauberisches, was kein Tag hat; so etwas Grenzenloses, Inniges, Seliges. Das Mechanische der Zeitlichkeit, das einen spannt und festhält, weicht so sanft zurück, und man schwimmt und schwebt, ohne Anstoß, auf Momente im ewigen Leben.
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Den 12. Mai. – Ich habe noch keinen süßern Übergang von Tag in Nacht gesehen. Die Harmonie der Lichttöne vom Safranrötlichen in milchweißen Schimmer. Jetzt reines, sanftes, stilles Blau, gelöscht, und den aschgrauen Saum der Wolken, die sich dunkel leicht auswölben, und unten sich alles in der Flut widerspiegelt, die hernach wie frische Quellentiefe fortströmt, und die grüne Nacht der Berge am Fluß, Abendstern vor mir, beinah Vollmond hinter mir, Nachtigallengesang, Grillenzirpen um mich, und aufschlipfende Fische, ist unbeschreiblich, nebst den freudigen Menschenkindern in der Ferne.
Zwei Buben machten Feuer von Rohr an, und zu ihnen trieb ein Gärtner zwei Esel. Der Rauch und die Flamme und ihre Beleuchtung. Blinkende Johanniswürmchen.
Der flammend zitternde Lichtschimmer mit der ganzen Harmonie von verschiedenen Lichttinten und dem gelöschten, heitern, stillen Blau dahinter dauert nur wenig Momente, keine Minute; und es gehört Phantasie und Empfindung dazu, ihn aufzubewahren, und viel Kunst, ihn täuschend langsam aufzutragen.
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Nach und nach erblaßten die lieblichen Hörner des bald unsichtbaren Mondes, und verschwand der süße Morgenstern. Das schönste Purpurrot färbte den Saum still harrender Wolken und verging im Feuer. Der heitre Lichtdunst durchglänzt den reinen Äther, und nun blendet der Aufgang der Göttlichen, und ihre Strahlenkrone flammt mitten über Hochheim, und durch ihre Feuersäule strömt der helle Rhein.
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Ein dünner Nebel dampfte auf dem Rhein, umhüllte die fernem Rebenhügel; nur die höhern Bäume, Häuser und Kirchtürme der Dörfer ragten daraus hervor. Die ganze Gegend eine pittoreske Masse, groß und harmonisch, ein erhabnes Werden. Der schönste Purpurbrand am Himmel in den leichten, äußerst feinen, gleichsam damaszierten Streifwölkchen; wahre Süßigkeit fürs Auge. Der Morgenstern entfernt sich verschämt wie ein kleiner weißer Bursch. Der Altkönig und Feldberg beherrscht als Großvater die Gegend. Die Bergstraße ist verwischt in Duft und Nebel. Herrliches einfaches Ganze, wo nur die großen Formen sich sanft erheben. Die Sonne kämpft unüberwindlich und allmächtig mit dem schwachen Gebilde niederer Feuchtigkeiten. Nur die Spitze von Hochheims Turm schaut hervor. Der Morgenstern ist verschwunden. Der Tag nimmt überhand, und die Kontraste werden schwächer. Die Sonne flammt und glüht durchs Gewölk über dem Nebel (hundert Schritt weit gen Seiten von Hochheims Turm). Versteckter Aufgang in dunstigem und nebellichtem Gewölk macht den schönsten Tag. Schon strahlt sie weit und breit durch die freien Räume des Äthers.
(Drei Viertel auf sechs Uhr.)
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Heitre Nacht, frische Luft, Sirius, Orion und der Große Bär strahlten grad über dem Rhein einander gegenüber und führten gleichsam wie eine Braut den tiefen Morgenstern herauf, der sich im Strom spiegelte wie eine Fackel. Ein leises Piano von Sonnenlicht glänzte pyramidenförmig von Osten herauf wie Nordschein, nur freudig und von lebendigem Quell. Die Eulen wünschten sich kreischend guten Tag, wie wir Menschen gute Nacht, und eilten in ihre Nester. (Bald darauf zeigte sich, was die Italiener alba nennen.)
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Reiner Ostwind, schwach wehend. (Von elf bis zwölf Uhr Mitternacht.) Nie sah ich so schön den Orion über dem Rhein strahlen. Er bleibt gewiß das schönste Gestirn, und man muß den Astronomen Beifall geben, die ihn zum Mittelpunkt der unendlichen Welt machen. Sirius geht auf wie eine konzentrierte Sonne und bildet eine Feuersäule in den Fluten. Wie göttlich Orion umlagert ist von den prächtigen Gestirnen des Stiers, des Fuhrmanns, der Zwillinge. Der ganze Himmel ist heiter und die Lüfte still und feiernd. Wie die Fixsterne der ersten Größe Strahlen werfen! Der Große Bär liegt still dagegen. Wie der ganze Strich Himmel über dem Rhein eine starke Musik von Glanz ist! Der tote blasse Mond würde hier alles dämpfen! So ein Sternenheer in lebendigen Strahlen geht weit über seine Beleuchtung. Sirius bleibt immer gegen ihn wie eine griechische Venus gegen eine mittelmäßige Matrone von Königin. Jener ewige Jugend.
Um drei Uhr nach Mitternacht. Der Löwe schon hoch am Himmel und die Jungfrau. Um vier Uhr und fünf Uhr. Jupiter aufgegangen und eine Feuersäule im Rhein bildend. Saturn geht dunkler auf. Um sechs Uhr und ein Viertel. Merkur steht sonnicht am Rhein. Venus geht auf. Die äußerste Grenze des Horizonts wie mit einem Safranduft behaucht. Die Berge stehen blau da im reinen Kontur. Fünfzig Minuten: Merkur verschwindet. Sieben Uhr fünfzehn Minuten: die Sonne zeigt sich in einem Feuerreif überm Gebirg kurz vor dem Ausfluß des Mains. Ein paar Minuten vorher ein leichtes Aufwallen in Purpur des Safranhauches. Dies war das erstemal, daß ich den Merkur sah in meinem Leben, und so unerwartet, so immer neu getäuscht. Erst hielt ich auf einige Momente den Jupiter für die Venus; bewies mir's aber gleich, daß sie's nicht sein konnte. Dann sah ich sie wirklich bei der Sonne, von der sie nicht weichen kann, und plötzlich den Strahlenpunkt Merkur schon hoch am Himmel, so hoch als er stehen kann, eine halbe Stunde lang vor seinem Verschwinden. Merkur ist dieser Stern unrecht getauft, er sollte Amor heißen. Wenigstens sieht er wie dies Kind der Liebe aus, wenn er bei der Venus steht. Eine so schöne gestirnte Nacht hab ich noch nie gehabt. Wunderbar, den 12. und 13. November, den gewöhnlichen Regen- und Wolkenmonat! Der Aufgang war fast ganz ohne Morgenröte; aber Merkur und Venus ersetzten sie mir reichlich.
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Es war um die Zeit, wo die Elemente noch einen Wettstreit der Schönheit miteinander hielten: der spiegelklare Rhein, ein unerschöpflicher Quell von Leben; die heitre leichte bewegliche erquickende Luft, die alles faßt, und worin die muntern Vögel mit Lust ihre Schwingen schlagen; die feste Erde mit ihren stolzen Gebirgen, Wäldern, Blumen und Tieren. Das Feuer spielte lieblich purpurn in den Wolken. Schön und stark und mutig war alles; der Kampf neigte sich zu süßer holder Freundschaft, als er auftrat, der König der Natur, Phöbus in flammenden heißen Strahlen.
Als die Sonne aufging im hohen Sommer nahe beim Feldberg, war der Morgenstern bei ihr, als sie aufging im Herbst über Hochheim, war der Morgenstern bei ihr, als sie aufging über den Gebirgen der Bergstraße, tanzte Merkur und der Morgenstern wieder vor ihr her, und Jupiter und Saturn blieben, als alle andern Sterne schon verschwunden waren. – Sonderbar ist's, daß das Weltsystem, wie es ist, ein Preuße den Nationen erklären mußte und die Araber und Griechen es unter ihrem heitern Himmel nicht entdeckten. –
Eine Lust ist's, so am heitern Morgen vor Aufgang zu sehen und zu empfinden, wie sich die kalten Planeten zur heißen, leuchtenden Sonne neigen und die belebende in Entzücken umschweben. Merkur, Venus und der Mond spielen wirklich wie drei Grazien um die Sonne. Bald tanzen sie vor ihr her, bald ihr nach, am Abend und Morgen. Wer dies so recht fühlt, ist ein Glückskind der Natur.
249
Der Mensch ist ein stolzes Geschöpf; er hat die Oberfläche der Erde gebildet, beherrscht den Adler und Löwen und bändigt das Meer mit seinen Schiffen: aber er weiß nicht, von wo er kommt, noch wohin er geht; erscheint, verändert sich augenblicklich, unsicher, ob er ein eignes Wesen ausmacht, und verschwindet. O ihr, die ihr um uns herum schlummert, Homere, Platone, Alexander! Was und wo seid ihr? Könnt ihr nicht erwachen und uns belehren? –
250
Bei einem Toten und Begrabnen ist nichts Bessers zu denken, als da muß wieder einer auferstehen; denn das eigentliche Leben läßt sich doch nicht unterkriegen, es ist nur ein Spaß.
251
Wenn das Feuer durch Rauch und Nebel bricht und flammt, ist's am schönsten; denn da überwindet's. –
Wer das gediegenste Leben führte, das ist: viel mit der Natur rang und kämpfte und ihrer viel genoß von aller Gattung und sich des Kerns von jeder Szene noch bewußt ist wie ein Gott und daraus ziehen kann, was er will: der ist ein größrer Mensch als andre; so lebten die großen Griechen und alle Menschen von höherm Rang. Wer nur in den Tag hinein lebt, nichts Wichtiges merkt und sammelt und alles bald wieder vergißt: schöpft Wasser wie die Danaiden.
252
Oh, wären auch wir noch in unsrer Blüte wieder frei in das ewig Göttliche verschwunden! Nur die Zeremonien der Hinterlaßnen machen den Moment, wo es geschehen ist, traurig. Gewiß, o gewiß! Wen die Götter lieben, der stirbt jung; wenn er die Schönheiten des irdischen Lebens und dessen Freuden erlangt hat – ich mag mich nicht in den Roman von Leiden hineindenken, der gewöhnlich drauf folgt.
253
Glück und Unglück auf der Welt. Wenn man nur immer wüßte, was Glück und Unglück wäre!
254
Ich bin geworden; und bin nun; und werde aufhören. Ich kann mich nicht erinnern, vorher gewesen zu sein, und weiß ohngefähr die Zeit, wann ich nicht mehr sein werde. An und für mich bin ich eigentlich nichts. Ich bin nichts Einfaches, sondern etwas Zusammengesetztes.
Was die Menschheit in mir ausmacht, weiß ich nicht.
Wie das Ding, Menschheit, überhaupt erst entstanden ist, weiß ich nicht.
Das Ding, Menschheit genannt, gehört nicht zum Wesentlichen der Natur, es ist etwas Vorübergehendes.
Aber das einzelne, woraus es besteht, bleibt; etwas Wirkliches hört nicht auf.
Die Schöpfung ist eine Art der Elemente, mit Zuneigung in Maß und Zeit zusammen zu sein, zu existieren, und nichts, was für sich besteht, nichts Ewiges. –
Es ist ein interessanter Zeitvertreib, zu untersuchen, wie sie entstanden sein kann, wie sie fortfährt, und wie sie immer wieder aufhört.
Es ist wie ein Wurf, der eine gewisse Weile dauert; der aber aus sich selbst wieder von neuem entsteht.
Es ist also eine Kraft, die von neuem immer wieder beginnt, mitten in ihrer Stärke, gewöhnlich, sonst aber ihre Zeit dauert. –
In der Lehre von den Verwandtschaften steckt das Ganze.
Die Begierde, zu erkennen, ist das nämliche.
Ob die Verwandtschaften mit der Zeit abnehmen, wie die Begierde, zu erkennen?
Ob die Zeit den Reiz schwächt?
255
Was ist sterblich? Was ist unsterblich? Darauf kommt alles an.
Unsterblich sind allein die Elemente, entweder teilweise oder rein beisammen, ewig oder untereinander in der Zeit. Das Untereinander besteht nur in der Zeit, oder, welches einerlei ist, zeitlich, sterblich ist es.
Das Meer, das Wasser im Meer dauert am längsten beisammen, weil es etwas hat, was es festhält, das Salz. Es ist die einfachste Komposition. Die zusammengesetzteste Komposition kann am wenigsten dauern und ist also das Sterblichste.
Also die einfachste Komposition nähert sich der Unsterblichkeit am mehrsten, wenigstens kann sie sich ihr in Menge, wie im Meer, im Erdball, am mehrsten nähern. Also die rollenden Weltkörper, die die anziehende Kraft am längsten zusammenhält. – Meine Dauer als Mensch ist eine unendliche Kleinigkeit gegen die Dinge. Das Schicksal des Menschen ist jeden Moment veränderlich. –
Das Göttlichste für den Verstand und die Vernunft ist: die ewige Dauer der Grundsubstanzen, der Elemente im Reinen und Großen reizend und bezaubernd und mächtig in ihren Wirkungen zu schildern; und das Gedächtnis, das Persönliche als klein und elend und gegen das Große und Unermeßliche des Lebens in der unendlichen Welt. Man muß den Menschen zu großen Ansichten erheben, und von den erhabenen Wesen der Natur, Luft und ihren Erscheinungen, Meer, Gestirnen und Sonnensystemen den Anfang machen, und das Beste, was wir in uns haben, in ungeheure Massen bringen.
256
Tun wir den äußersten Flug menschlicher Einbildungskraft und nehmen Anfang an, wo es nur immer möglich ist.
Stellt euch das Chaos vor, das alle Götter, Menschen, Tiere, Pflanzen, Metalle und Steine gebar, wie einen unermeßlichen heißen Nebel im unendlichen Räume, worin Sonnen und Planeten noch zerstäubt schwimmen mit den Meeren, Erden und Lüften.
Es begann die Zeit: Feuer und Lüfte, und Wasser und Erden schieden sich, und ein gleichartiges Wesen gesellte sich seiner ewigen Natur nach zu dem andern. Die jungen Sonnen wälzten sich und wuchsen, bis jede sich aus ihrer Sphäre, gleich ewigen blendenden Gewittern von lauter Blitzen und Wetterstrahlen (wovon wir an unsern Wolken zuweilen nur winzige dunkle Schatten sehen) zusammengesammelt hatte, und besäeten die Himmel. Die gröbern Massen sanken unter, jede nach ihrem verschiednen Grade; und machen nun die Planeten aus, die immer schwebend herumtanzen, sich wieder mit dem holden Lichte zu vereinigen, aber wegen ihrer Schwere nicht zum Anflug gelangen.
Und die Liebe ward geboren, der süße Genuß aller Naturen füreinander, der schönste, älteste und jüngste der Götter, von Uranien, der glänzenden Jungfrau, deren Zaubergürtel das Weltall in tobendem Entzücken zusammenhält. Und alle lebendigen Geschöpfe erhaschten in diesem Getümmel ihren Anfang; und vermehren sich nach alter Art immer wieder aus einem kleinen neuen Chaos von Elementen, nach Anzahl, Maß und Form der ersten Zusammensetzung.
Das Element, das alles füllt, das sich am freisten und ungebundensten durch das Unermeßliche breitet, ohne welches nichts bestehen kann, was lebt, selbst das Feuer nicht, ist die Luft. Wir Trismegisten und Orpheusse gaben ihm den Namen Zeus; und stellten diesen den Völkern in Wolken auf einem Donnerwagen mit dem flammichten, zackichten Keil voll furchtbarer Majestät als dessen Regenten vor; weil sie nicht bis zu dem Unsichtbaren gelangen und Gestalt für den Sinn haben müssen.
Sein erstgeborner Sohn, Licht und Feuer, ist Apollo, der Sonnengott.
Der Beherrscher der Wasser, Zeus' Bruder, Neptun.
Den Erden, den Sammlungen unzählbarer andrer Elemente, setzten wir das Heer der übrigen Götter vor; und erteilten dem dritten Bruder Pluto in den Unterwelten den höchsten Zepter. –
257
Es wird eine Zeit kommen, und nach der Freiheit, womit die großen Geister schon anfangen, ihre Flügel zu schwingen, kann sie nicht mehr fern sein, wo die Sonne und die Fixsterne auch bei den Menschen ihren erhabnen Posten behaupten werden wie in der Natur und unsre kleine Erde mit den andern Planeten um ihre Lebendigmacherin herumrollen wird; es wird die Zeit kommen, wo der kleinste Nebelstern Sonne sein wird und ein hellerer Morgen in unsern Kerker einbrechen; bis wir uns endlich alle Bande abstreifen und des ewigen Daseins, unsres Eigentums, als echte Kinder Gottes genießen, in unaussprechlicher Wonne, sonder Grausen vor den armseligen Schreckwörtern Tod und Zerstörung.