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8.

Das Paradies

Eigentlich handelte ich doch ein bischen schlecht. Die blonde wunderliebliche Gräfin im Wagen, oder vielmehr in meinem Kopfe, hatte mein Herz wie eine Wetterfahne gedreht; an Lina und Gustchen dachte ich nicht. Das holde Grafen-Gesichtchen ließ sich gar nicht von den Augen wegbringen, ich hatte es nur einige Minuten gesehen, und hätte es doch malen wollen; die Züge waren mir damals gleich so bekannt gewesen; mein Blick weilte auf dem Phantasiebilde der zarten Gräfin, mit einem dunkeln Gefühl der Erinnerung, und doch besann ich mich durchaus nicht, wo mir dieses reizende Wesen je erschienen seyn könne.

Mein heimathliches Dorf und das Endchen von der Residenz, war ja damals noch meine ganze Welt, und die Bewohner der Häuser, in denen ich hier verkehrt hatte, konnte ich an den Fingern herzählen – nirgends wollte sich da etwas von einer Gräfin finden! Bei Herrn Michaelis, meinem Clavierlehrer, hauste ein knochendürres Mamsellchen, das seine sechszig zählte; – bei Herrn Victorieux, meinem Tanzmeister, – halt – bei Herrn Victorieux! – da war, unter einem Chor junger Mädchen vom Theater, das ich einmal dort in der Tanzstunde traf, die goldgelockte Josephine, die leichte Hebegestalt mit dem großen blauen Auge, dem kurzen Rosakreppschürzchen, und dem verführerischen seidenen Mieder – das war die Gräfin Gorm, die im Wagen saß und lachte, die den Juden abfand, die mir jetzt den Doppelfritz zugedacht hatte. – Aber die Gräfin Gorm aus dem uralten Geschlechte der Scioldinger, aus dem Stammhause der ersten Dänen-Könige, Die ersten Beherrscher von Dänemark, Norwegen und Schweden, waren bekanntlich Odin der Wunderbare, Rollo und Sciold. Ein Sprößling des letztern war Gorm der Alte, der im Jahr 920 Jütland eine Constitution gab, das ganze Dänenland seinem Zepter unterwarf, und von der Geschichte als der erste König von Dänemark genannt wird. wie sollte die mit den Balletstatisten in der Tanzstunde des Herrn Viktorieux zusammen kommen!

In dem Augenblicke trat der Herr Professor mit Gustchen aus seinem Zimmer. Er sah mild und freundlich aus, wie ich ihn lange nicht gesehen.

Du hast, hob er an: meiner Tochter mit dem Rosenstocke eine Freude machen wollen; dafür bin ich Dir Dank schuldig; aber sprich, wo hast Du das Geld hergenommen, ihn zu bezahlen?

Der Antwort absichtlich ausbeugend, bat ich, mich in Gustchens Gegenwart mit dieser Erörterung zu verschonen. Er nahm die Zartheit dieser Bitte mit Wohlgefallen auf, und sagte: zur Gräfin kannst Du nicht, dazu habe ich meine Ursachen. Der Graf, ein liederlicher Patron, hat einmal Unterricht bei mir nehmen wollen, ich wies ihn aus Gründen ab, und bin seitdem mit dem Hause zerfallen. Damit Du aber siehst, daß ich für die Aufmerksamkeit, die Du Gustchen bewiesen, auch dankbar seyn kann, schenk ich Dir diesen halben Gulden; Du bist noch nicht in der Oper gewesen; heute ist ein großes Meisterwerk. Eben hat es halb acht geschlagen: wenn Du läufst, kommst Du noch zu rechter Zeit.

Nur wer so blutarm ist, als ich es war, wird das Entzücken ermessen, das mich durchschauerte, bei dem Gedanken, heute – jetzt – diesen Augenblick die erste Oper zu sehen. Ich vergaß alles, das Goldstück, die Gräfin, Gustchens Puppenhochzeit, Lina, mich, küßte dem Professor die Hand, eilte auf mein Zimmer, und stürzte zum Hause hinaus.

Dicht vor dem Opernhause begegnete mir die Gräflich Gormische Equipage, die leer zurückfuhr. Also war meine Gräfin auch in der Oper! Wohl schnitt mir es durch das Herz, als ich die Pferde, den Wagen, den Kutscher, die Bedienten sah, die alle meinen Rosenstock vernichten halfen. Doch – hol' der Henker den Rosenstock, der ja doch einmal verblüht wäre; die Oper, die Oper!

Ich drängte mich an die Casse. Das gelöste Billet in der Hand, stürmte ich an die erste, beßte Thür.

Oho! rief ein auf mich zukommender Logenschließer: das ist die Gräflich Gormische Loge, die ist abonnirt.

Nun da will ich eben hinein, entgegnete ich, und hielt ihm mein Billet trotzig unter die Augen.

Sachte, sachte, erwiederte er mit einem spöttischen Blicke auf das Billet: Sie kommen höher hinauf.

Ich Mittelloser, noch höher als die Gräfin Gorm! dachte ich, und wußte nicht, wie ich vom Herrn Professor eine solche Auszeichnung verdient hatte; ich wäre gern unten bei der Gräfin geblieben.

Höher hinauf, sagte der Logensteher des zweiten Ranges, als ich ihm mein Billet wies, und ich ward fast verlegen, denn ich fürchtete, nun durch die übergroße Güte des Herrn Professors, in eine Gesellschaft zu treten, in die ich mit meinem Anzuge und meinem ganzen Wesen gar nicht paßte.

Noch eine Treppe, entgegnete der Logenwärter des dritten Ranges, und ich machte mich gefaßt, nun zum Fürsten selbst zu kommen, kam aber sogar ins Paradies.

Ich wurde eingelassen und merkte nun wohl, daß ich nicht zu Sr. Durchlaucht gelangt war, und daß – eine neue mathematische Regel – die vier weniger seyn könne, als die eins. Ein hektischer Schneider ward mein Nachbar; er piepte beim Athemhohlen hörbar genug, um mir die ganze Oper mit seiner verwünschten Gurgelei zu verleiten.


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