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8

Es war eine lange und anstrengende Woche, durch die Onni Kokko sich hindurchexerzieren mußte, aber schließlich kam der ersehnte Tag, an dem der Militärzug unter Musikklängen aus der Bahnhofshalle rollte. Auf dem Bahnsteig spielte eine Kapelle, und vom Zuge her antworteten frische Soldatenlieder. Hurrarufe klangen, tränenfeuchte Taschentücher winkten, und die Krieger schwenkten ihre grauen, blumengeschmückten Lodenmützen durch die Luft. Der kleine Mann mit den riesigen Schaftstiefeln schien am meisten dekoriert; seine Mütze und die ganze Brust waren mit Blumen vollgesteckt. Darob wuchs seine Zuversicht ganz beträchtlich, und die Zukunft erschien ihm im schönsten Licht.

Auf jeder Station, an der der Zug hielt, empfing sie die Menge mit Liedern und Hurrarufen, und von der Plattform antwortete eine Gruppe feldgrauer Sänger mit dem Björneborger Marsch:

»Niemals soll unser Heimatland
In Feindes Knechtschaft fallen,
Solang noch eine Faust vermag
Den Schwertgriff zu umspannen ...«

Onni Kokko merkte immer wieder mit Stolz, daß die Begeisterung ihren Höhepunkt erreichte, sobald er sich in ganzer Größe vor der Menge zeigte. – Kaum aber war er an die Front gelangt, da traf ihn ein Mißgeschick, das sein Selbstbewußtsein wie eine Blume knickte. Ein schimpfliches Mißtrauen war es, das man seinem Mannesmut entgegenbrachte. Und was sollte nun aus seinem großen Plan werden? Er wurde nämlich als Küchenjunge abkommandiert. Das ging folgendermaßen zu:

Die Neuankömmlinge mußten zur Musterung antreten, und der Kommandeur schritt prüfend die Front ab. Als letzter im Glied stand Onni, und als er bei ihm angekommen war, blieb er stehen und betrachtete ihn von oben bis unten.

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»Hm, – ja ... wir haben ja schon allerlei junges Volk ins Feuer geschickt, aber das hier ist unverantwortlich. Engelmacherei wollen wir nun doch nicht betreiben. Der hier wird zur Feldküche eingeteilt.«

So kam es also, daß Onni Kokko statt des Gewehrs Schöpfkelle und Besen schwingen mußte. Geduldig und tapfer, aber mit Gram im Herzen stand er nun im Schutze eines Gehöftes oder einer Scheune bei der Feldküche, stand und rührte in der blubbernden Grütze, während kaum einen Kilometer entfernt die Schüsse knallten. Hin und wieder fragte er vorsichtig die Köche und die Frauen vom Hilfsdienst, ob sie nicht wüßten, wo der Leutnant jetzt wohl stecke. Da bekam er die verschiedensten Antworten. Einer behauptete, er läge weiter östlich, ein anderer meinte, mehr im Westen, ein dritter wußte überhaupt nichts. Schließlich sagte ein dicker, gemütlicher Koch: »Das mag der Kuckuck wissen, wo der Mann steckt. Ich weiß bloß, daß er überall wie ein Tiger draufgeht und die Russen zusammenhaut, und bei uns ist er jedenfalls nicht, denn wir kommen ja nicht einen Schritt weiter.«

Die Antwort stimmte ihn ein wenig froher, und immer mehr reifte in ihm ein Entschluß: er mußte »türmen«. Wenn er nur herausbekäme, wohin sich der Leutnant gewendet hatte ...

Durch die Dämmerung eines bitterkalten Morgens gellten Alarmsignale. Alles schlafende Mannsvolk, Küchenmannschaft und Fahrer eingerechnet, wurde eiligst in die Schützenlinie beordert. Die Roten drangen in wütendem Angriff vor, und die dünnbesetzte Front schwebte in Gefahr, durchbrochen zu werden. Munitionsmangel verschlimmerte die Lage, und es wurde strenge Weisung gegeben, nur auf sichere Ziele zu schießen. Auch Onni drückte man ein Gewehr und fünfundzwanzig Patronen in die Hand, die er in die Tasche stopfte.

Diesmal jedoch schoß er wie ein Türke, sobald er nur etwas vor sich zwischen den Bäumen schimmern sah. Das ununterbrochene Geknatter und der Kanonendonner, der in schweren Wogen über den Wald dahinrollte, nahmen ihm jede Selbstbeherrschung. Man mußte drauflos knallen, wo man endlich wieder einmal schießen durfte!

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Zehn Schritt von ihm entfernt lag im Schnee ein graubärtiger Mann, der äußerst selten schoß. Ein Seehundjäger von den Schären im Norden. Während einer Feuerpause wendete er den Kopf zu Onni und rief: »Herrje, was vergeudest du Patronen!«

Onni sah nach und fand, daß er nur noch ein paar Patronen übrig hatte. Im gleichen Augenblick stürmten die Roten erneut an, und er mußte wieder schießen.

Als der Angriff mit knapper Not abgeschlagen war, kam ein Offizier durch den in aller Eile aufgeworfenen Schützengraben gekrochen. Er sah nach dem Munitionsvorrat, aber das Kriechen fiel ihm schwer, denn eine Hand war ihm verbunden und blutete stark. Als er zu dem alten Seehundjäger herankam, meinte er: »Na, Alter, Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Da vorn im Wald liegt ja ein ganzer Leichenhügel. Wieviel Patronen habt Ihr verschossen?«

»Zwölf im ganzen.«

»Und wieviel Treffer habt Ihr wohl?«

»Einer ist bißchen unsicher. Ich merkte nämlich erst nachher, daß Schnee auf mein Korn gekommen war. Das flimmerte so verteufelt ...«

Der Offizier kroch weiter.

»Na, und du, junger Freund. Wieviel sind noch übrig?«

»Ich hab alles verschossen«, antwortete Onni.

»So – das nennst du wohl Befehle ausführen! Und nicht einen einzigen getroffen, was?«

»Ja, ich denke schon, daß ich mit einem halben rechnen kann.«

»Was ist das für eine Antwort, du Schietbengel?«

»Ich meine, daß ich einen gewöhnlichen Roten umgelegt habe. Er liegt dort drüben hinter dem Stein.«

Aber der Offizier fluchte und hörte nicht mehr auf ihn. – »Der nächste Mann von links hier herüberkommen und die Lücke füllen!« kommandierte er. »Und du Unglücksrabe machst, daß du nach hinten kommst.«

So mußte Onni schmachbedeckt aus der Feuerlinie kriechen. Wieder saß er bei der Feldküche und rührte die Erbsensuppe um, die man den hungernden und steif gefrorenen Soldaten später nach vorn bringen wollte. Der verlockende Duft kochender Fleischstücke regte seine Lebensgeister wieder ein wenig an, er hatte auf einmal selbst mächtigen Hunger. Während er aber einen Augenblick fort war, um neues Holz für die Feuerung zu holen, kam eine Granate angesaust und verschlang die Feldküche mitsamt der Erbsensuppe und zerschmetterte einem Pferd, das auf dem Hof stand, ein Hinterbein.

Jetzt galt es für die zurückgebliebenen Frauensleute, in Hetz und Hast das Kompaniequartier zu räumen und die Verwundeten wegzuschaffen, denn der Hof lag unter Artilleriefeuer. Onni arbeitete und schaffte, bis er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

Während der Nacht half er einer Krankenschwester, die einige Verwundete in einem leeren Kuhstall betreute. Er breitete Schaffelle und Stroh über die stöhnenden Männer, denn jeder Atemzug stand ihnen wie eine Wolke vorm Mund, und der Reif in den Augenbrauen wollte kaum tauen. Die Toten trug er mit der Schwester in den Schnee hinaus.

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Am folgenden Morgen wurde die Lage besser, es erfolgte kein neuer Angriff. Die Frontstellung schien sich zu festigen, und nur bei der Marketenderei herrschte noch Durcheinander. Die Soldaten, die mit blau gefrorenen Gesichtern von vorn kamen, fraßen wie die Wölfe, den Rest des Essens brachten die Fahrer nach draußen in die Linie. Darum war es für einen Mann von Onni Kokkos Statur auch nicht leicht, einen Bissen zu erwischen.

Er lag in der folgenden Nacht mit knurrendem Magen da und konnte nicht schlafen. Kurz zuvor jedoch hatte er mit ziemlicher Sicherheit erfahren, daß sich der Leutnant in der Nähe befand, und nun stand es für ihn fest: er mußte dorthin. Bei der ersten besten Gelegenheit. Er hatte gelernt, sich durchzuschlagen.

Indessen fügte es sich diesmal so, daß er gar nicht zu türmen brauchte. Als er nämlich am Morgen um die Hausecke bog, stand plötzlich vor ihm der Leutnant, der ihm die Hand entgegenstreckte. »Sieh da, kleiner Kokko! Also hier bist du.«

»Ja, aber wie kommt der Herr Leutnant hierher?«

»Ich kam in der Nacht mit Verstärkungen. Hier soll's ja heiß hergehen. Na, und wie steht's mit dir, kleiner Freund?«

»Schlecht steht's«, sagte Onni, der noch immer des Leutnants Hand festhielt. »Schlecht genug. Ich darf hier bloß mit Grützlöffel und Besen und solchem Zeug hantieren, aber mitkämpfen darf ich nicht.«

Der Leutnant lachte und faßte ihn freundschaftlich bei den Schultern. »O je, solch ein Pech hast du gehabt? Laß man, ich werd schon dafür sorgen, daß du von dem Geschäft loskommst, denn du taugst besser zum Soldaten. Und dann kannst du mein Schildknappe werden.«

Onnis Brust weitete sich unter dem Lodenrock, und mit erregt zitternder Stimme fragte er: »Werd ich richtig Adjutant?«

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»Ja, gewiß.«

Da machte er seine strammste Ehrenbezeugung. »Danke vielmals!« sagte er. Und bei sich selbst fügte er hinzu: »Gott schütze den Leutnant!«

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