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Guten Leuten und schlechten Musikanten mögen die Haare zu Berg stehen, aber es ist doch so: Worte und Versprechungen galten, gelten und werden in der Politik so wenig gelten als im Handel. Auch die Politik kreditiert nicht ohne Hypotheken. Der politische Rechtstrieb hilft nichts, wenn man nicht ein genügendes Unterpfand in Händen hat. Sonst wären die Kasseler mit ihrem Kurfürsten, die Schweizer mit dem Bürger von Salenstein weiter gekommen. Verträge werden nur so lange gehalten, als man ein Interesse hat, sie zu halten, oder nicht die Macht, dieselben zu brechen.
Politik und Moral sind zweierlei. Tugend ist eine schöne Gegend, aber eine schöne prima donna soll vor allem gut singen und ein Staatsmann vor allem gut spielen. Der letztere darf nie vergessen, daß er möglicherweise einen Partner hat, der ihn überlisten will und den er mit bloßer Rechtlichkeit nicht aus dem Sattel heben wird. Noble Redensarten sind Sprenkeln für die Drosseln. Politik ist ein sehr schmutziges Handwerk, und wer sich die Finger nicht besudeln kann, soll sie davon lassen. Politik ist vor allem aber die große Kunst eines Fürsten, seinen Nebenfürsten zu düpieren.
Diese verruchten Gedanken stiegen in uns auf, als wir hörten, daß Louis Napoleon den deutschen Fürsten einen Besuch in Baden abstatten wollte, Louis Napoleon, der Mann, welcher den Bruch zwischen Moral und Politik am gründlichsten vollzogen und die absolute Gewissenlosigkeit zur Richtschnur seines Handelns gemacht hat. Der Hecht, wie ihn der Hallenser Löwe nennt, kommt soeben von einem seiner gelungensten Raubzüge, er hat Savoyen und Nizza verschluckt, seine Soldateska hat ihm Vivat dafür gerufen und seine Epiciers haben illuminiert. Wir stellen uns nun vor, wie ihn die Karpfen in Baden-Baden – mit obligaten Reverenzen empfangen. Einige Physiognomien überraschen ihn durch ihren vollständigen Mangel an Intelligenz. Er faßt sich jedoch schnell und redet sie ungefähr folgendermaßen an:
»Meine lieben Karpfen, haben Sie keine Furcht vor mir! Ich bin kein Aschantee, kein Oger, kein Menschenfresser. Ich gleiche weder Rinaldini noch Garibaldini, Ich bin ein gewöhnlicher Hecht. Und wenn man Ihnen gesagt hat, daß ich Zähne besitze, so ist das allerdings schwer zu leugnen, aber ich besitze diese Zähne nicht, um damit zu beißen, sondern nur, um mir von Ihnen auf den Zahn fühlen zu lassen. Treten Sie einmal gefälligst näher, Sie kleiner Ostphale; Sie, bravster Monarch, lassen Sie Ihre neue Eisbüchse in Ruhe, und Sie, scharfsichtiger Hannoveraner, lassen Sie sich vom Herrn Grafen Borries den Arm geben; erschrecken Sie nicht, blinder Hesse! Der Hecht ist Ihr bester Freund, und an allen Mißverständnissen zwischen uns sind nur ein paar dumme Jungen schuld, welche Steine ins Wasser geworfen und die guten Karpfen alarmiert haben. Diesen dummen Jungen muß jetzt ein Maulkorb angelegt werden. Nehmen Sie sich die französische Presse, zum Muster, Soll ich Ihnen etwa einige meiner Lumpaci abtreten? Wollen Sie den Limayrac? Wollen Sie Joncières, mein alter ego? Wollen Sie meinen Schiller aus der Patrie? Wollen Sie jemanden vom Constitutionnel oder wünschen Sie meinen Havin vom Siècle? Was soll diese Aufregung? Wozu wird sie führen? Zu einem deutschen Parlament? Mit einem Parlament können Sie bei Ihrem beschränkten Fürstenverstand nicht regieren. Und wohin wird das Parlament Sie führen? Zu einem Kriege mit mir, mit Frankreich? Zu einem Kriege, in welchem ich meinen Thron vielleicht, Sie aber den Ihrigen ganz sicher verlieren, wenn's Ihrem Volke ernst ist. Dreißig Karpfen werden mit keinem Hecht fertig. So viel Einsicht haben selbst die Deutschen. Nehmen Sie also Vernunft an. Beschwichtigen Sie vor allem diese Aufregung gegen Frankreich. Es ist ja nichts leichter, als den Ochsen, die da dreschen, das Maul zu verbinden und z. B. den Hermann Orges hinzuschicken, wo der Pfeffer wächst, wie ich mit den Feinden der öffentlichen Ordnung zu tun pflege. Überlegen Sie sich's, ob's nicht in der Tat vorteilhafter für Sie wäre, das halbe Deutschland an mich abzutreten, als das ganze in die Hände der Demagogen zu spielen! Sie wissen, ich brauche jetzt nur abstimmen zu lassen, und Europa, Asien und Afrika fallen mir zu. Durch die Erfindung, die ich gemacht habe, jeden, der für mich stimmt, hundert, jeden, der gegen mich stimmt, nur einen Stimmzettel abgeben zu lassen, bin ich meines Erfolges gewiß. Aber keine Furcht! Ich bin gekommen, um Öl in die aufgeregten Wogen zu gießen, um Frieden zu bringen und Sie meiner besten Absichten zu versichern. Nur verlange ich ein öffentliches Vertrauensvotum von Ihnen, sonst spiel ich die letzte Karte aus, die ich aus meiner Demagogenzeit mir zurückgelegt habe die Revolution. Wissen Sie, was das für Sie bedeutet? Lassen Sie Vertrauen blasen nach allen vier Weltgegenden. Sagen Sie Ihrem Volk, wie uneigennützig ich bin und wie ich mir höchstens einmal gelegentlich die Wiedererstattung meiner Reisespesen ausbedingen werde, etwa Landau und Saarlouis. Laichen Sie ruhig weiter auf Ihren Thronen und Thrönchen; weder Rogen noch Milch sind bedroht. Es ist nicht wahr, daß ich Sie in brauner Sauce verspeisen wollte. Karpfen, rettet die Zivilisation und – embrassons-nous!«
Die Karpfen sind gelehrig; wir haben welche gekannt, welche auf das Zeichen einer Glocke zur Fütterung herbeikamen. Die Karpfen versprechen dem Hecht, die Zivilisation gemeinschaftlich mit ihm zu retten. Louis umarmt ein Dutzend Deutschländer; Vertrauensgruppe; die Flügeltüren werden geöffnet. Die Croupiers von Baden sind sehr gerührt. Europa ist beruhigt. Deutschland ist beruhigt, der »Schwäbische Merkur« ist beruhigt, vor allem aber ist einer beruhigt, Er. Er fühlt, daß Er jetzt schlafen könne den Schlaf des Gerechten, denn seine Augen haben gesehen Hessen und Baden, Württemberg und Bayern, Nassau und Hannover, Koburg und Weimar, seine Augen haben gesehen den Jakobus Venedey, der sein »Paradies« verlassen und herübergekommen ist von Badenweiler, sie haben gesehen endlich den großen Spiegelkarpfen von Preußen. Der Hecht hat sich mit ihnen gemessen und sich wahrlich nicht zu klein gefunden. Er hat ihnen allen gegeben Instruktionen, und sie werden diese Instruktionen getreulich befolgen. Adieu, Presse! Adieu, Parlament! Adieu, deutsche Einheit! Du wirst nicht, wie wir vor einigen Tagen meinten, statt zu »Fleisch« zu Wasser werden; du wirst werden zu Wasser und Brot mit Einzelhaft für jedes Mitglied des Nationalvereins. Der erhabene Erschießer von Rastatt, dein man die Fahne der Reichsverfassung in die Hand geben will, die er einstens in Blut und Kot getreten, wird Mittel finden, auch mit den neuen Trützzschlern in derselben ritterlichen Weise aufzuräumen, wie solches im Jahr ohne Gnade 1849 geschehen ist. Wir rufen dies den Herren mit kurzem Gedärm ins Gedächtnis zurück.
Nun aber geht hin, ihr politischen Kindergärtner, ihr Ammen und Hebammen des deutschen Volks, gängelt es weiter an der schwarz-rot-goldenen Nabelschnur und predigt das Evangelium des Vertrauens. Die Fürsten sind mit dem Jahr 1860 plötzlich so tugendhaft und moralisch geworden wie ein deutsch-katholischer Pastor. Der blonde Sekretär des Parlaments der Zukunft hat den schwarzen Bösewicht der florentinischen Republik ein für allemal abgetakelt. Vertrauenl Vertrauen! Was machen die vierzig Millionen lieben Kleinen ? Habt acht, daß sie nicht fallen, nicht in Versuchung fallen, sondern ordentlich weiter beten: »Landesvater unser, der du bist, der du warst, der du sein wirst.«
Edler Spiegelkarpfen, du hast vier Bartfäden, sagt die Naturgeschichte, die im Jahr 1849 nicht abgerissen sind, an sie wollen wir unsere Hoffnung knüpfen. Deine Schuppen können groß werden wie ein Achtgroschenstück; dein Name sei gepriesen, und du sollst gebieten über Weißfische und Goldfische, über Barben und Schleien und über sämtliche Grundeln in den deutschen Infusionsstaaten. Du sollst gebieten über die ganze Karpfenfamilie, bis der Hecht wieder einmal kommt und den Karpfen, namentlich den Rheinkarpfen, die Schuppen nicht nur von den Augen, sondern vom ganzen Leibe fallen. – – – – Mein Gott! ist denn kein Brutus unter den Hofräten in Heidelberg?!