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Wolfgang Feilenhauer war noch immer in tiefer Betrübnis, daß seine geliebte Linde sich mehr und mehr auf die Seite neigte und ganz umzufallen drohte. Da kam er auf den Gedanken, in das Gewölbe hinabzusteigen, unter den Wurzeln starke Stützen anzubringen und das Gewölbe selbst mit Erde anzufüllen. Aufrichten konnte er damit den Baum nicht, aber doch vielleicht weiteres Sinken verhindern und ihn am Leben erhalten.
Das war an demselben Tage, an dem Wallram von Cedernstein aus der Stadt zurückkehrte. Wolfgang wollte dem Grafen alsbald zeigen, daß er nicht daran denke, seine Ansprüche an den Buchenwald aufzugeben. Er ging deshalb hin und hieb die tauglichen Äste so dicht an der Grenze ab, daß es dem Grafen bei seinem ersten Besuche im Walde in die Augen fallen mußte. Aus dem gleichen Grunde ließ er auch die Äste mit einer gewissen Auffälligkeit am Schlosse vorüberfahren.
Wolfgang erreichte seine Absicht vollständig. Der Graf sah bei einem Spaziergange den Wagen durch die Gitter des Parkes, kam sogleich herbei und fragte, wo die Äste geschlagen seien.
»Euer Gnaden können es leicht erraten,« antwortete Wolfgang. »Sie kommen aus dem Buchenwalde, den mir der alte Helferich hinterlassen hat.«
»Aber Du weißt doch, daß meine Rechte auf den Wald feststehen,« sprach der Graf.
»Nein,« entgegnete Wolfgang, »ich halte im Gegenteile die meinigen für unumstößlich, und ich habe die besten Gründe dafür.«
Cedernstein drang in ihn, ihm sein vermeintliches Recht zu verkaufen. »Wenn Du nicht nachgibst,« sagte er, »so kommt es zu einem Rechtsstreite, dessen Ende niemand absehen kann. Meine Mittel erlauben mir, ihn lange hinzuschleppen; die Deinigen aber werden sich erschöpfen, ehe er zu Ende geht. Verlierst Du, so sind Dein Kapital und der Wald dahin. Entscheidet das Gericht für Dich, so geht Dir dennoch eine große Summe Geldes verloren. Darum wäre es vernünftiger von Dir, einen guten Vergleich einzugehen.«
Der Graf hatte das in einem Tone gesagt, aus dem der Wunsch, sich mit Wolfgang zu vertragen, deutlich herausklang. Darum blieb auch Wolfgang bescheiden und gelassen. »Herr Graf,« sagte er, »ich begreife recht gut, daß Ihnen der Wald am Herzen liegt, weil er mitten in ihrem Eigentume steckt. Ich würde mich deshalb nicht lange bitten lassen. Es steht aber ein Hindernis entgegen, das ich selbst nicht beseitigen kann. Ich habe dem alten Helferich vor seinem Tode das feierliche Versprechen geben müssen, jenen Waldstrich niemals in andere Hände gelangen zu lassen. Soviel ich weiß, hat der Verstorbene diesen Wunsch bis in den Tod beibehalten, und es ist mir vollständig unerklärlich, wie er nach dem zwischen uns getroffenen Übereinkommen zu einem Verkaufe hätte übergehen können. Wäre es wirklich sein Wille gewesen, Ihnen den Wald zu überlassen, so würde er das Testament abgeändert oder doch wenigstens mir eine mündliche Mitteilung gemacht haben.«
»Aber Du hast selbst seine Unterschrift unter dem Kaufbriefe gesehen und ihre Echtheit anerkannt.«
»Seine Handschrift ist es, Zug um Zug, und das ist mir eben das Unerklärliche. Wenn Helferich nicht bis zum letzten Augenblicke bei klarem Verstande geblieben wäre, würde ich glauben, er habe sie unbewußt gegeben. Es besteht jedoch kein Zweifel, daß seine Sinne stets frisch waren.«
»Ich führe Rechtsstreit nicht gern,« sprach der Graf sanft, »und ich lasse die Hoffnung nicht fahren, daß wir mit der Zeit zu einer Verständigung kommen. Überlege Dir die Sache noch einmal gut. Ich werde kein Knicker sein, sondern fürstlich zahlen.«
Noch an demselben Tage begab sich Wolfgang in das Gewölbe und maß die Länge der notwendigen Stützen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er in dem hintern Teile eine hölzerne Türe, die, morsch vom Alter, nach ein paar Schlägen mit der Axt in Trümmer stürzte und zu noch größeren Räumen führte. Er nahm sich vor, diese nächstens zu untersuchen. Jetzt aber getraute er sich nicht hineinzugehen, da die so lange eingeschlossene Luft ihm hätte schaden können.
In der Nacht, die diesem Tage folgte, erhob sich ein Sturmwind, der sich nach und nach zu einem Orkane steigerte. Wolfgangs Hütte schwankte und zitterte. Jeden Augenblick mußte er befürchten, daß sie von der Gewalt des Sturmes hinweggefegt würde.
Erst gegen Morgen schlief Wolfgang ein, wurde aber plötzlich von einem furchtbaren Krachen geweckt. Mit beiden Füßen zugleich aus dem Bette springend, trat er an das Fenster und schaute in die Dämmerung hinaus.
»Herr, Du mein Gott, die Linde!« preßte er aus der Brust heraus und eilte die Treppe hinab. Da lag der mächtige Baum zu seinen Füßen, das gewaltige Wurzelwerk in die Luft gerichtet, die Äste zerschlagen, der Stamm in der Mitte durchbrochen.
Nur mit Mühe hielt Wolfgang die Tränen zurück. Sein Stolz und seine Liebe, die Zierde seines Hauses und seines Grundstückes, war dahin. Das war ein schwerer Verlust.
Als die Sonne höher stieg, fiel sein Auge auf den Bruch des Stammes, und er gewährte zu seinem Erstaunen in einer Höhlung ein Muttergottesbild. Also war die Legende, die sich so lange im Munde der Einwohner von Kesselsheim erhalten hatte, doch Wahrheit gewesen. Im Laufe der Zeit war die Öffnung mit Rinde und einer Holzschicht überwachsen. Der schwere Fall aber hatte das Gefängnis des Bildes gesprengt, daß es zu Tage lag.
Neugierig machte er das Bild aus der Höhlung los und betrachtete es mit wehmütigen Empfindungen. Es stellte auf einer Metallplatte eine in Öl gemalte Madonna vor, deren Brust von sieben Schwertern durchbohrt war. »Das ist also das Bild, vor dem meine Vorfahren ihre Schmerzen ausgeweint und ihre Freuden ausgejubelt haben!« sprach er zu sich selber. Er wandte es um und reinigte die Rückseite. Da kamen einzelne lateinische Buchstaben in alter Form zum Vorscheine. Verwundert trug er es in die Hütte und reinigte es vollends. Ins Deutsche übersetzt hieß die Schrift:
»Heilige Mutier, Du Helferin in allen Nöten, stehe mir bei in meinem Elende. Mache die Anschläge meiner Feinde zu Schanden. Lasse meinen Sohn, wenn er vom Grabe des Erlösers heimkehrt, sein Eigentum wieder finden.
Agnes, Gräfin von Feilenhauer.«
Mit pochendem Herzen las und übersetzte Wolfgang von neuem. Wie groß auch sein Mißtrauen in sich selbst war: so stand da und nicht anders.
In der Kirche drüben wurde zur Messe geläutet. Wolfgang barg die Tafel in seiner Tasche und eilte zum Gotteshause. Nach der Messe folgte er dem Pfarrer in die Wohnung und zeigte ihm das Bild.
Der Pfarrer war ein Kenner von alten Gemälden. »Da haben Sie einen Schatz gefunden, Wolfgang,« sprach er. »Das Bild hat ein hohes Alter und ist von einem echten Künstler gemalt. Wie kommen Sie nur daran?«
»Das Bild,« entgegnete Wolfgang, »saß an einem Orte, wo keines Menschen Auge hineindringen konnte. Heute nacht hat der Sturm meine ehrwürdige Linde umgeworfen und den Stamm zerbrochen. In dem Stamme war es eingeschlossen.«
»In der Linde?« rief der Pfarrer, und wie Wolfgang setzte auch er hinzu: »Also ist die alte Legende doch eine Wahrheit? Wer hätte das denken sollen?«
»Schauen Sie sich nun auch einmal die Rückseite an,« bat der Jüngling.
Des Pfarrers Erstaunen wuchs. »Agnes, Gräfin von Feilenhauer! Und Du bist ja auch ein Feilenhauer! So ist diese Agnes wohl Deine Ahnfrau gewesen! Da lies selbst!«
»Ich habe es bereits gelesen, aber ich traute meiner Wissenschaft nicht, weil derselbe Gedanke, den Sie aussprachen, auch bei mir auftauchte. Ich dachte, der Hochmut könne mir einen Possen spielen, und da wollte ich doch lieber Ihr Urteil hören.«
Sie gingen zusammen zu dem Baume und besahen die Höhlung. Die Kirchgänger von Kesselsheim hatten sich bereits um die Linde versammelt, und jeder wollte das Bild sehen.
»Von der Inschrift wollen wir einstweilen schweigen,« sprach Wolfgang zum Pfarrer; »ich möchte nicht in den Geruch des Hochmutes kommen. Es ist ja auch noch eine große Frage, ob die armen Häusler und die Grafen von Feilenhauer desselben Stammes sind. Der Zufall kann mit den Namen gespielt haben.«
Der Pfarrer fand den Wunsch vernünftig, und beide kamen überein, daß das Bild seinen Platz in der Kirche finden solle. Nur noch eine kurze Zeit wollte Wolfgang es in seinem Besitze behalten, um sich daran zu freuen.
Man kann sich leicht denken, daß Wolfgang jetzt anders von den Gewölben dachte, als früher. Was lag näher, als daß hier in alten Zeiten wirklich eine Burg gestanden, wie es beim Volke immer geheißen hatte! Der Bach, der das Grundstück umfloß, bekam jetzt plötzlich eine höhere Bedeutung.
Wolfgang stieg in das Gewölbe hinab und machte auf der Schwelle der eingebrochenen Türe ein Feuer. Die Buchenäste, die zur Stütze der Linde herbeigeholt worden waren, dienten jetzt zur Reinigung der Luft. Nach mehreren Tagen glaubte Wolfgang den Eintritt wagen zu dürfen. Mit klopfendem Herzen setzte er seinen Fuß unter die hallenden Bogen und gewahrte mit stets wachsendem Erstaunen, daß die weitläufigen Gewölbe einen großen Teil des Raumes einnahmen, der jetzt zu seinen Besitzungen gehörte. An einer Seite stießen sie fast an den Bach, dessen Rauschen er deutlich vernehmen konnte.
Die meisten dieser Räume waren leer. In einer Nische standen steinerne Krüge und eine altertümliche Lampe. Hier hatte offenbar der Kellermeister seines Amtes gewaltet.
Wolfgang war es zu Mute, als schritten die Geister jener alten Zeit an ihm vorüber und zeigten mit eisenbehandschuhtem Finger auf die Dinge, die sein Erstaunen in so hohem Maße erregten. Aber er sollte noch mehr Zeugen jener Zeit finden.
Aus dem Weinkeller führte eine kleine Treppe hinauf zu einer Türe. Die Steinstufen waren in der Mitte stark abgetreten, ein Beweis, daß die Feilenhauer dem erquickenden Naß, das ehedem hier unten gelagert, stark zugesprochen hatten.
Die Türe war dem Anscheine nach eisenstark, denn sie war über und über mit eisernen Klammern und breiten Schildern versehen.
Wolfgang führte mit seiner Axt einen schweren Schlag gegen das Schloß, aber er mußte ihn mehrmals wiederholen, bis sie aufsprang. Die Pechfackel in Wolfgangs Hand erlosch. Ein atembeklemmender Modergeruch drang ihm entgegen.
»Morgen,« sprach er vorsichtigerweise. Dumpf und hohl klang das Wort an den Wänden wieder. Wie viele Jahrhunderte mochte hier keine menschliche Stimme mehr erschollen sein, und jetzt weckte sie allerenden das schlafende Echo.
Langsam kehrte Wolfgang zurück und stieg wieder zum Tageslichte empor. Gedankenvoll blieb er auf dem Lindenstamme sitzen und sann über die alte Welt nach, die sich so unerwartet unter seinen Füßen erschlossen hatte. Ohne die Überschwemmung und den Sturm, der seine Linde fällte, wäre er wohl niemals zu dieser Entdeckung gekommen.
Wie pries er jetzt seine gute Mutter, die ihn mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft hatte studieren lassen. »Ich würde den Plunder kaum angesehen haben,« lispelte Wolfgang, »wenn nicht dieses alte Latein meine Neugierde aufgeregt hätte. Als ich von der Universität heimkehren mußte und trotz aller meiner Bemühungen keine Beschäftigung finden konnte, da dachte ich manchmal, es sei besser gewesen, wenn ich niemals bessere Tage gekannt hätte. Ja ich murrte zuweilen, daß so viel Geld nutzlos weggeworfen war. Heute trägt es schon seine Zinsen.«
Am folgenden Tage ließ es Wolfgang nicht lange Ruhe. Abermals stieg er hinab und gelangte bald an die offene Türe. Ein Ausruf des Erstaunens entrang sich seinen Lippen, als die Fackel ihren rotglühenden Schein durch einen weiten Raum warf, der in alten Zeiten offenbar zum Bankettsaale gedient hatte. In der Mitte stand ein langer, schwerfälliger Eichentisch, von ebenso plumpen Stühlen umgeben. »Herr, Du mein Gott,« rief er, »ist es nicht gerade, als ob die Ritter soeben vom Mahle aufgestanden seien! Da stehen noch die Humpen und die altertümlichen Kannen und Gläser.«
So war es, aber es gab noch mehr zu sehen. Rings an den Wänden hingen an eisernen Pflöcken Schwerter und Streitäxte. An einer Seite ragten eine Anzahl von stählernen Harnischen an der Mauer empor, so daß Wolfgang im ersten Augenblicke glaubte, die geharnischten Männer der eisernen Zeit hielten Wache gegen den frechen Eindringling.
Wolfgang schritt von einem zum anderen. Überall fand er das gleiche Wappen. Es mußte wohl dasjenige der Grafen von Feilenhauer sein.
Zu seinem Grausen stieß er zuletzt auf einen steinernen Sarg. Der Deckel war nur halb zugeschoben, so daß die vermoderten Gebeine eines Toten zu sehen waren. Der Sarg war lang und breit und der Mann, der mit zerschmettertem Schädel darin lag, mußte im Leben seine sieben Fuß gemessen haben. Er war wohl im wilden Treffen gefallen. Woher hatte er sonst die gebrochene Hirnschale?
Wolfgang hatte jetzt keine Lust, darüber nachzudenken. Der Anblick machte ihm das Blut in den Adern stocken. Schon wandte er sich um, da fiel ihm ein Buch in die Augen, das auf dem Sargdeckel lag. Rasch ergriff er es und eilte hinweg. Wie Schrecken und Grauen schwebte es hinter ihm her, als ob sich der Tote aus seinem steinernen Sarge erhoben hätte und ihm folge. Da blieb er stehen, drehte sich um und hielt die Fackel hoch. Der Sarg stand noch da, ein rötlicher Nebel schien aus den leeren Augenhöhlen des Gerippes hervorzugehen. Dumpf hallten Wolfgangs Tritte in den Gewölben wieder, und er freute sich, als ihm das goldene Licht des Tages entgegenquoll.
Mit dem Buche begab er sich in sein stilles Schlafkämmerlein, rückte den Lehnsessel der verstorbenen Mutter herbei und ließ sich nieder. Auf der Außenseite des Deckels war das Wappen derer von Feilenhauer eingeprägt. Darunter stand mit dicken Buchstaben: Agnes, Gräfin von Feilenhauer. Das war also dieselbe Edeldame, die das Gebet zur Gottesmutter auf der Rückseite des Bildes geschrieben hatte. Wolfgangs Erregung stieg. Das Herz schlug hörbar. Sollte er die Schrift lesen? Fast scheute er sich, den Schleier der Vergangenheit zu lüften. Dann aber murmelte er:
»Welch ein Tor bin ich! Warum sollte ich mich scheuen, diesen Staub anzurühren, den jahrhundertelange Finsternis gedeckt hat. Selten mag es einem Sterblichen gegönnt sein, einen so tiefen Einblick in die Vergangenheit seiner Familie zu tun. Also nicht zögern! In diesem Buche steht vielleicht die Lösung des Rätsels.« Er öffnete das Buch und fand auf dem ersten Pergamentblatte das alte Wappen. Von Künstlerhand gemalt, glänzten seine Farben lebhaft noch nach langer Zeit.
Das zweite Blatt enthielt den Stammbaum derer von Feilenhauer. Bei jedem Gliede waren die merkwürdigsten Lebensereignisse kurz verzeichnet. Der Stammbaum nahm ein Dutzend Blätter ein und schloß mit Herrn Wyrich von Feilenhauer.
Hier war unter den Stammbaum ein dicker Strich gemacht, und auf demselben Blatte begann eine Geschichte in lateinischer Sprache. Wolfgang las mit größter Aufmerksamkeit, wie folgt:
»Im Angesichte Gottes schwöre ich einen feierlichen Eid, daß ich, Agnes, Gräfin von Feilenhauer, in diesem Buche nur die lauterste Wahrheit niedergeschrieben habe. Es diene darum auch zur Steuer der Wahrheit, wenn die Zeiten sich ändern.
In diesem Sarge liegt mein Gatte Wyrich von Feilenhauer, dem Gott die ewige Seligkeit verleihen möge. Wer ihn findet, der soll seine Gebeine in geweihte Erde bringen. Ich selbst durfte es nicht tun, und mein Sohn, der im Gelobten Lande weilt, um das Grab des Erlösers befreien zu helfen, muß erst sehen, wie sein Oheim mit ihm verfahren wird. Vielleicht wird mein Sohn Kurt unter den Streichen der Sarazenen fallen und, als der Letzte seines Stammes, die Linie der Feilenhauer schließen. Wie Gott will, nach so vielen Leiden bin ich auf alles gefaßt.
»Wyrich, mein Mann, und sein Bruder Kuno haben lange friedlich miteinander gelebt, wie Brüder tun sollen. Seitdem Kurt übers Meer schiffte, stiegen jedoch in Kunos Herzen böse Gelüste auf. Sieh', sprach er zu Wyrich, Du hast nur einen Sohn, und es ist fraglich, ob er jemals wieder in die Heimat zurückkehrt. Dann aber bist Du ganz kinderlos, und ich bin Dir der Nächste. Die Güter unseres Vaters ruhen fast ganz in Deiner Hand, wie es dem Erstgeborenen gebührt. Setze mich zum Erben Deines Sohnes ein, damit nicht ein unverhoffter Tod die Güter an Fremde bringe.
Wyrich wies diese Zumutung zurück, indem er sprach: Mit nichten, mein Bruder! Ich hoffe, daß mein Sohn mit heiler Haut heimkehrt und noch lange zum Ruhme des Geschlechtes der Feilenhauer leben wird. Warum also sollte ich ihn berauben? Stürbe er wirklich, so wäre es noch immer Zeit, die Erbschaft zu verteilen, die Dir dann auf keinen Fall allein zufallen würde.
Kuno zürnte heftig ob dieser Rede und schwur sich an Wyrich zu rächen. Er war ein wilder Wegelagerer. Wyrich aber hatte vom Kaiser den Auftrag empfangen, die Raubritter zu züchtigen, und er schonte niemand. So hatte er sich viele Feinde gemacht, und diese lechzten alle nach blutiger Genugtuung.
Eines Tages lud sich Kuno mit einer Schar seiner Freunde bei uns zum Mahle ein. Wir empfingen sie freundlich und taten ihnen Ehre an. Der Koch tat das Beste in seiner Kunst, und der Kellermeister sorgte für einen guten Trunk. Unsere Gäste tranken aus großen Pokalen und rasselten so wild mit den Schwertern, daß mir bange wurde und ich im Begriffe war, mich zu entfernen. Wyrich bat mich zu bleiben, weil er glaubte, sie würden sich in meiner Gegenwart mäßigen. Ich blieb also, an seiner Seite und wartete nicht ohne geheime Sorge auf das, was kommen würde.
Bald nachher erhob sich Kuno von seinem Sitze und schrie den Kellermeister und die Bedienten an, sich zu entfernen. Sie liefen eiligst hinweg, und Kuno schloß die Türe hinter ihnen.
›Was machst Du, Kuno?‹ fragte mein Gatte unwillig. ›Solange meine Gäste Durst haben, dürfen sie nicht ohne Bedienung bleiben.‹
›Es handelt sich um eine Frage, von der sie nichts zu hören brauchen. Wir sind gekommen, um Dich zum letztenmal zu fragen, ob Du meinen Vorschlag annehmen willst. Dein Sohn liegt zweifellos längst im arabischen Sande begraben. Der Ruhm des Hauses Feilenhauer aber darf nicht erlöschen. Willst Du mich zum Erben Deines Sohnes einsetzen, so tue es jetzt vor den Ohren dieser ehrenwerten Ritter, damit es nicht ohne Zeugen geschieht.‹
›Kuno,‹ antwortete mein Gatte, ›ist nicht alles Gut mir und kann ich nach dem Ableben meines Sohnes nicht damit tun, was mir gutdünkt? Vielleicht wäre es so geschehen wie Du wünschest. Aller Zwang ist mir jedoch verhaßt, und ich werde mich niemals einem Willen unterordnen, der von Rechts wegen mir zu gehorchen hat.‹
Da riß Kuno seinen Degen aus der Scheide, stürzte auf meinen Gatten zu und versetzte ihm einen Hieb über den Scheitel, daß das Blut hoch emporspritzte. Ihm folgten mit wildem Geschrei die übrigen, jeder von ihnen schlug auf meinen armen Gatten ein, also daß er entseelt in meinen Schoß sank, und das rieselnde Blut meinen zitternden Körper benetzte.
Die Bösewichte eilten aus dem Bankettsaale hinweg, raubten alle Gemächer leer und warfen den Brand hinein. Ich hörte die Flammen über meinem Kopfe sausen, aber ich regte mich nicht. Das Herz stockte mir in der Brust. Bis in die späte Nacht saß ich da, das blutende Haupt in meinem Schoße. Das Erdgeschoß, in dem ich mich mit dem Toten befand, war von der Verwüstung nicht berührt worden. Treue Diener halfen mir die Leiche in einen Sarg legen und brachten mich hinauf, wo sie mir in der Wohnung des Gärtners eine Stätte bereiteten. Lange lebte ich wie ein Schatten dahin und wußte nicht, was mit mir vorging. Ich ließ alles mit mir geschehen und hatte nur den einen Wunsch, daß mein Kurt zurückkomme und die Mörder züchtigen werde.
Unterdessen raubte Kuno mein ganzes Besitztum. Nur die Trümmer der eingeäscherten Burg verblieben mir und meinem Sohne. Ich sandte Botschaften an den Kaiser, aber der lag im Kriege und hatte keine Zeit, sich mit den Klagen einer Witwe zu befassen. Kuno verlachte mich.
Nach langen Jahren der Trauer endlich ein Lichtstrahl! Ein Ritter kehrte aus dem Gelobten Lande heim und erzählte, daß mein Sohn nach vielen Gefahren und langer Gefangenschaft im Begriffe stehe, sich nach Europa einzuschiffen. Er setzte hinzu, daß er mir eine Schwiegertochter und liebliche Kinder zuführe.
Wie jauchzte mein Herz! ›Er wird meinen erschlagenen Gatten rächen und den Stamm der Feilenhauer erhalten!‹ rief ich aus.
›Letzteres wohl‹, gab der Ritter zur Antwort. ›Auf die Rache jedoch hoffe nicht. Kurt hat im Gefängnisse der Mutter Gottes gelobt, nie mehr ein Schwert anzurühren, wenn sie ihn befreie. Wenn also sein Oheim die geraubten Güter nicht freiwillig herausgibt, so sind sie für immer verloren!‹
Fürchtend, auch noch die Stätte des Todes zu verlieren, werde ich dieses Buch auf den Sarg des Erschlagenen legen und Fenster und Türen vermauern lassen. So harre ich auf die Rückkehr meines Sohnes.
Was mag die Zukunft bringen?«
Hier schloß die Erzählung der Gräfin Agnes. Die letzten Pergamentblätter in dem Stammbuche waren unbeschrieben. Der Tod hatte ihr nicht Zeit gelassen, ein Weiteres über das Schicksal ihres Sohnes und ihrer Enkel hinzuzufügen.
Wolfgang legte das Buch auf den Tisch und begann nachzugrübeln. War er wirklich ein Nachkomme jenes Mannes, der mit zertrümmertem Schädel im Sarge lag? War er wirklich das lebendige Glied, das aus der Gegenwart in die graue Vergangenheit hinüberragte?
Diese Frage bekam auf einmal eine brennende Bedeutung für ihn, und er faßte den Entschluß, nicht zu ruhen, bis er Licht in dieses Dunkel gebracht habe. Seine nächste Arbeit mußte natürlich die sein, von dem Tage des Ablebens der Gräfin Agnes bis auf den heutigen den Stammbaum zu vervollständigen. Wie sollte das gelingen? In seiner Hütte, das wußte er ganz genau, gab es keine Urkunden. Auf die Gewölbe durfte er auch nicht zu viel bauen, weil alle Eingänge und Öffnungen vermauert worden waren. Nichtsdestoweniger stieg er täglich mehrere Stunden in die Ruinen hinab, forschte und wühlte unablässig im Schutte umher. Wolfgang fand seine Ausdauer belohnt. Eine schwere eichene Truhe gebot Einhalt. In ihr entdeckte er, auf dickes Pergament gezeichnet, einen »Plan der Feilenhauersburg zu Kesselsheim«. Wertvoller war jedoch die Chronik derer von Feilenhauer. Sie rührte ebenfalls von der Hand der Gräfin Agnes her. Auf dem letzten Blatte stand von der zitternden Hand der Greisin geschrieben, ein Vermerk, den Wolfgang mit Spannung las: »Kurt, mein lieber Sohn, wenn Du heimkehrst, wirst Du gegen die Räuber Deiner Güter zu kämpfen haben und vielleicht die Erwerbtitel derselben verlangen müssen. Damit die Bosheit jener Räuber nicht darüber komme und die stummen Zeugnisse vernichte, habe ich heute die Schränke mit den Urkunden und den wertvollsten Büchern nach B. flüchten lassen. Dort liegt in der Sternengasse unser Haus zum Kometen. Darin wirst Du alles finden, was Du an Beweisen bedarfst.«.
Wolfgang hatte in B. seine Studien gemacht, aber nie von einer Sternengasse gehört. Es war aber doch möglich, daß sie ihm unbekannt geblieben war. Er nahm sich deshalb vor, schon am folgenden Tage nach B. zu gehen und seine Nachforschungen zu beginnen. Der Fund aber, den er unter seiner Hütte gemacht hatte, sollte fürs Erste sein Geheimnis bleiben.
Sorgfältig und unbemerkt deckte er den Eingang zu den Gewölben zu.