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Im Namen des milden barmherzigen Gottes!
Wie der Raucher den Chichaschlauch faßt, um Trost zu suchen, so fasse ich, Ibrahim, Salahs Sohn, die Feder. Ja h'asra!
Es geschieht nicht in Hoffnung, daß die Kinder meines Geistes in das Tageslicht hinausgehen und sich durch ihr anmutvolles Auftreten die Bewunderung der Menge erwerben. Ja h'asra! Ach nein! Während eines langen Lebens sah ich viele Schriftsteller Beifall und Ruhm gewinnen, doch mein Platz war stets im Schatten, wie der der Nachtigall. Wie diese habe ich unbemerkt gesungen, und im Laufe von fast tausend Nächten unbemerkter denn je, dank Bachir, Abdullahs Sohn, dessen Name verflucht sei. Ja, wahrlich, unbemerkt.
Also nicht in der Hoffnung auf Sieg und auf Ruhm ziehe ich das Schwert der Zunge und besteige den Traber der Beredsamkeit. Nein, um Gedanken zu verscheuchen, die mich gleich Feinden von vielen Seiten angreifen. Sie lärmen und sagen: Nun, Ibrahim, Salahs Sohn! Ward dies dein Schicksal! Du, der du den Koran von der letzten Seite bis zur ersten kennst; du, der du menschenfeindliche Gedichte geschrieben hast, würdig des bitteren Abul Ala el Maarri, und frohe Trinklieder, würdig des ausgelassenen Hafis; du, der du die Söhne des Propheten zum Kampf gegen die Ungläubigen angerufen hast, und dem ein Gedicht an den französischen Präsidenten auf der vierten Seite des Petit Tunisien abgedruckt wurde – du sollst dein Leben mit einer Seidenschnur um den Hals enden, durch die Ungeschicklichkeit eines Weibes in der Kunst des Erzählens! Haha, Ibrahim, Salahs Sohn! Was hast du selbst in einem Gedicht, würdig Nasir Khosrus gesagt? »Eines Weibes Rede ist wie der Strahl des Springbrunnens; sie erhebt sich zur Höhe, doch nur einen Augenblick; sie fließt und fließt, aber die Schale, die sie aufnimmt, wird nie voll«. Und du, der du dies gesagt hast, du, der du weißt, wie sehr das Weib dem Manne unterlegen ist, du ließest eine Weiberzunge durch mehr als neunhundertneunzig Nächte laufen und setztest deine Hoffnung auf sie. Wohl dir, wenn man dies nicht in deinem Nachruf schreibt! So tosen die Gedanken, und um sie in die Flucht zu jagen, ziehe ich das Schwert der Zunge und besteige den Traber der Beredsamkeit, wohl wissend, daß ich, ehe der nächste Morgen graut, den einsamen Weg des Todes gewandert sein werde.
Ja h'asra! Ach ja, den einsamsten aller Wege!
Denn wenn auch ein Weib und ein dicker Engländer gezwungen werden, mir Gesellschaft zu leisten, müssen wir uns doch bald trennen, so gewiß ich auf das Paradies hoffe.
Ich bin in der Oase Nefta geboren, nicht weit von Tozeur, unter einer Bevölkerung, die womöglich noch unempfänglicher für wohllautende Verse ist, als die Bevölkerung von Tozeur. Was die Kunst betrifft, das Leben zu genießen, so haben die Einwohner beider Oasen ungefähr gleichviel Begriff davon. Ein öliges Gericht Kußkuß und ein Schluck Wasser ist ihre Auffassung von einer Mahlzeit, eine Tasse Kaffee ihre Idee von Luxus und Genüssen! Gar bald hörte ich in mir Stimmen, die sagten, daß dies nicht der richtige Platz für mich sein kann. Aber aus Treue gegen die Traditionen hielt ich bis zu meinem neununddreißigsten Jahr in der Oase aus, wo ich als Sänger und Khammes (Palmzüchter) meinen Lebensunterhalt verdiente. Doch dann wurde meine Sehnsucht zu stark. Ich verkaufte das wenige, das ich besaß. Von den Spöttereien meiner Stammesgenossen verfolgt, verließ ich Nefta und habe es nie wiedergesehen. Hätte ich doch auch nie Tozeur erblickt! Wäre ich klug genug gewesen, in zivilisierten Ländern zu bleiben! Aber zu spät wünscht sich der Schakal ohne Schwanz, wenn die Zangen der Falle ihn schon umklammern. Mektub! Es stand geschrieben!
Von Nefta zog ich nach Tunis, dem großen, dem weißen. Endlich ging mir auf, was eine Stadt ist, was die Zivilisation ist, was es heißt, zu leben und zu genießen! Wie ich den Kußkuß, die Datteln und das Wasser der Oase verachten lernte! Wie ich auf diese rohen Wüstenbewohner herabsehen lernte, die nur Sinn für alte Heldengedichte haben und glauben, daß es wirklich die Absicht des Propheten war, andere Getränke als Wasser und Kaffee zu verbieten! In Tunis gab es Restaurants, wo man das fünfte Kapitel des Koran (in dem die unreinen Tiere aufgezählt werden) nicht kannte, wohl aber die Kunst, alle Tiere gleich wohlschmeckend zu machen; in diesen Restaurants lernte man bald erkennen, daß, wenn Allah den Wein verboten hat, er ihn nur für ungebildete Menschen verboten hat, die in der Wüste wohnen, und wenn er den Kaffee erlaubt hat, er in Widerspruch mit sich selbst geraten müßte, wenn er die Liköre verbieten würde. In Tunis gab es junge französische Journalisten, die bereitwillig meinen klingenden Versen lauschten, wenn ich ihnen Absinth vorsetzte, und die sie in dem Grade bewunderten, daß eines meiner Gedichte auf der vierten Seite des Petit Tunisien abgedruckt wurde! Ja h'asra! So großen Ruhm erlangte ich in Tunis, dem weißen, dem großen, obschon es wahr ist, daß ich mir mein Geld damit verdienen mußte, dem Volk auf den Märkten Bab Souika und Halfaouin einfältige Heldengedichte vorzusingen. Aber was schadete das! In Tunis gab es auch kleine Zimmerchen, weich wie die Betten des Paradieses, wo man ganz allein mit den schönen Frauen aus dem Casino Municipal speisen konnte. Tausendmal schöner waren sie als die Wüstenweiber, weißer, duftender, kenntnisreicher. Ja h'asra! Was machte es da, wenn ein Stelldichein mit ihnen hundert Heldengedichte kostete! Nachdem ich hundert Heldengedichte für sie verausgabt hatte, besang ich sie in anderen Gedichten, die allerdings nicht im Petit Tunisien gedruckt werden, aber denen die jungen französischen Journalisten lächelnd beim Absinth lauschten. So ging die Zeit, und ich wurde immer vertrauter mit der Kultur der Europäer.
Da traf eines Tages eine Botschaft aus der Wüste ein, und es stand geschrieben, daß ich ihr lauschen sollte, anstatt meine Ohren mit Wachs zu verstopfen! Mein Bruder, so sagte die Botschaft, war in Tozeur gestorben und hatte mir alles hinterlassen. Wieviel dies war, sagte die Botschaft nicht, und selbst wußte ich nichts von den Lebensumständen meines Bruders. Aber die Botschaft klang hoffnungsvoll, und ich hatte es schon satt, auf dem Markte Bab Souika und bei den Hochzeitsfesten einfältige Gesänge zu rezitieren. Konnte ich eine Erbschaft antreten, so war dies vorteilhaft. Ich nahm für eine Zeitlang Abschied von den Restaurants mit dem guten Essen und dem starken Wein; ich nahm Abschied von den jungen Franzosen, und ich nahm Abschied von den schönen Frauen im Casino Municipal. – Ach ja! ach ja! Ich nahm mir ein Billett für den Zug, und ich fuhr nach Tozeur, um die Erbschaft nach meinem Bruder anzutreten.
Voll von Hoffnungen kam ich an, bereit zu beweisen, daß ich der einzige Erbe war. Ich hatte mir schon zurechtgelegt, wie ich das, was mir zufiel, anwenden wollte. Und – – –
Ah, welche Erbschaft! Ah, der Elende! Was war es, womit er mich bedacht hatte? Was war das für eine Erbschaft, die er mir hinterließ?
Eine siebzehnjährige Tochter, das war alles.
Zuerst weigerte ich mich, meinen Ohren zu trauen. Aber nein. Es war wahr. Mohammed, mein Bruder, war tot, alles, was er hinterlassen hatte, war seine Tochter, Aouina; nicht ein Kamel, nicht einen Esel, nicht eine Ziege darüber hinaus, und mir, Ibrahim, seinem Bruder, hinterließ er dieses Erbe! Nein, ich will meinen Zorn nicht schildern. Ewige Belohnung erwartet den, der seinen Zorn dessen Ursache nicht entgelten läßt, sagt der Koran. Sicherlich erwartet diese Belohnung mich. Ich ließ meinen Zorn Aouina nicht entgelten. Ich beherrschte mich und hielt nach einem reichen Mann Umschau, dem ich sie gegen eine passende Morgengabe überlassen konnte.
Viele reiche Männer gab es in Tozeur, aber je mehr ich meine Nichte und ihre Voraussetzungen in Betracht zog, desto mehr schrumpfte die Anzahl zusammen. Meine Nichte Aouina entbehrte nicht einer gewissen Schönheit. Ich, Ibrahim, Salahs Sohn, sagte dies, obwohl ich wahrscheinlich um ihretwillen den Tod erleiden werde, ehe der Hahn wieder kräht, so groß ist meine Liebe zur Gerechtigkeit und meine zivilisierte Erhabenheit über das Unglück. Aber ihre Schönheit war von jener Art, die ich in dem zivilisierten Tunis verachten gelernt hatte. Ich verglich sie in Gedanken mit den schönen Frauen aus dem Casino Municipal, und da mußte ich lachen! Sie waren weiß, sie war braun. Sie dufteten nach berauschenden Parfüms; sie duftete wild wie die Wüste. Sie gingen anmutsvoll wie Pfauen auf hohen Absätzen, sie ging wie ein Knabe. Sie konnten zivilisierte Lieder singen voll Doppelbedeutung; sie konnte nur eine Unzahl Ammenmärchen und Sagen, die sie von umherwandernden Beduinen und anderen gelernt hatte. Nein, die Möglichkeit, sie einem reichen Mann gegen eine passende Morgengabe zu überlassen, war nicht groß, denn all die reichen Männer, die es in Tozeur gab, waren schon verheiratet, und außerdem waren sie geizig und hatten keineswegs den Wunsch, mehrere Frauen zu nehmen. Das erfuhr ich bald. Ich war schon im Begriff zu verzweifeln, als jemand Bachirs Namen nannte.
Bachir, Abdullahs Sohn, zum zweiten Male schreibe ich deinen Namen, und zum tausendsten Male verfluche ich ihn! Du hast die Macht, die Seidenschnur und die Sklaven, aber wenn du glaubst, daß du dir damit bei jemandem, der philosophische Gedichte, Abul Ala el Maarris würdig, geschrieben hat, Respekt verschaffen kannst, täuschest du dich! Du kannst mich dazu bringen, vor dem Tode zu zittern – denn trotz allem, was der Koran sagt, erscheint er mir nicht weniger unerfreulich – aber nie bringst du mich dahin, vor dir zu zittern, du feiger Tyrann! Du kennst die Natur eines Dichters nicht, und du kennst nicht die Stärke, die die Zivilisation verleiht. Zittere selbst! Verachtet und gehaßt wird dein Name auf die Nachwelt kommen, wenn sie hört, daß du Ibrahim, Salahs Sohn, getötet hast. Die schönen Frauen im Casino Municipal werden weinen, und die jungen Journalisten werden auf der vierten Seite des Petit Tunisien Artikel schreiben, wenn sie von deinem Verbrechen und meinem Tode hören werden.
Aber leider sind die Aussichten, daß sie davon hören werden, nicht groß. Du hast die Macht in diesem Hause, und seine Wände verschlingen alle Laute, gierig, wie die Wüste den Regen verschlingt.
Ich ging zu Bachir, Abdullahs Sohn (dessen Name verflucht sei). Sein Name und seine Familie war mir wohlbekannt. Lange, lange durch Jahrhunderte, sagte man, waren sie die Reichsten und Mächtigsten in Tozeur gewesen. Sie waren die kühnsten Krieger; sie waren die reichsten Kaufleute; sie waren die größten Plünderer und Räuber; alles war ihnen so lange und so gut geglückt, daß das unwissende Volk von Zauberei und Magie sprach. Es hieß, daß sie einen Talisman hatten – einige sprachen von einem Ring, die anderen von einer Lampe, wieder andere von einem Gebetteppich – etwas, das ihnen nicht genommen werden konnte und ihnen untrüglichen Erfolg brachte. All dies war das Gerede des unwissenden Volkes, für das zivilisierte Menschen nur ein Lächeln haben. Uebrigens liegt der Zeitpunkt ihrer Erfolge weit zurück. In den letzten Menschenaltern waren ihre Erfolge nicht so groß gewesen, aber noch immer waren sie sehr reich, hielten sich für vornehmer als die anderen Familien in Tozeur, und gleichsam, um das zu betonen, lag ihr Palast auf einer Anhöhe im Inneren der Oase, nicht unter den Häusern in Tozeur.
In diesem Palast fand ich Bachir, Abdullahs Sohn (dessen Name verflucht sei). Er war vierzig Jahre alt, sein Bart war dünn, seine Augen trübe und heimtückisch, und er fächelte sich unaufhörlich mit einem Fächer aus Perlmutter und Straußfedern. Nicht eine der schönen Frauen im Casino Municipal hatte einen solchen Fächer. (Aber in der Djehennem wird er dir nicht Kühlung zufächeln, o Bachir!) Er hörte meine Rede aufmerksam an und sagte:
»Das Mädchen ist schön wie die Nacht im Lenzmonat, sagst du, keusch wie die Wüste und voll von Geschichten wie die fernherwehenden Winde. Deine Sprache ist wohlklingend, o Ibrahim, und all dies willst du mir verkaufen?«
»Deine Morgengabe«, sagte ich, »muß ihre Vorzüge aufwiegen und deinem Reichtum entsprechen. Aber wenn sie auch mir, ihrem Oheim, ausbezahlt wird, berechtigt dies dich nicht, so zu mir zu sprechen.«
Er lachte verletzend. Warum ließ ich mich nicht von diesem Lachen warnen? Er sagte, daß er nie jemandem auf sein Wort glaube. Er wolle Aouina sehen, bevor er sich entschließe. Vergeblich hielt ich ihm vor, daß dies dem Koran widerstreite und daß niemand das Antlitz der Braut sehen darf, ehe die Hochzeitszeremonien vorüber sind und die Morgengabe bezahlt ist. Zur Antwort stellte er es mir anheim, sie einem anderen anzubieten. Was war da zu tun? Ich führte Aouina zu ihm. Seltsamerweise fand er Gefallen an ihr, ja, obgleich sie keineswegs schön war, wie zivilisierte Frauen es sind. Wer war froher als ich? Ein Ehekontrakt wurde aufgesetzt, und die Hochzeit wurde gefeiert. Ich glaubte meine Zukunft gesichert. Aber ich hatte die Rechnung ohne Bachir gemacht (dessen Name verflucht sei).
Tag für Tag verschob der Elende die Auszahlung der vereinbarten Morgengabe. Anfangs fühlte ich mich wohl im Hause und mahnte ihn mit fügsamen Worten. Er fächelte sich mit dem Fächer und sagte: R'edda! Morgen! Aber so allmählich überwältigte mich die Sehnsucht nach der Zivilisation, und ich wurde dringlich. Bachir fächelte sich mit dem Fächer und sagte: R'edda! Ich dachte an Tunis, das große, das weiße, das gebildete, ich dachte an die Restaurants, die höflichen Journalisten, die schönen Frauen, und ich wurde heftig. Bachir sah mich mit Augen an, die denen einer Eidechse glichen, und sagte: R'edda! R'edda! Endlich begriff ich, daß er sich ein Vergnügen daraus machte, mich zu peinigen. Dies wurde mir um so klarer, wenn ich an andere seiner Charakterzüge dachte. Einmal ums andere lockte er mich, etwas von meinen Gedichten vorzutragen; er lauschte aufmerksam und überschüttete mich mit Lob, nur um dann plötzlich in ein Hohngelächter auszubrechen, das seine wirkliche Meinung verriet. Wenn er mich den König der Dichter nannte, durfte ich das nie ernst nehmen, aber wenn ich ihn an die Morgengabe mahnte und er mich den Vater der Kuppler nannte, so war dies immer ernst gemeint.
Ich brannte vor Rachedurst und vor Lust, diese Heimatstätte der Barbarei zu verlassen. Vergeblich bat ich Aouina, bei ihrem Manne auf die Ausbezahlung der Morgengabe zu dringen. Sie sagte nein, denn sie war ihm in allem und jedem untertan und liebte ihn, trotz seiner widerwärtigen Eigenschaften. Und eines Tages, als Bachir auf der Jagd war, ereignete sich das unglückselige Mißgeschick, das mich ganz in Bachirs Hand lieferte! Wenn ich morgen um diese Zeit tot bin, so ist es infolge dieses Mißgeschickes und infolge der Ungeschicklichkeit eines Weibes in der Kunst des Erzählens.
An diesem Tage war Bachir auf der Gazellenjagd in der Wüste, und er wurde nicht vor dem nächsten Morgen zurückerwartet. Ich wanderte in seinem Garten umher, über die Ungerechtigkeit des Lebens nachsinnend, als ich einen Franzosen erblickte, der den Garten durch die Palmenblatthecke aufmerksam betrachtete. Mein Herz klopfte vor Freude. Es war ein Labsal, nach so vielen Wochen in barbarischer Gesellschaft einen gebildeten Menschen zu sehen. Ich sprach den Franzosen an. Er wünschte, sich den Garten anzusehen. Ich beeilte mich, seinen Wunsch zu erfüllen, wohl wissend, daß Bachir Fremden nie Zutritt gab. Aber Bachir war auf der Gazellenjagd. Der Franzose besichtigte den Garten und war voll Bewunderung für seine Ueppigkeit. Er hielt mich für den Herrn des Hauses und beglückwünschte mich zu meiner Wohnung. Mit bitteren Worten sagte ich ihm, daß ich nur ein vom Unglück verfolgter Dichter sei und der Herr des Hauses, der sich auf der Gazellenjagd befand, ein Schurke.
Er beugte sich mit einem Auffunkeln in den Augen näher zu mir.
»Ist er auf der Jagd? Dann kann man vielleicht seinen Harem sehen?«
Nur zu gut kannte ich die kindische Neugier der Europäer, wenn es sich um einen Harem handelt. Sie haben die schönsten Frauen der Welt in ihren Cafés, und sie vergehen vor Lust, einen Haufen unförmiger Wesen ohne Bildung zu sehen! Aber plötzlich leuchtete ein Gedanke in der Dunkelheit meiner Seele auf, Bachir war auf der Gazellenjagd. Warum nicht dem Franzosen Aouinas Gemach und sie selbst zeigen? Das hieße sich an Bachir rächen, und es hieße zugleich einen Teil der vorenthaltenen Morgengabe bekommen! Denn natürlich beabsichtigte ich nicht, dem Franzosen das, was er sehen wollte, ohne reichliche Entschädigung zu zeigen.
Ja h'asra! Der Franzose war sofort bereit, die Summe zu bezahlen, die ich verlangte. Er wunderte sich nur, daß ich, ein Muselmann, willig war, einem Ungläubigen den Harem des Hauses zu zeigen. Ich sagte ihm, daß ich wohl ein Muselmann sei, aber dabei ein zivilisierter Mensch ohne Vorurteile. Es war Dämmerung. Ich geleitete ihn durch den Garten zu einem geheimen Pförtchen. Von diesem geheimen Pförtchen führte ein verborgener Gang zu Aouinas Gemach. Es war Bachirs Privatweg. Durch diesen führte ich den Franzosen in die Haremsräume. Aouina hielt sich verschleiert dort auf. Sie war starr vor Staunen, als sie den Fremdling sah. Aber das Unglück ließ nicht auf sich warten. Denn kaum hatten der Franzose und ich die Schwelle überschritten, als die gegenüberliegende Türe sich öffnete und Bachir hereinkam. Er war der Jagd überdrüssig geworden und früher heimgekehrt, als seine Absicht gewesen war. Wäre ich nicht vor Rachsucht und Geldgier blind und taub gewesen, ich hätte vom Garten aus seine Pferde wiehern hören müssen. Ja h'asra! Was nun geschah, geschah sehr rasch. Der Franzose war noch kaum dazu gekommen, einen Blick um sich zu werfen, aber sowie Bachir sich zeigte, begriff er alles. Es ist wahr, daß die französischen Theaterstücke, die ich gesehen habe, von solchen Szenen wie dieser wimmeln. Ohne einen Augenblick zu verlieren, schlug er die Tür des geheimen Ganges zu und entfloh. Bachir stürzte ihm brüllend nach, doch die Furcht beflügelte die Schritte des Franzosen, und er entkam. Ich allein blieb zurück, um Bachirs Wut standzuhalten, und ebensogerne hätte ich mich einem verwundeten Löwen Angesicht gen Angesicht gegenübergestellt. Ich will nicht die Erinnerung an die Schläge zurückrufen, die auf mich herabregneten, oder an die Namen, die sie begleiteten, und von denen der Titel König der Kuppler noch der wenigst verletzende war. Aber doch war sein Zorn gegen mich ein Nichts im Vergleich zu seinem Zorn gegen Aouina, die er der Teilhaftigkeit an dem unglücklichen Vorfall verdächtigte. Ouras ennebi! Beim Haupte des Propheten, es ist ein Wunder, daß er uns nicht beide auf der Stelle tötete! Aber er tat es nicht. Er schickte uns fort, und ließ uns beide gesondert in Dunkelheit und Abgeschiedenheit bewachen. Sieben Tage vergingen, an denen ich die Sonne nicht sah und nicht einmal Brot oder Wasser zu kosten bekam. Am achten Tage ließ er uns beide rufen.
Als er uns empfing, war er milde und lächelnd, wie die Katze, wenn sie einen Vogel gefangen hat. Ich zitterte an allen Gliedern, aber ich merkte, daß Aouina, die den Kopf gesenkt hielt, nicht zitterte. Hatte die Furcht sie gelähmt? Wahrscheinlich. Bevor Bachir zu uns sprach, fächelte er sich lange mit dem Fächer. (Aber in der Djehennem wird er dir keine Kühlung zufächeln, o Bachir!)
»O du Befehlshaber aller Kuppler!« sagte er schließlich. »Ich entsinne mich wie in einem Traum, daß du auch der Vater aller Dichter bist. Ist dem so?«
Ich schwieg.
»Um deiner selbst willen bitte ich dich, zu antworten. Bist du das, was ich sage?«
»Ich schreibe Gedichte,« sagte ich.
»Um deiner Fußsohlen willen sage: Ich bin der König der Dichter und Kuppler!«
Ich willfahrte seinem Wunsch. Er fuhr fort:
»Als du versuchtest, zwischen deiner Nichte und mir zu kuppeln, da sagtest du, sie sei so voll von Geschichten wie die fernher kommenden Winde. Ist das wahr?«
Ich bestätigte es.
»Für das Verbrechen, das sie begangen hat, ist die Strafe im Koran, unserem Gesetz, festgelegt. In dem Kapitel ›Die Frauen‹ steht geschrieben: Hat eine deiner Frauen Ehebruch begangen, so sperre sie in deinem Hause ein, bis der Tod sie dort besucht. Und wenn niemand Nahrung bringt, kommt der Besuch des Todes rasch.«
Aouina erhob die Stimme, ohne das Antlitz zu heben:
»In dem Kapitel ›Das Licht‹ steht auch geschrieben: Die Frau befreie sich von der Strafe, indem sie viermal hintereinander Gottes heiligen Namen anruft. Mit einem fünften Schwur rufe sie seine Strafe auf sich herab, wenn sie falsch schwört.«
Bachir sagte:
»Und der nächste Vers im selben Kapitel räumt ein, daß Allah den Meineid nicht immer straft. Das ist zu bedauern, denn dadurch verlieren die Schwüre der Frauen ihren Wert.«
Aouina sagte: »Noch mehr ist der zu bedauern, der eine Frau ohne Grund der Untreue anklagt. Der Koran sagt: Gebt ihm achtzig Schläge unter die Fußsohlen, und möge sein Zeugnis für allezeit verachtet sein.«
Bachir sagte: »Du kennst den Koran in den Teilen, die die Untreue betreffen, gut. Sicherlich hat dein Oheim sie dir schon im vorhinein eingeprägt. Aber quäle dein Gedächtnis nicht weiter! Ihr habt beide den Tod verdient. Ihr werdet beide sterben.«
Ich erschauerte. Wenn der Tod für ein junges Weib, wie Aouina, die kaum noch das Leben gekostet hat, unangenehm ist, so ist er für einen Mann wie mich, der weiß, was das Leben ist, unerträglich.
»Die Franzosen!« rief ich. »Glaubst du, sie werden dir gestatten, jemanden ohne Urteilsspruch zu töten?«
»In diesem Hause bin ich Herr, und des Hauses Wände sind dick. Was hier geschieht, kommt den Franzosen nie zu Ohren. Aber ich bin klassisch gebildet. Ich habe mir eine Art ausgedacht, mich nach Art unserer Vorväter zu vergnügen. Auch dies wird den Franzosen nicht zu Ohren kommen.«
Er fächelte sich mit dem Fächer und sprach zu Aouina:
»Der Tod ist der einzige, der Zeit hat zu warten. Was verschlägt es dem Tod, ob er tausendundeine Nacht wartet? Dies ist mein Wille. Bevor dein Oheim dich mir zuführte, versicherte er mir, du seiest so voll von Märchen und Geschichten, wie die fernher kommenden Winde. Gut! Solange du mir Märchen erzählen kannst, die ich nie gehört habe, solange sollst du und er leben. In der Nacht, wo du dies nicht kannst, sollt ihr sterben! Ich habe gesprochen.«
Die Haare sträubten sich auf meinem Kopfe. Er hatte mich, einen Dichter, zu seiner Verfügung, aber nicht an mich wendete er sich mit seinem Verlangen nach tausendundeinem neuen Märchen, sondern an sie, ein Kind, ein Weib! Wir waren also verloren!
Bachir las in meinen Zügen und brach in ein Hohngelächter aus.
»Seht doch den Vater der Dichter und Kuppler! Er will sich erbötig machen, an ihrer Statt zu erzählen! O Ibrahim, Salahs Sohn, ich habe deine Gedichte gehört, und ich sage dir, dürftest du nur eine einzige Nacht erzählen, die Morgensonne fände euch beide mit der Seidenschnur um den Hals. Erkenne meine Gnade und freue dich.«
Er erhob sich und sagte zu den bewaffneten Dienern:
»Ich habe gesprochen. Führt sie fort, bis die Nacht anbricht!«
Also geschah es, daß mein Leben von der Zunge eines Weibes abhängig wurde. Ja h'asra! Von dem Unzuverlässigsten auf Erden, von der Zunge eines Weibes. Aber lange hatte es den Anschein, als sollte alles gut gehen. Ich, der ich gefürchtet hatte, daß die erste Morgensonne mich in die Heimat der Houris gehen sehen würde, ich überlebte sowohl diese Morgendämmerung, wie viele andere. Ja, über neunhundert Nächte gingen, und immer wieder verstand es Aouina, neue Märchen zu ersinnen, um Bachir (dessen Name verflucht sei) zu fesseln. Wie eine Teppichweberin die Fäden, den roten, den gelben und den weißen miteinander verschlingt und sie zu einem bunten verwirrenden Muster verflicht, so verflocht sie die Fäden von hundert Handlungen zu Bachirs Ueberraschung und Verwirrung. Stets wieder genarrt, suchte er ihr zuvorzukommen und zu rufen: Ich wußte es! Ja, genarrt durch neunhundertachtundneunzig Nächte. Sie erzählte das Märchen von dem Sultan und den fünfunddreißig Wesiren; sie erzählte das Märchen von den fünf blinden Brüdern; sie erzählte das Märchen von dem Djinn und dem Granatkern und viele andere dazu, deren Namen ich vergessen habe. Obwohl ich selbst ein Dichter bin, und sie es nicht ist, konnte ich ihr doch zuweilen eine flüchtige Bewunderung nicht versagen. Aber zum Glück brachte ich sie nie zum Ausdruck! Denn gestern, als die Sonne hinter den Häusern von Chabbia versank, brach die neunhundertneunundneunzigste Nacht an, in der ihre Dichtkunst ein Ende nahm. Bevor die Sonne zum tausendsten Male wieder aufgeht, wird sie und ich, Ibrahim, Salahs Sohn, mit aller Gewißheit tot sein.
Aber wenn der Tod für ein junges Weib, das kaum noch das Leben kennt, unangenehm ist, so ist er für einen Mann, der in zivilisierten Ländern gelebt hat und weiß, was das Leben ist, unerträglich.
Aouina sagte:
»So, o du, der du Herr über mein Leben und meinen Tod bist, endete die Geschichte von den zwei versteinerten Prinzen. Aber sie wird an Lehrreichtum bei weitem durch die Geschichte von den drei Brüdern und dem Teppich aus Kandahar übertroffen. Falls du meinen Tod nicht beschlossen hast, will ich sie dir erzählen. Die Nacht ist noch nicht vorbei.«
Bachir sagte:
»Noch hast du kein Märchen erzählt, das ich schon kannte. Solange du das nicht tust, ist dein Leben sicher. Fahre fort!«
Aouina sagte:
So wisse denn, daß der Kalif Harun al Raschid eines Tages durch Bagdad ging, um das Leben seines Volkes zu beobachten. In seiner Gesellschaft hatte er den Wesir Djafar und den Obereunuchen Mesrour, und sie waren alle drei wie Kaufleute gekleidet, die aus Mosul oder Basra nach Bagdad gekommen sind. Lange gingen sie durch die Straßen, aber fanden nichts, was ihre Aufmerksamkeit erregte, bis sie in einem engeren Gäßchen drei ärmlich gekleidete Männer erblickten. Dem einen fehlten beide Arme, dem zweiten beide Beine, und dem dritten beide Augen. Der Beinlose hing zwischen dem Armlosen und dem Blinden. Während sie in dieser Weise durch das Gäßchen gingen, riefen sie mit lauter Stimme: »Einigkeit gibt Stärke! Gebt uns ein Scherflein im Namen des milden barmherzigen Gottes, und beklagt uns ob des Teppichs aus Kandahar!«
Der Kalif und seine Begleiter wunderten sich höchlichst über diesen Anblick. Der Beherrscher der Rechtgläubigen ließ Djafar den drei Männern eine Zechine geben. Der Beinlose nahm sie in Empfang, indem er die Segnungen des Himmels auf die Geber herabbeschwor, und sagte zu dem Armlosen und dem Blinden:
»Oh, Ali und Akbar, diese Kaufleute haben uns im Namen des milden und barmherzigen Gottes Almosen gegeben. Danket ihnen und bittet sie, uns zu beklagen ob des Teppichs aus Kandahar!«
Der Armlose und der Blinde erhoben ihre Stimmen und dankten für die Almosen, indem sie hinzufügten: Beklaget uns ob des Teppichs aus Kandahar, der Ursache unseres Unglücks!
Als der Beherrscher der Rechtgläubigen dies hörte, wurde er über alle Maßen neugierig und sagte zu Djafar:
»Befiehl ihnen, sich morgen bei meiner Audienz einzufinden, denn ich vergehe vor Lust zu wissen, was sie sind, und die Geschichte jenes Teppichs zu hören, der die Ursache ihres Unglücks ist.«
So geschah es. Am nächsten Morgen fanden sich die drei Bettler zur Audienz des Kalifen ein. Der Beinlose hing zwischen dem Armlosen und dem Blinden. Der Beherrscher der Rechtgläubigen beeilte sich, alle anderen Angelegenheiten rasch zu erledigen, um die drei zu seinem Diwan zu rufen und sie aufzufordern zu erzählen, wer sie seien und was das für ein Teppich war, der sie ins Unglück gestürzt hatte. Der Beinlose ergriff das Wort und sagte:
Die Geschichte des beinlosen Bettlers.
Wisse, du Sonne der Rechtgläubigen, daß wir drei Brüder sind, namens Hassan, Ali und Akbar. Unsere Mutter war eine fromme Teppichweberin in Kandahar, die nie abließ, uns Ehrfurcht vor Gottes heiligem Namen zu lehren. Es war mein Traum, Krieger zu werden, denn ich fand, daß alle vor dem Krieger zitterten, wenn er sein Schwert erhob. Mein Bruder Ali wollte Kaufmann werden, denn er fand, daß sich alle vor einem Beutel voll Gold neigten. Mein Bruder Akbar schließlich wollte Astrolog werden, denn über Krieg und Handel und Wandel, sagte er, herrschen die Sterne, und wer die Sterne deuten kann, ist mächtiger als Krieger und Kaufleute. Unsere Mutter war jedoch sehr arm, und die Leute in der Straße bezweifelten, daß wir jemals etwas anderes werden würden als Bettler. Dafür, fanden sie, hätten wir die meisten Anlagen. Aber unsere fromme Mutter sagte beständig zu uns: O Hassan, Ali und Akbar, merkt euch eines! Ihr seid vom selben Stamm. Wenn ihr zusammenhaltet, dann könnt ihr reich und mächtig werden, aber haltet ihr nicht zusammen, wird es euch allen dreien schlecht ergehen.
Eines Abends kam ein frommer Derwisch durch die Straße gewandert. Er verlangte Almosen im Namen des milden barmherzigen Gottes, aber die Stadt war voll von Bettelmönchen und heiligen Männern, die im Namen des milden barmherzigen Gottes Almosen verlangten. Sowie man den Derwisch sah, beeilte man sich, die Türen zu verschließen, um seine Klagerufe nicht zu hören. Nur unsere fromme Mutter versperrte die Türe nicht, denn vom Weben waren ihre Augen trübe geworden, und sie sah den Derwisch erst, als er schon vor der Tür stand. Als er seine Almosenschale im Namen des milden barmherzigen Gottes darreichte, sagte unsere fromme Mutter: Geld habe ich keines, o Derwisch, auch findet sich in meinem Hause nichts zu essen. Aber nimm diesen Teppich. Ich habe ihn in sieben Tagen aus gelben, weißen und roten Fäden gewebt, und heute abend wollte ich ihn verkaufen, um Brot und Oel dafür zu erstehen. Nimm ihn, und wenn du deine Andacht auf ihm verrichtest, so bete zu dem Höchsten für mich.
Der Derwisch nahm den Teppich und wanderte weiter. Ich, Ali und Akbar bestürmten unsere Mutter mit Vorwürfen, denn nun mußten wir mit leerem Magen zu Bett gehen. Unsere fromme Mutter antwortete nichts, sondern setzte sich geduldig hin, um einen neuen Teppich zu weben. An diesem Abend gingen wir alle mit leerem Magen zu Bett, aber am nächsten Abend, als es aussah, als sollte es uns wieder so ergehen, kamen zwei mit Eßwaren beladene Sklaven durch die Straße. Sie fragten nach unserer Mutter Haus, und dort angelangt, luden sie die Eßwaren ab. Da war Fleisch, Reis, Oel, Brot, Obst, Süßigkeiten und guter Wein, genug, um unser Haus zu füllen. Wir wollten unseren Augen nicht trauen. Aber auf unsere Fragen antworteten die Sklaven, dies sei alles für unsere Mutter, die Teppichweberin. Ein Derwisch war in den Basar gekommen, hatte dies gekauft und bezahlt und befohlen, daß man es zu unserer Mutter, der frommen Teppichweberin, Haus tragen solle.
Der erste Gedanke unserer Mutter war, Gott zu preisen, der zehnfach wiedergab, was sie dem Derwisch geschenkt hatte. Wir, ihre drei Söhne, dachten mehr an eine andere Sache. Wie hatte wohl der Derwisch, der den Abend zuvor nicht ein Kupferstück besessen hatte, all dies bezahlen können? Es war rätselvoll. Dies hielt uns jedoch nicht ab, der Mahlzeit, die unsere Mutter aus den gesandten Eßwaren bereitete, Ehre anzutun, und auch nicht verschiedene der Weinflaschen zu leeren, die der Derwisch ihnen beigegeben hatte.
So vergingen mehrere Tage. Jeden Tag kamen aus dem Basar zwei neue Sklaven, die unter der Last von allerlei Leckerbissen fast zusammenbrachen, und stets brachten sie denselben Bescheid: Es war der Derwisch, der dies unserer frommen Mutter sandte. Wir aßen und belustigten uns mit unseren Altersgenossen, und hätten nur gerne gewußt, wie lange dies fortdauern würde, und wie der arme Derwisch die Mittel zu einer solchen Freigebigkeit haben konnte. Aber am siebenten Tag drang ein Gerücht zu uns, das alles erklärte: Als der Derwisch zum ersten Male sein Gebet auf unserer Mutter Teppich verrichtete – so sagte das Gerücht –, antwortete der Höchste auf seine Gebete, indem er einen mächtigen Djinn zum dienstbaren Geist des Teppichs machte. Alles, was der Derwisch wünschte, mußte der Geist erfüllen. Kein Wunder, daß er die Mittel hatte, uns jeden Tag Speise und Trank zu schicken! Was sind ein paar elende Eßwaren und ein bißchen Wein für einen, der einen Geist zu seiner Verfügung hat? So sagte ich zu meinen Brüdern Ali und Akbar, und sie sagten dasselbe zu mir. Der Teppich war unser, darüber waren wir einig, denn unsere Mutter hatte ihn gewebt. Was konnten wir mit seiner Hilfe nicht alles tun! Während wir noch darüber sprachen, gerieten wir in Zwist, und unsere fromme Mutter, die uns streiten hörte, sagte zu uns: Was ihr auch tun mögt, so seid einer Sache eingedenk: Wenn ihr nicht zusammenhaltet, o Hassan, Ali und Akbar, wird euch nichts gelingen.
Am nächsten Morgen in aller Frühe, während meine Brüder noch, übersatt von Speisen und Wein, schliefen, schlich ich mich zum Stadttor hinaus, wo, wie man mir gesagt hatte, der Derwisch zu sitzen pflegte. Ich fand ihn, den Teppich vor sich. Ich sagte ihm, ich sei Hassan, der frommen Teppichweberin Sohn, und fragte, ob es wahr sei, daß Allah einen Djinn zum Diener des Teppichs gemacht habe. Er sagte: Ja, mein Sohn, es hat dem Höchsten gefallen, diesem Teppich, auf dem ich seinen Namen anrief, magische Kraft zu verleihen. Er hat einen Djinn von unglaublicher Kraft und Begabung zu seinem Sklaven gemacht. Als Besitzer des Teppichs bin ich imstande, mit ebenso großer Leichtigkeit in der Vergangenheit wie in der Zukunft zu lesen, und die Wünsche, die ich ausspreche, muß der Djinn sofort erfüllen.
»Das ist gut!« rief ich und trat näher. »Gib mir den Teppich! Das ist meiner Mutter Teppich, und der Koran sagt: Wehe dem, der das Brot der Kinder nimmt und es Fremden gibt.«
Der Derwisch sagte:
»Mein Sohn, wenn ich dir den Teppich gäbe, würde der Djinn mitfolgen. Aber wie solltest du ihn beherrschen können? Das ist ein ungläubiger Djinn von bösartiger Gesinnung und fürchterlichem Aussehen. Mein Sohn, zieh in Frieden!«
Ich rief: »Ich will sowohl den Teppich wie den Djinn besitzen. Wenn du mir den Teppich nicht gutwillig gibst, nehme ich ihn mit Gewalt!«
Der Derwisch sagte:
»Mein Sohn, laß mich dir die Geschichte von den Flöhen und König Salomo (Friede sei mit ihm!) erzählen.«
Die erste Erzählung des Derwischs.
Eines Tages versammelten sich die Flöhe und sagten: Adams Kinder fangen uns, und wenn sie uns gefangen haben, reiben sie uns zwischen den Fingern, bevor sie uns töten. Warum fügen sie uns so großen Schmerz zu? Lasset uns zu Salomo (Friede sei mit ihm!) gehen und klagen! Dies taten sie und sandten Boten zu Salomo, Gottes Propheten. Ihre Boten traten vor Salomo und sagten: Oh, Gottes Prophet, wenn die Kinder Adams unsere Vettern, die Läuse, fangen, dann töten sie sie gleich. Aber uns quälen sie, indem sie uns zwischen den Fingern reiben, bevor sie uns töten. Warum fügen sie uns soviel Leid zu? Mögen sie uns töten, wie sie unsere Vettern töten! Salomo sagte: Saget mir, wenn die Menschen euch fangen, hüpft ihr da? Sie antworteten: Zu hüpfen ist unser Ruhm und unser Vorrecht unter den Tieren. Gottes Prophet sagte: Aber hüpfen eure Vettern? Sie antworteten: Nein, wenn man sie gefangen hat, liegen sie ganz still. König Salomo (gelobt sei sein Name!) sagte: Nun wohl, dies ist der Unterschied! Sie fängt man mit Gewalt, und ihnen zeigt man Milde, aber wer euch fängt, mag mit euch tun, was er will, und ihr sollt ihm untertänig sein. Denn euch nimmt man nicht mit Gewalt, sondern mit List! So ist es gewesen, so wird es verbleiben! Zieht in Frieden.
Der Derwisch fügte hinzu: »Mein Sohn, ich habe dir diese Geschichte aus einem bestimmten Grunde erzählt. So wie es mit den Flöhen ist, so ist es mit diesem Teppich und seinem Geist. Wer ihn nehmen kann, mag mit ihm tun, was er will, und ihm ist sein Geist untertänig. Aber er läßt sich nicht mit Gewalt nehmen. Nicht mit Gewalt, sondern mit List! So ist es gewesen, so wird es bleiben. Zieh in Frieden, mein Sohn!«
Als ich diese Worte hörte, o du Beherrscher der Gläubigen, sagte der beinlose Bettler –
So weit war Aouina, meine Nichte, in ihrer Erzählung gekommen, und sie blickte schon zum Himmel auf, um zu sehen, ob der neunhundertneunundneunzigste Morgen graute, als Bachir sich vom Diwan erhob, seine Augen schillerten wie die der Eidechse, und er sagte:
»Beim Haupt des Propheten, endlich ist die Stunde gekommen! Endlich!«
Aouina sah ihn voll Staunen an.
»Endlich!« wiederholte Bachir und fächelte sich mit dem Fächer, obgleich die Nacht kühl war. »Durch neunhundertneunundneunzig Nächte habe ich vergeblich gewartet, und doch nicht vergeblich. Dein Schicksal ist besiegelt!«
Aouina sah ihn an, ohne zu erbeben.
»Noch heute abend wurde gesagt, daß, wenn ich nicht ein Märchen erzähle, das du schon kennst, mein Leben sicher ist. Solltest du diese Geschichte schon erkennen, von der ich kaum erst ein Drittel erzählt habe?«
Bachir fächelte sich weiter.
»Der Teppich, von dem du erzähltest,« sagte er, »war gelb, weiß und rot wie die Wüste. Er ließ sich nicht mit Gewalt nehmen, nur mit List. Sage mir eines, konnte man ihn durch Kauf erwerben?«
Ich hörte das Silberkettlein an Aouinas Knöchel klirren. Sie schwieg.
»Und sage mir,« fuhr Bachir fort, »konnte man ihn besser durch Wahrheit oder durch Lüge erwerben?«
Noch hatte ich kaum ersaßt, was da vorging. Aouinas Erzählung hatte ich nur ein halbes Ohr geliehen, dem Wortwechsel zwischen ihr und Bachir kaum mehr. Aber als ich Aouina tief aufseufzen hörte wie den Wind in den Palmenbäumen, und ihren Kopf auf die Brust sinken sah, da begriff ich endlich, was geschehen war. Ich erhob mich, dem Schicksal fluchend, das mich in dieses Haus geführt und mein Leben von dem Erfindungsreichtum eines Weibes und seiner Geschicklichkeit in der Kunst des Erzählens abhängig gemacht hatte. Warum hatte ich nicht erzählen dürfen? Warum war eine solche Aufgabe mir, einem Dichter, genommen und in die Hände eines Kindes, eines Weibes, gelegt worden? Das war Bachirs Bosheit und Berechnung. Auf diese Weise, wußte er, war es nur eine Frage der Zeit, wann ich ihm in die Hände fiel, wann er den Sklaven winken durfte, die Seidenschnur zu bringen. Fluch seiner Tücke!
Bachirs Augen wendeten sich von Aouina ab und hefteten sich auf mich, glitzernd wie die der Eidechse. Ich sah, daß tausend Beleidigungen ihm auf der Zunge schwebten. Aber bevor er noch Zeit hatte, sie auszusprechen, ereignete sich etwas Seltsames, etwas Unbegreifliches.
Die Tür zu dem Geheimgang, der aus dem Garten zu Aouinas Gemach führte – dem Gang, durch den ich einmal vor bald tausend Nächten den Franzosen geführt hatte –, diese Tür wurde von einer tappenden Hand geöffnet. Und über die Schwelle taumelte ein Ausländer, ein Ungläubiger, ein Engländer, dem Aussehen nach zu schließen, aber ein Engländer, dessen Bauch schwellend war wie die Sandwolke, wenn sie sich aus der Wüste erhebt, und dessen Augen starr blickten wie die Augen eines Toten.