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10.

Signora Libertini

Mehremale schon hatte ich einen langen Hals gemacht, um die Gräfin Gorm zu sehen. Bei schönen Stellen nickte die Küchenvirtuosin dem Notisten, und der Schneider seiner dicken Freundin zu. Ich hätte auch gern jemand haben mögen, mit dem ich meine Freude über die herrliche Musik hätte theilen können; aber es war niemand zu erspähen. Warum durfte ich nun nicht neben ihr sitzen, wie hier diese zwei Pärchen, die sich in süßer Traulichkeit umschlungen hielten, und was sie genossen, doppelt schmeckten. Daß sie Gräfin und ich nichts war, der kleine Umstand fiel mir gar nicht ein; sie war ja so freundlich gewesen, sie hatte ja so huldvoll gelacht; sie hätte gewiß nichts dagegen gehabt, wenn ich als Nachbar sie umschlungen hätte. Meine Höhe und der Zauber der Töne machte mich in meinen Träumen so kühn, als ich mich nie gefühlt hatte.

Der Vorhang flog auf. Ich war ganz Ohr, ganz Auge. Noch vor wenig Minuten einer Blondine, meiner Gräfin Gorm zu Füßen, huldigte ich jetzt der schwarzgelockten Prima Donna, Signora Libertini. Die hehre Gestalt, die blühende Wange, das blendende Weiß des vollen, schönen Halses, der üppigen Achseln, des frei- und hochwogenden Busens – das italische, glühende Auge; die anmuthigen Bewegungen, und nun die Stimme – diese Götter-Stimme! – Die Diagonale von meiner Höhe bis zu ihr hinab, war sehr bedeutend, und doch hätte ich jedes Wort verstanden, wenn es nicht Italienisch gewesen wäre; so deutlich tönte ihr Metall zu mir herauf.

In der Bravour-Arie erschöpfte sie ihre Kunst; sie hielt unter andern Minuten lang einen Ton sicher und fest, gab ihn immer stärker und stärker, sprang dann eine ganze Oktave höher, stieg dann noch vier, fünf Töne bis zu einer schwindelnden Höhe hinauf, zog da oben wieder einen langen, schönen Ton aus voller Brust, und schlug nun einen Triller, daß ich den Athem verlor. – Der Beifall brauste stürmisch auf; die Köchin rief Bravo!

Ich konnte vor Entzücken kaum zu mir selbst kommen. Ich wähnte, bis dahin gar nicht gelebt zu haben. Wie hatte ich sonst gehorcht, wenn Cantors Christel bei mir zu Hause das empfindsame Liedchen sang:

Jungfer Lieschen, weißt du was,
Komm mit mir in's grüne Gras etc.

Aber was war das gegen die Sphärenzauber der göttlichen Libertini!

Der Hof-Notist bat sich bei der Köchin noch ein Schlückchen aus, und meinte, es sey ihm bei der letzten Cadenz selber ganz schwindlich worden, er müsse sich wieder Courage trinken; und wenn ich der Noten mache, setzte er schluckend hinzu: noch einmal so hoch, sie klettert mit ihrem Stimmchen, hol mich der Schneider! doch hinauf.

Keine Anzüglichkeiten! fiel der Kleidermacher empfindlich dem Hof-Notenschreiber in das Wort, und ward braunroth im Gesichte; die dicke Freundin aber beschwichtigte den Hektiker durch einen wohlgemeinten Ellnbogenstoß, durch den Zuruf: Hören Sie nur das ganz göttliche Rezitif, und steckte ihm einen dünnen Pfefferkuchen zu, auf welchem fünf Mandeln prangten.

Mich ekelten derlei liebliche Genüsse an. Für einen Kuß auf die reizvollen Lippen der Libertini hätte ich eine Welt gegeben. Doch, mir sollte noch Höheres werden.


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