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»In alten Zeiten und längst entschwundenen Tagen lebte ein Weiser, der sich aus der Welt in eine Oberzelle einer Kathedralmoschee zurückgezogen hatte und diesen Platz viele Tage lang nicht verließ, es sei denn zu einem der dringendsten Geschäfte. Da begab es sich, daß einmal ein schöner Knabe, dessen Reize unvergleichlich in seiner Zeit waren, zu ihm kam und ihn begrüßte. Der Scheich erwiderte ihm den Salâm und hieß ihm aufs beste willkommen, ihn höflich aufnehmend und an seiner Seite sitzend lassend. Dann fragte er ihn nach seinen Verhältnissen aus und, woher er käme, worauf der 55 Knabe ihm erwiderte: »O mein Herr, frag' mich nicht nach etwas oder nach meinen weltlichen Verhältnissen, denn, fürwahr, ich bin wie jemand, der vom Himmel auf die Erde gefallen ist, und meine einzige Absicht ist die Ehre dir zu dienen.« Da hieß ihn der Weise von neuem willkommen, und der Knabe diente ihm eifrig eine geraume Zeit, bis er zwölf Jahre alt geworden war. Da traf es sich eines Tages, daß der Knabe einige seiner Gefährten sagen hörte, der Sultan habe eine Tochter, die so schön wäre, daß ihre Reize die aller andern Prinzessinnen ihrer Zeit überstrahlten. So kam es, daß er sich in sie vom Hörensagen verliebte, worauf er zu seinem Meister ging und ihm davon erzählte, indem er hinzufügte: »O mein Herr, fürwahr, der König hat eine schöne und liebliche Tochter, und meine Seele verlangt sie zu schauen, wäre es auch nur mit einem einzigen Blick.« Da sprach der Scheich zu ihm: »Weshalb, mein Sohn? Was haben Leute wie wir mit Töchtern von Königen und andern zu schaffen? Wir sind ein Orden von Eremiten und enthaltsam und fürchten für unsere eigene Sicherheit vor den Königen.« Alsdann ließ der Weise nicht ab den Knaben vor den Wechselfällen der Zeit zu warnen, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen; je mehr Worte er jedoch machte, ihn zu warnen und abzuschrecken, desto entschlossener ward der Knabe seinen Wunsch zu erreichen, so daß er fortwährend stöhnte und weinte. Dies aber betrübte den guten Scheich, der ihn grenzenlos liebte; und, als er den Knaben in diesem Zustande sah, rief er: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Sein Herz besänftigte sich, und, von Erbarmen und Mitleid für den Zustand seines Schülers erfaßt, sprach er schließlich zu ihm: »O mein Sohn, verlangst du wirklich danach, nur einen einzigen Blick auf die Tochter des Sultans zu werfen?« Er versetzte: »Ja, mein Herr.« Da sagte der Weise: »So komm her zu mir.« Wie er nun zu ihm herantrat, holte der Weise einen Schminktopf hervor und that das Pulver auf eines der Augen seines Schülers, 56 worauf derselbe unverzüglich so ward, daß alle, die ihn sahen, laut riefen: »Dies ist ein halbierter MenschVgl. hierzu die Geschichte Dschânschahs, 501. Nacht..« Dann befahl ihm der Weise durch die Stadt zu gehen, und der Jüngling gehorchte seinem Befehl und ging aus. Als ihn aber die Leute erblickten, riefen sie: »Ein Wunder! Ein Wunder! Dies ist ein halber Mensch!« Und je weiter der Jüngling durch die Straßen der Stadt wanderte, desto mehr Volk folgte ihm und gaffte ihn neugierig an, das Schauspiel bewundernd; so oft aber die Großen in der Stadt von ihm vernahmen, ließen sie ihn vor sich kommen und weideten sich an seinem Anblick, indem sie riefen: »Preis sei dem Herrn! Gott schafft, was er wünscht, und befiehlt, was er will, wie wir es hier in der Schöpfung dieses halben Menschen sehen.« Ebenso sah der Jüngling unbehindert die Harems der Großen, selber schöner als irgend jemand derselben, und dies dauerte, bis die Kunde von ihm auch dem Sultan hinterbracht wurde, worauf er ihn vor sich bringen ließ und ihn betrachtete, sich über die Werke des Allmächtigen verwundernd. Der ganze Hof scharte sich zusammen, ihn voll Staunen betrachtend, und die Nachricht hiervon erreichte ebenfalls bald die Königin, worauf dieselbe einen Eunuchen entsandte, ihn zu holen und ins Serâj zu führen. Alle die Frauen staunten das Wunder an, und die Prinzessin schaute ihn ebenfalls an, wobei er sie zu sehen bekam. Da aber wuchs seine Leidenschaft, so daß er bei sich sprach: »Wenn ich sie nicht heirate, so nehme ich mir das Leben.«
Als er nun vom Harem des Sultans wieder entlassen wurde und mit vor Liebe zur Prinzessin lichterloh brennendem Herzen heimkehrte, fragte ihn der Scheich: »Mein Sohn, hast du die Prinzessin gesehen?« Er antwortete: »Ja, o mein Meister; aber dieser eine Blick genügt mir nicht, und ich finde nicht eher Ruhe als bis ich an ihrer Seite sitze und mich an ihr satt sehen kann.« Da versetzte der Weise: »O mein Kind, 57 wir sind ein asketisch Volk, das die Welt meidet, und wir haben nichts mit dem Sultan zu schaffen, daß wir uns in seine Angelegenheiten mischten; wir sind um dich besorgt, mein Sohn!« Der Jüngling entgegnete jedoch: »O mein Herr, wenn ich nicht an ihrer Seite sitzen und ihr den Nacken und die Schultern mit diesen meinen Händen streicheln kann, nehme ich mir das Leben.« Da sprach der Weise bei sich: »Ich will für diesen Jüngling thun, was in meinen Kräften steht; und vielleicht gewährt ihm Gott die Erreichung seines Wunsches.« Alsdann erhob er sich und holte den Schminktopf hervor, worauf er das Pulver über seine beiden Augen strich; sobald es aber in dieselben gekommen war, machte es ihn für die Augen der Menschen unsichtbar. Hierauf sprach er zu ihm: »Geh' nun hinaus, mein Sohn, und befriedige deinen Wunsch; kehre jedoch bald wieder zurück und bleibe nicht zu lange fort.« Der Jüngling eilte nun zum Palast und trat in ihn ein, sich nach rechts und links umsehend, ohne daß ihn jemand gewahrt hätte, worauf er bis zum Harem ging und sich hier an die Seite der Tochter des Sultans setzte. Unbemerkt von allen, streckte er nach einiger Zeit seine Hand aus und streichelte ihr sanft den Nacken; sobald sie jedoch die Berührung des Jünglings verspürte, stieß sie einen lauten Schrei aus, der von aller Ohren im Palast vernommen ward, und rief: »Ich flüchte mich zu Gott vor dem gesteinigten Satan!« Da fragten sie alle: »Was ist mit dir geschehen?« Die Prinzessin versetzte: »Fürwahr, irgend ein Satan hat mir soeben den Nacken berührt.« Als ihre Mutter dies vernahm, ward sie für ihre Tochter besorgt und schickte nach ihrer alten Duenna, die, nachdem sie vernommen hatte, was ihrer Tochter widerfahren war, sagte: »Wenn hier irgendwie Satane sind, so giebt es kein besseres Mittel sie fortzutreiben und fernzuhalten als den Rauch von Kamelsdünger.« Alsdann erhob sie sich und holte etwas Kamelsdung, der ins Feuer geworfen wurde; und sofort stieg der Gestank empor und verbreitete sich im ganzen Zimmer, 58 während der Jüngling immer noch ungesehen dasaß. Als aber der Rauch von dem Dung dichter wurde, begannen ihm die Augen zu thränen, und, je dicker der Rauch ward, desto mehr Wasser trat ihm in die Augen, daß ihm große Tropfen niederliefen und auf diese Weise all die Schminke abgewaschen ward und mit den Thränen niederrann. So wurde er mit einem Male mitten im königlichen Harem sichtbar, und, sobald ihn die Damen erblickten, stießen sie alle zu einander einen lauten Schrei aus, worauf die Eunuchen hereingestürzt kamen, die sobald sie den Jüngling dort sitzen sahen, Hand an ihn legten und ihn vor den Sultan schleppten. Als sie dem Sultan sein Verbrechen erzählt und ihm mitgeteilt hatten, wie er sich in den Serâj des Königs eingeschlichen hätte und neben der Prinzessin sitzend gepackt worden wäre, befahl der Sultan den Scharfrichter zu rufen und übergab ihm den Verbrecher mit dem Auftrag, dem Jüngling ein schwarzes mit feuerroten Flicken besetztes Gewand anzuziehen, ihn so auf ein Kamel zu setzen und ihn nach der Paradierung durch Kairo und alle Straßen der Stadt hinzurichten. Infolgedessen nahm der Scharfrichter den Jüngling und verließ mit ihm den Palast; als er ihn jedoch betrachtete und ihn von hübschem Gesicht und schöner Gestalt fand, ohnegleichen an Anmut, und auch bemerkte, daß er weder Furcht noch Schauder vor dem Tod empfand, verspürte er Mitleid mit ihm, und sein Herz neigte sich ihm zu, indem er bei sich sprach: »Bei Gott, an diesem Jüngling hängt eine wunderbare Geschichte!« Alsdann holte er ein ledernes Gewand, das er ihm anlegte, und den schwarzen flammierten Rock, den er ihm über die Arme zog; hierauf setzte er ihn auf ein Kamel, wie es der Sultan geheißen hatte, und führte ihn in Prozession durch die Stadt, indem er dabei ausrief: »Dies ist der geringste Lohn für den, der des Königs Harem verletzt.« So zog er durch die Straßen, bis er auch zum Platz vor der großen Moschee gelangte, in welcher der Scheich wohnte. Wie nun alles Volk sich an dem Schauspiel weidete, blickte 59 der Scheich aus dem Fenster seiner Zelle und sah die Lage, in der sich sein Schüler befand. Da empfand er Mitleid und citierte durch einen Zauber, den er sprach, die Dschânn vor sich, denen er befahl, den Jüngling vom Rücken des Kamels in aller Sorgfalt und Güte wegzunehmen und ihn in seine Zelle zu bringen; ebenso befahl er einem Aun, irgend einen Alten zu packen und ihn an Stelle des Jünglings auf das Kamel zu setzen.« Sie thaten, wie er es ihnen geheißen hatte, da ihm die Dschânn den Treueid geschworen hatten und ihm wegen seiner tiefen Studien in allen Zweigen der Magie gehorchten. Als nun aber die Leute plötzlich den Jüngling in einen Graubart verwandelt sahen, schrieen sie, von Grausen erfaßt: »Gelobt sei Gott, der Jüngling ist plötzlich ein Greis geworden!« Dann blickten sie ihn von neuem an und sahen nun, daß es eine allen wohlbekannte Person war, ein Scheich, der seit langer Zeit gewohnt war Grünzeug und Kolokassia am Gasthofsthor nahe der Kathedralmoschee zu verkaufen. Wie nun aber der Scharfrichter dies sah, ward er aufs äußerste erschrocken und kehrte mit dem Alten auf dem Kamel zum Schloß zurück, wo er sich zum Sultan begab, gefolgt von dem ganzen Stadtvolk, das dem Schauspiel zusah. Sobald er vor dem König und den Eunuchen stand, küßte er die Erde vor ihm und betete für ihn, worauf er sprach: »O unser Herr Sultan, siehe, der Jüngling ist verschwunden, und an seiner Stelle befindet sich dieser Scheich hier, der in der ganzen Stadt bekannt ist.« Der König wurde bei diesen Worten von Bestürzung erfaßt, und, von großer Furcht im Herzen ergriffen, sprach er bei sich: »Wer imstande gewesen ist dies zu thun, vermag noch mehr; er kann mich auch von meinem Königtum absetzen oder meinen Tod bewerkstelligen.« In wachsender Angst und ratlos, was er in dieser Sache thun sollte, ließ er schließlich seinen Wesir vor sich kommen und sprach zu ihm: »O Wesir, rate mir, was ich in der Angelegenheit dieses Jünglings thun soll, und welche Maßregeln zu ergreifen sind.« Der Wesir senkte eine Weile sein Haupt 60 nachdenklich zu Boden; dann aber hob er es wieder und sprach zum Sultan: »O König der Zeit, dies ist ein unbegreiflich Ding, und, der es gethan hat, muß Herr einer Kraft sein, die wir nicht zu erfassen vermögen; er kann dir in Zukunft auch etwas zuleide thun, und wir sind um deine Tochter vor ihm besorgt. Das Rechte ist daher, daß du ein königliches Handschreiben erlässest und den Ausrufer durch die Stadt die Runde machen und ausrufen lässest: »Der, welcher dieses Werk vollführt hat, soll vor dem König unter dem Versprechen der Sicherheit und wiederum der Sicherheit erscheinen – Sicherheit nach dem Worte eines Sultans, das nimmer Lügen gestraft werden soll!« Sollte sich dann der Jüngling einfinden, so verheirate ihn, o König der Zeit, mit deiner Tochter, wenn er sich durch die Liebe zu ihr mit dir vielleicht wieder ausgesöhnt hat. Er hat schon die Augen auf sie geworfen und hat die Insassen des Harems unverhüllt gesehen, so daß nichts ihre Ehre retten kann als seine Vermählung mit der Prinzessin.«
Da verfaßte der König ein Handschreiben und legte es in die Hände des Ausrufers, wie der Wesir es ihm angeraten hatte, worauf der Mann durch die Straßen zog und ausrief: »Auf Befehl des gerechten Königs! Wer dieses Werk vollbracht hat, der gebe sich zu erkennen und erscheine im Palast unter der Zusage der Sicherheit und wiederum der Sicherheit, der Sicherheit von Königen, Sicherheit nach dem Wort eines Sultans, das nimmer Lügen gestraft werden soll!« Der Ausrufer ließ nicht ab, diesen Ruf zu thun, bis er schließlich auch zu dem Platz vor der großen Moschee kam. Der Jüngling, der dort stand, vernahm die Proklamation und begab sich infolgedessen zum Scheich zurück, zu dem er sagte: »O mein Herr, der Ausrufer hat ein Reskript vom Sultan und ruft: »Wer dieses Werk vollbracht hat, der gebe sich zu erkennen und erscheine im Palast unter der Zusage der Sicherheit und wiederum Sicherheit – Sicherheit nach dem Wort eines Sultans, das nimmer Lügen gestraft werden soll!« 61 Ich muß unbedingt zu ihm gehen.« Der Weise versetzte: »O mein Sohn, warum solltest du dies thun? Hast du noch nicht genug gelitten?« Der Jüngling entgegnete jedoch: »Nichts soll mich daran hindern, zu ihm zu gehen.« Da erwiderte der Scheich: »So geh', mein Sohn, und sei unter dem Schutz des Lebendigen, Ewigen!« Infolgedessen begab sich der Jüngling ins Bad und zog, nachdem er sich gebadet hatte, seine feinsten Sachen an, worauf er hinausging und sich dem Ausrufer zu erkennen gab, der ihn zum Palast nahm und dem Sultan vorführte. Indem der Jüngling dem Sultan den Salâm bot und die Erde vor ihm küßte, wünschte er ihm Leben in langer Dauer und Wohlfahrt in beredtester Sprache und in den fließendsten Versen, worauf der Sultan ihn anschaute, wie er in seinem besten Staat dastand und mit aller Schönheit geschmückt, so daß er Gefallen an ihm fand und ihn fragte: »Wer bist du, mein Sohn?« Der Jüngling versetzte: »Ich bin der halbe Mensch, den du sahst, und ich that die Sache, die du kennst.« Sobald der König diese Worte vernahm, behandelte er ihn mit Hochachtung und wies ihm den Ehrenplatz an, worauf sich beide unterhielten. Der Sultan verwunderte sich über seine Rede, und beide plauderten miteinander, bis sie auch auf gelehrte Streitfragen zu sprechen kamen, wobei sich der Jüngling dem Sultan wie der Dinar dem Dirhem überlegen zeigte; und was für gelehrte Spitzfindigkeiten der Sultan auch fragen mochte, auf alle erteilte der Jüngling, der wie ein Buch sprach, zufriedenstellende Antwort. Infolgedessen sprach der Sultan, verwirrt von der Beredsamkeit seiner Zunge, der Reinheit seines Ausdrucks und der Promptheit seiner Antworten, bei sich: Dieser Jüngling verdient ebensosehr der Gatte meiner Tochter zu werden als sie seiner würdig ist.« Alsdann redete er ihn mit folgenden Worten an: »O Jüngling, es ist mein Wunsch dich mit meiner Tochter zu verheiraten, und, wo du sie und ihre Mutter bereits geschaut hast, wird sie niemand außer dir heiraten wollen.« Der Jüngling versetzte: »O König der 62 Zeit, ich bin bereit, dir zu gehorchen, doch muß ich mich zuerst mit meinen Freunden beraten.« Da sagte der Sultan: »Das kann nichts schaden; geh' heim und frag' sie um Rat.« Hierauf bat der Jüngling um Erlaubnis sich zurückzuziehen und begab sich zu seinem Scheich, dem er alles, was sich zwischen ihm und dem Sultan zugetragen hatte, mitteilte, indem er hinzufügte: »Es ist ebenfalls mein Wunsch, o mein Herr, seine Tochter zu heiraten.« Der Weise erwiderte: »Das kann nichts schaden, wenn es eine rechtmäßige Heirat ist; geh' fort und halt um sie an.« Der Jüngling entgegnete jedoch: »Ich möchte aber, o mein Herr, den König einladen uns zu besuchen.« Der Weise versetzte: »Geh' und lad' ihn ein mein Sohn, und stärke dein Herz.« Nun erwiderte der Jüngling: »O mein Herr, seitdem ich zu dir kam und du mich durch die Aufnahme in deinen Dienst ehrtest, habe ich kein anderes Heim gekannt, als diese enge Zelle, in der du sitzest, dich weder bei Nacht noch Tag aus ihr entfernend; wie können wir den König hierher einladen?« Der Weise entgegnete jedoch: »O mein Sohn, lad' ihn nur ein im Vertrauen auf Gott, den Verhüller, der alle Dinge verhüllt, und sprich zu ihm: »Mein Scheich entbietet dir den Salâm und ladet dich auf nächsten Freitag zum Besuch ein.« Da begab sich der Jüngling zum König und begrüßte ihn, ihm seine Dienste anbietend und ihn mit beredtester Zunge segnend, worauf er zu ihm sprach: »O König der Zeit, mein Scheich läßt dich grüßen und spricht zu dir: Komm und iß deine Suppe mit uns am nächsten Freitag.« Und der Sultan versetzte: »Ich höre und gehorche.« Alsdann kehrte der Jüngling zum Weisen zurück und bediente ihn wie gewöhnlich, doch sehnte er sich die ganze Zeit über nach dem Anbruch des Freitags. An jenem Tage sagte dann der Scheich zu dem Jüngling: »O mein Sohn steh' auf mit mir, daß ich dir unser Haus zeige, damit du den König holen kannst.« Hierauf nahm er ihn, und die beiden schritten fürbaß, bis sie zu einer Ruine mitten in der Stadt gelangten, die völlig 63 in Haufen, Lehm, Thon und Steinen lag. Indem der Weise diese Ruine anschaute, sprach er: »O mein Sohn, dies ist unsere Wohnung; begieb dich nun zum König und bring' ihn hierher.« Da rief der Jüngling: »O mein Herr, fürwahr, dies ist ein Ruinenhaufen; wie kann ich den Sultan einladen und zu solch' einem Platz führen? Es wäre eine Schmach und Schande für uns.« Der Weise versetzte jedoch: »Geh' und fürchte nichts.« Da ging der Jüngling fort, indem er bei sich sprach: »Bei Gott, mein Scheich muß verrückt sein, und zweifellos verwechselt er in seiner Verstörtheit Wahrheit und Unwahrheit.« Er schritt jedoch unverdrossen fürbaß, bis er den Palast erreichte, und trat bei dem Sultan ein, den er auf ihn wartend antraf, worauf er ihm den Auftrag überbrachte und zu ihm sprach: »Beehre uns, o mein Herr, mit deiner Gegenwart.« Infolgedessen erhob sich der König ohne Aufschub und Verzug und bestieg sein Roß, gefolgt von allen Großen des Reiches, worauf sie dem Jüngling zu dem Platz folgten, den er ihnen als die Wohnung seines Scheichs nannte. Als sie jedoch der Stätte nahten, fanden sie, daß es eine königliche Wohnung war, mit Eunuchen, die an den Thoren in prächtigster Tracht standen als wären sie aus einem Zauberhort gekleidet. Sobald der Jüngling diesen Wandel der Dinge sah, ward er von Furcht betroffen und so verwirrt, daß er kaum Herr seiner Sinne blieb und bei sich sprach: »Nur einen Augenblick zuvor sah ich mit meinen eigenen Augen, daß eben diese Stätte ein Ruinenhaufen war; wie kam demnach auf demselben Platz ein Palast her, wie ihn unser Sultan nicht einmal besitzt? Jedoch behalte ich das Geheimnis lieber bei mir selber.« Der König aber stieg nun mit seinem Gefolge ab und betrat die Wohnung, sie in Augenschein nehmend und sich über die Pracht des ersten Raumes verwundernd; je genauer er sich jedoch den Raum ansah, desto prächtiger fand er ihn, und der zweite Raum erschien ihm noch kostbarer als der erste. Seine Sinne verwirrten sich darüber, bis er in ein geräumiges 64 Sprechzimmer gelangte, wo sie den Scheich auf einer Seite des Zimmers zu ihrem Empfang dasitzen sahen. Der Sultan begrüßte ihn mit dem Salâm, worauf der Weise sein Haupt hob und seinen Gruß erwiderte, ohne sich jedoch auf die Füße zu erheben. Alsdann setzte sich der König auf der entgegengesetzten Seite nieder, und nun beehrte ihn der Scheich durch eine Anrede und beliebte sich mit ihm über verschiedene Themen zu unterhalten, während des Königs Sinne die ganze Zeit über von der Pracht rings um ihn und von den Raritäten im Palast verwirrt waren. Mit einem Male sagte dann der Scheich zu seinem Schüler: »Poch' an jene Thür und befiehl, daß man uns das Frühstück hereinbringt.« Da erhob sich der Jüngling und pochte, indem er dabei rief: »Bringt das Frühstück herein;« und alsbald that sich die Thür auf und hundert Mamluken von den SchriftbesitzernDas heißt Juden oder Christen. traten herein, von denen jeder auf seinem Haupt ein goldenes Brett mit Schüsseln aus kostbarem Metall trug und diese, die mit Frühstücksgerichten von allerlei Art und Farbe gefüllt waren, vor den Sultan in Reih' und Glied hinstellten. Der Sultan wurde von diesem Anblick überrascht, da er nichts so kostbares in seinem Besitz hatte; jedoch trat er herzu und aß, was der Scheich und alle die Höflinge ebenfalls thaten, bis sie gesättigt waren. Hernach tranken sie Kaffee und Scherbetts, und der Sultan und Scheich begannen sich über wissenschaftliche Fragen zu unterhalten, wobei der König von den Worten des Weisen erbaut ward, während dieser seinerseits respektvoll vor dem König saß. Als dann die Mittagszeit herannahte, sagte der Scheich wieder zu seinem Schüler: »Poch' an jene Thür und laß uns das Mittagsmahl hereinbringen.« Da erhob sich der Jüngling und pochte, indem er dabei rief: »Bringt das Mittagsmahl herein;« und sofort that sich die Thür von selber auf und hundert andere Mamluken als zuvor traten in langer Reihe herein, von denen jeder wiederum ein 65 Brett auf seinem Haupt trug. Nachdem sie das Tischtuch vor dem Sultan ausgebreitet hatten, stellten sie die Schüsseln auf, und der Sultan sah sich die Platten an und bemerkte, daß sie aus kostbaren Metallen und Edelsteinen bestanden, so daß er sich noch mehr als zuvor darüber verwunderte und bei sich sprach: »Fürwahr, dies ist ein Wunder!« Sie aßen nun alle, bis sie genug hatten, worauf Becken und Eimer, die einen von Gold und die andern von verschiedenen Edelmetallen, herumgetragen wurden und sie sich die Hände wuschen. Alsdann aber sprach der Scheich: »O König, wie hoch hast du die Brautgabe deiner Tochter für uns bestimmt?« Der König versetzte: »Die Brautgabe meiner Tochter ist bereits in meinen Händen.« Dies sagte er auf Höflichkeit und Respekt, der Scheich entgegnete jedoch: »Heirat ist ohne eine Brautgabe ungültig.« Dann überreichte er ihm eine große Geldsumme und als nun das Band der Ehe in gehöriger Weise geknüpft worden war, erhob er sich und holte für seinen Gast einen Pelzrock, wie ihn der Sultan nimmer in seinem Schatz hatte, in den er ihn kleidete, worauf er auch jedem einzigen seiner Höflinge, entsprechend ihrem Rang, reiche Kleider schenkte. Hierauf verabschiedete sich der Sultan von dem Scheich und kehrte, begleitet von dem Schüler, zum Palast zurück, während der König die ganze Zeit über der Sache in Gedanken nachhing und sich über die Geschichte verwunderte. Bei Anbruch der Nacht befahl er seine Tochter zurechtzumachen, damit der Bräutigam ihr den ersten Besuch abstatten könnte. Die Leute vollzogen seinen Befehl und geleiteten den Jüngling in Prozession zu ihr, und er fand das Gemach mit Teppichen belegt und mit Essenzen parfümiert; die Braut war jedoch abwesend. Infolgedessen sprach er bei sich: »Sie wird sogleich erscheinen, wenn sie jetzt auch säumt,« und wartete auf sie bis Mitternacht, während ihre Eltern sprachen: »Fürwahr, der junge Mann hat unsre Tochter geheiratet und ruht jetzt bei ihr.« In dieser Weise dachte der Jüngling in der einen und der Sultan und sein Harem in der andern Weise, 66 bis die Morgendämmerung bereits nahte, während der Bräutigam immer noch auf seine Braut wartete. Als dann der Tag anbrach, kam die Mutter ihr Kind zu besuchen, in der Annahme sie an der Seite ihres Gatten sitzen zu finden. Da sie jedoch keine Spur von ihr finden und auch keine Kunde von ihr vernehmen konnte, fragte sie den Jüngling, ihren Schwiegersohn, der ihr antwortete, daß er, seitdem er das Gemach betreten hatte, auf seine Braut gewartet hätte, ohne daß sie erschienen wäre und er auch nur eine Spur von ihr gesehen hätte. Da stieß die Königin einen Schrei aus und sprang auf, laut nach ihrer Tochter rufend, denn sie hatte kein anderes Kind als dieses eine. Der Lärm schreckte den Sultan auf, so daß er fragte, was es gäbe, worauf man ihn davon benachrichtigte, daß die Tochter im Palast vermißt würde, und, seitdem sie ihn zur Abendzeit betreten hätte, nicht mehr gesehen worden wäre. Da begab er sich zum Jüngling und fragte ihn nach ihr, doch sagte dieser ihm ebenfalls, daß er sie nicht gefunden hätte, als die Prozession ihn ins Brautgemach geleitet hatte.
Soviel von ihnen; was aber die Prinzessin anlangt, so traf es sich, daß gerade, als man sie vor dem Eintreffen des Hochzeiters in das Brautgemach führte, ein Dschinnī von den Mâriden, der oft den königlichen Harem besuchte, in der Hochzeitsnacht dort anwesend war und von den Reizen der Braut so sehr gefangen genommen wurde, daß er sich in einen Winkel setzte und sie bei ihrem Eintreten, ehe sie dessen gewahr wurde, packte und hoch in die Luft mit ihr entschwebte. Er flog mit ihr von dannen, bis er einen angenehmen Ort mit Bäumen und Bächen einen Weg von etwa drei Monatsreisen entfernt von der Stadt erreichte, wo er sie in den Schatten setzte. Er that ihr jedoch nichts zuleide, und Tag für Tag brachte er ihr, was sie an Speise und Trank bedurfte, und heiterte sie auf, indem er ihr die Bäume und Bäche zeigte. Dabei hatten er seine Gestalt in die eines schönen Jünglings verwandelt, damit sein Aussehn sie nicht erschreckte, 67 und das Mädchen verweilte einen Zeitraum von vierzig Tagen an jener Stätte. Wie nun aber der Sultan seine Tochter nicht fand, nahm er den Jüngling und begab sich mit ihm zum Scheich in dessen Zelle, wo er wie ein Verrückter eintrat und sich über den Verlust seines einzigen Kindes beklagte. Als der Scheich seine Worte vernahm, versank er für eine Stunde in tiefes Nachdenken, worauf er sein Haupt wieder hob und ihnen befahl eine Pfanne mit brennenden Kohlen vor ihn zu bringen. Nachdem sie alles, was er brauchte, gebracht hatten, warf er etwas Weihrauch ins Feuer und sprach Zauberformeln darüber, als sich mit einem Male die Welt um und um kehrte, die Winde brüllten, und die Erde von Staubwolken überwölbt wurde, aus denen eilig geflügelte Truppen mit Standarten und Fahnen herniederstiegen. Mitten in denselben erschienen drei Sultane der Dschânn, die alle zu gleicher Zeit laut riefen: »Lebbeika! Lebbeik! Wir sind erschienen dir eilig zu dienen.« Da redete sie der Scheich an und sprach zu ihnen: »Mein Befehl ergeht dahin, daß ihr mir unverzüglich den Dschinnī bringt, der die Braut meines Sohnes entführt hat.« Sie versetzten: »Wir hören und gehorchen,« und beauftragten sofort fünfzig ihrer untergebenen Dschinn, die Prinzessin zu ihrem Gemach zurückzubringen und den Schuldigen vor sie zu schleppen. Die Dschinn leisteten dem Befehl Folge und verschwanden für eine Weile, worauf sie plötzlich mit dem schuldigen Dschinnī zurückkehrten, während zehn von ihnen die Tochter des Sultans zu ihrem Palast zurückgeleiteten, ohne daß sie etwas von ihnen wußte oder irgend etwas von Furcht verspürte. Als sie nun den Dschinnī vor den Scheich stellten, befahl er den drei Sultanen der Dschânn ihn zu Tode zu verbrennen, was sie ohne Aufschub und Verzug thaten. Alles dies geschah, während der Sultan vor dem Scheich saß und Augen- und Ohrenzeuge war, voll Verwunderung über den Gehorsam, die Unterwürfigkeit und das höfliche Verhalten des Heeres und seiner Sultane dem Scheich gegenüber. Nachdem dann das Geschäft 68 in der besten Weise erledigt worden war, sprach der Weise einen Zauber über sie, worauf alle ihres Weges zogen. Alsdann befahl er dem König den Jüngling zu nehmen und ihn zu seiner Tochter zu führen, was der König alsbald that, worauf der Hochzeiter seiner Braut die Mädchenschaft nahm, während sich ihre Eltern von neuem über ihr wiedergewonnenes verloren gewesenes Kind freuten. Der Jüngling aber war in die Prinzessin so verliebt, daß er sieben Tage hintereinander den Harem nicht verließ. Am achten Tage beabsichtigte der Sultan ein Hochzeitsbankett anzurichten und lud das ganze Stadtvolk zu Festlichkeiten einen vollen Monat lang ein; überdies erließ er ein königliches Reskript und ließ laut und öffentlich ankündigen, daß zufolge dem Befehl der Majestät des Königs das Hochzeitsfest einen Monat dauern und daß kein Bürger, sei er reich oder arm, während der Hochzeit der Prinzessin in seiner Wohnung das Feuer anzünden oder die Lampe putzen sollte, sondern sollten alle bis zum Ablauf des Festes an der königlichen Tafel speisen. Hierauf schlachteten sie Rinder und stachen Kamelen in den Hals, und den Köchen und Teppichbreitern ward befohlen die Räume zurecht zu machen, während die Beamten des Haushalts beauftragt wurden die Gäste bei Nacht und Tag zu empfangen.
Eines Nachts aber sprach der König Mohammed von Kairo zu seinem Minister: »O Wesir, komm und laß uns verkleidet die Straßen durchwandern und das Volk beobachten und belauschen; vielleicht haben es einige der Städter unterlassen bei dem Hochzeitsfest zu erscheinen.«Hiernach wäre dem Sultan von Kairo das Abenteuer mit dem Weisen widerfahren, während ihm doch der zweite Irrsinnige die Geschichte erzählt. Der Wesir versetzte: »Ich höre und gehorche.« Alsdann vertauschten beide ihre Kleider mit der Tracht persischer Derwische und gingen hinunter in die Stadt. 69