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Im Namen des milden, barmherzigen Gottes!
Furchtbarer als die tausend schlaflosen Tage, die ihm vorangegangen, schleppte sich noch ein Tag in die Ewigkeit, auf Füßen, schwerer denn Blei. Ich lauschte den unerbittlichen Stundenschlägen; ich wartete nur darauf, daß die Nacht anbrach; ich wußte, daß es die Nacht der Nächte war, die letzte; wenn der Streif der Morgenröte, schmal gleich einer Schwertschneide, ihr Dunkel spaltete, dann würde meine Seele schon auf nackten Füßen über die andere, die gefürchtete Schwertschneide wandern, auf dem Wege zu den Houris des Paradieses, doch fort von der Erde, fort von Tunis, fort von den schönen Frauen im Casino Municipal. Ja h'asra!
Ja h'asra!
Aber lasset mich das Schwert der Zunge ziehen und den Traber der Erzählerkunst besteigen!
Die Nacht brach herein, und wir wurden in das Frauengemach geführt. Auf dem Diwan saß Bachir, den Chichaschlauch zwischen den Lippen, und den Fächer in der Hand. Auf den Diwan vor ihm drückte man den Franzosen und den Engländer nieder. Beide waren gebunden, und vor den Engländer stellte man den Tisch mit dem europäischen Service Messer, Gabel, Essig und Oel und Serviette. Sowohl der Engländer wie der Franzose schienen unberührt; doch während der Franzose scherzte, sooft eine Gelegenheit sich ergab, schwieg der Engländer die ganze Zeit und sah Bachir mit Augen an, hart wie Stein. Aouina hatte sich mit all ihren Geschmeiden geschmückt; schwere Ohrgehänge zitterten wie Tautropfen an den Rosenblättern ihrer Ohren. Um den Hals war ein Halsband aus Gold mehrmals geschlungen, und an allen Fingern hatte sie Ringe. Durch kleine Goldkettchen waren sie mit einem Opalschmuck verbunden, der ihren Handrücken deckte. Die Hand war nicht mehr braun, wie damals, als ich sie Bachir zuführte. Die Gefangenschaft hatte sie mattschimmernd gemacht wie Perlmutter. Trotzdem sie sich in keiner Weise mit den schönen, gebildeten Frauen vergleichen konnte, die ich in Tunis gekannt hatte, konnte ich ihr doch einen gewissen Reiz nicht absprechen. Aber Bachir sah weder ihre Hände an, noch ihre Ohrläppchen, noch den Schmuck, den sie zum letztenmal im Leben angelegt hatte. Seine Augen klebten an dem Franzosen und dem Engländer fest. Schließlich konnte er sich nicht länger beherrschen.
»Wenn die Eßlust dir zusetzt,« sagte er zu dem Engländer, »so gib nur einen Wink, und man wird dir sofort servieren! Uebersetze, du König der Dichter und Kuppler.«
Ich übersetzte mit zitternder Stimme. Einer der Bewaffneten zog dienstfertig seinen Säbel und ließ ihn einen Kreis um das eine Ohr des Engländers beschreiben. Doch nicht ein Muskel zuckte in seinem schweren Gesicht. Bachirs Wangen wurden vor Erbitterung gelb, aber er beherrschte sich. Die Nacht war noch lang. Er wollte sie in vollen Zügen genießen.
»Was dich betrifft,« sagte er zu dem Franzosen, »so bitte ich dich zu entschuldigen, daß man dir kein Getränk vorgesetzt hat, um deinen Durst zu stillen. Aber ich verspreche dir bestimmt, daß du ihn noch vor dem Morgen in meinem Brunnen bis zur Neige gelöscht haben wirst.«
»Ich kenne deinen Brunnen schon,« sagte der Franzose. »Und ich weiß, daß das Wasser schmutzig genug ist, daß man damit auf dein Wohl trinken kann!«
Bachirs Gesicht wurde grau wie Asche, aber er beherrschte sich, und diesmal schwieg er. Ich überließ mich schaudernd meinen Gedanken. Hatten wir noch irgendeine Hoffnung? Ja, wir hatten die einzige Hoffnung, daß ein Fremdling, der Freund des Franzosen und Engländers, der sogenannte Professor, von dem sie in der vorigen Nacht gesprochen hatten, daß er uns in diesem Hause fand, das er nicht kannte, und uns dann, nachdem er uns gefunden, einsam und unbewaffnet, von einem Mann befreite, der grausamer war als die Raubtiere und von vielen wohlbewaffneten Männern umgeben und verteidigt. Nein, diese Hoffnung war offenbar so fruchtlos, daß ich meine Gedanken davon abwendete. Die Stunden gingen. Durch das Fenster sah ich die Sterne sachte über den Himmel schreiten. In einem Gedichte, Abu Ala el Maarris würdig, hatte ich einmal gesagt: Die Sterne sind die Sandkörnchen in Gottes Stundenglas. Wenn einer von ihnen nach tausendmal tausend Jahren erloschen ist, dann ist für Gott ein Augenblick verstrichen. Ja h'asra! Mich dünkte, daß zwischen jedem Mal, wo ich Bachirs Augen begegnete, tausend Jahre vergingen. Es schien mir, daß tausend und abertausend Jahre vergangen waren und Gottes Stundenglas ausgeronnen, als ich abermals Bachirs Stimme vernahm, die zu Aouina sprach:
»Du hast dich mit all deinem Geschmeide geschmückt. Das paßt für die, die mit dem Tode Hochzeit feiert.«
»Das war auch mein Gedanke,« sagte Aouina mit milder Stimme.
»Schade nur,« sagte Bachir, »daß du dich nicht mit den Geschmeiden schmücken kannst, die vor fast zweihundert Jahren meiner Familie gestohlen wurden. Die du heute nacht trägst, sind dagegen soviel wie die Glasperlen eines umherwandernden Beduinenmädchens gegen einen Diamanten.«
Er wendete sich dem Franzosen zu:
»Zugleich mit ihnen verschwand ein gewisser Teppich. Gestern bot ich dir und ihm die Freiheit für einen Teppich, von dem ich glaubte, daß er derselbe sei. Hättest du einem meiner Stammväter diesen Teppich zugleich mit den gestohlenen Juwelen vorlegen können und ihn aufgefordert, dazwischen zu wählen, so ist es zweifelhaft, wofür er sich entschieden hätte.«
»Aha,« sagte der Franzose. »Aber wenn die Familie nicht degeneriert ist, glaube ich, er hätte alles beides genommen und dem Ueberbringer einen Messerstich in den Rücken gegeben.«
»Du hast eine giftige Zunge,« sagte Bachir. »Ehe der Morgen graut, wird ihr Durst gelöscht sein.«
»Und ehe viele weitere Morgen angebrochen sind,« sagte der Franzose, »wirst du selbst von der französischen Behörde an einer Palme in der Oase placiert sein, das Band der Ehrenlegion fest um den Hals gebunden.«
»Ich? Wieso?« sagte Bachir.
»Gestern nacht ließest du mich an das Hotel schreiben, den Teppich auszufolgen. Ich setze bei dem Hotelpersonal nicht mehr als normale Intelligenz voraus. Aber so viel dürften sie doch kapiert haben, daß ich am Leben bin, und daß ich gefangengehalten werde. Herauszufinden, wo ich gefangengehalten werde, dürfte für die französischen Behörden eine recht einfache Sache sein.«
»Meinst du?« sagte Bachir. »Und wenn die französischen Behörden deinen Freund und dich fänden – ich meine, euch am Leben fänden –, würde das eine so große Freude für euch sein?«
»Natürlich,« sagte der Franzose. Aber ich, der ich schon vor Hoffnung zitterte, ich glaubte einen unsicheren Klang in seiner Stimme zu hören.
Bachir brach in ein Hohngelächter aus.
»Ich habe mich heute bei den Behörden, von denen du sprichst, erkundigt,« sagte er. »(Ach, sei ganz ruhig, mein Freund, ich habe es mit der gebotenen Vorsicht getan!) Und weißt du, was der Eindruck meiner Erkundigung war?«
»Nein,« sagte der Franzose mit lächelndem Antlitz; (aber ich sah, daß er aus Trotz lächelte).
»Mein Eindruck war, daß, wenn die Behörden, in die du dein Vertrauen setzest, dich und deine Freunde tot fänden, sie es unterlassen würden, Blumen der Trauer auf eure Gräber zu pflanzen. Und wenn sie dich, ihn und den Dritten, der auch aus dem Hotel verschwunden ist, hier bei mir in der Gefangenschaft fänden, sie euch möglicherweise mitnehmen würden. Aber mein Eindruck ist, daß ihr in diesem Falle nur eine Gefangenschaft mit einer anderen vertauschen würdet.«
Er sah die zwei Europäer mit Augen an, glitzernd wie die der Eidechse. Der Franzose lächelte abermals.
»Haha! Das glaubst du. Nun wohl, ich schenke dir die Behörden. Es ist möglich, daß sie uns nicht rächen. Ich schenke sie dir.«
»Du bist freigebig,« sagte Bachir. »Was hast du nach diesem Geschenk noch übrig?«
»Meinen dritten Freund, den du nicht kennst,« sagte der Franzose.
In diesem Augenblick hörte man draußen Lärm, und mein Herz zuckte in der Brust auf, wie ein aufgescheuchter Vogel im Laube aufzuckt.
O Nacht der Nächte – je mehr ich an alles denke, was sich in deinen Stunden begab, desto schwerer kann ich fassen, daß sie nicht in Träumen verschwanden!
Als Bachir auf das Geräusch aufmerksam wurde, das draußen zu hören war, gab er einem der Bewaffneten ein Zeichen. Er ging hinaus, er kehrte zurück und überbrachte eine geflüsterte Botschaft. Bachir gab einen neuen Befehl, und der Mann verschwand. Ich zitterte vor Spannung. Als der Bewaffnete sich wieder zeigte, war er in Gesellschaft von zwei Männern.
Der eine von ihnen, der zuerst kam, enttäuschte mich durch sein Aussehen. Es war einer jener fanatischen Bettelmönche, die alle anderen Schriften als den Koran für überflüssig ansehen. Für sie ist alle Poesie wertlos, wenn sie nicht von Mohammed (dessen Name gelobt sei) geschrieben ist. Sie verdammen den, der andere Getränke trinkt als Wasser, und erwarten sich tausend Houris im Paradiese, aber verlangen Keuschheit auf Erden. Sie sind voll Aberglauben und bilden sich ein, daß die Luft von Djinns und Teufeln bevölkert ist.
Ein solcher Marabou war es, der über die Schwelle trat. Sein Antlitz war braun wie ein abgesengtes Feld. Seine Augen brannten in jenem Fanatismus, der gebildeten Menschen so widerwärtig ist. Als er über die Schwelle trat, rief er mit lauter Stimme:
»Platz für den Günstling der Sterne! Platz für ihn, der ungestraft in der Teufelsbadestelle badete!«
Diese Worte waren so, wie man sie von einem Menschen in seiner Stellung erwarten konnte. Voll Enttäuschung sah ich an ihm vorbei. Warum kam dieses Wesen, um unsere letzten Stunden zu stören? Warum hatte Bachir ihm Einlaß gewährt? Aber in diesem Augenblick trat ein Europäer über die Schwelle.
Er war von Mittelgröße und dem Aussehen nach glich er ein wenig dem Franzosen, der gebunden auf dem Diwan saß. Wie es bei diesem der Fall war, waren auch seine Kleider schmutzdurchtränkt. An seiner rechten Schläfe klaffte eine große, blutige Wunde, und er war vor Ermattung bleich. Aber in seinem Auge brannte ein munteres Feuer, und als er sprach, war es mit klarer, wohlklingender Stimme. War das der dritte der drei Freunde, den die beiden anderen den Professor genannt hatten?
Ja, so mußte es sein. Denn als er über die Schwelle trat, machten sowohl der Franzose wie der Engländer einen Versuch, sich zu erheben. Sie fielen einander ins Wort, wie zwei Weiber auf dem Markte, und der Engländer sagte:
»Wie, zum Teufel, haben Sie das angestellt, Professor? Das ist doch das Smarteste, was ich noch in der Wiederfindungsbranche gesehen habe.«
Der Franzose wiederum sagte:
»Professor, ich glaubte, daß ich Sie nie mit größerem Vergnügen sehen würde, als in der Villa Bracciano. Das erweist sich als irrig. Aber wie, zum Teufel, haben Sie hergefunden?«
Der, den sie den Professor nannten, winkte mit der Hand, wie jemand, dem man unerwünschte Geschenke anbietet.
»Sie werden alles in einem Augenblick hören,« sagte er. »Aber zuerst müssen Sie mich den Bewohnern des Hauses vorstellen.«
Ich bewunderte seine erlesene Höflichkeit. Der Engländer nahm die Vorstellung, die sein Freund wünschte, vor, doch nicht in dem artigen Ton, in dem sein Freund sein Verlangen ausgesprochen hatte.
»Der Götzenanbeter, der Pfeife raucht, ist der, dem das Etablissement gehört. Er hat mir seit zwei Tagen nichts zu essen gegeben, und die einzige Kost, die er mir in Aussicht gestellt hat, ist mein eigener Kopf in Essig und Oel. Die Dame im Schleier ist seine bedauernswürdige Gattin. Wenn sie nicht ganz dieselben Zukunftsaussichten hat wie ich, so doch recht ähnliche. Der ältliche Herr, der wie ein Klumpen Gelee zittert, ist der Schwiegervater im Hause. Der liebenswürdige Schwiegersohn nennt ihn jedesmal, wenn er zu ihm spricht, Vater der Kuppler. Was die bewaffneten Herren betrifft, so können Sie sich selbst ihre Aufgabe in einer derartigen Institution denken.«
Der, den sie den Professor nannten, fuhr sich durch das Haar und sagte:
»All dies ist durchsichtig wie Kristall, und das einzige, was ich Sie noch fragen muß, lieber Graham, ist, warum Sie und Lavertisse das Hotel des Dattiers verlassen und gerade hier Aufenthalt genommen haben?«
Der Franzose und der dicke Engländer sahen sich gegenseitig an und dann ihren Freund. Der Franzose zuckte die Achseln:
»Ich habe Graham dasselbe gefragt, und alles, was er sagte, war: ›Wer das wüßte! Bevor ich wußte, wie mir geschah, saß ich hier auf diesem Diwan.‹«
Der Engländer blies die Backen auf:
»Und in der zweiten Nacht, die ich auf diesem Diwan verbracht, führten sie Monsieur Lavertisse herein. Als ich ihn fragte, was er hier mache, sagte er: ›Wer das wüßte! Bevor ich wußte, wie mir geschah, erwachte ich in einem Brunnen!‹«
»Auf einem Diwan! In einem Brunnen!« sagte ihr Freund. »Ich muß schon sagen, daß …«
Hier wurde er von Bachir unterbrochen, der ihre Worte (sie sprachen Französisch) gieriger eingesogen hatte, als die Erde den Regen einsaugt.
»Hier werden viele Worte gesprochen,« sagte er, »aber ich warte vergeblich auf Bescheid, wer der letzte Besucher ist, und was ihn in mein Haus geführt hat.«
Der Marabou antwortete ihm. Seine Haut war dunkelbraun, wie die Rinde eines alten Palmstammes. Es brannte in seinen Augen, wie es in einem solchen Stamm brennt, wenn er umgehauen und angezündet wird. Seine Stimme war heiser, und er rief:
»Du fragst, wer der ist, den du unter deinem unwürdigen Dach beherbergst! Erhebe dich und grüße mit demütiger Verneigung den Günstling der Sterne! Erhebe dich und grüße mit geziemender Ehrfurcht ihn, der ungestraft in der Teufelsbadestelle badete!«
Bachir sah von dem Marabou zu dem dritten Europäer, mit sichtlicher Verwunderung und nicht ohne eine gewisse Unruhe.
»Wer ist dein Herr? Was will er hier?« sagte er zu dem Marabou. »Warum kommt er mitten in der Nacht? Was soll all dies Gerede von der Teufelsbadestelle? Laß ihn seine Geschichte sofort und ausführlich erzählen!«
Er, den sie den Professor nannten, antwortete selbst.
»Wird eine Erzählung verlangt?« sagte er. »Na, das hätte ich mir übrigens denken können. Wenn man in eine arabische Familie eingeführt wird, ist es offenbar Pflicht, sich sofort niederzusetzen und eine Geschichte aufzutischen wie in Tausendundeiner Nacht!«
Hier mengte ich mich mit zitternder Stimme in das Gespräch. Die Redeweise dieses Europäers flößte mir eine unwillkürliche Hoffnung ein. Ich wollte ihm erklären, daß meine eigene (und Aouinas) Lage nicht besser war als die seiner zwei Freunde.
»Herr,« sagte ich, »du sprichst von Tausendundeiner Nacht. Du weißt selbst nicht, wie richtig du sprichst. Wisse, daß sie, die du hier siehst, meine Nichte Aouina, die mit dem Herrn des Hauses gesetzmäßig vermählt ist – wisse, daß sie sich infolge eines unglückseligen Mißverständnisses dadurch vor dem Tode retten mußte, daß sie ebenso viele Nächte erzählte, wie du sagtest. – Ja, nicht nur sich selbst, sondern auch mich, einen Dichter!«
»Wirklich?« sagte er, den sie den Professor nannten. »Es ist interessant zu sehen, mit welcher Zähigkeit die alten Gesellschaftsbräuche sich im Orient erhalten!«
Bachir sagte:
»O du Vater aller Dichter und Kuppler, eines vergissest du, diesem Fremdling zu sagen, nämlich die Art jenes unglückseligen Mißverständnisses. Du vergissest ihm zu sagen, daß sie erzählen mußte, weil ihr von Laster stinkender Oheim zwischen ihr und einem ungläubigen Hunde für fünfhundert Franken kuppeln wollte! Sage auch das! Gestehe, daß das gemästete Schwein, das binnen kurzem seinen eigenen Kopf in Essig und Oel fressen wird, gestehe, daß du dieses gemästete Schwein damals in das Frauengemach führtest, in das er vor drei Nächten wiederum den Weg fand!«
Der Professor rieb sich die Hände:
»Das nenne ich ein angenehmes Familienleben,« sagte er. »Aber was höre ich, lieber Graham. Stehen Sie in dem Verdacht, diese häusliche Idylle durch einen versuchten Ehebruch gestört zu haben?«
Der Engländer nickte.
»Hier scheint vor tausend Tagen ein Herr auf Besuch gewesen zu sein, und als ich den Weg in das Schlafzimmer fand, glaubte man, ich sei derjenige gewesen. Ich gebe zu, daß ich den Schein gegen mich habe. Wenn ich wüßte, wie ich herfand …«
»Wie Sie herfanden, ist ein Mysterium, das ich später erklären werde. Vorderhand will ich vor dem Herrn des Hauses bezeugen, daß Sie unmöglich vor fast drei Jahren hier gewesen sein können, da ich weiß, daß Sie anderswo waren.«
Bachir hohnlachte.
»Kannst du das erste erklären, dann will ich auch das andere glauben! Zur Sache! Erzähle!«
»Professor,« rief der Engländer, »meinen Sie, daß Sie erklären können, wie ich es angestellt habe, hierherzufinden?«
»Sie sind ein Teufelskerl! Und vielleicht wissen Sie auch, wie es zuging, daß Lavertisse herkam?«
»Auch dies.«
»Sie sind der leibhaftige Beelzebub. Lassen Sie es mich wissen! Zur Sache!« rief der Franzose.
»Zur Sache,« sagte Bachir. »Erzähle!«
Er, den sie den Professor nannten, erzählte:
»Vor vier Tagen kam ich mit meinen zwei Freunden hierher. Wir stiegen im Hotel des Dattiers ab. Außer uns wohnte da noch eine andere Gesellschaft von drei Personen. Der eine davon war Franzose, der zweite war Engländer, der dritte gab sich für einen Schweizer aus. Mein Freund Graham, der den ganzen Tag sonderbar gewesen war, wurde immer sonderbarer. Am Abend verschwand er spurlos, nachdem er noch unser Mittagmenu bis in alle Details vorausgesagt hatte.
Den nächsten Tag verbrachten mein Freund Lavertisse und ich damit, nach Graham zu suchen. All unser Suchen war umsonst. In freien Augenblicken beobachteten wir die andere Gesellschaft im Hotel und faßten mehr und mehr Interesse für sie. Außerdem hatten wir ein Interview mit meinem kofferfarbenen Begleiter, den wir schon von anderswoher kannten. Am Abend verschwand Lavertisse spurlos, nachdem er sich ein wenig sonderbar benommen hatte.
Den nächsten Tag verbrachte ich damit, meine Freunde mit verdoppelter Sorge zu suchen, doch vergeblich.
Den nächsten Tag verwendete ich dazu, eine feste Kameradschaft mit meinem zigarrenfarbenen Begleiter anzuknüpfen. Ja, die Fäden, die uns miteinander verbanden, nahmen so allgemach sehr feste Form an – sie nahmen geradezu die Form eines Teppichs an.«
Hier rief der Franzose:
»Eines Teppichs?«
Der Engländer knurrte:
»Sollte das mein alter Teppich sein?«
Bachir sagte:
»Hier ist schon sehr viel von Teppichen die Rede gewesen. Erkläre, was dieser Teppich war!«
Er, den sie den Professor nannten, sagte:
»Alles wird zur rechten Zeit erklärt werden! Aber außerdem war meine Zeit durch die drei mystischen Gäste im Hotel in Anspruch genommen. Ich stellte in bezug auf sie gewisse Untersuchungen an – gewisse, etwas indiskrete Untersuchungen. Das Resultat derselben war, daß ich heute in Gesellschaft meines zigarrenfarbenen Begleiters einen Kamelritt unternahm. Unser Ausflug ging zu einem Punkt, der, nach dem Namen zu schließen, sich keiner besonderen Popularität in der Umgebung erfreut. Er soll die Teufelsbadestelle genannt werden.«
»Der Salzsee!« sagten der Franzose und der Engländer gleichzeitig.
»Chott el Djerid!« sagte Bachir.
»Ganz richtig,« sagte der Professor. »Im Salzsee nahm ich vor allem ein unfreiwilliges Bad, das unschöne Spuren an meiner Toilette hinterlassen hat. Dann durchkreuzte ich ihn mit dem lebhaften Eindruck, daß Cook seine Touren immer rundherum verlegen wird. Aber jedenfalls wußte ich, daß meine kleinen Unbehaglichkeiten ein Nichts waren, im Vergleich zu dem, was ein paar Personen an derselben Stelle vor zweihundert Jahren erlebt hatten.«
»Vor zweihundert Jahren?« sagte Bachir hastig. »Was waren das für Personen?«
»Die eine,« sagte der Professor, »war ein Herr von ebenso havannafarbener Haut wie mein Begleiter. Die andere kam aus dem Norden, genauer bestimmt, aus Deutschland. Es war ein Edelmann, und er hieß Herr von Todleben. Seine Familie hatte ein Wappen, in dem man einen Sarazenenschädel mit daranhängender Axt sah. Das Motto war: Credo resurrectionem carnis – ich glaube an die Wiederauferstehung des Fleisches. Das scheint mir eine geglückte Kombination. Dieser Herr von Todleben wurde von einem Seeräuberfahrzeug, das dem Bey von Tunis gehörte, gefangengenommen. Zu jener Zeit wurden zweimal jährlich Kaperfahrzeuge ausgerüstet, um einen Corso, eine Promenade durch das Mittelmeer zu machen. Da wurden die christlichen Fahrzeuge geplündert, und der Teil der Besatzung, aus dem nichts herauszuschlagen war, als Sklaven in Souk el âbid in Tunis verkauft. Herr von Todleben wurde als Sklave verkauft. Er kam nach dem Süden, in die Oase Tozeur, und er wurde Sklave im Hause eines gewissen Abdullah, Bachirs Sohn.«
»Abdullah, Bachirs Sohn,« sagte Bachir. »Was weißt du von ihm? Woher weißt du dies? Wer bist du?«
»Alles wird zu seiner Zeit erklärt werden,« sagte der Professor. »Herrn von Todleben ging es ganz gut, aber er fühlte sich in der Sklaverei nicht wohl. Er beschloß zu fliehen. Er war mit seinen Plänen nicht allein. Ein zigarrenfarbener Sklave namens Abu Lakhdar teilte sie mit ihm. Außerdem teilten sie zwei andere Ansichten, nämlich, daß es am besten war, mit einer ordentlichen Reisekasse zu fliehen, und am besten, den Weg durch den Chott el Djerid, den Salzsee, die Teufelsbadestelle zu nehmen. Warum sie eine gute Reisekasse wünschten, ist einleuchtend. Daß sie den Weg durch den Chott el Djerid nehmen wollten, hatte seinen Grund darin, daß die Teufelsbadestelle der Ort war, wo sie am wenigsten riskierten, verfolgt zu werden. Eines Tages, als Abdullah, Bachirs Sohn, mit dem größten Teil seines Haushaltes auf der Jagd war, plünderte Herr von Todleben sein Haus und nahm alle Kostbarkeiten, die sich leicht transportieren ließen – Gold und Juwelen. Was Abu Lakhdar anbetrifft, so paßte er namentlich auf, daß eine Sache nicht vergessen wurde. Nämlich der berühmte Teppich des Hauses.«
»Der Teppich des Hauses?« rief Bachir. »Was weißt du davon? Wie weißt du dies? Wer bist du?«
»All dies wird seinerzeit erklärt werden,« sagte der Professor. »Herrn von Todleben und seinem dunkelhäutigen Freund gelang ihr Plan anfangs erstaunlich gut. Sie luden das geraubte Gut zwei Kamelen auf und flohen, nachdem sie alle Sarazenen, die nicht auf der Jagd waren, totgeschlagen hatten. Credo resurrectionem carnis. Sie flohen und nahmen den Weg durch den Salzsee, wie sie beabsichtigt hatten. Aber als sie ein Stück in den Salzsee hinausgekommen waren, verließ sie die Courage. Sie wußten, daß die Teufelsbadestelle Platz für etliche Legionen reinlichkeitssuchender Dämonen hat. Sie wußten, daß sie mehrere Tage brauchen würden, um auf die gegenüberliegende Seite zu kommen. Außerdem wußten sie, daß sie mit aller Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würden. Als sie ein Stück weit hinausgekommen waren (genauer bestimmt, zu der Stelle, wo die Wellen sich zur Ruhe legen), zweigten sie seitwärts ab. Sie verfolgten einen neuen Pfad, bis zu der Stelle, wo die Tonnen voll von unbrauchbarem Mehl stehen. Von dort bogen sie ab, bis sie zu der Stelle kamen, wo der Hund begraben liegt. Vor dieser berühmten Stelle liegen gewisse Inselchen, die in einer Kette über den bitteren See zu gehen scheinen. Sie trieben ihre Kamele auf diese Inselchen hinaus und kamen zu der dritten von ihnen, als die Dunkelheit sich herabsenkte und das Unglück hereinbrach. Wenn oben im Atlasgebirge eine Sturmflut eintritt, dann strömt das Wasser von den Bergen durch unterirdische Läufe hinab. Es speist die Oase Tozeur, doch mit dem, was übrigbleibt, wird die Teufelsbadestelle gespeist. Der Salzsee wird nie ein richtiges Meer, aber er kann ein Sumpf werden. In dem Jahr vor zweihundert Jahren, als Herr von Todleben mit Abu Lakhdar aus Tozeur flüchtete, ereignete sich dieses. Als die Sonne am Morgen nach ihrer Flucht über der Wüste und dem Salzsee aufging, waren sie von einem Sumpf umgeben, über den hinüberzukommen ihre Kamele ebenso große Aussichten hatten, wie Fliegen über frisches Fliegenpapier. Sie warteten drei Tage auf der Insel. Am vierten Tage vergruben sie ihre Schätze unter Steinen und Sand und begaben sich mit höchster Lebensgefahr zu dem mittleren festen Teil des Salzsees. Von dort gelangten sie unter steter, wenn auch geringerer Lebensgefahr zu der Wüste. Wie sie die Küste des Mittelmeers erreichten, wußten sie selbst nicht. Aber als sie hinkamen, ermattet von Hunger und Durst, verschwand Abu Lakhdar von seinem Kameraden mit dem einzigen, was von ihren geraubten Schätzen übrig war – dem berühmten Teppich.«
»Zum dritten Male,« rief Bachir: »Was weißt du von ihm? Wie weißt du all dies? Wer bist du?«
»Alles, was du zu wissen brauchst, wird dir seinerzeit erklärt werden,« sagte der Professor. »Herr von Todleben kam nach unerhörten Mühseligkeiten und Leiden nach Europa. Aber war es, weil man sich nach nichts mehr zurücksehnt, als nach dem Orte, wo man seine größten Drangsale erlebt hat, oder weil er es nicht lassen konnte, an den Schatz zu denken, den er dort zurückgelassen – genug, Herr von Todleben kehrte nach Afrika zurück, diesmal mit einem Geleitbrief des Beys von Tunis. Er wollte dem Salzsee Trotz bieten und den Schatz holen. Aber eines wollte er nicht. Er wollte nicht Abdullah, Bachirs Sohn, den mächtigsten Mann Tozeurs treffen. Darum nahm er den Salzsee von einer anderen Seite in Angriff, als wo Tozeur liegt. Ob dies der Grund war, weshalb sein Vorhaben fehlschlug, weiß man nicht. Jedenfalls schlug es fehl. Er fand den Schatz nie. Hingegen hätte er sich fast im Salzsee verirrt und seine Gebeine dort zur Ruhe gelegt. Voll Enttäuschung schrieb er: So verräterisch ist dieser Teufelssee und so voll irdischer und unterirdischer Gefahren, daß nach unserer Ansicht keiner den Schatz finden kann, der nicht den Teppich hat. Will einer den Schatz finden, dann muß er sich erst mit List, Diebstahl oder Lüge in den Besitz des Teppichs setzen.«
»Mit List, Diebstahl oder Lüge!« rief Bachir. »Zum letztenmal: wieso weißt du all dies? Wer bist du? Sage es sofort, sonst – –«
Der Marabou hob seine Arme, die mager und braun waren wie verdorrte Aeste.
»Hüte dich, dem Schützling der Sterne zu drohen!« rief er. »Bedenke dich, ehe du den bedrohst, der ungestraft in der Teufelsbadestelle badete!«
»Ich weiß das, was ich weiß,« sagte der Professor, »dank einem Dokument, vom seligen Herrn von Todleben geschrieben und dem jetzigen Herrn von Todleben gehörig, der unter der Marke Schweizer Bürger im Hotel des Dattiers wohnt. Er ist hergekommen, um den Schatz seines Stammvaters zu suchen. Daß er sich auf so unwahrscheinliche Expeditionen einläßt, ist wohl aus der düsteren Lage seines Vaterlandes zu erklären. Jedenfalls hat er sich in diese, sonst verschlossene französische Kolonie durch einen französischen Freund aus der Zeit vor dem Kriege hineinschmuggeln lassen. Der französische Freund hat sich die Hälfte der Beute ausbedungen. Leider haben sie einen unfreiwilligen Kompagnon in einem Engländer bekommen. Wo der Engländer sie aufgefischt hat, weiß ich nicht. Aber sobald er sich darüber im klaren war, daß der Deutsche ein Deutscher und Tunis ihm verschlossen war, verlangte er fünfzig Prozent von dem Ertrag des Unternehmens als Schweigegeld. Die fünfzig Prozent sind ihm zugesagt worden, – das heißt von dem Anteil des Deutschen. Diese drei Herren öden einander nun vom Morgen bis zum Abend mit Debatten über die Vorzüge ihrer Nationen an. Der Franzose sagt, daß er Krieger ist, der Engländer, daß er Kaufmann ist, und der Deutsche, daß er ein Mann der Wissenschaft ist. Der Deutsche sagt, daß der Franzose wie der Engländer überflüssig sind und ihn nur ausplündern wollen; der Engländer sagt, daß der Beruf des Kriegers verächtlich ist, und der Franzose, daß der des Kaufmanns verächtlich ist. Gemeinsam beschuldigen der Engländer und der Franzose den Deutschen, sie um ihren rechtmäßigen Anteil an der Beute betrügen zu wollen. Aus den Papieren des Deutschen, die ich mir zur Abschrift auslieh, habe ich die Geschichte vom Salzsee kennengelernt. Sein Name ist Herr von Todleben, und er stammt in gerade absteigender Linie von jenem von Todleben ab, der Sklave im Hause Abdullahs, Bachirs Sohn war.«
»Du hast schon viele Worte gesprochen,« sagte Bachir. »Aber eines hast du mir nicht erklärt, und das ist, was dies damit zu tun hat, daß du hier sitzest.«
»Nach dem, was ich schon gesagt habe, sollte dies sonnenklar sein. Ich begab mich auf eine Exkursion in den Salzsee, um die Spuren zu finden, die der erste Herr von Todleben nicht finden konnte, und die zu finden dem jüngeren Herrn von Todleben und seinen unfreiwilligen Kompagnons noch weniger gelang, da sie sie längs der neuen Pfade durch den See suchen. Ich fand sie, trotz gewisser Hindernisse (sagte der Professor und sah den Marabou an). Aber gerade am Ziel begegnete mir ein Hindernis, das mich überwältigte – ein Stein, der meinen Kopf traf.«
Der Marabou erhob die Hände über das Haupt und rief mit lauter Stimme:
»Vergib, o Schützling der Sterne! Vergib, du, der du ungestraft in der furchtbaren Badestelle badetest.«
»Laß uns nicht mehr darüber sprechen,« sagte der Professor. »Ich verbrachte längere Zeit in Bewußtlosigkeit. Als ich zur Besinnung erwachte, war es spät. Die Sonne ging eben unter und wurde von einer Unzahl blutroter Salzkristalle zurückgeworfen, die ich niedrig auf hundert Zentillionen schätzte – kaum weniger als der deutsche Banknotenumlauf. Neben mir lag mein Kamel auf den Knien und bearbeitete mit der bewunderungswürdigen Energie seiner Rasse seine Morgenmahlzeit zum dritten Male. Ich richtete mich auf. Ich untersuchte mich selbst und fand, daß ich nur diese Wunde hier am Kopfe hatte. Dann untersuchte ich die Insel und fand, daß der Schatz fort war. Das hatte ich erwartet. Ich unterbrach die Mahlzeit des Kamels und erkletterte es. Es gelang mir, auf den Hauptweg durch den Salzsee zu kommen, bevor die Sonne unterging. Als wir so weit gekommen waren, ging das Kamel wie ein Uhrwerk. So allmählich ging der Mond auf, und der ganze Salzsee wurde grün und gelb und glich einem funkelnden Katzenauge. Das Kamel ging noch immer wie ein Uhrwerk und übernahm es, den Weg selbst zu finden. Ich war zu wirr im Kopf, um es zu lenken, aber alles ging gut. Endlich kamen wir über den letzten und ärgsten Gürtel, da, wo ich früher am Tage ein Moorbad genommen hatte, und hinauf in die Wüste. Da war das Kamel in seinem rechten Elemente, und wir machten bis zu drei Kilometer die Stunde. Ich hatte Zeit, nachzudenken, was ich anfangen sollte. Das erschien mir recht schleierhaft. Mein Schatz war dahin, meine Freunde waren dahin, und selbst das Band, das mich mit meinem zigarrenfarbenen Begleiter verbunden hatte, war dahin – ich meine der Teppich.«
Noch einmal wollte Bachir ihn unterbrechen, aber er fuhr fort, ohne sich aufhalten zu lassen.
»Ich war fast bis zu der Oase gekommen, als eine Gestalt sich im Schatten eines Sandhügels emporrichtete. Diese Gestalt hielt ein Kamel am Halfterband. Sie neigte sich dreimal bis zur Erde. Sie reichte einen Beutel mit Juwelen und einen Beutel mit Gold dar, und sie sagte – was sagtest du?«
Der Marabou, der mit zitternden Gliedern gelauscht hatte, hob die Hände und rief mit lauter Stimme:
»Dasselbe wie jetzt! Vergib, o Schützling der Sterne! Habe Mitleid, du Besitzer und Beherrscher des Teppichs.«
»Ganz richtig,« sagte der Professor. »Die Sache ist die, daß, als ich auf der dritten Insel zur Besinnung erwachte, ich unter anderem nach dem Teppich suchte, von dem ich schon ein paarmal gesprochen, habe, dem Teppich, den ich am Tage vorher nach allen Regeln der Kunst erworben hatte. Als ich ihn auf der Insel suchte, war er fort. Wenigstens kam es mir so vor. Aber ich muß mich geirrt haben. Denn als mein brauner Freund sich aus den Schatten des Sandhügels erhob und sich vor mir verneigte, sah ich, daß der Teppich unter meinem Sattelknopf lag.
»Sein Geist hatte ihn dir zurückgebracht,« krächzte der Marabou. »Ich hatte dich mit Steinen geworfen! Ich hatte ihn mit Gewalt genommen! Aber nicht mit Gewalt, sondern mit List, nicht mit Kauf, sondern mit Diebstahl, nicht mit Wahrheit, sondern mit Lüge, so wird der heilige Teppich genommen und verloren werden!«
Hier wagte ich, Ibrahim, Salahs Sohn, mit zitternder Stimme eine Unterbrechung.
»Meine Nichte Aouina«, sagte ich, »hat soeben von einem wundertätigen Teppich erzählt, der einmal drei Bettlern in Bagdad gehört hat. Er konnte nur in der Weise erworben werden, die der Marabou beschreibt. Sicherlich ist es derselbe Teppich, von dem hier die Rede ist.«
»Ganz gewiß,« sagte der Professor. »Aber mein brauner Freund erhob sich also und grüßte mich mit obgenanntem Gruß. Was tat ich da, o Marabou?«
»Du sagtest, o Herr: siehst du diesen Teppich? Ich sah ihn eben erst nicht, aber nun sehe ich ihn. Siehst auch du ihn, o Marabou?«
»Das ist richtig. Und was gabst du zur Antwort, o Marabou?«
»Ich antwortete: ich sehe ihn und gehorche. Er ist mit List, Diebstahl und Lüge erworben. Dein ist der Teppich, dein ist die Macht, die der Teppich gibt.«
»Was sagte ich hierauf?«
»Du sagtest: wenn ich der Besitzer eines verzauberten Teppichs bin, dann will ich auch seinen Geist sehen. Rufe seinen Geist!«
»Ganz recht. Was gabst du zur Antwort?«
»Ich sagte: Herr, sein Geist ist entsetzlich anzuschauen. Niemand kann sein Antlitz sehen, ohne zu schaudern. Es ist ein ungläubiger Djinn von furchtbarer Bösartigkeit, in dessen Hände es Allah gefallen hat, alle Macht zu legen, die einem Djinn gewährt werden kann. Herr, befiehl mir nicht, ihn herbeizurufen!«
»So sprachst du. Das ist richtig. Dann fragte ich dich, ob du je das Antlitz des Djinn gesehen hast. Hast du es gesehen?«
»Oft, o Herr, doch nicht öfter, als notwendig. Sein Antlitz ist derart, daß jeder, der es sieht, sein eigenes Antlitz auf dem Boden verbergen muß, um nicht vor Entsetzen ohnmächtig zu werden. Ein furchtbarer Rauch quillt aus seinen Nüstern und seinem hohnlachenden Munde. Er hat die Macht, jeden, der ihn ruft, zu zermalmen, wie man einen Wurm zermalmt. Befiehl mir nicht, ihn zu rufen, Herr!«
Die Stimme des Marabou zischte, wie Feuer in feuchtem Holz zischt, und eine rasende Glut brannte in seinen Augen. Alle im Raum von den Bewaffneten bis zu Bachir erschauderten. Der Professor wartete einen Augenblick, ehe er ihn aufs neue ansprach.
»Was sagte ich hierauf?« fragte er mit gesenkter Stimme.
»O Herr,« schrie der Marabou, »du sagtest: und wenn Himmel und Erde sich auftun, wenn die Wüste zu einem Meer wird, wenn alle Teufel ihre Badestelle verlassen – gleichviel: Rufe den Geist!«
Alle im Raum erbebten. Es war ganz still, bis der Professor murmelte:
»So sprach ich. Was gabst du zur Antwort?«
»Ich sagte mit matter Stimme,« murmelte der Marabou, »ich sagte mit flehender Stimme: Herr, warum willst du den gefährlichsten aller Djinns beschwören, dessen Anblick wie ein verheerendes Feuer ist, und dessen Macht unbegrenzt? Warum willst du ihn herbeirufen? Er kann uns beide wie Würmer zermalmen.«
Die Stimme des Marabou zitterte vor Erregung. Alle im Raum, von den Bewaffneten bis zu Bachir, erbebten. Es war totenstill, bis der Professor flüsterte:
»Darauf antwortete ich: Zwei meiner Freunde sind in die Gefahr der unzähligen Nächte eingegangen. Du, Marabou, hast es mir selbst mit Hilfe des heiligen Teppichs kundgetan. Ich will wissen, wo diese Gefahr sich befindet. Ich will wissen, wo meine Freunde sich befinden. Rufe den Geist herbei! Und was sagtest du hierauf?«
»O Herr des Teppichs, es ist unnötig, aus diesem Grunde den Geist zu beschwören. Ich weiß, wo deine Freunde sind. Ehe du mir den Teppich mit List, Diebstahl und Lüge nahmst, las ich es mit Hilfe des Geistes im Sande. Es ist unnötig, den Furchtbaren aus diesem Grunde zu stören!«
Das ganze Gemach stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Alle von den bewaffneten Männern bis zu Bachir hatten gefürchtet zu hören, daß der Geist beschworen worden war und sich gezeigt hatte. Der Professor sagte:
»So sagtest du, und ich rief: Du weißt, wo sie sind? Dann führe mich augenblicklich hin. Und daraufhin führtest du mich in dieses Haus – das Haus Bachirs, Abdullahs Sohn.«
Er schwieg einen Augenblick und fügte mit erhobener Stimme hinzu:
»Bachir, Abdullahs Sohn, Sohn im achten Gliede von Abdullah, Bachirs Sohn, ich habe dir erzählt, wie ich hergekommen bin, und warum ich zu dieser Zeit des Tages komme.«
Bachir fächelte sich mit dem Fächer.
»Du hast ein Märchen erzählt, wie Aouina. Eines hast du nicht erzählt: warum du überhaupt kommst.«
»Ich komme, um meine zwei Freunde zu holen.«
»Es dürfte dir schwer fallen, sie gegen meinen Willen zu holen.«
»Ich habe auch nicht daran gedacht, sie gegen deinen Willen zu holen. Ich bringe mit, was mehr als wert ist, ihre Bande zu lösen.«
»Das wäre?«
»Den Teppich deines Stammvaters, der vor zweihundert Jahren von Herrn von Todlebens Freund, Abu Lakhar, gestohlen wurde und sich seither in seiner Familie weitervererbt hat.«
Bachir hohnlachte.
»Du gibst mir einen Stoffetzen und sagst: sieh her, der Teppich deines Stammvaters! Woher weiß ich, daß es dieser Teppich ist?«
»War der Teppich deines Stammvaters weiß, rot und gelb?«
»Ja.«
»War er schon damals alt und abgenutzt?«
»Ja,« antwortete Bachir unwillig.
»Trug er irgendwelche Merkmale? Hast du je von solchen gehört?«
»Nein!«
»Du hast nie gehört, daß einige der Fäden gleichsam die Konturen eines Gesichtes bildeten – eines bösen, heimtückischen, grinsenden Gesichtes, eines Gesichtes, das dem Antlitz des Djinn des Teppichs glich?«
»Nein!« rief Bachir.
»So sieh hier, und sieh, ob du selbst ein solches Antlitz sehen kannst!« rief der Professor und entrollte plötzlich einen Teppich, den er unter dem Rock verborgen gehalten hatte.
Ich sah ein Teppichstück von drei Fuß Länge, rot, weiß und gelb wie die Wüste, abgenutzt vom Alter und der Beugung vieler Knie. Und in seiner Mitte sah ich die Konturen eines grinsenden, boshaften Gesichtes, mit weit aufgerissenem Mund. Ich erschauerte, und alle anderen im Raume erschauerten, von den Bewaffneten bis zu Bachir.
»Dies«, rief der Professor, »ist deines Stammvaters Teppich, der durch viele hundert Jahre deiner Familie Glück und Erfolg über alle Maßen gebracht hat, o Bachir. Wenn man einem deiner Stammväter die Wahl zwischen diesem Teppich und den Juwelen gelassen hätte, die gleichzeitig gestohlen wurden, er hätte den Teppich gewählt. Ich bin nicht kleinlich. Ich biete dir den Teppich und seine Macht für die Freiheit meiner zwei Freunde.«
Alle im Gemach bebten vor Spannung. Der Marabou fiel vor dem Teppich auf die Knie und hob seine langen, sehnigen Arme, wie ein Kaktus seine verkrümmten Zweige erhebt. Ich, der ich in der vorhergehenden Nacht gehört hatte, wie Bachir dem Franzosen sein Angebot machte, ich erwartete, ihn das Anerbieten des Professors sofort annehmen zu hören. Aber Bachir nahm es nicht an. Sein Gesicht, das bei dem Anblick des Teppichs leichenblaß geworden war, hatte nun einen neuen heimtückischen Ausdruck, dessen Ursache mir fremd war. Sie sollte mir bald klar werden.
»Du hast den Teppich, sagst du,« sagte Bachir. »Aber wie du erzählst, hast du auch die Juwelen geholt, die zugleich mit dem Teppich verschwunden sind. Welches Recht hast du, das eine gestohlene Gut eher zu behalten, als das andere? Welches Recht hast du, Bedingungen zu stellen?«
Der Professor hörte ihn mit einem Gesicht an, das ebenso bleich war wie sein eigenes. Aber seine Blässe kam vom Blutverlust, nicht von Gemütserregung. Er zuckte leicht die Achseln, und ich, der ich die Art der Europäer kenne, wußte, was das bedeutete. Es bedeutete: das hätte ich mir erwarten können!
Bachir rief:
»Wer bist du, daß du Bedingungen stellen könntest? Ich weiß alles über dich und deine Freunde. Ich weiß, daß die Behörde ganz ebenso die Achseln zucken würde, wie du soeben, wenn ihr drei spurlos verschwinden würdet, wie schon so viele in der Wüste und im Salzsee verschwunden sind. Ihr seid in meiner Gewalt. Die Juwelen sind in meiner Gewalt. Der Teppich ist in meiner Gewalt.«
»Du vergissest eine Sache,« sagte der Professor. »Der Teppich wird nur mit List genommen, nicht mit Gewalt!«
»Genug mit diesem Kindergeschwätz,« rief Bachir und wendete sich den Bewaffneten zu. Legt mit den Gewehren auf ihn an. Nehmt ihm alles ab, was er hat! Schießt, wenn er Widerstand leistet.«
»Marabou,« sagte der Professor zu seinem Begleiter. »Rufe den furchtbaren Geist des Teppichs! Es ist an der Zeit!«
Der Marabou, der vor dem Teppich auf den Knien gelegen war, hob den Kopf mit Augen, brennend wie die Glut der Djehennem. Seine Arme hoben sich wie zwei Schlangen, die aus dem Sack des Schlangenbändigers frei werden. Seine Stimme stieg an, heiser und schreckenerregend wie das Heulen des Südostwindes. Die Bewaffneten, die schon einen Schritt nähergetreten waren und ihre Gewehre erhoben hatten, hielten inne.
»Wie du befiehlst, o du, des Teppichs Besitzer, so sei es!« rief der Marabou. »Dies ist die Stätte der Sünde, wo man den Schützling der Sterne bedroht, der ungestraft in der Furchtbaren Badestelle badete. Du befiehlst, ich gehorche. Wer bin ich? Dein Sklave, dein unwürdiger Sklave!«
Zwei Dutzend Augen befanden sich im Zimmer. Alle hingen wie gebannt an dem Marabou. Zwei Dutzend Hände befanden sich im Zimmer. Alle ballten sich krampfhaft vor Erwartung.
»Ich gehorche!« rief der Marabou, »und ich rufe den furchtbaren Geist, dessen gräßliches Antlitz niemand ertragen kann, aus dessen Nase und Mund Rauch quillt, und der die Macht hat, uns alle zu zermalmen, wie Würmer. Bism illah! in Gottes, des Höchsten Namen, beschwöre ich dich, o Djinn –«
Ein Wind begann an den Palmkronen zu rütteln, die das Haus beschatteten. Eine schwere Wolke hatte den Nachthimmel verdeckt. Ein klagender Laut drang von den Bäumen herein. Die Gewehre der bewaffneten Männer zitterten in ihren Händen. Sie wichen einen Schritt zurück.
»O Djinn,« murmelte der Marabou mit stöhnender Stimme, »du, der du diesem Teppich untertan bist. Du, dessen Antlitz so grauenvoll zu schauen ist, daß niemand seinen Anblick ertragen kann, du, dessen Mund wie das rauchende Tor zur Djehennem ist, ich befehle dir, zu kommen, in seinem Namen, im Namen dessen, der den Teppich besitzt –«
In diesem Augenblick vernahm man ein furchtbares Heulen. Es ging durch Mark und Bein. Es kam von den bewaffneten Männern. Sie warfen ihre Gewehre hin. Sie schlugen die Hände vor das Gesicht. Sie rissen die Tür auf und flohen Hals über Kopf, fort aus dem Gemach, wo sie erwarteten, in der nächsten Sekunde von dem Geist des Teppichs zermalmt zu werden. Ich, Ibrahim, Salahs Sohn, hörte ihre Flucht nur, ich sah sie nicht, denn ich lag mit der Stirn auf dem Boden, um den Geist nicht sehen zu müssen, wenn er kam. Es ist wahr, ich bin ein gebildeter Mensch, und ich verachte allen Aberglauben. Aber das, was gebildete Menschen die Macht der Situation nennen, war zuviel für mich. Ich zitterte vor Entsetzen an allen Gliedern, – und wenn der Teppich wirklich einen Geist hat, und sein Aussehen derart ist, wie gesagt wurde, wer wollte mich tadeln? Das nächste, was ich hörte, war, wie die Tür hinter den Bewaffneten versperrt wurde. Dann hörte ich den Professor sprechen. Zuerst unterbrach er den Marabou in seiner Beschwörung.
»Halte sofort inne! Es ist genug. Der Beistand des Geistes wird nicht mehr benötigt!«
Dann sprach er zu Bachir:
»Bachir, Abdullahs Sohn, erhebe dein Angesicht, und höre meine Befehle!«
Einen Augenblick war es still. Dann fuhr der Professor fort:
»Bachir, Abdullahs Sohn, es ist der Besitzer des Teppichs, der spricht, nicht sein Geist. Erhebe dein Angesicht und empfange meine Befehle!«
Bei diesen Worten erhob ich, Ibrahim, Salahs Sohn, mein Angesicht und sah zu meiner großen Heiterkeit, wie Bachir, der Herr des Hauses, der durch tausendundzwei Nächte mein Leben (nebst dem Aouinas) in seiner Hand gehalten – wie er auf seinem Diwan auf dem Bauche lag, das Gesicht in den Kissen vergraben, den Rücken in der Luft. Er war von demselben Entsetzen gepackt wie seine bewaffneten Männer! Ich mußte lachen. Mein Lachen war unbeherrscht, wie das eines Weibes, denn die ausgestandene Angst ließ mein Herz mit verdreifachter Geschwindigkeit in der Brust hämmern. Meine Heiterkeit wurde von den gebildeten Europäern geteilt. Der dicke Engländer, der mit unerschütterlicher Würde vor dem Tisch mit dem verhängnisvollen Service gesessen war, wand sich vor Lachen, und der Franzose an seiner Seite ließ nur das Weiße der Augen sehen. Nun sprach er, den seine Freunde den Professor nannten, aber den der Marabou mit mehr Recht den Schützling der Sterne nannte, zum drittenmal zu Bachir und sagte:
»Bachir, Abdullahs Sohn, ich, der Besitzer des Teppichs, habe jetzt die Macht in deinem Hause. Erhebe dein Angesicht und empfange in Gehorsam meine Befehle!«
Endlich richtete sich Bachir von dem Diwan auf. Sein Gesicht war von Zorn und berechtigter Scham verzerrt. Er schwieg. Der Professor, der ein Gewehr in der Hand hielt, sagte:
»Dieses sind meine Befehle! Höre und gehorche!«
Bachir neigte schweigend den Kopf.
»Du hast mir die Gefühle der Behörde für mich angedeutet. Ich hege dieselben Gefühle für die Behörde. Sie wünscht meine Gegenwart hier nicht. Ich wünsche sie auch nicht mehr. Ich will Tozeur verlassen. So wie Hannibal es mit den Römern machte, will ich die Behörde von dem allzu großen Schrecken befreien, den mein Name ihr einjagt.«
Er machte eine Pause, während der er mich durch eine Geste aufforderte, seine Freunde von den Banden zu befreien, die sie fesselten. Ich beeilte mich, seinem Befehl nachzukommen. An Bachir gewendet, fuhr er fort:
»Ich will Tozeur verlassen. Aber nicht mit dem Zuge. Tue ich das, dann erfährt man, daß ich am Leben bin. Jetzt hält man mich und meine zwei Freunde für verschwunden und tot. Darum werde ich Tozeur auf andere Weise verlassen, nämlich auf einem Kamelrücken. Du wirst vor allem einmal Kamele für mich und meine zwei Freunde bestellen.«
»Und wenn ich mich weigere?« sagte Bachir.
Der Professor deutete mit einer Geste auf das Gewehr.
»Du weigerst dich nicht!« sagte er. »Kamele müssen für mich und meine Freunde für eine Fahrt durch die Wüste bis Touggourt ausgerüstet werden! Aber das ist nicht alles. In diesem Hause befinden sich noch andere Personen, die von dir mit dem Tode bedroht wurden. Die sollen befreit werden, und wenn sie es wünschen, sollen sie mitkommen.«
Hier fand ich, Ibrahim, Salahs Sohn, die Stimme wieder.
»Ich folge dir, o du, der du ungestraft in der Teufelsbadestelle badetest!« rief ich. »Ich folge dir, und wenn du meinem Rat gehorchen willst, o Herr, dann begeben wir uns nach Tunis, dem großen, dem weißen, dem gebildeten. Da werde ich dir Cafés zeigen und Frauen, schöner als der Vollmond –«
»Danke, Tunis, nein,« sagte der Professor. »Aber du kommst also mit. Das macht vier Kamele, die ausgerüstet werden sollen. Und Madame? Kommen Sie mit?«
»Nein,« sagte Aouina mit sanfter Stimme.
»Wie?« sagte der Professor. »Wenn ich recht verstehe, haben Sie, Madame, diesen Herrn tausendundzwei Nächte amüsiert und nur Undank geerntet. Das wundert mich nicht, denn die Menschen hegen keine Dankbarkeit oder Achtung für den, der sie amüsiert. Nur die solide Langeweile nötigt ihnen Dankbarkeit und Respekt ab. Aber verstehe ich Sie recht, Madame? Sie wollen dieses Haus nicht verlassen?«
»Nein,« sagte Aouina wieder. »Ich liebe Bachir. Er hat meine Liebe verachtet und verdächtigt, das hat sie nur gesteigert.«
»Und all der Schreck, den er Sie durchmachen ließ?« sagte der Professor. »Durch tausendundzwei Nächte!«
»Vielleicht hat das meine Liebe noch mehr gesteigert,« sagte Aouina. »Ich bleibe im Hause.«
»Sacher-Masochs Schatten!« rief der Professor. »Ich will Ihre Entschlüsse nicht beeinflussen, Madame, aber wenn Sie im Hause bleiben, bedaure ich, daß ich Sie zur Strohwitwe machen muß. Ihr Mann wird uns auf unserem kleinen Trip durch die Wüste nach Touggourt begleiten.«
»Ich!« rief Bachir mit einer Stimme, wie die eines Weibes in Kindesnöten. »Was bildest du dir ein, du vermessener, ungläubiger Hund! Ich sollte dich begleiten – vorausgesetzt, daß ich dir Kamele gäbe!«
»Du wirst mir Kamele geben,« sagte der Professor. »Und du wirst auf die Tour mitkommen. Glaubst du, ich werde dich hier zurücklassen, damit du fünf Minuten, nachdem ich den Rücken gekehrt habe, zur Behörde laufen kannst!«
»Wie willst du mich zwingen?« sagte Bachir.
Der Professor deutete auf das Gewehr.
»Wenn die Flinte nicht hinreicht, greife ich zum Teppich,« sagte er.
Bachir sah von dem Gewehr zu dem Teppich. Es ist ungewiß, welcher dieser Gegenstände mehr Furcht und Abscheu in seinem Gesicht widerspiegelte.
»Ich habe meine Weisungen gegeben,« sagte der Professor. »Gib du die deinen! Bedenke, daß der Teppich und das Gewehr mein sind, und daß der Marabou, der Diener des Teppichs, Arabisch versteht, falls du versuchen solltest, falsche Weisungen zu geben!«
Wie angenehm ist es doch, in gebildeter Gesellschaft dahinzuziehen!
Die Sterne waren noch weiß, als wir Bachirs Haus verließen. Sie verschwanden zugleich mit dem letzten Schimmer der Palmen Tozeurs. Als die Sonne aufging, waren wir draußen in der Wüste – der Professor, seine zwei Freunde, der Marabou, ich und Bachir, Abdullahs Sohn (dessen Name verflucht sei). Ich ließ mein Kamel dicht neben dem des Professors und denen seiner Freunde gehen, denn es war mir ein Vergnügen, dem Gespräch dieser gebildeten Leute zuzuhören. Sie ihrerseits fanden Vergnügen daran, meinen Ansichten über Bachir (dessen Name verflucht sei) zu lauschen und der Geschichte von meiner und Aouinas Gefangenschaft. Nicht einmal, sondern mehrmals ließen sie mich Aouinas Geschichte von dem Teppich aus Kandahar erzählen. Am Nachmittag des ersten Tages sagte der Franzose plötzlich:
»Sie haben heute nacht alles erklärt, Professor, aber eine Sache vergaßen Sie zu erklären.«
»Was denn?«
»Sie haben nicht gesagt, wie es kam, daß ich und Graham in diesem Hause waren.«
»Es war der Teppich, der euch hingeführt hat.«
Der Franzose und der Engländer starrten ihren Freund an.
»Was meinen Sie?«
»Graham kaufte den Teppich unserem Freund, dem Marabou, ab. Der Marabou warnte ihn und sagte, daß er sich nicht durch Kauf erwerben lasse. Er würde dem Marabou von seinem Geist zurückgebracht werden. Können Sie sich besinnen, was Sie darauf geantwortet haben, lieber Graham?«
Der Engländer dachte nach.
»Ich sagte, tut er das, will ich von mehr Geistern besessen sein, als in dem Teppich stecken! Nein, ich will meinen eigenen Kopf essen!«
»Na, und war Ihr Wunsch nicht nahe daran, in Erfüllung zu gehen? Und hätte er sich in irgendeinem anderen Hause erfüllen können als in dem Bachirs? Was Sie betrifft, Lavertisse, so nahmen Sie dem Marabou den Teppich mit Gewalt. Gleichzeitig sprachen Sie die bestimmte Absicht aus, die Wahrheit über Graham herauszukriegen. Ich sagte: Vergessen Sie, daß die Wahrheit immer auf dem Grunde eines Brunnens ist? Darauf gaben Sie zur Antwort, ich will sie herauskriegen, wo immer sie sich befindet. Am selben Tage wurden Sie sonderbar – wie Graham sonderbar geworden war – und am Morgen fanden Bachirs Leute Sie in seinem Brunnen.«
Der Engländer und der Franzose starrten ihren Freund verblüfft an. Auch ich betrachtete ihn mit respektvollem Staunen. War es wohl möglich, daß dieser hochgebildete Mann abergläubisch war und an Geister glaubte?
»Meinen Sie, daß der Teppich einen Geist hat? Glauben Sie, daß es Geister gibt, die man herbeirufen kann wie in Tausendundeine Nacht?«
Der Professor sah lächelnd über die Wüste hin.
»Wenn ich mir unsere zivilisierte Welt in Europa ansehe,« sagte er, »so glaube ich steif und fest an Geister und daran, daß man sie beschwören kann. Ich glaube sogar, daß es gefährlicher ist, sie zu beschwören, als die Geister in Tausendundeine Nacht. Wir rühmen uns, daß wir uns die Naturkräfte untertan gemacht haben. Und wir glauben, daß es uns gelungen ist. Aber was ist das, was wir gerade jetzt erleben, wenn nicht ihre furchtbare Rache? Wir haben versucht, die Geister der Luft, des Wassers und des Feuers zu bezwingen – um wie in Tausendundeine Nacht zu sprechen – und was ist geschehen? Wir haben Kanonen, die auf hundertsechzig Kilometer schießen, wir haben Aeroplane, die ohne Führer gehen und Giftgasbomben abwerfen, die in einigen Minuten ganze Städte töten können. Das sind keine Phantasien. Das ist der nächste Krieg, wie er schon im vorhinein von Fachleuten beschrieben wird. Und kann jemand dem vorbeugen? Nein. Wir haben die Geister losgelassen, wie der Fischer in Tausendundeine Nacht, aber wir können sie nicht wieder in die Flasche hineinbekommen.«
Wir sahen ihn an, ungewiß, ob er im Ernst sprach. Er antwortete auf unsere unausgesprochenen Fragen nicht, und wir ritten weiter. Den ganzen Tag ritten wir durch die goldene Leere der Wüste und den nächsten Tag, und den übernächsten Tag. Am vierten Tage, als wir etwas mehr als auf halbem Wege zwischen Tozeur und Touggourt waren, hielt der Professor an und sprach zu Bachir (dessen Name verflucht sei):
»Hier trennen sich unsere Wege,« sagte er. »Unser Weg geht weiter, dein Weg geht zurück. Wenn du nach Tozeur kommst, haben wir schon längst Touggourt verlassen. Kehre nach Tozeur und zu deiner Gattin zurück, aber vergiß eines nicht: wenn du der Behörde unvorteilhafte Dinge über uns erzählst oder deine Gemahlin weiterhin bedrohst, wird der Geist des Teppichs dir einen sofortigen und unbarmherzigen Besuch abstatten. Das gelobe ich dir. Hast du verstanden? Lebe wohl!«
So sprach er, und kurz darauf sahen wir Bachir allein zu seinem Hause zurückkehren, gefolgt von aller Verachtung und meinen laut gerufenen Flüchen. Wir jedoch ritten weiter, und am nächsten Tage traf das letzte Ereignis auf unserer Reise ein. Wir hatten ein Mittagslager aufgeschlagen, um der Sonnenhitze zu entgehen, die mit jedem Tage unerträglicher wurde. Wir beschlossen zu schlafen, und der Marabou übernahm es, während unseres Schlummers Wache zu halten. Dieses Versprechen hielt er in eigentümlicher Weise. Bei einiger Kenntnis des Charakters dieser Marabous ist es nicht so verwunderlich. Das Erstaunliche ist, daß der Professor, der den Marabou so lange gekannt hatte, Vertrauen in ihn setzen konnte. Aber er tat es, wir streckten unsere Glieder aus und schliefen. Als wir die Augen wieder öffneten, fanden wir, daß wir ohne Schutz geschlafen hatten. Der Wächter unseres Schlummers hatte seinen Posten verlassen und vergeblich spähten wir in der umliegenden Wüste nach ihm aus. Er war verschwunden. Aber nicht nur er war verschwunden. Auch das Kamel, auf dem er geritten war, war fort. Ein Ruf erhob sich von den zwei Freunden des Professors.
»Das ist noch nicht das Schlimmste! Er ist mit dem Teppich auf und davon!«
Der Professor hob den Sattel, den er als Kopfkissen verwendete.
»Er ist fort,« sagte er. »Er hat ihn zurückgenommen, mit List, Diebstahl und Lüge! Wenn er nur nicht – – –«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Er versenkte die eine Hand in die Satteltaschen und untersuchte sie.
»Nein,« beendete er seinen Satz. »Das hat er nicht. Die hat er uns gelassen.«
Er öffnete die Satteltaschen. Zum ersten Male sah ich die Juwelen, die Abdullah, Bachirs Sohn, vom Stammvater des Deutschen und dem des Marabou gestohlen worden waren. Im Schein der Wüstensonne gesehen, blendeten sie meine Augen, fast so wie der Anblick aller Sterne des Himmels zugleich den dritten Bettler in Aouinas Geschichte blendete. Da waren Saphire, Smaragde, Rubine und Opale, in allen Farben flimmernd, die Allah dem Regenbogen verliehen; einige rot wie das Blut an der Brust der verwundeten Taube, einige gelb wie die Pupillen der Giftschlange, einige blau wie die Flamme einer Stahlklinge, einige grün wie die Giftgetränke, die man in den Cafés in Tunis trinkt. Ich war sprachlos. All dies hatte der Professor aus dem Salzsee geholt, dem unfruchtbarsten auf Erden, unfruchtbarer als der Schoß der von Allah verfluchten Frau. Der Professor ließ die Juwelen wieder in die Satteltaschen rinnen, und sie glichen einem Strom jenes bunten Feuers, das man an den Festtagen des französischen Volkes zum Nachthimmel emporsendet.
»Er ließ das hier zurück und zog den Teppich vor,« sagte er. »Vielleicht tat er recht. Für den, der glaubt, ist der Teppich Macht. Aber ich ziehe doch jedenfalls die hier vor. Sie sind immerhin etwas leichter zu handhaben, als ein Djinn aus Tausendundeiner Nacht.
Ja h'asra! Der Marabou verschwand mit dem Teppich. Ich selbst hatte auf unserer Reise einige Male – aber sehr selten – an die Möglichkeit gedacht, ihn und seine Macht mit Diebstahl, List und Lüge zu erwerben. Ich hatte jedoch diese Gedanken sofort bekämpft, denn wie hätte ich wohl den Mann bestehlen können, der mir das Leben gerettet hat? Nun hatte mich zum Glück der Marabou von weiteren derartigen Anfechtungen befreit, indem er ihn lügnerisch und listig dem stahl, den er mit seinen Lippen ehrte. Ein neuer Beweis für den Charakter dieser Marabous. Ja h'asra!
Einen Tag später waren wir in Touggourt. Da schrieb der Professor einen Brief, an die drei Europäer gerichtet, die im Hotel in Tozeur wohnten. Er lautete folgendermaßen:
Meine Herren!
Für den Fall, daß Sie Ihre Forschungen nach dem Schatz im Salzsee, den Herrn von Todlebens Stammvater von Abdullah, Bachirs Sohn, übernahm, noch fortsetzen – für diesen Fall gebe ich Ihnen einen guten Rat: hören Sie damit auf. Ich habe sowohl die Stelle gefunden, wo die Tonnen voll von Unbrauchbarem Mehl stehen, wie die Stelle, wo der Hund begraben liegt, und die Insel, deren Zahl thlatha ist. Ebenso habe ich den Schatz gefunden und ihn gehoben.
Ich bedaure, Ihnen zuvorgekommen zu sein. Sie hatten ja gewisse traditionelle Rechte. Mein Erfolg ist auch weniger mir selbst zu danken, als Ihrer gegenseitigen Uneinigkeit und Ihrem Mangel an Vertrauen. Herr von Todleben hat Ihnen nicht die richtigen Papiere seines Stammvaters gezeigt. Er bewahrte sie in einem Stoffsack in seinem Mückennetz und zeigte Ihnen einige selbstfabrizierte, in der Hoffnung, den Schatz auf eigene Hand zu finden. Aber hätten Monsieur Picardou und Mr. Bottomley es unterlassen, Erpressungsversuche an Herrn von Todleben zu unternehmen, würde er die Papiere gezeigt haben. Und wenn Sie Ihre drei klugen Köpfe zusammengesteckt hätten, dann hätten Sie ohne Zweifel den Schatz gefunden – sofern man den Schatz finden kann, ohne den Teppich zu besitzen.
Der Teppich, der in den Papieren von Herrn von Todlebens Stammvater beschrieben sieht, dürfte den zwei anderen Herren unbekannt sein. Er hat eine Fabel: vermittelst eines Geistes, der ihm untertan ist, erfüllt er alle Wünsche und verleiht seinem Besitzer alle Macht der Erde. Er läßt sich nur durch List, Diebstahl und Lüge erwerben, hierin aller anderen Macht auf Erden gleichend. Und wer den Teppich besitzt, wird von der unüberwindlichen Lust ergriffen, ihn allein zu besitzen. Aber nur, indem man von der Macht abgibt, kann man sie behalten. Einstmals – so wird es erzählt – gehörte er hintereinander drei Brüdern, Hassan, Ali und Akbar. Hassan war Krieger, Ali war Kaufmann und Akbar war Astrologe – Mann der Wissenschaft, würden wir heutzutage sagen. Jeder von ihnen besaß den Teppich und die Macht und mißbrauchte sie. Keiner von ihnen verwendete sie richtig, und keiner von ihnen wollte davon an seine Brüder etwas abgeben. Der Krieger verlor das, was für den Krieger am wichtigsten ist – die flinken Beine; der Kaufmann, was für einen Kaufmann das wichtigste ist – die zupackenden Hände; der Mann der Wissenschaft das, was für den Gelehrten am wichtigsten ist – die sehenden Augen. Die drei Brüder endeten als Bettler.
Ich will die Moral nicht ziehen. Das mögen Sie selbst, Monsieur Picardou, Mr. Bottomley und Herr von Todleben.
In der Hoffnung, daß Sie es tun und Nutzen daraus ziehen, Ihr ergebener
Professor Pelotard.
Diesen Brief zeigte mir der Professor, bevor er ihn an die drei Europäer in Tozeur absandte. Hierauf sagte er:
»O Ibrahim, Salahs Sohn, nun trennen sich auch unsere Wege. Ich wünsche dir Glück für die Zukunft, und als Erinnerung an unsere Reise bitte ich dich, diese vier Kamele, Bachir Abdullahs Sohn gehörig, zu behalten.«
Ich dankte ihm unter Tränen und fragte ihn, wohin er sich nun begebe. Er sagte, seine Adresse sei ebenso unsicher, als es sicher sei, daß er ausziehe, neue Erlebnisse zu suchen. Ich sagte:
»O Herr, hat wohl je jemand solche Erlebnisse und Abenteuer gehabt wie du?«
Er sagte, indem er mit seinen Freunden in den weißen Wüstenzug einstieg:
»Sprich nicht von meinen Abenteuern! Ich habe mit Muscheln am Strande des Ozeans der Abenteuer gespielt. Oder laß uns sagen, an ihrem Salzsee. Aber du, Ibrahim, Salahs Sohn, bist lebend der tausendundzweiten Nacht entronnen.«