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Ferner kam mir zu Ohren, daß einmal ein Kaufmann, Namens Omar, lebte, welcher drei Söhne hatte, von denen der älteste Sâlim, der jüngste Dschûdar und der mittlere Selîm hieß. Er erzog dieselben, bis sie zu Männern herangewachsen waren, doch liebte er Dschûdar mehr als seine Brüder, welche deshalb, als sie dies bemerkten, auf Dschûdar eifersüchtig wurden und ihn haßten. Als nun ihr Vater, der ein bejahrter Mann war, sah, daß sie ihren Bruder haßten, fürchtete er, es möchte Dschûdar nach seinem Tode von seinen Brüdern schlecht behandelt werden, und versammelte infolge dessen eine Anzahl von seiner Sippe, sowie mehrere Erbteiler von seiten des Kadis und Gelehrte, zu denen er sagte, nachdem er all sein Geld und Zeug hatte vor sich bringen lassen: »Ihr Leute, teilt dieses Geld und Zeug in vier gleiche Teile nach gesetzlicher Vorschrift.« Da teilten sie sein Gut in vier Teile, worauf er jedem Sohn einen Teil gab und den vierten für sich behielt, indem er sprach: »Dies war mein Gut, das ich unter sie verteilt habe, so daß sie weder etwas von mir noch von einem von ihnen zu bekommen haben; sterbe ich, so kann kein Streit unter ihnen entstehen, da ich das Erbe noch bei Lebzeiten unter sie verteilt habe; und das Gut, das ich für mich behalten habe, soll meine Frau, die Mutter dieser meiner Söhne, erhalten und damit ihren Unterhalt bestreiten.«
Sechshundertundsiebente Nacht.
Als jedoch nach kurzer Zeit ihr Vater starb, war keiner der beiden älteren Brüder mit dem, was ihr Vater Omar gethan hatte, zufrieden, sondern verlangten mehr von Dschûdar, indem sie zu ihm sprachen: »Unsers Vaters Gut ist bei 6 dir.« Da brachte er die Sache vor die Richter, und die Moslems, welche bei der Teilung zugegen gewesen waren, erschienen und bezeugten, was sie wußten, worauf der Richter sie abwies. Doch kostete der Prozeß Dschûdar und seine Brüder ein gutes Stück Geld. Für einige Zeit ließen sie ihn nun in Ruhe, dann aber trieben sie wieder ihre Ränke gegen ihn, worauf er mit ihnen wieder vor den Richter zog, zu deren Bestechung sie von neuem einen gehörigen Batzen drauf gehen lassen mußten; und so ließen sie nicht ab nach seinem Schaden zu trachten, indem sie von Blutsauger zu BlutsaugerWörtlich: Tyrann; die Bestechlichkeit der Richter im Orient ist zur Genüge bekannt. zogen und fortwährend Geld zusetzten, bis all ihr Geld für die Blutsauger draufgegangen war, und alle drei Bettler geworden waren. Alsdann gingen die beiden älteren Brüder zu ihrer Mutter, verspotteten sie, prügelten sie, jagten sie hinaus und nahmen ihr Geld. Da machte sie sich zu ihrem Sohn Dschûdar auf und sagte zu ihm: »So und so sind deine Brüder mit mir umgegangen und haben mir mein Geld genommen.« Darauf begann sie ihnen zu fluchen; Dschûdar aber sagte zu ihr: »O Mutter, fluche ihnen nicht, denn Gott wird jedem lohnen nach seinem Thun. Jedoch, meine Mutter, ich bin an den Bettelstab gekommen und meine Brüder sind ebenfalls Bettler geworden, denn das Prozessieren frißt Geld und Gut auf, und ich und meine Brüder, wir haben vor den Richtern viel miteinander prozessiert, ohne daß es uns etwas genützt hätte, vielmehr haben wir unser ganzes väterlich Erbe dabei zugesetzt und sind vor den Leuten durch unser Zeugnis entehrt. Soll ich nun um deinetwillen von neuem mit ihnen prozessieren und vor die Richter ziehen? Das kann nicht sein; bleib daher nur ruhig bei mir, und das Brot, das ich esse, überlasse ich dir. Bete für mich, und Gott wird mir genug Brot gewähren, daß ich dich versorgen kann. Laß die beiden ihren Lohn von Gott empfangen und tröste dich mir dem Dichterwort: 7
»Wenn dich ein Thor bedrückt, so laß ihn gewähren
Und harre der Zeit, die dich am Bedrücker rächt.
Meide lästige Tyrannei, denn wollte ein Berg
einen Berg bedrücken, er müßte in Stücke gehn.«
Mit solchen Worten redete er seiner Mutter gut zu, bis sie sich zufrieden gab und bei ihm blieb. Er aber besorgte sich ein Fischnetz und begab sich von nun an täglich zum Strom, zu den Teichen und zu jedem Ort, wo sich Wasser befand, indem er dabei an jedem Tage nach einer andern Richtung ging, wobei er einmal zehn, das andere Mal zwanzig, das dritte Mal dreißig Halbe einnahm und den Erlös für seine Mutter verwendete und gut aß und trank. Seine Brüder aber betrieben weder ein Handwerk noch kauften und verkauften sie, so daß Elend, Verderben und Drangsal über sie hereinbrach, und sie, nachdem sie alles, was sie ihrer Mutter genommen, verbracht hatten, elende splitternackte Bettler wurden. Kamen sie dann hin und wieder zu ihrer Mutter und klagten ihr de- und wehmütig ihren Hunger, dann gab sie ihnen, da einer Mutter Herz mitleidig ist, etwas altes verdorbenes Brot oder, wenn etwas Gekochtes vom Tage zuvor übrig geblieben war, sagte sie auch wohl zu ihnen: »Esset schnell und macht euch wieder fort, bevor euer Bruder heimkehrt; er möchte es arg verübeln und sein Herz gegen mich verhärten, so daß ich durch euch bei ihm in Mißkredit komme.« Und so pflegten sie dann schnell zu essen und wieder fortzugehen. Da begab es sich, daß sie eines Tages wieder ihre Mutter aufsuchten und diese ihnen Fleisch und Brot zum Essen vorsetzte, als mit einem Male ihr Bruder Dschûdar eintrat. Da schämte sich seine Mutter und ward verlegen; und aus Furcht, er könnte ihr zürnen, senkte sie vor ihrem Sohne beschämt das Haupt zu Boden. Er aber lächelte ihnen freundlich ins Gesicht und sprach: »Willkommen, meine Brüder; das ist ein gesegneter Tag! Was ist geschehen, daß ihr mich an diesem gesegneten Tag mit euerm Besuch erfreut?« Darauf umarmte er sie, nahm 8 sie liebreich auf und sagte zu ihnen: »Ich glaubte nicht, daß ihr mich so vereinsamt machen und nicht zu mir kommen und weder mich noch eure Mutter besuchen würdet.« Hierauf erwiderten sie ihm: »Bei Gott, Bruder, wir hatten Sehnsucht nach dir, und nur die Scham über das zwischen uns Vorgefallene hielt uns zurück; jedoch haben wir es schwer bereut. Es war Satans Werk, – Gott, der Erhabene, verfluche ihn! – und nun haben wir keinen andern Segen als dich und unsere Mutter.«
Sechshundertundachte Nacht.
Seine Mutter aber sprach zu ihm: »O mein Sohn, Gott mache dein Angesicht weiß und lohne es dir reich und überreich! Du bist der edelste von allen mein Sohn.« Dschûdar versetzte: »Ihr seid willkommen, wohnet bei mir; Gott ist allgütig, und des Guten ist viel bei mir.« So söhnte er sich mit ihnen aus, und sie speisten mir ihm zum Abend und übernachteten bei ihm. Am nächsten Morgen lud Dschûdar nach gemeinschaftlichem Frühstück sein Netz auf und ging fort im Vertrauen auf Ihn, der die Thore öffnet; seine Brüder gingen ebenfalls fort und blieben bis zum Mittag aus, worauf sie wieder zurückkamen und von ihrer Mutter das Mittagsmahl vorgesetzt erhielten. Am Abend kehrte dann ihr Bruder zurück und brachte Fleisch und Gemüse.
In dieser Weise hatten sie bereits einen Monat verlebt, während welcher Zeit Dschûdar tagaus, tagein Fische trug, deren Erlös er für seine Mutter und seine Brüder verwendete, und seine Brüder hatten die Hülle und Fülle zu essen gehabt, als es sich eines Tages traf, daß Dschûdar mit seinem Netz zum Strom ging und dasselbe auswarf, es jedoch leer wieder herauszog. Da warf er es zum zweitenmal aus; als er es jedoch wieder leer herauszog, sprach er bei sich: »Hier giebt's keine Fische,« und ging nach einer andern Stelle. Als er auch hier nichts fing, ging er zu einem dritten Ort und wanderte so von Morgen bis zum Abend von einer 9 Stelle zur andern, ohne daß er auch nur ein einziges Salzfischchen gefangen hätte. Da sprach er: »Wunderbar! Sind die Fische aus dem Fluß verschwunden oder was ist sonst los?« Hierauf lud er das Netz auf seinen Rücken und kehrte voll Kummer und Sorge und bekümmert um seine Mutter und seine Brüder heim, ohne daß er wußte, was er ihnen zum Nachtessen vorsetzen sollte. So kam er auch an einem Backofen vorüber, bei welchem er eine Menge Leute sah, die sich um das Brot drängten und das Geld in den Händen hielten, während der Bäcker gar nicht auf sie achtete. Wie er nun hier seufzend stehen blieb, sagte der Bäcker zu ihm: »Willkommen, Dschûdar; hast du Brot nötig?« Da schwieg er, der Bäcker aber hob von neuem an und sagte: »Wenn du kein Geld bei dir hast, so nimm so viel Brot als du bedarfst auf Kredit.« Nun sagte Dschûdar: »So gieb mir für zehn Halbe Brot,« und der Bäcker versetzte: »Nimm noch diese zehn Halben hinzu und bringe mir morgen für die zwanzig Halben Fische.« Dschûdar erwiderte: »Auf Kopf und Auge,« und nahm das Brot und die zehn Halben, für die er Fleisch und Gemüse einkaufte, indem er bei sich sprach: »Morgen wird der Herr mir helfen.« Alsdann ging er nach Hause zu seiner Mutter, welche das Fleisch kochte, worauf er aß und sich zu Bett legte. Als er am andern Morgen wieder das Netz nahm und fortgehen wollte, sagte seine Mutter zu ihm: »Bleib sitzen und frühstücke erst;« er aber versetzte: »Frühstücke du mit meinen Brüdern.« Alsdann ging er zum Fluß und warf sein Netz einmal und noch einmal und zum drittenmal aus und ging von Ort zu Ort bis zur Zeit des Nachmittagsgebets, ohne irgend etwas zu fangen, worauf er sein Netz auflud und niedergeschlagen fortging. Er hatte aber keinen andern Weg als beim Bäcker vorüber, und, als der Bäcker ihn nun sah, zählte er ihm das Brot und das Geld hin und sagte zu ihm: »Komm her, nimm und geh fort; was nicht heute ist, ist morgen.« Dschûdar wollte sich bei ihm entschuldigen, der Bäcker entgegnete ihm jedoch: 10 »Geh nur, es bedarf keiner Entschuldigung. Hättest du etwas gefangen, so würdest du es bei dir haben. Als ich dich leer ankommen sah, da wußte ich, daß du nichts gefangen hattest, und, so du auch morgen nichts fangen solltest, so komm nur und hol dir ohne Scheu Brot, ich borge dir.«
Am dritten Tage ging Dschûdar bis zum Nachmittagsgebet von Teich zu Teich, ohne irgend etwas zu fangen, worauf er wieder zum Bäcker ging und das Brot und Geld von ihm holte. In dieser Weise ging es sieben Tage lang, bis er entmutigt bei sich sprach: »Geh heute einmal nach dem Teich Kārûn.« Wie er nun hier sein Netz auswerfen wollte, kam unversehens ein Maghribite in prächtigem Aufzug auf einem Maultier herangeritten, das auf seinem Rücken einen goldgestickten Mantelsack trug und auch sonst nur mit goldgesticktem Sattel und Zaumzeug geschmückt war. Vom Rücken des Maultiers absteigend, sprach der Maghribite: »Frieden sei auf dir, o Dschûdar, Sohn des Omar!« Dschûdar erwiderte: »Und auf dir sei der Frieden, mein Herr Pilgersmann!« Alsdann sagte der Maghribite: »O Dschûdar, ich habe ein Anliegen an dich, und, so du mir gehorchst, sollst du viel verdienen und sollst mein Freund werden und meine Geschäfte für mich besorgen.« Dschûdar entgegnete: »Mein Herr Pilgersmann, sprich, was du im Sinne hast, ich werde dir gehorchen und nicht widersprechen.« Da sagte er zu ihm: »Sag erst die FâtiheDie erste Sure. her.« Nachdem er die Fâtihe mir ihm recitiert hatte, holte der Maghribite eine seidene Schnur hervor und sagte zu Dschûdar: »Binde mir die Arme hinter dem Rücken fest zusammen und wirf mich in den Teich. Siehst du mich dann nach kurzer Zeit die Hände aus dem Wasser hoch emporstrecken, bevor ich selber zu sehen bin, so wirf dein Netz über mich und zieh mich schnell ans Land; siehst du mich aber die Füße herausstrecken, so wisse, daß ich tot bin. Kümmere dich dann 11 nicht weiter um mich, sondern nimm das Maultier und den Mantelsack, geh nach dem Bazar der Kaufleute, wo du einen Juden, Namens Schamîa, finden wirst, und gieb ihm das Maultier. Er wird dir hundert Dinare geben, nimm sie, verbirg das Geheimnis und geh deines Weges.«
Da band ihm Dschûdar die Arme fest nach hinten zusammen, während er ihn in einemfort antrieb noch fester zu binden, bis er zu ihm sagte: »Nun gieb mir einen Stoß, daß ich in den Teich fliege.« Da gab er ihm einen Stoß, daß er hineinflog und untersank, worauf er dastand und eine Weile wartete, bis der Maghribite mir einem Male seine Füße herausstreckte, woran er erkannte, daß er tot war. Infolge dessen kümmerte er sich nicht weiter um ihn, sondern nahm das Maultier und ging zum Bazar der Kaufleute, wo er den Juden auf einem Stuhl in der Thür seines Magazins sitzen sah. Als derselbe das Maultier sah, rief er: »Fürwahr, der Mann ist umgekommen!« und fügte hinzu: »Nichts als Habgier hat ihn umgebracht.« Dann nahm er das Maultier von ihm in Empfang und händigte ihm hundert Dinare ein, indem er ihn ermahnte, das Geheimnis ja zu hüten, worauf Dschûdar die Dinare einsteckte und fortging. Er kaufte nun vom Bäcker so viel Brot als er bedurfte und sagte zu ihm: »Nimm diesen Dinar;« da nahm der Bäcker den Dinar, berechnete, was er zu bekommen hatte, und sagte zu Dschûdar: »Du hast noch für zwei Tage Brot von mir zu erhalten.«
Sechshundertundneunte Nacht.
Alsdann begab er sich vom Bäcker zum Fleischer und gab ihm ebenfalls einen Dinar, indem er bei Empfang des Fleisches zu ihm sagte: »Laß, was vom Dinar noch übrigbleibt, auf Rechnung bei dir stehen.« Nachdem er dann noch Gemüse gekauft hatte, ging er heim und traf dort seine Brüder an, als sie gerade von ihrer Mutter etwas zum Essen verlangten, während sie zu ihnen sagte: »Wartet bis euer 12 Bruder kommt, ich habe nichts.« Da trat er ein und sagte zu ihnen: »Nehmt und esset,« worauf sie über das Essen wie Ghûle herfielen. Dann gab Dschûdar den Rest des Geldes seiner Mutter und sagte zu ihr: »Mutter, nimm es, und, wenn meine Brüder kommen, so gieb ihnen etwas, daß sie sich dafür während meiner Abwesenheit etwas zu essen kaufen können.« Am nächsten Morgen nahm er das Netz und begab sich wieder nach dem Teich Kārûn; als er dort stand und gerade sein Netz auswerfen wollte, kam mit einem Male wieder ein Maghribite in einem noch reicheren Aufzug als der Ersäufte auf einem Maultier mit einem Mantelsack angeritten, in dessen beiden Taschen je eine Büchse steckte, und sprach: »Frieden sei auf dir, o Dschûdar!« Dschûdar erwiderte: »Und auf dir sei der Frieden, mein Herr Pilgersmann!« Hierauf fragte er ihn: »Ist etwa gestern ein Maghribite zu dir gekommen, der auf einem Maultier ähnlich diesem ritt?« Da fürchtete sich Dschûdar und leugnete es, indem er sagte: »Ich sah niemand;« denn er besorgte, er könnte fragen: »Wohin ist er gegangen?« und ihn, falls er ihm antwortete: »Er ist im Teich ertrunken,« möglichenfalls beschuldigen, ihn ertränkt zu haben; so daß ihm nichts übrigblieb als zu leugnen. Der Maghribite sagte nun: »Armer Gesell, es war mein Bruder, der mir voranzog;« Dschûdar versetzte jedoch von neuem: »Ich weiß nichts von ihm.« Da sagte der Maghribite: »Hast du ihm nicht die Hände nach hinten zusammengebunden und ihn in den Teich geworfen, und sagte er nicht zu dir: »Wenn ich die Hände emporstrecke, so wirf das Netz auf mich und zieh mich eilends heraus; strecke ich aber die Füße empor, so bin ich tot, und du nimm dann das Maultier und führe es zum Juden Schamîa, der dir hundert Dinare dafür einhändigen wird?« Dann hat er thatsächlich die Füße herausgestreckt. und du nahmst das Maultier und führtest es zu dem Juden, der dir dafür hundert Dinare gab.« Dschûdar erwiderte: »Da du alles dies weißt, warum fragst du mich danach?« Er versetzte: »Weil 13 ich wünsche, daß du mit mir ebenso wie mit meinem Bruder verfährst.« Darauf zog er eine seidene Schnur und sagte zu ihm: »Binde mir die Arme nach hinten und wirf mich ins Wasser; ergeht es mir ebenso wie meinem Bruder, so nimm das Maultier, führe es zum Juden und laß dir von ihm hundert Dinare einhändigen.« Da sagte Dschûdar zu ihm: »Tritt heran,« und fesselte ihn, nachdem er herangetreten war, worauf er ihm einen Stoß gab. daß er in den Teich flog und untersank. Nachdem er eine Weile auf ihn gewartet hatte, streckte er die Füße hervor, und Dschûdar sagte: »Er ist elendiglich ersoffen; Inschallāh, so Gott will, der Erhabene, werden die Maghribiten Tag für Tag zu mir kommen, ich werde sie binden, sie werden ersaufen, und ich werde mich mit hundert Dinaren für jeden Ersäuften begnügen.« Alsdann nahm er das Maultier und zog mir ihm zum Juden ab, der bei seinem Anblick rief: »Ist der andere auch tot?« Dschûdar erwiderte: »Möge dein Haupt leben!« Und der Jude versetzte nun: »Das ist der Habgierigen Lohn.« Hierauf nahm er ihm das Maultier ab und gab ihm hundert Dinare, worauf er sie nahm und damit zu seiner Mutter abzog. Als er ihr das Geld übergab, fragte sie ihn: »Mein Sohn, woher hast du das?« Da erzählte er es ihr, und sie erwiderte: »Du darfst nicht wieder zum Teich Kārûn gehen, denn ich fürchte mich um deinetwillen vor den Maghribiten.« Dschûdar entgegnete ihr jedoch: »O meine Mutter, ich werfe sie ja nur auf ihr Geheiß ins Wasser; und was soll ich thun? Bringt uns doch dieses Handwerk täglich hundert Dinare ein, und ich kehre schnell wieder heim. Nein, bei Gott, ich lasse davon nicht ab nach dem Teich Kārûn zu gehen, bis die Spur der Maghribiten vertilgt und keiner von ihnen mehr übrig geblieben ist.« Und so begab er sich denn am dritten Tage wieder zum Teich Kārûn und stand da, als auch schon wieder ein Maghribite mit einem Mantelsack auf einem Maultier in einem noch reicheren Aufzuge als die beiden ersten angeritten kam und zu ihm sprach: »Frieden 14 sei aus dir, o Dschûdar, Sohn des Omar!« Da sprach Dschûdar bei sich: »Woher mögen mich nur alle Maghribiten kennen?« Doch erwiderte er ihm den Salâm. Hierauf fragte er ihn: »Sind hier an diesem Ort Maghribiten vorübergekommen?« Dschûdar antwortete: »Zwei.« Nun fragte er: »Und wohin sind sie gezogen?« Dschûdar entgegnete: »Ich band sie und warf sie in diesen Teich worauf sie ertranken, und dasselbe Ende steht auch dir bevor.« Da lachte der Maghribite und sagte: »Armer Kerl, alles Leben hat seine Zeit.« Hierauf stieg er von seinem Maultier ab und sagte zu ihm, indem er eine seidene Schnur hervorzog: »O Dschûdar, verfahre mit mir ebenso wie mit den beiden andern.« Dschûdar versetzte: »Lege deine Hände auf den Rücken, daß ich sie dir binden kann, denn ich habe Eile und meine Zeit ist um.« Da hielt er ihm die Hände hin und Dschûdar band sie ihm auf dem Rücken zusammen und gab ihm einen Stoß, daß er in den Teich flog. Dann stand er da und wartete, und mit einem Male streckte ihm der Maghribite die Hände heraus und rief: »Armer Kerl, wirf das Netz aus.« Da warf er das Netz über ihn und zog ihn heraus, und siehe, da hielt der Maghribite in jeder Hand einen Fisch von korallenroter Farbe und rief: »Öffne die Büchsen.« Nachdem Dschûdar ihm die Büchsen geöffnet hatte, steckte er in jede Büchse einen Fisch und verschloß ihre Öffnung wieder; dann preßte er Dschûdar an seine Brust, küßte ihn auf die rechte und linke Wange und rief: »Gott errette dich aus allen Nöten! Bei Gott, hättest du nicht das Netz auf mich geworfen und mich herausgezogen, so hätte ich diese beiden Fische festgehalten und wäre ertrunken, da ich aus dem Wasser nicht von selbst herausgekommen wäre.« Da sagte Dschûdar zu ihm: »Mein Herr Pilgersmann, um Gott, ich beschwöre dich, sag an, was es mit den beiden Ertrunkenen, diesen beiden Fischen und mir dem Juden für eine Bewandtnis hat.« 15
Sechshundertundzehnte Nacht.
Der Maghribite erwiderte: »Wisse, die beiden, die zuvor ertranken, waren meine Brüder, von denen der eine Abd es-Salâm und der andere Abd el-Ahad hieß, während mein Name Abd es-Samad ist; der angebliche Jude ist ebenfalls mein Bruder und heißt Abd er-Rahîm, doch ist er ein Moslem und zwar ein Mālikit. Unser Vater, dessen Name Abd el-Wadûd war, lehrte uns die Kunst Geheimnisse zu lösen und Schätze zu erschließen, sowie die Magie, und wir studierten fleißig, bis uns die Mâride von den Dschinn und die Ifrîten dienten. Unser Vater hinterließ uns vier Brüdern bei seinem Tode viel Gut, und wir verteilten die Schätze, das Gut und die Talismane, bis wir zu den Büchern gelangten. Bei der Verteilung derselben aber erhob sich ein Streit unter uns über ein Buch, welches den Titel »Die Fabeln der Alten« führt, ein Buch, das in der Welt seinesgleichen nicht findet und das völlig unbezahlbar ist und selbst mit Edelsteinen nicht aufgewogen werden kann, weil in ihm alle Horte aufgezählt werden und die Kunst Geheimnisse zu lösen behandelt wird. Unser Vater pflegte dasselbe zu gebrauchen, und wir hatten ein weniges aus ihm auswendig gelernt und trachteten eifrig nach seinem Besitz, um seinen ganzen Inhalt kennen zu lernen. Nun befand sich, als wir uns entzweiten, in unserer Gesellschaft der Scheich unsers Vaters, El-Kahîn el-Abtan geheißen, der unsern Vater erzogen und ihn in der Magie und Wahrsagekunst unterwiesen hatte. Derselbe sprach zu uns: »Gebt mir das Buch.« Als wir es ihm gegeben hatten, sagte er zu uns: »Ihr seid meines Sohnes Kinder, und deshalb ist es unmöglich. daß ich einem von euch unrecht thun könnte. Wer also dieses Buch bekommen will, der gehe fort und bemühe sich Esch-Schamardals Schatz zu heben und bringe mir die Himmelsscheibe, die Collyriumbüchse, den Siegelring und das Schwert. Der Siegelring wird von einem Mârid, der »hallende 16 Donner« geheißen, bedient, und, wer den Siegelring besitzt, über den hat kein König und Sultan Macht, und wollte er die Erde in der Länge und Breite beherrschen, so hätte er die Gewalt hierzu. Was das Schwert anlangt, so würde ein Heer vor ihm fliehen, wenn es wider dasselbe gezückt und geschwungen würde; und sagte man zu ihm hierbei: »Schlag das Heer tot,« so würde aus seiner Spitze ein feuriger Blitz fahren und das ganze Heer erschlagen. Was die Himmelsscheibe anlangt, so kann der Besitzer derselben, so er will, alle Länder vom Orient bis zum Occident schauen und betrachten, während er selber still sitzt, indem er nur die Scheibe nach jener Richtung kehrt, welche er schauen will, und dann auf die Scheibe schaut; dann wird er das Land und alle seine Bewohner so deutlich sehen, als ob alles dicht vor ihm wäre. Ist er auf eine Stadt erzürnt und kehrt er die Scheibe zur Sonne, so kann er die Stadt verbrennen, so er dies will. Was endlich die Collyriumbüchse anlangt, so schaut jeder, der sich aus ihr die Augen bestreicht, die Schätze der Erde. Jedoch stelle ich auch die Bedingung, daß jeder von euch, der sich vergebens diesen Schatz zu heben bemüht hat, seine Ansprüche auf das Buch verloren hat. Wer dagegen diesen Schatz hebt und mir seine vier Kleinodien bringt, der verdient es, daß er dafür das Buch erhält.« Als wir uns mit dieser Bedingung einverstanden erklärten, sagte er zu uns: »Meine Söhne, wisset, Esch-Schamardals Schatz steht unter dem Befehl der Söhne des roten Königs, und euer Vater sagte mir, er hätte sich bemüht diesen Schatz zu heben, doch wäre es ihm nicht gelungen; indessen wären die Söhne des roten Königs vor ihm zu einem Teich im Lande Ägypten geflohen, der Teich Kārûn geheißen, und wären in ihn gekrochen, als er sie daselbst eingeholt hätte, so daß er nichts über sie vermocht hätte, da der Teich durch einen Zauber gefeit sei. 17
Sechshundertundelfte Nacht.
So kehrte euer Vater erfolglos zurück, ohne Esch-Schamardals Schatz den Söhnen des roten Königs entwunden zu haben, und klagte es mir, worauf ich für ihn eine astrologische Berechnung anstellte und dabei fand, daß dieser Schatz nur durch Vermittlung eines jungen Kairensers, Namens Dschûdar, Sohn des Omar, gehoben werden könne, da nur durch ihn die Söhne des roten Königs ergriffen werden könnten. Dieser Jüngling sei ein Fischer, und man würde ihn am Teich Kārûn antreffen; der Zauber könne aber nur dann gebrochen werden, wenn Dschûdar dem Schatzsucher die Hände auf dem Rücken fesselte und ihn in den Teich würfe, daß er mit den Söhnen des roten Königs kämpfte. Wer Glück habe, der würde die Söhne des roten Königs zu packen bekommen, und wer kein Glück hätte, der käme um und streckte die Füße zum Wasser heraus, während der glücklich Davongekommene die Hände herausstreckte. Dann aber sei es erforderlich, daß Dschûdar sein Netz auf ihn würfe und ihn aus dem Teich zöge.«
Hierauf sagten meine Brüder: »Wir wollen ausziehen, sollten wir auch umkommen;« und ich sprach: »Ich werde ebenfalls ausziehen.« Mein als Jude verkleideter Bruder dagegen erklärte: »Ich trage kein Verlangen hiernach.« Da kamen wir mit ihm überein, daß er in der Verkleidung eines jüdischen Kaufmanns nach Kairo ziehen sollte, um, falls einer von uns im Teiche umkäme, von Dschûdar das Maultier und den Mantelsack in Empfang zu nehmen und ihm dafür hundert Dinare einzuhändigen. Wie nun der erste zu dir kam, töteten ihn die Söhne des roten Königs und ebenso den zweiten Bruder, während sie mir nichts anzuhaben vermochten, vielmehr ich sie zu packen bekam.« Da fragte Dschûdar: »Wo sind sie denn?« Der Maghribite erwiderte: »Sahst du nicht, daß ich sie in die beiden Büchsen einsperrte?« Dschûdar erwiderte: »Das waren ja Fische.« Der 18 Maghribite entgegnete jedoch: »Das sind keine Fische sondern Ifrîte in Gestalt von Fischen. Jedoch, Dschûdar, wisse, der Schatz kann nur durch dich gehoben werden. Willst du mir also gehorchen und mit mir nach der Stadt Fâs und MiknâsFez und Mequinez, welche hier irrtümlich als eine Stadt gelten. ziehen, wo wir den Schatz heben wollen? Ich will dir auch alles, was du verlangst, geben, und du sollst vor Gott mein Bruder sein und leichten Herzens zu deiner Familie heimkehren.« Dschûdar erwiderte ihm: »Mein Herr Pilgersmann, auf meinem Halse lasten meine Mutter und meine Brüder, –
Sechshundertundzwölfte Nacht.
für die ich zu sorgen habe. Wer wird ihnen Brot zu essen geben, wenn ich mit dir fortgezogen bin?« Der Maghribite versetzte: »Das ist ein nichtiger Vorwand; wenn es sich nur um Geldausgaben handelt, so wollen wir dir tausend Dinare für deine Mutter geben, wovon sie leben kann, bis du wieder heimgekehrt bist; auch sollst du noch vor Ablauf von vier Monaten wieder zu Hause eintreffen.« Als Dschûdar die tausend Dinare erwähnen hörte, sagte er: »Gieb die tausend Dinare her, o Pilgersmann; ich will sie meiner Mutter geben und dann mit dir heimkehren.« Da holte er die tausend Dinare für ihn hervor, worauf er mit ihnen zu seiner Mutter ging und ihr alles erzählte, was zwischen ihm und den Maghribiten vorgefallen war; dann sagte er zu ihr: »Nimm diese tausend Dinare und verwende sie für dich und meine Brüder, ich verreise mit dem Maghribiten auf vier Monate nach dem Occident, und es wird mir viel Gutes zu teil werden; segne mich darum, meine Mutter.« Seine Mutter erwiderte ihm: »O mein Sohn, du machst mich einsam, und ich bin in Furcht für dich.« Dschûdar entgegnete jedoch: »O meine Mutter, wer in Gottes Hut steht, hat nichts Schlimmes zu besorgen, und der Maghribite ist ein braver Mann;« und nun begann er ihr den Maghribiten zu 19 rühmen, so daß sie schließlich sagte: »Gott mache dir sein Herz geneigt! Zieh mit ihm, mein Sohn, vielleicht schenkt er dir etwas.« Hierauf nahm er von seiner Mutter Abschied und ging fort.
Als er wieder bei dem Maghribiten Abd es-Samad anlangte, fragte ihn dieser: »Hast du deine Mutter um Rat gefragt?« Dschûdar erwiderte: »Ja, und sie segnete mich.« Da versetzte er: »So sitz' hinter mir auf.« Als sich nun Dschûdar hinter ihm aufs Maultier gesetzt hatte, ritten sie vom Mittag bis zur Zeit des Nachmittagsgebets, als Dschûdar hungrig wurde und, da er bei dem Maghribiten nichts zum Essen sah, zu ihm sagte: »Mein Herr Pilgersmann, vielleicht vergaßest du uns etwas zum Essen für die Reise zu besorgen?« Der Maghribite fragte: »Hast du Hunger?« Dschûdar erwiderte: »Ja.« Da stiegen er und Dschûdar von dem Rücken des Maultiers ab, und der Maghribite sagte: »Nimm den Mantelsack herunter.« Als Dschûdar es gethan hatte, fragte er ihn: »Worauf hast du Appetit, mein Bruder?« Dschûdar versetzte: »Aufs erste beste.« Der Maghribite entgegnete jedoch: »Um Gott, sag' an, worauf du Appetit hast.« Nun sagte er: »Auf Brot und Käse.« – »Armer Kerl,« versetzte der Maghribite, »Brot und Käse schicken sich nicht für dich; verlange etwas Gutes.« Dschûdar erwiderte jedoch: »In dieser Stunde ist alles gut für mich.« Da fragte ihn der Maghribite: »Hast du auf gebratene Hühnchen Appetit?« Er versetzte: »Jawohl.« – »Und vielleicht auch auf Reis und Honig?« – »Jawohl.« – »Und vielleicht möchtest du auch noch dies Gericht und das Gericht essen,« und so nannte er ihm vierundzwanzig Gerichte, bis Dschûdar bei sich sprach: »Ist der Kerl verrückt? Woher kann er mir alle diese Gerichte schaffen, die er mir da nennt, da er weder Küche noch Koch hat? Jedoch, sprich zu ihm: ›Es ist genug.‹« Alsdann sagte er zu ihm: »Das langt, du reizest mir mit allen diesen Gerichten nur den Appetit, und ich sehe nichts.« Da sprach der Maghribite: 20 »Willkommen, Dschûdar,« und steckte seine Hand in den Mantelsack, worauf er eine goldene Schüssel mit zwei heißen gebratenen Hühnchen herausholte. Dann steckte er die Hand zum zweitenmal hinein und zog eine goldene Schüssel mit gebratenem Würfelfleisch heraus, und so zog er ein Gericht nach dem andern aus dem Mantelsack hervor, bis er alle vierundzwanzig Gerichte, die er zuvor genannt hatte, ganz und vollzählig herausgeholt hatte, während Dschûdar verblüfft dastand. Alsdann sagte er zu ihm: »Iß, armer Kerl;« worauf Dschûdar versetzte: »Ach, mein Herr, du hast in diesen Mantelsack eine Küche und Köche gethan.« Da lachte der Maghribite und sagte: »Dies ist ein Wundersack, welcher einen Diener hat, der uns in jeder Stunde auf der Stelle tausend Gerichte bringen würde, falls wir sie verlangten.« Dschûdar versetzte: »Das ist ein prächtiger Mantelsack.« Alsdann aßen sie, bis sie genug hatten, und warfen das Übriggebliebene fort, worauf der Maghribite die leeren Schüsseln wieder in den Mantelsack that und dann seine Hand hineinsteckte und einen Eimer herausholte. Sie tranken nun, und als sie auch die Waschung vollzogen und das Nachmittagsgebet gesprochen hatten, steckte er den Eimer und die beiden Büchsen wieder in den Mantelsack und lud ihn aufs Maultier, worauf er sich aufsetzte und zu Dschûdar sagte: »Sitz auf, damit wir weiterziehen.« Dann fragte er: »Dschûdar, weißt du wohl, was für eine Strecke wir von Kairo bis hierher zurückgelegt haben?« Dschûdar versetzte: »Bei Gott, ich weiß es nicht.« Da sagte der Maghribite: »Wir haben den Weg eines vollen Monats zurückgelegt.« Nun fragte Dschûdar: »Und wie geschah dies?« Der Maghribite erwiderte: »Dschûdar, wisse, das Maultier unter uns ist ein Mârid von den Dschinn, das an einem Tag den Weg eines Jahres zurücklegt; und nur um deinetwillen geht es so gemächlich.« Hierauf ritten sie weiter gen Sonnenuntergang; als dann der Abend über sie hereinbrach, holte er das Abendessen aus dem Mantelsack, und ebenso am Morgen das 21 Frühstück. In dieser Weise reisten sie vier Tage lang bis Mitternacht, worauf sie abstiegen und schliefen, um dann am Morgen wieder aufzubrechen; und alles, wonach Dschûdar Verlangen trug, und das er von dem Maghribiten begehrte, holte dieser ihm aus dem Mantelsack heraus. Am fünften Tage gelangten sie nach Fâs und Miknâs, und als sie die Stadt betraten, begrüßten alle, die ihnen begegneten, den Maghribiten und küßten ihm die Hand, bis sie zu einer Thür gelangten, an welche er pochte. Da öffnete sich die Thür und heraus kam ein Mädchen, schön wie der Mond, zu der er sagte: »O Rahme, o meine Tochter, öffne uns das Oberzimmer.« Sie erwiderte: »Auf Kopf und Auge, mein Vater,« und trat wieder ins Haus, wobei sie sich hin und her wiegte, daß Dschûdar fast den Verstand verlor, und er bei sich sprach: »Das ist ganz gewiß eine Königstochter.« Als sie nun das Obergemach geöffnet hatte, nahm der Maghribite den Mantelsack vom Maultier und sagte zu ihm: »Geh fort, und Gott segne dich!« Und siehe, da spaltete sich die Erde, und das Maultier fuhr hinab, worauf sich der Boden wieder schloß, wie er zuvor gewesen war. Da rief Dschûdar: »O Schützer! Gelobt sei Gott, der uns auf seinem Rücken behütete!« Der Maghribite versetzte jedoch: »Verwundere dich nicht, Dschûdar; ich sagte dir doch, daß das Maultier ein Mârid war. Nun aber komm hinauf ins Obergemach.« Als sie dasselbe betraten, wurde Dschûdar von seiner reichen und prächtigen Ausstaffierung und von den anderen Kostbarkeiten und den Ampeln aus Edelstein und Gold und Silber, die er sah, ganz verwirrt. Der Maghribite aber befahl seiner Tochter Rahme, nachdem sie sich gesetzt hatten, ein bestimmtes Paket zu bringen, worauf sie sich erhob und das Paket holte, das sie vor ihren Vater legte. Er öffnete es und holte aus ihm ein Gewand im Werte von tausend Dinaren hervor, das er Dschûdar mit den Worten überreichte: »Zieh es an, Dschûdar, du bist willkommen.« Da zog Dschûdar es an und sah in ihm gerade wie ein 22 König des Occidents aus. Alsdann legte der Maghribit den Mantelsack vor sich, steckte seine Hand hinein und langte eine Schüssel nach der andern mit verschiedenen Gerichten hervor, bis sie vierzig Gerichte vor sich stehen hatten, worauf er zu Dschûdar sagte: »Komm heran, mein Herr, iß und halt es uns zugute, –
Sechshundertunddreizehnte Nacht.
da wir nicht wissen, was du gern essen möchtest; sag' uns aber, worauf du Appetit hast, und unverzüglich wollen wir es dir herbeischaffen.« Da versetzte Dschûdar: »Bei Gott, mein Herr Pilgersmann, ich esse alle Speisen gern und verschmähe nichts; frag mich daher nicht, sondern gieb alles her, was dir in den Sinn kommt, denn ich will weiter nichts thun als essen.«
Hierauf blieb Dschûdar zwanzig Tage lang bei ihm, und der Maghribite kleidete ihn jeden Tag in ein neues Gewand und holte ihm Essen aus dem Mantelsack hervor, ohne irgendwie Fleisch oder Brot zu kaufen und zu kochen, indem er alles, dessen sie bedurften, bis auf die verschiedenen Sorten Obst aus dem Mantelsack hervorzog. Am einundzwanzigsten Tage aber sprach er: »Dschûdar, steh auf und komm, denn heute ist der Tag gekommen, der zum Heben von Esch-Schamardals Schatz bestimmt ist.« Da erhob er sich, und beide wanderten zur Stadt hinaus, wo sie zwei Maultiere bestiegen. Dann ritten sie ohne Aufenthalt bis zum Mittag, um welche Zeit sie zu einem Fluß mit strömendem Wasser gelangten, an dem Abd es-Samad abstieg, indem er Dschûdar ebenfalls abzusteigen befahl. Nachdem Dschûdar dies gethan hatte, winkte er zwei Dienern zu und rief: »Heda!« worauf sie die beiden Maultiere nahmen, und jeder einen besondern Weg einschlug. Nach kurzer Abwesenheit kehrten beide wieder zurück, und der eine brachte ein Zelt und pflanzte es auf, während der andere mit Teppichen ankam und sie im Zelt ausbreitete und rings in ihm Kissen und Polster hinlegte. Hierauf ging einer der beiden wieder fort und brachte 23 die beiden Büchsen mit den Fischen, während der andere den Mantelsack holte. Nun erhob sich der Maghribite und rief: »Komm her, Dschûdar.« Da ging Dschûdar zu ihm und setzte sich an seine Seite, worauf der Maghribite aus dem Mantelsack Teller mit Gerichten hervorzog. Nachdem sie ihr Mittagsmahl eingenommen hatten, nahm er die beiden Büchsen und sprach Zauberformeln über dieselben, als aus ihrem Innern Stimmen die Worte sprachen: »Zu Diensten, o Zauberer der Welt! Sei gnädig gegen uns!« und um Hilfe schrieen. Er aber besprach die Büchsen immer weiter, bis die Büchsen zersprangen und in Stücke auseinanderflogen, worauf zwei gefesselte Männer zum Vorschein kamen und riefen: »Gnade, o Zauberer der Welt! Was sollen wir für dich thun?« Er versetzte: »Ich will euch beide verbrennen, wenn ihr mir nicht schwört Esch-Schamardals Schatz zu erschließen.« Da erwiderten sie: »Wir schwören es dir und wollen dir den Schatz erschließen, jedoch nur unter der Bedingung, daß du uns den Fischer Dschûdar beschaffst, denn der Schatz kann nur durch ihn gehoben werden, und niemand anders als Dschûdar, der Sohn des Omar, vermag zu ihm zu gelangen.« Der Maghribite entgegnete ihnen: »Den, von dem ihr sprecht, habe ich schon hergebracht; hier ist er, er hört euch und sieht euch.« Nachdem sie ihm geschworen hatten, ihm den Schatz zu erschließen, ließ er sie los und holte ein Rohr und Tafeln aus rotem Karneol hervor, die er auf das Rohr legte. Dann nahm er ein Kohlenbecken, legte Kohlen hinein und blies sie einmal an, worauf sie sich sofort entzündeten. Hierauf holte er den Weihrauch hervor und sagte: »Dschûdar, ich werde jetzt die Beschwörungsformeln zu sprechen beginnen und den Weihrauch aufs Feuer werfen; da ich aber, wenn ich damit begonnen habe, nicht mehr reden darf, um nicht die Beschwörung zu vereiteln, so möchte ich dich jetzt lehren, was du zu thun hast, um dein Ziel zu erreichen.« Dschûdar versetzte: »Lehre es mich.« Da sagte er: »Wisse, wenn ich die Beschwörungen gesprochen und 24 den Weihrauch aufs Feuer geworfen habe, wird das Wasser im Fluß austrocknen, und du wirst dann ein goldenes Thor in der Größe eines Stadtthors mit zwei metallenen Ringen gewahren. Steig zum Thor hinunter, poch leise an dasselbe und warte eine Weile; poch dann stärker als das erste Mal und warte wieder eine Weile; hierauf poch mit drei unmittelbar aufeinander folgenden Schlägen an, du wirst dann eine Stimme sprechen hören: »Wer pocht an das Thor der Schätze, der Mysterien nicht zu lösen versteht?« Antworte: »Ich bin der Fischer Dschûdar, der Sohn des Omar.« Dann wird dir das Thor aufgethan werden, und es wird ein Individuum mit einem Schwert in der Hand herauskommen und zu dir sagen: »So du jener Mann bist, so halte deinen Hals her, daß ich dir den Kopf abschlagen kann.« Halt' ihm nur den Hals hin und fürchte dich nicht, denn wenn die Gestalt mit der Hand zum Streich ausholt, wird sie vor dir hinfallen und nach kurzer Zeit ein lebloses Wesen sein, ohne daß der Streich dich irgendwie geschmerzt oder dir irgend ein Leid zugefügt hätte. Widersprichst du ihm jedoch, so tötet er dich. Hast du nun seinen Zauber durch Gehorsam gebrochen, so tritt durchs Thor ein und geh weiter, bis du ein zweites Thor siehst. Hast du an dasselbe gepocht, so wird ein Ritter hoch zu Roß zu dir herauskommen, mit einer Lanze auf seiner Schulter, und wird dich fragen: »Was hat dich an diesen Ort geführt, den bisher kein Mensch und kein Dschinnī betrat?« Zugleich wird er die Lanze wider dich schütteln, und du öffnest ihm deine Brust; sobald er nach dir stößt, wird er niederstürzen und du wirst ihn als Körper ohne Seele daliegen sehen. Widersprichst du ihm aber, so tötet er dich. Hierauf schreite zum dritten Thor, aus dem dir ein Mensch mit einem Bogen und Pfeilen in der Hand entgegentreten und nach dir zielen wird. Öffne ihm deine Brust, denn sobald er nach dir geschossen hat, wird er entseelt vor dir niederstürzen; widersprichst du ihm aber, so tötet er dich. Alsdann tritt durchs vierte Thor, – 25
Sechshundertundvierzehnte Nacht.
und poch daran; es wird dir aufgethan werden, und ein riesiger Löwe wird herausstürzen und mit aufgesperrtem Rachen über dich herfallen, als wollte er dich fressen. Fürchte dich jedoch nicht vor ihm, sondern gieb ihm deine Hand, wenn er dich erreicht hat; in demselben Augenblick, in welchem er nach deiner Hand schnappt, wird er niederstürzen, und dir wird nicht das geringste geschehen. Dann tritt ins fünfte Thor, aus welchem dir ein schwarzer Sklave entgegentreten und dich fragen wird: »Wer bist du?« Antworte ihm: »Ich bin Dschûdar.« Sagt er dann zu dir: »Wenn du jener Mann bist, so öffne das sechste Thor,« so tritt an das sechste Thor heran und sprich: »O Jesus, sag Moses, er soll das Thor öffnen.« Das Thor wird sich dann aufthun, und wenn du nun eintrittst, wirst du zwei Drachen gewahren, den einen zur Linken und den andern zur Rechten, die sich alle beide sofort mit aufgesperrtem Rachen auf dich stürzen werden. Halte ihnen deine beiden Hände hin, daß sie hineinbeißen, denn nur wenn du dich wehren würdest, würden sie dich töten. Schreite dann zum siebenten Thor und poch daran; es wird dann deine Mutter zu dir herauskommen und zu dir sprechen: »Willkommen, mein Sohn, tritt herzu, daß ich dich begrüße.« Du aber sprich zu ihr: »Bleib fern von mir und zieh deine Kleider aus.« Sie wird dann zu dir sprechen: »O mein Sohn, ich bin deine Mutter und habe dich gesäugt und erzogen.« Du aber sprich zu ihr: »Wenn du nicht deine Kleider ausziehst, schlag ich dich tot.« Schau dann nach deiner rechten Seite, wo du ein Schwert an der Mauer hängen sehen wirst, nimm es, zück' es wider sie und sprich: »Zieh dich aus.« Wird sie dich dann durch demütiges Bitten und Schmeicheln überlisten wollen, so laß dich nicht rühren und sprich jedesmal, wenn sie ein Kleidungsstück ablegt: »Zieh das andere auch aus,« und bedrohe sie dabei unablässig mit dem Tod, bis sie alle ihre Sachen ausgezogen hat und niederstürzt; dann sind alle 26 die Mysterien gelöst und die Zauber gebrochen, und du wirst deines Lebens sicher sein. Tritt dann in die Schatzkammer ein, in welcher du Gold in Haufen liegen sehen wirst, kümmere dich jedoch gar nicht daran, sondern geh auf einen Vorhang am gegenüberliegenden Ende der Schatzkammer [zu], der ein Gemach verhüllt, und heb ihn auf; du wirst dann hinter ihm den Zauberer Esch-Schamardal auf einem goldenen Ruhebett liegen sehen, und auf seinem Haupt etwas Rundes, das wie der Mond schimmert, gewahren; dieses ist die Himmelsscheibe. Er hat ein Schwert umgehängt, an seinem Finger ist ein Siegelring und um seinen Hals trägt er eine Kette, an der das Collyriumbüchschen hängt. Bring mir die vier Kleinode, hüte dich jedoch etwas von dem, was ich dir gesagt habe, zu vergessen oder ihm zuwider zu handeln, sonst müßtest du es bereuen und hättest für dich zu fürchten.« Hierauf wiederholte er ihm alle die Vorschriften noch einmal und zum dritten- und viertenmal, bis er sagte: »Ich hab' es behalten; wer aber kann all den Zaubern, die du genannt hast, die Stirn bieten und alle diese gewaltigen Schrecken ertragen?« Der Maghribite versetzte: »O Dschûdar, fürchte dich nicht; alles das sind ja nur wesenlose Phantome;« und machte ihm so lange Mut, bis Dschûdar sprach: »Ich vertraue auf Gott.« Alsdann warf der Maghribite Abd es-Samad den Weihrauch aufs Feuer und sprach eine Weile seine Beschwörungen, bis das Wasser schwand und mit dem Boden des Flusses auch das Thor zum Schatz sichtbar wurde. Da stieg Dschûdar zum Thor hinunter und pochte daran, worauf eine Stimme fragte: »Wer pocht an das Thor der Schätze, der Mysterien nicht zu lösen versteht?« Dschûdar erwiderte: »Ich bin's, Dschûdar, der Sohn des Omar.« Da that sich das Thor auf, und eine Gestalt trat, das Schwert zückend, heraus und sagte zu ihm: »Halte deinen Hals her.« Da hielt er ihr den Hals hin, und die Gestalt versetzte ihm einen Streich und stürzte hin. Ebenso vernichtete er den zweiten Zauber und die folgenden, bis er 27 zum siebenten Thor gelangte, aus dem ihm seine Mutter mit den Worten entgegentrat: »Viele Grüße, mein Sohn.« Dschûdar entgegnete jedoch: »Was bist du?« Sie erwiderte: »Ich bin deine Mutter, habe dich gesäugt und großgezogen und neun Monate getragen, mein Sohn.« Da versetzte Dschûdar: »Zieh deine Kleider aus.« Sie erwiderte: »Du bist mein Sohn, wie verlangst du da, daß ich mich entblöße?« Er antwortete jedoch: »Wenn du nicht deine Kleider ausziehst, so schlage ich dir mit diesem Schwert dein Haupt ab,« wobei er seine Hand nach dem Schwert ausstreckte und es wider sie zückte und von neuem rief: »Wenn du dich nicht auskleidest, so schlag ich dich tot.« Sie stritten nun lange hin und her, bis er ihr stärker drohte, worauf sie ein Stück auszog; alsdann sagte er: »Zieh die andern Sachen auch aus,« und bedrängte sie so lange, bis sie ein zweites Stück ablegte, worauf er sie von neuem bedrängte, während sie dabei klagte: »Ach, mein Sohn, meine Erziehung ist an dir fruchtlos gewesen,« bis sie schließlich nichts mehr als ihre Hosen anhatte und jammerte: »Ach, mein Sohn, ist dein Herz von Stein? Willst du mich denn durch Entblößung meiner Scham beschimpfen, mein Sohn? Ist dies nicht verwehrt?« Da sagte er: »Du hast recht, behalte deine Hosen an.« Kaum aber hatte er dies gesprochen, da schrie sie: »Er hat gefehlt, schlagt ihn!« worauf die Schläge wie Regentropfen auf ihn niederfielen und die Diener des Schatzes ihm ein Futter Prügel verabfolgten, das er sein Lebenlang nicht mehr vergaß. Dann trieben sie ihn fort und warfen ihn hinaus, worauf sich die Thore wieder verschlossen, und kaum hatte ihn der Maghribite zu sich genommen, da kehrte auch schon das Wasser wie zuvor wieder in den Fluß zurück.
Sechshundertundfünfzehnte Nacht.
Nun sprach der Maghribite Abd es-Samad so lange über Dschûdar Beschwörungen, bis er wie ein Betrunkener, der wieder nüchtern wird, zur Besinnung kam, worauf er ihn 28 fragte: »Was hast du gethan, Elender?« Dschûdar versetzte: »Alle Zauber, die mir in den Weg traten, vernichtete ich, bis ich zu meiner Mutter kam, mit der ich einen langen Streit hatte; und, mein Bruder, schon hatte sie ein Stück nach dem andern von ihren Sachen ausgezogen und hatte nichts weiter als ihre Hosen an, als sie zu mir sagte: »Beschimpfe mich nicht, denn das Entblößen der Scham ist verwehrt.« Da ließ ich ihr aus Mitleid die Hosen, sie aber schrie mit einem Male: »Er hat gefehlt; prügelt ihn!« und da prügelten sie mich, und die Leute kamen von wer weiß woher und gaben mir ein Futter Prügel, daß ich beinahe daran gestorben wäre; dann stießen sie mich hinaus, und ich weiß nicht, was hernach mit mir geschah.« Der Maghribite erwiderte ihm: »Sagte ich dir nicht, du solltest mir gehorchen? Nun hast du mir und dir geschadet; hätte sie ihre Hosen ausgezogen, so hätten wir unsern Wunsch erreicht, nun aber mußt du noch bis heute übers Jahr bei mir bleiben.« Hierauf rief er die beiden Sklaven, welche das Zelt abbrachen und aufluden, worauf sie weggingen, um nach kurzer Zeit mit den beiden Maultieren zurückzukehren. Alsdann bestiegen sie die Maultiere und kehrten nach der Stadt Fâs zurück, wo Dschûdar bei dem Maghribiten blieb und gut aß und trank und jeden Tag ein prächtiges Gewand anzog, bis das Jahr abgelaufen war und jener Tag kam. Da sagte der Maghribite: »Komm jetzt, heute ist der festgesetzte Tag.« Dschûdar erwiderte: »Schön.« Alsdann nahm er ihn und führte ihn zur Stadt hinaus, wo sie die beiden Sklaven mit den Maultieren wieder erblickten. Nachdem sie dieselben bestiegen hatten, ritten sie, bis sie zu dem Fluß gelangten, wo die beiden Sklaven das Zelt errichteten und es mit Teppichen und Kissen ausstatteten. Dann holte der Maghribite das Frühstück heraus, und als sie gegessen hatten, langte er wie zuvor die Rute und die Tafeln hervor, zündete das Feuer an und machte den Weihrauch zurecht. Hierauf sagte er zu Dschûdar: »Ich will dir jetzt von neuem die Vorschriften 29 einschärfen.« Dschûdar versetzte jedoch: »Mein Herr Pilgersmann, wenn ich mein Futter Prügel vergessen hätte, dann hätte ich auch die Vorschriften vergessen.« Der Maghribite versetzte: »Hast du sie auch wirklich behalten?« Dschûdar entgegnete: »Jawohl.« Da sagte der Maghribite: »So sei auf der Hut und denke nicht, daß das Weib deine Mutter ist; es ist nur ein Zaubertrug in Gestalt deiner Mutter, um dich irre zu führen. Bist du das erste Mal auch noch mit dem Leben davongekommen, so werden sie dich doch diesmal, falls du einen Verstoß begehst, totschlagen.« Dschûdar versetzte: »Wenn ich dieses Mal einen Verstoß begehe, so verdiene ich von ihnen verbrannt zu werden.«
Alsdann warf der Maghribite den Weihrauch ins Feuer und sprach die Beschwörungen, worauf der Fluß versiegte; Dschûdar aber trat an das Thor und pochte daran. Es sprang auf, und nun vernichtete er einen Zauber nach dem andern, bis daß er zu seiner Mutter gelangte, die ihm entgegenrief: »Willkommen, mein Sohn.« Er versetzte ihr jedoch: »Woher bin ich dein Sohn, Verruchte? Zieh dich aus.« Nun suchte sie ihn wieder mit List zu fangen und zog ein Stück nach dem andern aus, bis sie nichts mehr als die Hosen anhatte; Dschûdar schrie jedoch: »Zieh dich aus, Verruchte.« Da zog sie auch die Hosen aus und ward ein lebloses Wesen. Hierauf trat er durchs Thor in die Schatzkammer ein und sah das Gold in Haufen umherliegen, doch kehrte er sich an nichts, sondern schritt in das Gemach, in dem er den Zauberer Esch-Schamardal liegen sah, mit umgehängtem Schwert, den Siegelring am Finger, das Collyriumbüchschen auf seiner Brust und die Himmelsscheibe auf seinem Haupt. Da trat er an ihn heran, löste das Schwert, nahm den Siegelring, die Himmelsscheibe und das Collyriumbüchschen und schritt wieder hinaus, als ihn mit einem Male Musik begrüßte, und die Diener riefen: »Mag dir das, was dir gegeben wurde, Glück bringen, Dschûdar!« Und die Musik hörte nicht eher auf zu spielen 30 als bis er den Schatzraum verlassen hatte und wieder zum Maghribiten kam, worauf derselbe die Beschwörungen und das Räuchern einstellte und, sich erhebend, Dschûdar umarmte und begrüßte. Dann überreichte ihm Dschûdar die vier Kleinode und er nahm sie und rief die beiden Diener, worauf dieselben das Zelt abbrachen und fortschafften, um dann mit den beiden Maultieren zurückzukehren. Alsdann setzten sie sich auf und kehrten wieder zur Stadt Fâs zurück, wo der Maghribite den Mantelsack hervorholte und eine Schüssel nach der andern mit Gerichten hervorlangte, bis ein voller Tisch vor ihm stand, worauf er zu Dschûdar sagte: »Mein Bruder Dschûdar, iß.« Da aß er, bis er genug hatte, worauf der Maghribite den Rest der Speisen in andere Schüsseln that und die leeren Schüsseln wieder in den Mantelsack steckte. Alsdann sagte er zu Dschûdar: »Dschûdar, du hast dein Land und deine Heimat um unsertwillen verlassen und unser Anliegen erfüllt, weshalb dir ein Wunsch freisteht. Wünsche dir also, was du willst, denn siehe, Gott, der Erhabene, giebt es dir, und wir sind das Mittel. Bitte demnach, was du wünschest, und sei unverzagt, denn du verdienst es.« Da sagte Dschûdar: »Mein Herr, ich erbitte mir von Gott und dann von dir, daß du mir diesen Mantelsack schenkst.« Der Maghribite holte ihn und sprach: »Nimm ihn, denn du hast ein Anrecht auf ihn; hättest du mich aber um etwas anderes gebeten, ich hätte es dir sicherlich auch gegeben. Jedoch, armer Kerl, dieser Mantelsack nützt dir zu weiter nichts als zur Beschaffung vom Essen, wo du dich doch mit uns abmüdetest, und wir dir versprachen dich fröhlichen Herzens heimzusenden. Aus diesem Mantelsack sollst du essen, wir wollen dir aber noch einen andern voll von Gold und Edelsteinen dazu geben und dich heimsenden, daß du in deinem Lande ein Kaufmann werden und dich und deine Familie kleiden kannst und nicht in Not um Geld bist. Iß du und deine Familie aus diesem Mantelsack, und das Verfahren hierbei geschieht so, daß du, wenn du deine Hand hineinsteckst, 31 sprichst: »Bei den großen Namen, denen du zu gehorchen hast, o Diener dieses Sackes, bringe mir das und das Gericht.« Er wird dir dann das Verlangte bringen, sei es auch, daß du täglich tausend Gerichte verlangtest.« Hierauf ließ er einen Sklaven mit einem Maultier kommen und füllte ihm einen Mantelsack auf der einen Seite mit Gold und auf der andern mir Juwelen und Edelsteinen, worauf er zu ihm sagte: »Besteig dieses Maultier, der Sklave wird dir voranschreiten und dir den Weg zeigen, bis du vor deiner Hausthür hältst. Bist du dort eingetroffen, so nimm die beiden Mantelsäcke und übergieb ihm das Maultier, daß er es zurückbringt. Teile aber niemand dein Geheimnis mit, und so empfehlen wir dich Gott.« Dschûdar erwiderte: »Gott lohne es dir reichlich mit Gutem!« Nachdem er dann die beiden Mantelsäcke auf das Maultier geladen hatte, saß er auf, und der Sklave schritt ihm voran, während das Maultier ihm den Tag über und die ganze Nacht folgte, bis er am zweiten Tage durch das Siegesthor in Kairo einzog, wo er seine Mutter sitzen sah und hörte, wie sie sprach: »Etwas um Gottes willen.« Da flog ihm der Verstand fort und, vom Rücken des Maultiers abspringend, warf er sich auf sie. Bei seinem Anblick weinte sie, er aber setzte sie auf das Maultier und schritt zu Fuß neben ihrem Steigbügel, bis er sie nach Hause gebracht hatte. Dann hob er sie herunter und überließ, nachdem er die beiden Mantelsäcke abgeladen hatte, das Maultier dem Sklaven, worauf der Sklave es nahm und zu seinem Herrn zurückkehrte, da nämlich der Sklave sowohl wie das Maultier Satane waren.
Wie nun Dschûdar das Haus betreten hatte, fragte er seine Mutter, da es ihn hart ankam, daß sie betteln mußte: »Meine Mutter, sind meine Brüder wohl?« Sie erwiderte: »Ja, sie sind wohl.« Nun fragte er sie: »Weshalb bettelst du denn auf der Straße?« Sie entgegnete: »Mein Sohn, aus Hunger.« Da sagte er: »Ich gab dir doch vor meiner Abreise zuerst hundert Dinare, am folgenden Tage wieder 32 hundert und am Tag meiner Abreise tausend Dinare?« Seine Mutter erwiderte: »Ach, mein Sohn, sie nahmen mir unter falschen Vorspiegelungen das Geld fort, indem sie sagten: ›Wir wollen damit Handelsartikel kaufen.‹ Nachdem sie mir aber das Geld genommen hatten, jagten sie mich fort, so daß ich vor Hunger auf der Straße betteln mußte.« Da sagte Dschûdar: »Meine Mutter, nun ich gekommen bin, soll dir nichts Schlimmes mehr widerfahren; gräme dich nicht weiter, denn dieser Mantelsack ist voll von Gold und Edelsteinen, und ich bin reich gesegnet.« Seine Mutter entgegnete ihm: »Mein Sohn, du hast Glück; Gott sei dir auch fernerhin gnädig und beglücke dich noch mehr in seiner Güte! Jetzt aber komm, mein Sohn, und schaff uns etwas zum Essen, denn ich ging ohne Abendessen zu Bett und verbrachte die ganze Nacht von Hunger gequält.« Da lachte Dschûdar und sagte: »Willkommen, meine Mutter, sag nur, was du essen willst, ich will es dir sofort beschaffen, ohne daß ich es vom Bazar kaufen müßte oder daß ich eines Kochs bedürfte.« Seine Mutter versetzte: »Mein Sohn, ich sehe doch nichts bei dir.« Er erwiderte: »Ich habe allerlei Gerichte in diesem Mantelsack bei mir.« Da sagte seine Mutter: »Mein Kind, alles, was du hast, stopft den Magen.« Er erwiderte: »Du hast recht; wenn nichts da ist, begnügt man sich mit dem geringsten; steht einem jedoch die Wahl frei, so will man etwas Gutes essen; nun aber habe ich alles, sag daher, was du essen möchtest.« Nun sagte seine Mutter: »Mein Kind, etwas warmes Brot und ein Stück Käse.« Dschûdar erwiderte jedoch: »Meine Mutter, das paßt nicht für deinen Stand.« Da versetzte sie: »Da du meinen Stand kennst, so gieb mir, was meinem Stand angemessen ist.« Nun sagte Dschûdar: »Meine Mutter, für deinen Stand schickt sich allein Bratenfleisch, gebratene Hühnchen und Reis mit Pfeffer; ferner Würste, gefüllten Kürbis, gefülltes Lamm, gefüllte Rippchen, Kanâfenpastete mit zerbrochenen Mandeln, Bienenhonig und Zucker, Nußkonfekt und Mandelkuchen.« Da 33 glaubte seine Mutter, er hielte sie zum Besten und mache sich lustig über sie und sagte deshalb zu ihm: »Ach! ach! was ist mit dir vorgefallen? Träumst du oder bist du verrückt geworden?« Er erwiderte: »Woraus schließest du, daß ich verrückt bin?« Sie versetzte: »Weil du mir lauter Leckereien nennst; wer könnte sie denn bezahlen oder verstünde es, sie zu kochen?« Dschûdar entgegnete: »Bei meinem Leben, ich will dir noch in dieser Stunde alle Gerichte, die ich dir genannt habe, vorsetzen.« Sie erwiderte: »Aber ich sehe doch nichts bei dir.« Er versetzte: »Gieb mir den Mantelsack.« Da holte sie ihm den Mantelsack und befühlte ihn, doch fand sie, daß er leer war; indessen legte sie ihn vor ihn, und Dschûdar steckte nun seine Hand hinein und holte eine volle Schüssel nach der andern heraus, bis er alle Gerichte, die er ihr genannt hatte, hingestellt hatte. Da sagte seine Mutter zu ihm: »Ach, mein Kind, der Mantelsack ist doch nur klein, und er war auch leer, und nichts war darin, und nun hast du alles dies aus ihm herausgeholt. Wo waren nur diese Schüsseln?« Dschûdar erwiderte: »Wisse, meine Mutter, diesen Mantelsack schenkte mir der Maghribite; es ist ein Wundersack, der einen Diener hat, und wenn man etwas verlangt und darüber den Zauber spricht und sagt: O Diener dieses Mantelsacks, bring mir das und das Gericht, – so bringt er es.« Da sagte seine Mutter: »Darf ich auch einmal meine Hand hineinstecken und etwas verlangen?« Er erwiderte: »Steck nur deine Hand hinein.« Da steckte sie ihre Hand hinein und sagte: »Bei den Namen, denen du zu gehorchen hast, o Diener dieses Mantelsacks, bringe mir gefüllte Rippchen;« und sofort fand sie eine Schüssel im Mantelsack und streckte ihre Hand nach ihr aus; und als sie dieselbe herausgezogen hatte, fand sie köstliche gefüllte Rippchen darin. Alsdann verlangte sie Brot und alle Speisen, nach denen sie Verlangen trug, worauf Dschûdar zu ihr sagte: »Mutter, wenn du mit Essen fertig bist, so thue den Rest der Speisen in andere Schüsseln 34 und stecke die leeren Schüsseln wieder in den Mantelsack, denn dies erfordert der Zauber; und verwahre den Mantelsack gut.« Da nahm sie den Mantelsack, und als sie ihn fortgetragen und verwahrt hatte, sagte er zu ihr: »Mutter, höre das Geheimnis und behalt es bei dir; und so oft du etwas nötig hast, hole es aus dem Mantelsack heraus, gieb Almosen und speise meine Brüder, sei es in meiner An- oder Abwesenheit.« Hierauf machte er sich mir ihr über die Speisen her, als mit einem Male seine Brüder eintraten, denen einer aus seinem Viertel die Nachricht gebracht hatte, daß ihr Bruder auf einem Maultier reitend eingetroffen wäre, mit einem Sklaven ihm voran und in einem Aufzug, wie er seinesgleichen nicht fände. Da hatten sie zu einander gesprochen: »Ach, hätten wir unsere Mutter doch nicht betrübt, sie wird ihm ganz gewiß sagen, wie wir sie behandelt haben. Ach, wie beschimpft wir nun vor ihm dastehen!« Dann aber hatte der eine von ihnen gemeint: »Unsere Mutter hat ein gutes Herz, und wenn sie es ihm auch sagt, so ist unser Bruder doch noch gutherziger als sie. Wenn wir ihn um Entschuldigung bitten, so wird er unsere Entschuldigung annehmen.« Darauf waren sie zu ihm eingetreten, Dschûdar aber erhob sich vor ihnen auf die Füße, begrüßte sie so herzlich, wie es nur möglich war, und sagte zu ihnen: »Setzt euch und esset.« Da setzten sie sich und aßen, bis sie sich gesättigt hatten, denn sie waren ganz schwach vor Hunger gewesen. Hierauf sagte Dschûdar zu ihnen: »Meine Brüder, nehmt den Rest der Speisen und verteilt ihn unter die Armen und Bettler.« Sie entgegneten: »Ach, Bruder, laß es uns doch zum Abendessen.« Er erwiderte jedoch: »Zum Abendessen werdet ihr mehr als dies bekommen.« Da trugen sie den Rest der Speisen hinaus und sagten zu jedem Bettler, der an ihnen vorüberkam: »Nimm dies und iß,« bis sie nichts mehr übrig behalten hatten, worauf sie die Schüsseln zurückbrachten und Dschûdar zu seiner Mutter sagte: »Steck sie in den Mantelsack.« 35
Sechshundertundsechzehnte Nacht.
Am Abend begab sich Dschûdar in den Saal und holte aus dem Mantelsack einen Tisch von vierzig Gerichten vor; dann ging er wieder nach oben und sagte zu seiner Mutter, nachdem er sich zwischen seine Brüder gesetzt hatte: »Bring das Abendessen.« Wie sie nun in den Saal ging und dort die vollen Schüsseln stehen sah, brachte sie den Tisch und trug die Schüsseln hintereinander auf, bis alle vierzig Schüsseln vollzählig dastanden. Darauf aßen sie, und nach der Mahlzeit sagte Dschûdar: »Nehmt den Rest und speiset die Bettler und Armen damit.« Da nahmen sie den Rest und verteilten ihn. Hierauf holte er ihnen Süßigkeiten hervor, und als sie von denselben gegessen hatten, sagte er: »Nehmt den Rest und gebt ihn den Nachbarn zu essen.« In gleicher Weise nahmen sie am nächsten Morgen das Frühstück ein, und so brachten sie zehn Tage zu, worauf Sâlim zu Selîm sprach: »Wie kommt dies nur? Unser Bruder setzt uns des Morgens, Mittags und Abends ein Gastmahl vor und spät in der Nacht Konfekt und verteilt alles, was übrigbleibt, an die Armen, wie es sonst nur Sultane thun; woher hat er nur diesen Reichtum? Wollen wir uns nicht einmal nach diesen verschiedenen Gerichten und diesem Konfekt erkundigen, von dem er das Übriggebliebene an die Armen und Bettler verteilt, ohne daß wir sehen, daß er etwas kauft oder daß er ein Feuer anzündet oder überhaupt eine Küche und einen Koch hat?« Sein Bruder erwiderte ihm: »Bei Gott, ich weiß es nicht, doch, weißt du niemand, der uns sagen könnte, wie es sich in Wahrheit damit verhält?« Der andere entgegnete: »Unsere Mutter kann es uns allein sagen.« Da schmiedeten sie sich einen Plan und begaben sich während ihres Bruders Abwesenheit zu ihrer Mutter, zu der sie sagten: »Ach, Mutter, wir sind hungrig.« Ihre Mutter versetzte: »Seid getrost,« und ging in den Saal, wo sie von dem Diener des Mantelsacks heiße Speisen verlangte, 36 worauf sie ihnen dieselben vorsetzte. Da sagten sie zu ihr: »Mutter, dieses Gericht ist warm, du aber hast weder gekocht noch Feuer angeblasen.« Sie erwiderte ihnen: »Die Sachen kommen aus dem Mantelsack.« Nun fragten sie: »Was für ein Mantelsack ist denn das?« Sie versetzte: »Der Mantelsack ist verzaubert, und durch den Zauber erhält man das Gewünschte.« So erzählte sie ihnen alles und sagte zu ihnen: »Bewahret das Geheimnis,« worauf sie ihr erwiderten: »Das Geheimnis ist wohl verwahrt, Mutter; jedoch, sag uns, wie man hierbei zu verfahren hat.« Da erklärte sie es ihnen, und nun steckten sie ihre Hände hinein und holten alles, wonach sie nur Verlangen trugen, heraus, ohne daß ihr Bruder etwas davon wußte. Wie sie nun aber die Eigenschaft des Mantelsacks kannten, sagte Sâlim zu Selîm: »Mein Bruder, wie lange sollen wir noch bei Dschûdar als Diener leben und seine Almosen essen? Wir wollen ihm durch List den Mantelsack fortnehmen und uns mit ihm über alle Berge machen.« Selîm fragte: »Wie sollen wir dies anstellen?« Sâlim versetzte: »Wir wollen unsern Bruder dem Kapitän vom Meer von Suez verkaufen.« – »Und wie,« fragte Selîm, »wollen wir es anstellen, daß wir ihn verkaufen?« Sâlim entgegnete: »Ich und du, wir wollen zu jenem Kapitän gehen und ihn mit zwei andern von seinen Leuten einladen. Alles, was ich dann hinsichtlich Dschûdars sage, bestätige du, und zum Ende der Nacht will ich dir schon zeigen, was ich thun werde.« Nachdem sie sich so über den Verkauf ihres Bruders geeinigt hatten, begaben sie sich in das Haus des Kapitäns vom Meer von Suez, wo Sâlim und Selîm beim Kapitän eintraten und zu ihm sagten: »Kapitän, wir sind zu dir in einer Angelegenheit gekommen, die dir Freude bereiten wird.« Der Kapitän erwiderte: »Schön.« Da sagten sie: »Wir sind zwei Brüder und haben noch einen dritten Bruder, einen Nichtsnutz, an dem nichts Gutes ist. Als unser Vater starb, hinterließ er uns eine Summe Geld, die wir untereinander teilten, und unser 37 Bruder nahm sein Erbteil und brachte es durch liederlichen Wandel durch. Als er dann zum Bettler geworden war, machte er sich über uns her und verklagte uns bei den Rechtsverdrehern, indem er behauptete, wir hätten sein und unsers Vaters Geld genommen; so mußten wir uns herumprozessieren und hatten tüchtige Kosten zu bezahlen. Nach einer Weile verklagte er uns zum zweitenmal und ruhte nicht eher, bis er uns an den Bettelstab brachte; und auch jetzt will er noch nicht von uns ablassen, so daß wir seiner gänzlich überdrüssig geworden sind und ihn dir verkaufen möchten.« Da sagte der Kapitän: »Könnt ihr ihn durch irgend eine List hierherbringen? Ich will ihn dann schnell aufs Meer schaffen.« Sie versetzten: »Wir können ihn nicht hierher bringen, jedoch sei du unser Gast und bringe zwei Mann, aber nicht mehr, mit. Wenn er schläft, so wollen wir alle fünf einander behilflich sein, wollen ihn packen und ihm einen Knebel in den Mund stopfen, und dann magst du ihn in der Nacht aus dem Hause schaffen und mit ihm thun, was du willst.« Der Kapitän erwiderte: »Ich höre und gehorche; wollt ihr ihn für vierzig Dinare verkaufen?« Sie antworteten: »Gut; komm nach dem Abend in das und das Viertel, wo du einen von uns auf dich wartend finden wirst.« Er versetzte hierauf: »Geht nun fort.« Da suchten sie Dschûdar auf und warteten eine Weile, worauf Sâlim an ihn herantrat und ihm die Hand küßte. Dschûdar fragte: »Was hast du, mein Bruder?« Er versetzte: »Wisse, ich habe einen Freund, der mich schon wiederholentlich während deiner Abwesenheit zu sich ins Haus geladen hat; ich bin ihm tausend Gefälligkeiten schuldig, und immer hat er mich gastlich aufgenommen, wie mein Bruder es weiß. Als ich ihn heute begrüßte, lud er mich wieder ein; ich antwortete ihm jedoch: »Ich kann mich nicht von meinem Bruder trennen.« Da versetzte er: »So bring ihn mit.« Ich erwiderte: »Er würde dies nicht thun, wenn ihr aber, du und deine Brüder, unsere Gäste sein wolltet,« . . . 38 seine beiden Brüder saßen nämlich bei ihm; – und so lud ich sie ein, im Glauben, sie würden es ablehnen; er aber nahm meine Einladung an und sagte: »Warte am Thor der kleinen Moschee, ich will zu dir kommen und meine Brüder ebenfalls mitbringen.« Und nun fürchte ich, sie möchten kommen, und bin in großer Verlegenheit vor dir. Möchtest du wohl mein Herz wieder froh machen und sie heute Nacht bewirten, denn dein Gut ist groß, mein Bruder. Hast du jedoch keine Lust dazu, so erlaube mir sie ins Nachbarhaus zu führen.« Da erwiderte ihm Dschûdar: »Warum wolltest du sie ins Nachbarhaus führen? Ist denn unser Haus zu eng, oder haben wir nichts ihnen zum Abend vorzusetzen? Schäme dich, daß du mich erst noch fragst! Haben wir nicht feine Speisen und Konfekt ihnen vorzusetzen, daß davon noch übrigbleibt? Wenn immer du Leute bringst, und ich nicht zu Hause sein sollte, so verlange von deiner Mutter Speisen, sie wird dir genug und mehr als du brauchst vorsetzen. Geh und hol sie; mögen sie uns Segen bringen!« Da küßte er ihm die Hand; dann ging er fort und setzte sich an die Thür der kleinen Moschee, wo er bis nach dem Abend wartete, als sie mit einem Male ankamen. Indem er sie in Empfang nahm, führte er sie ins Haus, und als Dschûdar sie erblickte, hieß er sie willkommen, forderte sie auf sich zu setzen und befreundete sich mit ihnen, ohne daß er wußte, was ihm im Verborgenen durch sie bevorstand. Hierauf verlangte er von seiner Mutter das Nachtessen, und sie machte sich daran, eine Schüssel nach der andern aus dem Mantelsack zu holen, während er ihr die Gerichte nannte, bis vierzig Gerichte vor ihnen standen. Darauf aßen sie, bis sie genug hatten und der Tisch fortgetragen wurde, wobei die Seeleute glaubten, diese Bewirtung käme von Sâlim. Als ein Drittel der Nacht verstrichen war, holte Dschûdar das Konfekt für sie hervor und Sâlim bediente sie, während Dschûdar und Selîm dasaßen, bis sie zu schlafen verlangten. Da stand Dschûdar auf und legte sich zur Ruhe, und die andern legten 39 sich gleichfalls nieder. Als er aber eingeschlafen war, standen sie wieder auf und machten sich alle über ihn her, so daß er bereits den Knebel im Munde hatte, als er erwachte. Dann fesselten sie ihm die Hände auf dem Rücken, luden ihn auf und schleppten ihn im Dunkel der Nacht aus dem Hause.
Sechshundertundsiebzehnte Nacht.
Sie ließen ihn nach Suez schaffen und ihm Fußfesseln anlegen, wo er nun schweigend arbeitete und ein volles Jahr lang Gefangenen- und Sklavenarbeit verrichten mußte.
Soviel was Dschûdar betrifft; was nun aber seine Brüder anlangt, so begaben sie sich am folgenden Morgen zu ihrer Mutter und sagten zu ihr: »Mutter, unser Bruder Dschûdar ist noch nicht wach.« Sie erwiderte: »So weckt ihn.« Da fragten sie: »Wo schläft er?« Sie versetzte: »Bei den Gästen.« Da sagten sie: »Vielleicht ging er mit den Gästen fort, als wir noch schliefen, Mutter; es scheint, daß er an der Fremde Geschmack gefunden hat und Schätze zu heben begehrt. Wir hörten ihn auch mit den Maghribiten reden, die zu ihm sagten: »Wir wollen dich mitnehmen und dir den Schatz öffnen.« Ihre Mutter fragte nun: »Ist er denn mit Maghribiten zusammengekommen?« Sie versetzten: »Waren sie denn nicht unsere Gäste?« Da meinte sie: »So ist er vielleicht mir ihnen mitgezogen, doch Gott wird ihn auf den rechten Weg leiten; er hat Glück und wird sicherlich mit großem Gut heimkehren.« Nach diesen Worten weinte sie aus Kummer über die Trennung von ihm, da aber sagten sie zu ihr: »Verruchte, liebst du Dschûdar mit all dieser Liebe? Über uns aber freust du dich weder, wenn wir da sind, noch grämst du dich, sind wir fort; sind wir nicht ebenso gut deine Kinder wie Dschûdar?« Sie versetzte: »Ihr seid meine Kinder, doch seid ihr Bösewichter, die keine Güte von mir zu beanspruchen haben. denn seit eures Vaters Todestag habe ich nichts Gutes von euch gesehen, Dschûdar aber hat mir viel Gutes erwiesen. Er hat mein Herz wieder 40 aufgerichtet und mich ehrenvoll behandelt; da geziemt es sich wohl, daß ich um ihn weine, sintemalen er mir und euch Gutes gethan hat.« Als sie diese Worte von ihr vernahmen, schmähten und prügelten sie ihre Mutter; dann suchten sie nach dem Mantelsack, bis sie über den andern stolperten, aus dessen beiden Taschen sie nun das Gold und die Edelsteine nahmen, worauf sie, nachdem sie auch den verzauberten Mantelsack gefunden hatten, zu ihrer Mutter sagten: »Das ist unsers Vaters Gut.« Als sie ihnen entgegnete: »Nein, bei Gott, es ist das Gut eures Bruders Dschûdar, das er aus dem Maghrib mitgebracht hat,« erwiderten sie ihr: »Du lügst; es ist unsers Vaters Gut, über das wir nun frei verfügen wollen.« Dann teilten sie es unter sich, doch gerieten sie in Streit über den verzauberten Mantelsack, indem Sâlim sagte: »Ich will ihn nehmen,« während Selîm dagegen erklärte: »Nein, ich will ihn nehmen.« Wie sie sich nun miteinander zankten, sagte ihre Mutter zu ihnen: »Meine Kinder, den Mantelsack, in welchem sich das Gold und die Edelsteine befanden, habt ihr untereinander geteilt, dieser Mantelsack aber kann nicht weder geteilt noch auch mit Geld aufgewogen werden, denn wenn er zerteilt wird, so wird sein Zauber vernichtet. Lasset ihn daher bei mir, ich will euch zu jeder Zeit etwas zum Essen daraus hervorholen und will mich daneben mit einem Bissen begnügen. Wolltet ihr mir dann noch etwas Kleidung geben, so geschähe es aus eurer Güte, im übrigen aber treibe jeder für sich mit den Leuten Handel. Ihr seid meine Kinder, und ich bin eure Mutter, lasset uns daher leben, wie bisher; es könnte doch auch euer Bruder heimkehren, und würdet ihr dann beschimpft vor ihm dastehen.« Sie hörten jedoch nicht auf ihre Worte, sondern zankten die ganze Nacht über, und da fügte es sich, daß sie ein KawwâsEigentlich: Bogenmacher, Bogenschütz; dann Gendarm &c. von der Wache des Königs, der in Dschûdars Nachbarhaus eingeladen war, durch das offene Fenster desselben hörte. Da schaute er zum Fenster heraus 41 und hörte nicht nur ihren ganzen Streit mit an, sondern sah auch die Verteilung. Infolge dessen begab er sich am nächsten Morgen zum damaligen König von Ägypten, dessen Namen Schems ed-Daule war, und berichtete ihm alles, was er gehört hatte. Da ließ der König Dschûdars Brüder holen und sie so lange foltern, bis sie bekannten, worauf er ihnen die beiden Mantelsäcke abnahm und sie ins Gefängnis werfen ließ; der Mutter Dschûdars aber bestimmte er ein tägliches zum Leben ausreichendes Einkommen.
So viel in Bezug auf diese; was nun aber Dschûdar anlangt, so mußte er ein ganzes Jahr in Suez arbeiten, bis er nach Verlauf desselben aufs Meer fuhr, als eines Tages ein Sturm wider sie losbrach und das Schiff an einen Berg warf, daß es zerbrach und alles, was sich darauf befand, versank. Alle ertranken, bis auf Dschûdar, der sich ans Land rettete und nun so lange wanderte, bis er auf ein Beduinenlager stieß, wo er, von den Leuten gefragt, erzählte, daß er ein Schiffer wäre und das und das erlebt hätte. Nun befand sich in dem Lager auch ein Kaufmann aus Dschidda, welcher Mitleid mit ihm empfand und zu ihm sagte: »Wenn du mir dienen willst, Ägypter, so will ich dich kleiden und dich mit nach Dschidda nehmen.« Da diente er ihm und reiste mit ihm nach Dschidda, von dem Kaufmann sehr gut behandelt. Hierauf trat sein Herr die Pilgerfahrt nach Mekka an und nahm ihn mit sich; und, als sie in Mekka angelangt waren, ging Dschûdar fort, um in dem HaramDer Tempelbezirk. die Rundprozession um die Kaaba zu vollziehen, als er hierbei mit einem Male auf seinen Freund den Maghribiten Abd es-Samad stieß, welcher ebenfalls den Rundgang unternahm.
Sechshundertundachtzehnte Nacht.
Als der Maghribite ihn erblickte, begrüßte er ihn und fragte ihn, wie es ihm erginge. Da weinte er und erzählte 42 ihm alles, worauf der Maghribite ihn mit sich in seine Wohnung nahm, ihn bewirtete, und ihn in ein Gewand kleidete, wie es seinesgleichen nicht gab. Dann sagte er zu ihm: »Das Schlimme ist nun vorüber, o Dschûdar.« Hierauf zeichnete er ihm eine geomantische Figur, aus welcher er das Schicksal seiner beiden Brüder ersah, und sagte zu ihm: »Wisse, Dschûdar, deinen Brüdern ist es so und so ergangen, und sie sind nun im Gefängnis des Königs von Ägypten eingesperrt; du aber sei mein Gast, bis du die Ceremonien der Pilgerfahrt erledigt hast; und alles wird gut gehen.« Dschûdar erwiderte: »So erlaube mir, mein Herr, daß ich zu dem Kaufmann gehe, bei dem ich lebe, und mich von ihm verabschiede, um dann wieder zu dir zurückzukehren. Da fragte der Maghribite: »Schuldest du ihm etwa Geld?« Dschûdar erwiderte: »Nein.« – »So geh zu ihm,« versetzte er, »und nimm von ihm Abschied, denn Brot verpflichtet Edelgesinnte.« Hierauf ging er fort und verabschiedete sich von dem Kaufmann, indem er zu ihm sagte: »Ich traf meinen Bruder.« Der Kaufmann versetzte: »Geh und bring ihn her, wir wollen ihm ein Gastmahl geben.« Dschûdar erwiderte jedoch: »Er bedarf dessen nicht, denn er ist ein vermögender Mann und hat viele Diener.« Da gab ihm der Kaufmann zwanzig Dinare und sagte zu ihm: »Befreie mich von der Verantwortlichkeit.«Eine übliche Redensart bei Entlassung eines Dieners, welche besagt: »Ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit dir gegenüber gethan.« Hierauf nahm Dschûdar Abschied von ihm und ging fort. Unterwegs traf er einen armen Mann und gab ihm die zwanzig Dinare. Dann kehrte er wieder bei Abd es-Samad ein und blieb bei ihm, bis sie die Ceremonien der Wallfahrt vollzogen hatten, worauf der Maghribite ihm den Ring aus Esch-Schamardals Schatz schenkte und zu ihm sagte: »Nimm diesen Ring, er wird dir zu deinem Wunsch verhelfen, da er einen Diener hat, der »hallende Donner« geheißen; bedarfst du irgend etwas von den Sachen dieser Welt, so reibe 43 den Ring, und der Diener wird erscheinen und alle deine Befehle erfüllen.« Alsdann rieb er den Ring vor ihm, worauf der Diener erschien und rief: »Hier bin ich, mein Herr; was du nur begehrst, wird dir gegeben werden. Willst du eine wüste Stadt bevölkern oder eine bevölkerte Stadt verwüsten? Oder willst du einen König erschlagen oder ein Heer zersprengen?« Der Maghribite erwiderte ihm: »Donner, dieser hier wird nun dein Herr sein, gehorche ihm.« Hierauf entließ er ihn und sagte zu Dschûdar: »Reib den Ring und befiehl dem Diener, der sofort vor dir stehen wird, was du nur begehrst; er wird dir nicht widersprechen. Und nun zieh heim in dein Land und hüte den Ring, denn mit seiner Hilfe wirst du deine Feinde überlisten; und sei nicht achtlos seines Wertes.« Dschûdar versetzte: »Mein Herr, mir deiner Erlaubnis möchte ich jetzt heimkehren.« Der Maghribit entgegnete: »So reib den Ring, und setz dich auf den Rücken des Dieners; würdest du ihm befehlen: Bring mich noch heute in meine Heimat, – so würde er dir nicht widersprechen.« Und so verabschiedete sich denn Dschûdar von Abd es-Samad und rieb den Ring, worauf der »hallende Donner« erschien und zu ihm sprach: »Hier bin ich; heisch und empfange.« Da sagte er zu ihm: »Bring mich noch heute nach Ägypten.« Der Diener erwiderte: »Es wird geschehen.« Darauf lud er ihn auf und flog mit ihm von der Mittagszeit an bis Mitternacht, worauf er ihn im Hause seiner Mutter absetzte und verschwand, während Dschûdar zu seiner Mutter eintrat. Bei seinem Anblick erhob sie sich weinend und begrüßte ihn, worauf sie ihm erzählte, wie es seinen Brüdern ergangen wäre, wie der König sie hätte schlagen lassen und ihnen den verzauberten Mantelsack und den Mantelsack mit dem Gold und den Edelsteinen fortgenommen hätte. Als Dschûdar dies von ihr vernommen hatte, betrübte er sich über seine Brüder und sagte zu seiner Mutter: »Gräme dich nicht hierüber; ich will dir zeigen, was ich vermag, und will meine Brüder sofort hierher 44 bringen.« Alsdann rieb er den Ring, worauf der Diener erschien und sprach: »Hier bin ich; heisch und empfange!« Da sagte er zu ihm: »Ich befehle dir meine Brüder aus dem Gefängnis des Königs hierherzubringen.« Der Diener fuhr in die Erde hinunter und fuhr mitten im Gefängnis wieder heraus, in dem Sâlim und Selîm in schwerer Drangsal und großem Kummer über die Gefängnispein saßen und sich den Tod wünschten, wobei der eine gerade zum andern sagte: »Bei Gott, mein Bruder, die Plage währt lange; wie lange sollen wir noch in diesem Gefängnis stecken? Der Tod würde uns Frieden bringen.« Da spaltete sich mit einem Male die Erde und der »hallende Donner« fuhr zu ihnen empor, packte beide und fuhr mit ihnen wieder in die Erde hinunter, wobei sie vor Grausen die Besinnung verloren. Als sie dann wieder zu sich kamen, fanden sie sich in ihrem Hause und sahen an der Seite ihrer Mutter ihren Bruder Dschûdar sitzen, der zu ihnen sagte: »Viele Grüße, meine Brüder, ihr habt mich erfreut.« Da schlugen sie ihr Gesicht zu Boden und weinten; er aber sagte zu ihnen: »Weinet nicht, denn Satan und Habgier haben euch hierzu gezwungen. Wie konntet ihr mich nur verkaufen? Jedoch will ich mich mit Joseph trösten, mit dem seine Brüder noch schlimmer verfuhren, als sie ihn in die Grube warfen.
Sechshundertundneunzehnte Nacht.
Nun aber bereuet vor Gott und bittet ihn um Verzeihung, auf daß er euch vergebe, denn er ist der Vergebende, der Barmherzige. Was mich anlangt, so verzeihe ich euch und heiße euch willkommen; seid daher unverzagt.« Hierauf redete er ihnen so lange freundlich zu, bis es ihnen wieder leicht ums Herz wurde, worauf er ihnen erzählte, was er alles auszustehen gehabt hatte und was ihm widerfahren war, bis er mit dem Scheich Abd es-Samad zusammentraf; ebenso erzählte er ihnen von dem Ring, und sie sagten zu ihm: »O Bruder, halte es uns nur noch dieses Mal zu gut; 45 sollten wir noch einmal wieder in unser früheres Thun verfallen, dann verfahre mit uns nach deinem Belieben.« Dschûdar erwiderte: »Seid unverzagt, erzählt mir jedoch, wie der König mit euch verfahren ist.« Da sagten sie: »Er schlug und drohte uns und nahm uns dann die beiden Mantelsäcke fort.« Da sagte Dschûdar: »Er soll es schon spüren,« und rieb den Ring, worauf der Diener vor ihm erschien. Als seine Brüder ihn erblickten, entsetzten sie sich vor ihm, da sie glaubten, daß Dschûdar ihm befehlen würde sie umzubringen, und flüchteten sich mit dem Ruf zu ihrer Mutter: »Mutter, wir begeben uns in deinen Schutz, leg für uns Fürbitte ein, o Mutter.« Sie antwortete ihnen: »Meine Kinder, fürchtet euch nicht!« Dschûdar aber sagte nun zum Diener: »Ich befehle dir, daß du mir alle Edelsteine und dergleichen Sachen aus der Schatzkammer des Königs bringst und nichts in ihr übrig lässest, vor allem aber bringe mir den verzauberten Mantelsack und den andern mit den Edelsteinen, die der König meinen Brüdern fortnahm.« Der Diener erwiderte: »Ich höre und gehorche,« und verschwand sofort. Nachdem er dann alles, was sich in der Schatzkammer befand, zusammengerafft und die beiden Mantelsäcke mit ihrem Inhalt an sich genommen hatte, kehrte er zurück und legte alles, was sich in der Schatzkammer vorgefunden hatte, vor Dschûdar nieder, wobei er sprach: »Mein Herr, es ist nichts mehr in der Schatzkammer übrig geblieben.« Hierauf befahl Dschûdar seiner Mutter den Mantelsack mir den Edelsteinen zu verwahren, während er den verzauberten Mantelsack vor sich legte und dem Diener befahl: »Baue mir noch heute Nacht ein hohes Schloß, streiche es mit goldener Farbe an, richte es aufs prächtigste ein und laß nicht den Tag anbrechen, ehe du mit allem fertig geworden bist.« Der Diener versetzte: »Es wird geschehen,« und fuhr in die Erde hinunter. Hierauf holte Dschûdar Speisen hervor, und sie aßen, waren guter Dinge und legten sich schlafen, während der Diener inzwischen seine Hilfstruppen versammelte und ihnen das 46 Schloß zu bauen befahl, worauf die einen von ihnen die Steine zurecht hauten, die andern bauten, die dritten weißten, die vierten malten und die fünften die Einrichtung besorgten; und ehe noch der Tag angebrochen war, stand der Palast fix und fertig und schmuck da. Alsdann stieg der Diener zu Dschûdar hinauf und sprach zu ihm: »Mein Herr, das Schloß ist fertig und steht in schönstem Schmuck da; willst du hinaufsteigen und es dir beschauen, so komm.« Da stieg er mit seiner Mutter und seinen Brüdern hinauf ins Schloß und alle sahen, daß das Schloß seinesgleichen nicht hatte und mit seiner Pracht die Sinne verwirrte. Dschûdar freute sich darüber, während er die Straße entlang schritt, zumal wo es ihm nichts gekostet hatte, und sagte zu seiner Mutter: »Möchtest du wohl in diesem Schloß wohnen?« Sie erwiderte: »Ich möchte es wohl, mein Sohn,« und segnete ihn. Da rieb er den Ring von neuem und sprach zu dem Diener, der sofort mir dem Ruf »Lebbeik, hier bin ich« wieder erschien: »Bringe mir vierzig hübsche weiße und vierzig schwarze Sklavinnen, vierzig Mamluken und vierzig Negersklaven.« Der Diener versetzte: »Es soll geschehen,« und verschwand mit vierzig seiner Gehilfen nach den Ländern Sind und Hind und Persien, wo sie jedes hübsche Mädchen und jeden Burschen raubten. Ferner schickte er vierzig andere aus, die ihm feine schwarze Sklavinnen und vierzig, die ihm Negersklaven holten, worauf er alle in Dschûdars Palast brachte, so daß er von ihnen ganz angefüllt wurde. Hierauf stellte er die Mädchen Dschûdar vor, dem sie gefielen, und der nun zu ihm sagte: »Bringe einer jeden eines der prächtigsten Gewänder.« – »Es ist da,« versetzte der Diener. Da sagte Dschûdar: »So bringe mir und meiner Mutter ebenfalls ein Gewand.« Da brachte er alles und kleidete die Sklavinnen an, zu denen er sagte: »Das ist eure Herrin; küsset ihr die Hand und dienet ihr ohne Widerspruch, ihr Weißen sowohl wie ihr Schwarzen.« Ebenso kleidete er die Mamluken, die Dschûdars Hand küßten, 47 und seine Brüder, und Dschûdar glich nunmehr einem Könige und seine Brüder Wesiren. Da aber sein Haus geräumig war, ließ er Sâlim mit seinen Sklavinnen auf einer Seite und Selîm mit seinen Sklavinnen auf der andern wohnen, während er selber mit seiner Mutter im neuen Schloß wohnte; und jeder von ihnen war nun in seiner Wohnung wie ein Sultan.
Soviel in Bezug auf diese; was nun aber den Schatzmeister des Königs anlangt, so begab sich derselbe in die Schatzkammer, um etwas aus ihr zu holen, doch sah er nichts in ihr, sondern fand sie, wie ein Bienenhaus, aus dem die Bienen fortgeflogen waren.Dieser Vergleich ist einem hier citierten Verse entlehnt, der jedoch nur durch ein nicht gut wiederzugebendes Wortspiel Wert hat. Da stieß er einen lauten Schrei aus und sank in Ohnmacht. Als er dann wieder zu sich kam, verließ er die Schatzkammer, ohne die Thür zuzumachen und begab sich zum König Schems ed-Daule, zu dem er sagte: »O Fürst der Gläubigen, was wir dir zu vermelden haben, ist, daß die Schatzkammer heute Nacht geleert ist.« Da fragte der König: »Was hast du mir meinen Geldern gethan, die sich in der Schatzkammer befanden?« Der Schatzmeister erwiderte: »Bei Gott, ich habe nichts mit ihnen gethan, und ich weiß nicht, wie es kommt, daß sie leer ist. Gestern Abend noch ging ich in sie und sah sie voll, und heute gehe ich hinein und finde sie leer und ratzenkahl, wiewohl die Thüren verschlossen, die Mauern nicht durchbrochen und die Riegel ganz waren, so daß kein Dieb eingedrungen sein kann.« Nun fragte ihn der König: »Sind auch die beiden Mantelsäcke fort?« Er versetzte: »Jawohl.« Da flog dem König der Verstand aus dem Kopf.
Sechshundertundzwanzigste Nacht.
Auf seine Füße springend, sagte er zum Schatzmeister: »Geh vor mir her.« Da schritt er voran und der König folgte ihm, bis sie zur Schatzkammer gelangten, doch fand 48 er nichts in ihr. Da rief der König aufgebracht: »Wer drang in meine Schatzkammer ein, ohne sich vor meiner Macht zu fürchten?« In gewaltigem Zorn ging er dann wieder hinaus und beraumte einen Diwan an, zu welchem die Truppenführer, im Glauben, daß der König auf sie erzürnt sei, erschienen. Der König aber sprach zu ihnen: »Ihr Mannen, wisset, meine Schatzkammer ist heute Nacht ausgeplündert, und ich weiß nicht, wer es gethan und sich wider mich erfrecht hat, ohne sich vor mir zu fürchten.« Da fragten sie ihn: »Wie geschah das?« Der König versetzte: »Fragt den Schatzmeister.« Als sie nun den Schatzmeister fragten, erzählte er ihnen: »Gestern Abend war die Schatzkammer noch voll, und heute trete ich hinein und finde sie leer, ohne daß die Mauern durchbohrt oder die Thür zerbrochen gewesen wäre.« Da verwunderten sich alle Truppen über seine Worte und vermochten keine Antwort zu geben, als mit einem Male der Kawwâs, welcher zuvor Sâlim und Selîm denunziert hatte, bei dem König eintrat und zu ihm sprach: »O König der Zeit, die ganze Nacht über schaute ich Bauleuten beim Bau zu, und, als der Tag anbrach, sah ich ein Schloß dastehen, wie es seinesgleichen nicht hat. Auf meine Frage antwortete man mir: Dschûdar ist gekommen und hat dieses Schloß erbaut; er hat Mamluken und Sklaven bei sich, hat viel Gut mitgebracht, hat auch seine Brüder aus dem Gefängnis befreit und thront nun in seinem Palast wie ein Sultan.« Da befahl der König: »Schaut im Gefängnis nach.« Als sie nun im Gefängnis nachgeschaut und weder Sâlim noch Selîm dort gefunden hatten, kehrten sie zum König zurück und meldeten es ihm, worauf der König sagte: »Mein Widersacher ist gefunden; wer Sâlim und Selîm aus dem Gefängnis befreit hat, der hat auch mein Geld genommen.« Da fragte der Wesir: »Mein Herr, wer ist's?« Und der König erwiderte: »Es ist ihr Bruder Dschûdar; und er hat auch die beiden Mantelsäcke genommen. Du aber, mein Wesir, sende einen Emir mit fünfzig 49 Mann zu ihm, daß sie ihn und seine Brüder ergreifen, all sein Gut versiegeln und sie hierberbringen, damit ich sie hängen lasse.« Und in mächtigem Zorn rief er: »He, schnell fort mit einem Emir, daß er sie mir herschafft und ich sie töten lasse!« Der Wesir versetzte: »Sei mild, denn Gott ist auch mild und übereilt sich nicht mit der Bestrafung seines Knechtes, wenn er sich gegen ihn empört hat; siehe, wenn er das Schloß, wie die Leute sagen, in einer Nacht erbaut hat, so kann sich niemand in der Welt mit ihm messen, und ich fürchte, es könnte dem Emir bei Dschûdar übel ergehen. Warte daher, bis ich dir einen Rat gegeben habe, wie du die Wahrheit der Sache erschaust und deinen Willen erreichst, o König der Zeit.« Da sagte der König: »Rate mir, o Wesir;« und der Wesir versetzte: »Schicke den Wesir zu ihm und lade ihn ein. Ich will mir dann für dich viel um ihn zu schaffen machen, will ihm Liebe heucheln und ihn nach seinen Verhältnissen fragen; hernach werden wir schauen. Hat er hohen Mut, so überlistest du ihn, ist er aber schwach, so packst du ihn und verfährst mit ihm nach deinem Belieben.« Der König erwiderte: »So schicke zu ihm und lade ihn ein.« Da befahl er einem Emir, der Emir Othmân geheißen, zu Dschûdar zu gehen, ihn einzuladen und zu ihm zu sagen: »Der König ladet dich zu einem Gastmahl ein;« und der König schärfte ihm ein: »Kehr nur mit ihm wieder zurück.« Nun aber war jener Emir ein aufgeblasener Dummkopf. Als er zu Dschûdars Palast gelangte, sah er dort vor dem Schloßthor einen Eunuchen auf einem Stuhl sitzen, der sich vor ihm nicht erhob und so that, als ob niemand käme, wiewohl der Emir ein Gefolge von fünfzig Mann bei sich hatte. Als er nun bei ihm angelangt war, fragte er ihn: »Sklave, wo ist dein Herr?« Er erwiderte: »Im Palast,« ohne daß er sich hierbei aufrichtete. Da fuhr ihn der Emir zornig an: »Verdammter Sklave, schämst du dich nicht mit mir zu reden und dich dabei wie ein Galgenstrick der Länge nach hinzuflegeln?« Der Eunuch versetzte 50 jedoch: »Geh fort und mach nicht so viel Worte.« Kaum hatte der Emir diese Worte vernommen, da zog er, außer sich vor Wut, die Keule und wollte dem Eunuchen damit einen Streich versetzen, ohne daß er wußte, daß es ein Satan war. Als dieser jedoch sah, daß er zur Keule griff, stürzte er sich auf ihn, riß ihm die Keule fort und versetzte ihm vier Streiche damit. Wie nun die fünfzig Mann sahen, daß ihr Herr geprügelt wurde, zogen sie, empört hierüber, die Schwerter und wollten den Sklaven niederhauen. Er aber schrie sie an: »Ihr Hunde, ihr wollt die Schwerter ziehen?« und fiel mit der Keule über sie her, einen jeden, den er traf, zermalmend und in seinem eigenen Blute ertränkend, so daß sie, von ihm mit Streichen verfolgt, flohen, bis das Schloßthor fern hinter ihnen lag. Alsdann kehrte er wieder zurück und setzte sich auf seinen Stuhl, ohne sich um irgend jemand zu kümmern.
Sechshundertundeinundzwanzigste Nacht.
Als nun der Emir Othmân mit seiner Schar fliehend und geschlagen zum König Schems ed-Daule zurückkehrte, teilten sie ihm das Vorgefallene mit, und der Emir Othmân sagte zum König: »O König der Zeit, als ich zum Schloßthor kam, sah ich in demselben einen hochmütigen Eunuchen auf einem goldenen Stuhl sitzen, der sich, als er mich ankommen sah, der Länge nach hinflegelte und mich verächtlich behandelte, ohne sich vor mir zu erheben. Liegend antwortete er mir auf meine Anrede, so daß ich ergrimmte und die Keule zog, um ihm einen Streich damit zu versetzen. Er aber riß mir die Keule fort und schlug mich und meine Leute, daß sie zu Boden stürzten, und wir vor ihm fliehen mußten, ohne ihn zu übermögen.« Da ergrimmte der König und befahl: »Es sollen hundert Mann zu ihm herabsteigen.« Die hundert Mann zogen aus, doch fiel er, als sie bei ihm anlangten, mit der Keule über sie her und schlug so lange auf sie los, bis sie vor ihm flüchteten, worauf er 51 wieder umkehrte und sich auf seinen Stuhl setzte, während die hundert Mann zum König zurückkehrten und ihm meldeten: »O König der Zeit, wir flohen aus Furcht vor ihm.« Da befahl der König, daß zweihundert Mann ausziehen sollten, aber auch diese schlug er in die Flucht, worauf der König zum Wesir sprach: »Ich befehle dir, Wesir, mit fünfhundert Mann hinabzusteigen und jenen Eunuchen eilends herzubringen, sowie auch seinen Herrn Dschûdar und dessen Brüder.« Der Wesir versetzte jedoch: »O König der Zeit, ich brauche keine Truppen sondern werde ganz allein ohne Waffen zu ihm gehen.« Da sagte der König: »Geh und thue, was du für gut hältst.« Hierauf warf der Wesir die Waffen fort, zog ein weißes Gewand an, nahm einen Rosenkranz in die Hand und machte sich dann ganz allein auf den Weg, bis er zu Dschûdars Palast gelangte. Als er den Sklaven in dem Thor sitzen sah, trat er auf ihn zu, setzte sich höflich an seine Seite und sprach: »Frieden sei auf euch!« worauf der Eunuch erwiderte: »Und auf dir sei der Frieden, o Mensch! Was wünschest du?« Als er hörte, daß er ihn »o Mensch« anredete, wußte er, daß er ein Dschinnī war und zitterte vor Furcht; doch sagte er zu ihm: »Mein Herr, ist dein Herr Dschûdar zu Hause?« Er erwiderte: »Ja, er ist im Schloß.« Da sagte er zu ihm: »Mein Herr, geh zu ihm und sprich zu ihm: Der König Schems ed-Daule ladet dich zu einem Gastmahl ein; er entbietet dir den Salâm und läßt dir sagen: Beehre meine Wohnung und sei mein Gast.« Der Eunuch versetzte: »Bleib hier stehen, bis ich ihn gefragt habe.« Da stellte sich der Wesir in höflicher Haltung hin, während der Mârid zum Schloß hinaufstieg und zu Dschûdar sagte: »Wisse, mein Herr, der König schickte einen Emir zu dir, doch schlug ich ihn und jagte die fünfzig Mann, die er bei sich hatte, in die Flucht; dann schickte er hundert und zweihundert Mann, doch vertrieb ich auch die hundert und zweihundert, bis er nun zu dir seinen Wesir ohne Waffen schickt und dich zu einem Gastmahl einladen läßt. 52 Was sagst du dazu?« Dschûdar erwiderte: »Geh und bring den Wesir hierher.« Da stieg der Mârid vom Schloß hinunter und sprach zum Wesir: »Wesir, sprich mit meinem Herrn.« Der Wesir versetzte: »Auf den Kopf;« dann stieg er hinauf und trat bei Dschûdar ein, den er majestätischer als einen König auf einem Teppich sitzen sah, wie der König selber nicht seinesgleichen besaß. Ganz verwirrt von der Schönheit des Palastes, von seinen Malereien und der Ausstattung, kam er sich im Vergleich zu Dschûdar wie ein Bettler vor und küßte die Erde vor ihm und segnete ihn. Dschûdar aber fragte ihn: »Was ist dein Begehr, Wesir?« Er antwortete ihm: »Mein Herr, dein Freund der König Schems ed-Daule entbietet dir den Salâm, er sehnt sich dein Angesicht zu schauen und hat ein Gastmahl für dich angerichtet; möchtest du deshalb wohl sein Herz aufrichten?^ Dschûdar erwiderte ihm: »Wenn er mein Freund ist, so bestelle ihm meinen Salâm und sag ihm, er soll zu mir kommen.« Da versetzte der Wesir: »Auf den Kopf.« Hierauf holte Dschûdar den Ring hervor und rieb ihn; und, als der Diener erschien, befahl er ihm: »Bringe mir eines der feinsten Gewänder;« dann sagte er zum Wesir, als er ihm das Gewand gebracht hatte: »Zieh dieses Gewand an und geh zum König, ihm meine Worte zu vermelden.« Da zog der Wesir das Gewand an, wie er seinesgleichen zuvor nicht getragen hatte, und zum König zurückkehrend, berichtete er ihm von Dschûdars Pracht, rühmte den Palast mit seiner Einrichtung und sagte: »Dschûdar ladet dich ein.« Da rief der König: »Auf, ihr Truppen!« Und als alle aufgesprungen waren, befahl er ihnen: »Setzt euch in den Sattel und führet mir mein Prachtroß vor, damit wir zu Dschûdar ziehen.« Hierauf machte sich der König mit seinen Truppen zu Dschûdars Haus auf, der inzwischen zum Mârid gesprochen hatte: »Ich wünsche, daß du uns Ifrîten in menschlicher Gestalt als Garden herbeischaffst und sie sich auf dem Schloßhof aufstellen lässest, damit der König bei ihrem 53 Anblick in Furcht und Schrecken gerät und bebenden Herzens erkennt, daß meine Macht größer ist als die seinige.« Da brachte er ihm zweihundert Ifrîten in Gestalt von Streitern, von kräftigem und starkem Körperbau und angethan mit prächtigen Waffen, so daß der König, als er ankam, beim Anblick dieser kräftigen und derben Gesellen sich vor ihnen fürchtete. Als er dann bei Dschûdar eintrat, sah er ihn in solcher Pracht dasitzen, wie kein König oder Sultan es vermochte. Er bot ihm nun den Salâm und machte ihm seine Reverenz, ohne daß sich Dschûdar vor ihm erhoben oder ihm Ehre erwiesen oder ihn zum Sitzen aufgefordert hätte, vielmehr ihn stehen ließ.
Sechshundertundzweiundzwanzigste Nacht.
Da wurde er von Furcht ergriffen und, nicht imstande sich zu setzen oder fortzugehen, sprach er bei sich: »Fürchtete er sich vor mir, so würde er mich nicht so gänzlich unbeachtet lassen; vielleicht will er mir gar für mein Thun an seinen Brüdern etwas Übles zufügen.« Endlich sagte Dschûdar zu ihm: »O König der Zeit, einem Mann wie dir geziemt es nicht den Leuten Gewalt anzuthun und ihr Gut zu nehmen.« Da versetzte der König: »Mein Herr, nimm es mir nicht übel, die Habgier verführte mich hierzu, und das Schicksal mußte sich erfüllen. Gäbe es keine Sünde, so gäbe es auch keine Vergebung.« Dann entschuldigte er sich mit vielen Worten für das Geschehene und bat ihn um Vergebung und Verzeihung, indem er unter anderm auch folgende Verse sprach:
»Du Sproß edler Ahnen und gütig von Natur,
Schilt mich nicht wegen meiner That.
Hast du mir Gewalt angethan, so vergeben wir dir,
Und du vergieb mir, habe ich dir Gewalt angethan.«
So demütigte er sich so lange vor ihm, bis Dschûdar zu ihm sagte: »Gott vergebe dir!« und ihn zum Sitzen aufforderte. Nachdem er sich gesetzt hatte, legte ihm Dschûdar die Kleider der Begnadigung an und befahl seinen Brüdern 54 den Tisch zu decken. Nach dem Essen gab er der ganzen Begleitung des Königs Ehrenkleider und zeichnete sie aus, worauf er dem König fortzugehen befahl. Da verließ der König Dschûdars Haus und besuchte ihn von nun an täglich, indem er den Diwan in seinem Palaste abhielt. So ward der Verkehr und die Freundschaft zwischen beiden immer größer, und es währte dies eine geraume Zeit, bis er eines Tages, als er mit seinem Wesir allein war, zu ihm sprach: »Wesir, ich fürchte, Dschûdar will mich töten und mir das Reich nehmen.« Der Wesir erwiderte: »O König der Zeit, vor dem Wegnehmen des Reiches sei unbesorgt, denn Dschûdars Herrlichkeit ist größer als die eines Königs, und er würde hierdurch seine Würde verringern. Befürchtest du aber von ihm umgebracht zu werden, so hast du ja eine Tochter; verheirate sie mit ihm, dann werdet ihr beide ein Leib und eine Seele sein.« Da sagte der König zu ihm: »O Wesir, sei du Vermittler zwischen uns beiden.« Der Wesir versetzte: »Lade ihn zu dir ein und verbring die Nacht mit ihm in einem Saal deines Schlosses. Deiner Tochter aber befiel, ihren prächtigsten Schmuck anzulegen und an der Thür des Saales vorüberzugehen; sobald er sie sieht, wird er sich in sie verlieben, und, wenn wir dies merken, so will ich mich zu ihm neigen, ihm sagen, daß es deine Tochter ist, und will mit ihm des langen und breiten darüber reden, ohne daß es den Anschein hat, daß du etwas davon wüßtest, bis er sich bei dir um sie bewirbt. Hast du sie ihm dann vermählt, so werdet ihr beide ein Leib und eine Seele sein, du wirst sicher vor ihm sein, und, wenn er stirbt, erbst du von ihm die Hülle und Fülle.« Der König erwiderte hierauf: »Du hast recht, o Wesir,« und richtete ein Gastmahl an, zu dem er Dschûdar einlud; und Dschûdar kam in den Serâj des Sultans, in dessen einem Saale sie in traulichstem Beisammensein bis zum Abend saßen. Nun aber hatte der König seiner Gemahlin befohlen, seiner Tochter den prächtigsten Schmuck anzulegen und sie an der Saalthür 55 vorüberzuführen; und da sie es that und Dschûdar die Prinzessin erblickte, die in Schönheit und Anmut erstrahlte und ihresgleichen nicht hatte, schaute er sie scharf an und rief: »Ach!« und seine Glieder lösten sich; denn Liebe und sehnsüchtiges Verlangen wurden übermächtig in ihm, Leidenschaft und Tollheit erfaßten ihn, und seine Farbe wurde gelb. Da sagte der Wesir zu ihm: »Nichts für ungut, mein Herr, wie kommt es, daß du mit einem Male deine Farbe wechselst und Schmerzen leidest?« Dschûdar entgegnete: »Wesir, wessen Tochter ist jenes Mädchen? Denn, fürwahr, sie hat mir Herz und Verstand geraubt.« Der Wesir antwortete: »Es ist die Tochter deines Freundes des Königs; wenn sie dir gefällt, so will ich mit dem König reden, daß er sie dir zur Frau giebt.« Dschûdar erwiderte: »Wesir, sprich mir ihm, und, bei meinem Leben, ich will dir geben, was du nur verlangst, und will dem König ebenso alles, was er als Brautgabe für sie verlangt, geben, und wollen wir beide befreundet und verschwiegert werden.« Der Wesir entgegnete: »Du sollst deinen Wunsch erreichen.« Hierauf sprach er leise zum König und sagte zu ihm: »O König der Zeit, dein Freund Dschûdar sucht Verwandtschaft mit dir und hat mich angegangen, dich für ihn um die Vermählung mit deiner Tochter, der Herrin Asije, zu bitten. So gieb mir keinen abschlägigen Bescheid und nimm meine Vermittlung an; alles, was du als Morgengabe verlangst, will er dir geben.« Da versetzte der König: »Die Brautgabe habe ich bereits empfangen, und, was das Mädchen anlangt, so ist sie seine Dienstmagd; ich vermähle sie ihm, und er ist sehr gütig, wenn er sie annimmt.«
Sechshundertunddreiundzwanzigste Nacht.
Hierauf verbrachten sie die Nacht; am nächsten Morgen aber hielt der König den Diwan ab, zu dem er Hoch und Gering berief, zugleich mit dem Scheich el-Islâm.Dieses Amt wurde erst unter Mohammed II. nach der Eroberung Konstantinopels 1453 geschaffen. Der Scheich el-Islâm ist die oberste Autorität in Rechtssachen, der Großmufti. Dann 56 bewarb sich Dschûdar um die Tochter des Königs, und der König sprach: »Die Brautgabe ist bereits gemacht,« worauf sie den Ehekontrakt schrieben, während Dschûdar den Mantelsack, in welchem sich die Edelsteine befanden, holen ließ und ihn dem König als Brautpreis für seine Tochter gab. Die Trommeln wirbelten, die Flöten bliesen, das Hochzeitsfest verlief in glänzendster Weise, und Dschûdar suchte das Mädchen heim. Alsdann war er mit dem König ein Leib und eine Seele, und geraume Zeit verlebten sie in dieser Weise miteinander, bis der König starb. Da verlangten die Truppen Dschûdar zum Sultan und drangen so lange in ihn, bis er seine Weigerung aufgab und einwilligte, worauf sie ihn zu ihrem Sultan machten. Dann ließ er über dem Grab des Königs Schems ed-Daule, das im BundukânijequartierDas Quartier, die Straße der Bogenmacher. stand, eine große Moschee bauen und bedachte sie mit einer frommen Stiftung. Dschûdars Haus befand sich im Jamânijequartier; nachdem er aber Sultan geworden war, errichtete er dort Bauten und eine große Moschee, weshalb das Quartier nach ihm das Dschûdarijequartier genannt wurde. Ferner ernannte er seine Brüder zu Wesiren, und zwar Sâlim zum Wesir der Rechten und Selîm zum Wesir der Linken. Ein Jahr jedoch nur und nicht länger hatten sie in dieser Weise gelebt, da sprach Sâlim zu Selîm: »Mein Bruder, wie lange soll dieser Zustand noch dauern? Sollen wir unser ganzes Leben lang Dschûdars Diener bleiben? So lange Dschûdar am Leben bleibt, können wir uns nicht der Herrschaft erfreuen und das Glück genießen. Wie sollen wir es also anstellen, daß wir ihn umbringen und ihm den Ring und den Mantelsack nehmen?« Selîm erwiderte: »Du bist klüger als ich, ersinne du also eine List, wie wir ihn beseitigen können.« Da sagte Sâlim: »Wenn ich dies zuwege bringe, wirst du dann damit zufrieden sein, daß ich König werde und dich zum Wesir der Rechten 57 ernenne, während ich den Ring nehme und du den Mantelsack erhältst?« Selîm erwiderte: »Ich bin's zufrieden.« Und so kamen sie überein, aus Liebe zur Welt und zur Herrschaft ihren Bruder Dschûdar zu ermorden, und sprachen zu ihm: »Bruder, wir möchten uns deiner rühmen und bitten dich unser Haus zu betreten und unser Gast zu sein, auf daß du unser Herz erfreust;« und wiederholten die Worte in ihrem Falsch. Da versetzte Dschûdar: »Das kann nichts schaden; in wessen Haus soll das Gastmahl stattfinden?« Sâlim erwiderte: »In meinem Hause; hernach magst du dann meines Bruders Gast sein.« Dschûdar versetzte: »Es ist gut,« und begab sich mit Selîm in sein Haus, wo er ihn bewirtete; doch hatte er Gift an die Speisen gethan, so daß, als er davon gegessen hatte, sein Fleisch und seine Knochen zerfielen. Dann erhob sich Sâlim, um ihm den Ring vom Finger zu ziehen; da er ihm jedoch Widerstand leistete, schnitt er den Finger mit einem Messer ab. Dann rieb er den Ring, und als nun der Mârid vor ihm erschien und zu ihm sprach: »Hier bin ich, heische, was du verlangst,« sagte er zu ihm: »Packe meinen Bruder, töte ihn und wirf dann die beiden, den Vergifteten und den Ermordeten, den Truppen vor.« Da packte er Selîm und brachte ihn um, worauf er die beiden Leichname auflud und sie draußen vor die Obersten der Truppen niederwarf, die gerade im Gastzimmer des Hauses beim Mahl saßen. Als sie Dschûdars und Selîms Leichname sahen, hoben sie die Hände von den Speisen und fragten entsetzt den Mârid: »Wer hat dies dem König und dem Wesir angethan?« Er erwiderte ihnen: »Ihr Bruder Sâlim;« und siehe, da trat auch schon Sâlim zu ihnen herein und sprach: »Ihr Truppen, esset und seid guter Dinge; ich besitze jetzt den Ring meines Bruders Dschûdar, dessen Diener der Mârid hier vor euch steht; ich befahl ihm meinen Bruder Selîm zu töten, damit er mir nicht das Reich streitig machte, da er ein Verräter war und ich mich vor seiner Verräterei fürchtete. Dschûdar ist 58 ebenfalls tot, und ich bin nun euer Sultan geworden; wollt ihr mich als solchen annehmen? Wenn nicht, so reibe ich den Ring, und der Diener derselben bringt euch alle, Groß und Klein, um!«
Sechshundertundvierundzwanzigste Nacht.
Da riefen sie: »Wir erkennen dich als König und Sultan an.« Hierauf befahl er ihnen seine Brüder zu bestatten und beraumte den Diwan an. Ein Teil des Volkes folgte dem Leichenzug, während die andern vor ihm im festlichen Zuge einherschritten. Im Diwan angelangt, setzte er sich auf den Thron und ließ sich huldigen; dann sprach er: »Ich will den Ehekontrakt zwischen mir und der Gattin meines Bruders schreiben lassen.« Als man ihm sagte, er solle warten, bis ihre gesetzlich vorgeschriebene Frist abgelaufen sei, rief er: »Ich kenne keine solche Frist oder etwas dem ähnliches; bei meines Hauptes Leben, ich muß noch heute Nacht bei ihr liegen!« Da schrieben sie den Ehekontrakt und schickten zu Dschûdars Gattin, der Tochter des Königs Schems ed-Daule, es ihr mitzuteilen, worauf sie erwiderte: »Lasset ihn eintreten.« Als er nun bei ihr eintrat, stellte sie sich freundlich zu ihm und hieß ihn willkommen, doch that sie Gift ins Wasser und brachte ihn um. Hierauf nahm sie den Ring und zerbrach ihn, damit ihn niemand mehr besäße; desgleichen zerriß sie den Mantelsack. Alsdann berichtete sie dem Scheich el-Islâm das Vorgefallene und ließ den Großen sagen: »Wählet euch einen König zum Herrscher über euch.« Dies ist alles, was wir von Dschûdars Geschichte überkommen haben. 59