Herodot
Orientalische Königsgeschichten
Herodot

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Die List des Zopyrus

Unterdessen die Flotte nach Samos ging, fielen die Babylonier ab, nachdem sie die besten Anstalten dazu vorher gemacht hatten. Denn unter der Regierung des Magiers und bei der Empörung der sieben Fürsten hatten sie sich die Verwirrung zunutze gemacht und zur Aushaltung einer Belagerung alles veranstaltet, ohne daß man etwas davon gemerkt hätte. Als sie aber den Abfall ausbrechen ließen, erwählte ein jeder von den Weibern, die er in seinem Hause hatte, eine Frau, die ihm gefiel, die anderen brachten sie, ihre Mütter ausgenommen, alle zusammen und erdrosselten dieselben. Eine behielt ein jeder, ihm das Essen zu bereiten; die anderen brachten sie um, damit sie den Proviant nicht aufzehrten.

Sobald Darius (des Kambyses Nachfolger) hiervon Nachricht bekam, brachte er seine ganze Armee zusammen und belagerte die Stadt, welches ihnen aber keine Sorgen verursachte. Denn sie stiegen auf die Bollwerke der Mauer, tanzten auf denselben und verhöhnten den Darius und sein Kriegsvolk. Einer von ihnen sagte: Was liegt ihr hier, warum zieht ihr nicht ab? Ihr werdet den Ort alsdann einnehmen, wenn die Maulesel gebären. Das sagte ein Babylonier, welcher gar nicht glaubte, daß ein Maulesel gebären würde.

Es war nun schon ein Jahr und sieben Monate vorbeigegangen, daher Darius sowohl als das ganze Heer sehr verdrießlich war, daß sie Babylon nicht erobern konnten. Obgleich Darius allerlei Kriegslisten und Unternehmungen gegen sie versucht hatte, so wollte es ihm doch nicht gelingen. Er versuchte unter anderen auch die List, durch welche Cyrus die Stadt eingenommen hatte. Allein die Babylonier waren allzu wachsam, daß es nicht möglich war, sie zu überrumpeln.

Allein im zwanzigsten Monat geschah bei dem Zopyrus, einem Sohne des Megabyzus, welcher mit unter den sieben war, die den Magier stürzten, ein Wunderzeichen. Ein Maulesel von denen, welche ihm Lebensmittel zutrugen, brachte ein Füllen zur Welt. Als ihm dieses berichtet wurde und es ihm unglaublich vorkam, nahm er das Füllen selbst in Augenschein und verbot denen, die es gesehen hatten, etwas davon bekanntzumachen, ging aber dieser Sache wegen mit sich selbst zu Rate. Nach den Worten des Babyloniers, welcher im Anfange gesagt hatte, die Mauer würde alsdann, wenn Maulesel geboren hätten, erobert werden, glaubte er ein gutes Zeichen zu haben, daß Babylon nun eingenommen werden könnte; denn das sei von Gott, daß jener die Worte gesprochen und daß eben ihm ein Maulesel geboren habe.

Nachdem ihm also die zu der Eroberung Babylons bestimmte Zeit da zu sein schien, ging er zu dem Darius und fragte, ob ihm sehr viel an der Einnahme der Stadt gelegen sei. Wie er hörte, daß Darius nichts mehr wünschte, überlegte er, wie er der Eroberer werden könnte, daß man ihm das Werk zuzuschreiben hätte. Denn tapfere Taten werden bei den Persern sehr hoch geachtet und mit hoher Ehre belohnt. Er stellte sich aber vor, es sei auf keine andere Weise möglich, das Werk für sich selbst auszuführen, als wenn er sich selbst verstümmelte und alsdann zu ihnen überliefe. Er sah dieses als eine leichte Sache an und verstümmelte sich selbst auf die schändlichste Weise; denn er schnitt sich selbst Nase und Ohren ab, verschor das Haar auf eine schimpfliche Art, geißelte sich selbst und kam darauf zu dem Darius.

Diesem war es überaus schmerzlich, einen so vortrefflichen Mann so verstümmelt zu sehen. Er sprang vom Stuhle, schrie und sprach zu ihm, wer ihn so verstümmelt hätte und aus was für Ursachen es geschehen. Niemand anders als du, gab er zur Antwort, du hast allein Macht, mich so zuzurichten. Kein Fremder, o König, hat dieses getan; ich habe selbst an mir so gehandelt, weil ich es für unerträglich halte, daß die Assyrier die Perser verlachen. Du Unglückseligster unter den Persern, versetzte der König, gibst der häßlichsten Handlung den schönsten Namen, indem du sagst, du hast dich um der Belagerten willen so unanständig zugerichtet. Werden sich, du einfältiger Mensch, die Feinde deswegen geschwinder ergeben, weil du dich verstümmelt hast? Bist du unsinnig geworden, daß du dich selbst verdorben hast? Zopyrus aber gab diese Antwort: Wenn ich dir vorher angezeigt hätte, was ich tun wollte, würdest du mir es nicht verstattet haben; daher habe ich es für mich allein getan. Nun wollen wir, wenn es an deinen Leuten nicht fehlen wird, Babylon einnehmen. Denn ich will, so wie ich jetzt aussehe, in die Stadt übergehen und vorgeben, ich wäre von dir so mißhandelt worden; wenn sie dieses glauben, so denke ich, die Armee unter meine Befehle zu bekommen. Du aber schicke am zehnten Tage von diesem an gerechnet tausend Mann von solchem Volke, an dessen Verluste eben nicht viel gelegen ist, nach dem Tore der Semiramis: ferner sieben Tage darauf zweitausend andere gegen das Tor der Ninier; alsdann nach zwanzig Tagen laß viertausend gegen das Tor der Chaldäer führen und sich daselbst setzen; gib ihnen aber keine anderen Waffen, sich zu verteidigen als die Degen. Zu Ende der letzten zwanzig Tage laß die übrige Armee von allen Seiten gerade auf die Mauer anrücken; die Perser aber stelle gegen die Tore, welche die belidischen und kissischen genannt werden; denn wenn ich erst einige große Dinge verrichtet habe, so werden mir die Babylonier, wie ich vermute, alles und selbst die Torschlüssel anvertrauen. Alsdann laß mich und die Perser sorgen.

Nachdem er diese Verfügungen gemacht, ging er nach dem Tore zu und sah sich oftmals um, als wenn er ein wirklicher Überläufer wäre. Indem ihn nun die von den Türmen sahen, welche eben dazu bestellt waren, liefen sie herunter, machten den einen Torflügel etwas auf und fragten ihn, wer er wäre und warum er käme. Er meldete ihnen, daß er Zopyrus sei und als ein Überläufer zu ihnen komme. Auf diesen Bericht brachten ihn die Torwächter vor die Ratsversammlung der Babylonier. Als er vor derselben stand, tat er kläglich und sagte, so übel sei er von Darius zugerichtet worden und habe diese Schmach darum leiden müssen, weil er geraten, er solle die Armee wieder abziehen lassen, indem sich gar keine Möglichkeit der Eroberung zeige. Nun, sagte er, komme ich euch zum größten Vorteil und den Persern zum größten Nachteil. Denn er soll mich gewiß nicht umsonst so verstümmelt haben. Ich weiß, wohin alle seine Anschläge gerichtet sind.

Da die Babylonier einen der vornehmsten Männer von den Persern sahen, welchem Nase und Ohren abgeschnitten und dessen Leib mit Striemen und Blut bedeckt war, und also gar nicht zweifelten, daß er die Wahrheit sagte und ihnen zu helfen käme, so waren sie bereit, ihm alles, was er bitten würde, zu bewilligen. Er bat sich Kriegsvolk aus, und als er das bekommen, tat er, was er mit Darius verabredet hatte. Denn am zehnten Tage führte er das babylonische Volk hinaus und umringte die tausend Mann, welche Darius nach seiner Verfügung zuerst abgeschickt hatte, und machte sie alle nieder. Indem also die Babylonier sahen, daß die Tat mit seinen Worten übereinstimmte, hatten sie eine große Freude und waren bereit, ihm zu allen Dingen Folge zu leisten. Nach dem Verlaufe der bestimmten Zeit tat er mit den Babyloniern, welche er ausgelesen hatte, einen neuen Ausfall und hieb die zweitausend Soldaten des Darius nieder. Wegen dieser zweiten Tat erschallte alles von dem Lobe des Zopyrus. Er ließ wiederum die bestimmten Tage vorbeigehen, führte alsdann die Babylonier an den vorhergemeldeten Ort, umringte die viertausend Mann und machte sie gleichfalls nieder. Nach dieser neuen Verrichtung war Zopyrus alles in allem bei den Babyloniern, und man überließ ihm das Oberkommando der Armee und die Verteidigung der Stadt.

Als aber Darius zu verabredeter Zeit auf die Stadt von allen Seiten einen Angriff tat, ließ Zopyrus seine ganze Betrügerei offenbar werden. Denn die Babylonier stiegen auf die Mauer, die stürmende Armee des Darius zurückzuschlagen; Zopyrus hingegen öffnete das kissische und belidische Tor und ließ die Perser in die Stadt. Die Babylonier, welche dieses sahen, flohen in den Tempel des Jupiter Belus; die es nicht sahen, blieben auf ihren Posten, bis sie auch erfuhren, daß sie verraten waren.

So ist Babylon zum andernmal erobert worden. Darius aber ließ, sobald er sich der Stadt bemächtigt hatte, nicht allein einen Teil der Mauern abwerfen und die Tore abreißen (von welchen beiden Dingen Cyrus bei der ersten Eroberung keins getan hatte), sondern auch dreitausend der vornehmsten Bürger und Anführer kreuzigen, den übrigen Babyloniern gab er die Stadt von neuem zu bewohnen. Damit sie aber Weiber hätten und Kinder zeugen könnten, brauchte Darius diese Vorsorge (denn ihre eigenen Weiber hatten die Babylonier, wie oben angezeigt worden, den Proviant zu erhalten, erdrosselt): Er befahl den umliegenden Völkern, so viel Weiber, als ihnen bestimmt wurde, nach Babylon zu liefern, so daß derselben eine Anzahl von fünfzigtausend zusammenkam, von welchen Frauen die jetzigen Babylonier herstammen. Die große und edelmütige Tat des Zopyrus hat nach dem Urteil des Darius keiner von den Persern weder vorher noch nachher übertroffen, als allein Cyrus. Denn mit diesem hat sich kein Perser jemals in Vergleichung gestellt zu werden würdig erkannt. Darius soll aber oftmals den Ausspruch getan haben, er wolle lieber den Zopyrus ohne diese unanständige Verstümmlung sehen, als noch zwanzig solche Städte wie Babylon gewinnen. Er erwies ihm auch große Ehre. Denn alle Jahre gab er ihm solche Geschenke, welche bei den Persern am höchsten geachtet werden; und Babylon gab er ihm auf seine Lebenszeit, ohne davon irgendwelche Gaben abzutragen. Ein Sohn dieses Zopyrus war Megabyzus, welcher in Ägypten als Feldherr gegen die Athener und ihre Bundesgenossen kommandiert hat. Aber Megabyzus hinterließ den Zopyrus, welcher von den Persern nach Athen übergegangen ist.


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