Franz Hessel
Laura Wunderl
Franz Hessel

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4.

Die folgenden Tage wartete ich immer auf ein Wort von der Laura. Sowie etwas Weißes in meinem Briefkasten stak, dachte ich: endlich. Aber dann war es nicht von ihr.

Einmal war ich schon fest entschlossen, einfach zu ihr hinzugehen. Doch da regte sich mein Stolz: sie sollte selbst an mich denken, zu mir wollen.

Manchmal stand ich auch in der Abenddämmerung am Fenster und dachte: wenn du recht lange und geduldig hinausschaust, kommt sie am Ende. Aber sie kam nicht.

Die Freunde Wedel und Rübezahl fragten mich immerzu nach ihr und ich konnte ihnen keinen Bescheid geben, bis ich endlich nach vierzehn langen Tagen (am Karnevalsonntag wars), diesen Brief erhielt.

Geehrter Fritz!

Im Gefängnis da gibts keine rechte Seife, kein Zahnbürstl und nichts was man braucht. Aber die andern Mädchen kriegen von auswärts Geld, gebens dem Beschließer und der holt ihnen alles. Wenn du mir was schicken könntest, lieber Fritz, ich wäre dirs immer dankbar.

Lieber Fritz, ich bin so müd immer, entschuldig die schlechte Schrift mit dem Bleistift. Ich lieg hier neben einer Großen, die mich lieb hat, und sie hat ein Buch im Schoß. Darauf schreib ich, bis der Beschließer kommt und uns voneinand jagt. Denn wir sollen nicht zusammen sein und sind doch alle in ein großes Zimmer gesperrt. Da waren zwei schöne große Mädchen. Die haben auf einer Streu geschlafen. Und weil sie sich lieben, so flechten sie ihr Haar zusammen. Den hat ers Haar verschnitten, mitten in der Nacht. Wo wir doch sonst keine Liebe haben und können dochs Liebhaben nicht so einfach lassen, nicht wahr? Es gewöhnt sich doch. Aber dann gibts Schläg.

Wie ich hierher gekommen bin, das soll dir Mutter Milly sagen. Ich bin nun zu müd. Ist auch zu fad. Ach, Fritzl, all meine Lustigkeit ist hin. Finster ists hier und riecht sauer nach dem Rock von dem, der wo hier stöbert.

Diesen Brief nimmt eine mit, die heut frei kommt, sonst werden alle Briefe nachgesehen, weißt du. Wenn ich dich nochmal sehen sollte, 23 will ich dich sehr viel küssen für alle Lieb, die du an mir getan hast. Es grüßt dich

Deine auf wiedersehende

Laura.

Ich brachte rasch Geld auf die Post und lief an tutenden Kindern und bunten Masken vorbei durch den Konfettiregen zu Lauras Wirtin. Da erfuhr ich denn, dass die Laura von der Polizei überrascht worden sei. Sie hatte keinen Schein. Aber sie würde wohl bald wieder frei kommen, dann wollte die Alte sie gleich zu mir schicken.

Nun hieß es rasch die Tage vertreiben. Dazu war der Karneval gut. Ich lief gleich zu Rübezahl, der vielerlei Kostümfetzen hatte, er steckte mich in einen blauen Dachauer Rock und drückte mir einen großen schwarzen Hut auf den Kopf bis über die Ohren. Unter dem Hut blieb ich zwei Tage und zwei Nächte. Und davon wurde mir dumpf im Kopf. Das tat mir gut.

Rübezahl hatte einen langen Biedermeierfrack an mit engen Hosen und hohen Vatermördern. Dazu kam dann noch Wedel als weiß gekleideter und gepuderter Pierrot und andere Freunde. Und so liefen wir in der Stadt herum, drehten Laternen aus, küssten geschminkte Lippen, rieben uns die angeflogenen Konfetti aus den Augen und bewarfen die anderen mit unserm Vorrat.

Am Montag Abend war ich einmal mit dem Rübezahl allein. Wir saßen im automatischen Restaurant und tranken Kaffee. Er rauchte an seinem Zigarrenstummel und redete über die »Weiber«.

»Die ruhigsten, das sind die besten, mein Sohn. Fall nur nie auf Temperament herein. Ich werde dir mein schönstes Abenteuer erzählen. Da bin ich mal einer begegnet. Schlank, stumm. Schielte ein wenig. ›Darf ich Sie begleiten?‹ sagte ich. – ›Wenn Sie wollen.‹ – Na, sie war für München recht wohl gekleidet und so schlug ich ein besseres Lokal vor. – ›Wenn Sie wollen‹, sagte sie. – ›Darf ich Sekt bestellen?‹ – ›Wenn Sie wollen.‹ Nun fragt ich nach Nam und Art. – Sie war mit einem Dresdner Maler verheiratet gewesen, der hätt sie so oft gefragt, ob sie ihn wirklich liebte, bis sie davongelaufen wär, hierher zur Mutter zurück. – ›Na und die Mutter lässt Sie so allein herumgehen?‹ – ›Warum nicht?‹ – ›Trinken wir noch einen Tee bei mir?‹ – ›Warum nicht?‹

Wie es nun zwei Uhr Nacht wurde beim Teetrinken, sagte ich: ›Sie werden jetzt zu müde sein zum Heimgehen, darf ich Ihnen mein Bett 24 anbieten?‹ Ja, das durfte ich. Da lag sie nun in einem langen weißen Hemd und schielte. ›Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?‹ fragte ich. – ›Wenn Sie wollen.‹

Na, ich versichere dich, ich war nie so verliebt. Sie war still und hatte nichts dagegen; nur einmal hat sie etwas stärker geschielt, das deutete ich zu meinen Gunsten.«

 

Während er erzählte, hatte sich eine rotbäckige, rundliche Blondine an den Nebentisch gesetzt, einen Haufen runder und eckiger Pakete rings um sich verbreitet und aß nun nachdenklich an einem Schinkenbrot. Rübezahl sah schon beim Erzählen bisweilen zu ihr hinüber. Nun fiel endlich eins von den Paketen herunter und rollte zu uns. Rübezahl hob es auf, überreichte es ihr mit einer umständlichen Verbeugung und sagte: »Sie haben aber viel Pakete, Fräulein, was haben Sie denn Schönes angeschafft?«

»Die Pakete sind nicht für mich, die sind für meine Hunde.«

»Hunde?«

»Ja, in der Garderobe darf ich sie nicht lassen, der Direktor erlaubts nicht.«

»Was tun Sie denn mit den Hunden?«

»Ich bin doch Dresseuse. Und während dass die Hundln sich abkühlen, gehe ich immer vom Varieté hier herüber und ess was. Nachher hol ich die Hundln und bring sie heim.«

»Gewiss ein sehr anstrengender Beruf.«

»Es gewöhnt sich. 'S ist nur schlimm, wenn einem die Tiere eingehen. In Berlin da hatt ich so schöne Foxe und die sind mir all eingegangen, weil der Käfig feucht war. Da hatt ich nichts zu essen zwei Tage lang. Dann hat sich der Herr Schnellmaler Mink meiner angenommen und hat mirs Schnellmalen beigebracht.«

»Das ist gewiss recht schwer. Ich selbst bin nur ein langsamer Maler und hab schon Müh genug.«

»Mit Landschaften wärs nicht so schwer. Die hab ich bald gekonnt. Aber die Köpf . . . Herr Mink war ein Künstler. Er hat früher sogar mal ausgestellt. In der großen Pommerschen Landesausstellung. Das ging ihm noch nach. Eine schöne Samtjoppe hatte er. Die zog er morgens immer übers Hemd an und rauchte Zigaretten. Es war eine schöne Zeit. Aber dann musste er fort, eh ichs Schnellmalen ganz erlernt hatte. Und da haben mich die Herrn Jongleure übernommen. Die brauchten 25 eine Dame zum Zureichen und fürs Honneur. Und wo ich doch die gleiche Figur hatte, wie die vorige, die wieder Friseuse geworden ist, so konnt ich ihre Kleider mit übernehmen.

Da bin ich weit herumgekommen. Zuletzt waren wir in Brüssel, aber dann hatt ich wieder Lust, mich selbstständig zu machen, und der Jemmy, der mich lieb gehabt hat, der hat mir ein Geld gegeben. Davon hab ich mir in Hamburg ein paar Pudel gekauft. Mit denen reis ich jetzt. Jetzt tu ich sie auch nicht mehr in den Käfig, sondern halt sie bei mir im Zimmer. Sie müssen mich mal besuchen kommen und meine Hundln anschauen.«

Ja, das wollten wir wohl und nächstens kämen wir ins Varieté, sie auftreten zu sehen.

Jetzt aber, meinte der Rübezahl, jetzt sollten wir uns eine vergnügte Nacht machen auf seinem Atelier.

Sie musste erst noch die Hunde heimbringen. Indessen kauften wir zwei Flaschen Automatensekt, erwarteten sie im Café und fuhren dann per Droschke zu ihm.

Sie saß auf Rübezahls Knien und schnalzte mit der Zunge. Da ich gegenüber saß, fing ich nun auch an, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

»Was ist denn das für einer, dein kleiner Freund?«

»Das ist noch ein junger Hund«, sagte Rübezahl.

»Umso besser zu dressieren«, meinte die Hundedame.

 

Auf dem Atelier malte sie erst mit Rübezahl um die Wette schnell, und ihre Landschaft stand eher auf der Leinewand als seine.

Dann tat der Sekt seine Wirkung: es wurde Dressur gespielt. Rübezahl bellte so schön, dass sie sich vor Lachen nicht halten konnte.

Zuletzt schaukelte sie wild auf dem Schaukelstuhl auf und ab und las uns einen Liebesbrief von Jemmy vor: »Oh kleine Dogsmiss, arbeiten du noch mit Dogs? Wir arbeiten immer noch Brüssel. In Pause und auf Bude ich lieben dich viel. Oh, kleine Dogsmiss, wir haben gut können dressieren der Liebe. Oh man muss können arbeiten. Diesen Winter ich werde arbeiten Budapest, wo sind schöne Weiben . . .« Und so gings immer weiter. Wenn sie beim Lesen einhielt, gab ihr Rübezahl aus der Flasche zu trinken. Ihr Stuhl schaukelte immer langsamer, der Kopf sank auf die Brust und der Liebesbrief fiel auf die Erde.

Da legten wir sie in Rübezahls Bett, deckten sie zu und gingen wieder in den Karneval zurück. 26

 

In der Dienstagsnacht waren wir im Luitpold. Ich sah wohl sehr müde aus. Das nahmen alle für Maske und fanden mich sehr gelungen.

Einmal kam das Kätchen vorbei als fleischfarbene Fee: »Gelt, du bist ein Schlimmer, hast mich ganz vergessen. Dafür hab ich jetzt einen lieben Schatz.«

»Und ich keinen«, sagte ich und ging weiter.

Und die Nina kam an Wedels Arm und wollte mich küssen. Warum ich nicht küssen wollte, fragte sie, als ich auswich; Küssen war doch was Schönes. – Ich fänd's auch sehr schön, sagte ich, aber ich taugte nicht dazu. Da lachten sie alle.

Ich trank viel Sekt und Kaffee und Bier und wieder Kaffee und wieder Sekt, und als wir später noch im Stephanie waren, schlief ich immerzu an Wedels Schulter ein, wenn es einen Moment stiller wurde. Da saßen dicke Bürger und blasse Studenten und fleckig geküsste Mädchen, alle aßen Weißwürste.

Dann nahmen mich die Freunde zwischen sich in eine Droschke, und es ging rasend schnell und quälend langsam an drehenden Plätzen und auf steigenden und sinkenden Straßen hin bis in Rübezahls Atelier.

Dort wurde ich neben die Hundedame aufs Bett gelegt; sie wollte mir den Hut abnehmen, um mir ins Gesicht zu sehen. Aber ich wehrte mich, zog ihn tief in die Stirn und schlief in den grauen Aschermittwoch hinein.

 


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