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Eine venezianische Nacht

(1901)

 

Der Winter, der im Norden der Alpen ungewöhnlich strenge gewesen war, hatte auch die Ufer des Gardasees seine Macht fühlen lassen. Zwar waren hier nicht, wie an der Riviera di Ponente, die Olivenhalden erfroren, aber in den Gärten zwischen Salò und Gargnano doch auch allerlei edle Pflanzen eingegangen. Auch hier hatte sich der Frühling um einen ganzen Monat verspätet.

Als er endlich erschien, wurde er um so freudiger begrüßt. Unter Anderm kam der Mandolinistenclub von Salò auf den Gedanken, eine sogenannte venezianische Nacht zu veranstalten. Er ließ große rothe Zettel drucken, in denen die Besitzer der Gasthöfe und Villen am ganzen Ufer bis nach Fasano aufgefordert wurden, ihre Häuser mit Lampions zu illuminiren, desgleichen ihre Barken hell und lustig zu schmücken, und zwar im Wetteifer um den Preis, der für die schönste ausgesetzt worden sei.

Das ließen die Seeanwohner sich nicht zweimal sagen, und sobald an dem festgesetzten Abende die Dunkelheit hereinbrach, glommen an der ganzen Küste unzählige Lichter auf, bunte, mit Kerzen erleuchtete Ballons schaukelten sich in langen Guirlanden zwischen den Palmen und Lorbeerwegen, von den Balcons und Terrassen herab und an Stangen befestigt an Bord der großen und kleinen Fahrzeuge, die, zum Theil mit Blumen geschmückt, in die dunkle Seeflut hinausglitten. Von Salò aus aber setzte sich eine besonders große Barke in Bewegung, auf deren Bänken die zehn bis zwölf Mandolinisten saßen, etliche schöngeputzte Fräuleins zwischen ihnen, alle festlich beleuchtet durch die dichtgereihten bunten Lampions, die ihnen zu Häupten schwankten. Unter leisem Geschwirr der Saiten fuhr dies musikalische Schiff langsam das Ufer entlang, und die übrigen, wie dieser Zug herankam, schlossen sich an, so daß die kleine Flottille eine halbe Stunde brauchte, bis sie den Weg nach Gardone zurückgelegt hatte.

Überall, wo sie wieder einem Garten sich näherte, wurde sie durch ein aufflammendes bengalisches Feuer bewillkommt, während zugleich Raketen, Leuchtkugeln und Schwärmer von den Brustwehren der Gärten losgingen und mit Knattern und Zischen hoch gen Himmel saus'ten. Dort stand in seiner ruhigen goldenen Glorie der volle Mond und warf einen leichten Schimmer auf den bunten Menschentumult zu seinen Füßen und das ehrwürdige Schneehaupt des Monte Baldo.

Von einem der Landhäuser, wo eben ein kleiner Hafen im Bau war, lös'te sich auf einem Floß schwimmend ein hoher viereckiger, aus Holz und bemalter Leinwand errichteter Thurm, das Modell dessen, der später in festem Stein am Hafeneingang stehen sollte. Sobald der Schwarm der kleinen Schiffe zu ihm herankam, loderten rothe und blaue bengalische Feuer auf dem Grunde des Floßes auf, und vom Dach des Thurmes schoß eine kleine Girandola der verschiedensten Feuerwerkskörper in die Höhe. Dies neue und sehr phantastische Schauspiel wurde von der ganzen Flottille mit lautem Zuruf und Händeklatschen begrüßt. Die Mädchen unter den Mandolinisten stimmten das Lied an, das nie fehlen darf, wenn unter dem italienischen Volk gesungen wird, die jungen Leute fielen mit ihren Instrumenten rauschend ein zum Accompagnement der Santa Lucia, der Thurm setzte sich an die Spitze des Zuges, und so schwamm das lustige Spectakel in die schwarze stille Seeflut hinaus, zu großem Ergötzen der zuschauenden Bevölkerung, die sich auf den Höhen und in den Häusern ringsum in Menge gesammelt hatte.

*

Schon hatte das funkelnde, flammende und blitzende Gewimmel eine gute Weile sich herumgetrieben, und eine Menge Raketen, Schwärmer und Leuchtkugeln waren unter dem Geklimper der Mandolinen »mit Zisch und Zasch und Rackedakdakdak« in die blaue Luft versprüht, als von der kleinen Landungsstelle unweit des »Hôtel Gardone« ein schmaler, schmuckloser Nachen abstieß, an dem nur vorn und hinten je ein einzelnes Lampion an hoher Stange schwankte.

In diesem nachzügelnden Fahrzeug, das keine Eile zu haben schien, die versäumte Zeit einzuholen, saß ein junges Paar, durch die ganze Länge des Bootes getrennt, die Frau an der Steuerseite, der junge Mann auf der vorderen Ruderbank, Beide die schlanken Ruder im Takt ins Wasser tauchend.

Die Dame schien noch sehr jung zu sein. Doch aus dem fast mädchenhaft zarten Gesicht leuchteten zwei dunkle Augen mit einem Ausdruck stiller, etwas schwermüthiger Energie, und zuweilen, wenn sie irgend einen Willen äußerte, zogen sich die feinen Brauen zusammen und an dem kraftvollen Mündchen erschien eine kleine Falte, die dem Gesicht etwas Leidendes gab. Sie war ganz in Weiß gekleidet, ohne anderen Schmuck als ein paar sehr großer bläulich schimmernder Perlen in den feinen Ohren. Doch ein riesengroßer schwarzer Hut, von dem ein paar buschige graue Federn nickten, verschattete ihre weiße Stirn und die glatten, weichen Wangen. Wie geistesabwesend blickte sie in das Lichter- und Farbenspiel hinein; doch jedesmal, wenn eine Rakete mit lautem Knall in die Höhe schoß, fuhr sie leicht zusammen und schloß unwillkürlich die Augen.

Der junge Herr ihr gegenüber sah, während er kräftig die Ruder führte, unverwandt zu ihr hin und schien an dem bunten Schauspiel, an das sie nun herangekommen waren, nicht das geringste Interesse zu nehmen. Auch er war eine anziehende Erscheinung, das Gesicht nicht so regelmäßig schön wie das seiner Begleiterin, aber die grauen Augen unter der hohen Stirn von einem feinen Schnitt und über der Stirn ein dichter, kraftvoller Busch brauner Haare, während unter der geraden, charaktervollen Nase nur ein leichtes Bärtchen saß. Auch in seinen Zügen, so jung und kraftvoll sie waren, lag eine Traurigkeit, die der Feststimmung dieser venezianischen Nacht nicht weichen wollte.

Die junge Frau, als sie die lampenhelle Flottille erreicht hatten, hob die Ruder müßig in die Höhe. Auch er bewegte sie lässiger. Sie betrachtete halb belustigt, halb verächtlich den schwerfällig herumschwimmenden Thurm, der sich aus dem Schwarm der Barken hinaus auf die freiere Seeflut gerettet hatte, immer von neuem bengalischem Farbenschein umspielt.

Auf einmal fanden sie sich Bord an Bord neben der Mandolinistenbarke. Der volle Schein der vielen bunten Lampions fiel auf die beiden stillen Ruderer, und das schöne Gesicht unter dem Riesenhut leuchtete in all seinem blassen Zauber auf. Im selben Augenblick erhob sich einer der jungen Musikanten mitten in der Barke und begann mit einer weichen Tenorstimme, die aber von schwärmerischem Feuer durchglüht war, das bekannte Liedchen

Benedetta sia la madre,
Che ti fece cosi bella –

gegen die schöne Fremde gewendet zu singen, mit den schwirrenden Tönen seiner Mandoline sich begleitend. Seine Kameraden und die Mädchen neben ihnen hatten sich sämtlich umgedreht, spielten oder summten die Melodie mit, so daß die ganze Mann- und Weibschaft der Barke unisono in die Huldigung einstimmte.

Als der letzte Ton verklungen war, zog der Sänger sein schwarzes Hütchen, schwenkte es gegen den kleinen Nachen und rief: Evviva la bella Americana! – und evviva! evviva! fiel der Chor ein, während die Gefeierte sich mit einem reizenden Erröthen lächelnd von ihrem Ruderbänkchen erhob und grazie! grazie! rufend, sich gegen die junge Bande verneigte.

Auch die Bewohner der Villen am Ufer, die an den Brustwehren ihrer Gärten standen und von da aus die improvisierte lustige Scene mitangesehen hatten, betheiligten sich daran durch Zurufe und Tücherschwenken, und zum Schluß schoß gerade eine mächtige Strahlengarbe, ein Bouquet von Raketen und anderen Feuergeistern, mit betäubendem Lärm gen Himmel, der letzte Trumpf, den die geschickten Nachtvögel auszuspielen hatten, so daß alles zusammentraf, das Finale glänzend und feierlich zu machen.

*

Nur ein einziger Zuschauer schien durch die glänzende Feier nicht ergötzt worden zu sein.

Der junge Herr in dem schmalen Nachen hatte es kaum erwarten können, daß das letzte evviva verhallt war, und dann sofort die Ruder hastig eingetaucht, um mit einigen gewaltigen Stößen den dunklen See zu gewinnen. Erst als sie ziemlich weit draußen waren, so daß die Illumination der Ufervillen und Gärten nur wie ein von Glühwürmchen durchfunkeltes Gebüsch erschien, mäßigte er seine stürmende Hast, nahm den Hut vom Kopf und blickte mit einem Seufzer erst zum Monde hinauf, dann nach seiner Gefährtin hinüber, die, ohne ein Wort zu sprechen, ihn ruhig hatte gewähren lassen.

Von all Denen, die ihnen nachgesehen hatten, als sie ins Dunkel hinausfuhren, bezweifelte Keiner, daß sie ein Liebespaar seien, das aus dem lauten und bunten Treiben nicht eilig genug sich wieder in Einsamkeit und Stille flüchten konnte.

Wer das Paar jetzt in der Abgeschiedenheit unter dem Nachthimmel hätte beobachten können, wäre an seinem Glauben doch wohl irre geworden.

Auch waren sie wirklich kein verliebtes oder gar verlobtes Paar, wofür sie in dem Hôtel, wo sie seit sechs Wochen aufs Vertraulichste miteinander verkehrten, von Jedermann angesehen wurden.

Der Zufall hatte sie dort einander genähert. Gegen Ende März war die junge Dame angekommen und hatte ihren Namen: Mrs. Evelyn B. aus New York, in das Fremdenbuch eingetragen. Der junge Mann kam am Tag darauf, Frank R., Kunst- und Buchverleger aus F. So hatte sich's gefügt, daß sie an der Table d'hôte nebeneinander zu sitzen kamen und nach den ersten allgemeinen Worten der Höflichkeit in ein lebhaftes Gespräch geriethen. Am nächsten Tage war er seiner Tischnachbarin begegnet, die in Gesellschaft ihrer amerikanischen Zofe einen Spaziergang durch Gardone di sopra machte. Das Mädchen sprach nur englisch, die Herrin auch deutsch, nur mit einem leichten überseeischen Accent. Sie erklärte das, als er ihr ein Compliment darüber machte, sehr einfach: ihr Pa' sei ein Deutscher, die Mutter eine Amerikanerin. So gingen sie ein Stündchen zusammen und fanden immer mehr, daß sie trefflich zu einander paßten.

Beide waren sie nicht krank, die junge Frau – schon verwittwet – nur etwas in ihren Nerven erschüttert, so daß der Arzt ihr einen Aufenthalt in einem stillen südlichen Ort verordnet hatte; er durch Überanstrengung ein wenig erschöpft und ruhebedürftig. Bei der Einrichtung eines großen Kunstverlages, den er mit seinem Vater in einer der ansehnlicheren Städte Deutschlands gegründet hatte, war der größere Theil der Arbeit auf seine Schultern gefallen. Nun sollte er sich Ferien machen und, wenn der Frühling erst käme, noch ein Stück von Italien durchwandern.

Gleich in ihrem ersten Gespräch hatte sie erkannt, daß sie es mit einem ernsten, vielfach gebildeten jungen Manne zu thun hatte, dessen Unterhaltung nicht auf den üblichen Ton der goldenen Jugend gestimmt war, mit der sie bisher vorzugsweise verkehrt hatte. Seine Kleidung, seine Lebensgewohnheiten verriethen, daß er aus einer sehr wohlhabenden Familie stammte. Doch war sein Betragen durchaus schlicht und scheinlos. Auch seine große Belesenheit und seinen Kunstsinn trug er nie zur Schau, und nur durch einen Zufall erfuhr sie, daß er drei Jahre auf Universitäten verbracht und einem gelehrten Beruf nur entsagt hatte, um dem Vater in seinem ausgebreiteten Geschäft zur Seite zu stehen.

Von ihren Verhältnissen erfuhr er weniger, als sie von den seinigen. Sie war reicher Leute Kind, vor etlichen Jahren nach einer überaus kurzen Ehe verwittwet, hatte das Trauerjahr in London und Paris verlebt, ohne andere Begleitung als die ihrer Kammerjungfer, immer außerhalb aller geselligen Kreise, zu denen sie leicht Zugang gefunden hätte, als Touristin, die an der Beobachtung von Land und Leuten sich genügen ließ.

Und auch ihre Gemüthsstimmung blieb ihm verschleiert. Er sah wohl, daß sie nicht heiter war, doch von einer Schwermuth, in der sie dem verlorenen kurzen Glück nachgetrauert hätte, konnte er auch nichts an ihr entdecken. Nur zuweilen, mitten im gleichgültigsten oder geistvollsten Geplauder, sah er sie plötzlich zusammenfahren und sich in den Schultern schütteln, wie wenn ein unheimlicher Schauer sie überfiele. Sie schloß dann wohl die Augen, und die Brauen zogen sich zusammen. Es ist nichts! erwiderte sie auf seine besorgte Frage. Nur mein alter Nervenspuk!

Und gleich darauf fuhr sie in ihrer lebhaften Unterhaltung fort, als ob in der That nichts gewesen wäre.

Es schien denn auch kein ernsteres nervöses Leiden zu sein, was sie hier abzuschütteln suchen sollte. Wenigstens hatte sie keinerlei körperliche Schonung nöthig und betrieb den verschiedensten Sport ohne jede Ermüdung mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit.

Auch hierin war er für sie ein willkommener Gefährte. Er mußte freilich beim Tennisspiel sich ihr erst in die Lehre geben. Dafür weihte er sie in die Geheimnisse des Ruderns und Segelns ein, und es war seine besondere Lust, wenn der See hoch ging und die weißmähnigen Wellenrosse die weite Fläche durchstürmten, dann in dem guten Segelboot, das er gemiethet hatte, mit ihr hinauszufahren und sie in allen Seemannskünsten zu unterweisen.

Er bewunderte dann im stillen die kaltblütige Haltung, mit der sie in die aufgeregten Elemente hineinsah. Ja, hier schien ihr am wohlsten zu werden, und sie konnte gerade, wenn die Wogen das Schiffchen am gefährlichsten auf- und niederschwenkten, ihre witzigsten Bemerkungen machen.

Tag für Tag stiegen sie auf den Bergen herum und verirrten sich oft so weit, daß sie erst in später Nacht ins Hôtel zurückkamen. Manchmal auch erst am nächsten Tage, oder am zweiten und dritten, wie nach ihren Excursionen an den Idro- und Iseosee. Oder sie radelten nach Desenzano hinunter, bis nach Brescia oder Verona, diesmal freilich mit einem kleinen »Bag«, der ihr Handgepäck enthielt, Beide immer in sehr zweckmäßiger Touristenkleidung.

Das gab nun freilich ihren Mitgästen im Hôtel und den Nachbarn im Ort und den Bewohnern der Pensionen und Villen viel zu reden. Sie konnten darauf gefaßt sein. Zum Überfluß hatte eine würdige alte Dame, die Zimmernachbarin der »schönen Amerikanerin«, wie der Volksmund sie nannte, es für ihre Pflicht gehalten, die Unbesonnene daran zu erinnern, wie leichtherzig sie ihren Ruf aufs Spiel setzte.

Damit hatte sie kein großes Glück gehabt. Missis Evelyn hatte ihr für ihre gute Absicht freundlich gedankt, aber erklärt, sie sei in einem freien Volk aufgewachsen, wo Jeder und Jede für ihre Handlungen allein verantwortlich seien. Mister Frank sei ein Gentleman und ihr guter Freund. Wie viel Vertrauen sie ihm schenke, auf welchem Fuße sie mit ihm umgehen wolle, sei allein ihre Sache.

Daß der männliche Theil der Gesellschaft den jungen Mann beneidete, der so im Fluge diesen schönen fremden Vogel eingefangen hatte, war sehr begreiflich. Wenn man freilich genauer gewußt hätte, wie die Beiden miteinander standen, hätte sich der Neid wohl in schadenfrohes Mitleid verwandelt. Es hatte nicht ausbleiben können, daß der junge Deutsche in eine unsinnige Leidenschaft zu der schönen »Freundin« verfiel, die aus ihrer Schätzung seiner vielfachen liebenswürdigen Eigenschaften ja auch kein Hehl machte. Er hatte noch als Student im zweiten Semester an einer unglücklichen ersten Liebe zu leiden gehabt, die zu verwinden er einige Jahre gebraucht hatte. Nun überkam ihn ein so viel heftigeres Gefühl, dem Anschein nach durchaus nicht hoffnungslos, da der Gegenstand desselben ihm so freundlich entgegenkam. Das schöne Wesen hatte ihm schon am dritten Tage gestanden, ihr Zusammentreffen sei der glücklichste Zufall, der ihr hätte begegnen können, da sie in fast all ihren Neigungen und Liebhabereien, ihrem Geschmack wie ihren Antipathieen übereinstimmten. Sie hatte ihn gebeten, sie einfach Evelyn zu nennen und ihr zu erlauben, ihn Frank anzureden. Wenn ein Bach zu überschreiten, eine felsige Wegsteile zu erklimmen war, hatte sie gern seine stützende Hand angenommen, obwohl sie sonst auf ihren Spazierwegen frei neben einander hergingen. Und der Händedruck, mit dem sie sich Gute Nacht! sagten, war so herzlich wie der von ältesten Freunden.

Irgend ein galantes Wort hatte er ihr niemals gesagt. Nach vierzehn Tagen aber, als sein Herz zu voll wurde, um nicht über die Lippen zu springen, hatte er so einfach, wie wenn er ihr etwas Selbstverständliches mittheilte, das ihr ja nicht neu sein könne, ihr das Bekenntniß seiner leidenschaftlichen Liebe gemacht und schüchtern gefragt, ob sie sich entschließen könne, die Seine zu werden.

Sie hatte ihn ruhig angehört, wie wenn sie darauf gefaßt gewesen wäre, daß er ihr eines Tages dies sagen würde. Dann aber, die feinen Brauen ein wenig zusammenziehend und die Augen halb schließend, hatte sie ihm erwidert, daß sie bedauere, ihm keine Antwort nach seinen Wünschen geben zu können. Sie habe die herzlichste Hochschätzung für ihn, und nichts Lieberes könne ihr begegnen, als das gemeinsame Leben so wie bisher mit ihm fortzusetzen. Aber seine Frau könne sie niemals werden. Wenn er darein sich nicht zu ergeben vermöchte, wäre es besser, sie trennten sich sogleich. Wenigstens sei sie fest entschlossen, sobald er noch mit einem Wort, auch nur einer leisen Anspielung auf das eben Verhandelte zurückkäme, augenblicklich abzureisen.

Er hatte diesen freundschaftlichen Korb hingenommen, mit gesenktem Kopf, wie einer ein Todesurtheil mit anhört. Dann waren sie langsam den Weg zurückgegangen, sie bemüht, unbefangen von anderen Dingen zu reden, er in tiefstem Verstummen.

Und doch war der Zauber, den sie übte, so mächtig, daß er sich nicht zur Rettung durch die Flucht entschließen konnte. Auch stellte sich, da sie selbst sich's angelegen sein ließ, das alte scheinbar unbefangene Verhältniß bald wieder her. Nur daß sie, die von Anfang an sich selbst der unschuldigsten weiblichen Koketterie ihm gegenüber enthalten hatte, nun vollends jeden leichteren Ton des Neckens und Scherzens vermied, und er sich sorgfältig zurückhielt, ihre Hand, ja nur ihr Kleid zu berühren, als ginge eine Flamme von ihrer Person aus, die das mühsam errichtete Kartenhaus seiner Resignation sofort wieder in Asche legen würde.

Hierüber waren drei weitere Wochen vergangen, als die venezianische Nacht sie in dem kleinen Boot – nicht seiner gewöhnlichen Segelbarke – in den See hinauslockte.

Er war ungewöhnlich schweigsam gewesen und hatte nur allzu guten Grund dazu. Am nächsten Morgen wollte sie abreisen. Auf seine Frage, weßhalb sie auf einmal so große Eile habe, den Ort zu verlassen, der nun gerade sich anschickte, in dem schönen sonnigen Mai alle seine Reize zu entfalten, hatte sie ausweichend geantwortet. Es treibe sie nach Venedig, dort die echten venezianischen Nächte zu erleben, da schon die mock-Venitian nights so märchenhaft seien. Seine Bitte, ihr dorthin folgen zu dürfen, hatte sie entschieden, sogar mit einer seltsamen Heftigkeit abgewiesen. So war eine Verstimmung am letzten Abend zwischen sie getreten, die ihr selbst leid zu sein schien. Aber ihre Bemühungen, sie zu bannen, hatten keinen Erfolg.

Nun sahen sie aus ihrer Ferne die letzten Lichter am Ufer auslöschen. Der schwimmende Thurm, der sich so weit hinausgewagt hatte, bis die regsameren Wellen das Floß, auf dem er stand, in ihre Gewalt bekamen, verlor das Gleichgewicht, neigte sich schwerfällig auf die Seite und sank endlich hülflos in den See, daß Wellenschaum und verzischende Funken sich abenteuerlich mischten.

Dann herrschte an der ganzen Küste drüben Dunkel und Stille. Nur weit in der Ferne verklang die schwirrende Musik der Mandolinenbarke, die als die letzte nach Salò zurückfuhr.

Sehen Sie, Frank, wie dort der Mond eine zitternde goldene Straße durch die Wellen zieht, sagte sie. Wir wollen da hinein rudern. Es ist zwar nur eine Illusion, wie alles Irdische, aber ich führe gern einmal auf einer so glänzenden Bahn, da ich bisher keine hellen Wege wandeln durfte.

Er gehorchte und steuerte nach der breiten, funkelnden Stelle, wo er die Ruder einzog, seinen düsteren Blick nun selbst in das reizende Spiel des Lichts versenkend. Auch sie saß unbeweglich und blickte in das bewegliche goldene Netz. Dann sah sie zum Mond auf und seufzte.

Here is peace! kam es leise von ihren Lippen.

Nach einer Weile sagte er: Warum haben Sie darauf bestanden, Evelyn, sich in das Getümmel zu mischen? Ich weiß ja, daß Sie eine Idiosynkrasie gegen Pistolenschüsse haben, und sah Sie bei jedem Raketenschuß zusammenfahren.

Wieder überschauerte es sie, und sie zog das silbergraue Pelzcape fester um die Schultern.

Sie haben Recht, sagte sie. Es war ein Unsinn. Ich dachte, ich müsse suchen, mich abzuhärten, aber es ist umsonst, diese Schwäche ist stärker als ich. Nicht wahr, es wundert Sie, daß ich das nicht überwinden kann, da ich sonst nicht verzärtelt bin und körperliche Anstrengungen mir nichts thun. Aber – es giebt auch Seelennerven, die sind unberechenbar und durch keine Kaltwasserkur zu stärken. Reden wir nicht mehr davon!

Wieder entstand eine Pause. Auf einmal fing er an: Bleibt es wirklich dabei, daß Sie morgen früh abreisen?

Gewiß. Und auch bei Ihrem Versprechen, mir nicht am Landungssteg des Dampfers Farewell zu sagen. Ich hasse alles Abschiednehmen; vor Zeugen ist es mir vollends unleidlich. Sie haben doch nicht vergessen, daß Sie mir Ihr Wort gegeben haben?

Er antwortete nicht, sondern sah wie in abwesenden Gedanken an ihr vorbei in die glitzernden goldenen Wellen.

Plötzlich, wie nach einem mühsamen Entschluß tief aufathmend, sagte er: Da es denn morgen ohnehin vorbei sein soll – Sie dürfen mir nicht zürnen, Evelyn, wenn ich trotz Ihres Verbots noch einmal von dem anfange, was Leben und Tod für mich bedeutet. Ich habe Ihr Wort nicht vergessen, daß Sie selbst gern so in alle Zukunft mit mir weiterleben würden, wie in diesen fünf Wochen, die für mich Glück und Qual umschlossen. Nun denn, sind Sie nicht Ihre eigene Herrin? Ist irgend ein zwingender Grund vorhanden, Sie von mir zu trennen? Und wenn Ihnen das Herz noch nicht sagt, daß Sie es als meine Frau mit mir wagen könnten, müssen Sie mich darum überhaupt aus Ihrer Nähe verbannen, obwohl ich den Beweis geliefert habe, daß ich im Stande bin, alle meine leidenschaftlichen Wünsche in mich zurückzudrängen und neben Ihnen herzugehen, als ob es mir um nichts Anderes als gute Kameradschaft zu thun wäre?

Sie that ein paar kräftige Ruderschläge, die den Nachen aus der hellen Mondstraße brachten. Dann zog sie die Ruder wieder ein.

Frank, sagte sie, warum thun Sie all solche Gewissensfragen? Es wird damit nichts geändert. Ich habe Ihnen erklärt, daß ich nie wieder heirathen werde. Wäre ich nicht eine Thörin, das Zusammensein mit Ihnen zu verlängern, bis es mir immer unentbehrlicher geworden wäre, um am Ende doch Ihnen sagen zu müssen: es kann nicht sein? Und was kann Ihnen tröstlich daran sein, wenn Sie meine Gründe wissen?

Er sah ihr jetzt voll ins Gesicht, das seltsam erregt und leicht geröthet war. Es war, als ob er ihre geheimsten Gedanken durchdringen wollte.

Sie sind so klug, Evelyn, sagte er. Begreifen Sie denn nicht, daß man sich eher vor einer traurigen Notwendigkeit beugt und ins Unabänderliche ergiebt, wenn man eingesehen hat, daß es wirklich zwingende Gründe sind, die zum Entsagen nöthigen? Wie oft hat eine Einbildung, ein Vorurtheil das Lebensglück eines Menschen zerstört, weil es unausgesprochen blieb und doch so leicht hätte widerlegt werden können! Wenn Sie etwa Ihrem sterbenden Gatten ein Gelübde gethan hätten, sich nie wieder zu vermählen – Sie wissen, von erzwungenen Gelübden spricht die Kirche oder eine höhere Vernunft den Menschen frei, der darüber heiligere Pflichten verletzen würde.

Sie schüttelte langsam den Kopf. Mit der Hand schöpfte sie etwas Wasser und benetzte damit ihre Stirn. Die Tropfen rannen über ihr Gesicht herab, sie war aber so versonnen, daß sie nicht daran dachte, sie abzutrocknen.

Es muß ja wohl sein, sagte sie, wie zu sich selbst sprechend. Lieber wäre mir's gewesen, ich hätte diese traurigen Erinnerungen nicht wieder heraufbeschworen. Aber Sie sollen mich nicht für ein von Einbildungen und Vorurtheilen befangenes dummes Geschöpf halten. Es giebt unbezwingliche Mächte für einen Jeden, den Stärksten wie den Schwächsten.

Ich für mein armes Theil lebe im Bann solcher Überirdischen, die stärker sind als alle Vernunft und aller tapfere Wille.

*

Nein, fuhr sie nach einer Pause fort, kein Gelübde bindet mich, auch nicht eine Herzenstreue gegen den Todten, die mir das Glück mit einem Lebenden verbittern würde. Es ist wahr, ich habe meinen Edward sehr lieb gehabt; er war auch so recht, was man liebenswürdig nennt; aber mein Gott, die Zeit war ja viel zu kurz, als daß mein zärtliches Gefühl tiefe Wurzeln in mir hätte schlagen können, und jetzt – wenn ich seinen Namen ausspreche – ich empfinde dabei nicht viel mehr, als wenn ich den Helden eines Romans, der mich ergriffen hat, nennen höre.

Nur daß noch immer ein Grauen dabei ist, das ich wohl nie ganz bezwingen werde.

Aber um das zu verstehen, müssen Sie noch etwas mehr von mir wissen.

Daß ich das einzige Kind meiner Eltern war und in einem reichen Hause aufwuchs, wo ich sehr verwöhnt wurde, habe ich Ihnen schon erzählt. Aber wenn ich auch sonst nicht wußte, daß es unerfüllte Wünsche giebt, ein Wunsch, der heißeste meines kleinen Herzens, schien mir ewig unerreichbar. Ich war ein sehr unansehnliches, fast häßliches junges Ding und fühlte schon in den Kinderjahren eine brennende Eifersucht auf all meine glücklicheren Kameradinnen. Daß die großen Menschen über mich hinwegsahen und den hübschen Puppen unverhohlen ihr Wohlgefallen bezeugten, machte mich wüthend. Ich kann Ihnen nicht sagen, welch eine Mördergrube voll Neid, Haß, Bosheit und Tücke mein kleines Herzchen damals war, bloß aus beleidigter Eitelkeit und Gram über versagte Liebe.

Denn die meiner guten Eltern, die mir trotzdem reichlich zu Theil wurde, rechnete ich ihnen nicht hoch an und sah darin eher ein Mitleiden, das mich noch tiefer demüthigte.

Auf einen Schlag aber, fast über Nacht, wurde das anders. Ich verfiel in meinem vierzehnten Jahre in eine Entwicklungskrankheit. Als ich von ihr genesen aufstand, war ich ein verwandeltes Geschöpf.

Allen fiel es auf. Ich selbst wollte es erst meinem Spiegel nicht glauben. Dann hörte ich es von meinen Schulfreundinnen und bald auch von jungen Leuten in der Tanzstunde. Es war wirklich die alte Geschichte von der häßlichen Puppe und dem schönen Schmetterling.

Und gleich damals hatte ich, so unfertig ich im Übrigen war, schon das Gesicht und die Gebärden wie jetzt, nur, will ich hoffen, heute ein bischen weniger hochmüthig und unmenschlich. Denn damals muß ich bei all meiner Schönheit, die vor mir selbst verleugnen zu wollen eine alberne Koketterie gewesen wäre, eine unausstehliche kleine Kröte gewesen sein, manchmal selbst in den verblendeten Augen meiner schwachen Mama. Ich fühlte einen gewissen bösen Kitzel, für die frühere Vernachlässigung mich jetzt zu rächen, allen Männern, jungen und alten, den Kopf zu verdrehen und sie dann, wenn sie mir ihr Herz zu Füßen legten, auszulachen und stehen zu lassen.

Zu meiner Entschuldigung muß ich aber daran erinnern, daß die Sitte oder Unsitte des Flirtens bei uns drüben ganz allgemein ist und lange nicht so sehr den Charakter verdirbt, wie es in Ihrem biederen, sentimentalen Deutschland der Fall sein würde, wenn man es hier importirte. Nur daß ich es ein bischen ärger und unbarmherziger trieb, als sonst wohl der Brauch ist. Ich hatte eine Art Berühmtheit erlangt als Herzenbrecherin und wußte mir was damit, und jedes neue Opfer war mir willkommen.

Ganz besonders aber frohlockte ich heimlich, als es mir gelang, einen sehr gefeierten jungen Dichter an meinen Triumphwagen zu spannen. Ihnen wird der Name Algernon Bird schwerlich vorgekommen sein, nicht wahr? Auch in Amerika fing er eben an aufzutauchen, mit einem vielversprechenden morgenröthlichen Glanz. Er hatte nur ein schmales lyrisches Bändchen erscheinen lassen, die Kritik lobte es mit einiger Zurückhaltung, es war aber etwas darin, was unbefangene Leser, zumal Leserinnen, durch eine reizende Naivetät und persönliche Anmuth fesselte. Auch ich hatte diese Verse zu lesen bekommen, da meine beste Freundin für den Dichter schwärmte. Gewöhnlich machte ich mir nichts aus Lyrik, die mir schwarz auf weiß entgegenkam. Und auch diesmal erweckten die Verse nur die Neugier, wie ihr Verfasser wohl aussehen möchte.

Er sah seiner Poesie recht ähnlich. Auch so ein noch halb unreifes, unbekümmertes Jünglingsgesicht, das mit großen fragenden Augen in die Welt sah. Als diese Augen sich zum ersten Mal auf mich richteten, feierte ich ein stilles Fest der Eitelkeit. Denn so verzückt und geradezu wie bezaubert hatte mich noch kein Mensch angesehen.

Ich hatte auch noch die Genugthuung, jene meine »beste Freundin« bei ihm auszustechen, eine Rivalin, die mich schon von den Kinderschuhen an gekränkt hatte, da sie allgemein als die Schönheit in unserer Klasse galt. Nun war sie auf einmal Luft für den Dichter, den sie liebte, nachdem er ihr selbst eine Weile gehuldigt hatte.

Ich selbst liebte ihn nicht. Er hatte in meinen Augen etwas Knabenhaftes, das nicht bloß an seinen jungen Jahren lag. Die Umgebung, in der ich aufgewachsen war, die Banquierluft in meinem Elternhause, die Geschäftsfreunde meines Vaters – all das hatte den geringen Sinn in mir für das Ideale und Poetische nicht großziehen können. Was ich sonst von jungen Courmachern um mich hatte, war elegant, frivol, leichtlebig, und auch die Seufzer aus gebrochenen Herzen, die ich zu hören bekam, klangen sehr ungereimt. Nun betrachtete ich den ersten lebendigen Dichter, der mir vorkam, wie ein seltenes exotisches Thier, mit dem man nur spielen mag, ohne ihm irgend welche ernste menschliche Rechte einzuräumen.

Er aber nahm es um so ernster.

Seine Leidenschaft wuchs ihm dermaßen über den Kopf, daß er sogar keine klingenden Worte mehr für sie fand. Ich hatte ihm lachend gesagt, ich erwartete eine glänzende Liebeserklärung in Sonetten, die Shakespeare's berühmte Sonette verdunkelten. Seit ich Sie kenne, sagte er mit dem Ton eines Menschen, der vor dem Richter ein todeswürdiges Verbrechen beichtet, habe ich keinen Vers geschrieben.

Ich lachte wieder und hielt ihn mit halben Hoffnungen hin, die ich entschlossen war nie zu erfüllen. Und als er eines Tages, nachdem der Flirt ein paar Monate gedauert hatte, in einer garden-party mir geradezu die Frage stellte, ob ich ihm erlaubte, bei meinen Eltern um mich zu werben, er könne die Qual der Ungewißheit nicht länger ertragen; wenn ich ihn nicht erhörte, werde er aus der Welt gehen – war ich herzlos genug, ihm zu erwidern: ich hätte nichts dagegen, wenn er in die Welt der Träume und Reime zurückkehrte, die er um meinetwillen verlassen; an eine andere Weltflucht glaubte ich nicht; schon mehr als Einer, der sich um mich bemüht, habe damit gedroht, und Alle lebten noch frisch und munter in den Tag hinein.

Sie würden erkennen, Miß Evelyn, daß ich nicht bin wie Alle, erwiderte er. Ich habe mich sehr ernst und lange geprüft und bin zu der Überzeugung gekommen, daß Sie mein Schicksal sind. Wenn Sie mich abweisen und ich mich hoffnungslos von Ihnen trennen muß, ist mir Alles entwerthet, was mir das Leben bisher ertragen half. Ich bitte Sie daher, ehe Sie Ihr letztes Wort sprechen, sich zu fragen, ob Sie es verwinden würden, eine Menschenseele auf dem Gewissen zu haben.

Ich gestehe, daß mich diese rührende Rede erst recht gegen ihn erkältete.

Ich lasse mir nichts abpressen, sagte ich sehr scharf und schneidend. Ihr Zwangsmittel ist bei mir wirkungslos. Ich bin überzeugt, daß die Muse, wenn Sie jetzt zu ihr zurückkehren und mich bei ihr verklagen, Sie wie einen reuigen verlorenen Sohn an ihr Herz ziehen und bald über meine Unnahbarkeit trösten wird. Also leben Sie wohl, und auf Wiedersehen bei dem Bankett, mit dem Ihre Freunde die hundertste Auflage Ihrer Gedichte feiern werden.

Er sah mich mit einem Blick an – einem Blick, den ich seitdem, obwohl vier Jahre dazwischen liegen, noch nicht vergessen habe.

Sie werden Ihren Hohn bereuen, Miß Evelyn. Und das sollen Sie noch hören: Sie halten mich für einen weichlichen Poeten. Sie werden erleben, daß ich einen starken Willen habe. Und kraft dieses Willens sage ich Ihnen, wenn ich Sie nicht besitzen soll, werde ich es hindern, daß irgend ein anderer Mann Sie jemals besitzt, darauf machen Sie sich gefasst, und hüten Sie sich, leichtsinnig meine Warnung in den Wind zu schlagen. Good bye!

Er verneigte sich steif und förmlich und ließ mich in der Allee unter den blühenden Rosen stehen, in einer Stimmung, die nichts weniger als rosig war.

Nicht daß ich daran gedacht hatte, er werde seine Drohung wahr machen und sich das Leben nehmen. Aber ein Ton so tiefer, überschwänglicher Hingebung war in seinen Worten gewesen, ein so magisch loderndes Feuer in seinem Blick – ich zweifelte zum ersten Mal, ob es wohlgethan oder auch nur klug sei, eine ehrliche Leidenschaft, wie diese, mit ein paar spöttischen Scherzen abzuweisen, wie eine galante Huldigung in einem gewöhnlichen Flirt.

Langsam kehrte ich zu der Gesellschaft zurück. Algernon hatte sich ohne Abschied entfernt.

Ich blieb verstimmt. Indessen fand ich mich denn doch wieder zurecht. Ich sagte mir, daß ich, da ich seine Liebe nicht erwiderte, eine Abkühlung ihm sogar schuldig gewesen sei. An das Märchen von gebrochenen Herzen glaubte ich nicht. Er werde, wenn etwas an dem seinigen Schaden gelitten hätte, durch eine Luftveränderung rasch die Heilung herbeiführen und von seinem tr ip to London and Paris einen schönen melancholischen Band mit Childe Harold-Versen heimbringen.

Ich sollte mich schwer in meiner Voraussetzung getäuscht haben.

*

Habe ich schon gesagt, daß mein letztes Gespräch mit Algernon im Garten unserer Villa stattfand? Sie lag zwei Meilen von der Stadt entfernt, mit einem prachtvollen Park, in dem man selbst die ärgste New Yorker Sommerhitze kaum empfand.

Es war ein sehr geräumiges Haus, an jenem Abend viel Gesellschaft dort, die sich ungeladen eingefunden hatte. Zuletzt wurde auch getanzt, was ich leidenschaftlich liebte. Auch hinderte mich die Scene mit meinem armen Dichter nicht, bis lange nach Mitternacht aus einem Arm in den andern zu fliegen. Zuweilen freilich klangen mir seine Worte wieder im Ohr: »Sie werden erleben, daß ich einen starken Willen habe.« Aber warum sollte sein Wille stärker sein als der meine? Was war ich ihm schuldig? Weil er mich begehrenswerth fand, mußte ich ihm angehören, obwohl ich keine Lust dazu hatte?

Erst gegen zwei Uhr fuhren die letzten unserer Gäste weg. Ich hatte mich müde getanzt und ging gleich zu Bett. Aber ich konnte lange nicht einschlafen. »Sie werden Ihren Hohn bereuen, Miß Evelyn!« hörte ich beständig. Ich zwang mich zum Lachen. Nein, so konnte ich mir doch nichts abtrotzen lassen.

Endlich, gegen das erste Zwielicht, fiel ich denn doch in Schlaf. Aber nicht lange.

Im Haus war Alles still. Nach dem nächtlichen Treiben gönnte sich auch die Dienerschaft ihren Morgenschlaf. Aber auf einmal fuhr ich in die Höhe. Der Schall eines Schusses hatte mich geweckt, dicht unter meinem Fenster.

Ich zitterte am ganzen Leibe, blieb aber noch liegen, mir vorredend, ich hätte nur geträumt. Dann merkte ich an der Unruhe im Hause, daß auch Andere die Detonation gehört haben müßten. Und da, mich gewaltsam bezwingend, stand ich vom Bett auf, schlich an das Fenster und öffnete leise den einen Flügel so weit, daß ich den Kopf halb hinausstrecken konnte.

Drunten, gerade auf der Schwelle der Hausthür, über der mein Mezzaninzimmer lag, sah ich die leblos hingesunkene Gestalt, den Revolver noch in der rechten Hand, das Gesicht blutüberströmt. Nicht lange sah ich das. Nach ein paar Secunden verließ mich das Bewußtsein. So fand mich meine Kammerjungfer auf dem Boden vor dem Fenster liegend.

Bis ich über dies Furchtbare so weit hinauskam, daß ich am Leben und der Gesellschaft wieder theilnehmen konnte, dauerte es eine Weile.

Dann aber – es ist seltsam, wie viel Heilmittel so ein junges Gemüth besitzt, um Wunden des Gewissens vernarben zu machen. Und wenn auch das Aufsehn, das das Ereigniß in dem sehr frivolen Kreis, in dem ich lebte, hervorgerufen, der Nimbus, den es mir verliehen, daß ein junges Genie um mich gestorben war, nur wenig dazu beitrug, mich zu trösten, – mein eigenes sophistisches Gewissen that sein Möglichstes, mich zu beruhigen.

Vielleicht hatte der Unglückliche die That nur aus Eitelkeit begangen, um von sich reden zu machen. Jedenfalls war er ein Schwächling und nicht viel an ihm verloren. Ich aber, die ich in seinen Gedichten ihn so oft mit dem Gedanken an Tod und ewige Vernichtung hatte spielen sehen, sollte ich seine Prosa ernst nehmen? seine Warnung nicht auf Rechnung einer überreizten Dichterphantasie schieben?

Gewiß, ich hatte mir keinen Vorwurf zu machen und brauchte nicht auf Glück zu verzichten, weil er mir's mißgönnte noch über das Grab hinaus.

Aber so viel Eindruck hatte das traurige Ereigniß doch auf mich gemacht, daß ich jetzt mich vor allem Flirten in Acht nahm, Diejenigen, die nun erst recht mir den Hof machten, ruhig herankommen ließ, und wenn ich nichts für sie fühlen konnte, sie freundlich und ohne alle koketten Mätzchen verabschiedete.

Das hatte so Jahr und Tag gedauert, da lernte ich meinen armen Fredy kennen.

Er war in Allem der gerade Gegensatz zu dem unglücklichen Poeten. Sohn eines reichen Rheders, von Früh an in der halben Welt herumgefahren, ohne viel Schulweisheit und Literatur, aber mit einem hellen, wenn auch ganz unpoetischen gesunden Verstande begabt und einer strahlenden Heiterkeit. Ihn lachen zu hören, war geradezu eine Erquickung, und der schwärzeste Melancholiker konnte nicht widerstehen mitzulachen. Dabei ein Prachtmensch von körperlicher Anmuth, ein Riese an Kraft und Gesundheit, und was mich vor Allem bestach, gutmüthig und lenksam wie ein Kind, wenigstens mir gegenüber.

So sehr er von seinen persönlichen Vorzügen überzeugt sein konnte – als er mir seine Liebe erklärte, konnte er vor Zaghaftigkeit nicht drei zusammenhängende Worte sagen und sah dabei so drollig aus, daß mir – Sie werden das kaum verstehen, da ich sehr glücklich war, daß er endlich sprach – bei seinen respectvollen Mienen und Gebärden mein kleiner Seidenpinscher einfiel, der gerade so um ein Stück Zucker betteln konnte.

Ich mußte trotz meiner Aufregung lachen und sagte ihm auch den Grund, und da lachte er mit, und dann umarmte ich ihn, der von Kopf bis Fuß vor Glückseligkeit bebte, und so haben wir uns in unseren Brautstand hineingelacht.

Aber gleich darauf wurde mir sehr ernst zu Muthe. Ich dachte an den Todten, und als wir uns erst ein wenig beruhigt hatten, fragte ich Fredy geradezu, ob er sich getraue, ein Mädchen zu seiner Frau zu machen, über deren Haupt eine so gespenstische Drohung hänge.

Er nahm meine beiden Hände in seine große Rechte, sah mich lächelnd an und sagte: Let the poor spirit come, my darling. I'll knock him down!

Und dabei drückte er meine Hände so gewaltig, daß, während ich mich aufstöhnend losmachte, gegenüber seiner frischen Kraft all meine unheimliche Sorge verschwand.

Wir wollten keinen langen Brautstand haben. Sechs Wochen nach der Verlobung, im Juli, sollte die Hochzeit sein. Da es wieder sehr schwül in der Stadt war, beschlossen wir, die übliche Hochzeitsreise auf den Herbst zu verschieben, wo Fredy mich nach London führen wollte, die Flitterwochen dagegen ganz still in unserer Villa zu verleben, was besonders meiner Mutter zu Liebe geschah, die mich nur schweren Herzens von ihrer Seite ließ.

Mich selbst hatte im ersten Augenblick der Gedanke, gerade an jener Unglücksstätte mein neues Leben zu beginnen, mit einem leisen Schauer erfüllt. Doch wollte ich in den Augen meines tapferen Verlobten nicht feig und abergläubisch erscheinen und bezwang auch das Herzklopfen, das ich fühlte, als wir nach der Trauung, die erst in der Abendkühle im Stadthause meiner Eltern stattgefunden hatte, im offenen Wagen die paar Meilen nach der Villa hinausfuhren.

Fredy saß mit so strahlender Miene neben mir und streichelte mit seiner großen Hand meine kleine, kalte, zitternde so zärtlich, die Sterne über uns funkelten märchenhaft, je weiter der Lärm und Dunst der großen Stadt hinter uns blieb, je stiller und dankbarer wurde mein Herz. Ich dachte freilich an den Todten, aber mit der festen Überzeugung, wenn ein unsichtbares Band die Geister im Jenseits mit uns verknüpfe, werde er edelmüthig genug sein, mir mein Glück zu gönnen.

So kamen wir vor der Villa an, in der außer dem Gärtner und seiner alten Frau keiner der Dienstboten zurückgeblieben war, da wir alle bei der großen Hochzeit gebraucht hatten. Die beiden treuen Hüter standen neben der offenen Hausthür, die sie aufs schönste mit Kränzen und Guirlanden decorirt hatten; der Wagen hielt vor der steinernen Treppe, Fredy öffnete den Schlag und sprang hinaus, mir beim Aussteigen den Arm zu bieten – in diesem Augenblicke ertönte ein Schuß dicht vor uns, der auf der Schwelle der Thür abgefeuert zu sein schien, und zwar so stark, daß die Pferde scheuten und anzogen, so daß ich schwankte und auf den Wagensitz zurückfiel.

Auch die Anderen waren heftig erschrocken. Meinem tapferen jungen Gatten erstarb das Lachen auf den Lippen, als er die geisterhafte Blässe sah, mit der ich sprachlos im Wagen lag. Er faßte meine Hände und suchte, indem er mir zärtlich zuredete, mich aufzurichten. Körperlich hätte ich wohl die Kraft dazu gehabt. Aber die Erschütterung meiner Seele war zu stark gewesen, um mich auf den Füßen zu halten.

Rühre dich nicht, dearest, sagte er, ich trage dich hinein, du sollst diese verwünschte Schwelle, die dir ein solches Grauen macht, mit keiner Zehenspitze berühren.

Damit beugte er sich über mich und wollte mich aufheben. Ich drückte mich aber nur fester in die Wagenkissen und flehte ihn mit vorgestreckten Armen an, mich zu lassen, wo ich war, ich könne mich nicht überwinden, das Haus zu betreten, er möge Nachsicht mit meiner Angst und Schwäche haben, aber ich wisse genau, daß es mein und sein Unglück sein würde, wenn wir der Warnung des Todten trotzen wollten.

Er ließ mich ausreden, ohne weder ein scherzendes noch ein ernstes Wort daran zu verschwenden, mich anderen Sinnes zu machen, obwohl er mein Widerstreben für eine kindische Thorheit hielt. Beruhige dich nur erst, darling, sagte er und legte mich bequemer in der Wagenecke zurecht. Es ist hier gute Luft, vielleicht schlummerst du sogar ein wenig, die Hitze beim Essen und die vielen Toaste – kein Wunder, wenn man danach Gespenster sieht.

Ich schloß denn auch die Augen, hauptsächlich um mit meinen Gedanken allein zu sein. Aber seltsam, ich schlief endlich wirklich ein und schlief die ganze Nacht durch, wenigstens bis die Hähne zu krähen anfingen. Da schlug ich die Augen auf und sah Fredy am Wagenschlag stehen und mir lachend zunicken.

Nun, sagte er, das ist eine ganz neue Art, seine Hochzeitsnacht zu feiern, die junge Frau im Wagen, der junge Ehemann auf einem Sopha im Gärtnerhause. Denn du schliefst so süß, Liebste, ich gab Jack Ordre, die Pferde ganz still zu halten, bis du etwa aufwachen würdest. Aber jetzt – was hat die gnädige Frau für Befehle an ihren ergebensten Diener? Wir werden uns doch wohl entschließen, im Hause zu frühstücken. Bei Tage spukt ja auch kein noch so boshaftes Gespenst, qui se respecte.

Ich erzähle Ihnen das Alles so ausführlich, damit Sie sehen, wie gütig und besorgt um mich er war. Mein armer Fredy! Warum mußte er gerade mich zu seiner Frau haben wollen!

Nein, Fredy, sagte ich, in das Haus setze ich keinen Fuß. Ebensowenig mag ich den Eltern jetzt unter die Augen treten, die mich für eine Närrin halten würden, und dann – die furchtbare Hitze – wenn du mir einen Gefallen thun willst, so fahren wir jetzt an den Hafen und besteigen deine Yacht, und fahren auf ihr wohin du willst. Ich leugne es nicht, meine Furcht – es mag dir vielleicht abergläubisch vorkommen – auf dem Lande werde ich sie nicht los werden, eher denke ich noch auf dem Meere zur Ruhe zu kommen, als ob er mir dahin nicht folgen würde.

Wie du willst, sagte er. Nur muß ich dann noch ein paar Geschäfte in der Stadt besorgen, und es schickt sich doch auch, daß ich deine Eltern benachrichtige, wo sie ihr Kind – wenigstens im Gedanken – zu suchen haben. Dich selbst fahre ich aber sofort nach dem Hafen. Du wirst bis an den Abend dort als Strohwittwe hausen, aber sonst an nichts Mangel haben.

Sie müssen wissen, daß diese seine Yacht immer segelfertig im Hafen lag, mit vollständiger Bemannung, dem Steuermann, Koch und sechs Matrosen. Denn plötzlich wandelte ihn einmal die Laune an, in See zu stechen, dann mußte er Alles parat finden.

Wir fuhren also von der Villa fort, zu großem Erstaunen unserer Leute, die uns für plötzlich verrückt geworden hielten! Wie schonend und zartfühlend mein armer Riese mich behandelte, können Sie sich nicht vorstellen. Keine Neckerei über meine Schwäche, keine Verstimmung, daß ich ihn die Nacht so übel hatte zubringen lassen. Dagegen suchte er mir meine thörichte Einbildung, wofür er es doch hielt, zu vertreiben, indem er mir erzählte, den Schuß habe ein Wilddieb abgefeuert, der unsere Ankunft nicht erwartet und auf die Rehe gebirscht habe, die häufig in hellen Nächten aus dem Walde herüber in unseren Park kommen. Die Erfindung war sehr durchsichtig. Ich hatte den Schuß nicht hinter dem Hause gehört, sondern vorn an der Schwelle. Aber ich war Fredy doch dankbar, daß er sich die Unkosten einer Lüge machte, um mich zu beruhigen.

Die Sonne blieb diesen Morgen hinter grauem Gewölk. Als wir den Hafen erreichten, drohte es zu regnen, und im Westen stieg ein Unwetter auf. Ich kam aber noch trocken an Bord der Yacht, bis zu der Fredy mich begleitete. Er lachte und winkte mir aus dem kleinen Boote zu, das ihn wieder zurückfahren sollte. Und hörst du, sagte er, da die Bootsleute schon abstießen, wenn dein spirit dir auch zu Wasser eine Visite machen sollte, bitte ihn, ein wenig auf mich zu warten. Ich hätte ihm zwei Worte zu sagen. – Das war der einzige Scherz, den er sich in Bezug auf das unheimliche Ereigniß erlaubte. Dann verschwand er mir im Gewimmel der großen und kleinen Fahrzeuge, die im Hafen vor Anker lagen.

Keines war wohl so comfortabel eingerichtet wie unsere Yacht, mit dem ausgesuchtesten Geschmack, und dabei so gut gebaut, daß sie dem schlimmsten Sturm trotzen konnte. Und überdies lag sie sicher, neben einem großen Indienfahrer, dessen schwarzer Bug sie überschattete. Und doch machte mir schon das leiseste Schwanken, als jetzt ein lebhafter Regenwind sich erhob, ein peinliches Gefühl von Angst und Übelkeit. Ich zog mich in die Kajüte zurück und streckte mich auf einem Divan aus, nahm einen Roman vom Tischchen, den ich schon bei einer neulichen Fahrt angeblättert hatte, konnte aber weder lesen noch schlafen.

Wie lang wurde mir der Tag, wie ungeduldig ersehnte ich die Rückkehr Fredy's. Ich wußte, vor Abend konnte sie nicht stattfinden, er hatte an eine Reise mit mir ja nicht gedacht und mußte im Geschäft seines Vaters allerlei abschließen, Geld einstecken, zu meinen Eltern fahren, die ziemlich entfernt wohnten.

Also galt es sich in Geduld fassen, sich die Ohren zuhalten gegen den Sturm draußen, der immer heftiger tobte und das Hafenwasser aufwühlte, und die Zeit mit dem Studium einer großen Karte vertreiben, die zwischen zwei Spiegeln an der Wand hing. Darüber wurde meine Stimmung endlich ruhiger; ich war selbst geneigt, den Vorfall am Abend nicht tragisch zu nehmen und an eine natürliche Erklärung zu glauben, und überließ mich dem Gedanken, wie hübsch es doch eigentlich sei, in einem solchen Prachtschiffchen ins neue Leben hinauszufahren.

Und vollends wurde ich ganz vergnügt, als am Nachmittag der Capitän mir sagen ließ, ob ich nicht hinauf kommen wolle, das Boot mit meinem Manne sei schon in Sicht – vier Stunden früher, als ich gerechnet hatte.

Ich warf mein Regenmäntelchen über und hastete die Stufen hinauf an Bord. Es hatte zu regnen aufgehört, die Wellen gingen aber noch hoch, und das Boot, das Fredy brachte, schwankte sehr. Er stand aber aufrecht und lüftete seinen Hut mit einer lachenden Miene, voller Zärtlichkeit. So ruderten die Bootsleute ihn bis an die Yacht, die schon ihr Fallreep ausgeworfen hatte. Mit der linken Hand ergriff er das Seil des Geländers und setzte den Fuß auf die unterste Sprosse. In dem Augenblicke ertönte ein Schuß dicht neben uns vom Bord des großen Indienfahrers, Fredy wandte unwillkürlich den Kopf nach jener Seite, that, da er das Gleichgewicht verlor, einen Fehltritt und stürzte zwischen dem Boot und der Yacht in die Tiefe.

Sofort sprang einer der Bootsleute ihm nach. Ich selbst, so erschrocken ich war, ich zweifelte doch nicht, daß er gleich wieder auftauchen würde. Er war ein Preisschwimmer und hier im Hafen keine tückische Strömung, die ihn fortreißen konnte. Noch ein Zweiter warf sich ins Wasser, ein Mann von seiner eigenen Yacht. Beide, die ihn retten wollten, kamen nach einiger Zeit wieder zum Vorschein; ihn selbst hielt sein Schicksal da unten fest. Am nächsten Tage erst fand man ihn. Sein Rock hatte sich unten am Bug eines Dampfers festgehakt, wo sonst kein Nagel vorzustehen pflegt. Es hatte eben sein sollen. Meine alte Schuld – er hatte sie mit seinem jungen Leben büßen müssen. Ein Schiffsjunge auf dem Indienfahrer hatte aus Langerweile nach einem großen Vogel geschossen, der sich im Takelwerk niedergelassen. Der Vogel war heil davongeflogen, meinem armen Fredy hatte der Schuß das Leben gekostet. – –

Nach diesen Worten blieb es eine lange Weile still in der Barke. Die junge Frau bewegte, in tiefes Sinnen verloren, eines der Ruder, so daß sie sich langsam im Kreise drehten. Darüber wurde es endlich kühl, und sie fühlte es auch und zog ihr Pelzmäntelchen höher zum Halse hinauf.

Theure Evelyn – fing der junge Mann eine Rede an, die er, während sie erzählte, sich sorgfältig überlegt hatte. Aber sie ließ ihn nicht weiterreden.

Ich weiß Alles, was Sie sagen wollen, Frank. Meine Eltern und andere kluge Menschen haben es mir schon gesagt, und ich habe ihnen Recht geben müssen, und doch hat es mein Gefühl nicht geändert. Nicht wahr, auch Sie wollten mir vorhalten, daß es eine Thorheit sei, das unglückliche Zusammentreffen zufälliger Umstände für eine Schicksalsfügung zu halten, ja mehr noch, für die boshafte Veranstaltung einer abgeschiedenen Seele, um noch posthum eine Rache zu vollziehen. Ich kann Ihnen das nicht bestreiten, und doch ist es mir unmöglich, das Schicksal oder den Zufall zum dritten Mal herauszufordern und dabei wieder das Leben eines Menschen, den ich liebte, aufs Spiel zu setzen. Und wenn das Unglück nicht wie bei meinem armen Fredy sogleich einträfe, die Geisterhand mir nicht den Becher vom Munde risse, noch ehe ich nur einen Tropfen Glück daraus getrunken –, daß ich keinen Seelenfrieden mehr finden, täglich um das Leben meines Mannes oder – eines Kindes zittern würde, steht mir fest.

O lieber Freund, wenn an dieser Überzeugung irgend Jemand rütteln könnte, ich selbst hätte es ja gethan. Glauben Sie, daß ich mit meinen dreiundzwanzig Jahren es so leicht hätte, als ewige Mädchen-Wittwe hinzuleben? Immer, wenn ich, was doch seitdem schon ein paar Mal geschehen ist, Jemand begegne, zu dem ein inneres Gefühl mich hinneigt, daß ich mir denken könnte, von ihm könne mir das Glück kommen, das wir Alle im Stillen ersehnen, – dann immer die Flucht ergreifen zu müssen, um mich nicht erst loszureißen, wenn ein Stück Herz dabei blutend zurückbleibt? So wie der ewige Jude an den Menschen vorbeizugehen, die lieben und lachen und sich des Lebens freuen, und an keiner warmen Stätte rasten zu dürfen? Und doch – Alles lieber, als noch einmal einem so hämischen »Zufall« mich und Einen, den ich liebe, preiszugeben! Was ich an dem armen Algernon gesündigt habe, soll Niemand, außer mir, zu büßen bekommen.

Sie hatte mit so entschiedenem Nachdruck gesprochen, er sah wohl, daß jeder Einwand machtlos sein würde. Aber jung, wie sie war, konnte er nicht alle Hoffnung für immer aufgeben, daß sie noch anderen Sinnes werden möchte, wenn die Zeit jenes Schreckgespenst noch mehr hätte verbleichen lassen.

So schwieg er.

Sie hatte jetzt den Curs wieder nach dem Ufer genommen, und auch er ruderte kräftig in dieser Richtung. Es schlug Elf vom Kirchthurm oben in Gardone, als sie landeten. Der Besitzer der Barke wartete ihrer schon in einiger Ungeduld, half dann aber höflich der Dame aussteigen und nahm von dem jungen Herrn das Fahrgeld in Empfang.

Sie legten den kurzen Weg nach dem Hôtel schweigend zurück. Auch dort war Alles schon still geworden, der Portier hatte nur ihre Rückkehr abgewartet, um das Haus zu schließen.

Gegen ihre Gewohnheit hatte sie Frank's Arm genommen, während sie die Treppe langsam hinaufstiegen. Aber vor der Thür ihres Zimmers angekommen, zögerte sie noch einen Augenblick. Sie standen sich in seltsamer Bewegung gegenüber. Dann sagte sie: Ich habe Ihr Wort, Frank, daß Sie morgen nicht ans Dampfschiff kommen, wenn ich abreise. Also wollen wir heute schon Abschied nehmen. Kommen Sie! Ich muß Ihnen noch ein Geheimniß vertrauen.

Sie ergriff seinen Kopf mit beiden Händen und flüsterte ihm ins Ohr: I love you! Und als er in höchstem Entzücken sie an sich ziehen wollte, hielt sie seinen Kopf fest, küßte ihn drei-, viermal leidenschaftlich auf den Mund und stieß ihn dann zurück. Farewell – for ever!

Dann trat sie hastig über ihre Schwelle und warf die Thür hinter sich ins Schloß, und er hörte, daß sie den Riegel vorschob und zum Überfluß den Schlüssel umdrehte.

*

In einer unbeschreiblichen Verwirrung aller Sinne hatte sich Frank von der Thüre losgerissen, hinter der das geliebte Wesen verschwunden war. Noch einmal anzuklopfen, zu versuchen, ob sie ihm trotz ihres grausam-süßen Abschiedes Einlaß gewähren möchte, hatte er als hoffnungslos aufgegeben.

So war er mit schwankenden Schritten den langen Corridor bis zu seinem Zimmer zurückgegangen, wie berauscht von einem feurigen Wein, und hatte sich fieberhaft aufgeregt auf den Stuhl am offenen Fenster geworfen. Draußen stand noch der Mond am hohen Himmel, der schmale Garten unten am See lag wie versilbert mit seinen edlen Gewächsen, Palmen, Magnolien und Agaven, und die Rosen dufteten zu ihm herauf.

War's denn kein Traum gewesen? Sie hatte ihm gestanden, daß sie ihn liebe, und das scheue Geständniß mit ihren Küssen besiegelt? Die Worte, die ihn beseligten, klangen ihm noch im Ohr, der weiche Druck ihrer Lippen brannte noch auf den seinen. Und das Alles sollte keine Verheißung, nur ein unwiderruflicher Abschied sein? Die Pforten des Paradieses wären ihm einen einzigen Augenblick geöffnet worden, um ihn dann für immer in das kalte Leben hinauszustoßen, das ihm jetzt nur um so mehr als eine Wüste erschien?

Nein, so durfte es nicht enden. Er durfte sich nicht wie ein blöder Knabe ihrem Machtspruch beugen, als ob ihr Wille, dessen Recht er nicht anerkennen konnte, ein Schicksalsspruch sei. Er hatte sein Wort gegeben, nicht am Landungssteg von ihr Abschied zu nehmen. Aber was hinderte ihn, auf demselben Schiff mit ihr abzureisen, ihr nach Venedig zu folgen, dort eine andere venezianische Nacht abzuwarten, wo sie seiner Bitte kein thörichtes Nein entgegensetzen würde?

Als er in seinen Gedanken so weit gekommen war, wurde er sehr froh, und vor seinen Augen standen Bilder eines überschwänglichen Glücks. Amor vincit omnia! sagte er vor sich hin und war unermüdlich, den tröstlichen Spruch immer neu zu variiren. Über dieser Träumerei in der Nachtstille überkam ihn endlich ein leichter Schlaf, aus dem er plötzlich auffuhr, als die Uhr auf dem Kirchthurm Mitternacht schlug. Er zählte die Schläge, indem er dachte, daß es nun wohl Zeit wäre, zu Bett zu gehen. Als aber der letzte Schlag verhallt war und das weite Haus nun wieder todtenstill – war das keine Täuschung seines von der Gespensterstunde spukhaft aufgeregten Bluts? Kam wirklich draußen auf dem Corridor ein leichter, huschender Schritt heran und hielt stille vor seiner Thür; und jetzt klopfte daran ein leiser Finger und dann eine Pause und dann, etwas stärker, wieder das Klopfen? Heiliger Gott, wenn er recht gehört hatte, wenn das Glück in tiefer Nacht sich an seine Thür geschlichen hätte und wartete nun, daß er käme und ihm öffnete und die Arme nach ihm ausbreitete – –

Ihm schwindelte der Kopf, er fuhr vom Stuhl in die Höhe, und taumelnd, mit einem Herzklopfen, das ihm die Brust zu sprengen drohte, war er in drei Sprüngen an der Thür und schob den Riegel zurück und griff mit zitternder Hand nach der Klinke – da tönte mit lautem Knall ein Schuß durchs Fenster herein, gleich darauf ein unterdrückter Schrei draußen im Gange, und als er die Thür aufriß, konnte er eben noch die schlanke weiße Gestalt in seinen Armen auffangen, die vor der Schwelle zusammenbrach.

Evelyn! flüsterte er, indem er sie aufzurichten suchte, süße, geliebte Evelyn, fasse dich, es ist nichts, ich bin bei dir, wir Beide leben und gehören einander – laß dich hineintragen –

Sie wand sich mit plötzlicher Entschlossenheit aus seinen Armen los und stieß ihn zurück. Fort! Fort! hauchte sie. Lassen Sie mich – folgen Sie mir nicht – ich werde wahnsinnig, wenn Sie mich halten –

Er sah in dem Zwielicht des matt beleuchteten Corridors ihre dunklen Augen in tödtlicher Angst von ihm wegblicken und mußte sie wohl freigeben. Unwillkürlich trat er vollends hinaus und wollte ihr nachgehen, sie wandte sich aber mit einer so gebieterischen Bewegung gegen ihn zurück, daß er an der Schwelle stehen blieb und mit verzweifelndem Schmerz sie den Gang hinunterwanken und in ihr Zimmer verschwinden sah.

*

An Schlaf war nicht zu denken. Aber so tief ihn das seltsame Erlebniß erschüttert hatte – in dem, was er beschlossen, fühlte er sich nicht verändert. Er benutzte die schlaflosen Stunden, seinen Koffer zu packen. Dann lag er angekleidet auf dem Bett und sann über diesen hartnäckigen Zufall nach, der das geliebte Wesen stets an der Schwelle des Glückes zurückstieß. Oder war's doch mehr als ein Zufall? Gab es eine Macht, die aus einem Jenseits herüber ein Menschenschicksal beherrschen konnte? Sein Verstand sträubte sich beharrlich gegen eine so widersinnige Lösung des traurigen Räthsels. Aber er begriff, daß ein Mädchengehirn darüber aus den Fugen gerathen und dem Wahnsinn nahe gebracht werden konnte.

Als er am hellen Morgen aus einem leichten Schlummer auffuhr, der ihn doch zuletzt übermannt hatte, war sein erster Gedanke, ihr zu schreiben, nur eine Zeile, mit der er sie um eine letzte Unterredung bat. Er fürchtete, wenn er unerwartet ihr entgegenträte, mit dem Grauen, das sie Nachts von ihm getrennt, auch am hellen Tage von ihr zurückgewiesen zu werden.

Eben hatte er sich zum Schreiben hingesetzt, da brachte ihm der Kellner ein Billet. Das schicke ihm die amerikanische Dame. Sie sei schon vor zwei Stunden abgereis't, in einem Wagen, den sie in aller Frühe habe kommen lassen, um das Schiff, das erst nach zehn Uhr ging, nicht abzuwarten. Sie wolle nach Desenzano lieber im Wagen fahren, um dann auch einen früheren Zug zu benützen.

Der Brief, den Frank in tiefer Bestürzung öffnete, enthielt nur die Worte:

»Leben Sie nochmals wohl, theuerster Freund! Ich war schwach genug, nur ein einziges Mal glücklich sein und glücklich machen zu wollen. Sie haben gesehen, daß man es mir nicht gönnt. Versuchen Sie nicht, das Schicksal, das mich zu lebenslanger Buße für ein jugendliches Vergehen verurtheilt, ändern zu wollen, folgen Sie mir nicht nach! In Venedig würden Sie mich ohnedies nicht finden, da ich meinen Reiseplan geändert habe. Eine zweite venezianische Nacht würde mir das Grauen, die Beschämung der gestrigen wieder aufwecken. Ihnen noch einmal in die Augen zu sehen, die ich so liebe, bringe ich nicht übers Herz. Vergessen Sie mich – vergiß mich und werde glücklich! Ich werde Dich nie vergessen!«

*

Eine Stunde später ging der einsam Zurückgebliebene in den Garten hinunter, die Morgenluft sollte ihm das Fieber in seinem Blute kühlen.

Neben einem dicken Lorbeerbusch fand er den Gärtner, der einen etwa fünfzehnjährigen Burschen am Halse festhielt und sein Gesicht unbarmherzig mit Schlägen bearbeitete.

Frank trat heran und rief dem aufgebrachten Manne zu, was der Junge denn verbrochen habe, um so barbarisch gezüchtigt zu werden.

Der Gärtner ließ sofort den Mißhandelten fahren, der sich winselnd und den Kopf haltend spornstreichs aus dem Staube machte.

Der unnütze Schlingel! rief er, sich den Schweiß von der Stirn wischend. Zur Arbeit ist er nie recht aufgelegt, aber wo ein dummer Streich zu machen ist, da ist mein Nino flugs bei der Hand. Die alte Gräfin, die da unten im Erdgeschoß wohnt, hat sich heftig beim Wirth beschwert. Sie ist hierher gekommen, weil sie zu Hause nicht hat schlafen können. Ihr Doctor hat ihr die Seeluft verordnet, und richtig, die vorletzte Nacht hat sie ganze fünf Stunden schlafen können und freute sich darauf, diese letzte, wenn's erst stille geworden nach der Illumination und dem Feuerwerk, nun wieder bis an den Morgen Schlaf zu bekommen. Und da muß der Nino, der Teufelsjunge, der noch hier im Garten herumstrich, eine noch geladene Rakete finden, gerade um Mitternacht, und schießt sie ab, hier vorm Fenster der Gräfin – Sie wohnen ja über ihr im zweiten Stock und müssen den Knall gehört haben! Die Gräfin aber hat von dem plötzlichen Schuß solches Herzklopfen bekommen, daß sie die ganze Nacht wieder kein Auge hat zuthun können. Nun, der verwünschte Taugenichts wird sich wohl hüten, noch einmal einen solchen Teufelsspuk zu treiben!


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