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Antiquarische Briefe

(1900)

 

Maderno, 28. Oct. 189..

Lieber, verehrter Sanitätsrath und Freund!

Sie werden sich wundern, wenn Sie lesen, von wo aus ich Ihnen schreibe. Ich hatte versprochen, Ihnen erst die Ankunft an meinem Ziel zu melden, das sollte Gardone am Gardasee sein. Nun bin ich aber schon ein paar Stationen vorher hängen geblieben.

Maderno ist nämlich noch zehn Dampfschiffminuten von jenem berühmten Winterkurort an der Riviera entfernt und hat bisher noch nicht viel von sich reden machen. Ich selbst hörte hier den Namen zum ersten Mal. Als aber der Benaco, auf dem ich fuhr, mit Prusten und Schnaufen am Landungssteg anlegte, entzückte mich eine süße kleine alte Kirche, die über den Platz herübersah, und das ganze alte Nest heimelte mich auf den ersten Blick an.

Ein mitreisender Herr, der den ganzen See wie seine Tasche kannte, bemerkte meinen Enthusiasmus und fand ihn sehr berechtigt. Er habe selbst einmal vier Wochen hier gewohnt, in einer ganz leidlichen Pension, als er in Gardone kein Unterkommen gefunden hatte. Das könne mir ja auch passieren, dacht' ich, entschloß mich rasch, mein bischen Gepäck ans Land bringen zu lassen, und eine Stunde später war ich denn auch richtig in einem etwas kahlen, aber sauberen Zimmer untergebracht, mit Prachtaussicht auf den See und einem großen Bett, das gerade gegenüber dem Balcon steht, und von wo aus ich alle Sonnenaufgänge aus erster Hand habe. Das war gestern.

Seitdem habe ich noch nicht viel von meiner nächsten Umgebung gesehen, bis auf die Enttäuschung, die mir das Kirchlein gemacht hat. Es ist nämlich eine Attrappe, nur eine architektonisch merkwürdige Façade, aber nichts dahinter, das Innere nicht viel über hundertfünfzig Jahre alt. Wenn ich aquarelliren könnte, würde mich das nicht anfechten. Denn die goldröthliche Farbe des Steins und die altromanischen Ornamente – ich hoffe doch, mit dieser Bezeichnung blamire ich mich nicht – kurz, das ganze alte Coulißchen ist so malerisch, daß man sich nicht dran satt sieht.

Hiermit aber werde ich für diesmal mein antiquarisches Gewissen Ihnen gegenüber befriedigt haben. Ob ich überhaupt dazu kommen werde, mein Versprechen zu halten und Ihnen über meine Alterthumsstudien ausgiebigen Bericht zu erstatten, weiß der Himmel. Der Anfang wenigstens hat meine Hoffnungen, auf meine alten Tage noch ein bischen Kenntnisse zu sammeln, wie Sie mir zur Pflicht gemacht, sehr niedergeschlagen.

Daß Sie mich überhaupt dazu aufgemuntert haben, war ja gewiß sehr gut und gescheidt von Ihnen. Denn wie ich seit dem Tode meiner Anita selbst wie lebendig begraben in unserm öden alten Häuschen hockte, auch nachdem das sogenannte Trauerjahr verstrichen war, mich nicht ins Leben wieder zurückfand, konnten Sie als unser alter Freund, Leib- und Seelsorger nicht ruhig mitansehen. Die Diagnose aber, woran es mir fehlte, war leichter als die Heilmethode. Sie hatten ganz Recht: wenn man eine große Liebe, die größte und einzige seines Lebens verloren hat, muß man sich nach neuen Liebesgelegenheiten umsehen, wären sie auch alle einzeln auf den ersten Blick kaum der Rede werth; »es läppert sich doch zusammen«. Und da überlegten wir, wie ich das anzufangen hätte. Vierzehn Jahr hatte ich meine geliebte Schwester in ihrer Gebrechlichkeit gepflegt, und auch ehe sie in dies Siechthum verfiel, eigentlich nur sie und ihren süßen Jungen geliebt, den wir so früh wieder hingeben mußten. Darüber waren mir all meine anderen Jugendbekannten entfremdet worden, und »verliebt« für mein eigen Theil war ich ja überhaupt nur ein einziges Mal gewesen, auch da nur, wie man etwa eine Mode mitmacht, die einem nicht recht zu Gesichte steht. Mein Bräutigam war zwar selbst ein sehr hübscher Mensch; aber um so komischer kam es mir vor, daß er an meinem garstigen Gesicht Gefallen sollte gefunden haben, zumal er ein Maler war. Für seinen Kunstverstand war das nicht gerade ein besonderes Zeugniß. Zumal die moderne Richtung auf das Häßliche damals noch nicht eingerissen war. Ob nicht das bischen Geld meine unansehnliche Visage in seinen Augen reizend machte wie einen alten Cimabue auf Goldgrund, darüber machte ich mir beständig Gedanken, und in einer richtigen Liebe sollen einem ja die Gedanken vergehen.

Na, das gütige Schicksal hat mir's denn auch erspart, dahinterzukommen, was an der ganzen Liebschaft richtig oder unrichtig war. Der arme Mensch verunglückte, wie Sie wissen, bei einer Segelpartie. Ich war – Gott verzeih' mir's! – im Stillen ordentlich froh, daß ich meine Zärtlichkeit nun wieder ungetheilt meiner Schwester widmen konnte. Kindliche Liebe hatte ich nie gekannt, unsere Eltern starben so früh, der Vormund, der uns mit einer Gouvernante erzog, hielt es für sehr überflüssig, uns Liebe zu zeigen, wenn er nur unser Vermögen gewissenhaft verwaltete. Dann heirathete Anita, und ich lernte auch das Gefühl des Hasses und der Eifersucht kennen – gegen ihren Gatten, der ja ein sehr lieber und braver Mann war. Aber warum mußte er mir meine einzige Herzensfreude stehlen?

Sie sehen, verehrter Freund, wenn ich überhaupt nicht an dem bewußten Muskel unter der sechsten Rippe links zu kurz gekommen bin, so habe ich doch versäumt, ihn vielseitig auszubilden. In der Zeit, als ich nicht mit der Schwester zusammen wohnte – eben wegen meines rasenden Neides auf den Schwager – habe ich zwar versucht, mein Herz an etwas Lebendiges zu hängen, erst an einen Dompfaff, den ich einmal auf dem Markt gefunden, wo er in einem winzigen Käfich steckte und mein Mitleid erregte. Dann an ein Kätzchen. Beide Male ist mir's schlecht bekommen. Ich habe, als die Thiere starben, so bitterlich geheult, wie sie wahrscheinlich gar nicht werth waren. Denn wir fühlen doch wohl in diese Geschöpfe weit mehr Herzliches und Menschliches hinein, als in ihnen selber steckt, und lieben in ihnen unsere eigenen idealisirten Phantasiewesen.

Seitdem, das heißt, nachdem der Schwager gestorben war, habe ich ein für allemal darauf verzichtet, etwas Menschliches oder Animalisches zärtlich ins Herz zu schließen, außer dieser einen einzigen, von mir leidenschaftlich vergötterten Schwesterseele. Sie haben sie hinlänglich gekannt, um es nicht geradezu verrückt zu finden, daß ich in ihr einen solchen Ausbund aller Liebenswürdigkeiten sah. Ein bischen Überschätzung gehört ja zu jeder Liebe. Aber die Thräne, die ich in Ihren verhärteten alten Doctorsaugen sah, als unsere Anita die ihren für immer schloß, zeugte dafür, daß auch Sie nicht hatten widerstehen können und mir nachfühlten, wie leer die Erde für mich sein müsse, nachdem ich ihr diesen Schatz, mit ihm meinen ganzen Reichthum an Lebensfreude, hatte zurückgeben müssen.

29. Oct.

Ich bin gestern nicht weitergekommen. Die Erinnerung hatte mich zu sehr angegriffen, da noch Alles in mir zu sehr aufgelockert ist, um nicht bei der geringsten Berührung in heftige Bewegung zu gerathen.

Heute bin ich ruhiger. Ich habe sehr lange und traumlos geschlafen, so fest, daß ich von dem Überfall der Zanzaren, die mir über Nacht Gesicht und Hände gräßlich zerstochen haben, erst etwas merkte, als ich mich Morgens im Spiegel besah. So wenig ich eitel bin – wie eine tätowirte Wilde mag ich mich nicht unten am Mittagstisch präsentiren und werde auch beim Ausgehen mein holdes Antlitz den Einwohnern von Maderno nicht ohne zwei dichte Schleier zu bewundern geben.

Dieser Brief ist schon so lang geworden, daß er doppeltes Porto kosten wird, und doch steht fast nichts drin, was Sie nicht schon wissen, außer daß meine Adresse »Maderno (Gardasee)« ist. Damit aber soll nicht gesagt sein, daß ich eine Antwort von Ihnen erwarte. Sie haben Wichtigeres zu thun, als mit einer schwatzhaften alten Patientin Briefe zu wechseln, zumal wenn Sie dieselbe im Stillen für unheilbar ansehen und sie, wie das auch bei Ihren Herren Collegen der Brauch ist, nur in eine entfernte Kuranstalt geschickt haben, um sie loszuwerden.

Nichts für ungut!

Mit herzlichem Gruß Ihre ergebene
Rosa Maria Smidt.

*

M. 1. Nov.

Mit der berühmten »südlichen Sonne« scheint es auch nur Schwindel zu sein. Seit gestern ist sie hinter einer dicken Nebelschicht nicht zum Vorschein gekommen, der lange Uferstrich drüben und die Gardainsel sind so verduftet, daß man fast glauben könnte, da drüben dehnte sich das weite Meer. Immerhin hat der November hier am Gardasee noch Einiges voraus vor dem Wintersanfang an unserer Alster, zunächst die große Windstille, dann die vielen Oliven-, Lorbeer- und Cypressenbäume, die den Gedanken, der Sommer habe definitiv abgewirthschaftet, nicht aufkommen lassen. Kranke, die hieherkommen, befinden sich auch in der stillen, weichen Luft trotz aller Sonnenlosigkeit ganz wohl, wie ich von meinen Tischgenossen höre. Nur wer so impertinent gesund ist, wie ich, aber desto schlimmer am Heimweh leidet, Heimweh nach einer Heimgegangenen, der empfindet den Druck dieser trüben Atmosphäre doppelt.

Zumal, wenn er sich des Zweifels nicht erwehren kann, ob das Heilverfahren, das Sie, mein gütiger Freund und Nothhelfer, vorgeschlagen haben, den gewünschten Erfolg haben werde.

Gewiß haben Sie Recht gehabt: so konnte es nicht fortgehen. Ich mußte meinem verwais'ten Leben wieder einen Inhalt schaffen, meinem Kopf eine Aufgabe, wenn auch das Herz, das sonst alle Hände voll zu thun hatte, jetzt müßig bleiben muß. Da ich Ihnen erklärte, zu lebendigen Surrogaten könne ich mich nicht entschließen, mich weder an fremde Menschen, noch an Katzen, Schooßhunde oder Zimmervögel attachiren, schlugen Sie mir vor, es mit irgend einer noblen Passion zu versuchen. Da war nun auch Holland in Noth. So alt ich geworden bin, habe ich nie ein Talent cultivirt, außer dem einen, meiner Anita so viel Liebes anzuthun, als sich irgend erdenken ließ. Ich habe weder Klavier gespielt, noch Blumen gemalt und – zu meiner Ehre sei's gesagt – nicht einmal als Backfisch Sonne auf Wonne und Herz auf Schmerz gereimt. Auch habe ich weder Schmetterlinge noch Briefmarken gesammelt, und getrocknete Blumen zwischen Löschpapier waren mir ein Greuel. Ich machte also ein sehr dummes Gesicht, als Sie mir auseinandersetzten, ich müsse mir durchaus eine Beschäftigung suchen, die meine Gedanken von dem ewig Einen, Trostlosen, Unwiederbringlichen ablenkten, wenn ich nicht bei lebendigem Leibe zur Mumie eintrocknen wolle. Ich sehe aber noch das feine Zwinkern Ihrer hellen Augen hinter der goldenen Brille, als Sie mir, wie wenn Ihnen plötzlich für einen aufgegebenen Patienten die rettende Arznei eingefallen wäre, mit Ihrer gebieterischen Stimme, die keine Widerrede duldet, verordneten: Sammeln Sie alte Möbel! Sie haben ja schon einige Kenntnisse in diesem Fach. Die sollen Sie vervollständigen, und in Jahr und Tag werden Sie sich zwischen all dem alten Gerümpel um zehn Jahre verjüngt fühlen.

Ich merkte gleich, wie Sie auf diesen Einfall gekommen waren. Meine Anita hatte diese Liebhaberei für Antiquitäten gehabt, es war also gewissermaßen eine Erbschaft, die ich antrat, wenn ich mich auch dazu aufschwang. Bis dahin hatte ich mich nur ihr zu Liebe für wurmstichige geschnitzte Schränke und Truhen und alte Brocatstoffe interessirt und war mir dabei oft als eine armselige Anempfinderin vorgekommen. Wenn ich aber jetzt mich bemühte, etwas zu lieben, was sie geliebt hatte, war's doch immer, als wäre mir noch ein sichtbarer Theil von ihr geblieben.

Sie hatte ja nach und nach unser ganzes Häuschen am Harvestehuderweg »stilvoll«, wie sie behauptete, eingerichtet. Ich fand Manches darin recht niedlich, Anderes wieder hätte ich am liebsten in die Rumpelkammer geschafft. Aber da sie Freude daran hatte, war mir's auch recht. Nur das sogenannte Fremdenzimmer, wo wir nie einen Gast beherbergten, und eine Kammer daneben war noch mit ganz unwissenschaftlichen, will sagen, unhistorischen Mahagonimöbeln ausgestattet – und natürlich das Stübchen unserer alten Marieken, die uns lieber gekündigt hätte, als »so'n gräsigen Kram« in ihrer Nähe zu dulden. Das Fremdenzimmer aber gleichfalls zu stilisiren hatte meine arme Anita noch in ihren letzten Tagen beschäftigt. Ich hatte zu verschiedenen Trödlern herumlaufen und ihr Bericht erstatten müssen. Ihre armen Augen hatten sich dann geschlossen, ehe sie an der Erfüllung dieses letzten Wunsches sich weiden konnten.

Das sagte ich Ihnen, und Sie nickten sehr einverstanden dazu. Aber als ein schlauer und weitblickender Seelenarzt wollten Sie nichts davon hören, daß ich meine Alterthumsstudien in unserer Stadt in Angriff nahm. Was hier zu finden ist, sagten Sie, kennen Sie ja. Für das Fremdenzimmer müssen Sie was Apartes auftreiben, nicht immer das eintönige sechzehnte Jahrhundert. Gehen Sie auf eine Studienreise, treiben Sie sich ein büschen in Süddeutschland und Tirol herum, da ist in den Bauernhöfen und abgelegenen Dorfkirchen noch Manches zu finden, was den Händlern entgangen ist. Sie sollen sehen, so ein altes Trumm, das Sie selbst entdeckt und für ein Butterbrod erstanden haben, macht Ihnen ein ganz anderes Pläsir, als was Sie in einem richtigen Antiquitätenladen mit schwerem Gelde bezahlen müßten. Und mit der Zeit kommen Sie in den Geschmack hinein, und das bischen Culturgeschichte, das an Möbeln und Hausgeräth hängt, gewinnt Ihnen immer größeres Interesse ab.

Ich merkte wohl, verehrter Freund, was Sie mit alle dem beabsichtigten. Mehr noch als an meinen Culturstudien lag Ihnen an der Luftveränderung, die damit verbunden war. Ich sollte aus dem alten Häuschen, das noch nach Jahr und Tag ein Trauerhaus war, einmal in die weite Welt, mir die Augen auswaschen, in denen noch immer Thränenspuren zurückgeblieben waren. Und da ich von Hause aus eine resolute Natur bin und gar nicht zu weichlichem Hinbrüten angethan, sperrte ich mich auch nicht gegen Ihre Kurmethode.

Ich nahm, bevor ich ging, noch die Maße von den Wänden, die ich möbliren sollte, überlegte, was ich alles anzuschaffen hätte, schärfte Marieken ein, gehörig den Staub von den alten Schränken, Kommoden und Bilderrahmen zu wischen, und trat dann, freilich mit einem Seufzer, die weite Reise an.

*

2. Nov. Nachmittags.

Gestern wurde es früh in meinem Zimmer so dunkel, daß ich mit Schreiben aufhörte, da die elektrische Lampe zu hoch über meinem Tische angebracht ist, um bequem dabei zu lesen oder zu schreiben. Der Abend verging übrigens ganz angenehm. Es ist eine norddeutsche Familie in der Pension, mit der ich mich rasch ein wenig angefreundet habe. So verbrachten wir die Stunden nach dem Essen mit einer Whistpartie, wobei ich freilich Lehrgeld zahlen mußte, da ich die langen Jahre mit meiner Anita nichts als Grabuge gespielt hatte.

Nun fahre ich heute, wo es ausgiebig »dröscht« und man sich wie in einem nassen Sack klamm und fröstlich fühlt, in meinem Bericht an Sie fort. Dies soll denn auch der erste wirkliche »antiquarische Brief« werden. Wenn er nicht so interessant wird, wie die Lessing'schen, liegt es nicht bloß daran, daß die Schreiberin kein Lessing ist, sondern am Stoff, der leider trotz seiner Überfülle nur einen kleinwinzigen Ertrag geliefert hat.

Denn als Sie mir sagten, in München würde ich mich wie in einem antiquarischen Paradiese fühlen, wenn ich in das dortige Nationalmuseum käme, haben Sie mir viel mehr wissenschaftlichen Sinn und Verstand zugetraut, als ich in meinem einfältigen fünfzigjährigen Altjungfernkopf besitze. Ich selbst kannte mich besser. Mir graulte schon vorher ein bischen, wenn ich daran dachte, daß ich mir angesichts all der Schätze wie ein dummer Dorfdeubel vorkommen würde. Daß dies so arg werden würde, hatte ich freilich nicht gedacht.

Von außen sah sich die Sache ja ganz nüdlich an. Keine solche Kunstkaserne sieben Stock hoch und eine halbe Meile breit, wie ich mir vorgestellt hatte, wenn ich dachte, daß der Hausrath und das Kunstgewerbe von acht Jahrhunderten darin untergebracht werden mußte, nein, eine kleine Stadt für sich, kleine, einstöckige Häuschen mit Thürmen und Erkern und Treppchen und Nischen dicht aneinander gereiht und nur in der Mitte ein höherer Bau, wie die Kluckhenne, die ihre Küchlein unter ihre Flügel nimmt. Das sieht sich ganz lustig an, und man ahnt nichts Arges, wenn man hineintritt. Aber kaum ist man über die Schwelle, ochott, ochott! da überfällt's einen, daß sich einem Alles vor den Augen herumdreht. Natürlich nur, wenn man so'n einfältiges Geschöpf ist wie Schreiberin dieses. Denn ein solcher Wolkenbruch von Alterthümern, wie er da von Zimmer zu Zimmer, von Halle zu Halle über einen hereinplatzt, daß man in ein paar Stunden erlebt, wozu man eigentlich Jahre brauchte – nein, mein verehrter Freund, das auszuhalten, dazu gehören stärkere Nerven. Mir wurde schon nach einer Stunde so schlecht, daß ich mich durch den ersten besten Ausgang ins Freie retten mußte, obwohl ich noch nicht den zehnten Theil gesehen hatte – was man so sehen nennt – wie mit Fischaugen, die Alles anglotzen, ohne sich dabei was zu denken.

Draußen, in der schönen Prinz-Regentenstraße, als ich zur Besinnung kam, schämte ich mich freilich nicht wenig. Das will eine Frau sein, die auf eine antiquarische Studienreise geht und auf der ersten Station sich so schauderhaft blamirt? Aber wie ich dann an die Isar hinunterkam und die schönen Ufer und von der Maximiliansbrücke aus die fernen Berge sah, richtete ich mich aus meiner tiefen Erniedrigung wieder auf. Ist es denn so schanierlich, wenn einem in einer Regimentsküche, wo hundert Töpfe brodeln, der Appetit vergeht? Das war immer schon meine Schwäche gewesen: lieber gar Nichts, als zu Viel. Ich aß als kleines Gör nichts lieber als Äpfel. Bei einem Besuch in Berlin, wo eine Tante von uns wohnte, kam ich einmal an den Weidendamm und sah die Äpfelkähne am Ufer liegen, die von den Werderschen Inseln. Statt daß mich der Anblick gelüstig gemacht hätte, konnte ich wochenlang keinen Apfel, nicht den schönsten Gravensteiner mehr riechen.

Und daß dem König Salomo nicht die Liebe vergangen ist, wenn er sich unter seinen tausend Frauen und Kebsweibern sah, habe ich nie begriffen!

Addio für heute! Der Regen macht mich melancholisch. Wenn er an unsere Fenster am Harvestehuderweg schlug, setzte meine Anita sich an den Flügel und spielte ein bischen Bach, das überbraus'te die schläfrige Regenmelodie wie Meeresbrandung.

So gut wird mir's nun nie wieder!

Ihre ergebenste
Rosa Maria S.

*

Maderno, 6. Nov.

»Und der Regen, der regnet jeglichen Tag!« Wir müssen's eben leiden und uns damit trösten, daß alle »tropischen« Gegenden (ganze zehn Grad Celsius noch am 5. November, bitte!) ihre Regenzeit durchzumachen haben. Mi nich to slimm, seggt de Swinegel, dem es freilich nicht darauf ankam, mit seinen kurzen Beinchen durch den Schlamm zu patschen. Ein eleganter junger Maler aber, der hier Studien malen wollte, hat es nicht ausgehalten, sondern gestern sein Bündel geschnürt, nachdem er ins Fremdenbuch unserer Pension den Platen'schen Vers geschrieben hatte:

Nie laß mich wiedersehn, o nie
Die nebelreiche Lombardie!

Wir Anderen bringen uns ganz leidlich durch den Tag, stapfen mit Regenmänteln und Gummischuhen durch die Gassen des kleinen Nestes, die freilich besser gekehrt sein sollten, und ich citire zuweilen den Vers aus Dante's »Hölle«:

Così sen vanno su per l' onda bruna.

Denn meinen kleinen Dante habe ich natürlich mit hergebracht, auch eine Reliquie! Vor sechs Jahren, entsinnen Sie sich noch? hatte meine arme Anita sich's ja in den Kopf gesetzt, nach Rom zu reisen, und wir hätten's auch trotz Ihres Kopfschüttelns gethan, wenn nicht der Typhus dort ausgebrochen wäre, der den ganzen Winter anhielt.

Inzwischen hatten wir eifrig Italienisch zu lernen angefangen, und zwar tollerweise gleich mit der »Göttlichen Komödie« (die übrigens bye the bye weit leichter ist, als die berühmten Promessi sposi, mit denen sich alle Anfänger pflichtschuldigst abquälen). Gerade bis ans »Fegefeuer« waren wir gekommen, da wurde es schlimmer mit meinem süßen Sorgenkind, und nach etlichen Monaten, als Sie ihr wieder einmal aus dem Gröbsten herausgeholfen hatten, kam der Dante nicht wieder aufs Tapet.

Es ist aber immerhin so viel von meinen damaligen Exercitien an mir hängen geblieben, daß es mir hier entschieden zu Statten kommt, und an den trüben Tagen lerne ich fleißig weiter.

Aber das interessirt Sie gewiß sehr wenig. Ich bin Ihnen noch die Fortsetzung der antiquarischen Erlebnisse schuldig.

Also: mit München war ich fertig, ehe ich noch recht mit ihm angefangen hatte. Es thut mir das wirklich leid, da ich bei einer Rundfahrt in einer Droschke sah, was für eine schöne Stadt es ist, auch wenn man sie, wie ich, nicht aus dem Gesichtspunkt des Maßkrugs betrachtet. Aber selbst die berühmten Theken haben mich nicht halten können, nicht bloß, weil ich auch da mich vor dem Zu Viel fürchtete und mir keine Kunstindigestion zuziehen wollte, sondern weil ich all das Schöne, was ich sah, mit so schlechtem Gewissen genoß, wie ein Schulkind, das die Schule schwänzt. Ich war ja auf eine antiquarische Reise gegangen, vielmehr geschickt worden. Nun hatte ich aus der hohen Schule, die Andere mit so großem Nutzen durchschmarutzt hatten, Reißaus genommen, und zwischen dem Geklapper meiner Droschke glaubte ich hinter mir immer einen Ton zu hören wie von Goethe's wandelnder Glocke, die dem durchgebrannten kleinen Mädchen nachlief.

Ich fuhr also am nächsten Tage weiter nach Süden, hielt mich auch in Innsbruck nicht auf, sondern kam Abends ohne Fährlichkeiten in Bozen an. Sie kennen diesen Weg und erlassen mir gern die Beschreibung, zu der ich auch das Talent nicht hätte. Ja, daß ich's nur gestehe: angesichts all der schönen Alpenscenerieen kam mir's so recht zum Bewußtsein, daß es doch einigermaßen verrückt sei, für warme Menschenherzen, die man verloren, sich an schneebedeckten Bergklötzen Ersatz oder wenigstens Linderung holen zu wollen. Ich bekam einen förmlichen Haß auf den berühmten Brenner, drückte mich in den Winkel meines einsamen Coupés und heulte wie ein Schloßhund, bis ich endlich darüber einschlief.

Dann dachte ich in Bozen ein paar Tage zu rasten. Das alte Nest hat mich aber etwas enttäuscht. Es hat ja eine sehr schöne Kirche, und der Blick von der Talferbrücke aus nach der Mendel und dem Rosengarten ist großartig, auch der weite Platz mit dem Walther von der Vogelweide auf seinem marmornen Ofen muß im Sommer sehr lustig sein. Im windigen Spätherbst aber hörte der Spaß auf. Man muß geradezu ein deutscher Professor sein und für den Magdalener Wein schwärmen, um sich auch dann hier wohl zu fühlen. Ich aber, die ich weder im Torgglhaus noch im Batzenhäusl mich festtrinken mochte, dagegen in den kellerhaft eisigen Lauben fror und in den anderen Straßen die Augen voll Staub kriegte, entsagte auch der Fahrt nach Gries und Meran und fuhr am dritten Tage weiter.

Diesmal traf ich's mit meiner nächsten Station – Trient – desto besser. Eine herrlich gelegene, schöne, schon ganz italienisch anmuthende Stadt – na, Sie kennen Sie ja wohl auch –, ein vortreffliches Hôtel, das lieblichste Wetter und, für meine besonderen Umstände nicht das Letzte, ein Antiquar, bei dem man, obgleich das Meiste nicht echt ist, viel lernen und viel Geld sitzen lassen könnte.

Was mich betrifft, ist es zu beidem nicht gekommen.

Das Geschäft liegt in der schönen, breiten Straße mit den breiten alterthümlichen, mit Erkern und Fresken geschmückten Häusern, an denen ich mich nicht satt sehen konnte. Dann trieb ich mich noch eine geschlagene Stunde auf dem Domplatz und in der wundervollen alten Kirche herum, und zum ersten Male gefiel mir die Welt wieder ein bischen, in der ich so allein zurückgeblieben war.

Dann, wie ich noch einmal zu den beiden Häusern zurückschlenderte, in die ich mich förmlich verliebt hatte, stieß ich auch auf das Haus des Antiquars. Das Thor stand offen, die große untere Halle lockte mich hinein, und ich sperrte Mund und Augen auf, da ich hier vom Boden bis unter die Decke übereinander gestapelt unzählige geschnitzte Truhen erblickte, große und kleine in vier, fünf Etagen, alle mit ehrwürdigem Staube incrustirt. Eine sehr bethuliche italienische Frau begrüßte mich, so höflich wie eine Spinne, der eine dumme kleine Fliege eben ins Netz zu gehen Miene macht. Aber die Fliege war nicht so dumm, wie sie aussah. Truhen waren meine, will sagen meiner Anita Specialität. Wir waren so ziemlich dahinter gekommen, wodurch sich die nachgemachten von den echten alten unterscheiden. Und hier hätte auch ein unerfahrnerer Kunde gewarnt werden müssen durch die allzu gleichmäßige Decorirung mit Staub, während der Verkäufer bei einem guten Gewissen solche Mätzchen entbehren kann.

Ich imponirte der guten Frau sehr, als ich mit meiner Kennerschaft herausrückte, und sie gestand auch gleich, dies Alles sei roba moderna, es ließe sich ja auch zu so billigem Preise nichts Altes auftreiben, immerhin fänden sich in den Schlössern und Landhäusern der alten adeligen und bäuerlichen Familien noch manche gute echte Stücke, und sie mache sich eine Ehre und ein Vergnügen daraus, mir zu zeigen, was sie an solchen besitze, wenn ich auch nichts kaufen würde.

Es waren wirklich recht hübsche Stücke darunter, schöne Chorstühle, Betschemel, prachtvolle große Schränke mit sehr gutem Figurenwerk, Waschtoiletten mit zinnernen Delphinen, kurz, was das Herz nur begehren mochte. Das meine aber blieb ungerührt, da sich's auf etwas Anderes gesteift hatte.

Ich habe mir nämlich vorgenommen, das »Fremdenzimmer« zur Abwechselung mit Möbeln à la Louis XVI. auszustatten. Einen reizenden Schreibsecretär aus dieser Zeit mit schöner eingelegter Holzarbeit hatte Anita ja schon gekauft, halb wider Willen, da sie diesen Stil nicht sehr mochte. Es war aber ein gar zu appetitliches Möbel – Sie entsinnen sich vielleicht, es steht in dem schmalen Kabinet, wo die Pastellbilder hängen. Mir hatte es von Anfang an besonders eingeleuchtet und jetzt – ich habe mir lange Scrupel darüber gemacht, ob ich Anita das anthun könnte, nun das ganze Zimmer so einzurichten. Aber am Ende würde sie doch auch einsehen, daß der kleine Secretär nicht so einsam bleiben dürfe, und hätte sich mit Louis XVI. ausgesöhnt.

Von dem Stil nun fand ich kaum etwas bei der guten Frau, und als ich ihr's sagte, meinte sie, solche Sachen seien überhaupt rar in Südtirol, da müsse ich schon weiter hinunter nach der Lombardei. In Mailand, Brescia, Verona seien manche alte Familien so eingerichtet gewesen und jetzt ihres Mobiliars entweder überdrüssig, oder so heruntergekommen, daß sie's gern unter der Hand verkauften. Sie gab mir auch ein paar Adressen, und wir trennten uns als die besten Freundinnen, obwohl ich ihr nicht für einen Gulden zu verdienen gegeben hatte.

Santa Madonna! (wie die Rosina in unserem Hause alle zehn Minuten sagt) was für ein Ungeheuer von Brief ist das wieder geworden. Aber nun sind meine antiquarischen Erlebnisse ja auch sämmtlich berichtet, ich werde nicht wieder ins Schwögen kommen. Leben Sie wohl, gütigster, nachsichtigster Freund. Hoffentlich haben Sie am Alsterbassin helleres Wetter als unter dem »ewig blauen Himmel des Südens«.

Ihre Sie herzlich verehrende
Rosa Maria.

*

M., 20. Nov.

Vierzehn Tage lang keine Feder angerührt. Ich war so unerhört schlechter Laune, daß ich mir selbst am liebsten entflohen wäre, geschweige Anderen mit meiner unausstehlichen Person zur Last fallen mochte.

Natürlich trug der Himmel die Hauptschuld. Es reizte mich förmlich, zu probiren, wer ein graueres, verdrossneres, menschenfeindlicheres Gesicht machen konnte, er oder ich. Nur daß er keine so gute Entschuldigung dafür hatte, sondern von Gottes und Rechts wegen in schönstem Glanze strahlen sollte, da er den Vorzug hat, immer in diesen schönen See hinabzublicken. Ich aber –

Ach, verehrter Freund, manchmal zweifelte ich sogar an Ihnen, Ihrer alten Freundschaft für mich oder Ihrem Verständniß für meinen Zustand. Hand aufs Herz: konnten Sie wirklich im Ernst sich einbilden, mir wäre durch Luftveränderung zu helfen oder durch das Herumkramen in altem Gerümpel? Ist das eine Thätigkeit, die einem armen, im Erstarren begriffenen Menschenherzen zu einem frischen Blutumlauf verhilft? Und wenn ich wirklich mich Tag und Nacht gerührt haben werde und das Zimmer nun aus allen Ecken und Winkeln nach Louis XVI. riecht, was dann? Soll ich etwa ein ganzes Haus miethen und ein Alterthumsmuseum daraus machen und als mein eigener Custode darin herumspazieren? Oder gar mich unter die schriftstellernden Frauen mischen und gelehrte Abhandlungen über alte Bettladen, Spiegelrahmen oder Spuckkästchen verfassen?

Aber verzeihen Sie diesen Schmerzensschrei einer noch immer nicht geheilten Seele. Sie haben mir ja selbst gesagt, so geschwind werde es nicht gehen; mit einer »noblen Passion« glücke es selten wie mit einer anderen Verliebung, die oft wie Blitz und Schlag vor sich gehe; man merke erst gar nicht, daß man Werth auf dies oder das lege, bis Eins zum Andern komme und einem endlich, wie bei einem Reisigfeuer, wo es lange nur so bescheiden knistere, die helle Flamme überm Kopf zusammenschlage. Zuletzt komme noch der Ehrgeiz hinzu, etwas in seiner Weise Vollständiges zusammenzubringen. Ach ja, das mag wohl so sein. Auch Anita hatte eine unvollzählige Besteckgarnitur, die ihr beständig im Sinne lag. So will ich denn auch für mich die Hoffnung nicht aufgeben und vor Allem besseres Wetter abwarten. Bei den Patiencen, die ich lege, der abendlichen Whistpartie und den Nebelpromenaden muß einem ja ganz lebensüberdrüssig zu Muthe werden, und Burckhardt's Renaissance hilft auch nur über ein paar Stunden hinweg. Das Beste war noch Ihr lieber Brief, in dem Sie mir so großmüthig Absolution für mein Auskneifen aus der Nationalgalerie ertheilten. Ich gelobe dafür auch, bei der Rückkehr mich tapferer zu betragen und wirklich wenigstens in die dortige Louis XVI-Sammlung mich gründlich einzuarbeiten.

Mit der Rundreise in der Lombardei, die meine Trientiner Freundin mir angerathen, ist's vorläufig Nichts. Ich habe mir einen regelrechten Schnupfen zugezogen, als ich einmal eine Fahrt im offenen Wägelchen nach Toscolano und Gargnano machte. Übrigens entzückend, diese Chaussee zwischen hohen Lorbeeren zu beiden Seiten, und die herrliche Straße am hohen Ufer, selbst in der sonnenlosen Luft. Das ist mit ein bischen Nießen und Hüsteln nicht zu theuer bezahlt.

Seitdem habe ich nur kleine Spazierschliche im Ort und der nächsten Umgebung gemacht und dabei entdeckt, daß sich hier in Maderno selbst ein Antiquar befindet, wie man ihn sich nur wünschen kann, zugleich unterrichtet und kein Schwindler, noch dazu ein Deutscher. Bei dem bin ich nun ein paarmal gewesen und habe mich ordentlich mit ihm angefreundet.

Ich dachte es sehr schlau anzufangen, indem ich gleich beim Eintreten in seinen Laden äußerte, ich machte nur Jagd auf Louis XVI-Sachen. Damit glaubte ich, da ich dergleichen hier wohl nicht finden würde, berechtigt zu sein Alles anzusehen, ohne etwas zu kaufen. Nun hatte der Mann aber zufällig eine Garnitur von sechs Stühlen und einem süßen kleinen Sopha, mit braunem Seidenzeug und kleingeblümt überzogen, vortrefflich conservirt, forderte aber einen enormen Preis, in der Meinung, ich würde darauf eingehen ohne zu handeln.

Ich erschrak ein bischen, behielt aber doch Contenance und sagte, da und dort hätte ich etwas ganz Ähnliches um ein Drittel billiger gesehen. Benahm mich auch, mit etwas Flunkerei, so sachverständig, daß mein Mann zwar nicht mit dem Preis herunterging, aber eine entschiedene Hochachtung vor mir bekam und mir seine Schätze bereitwillig auskramte. Zumal nachdem ich, während von Louis XVI. vorläufig nicht weiter die Rede war, mich ehrlich entzückt über zwei andere Stücke äußerte: einen goldbrocatenen Rauchmantel, wie ihn die katholischen Priester beim Hochamt tragen, und einen prachtvoll erhaltenen rothdamastenen Stoff, drei Meter lang, anderthalb breit, wohl ein ehemaliger halber Fenstervorhang, den er mir um hundert Lire lassen wollte.

Ich bot achtzig und werde ihn für dies Spottgeld wahrscheinlich auch bekommen.

Für dies erste Mal begnügte ich mich mit der Umschau, versprach aber, bald wiederzukommen, wozu auch das immer noch anhaltende Schlackerwetter mich bald genug veranlassen wird, da das eintönige Leben in diesem »Paradiese« sonst gar keine Zerstreuung bietet.

Übrigens mag es im eigentlichsten Paradiese, trotz des gewiß beständigen Sonnenscheins, nicht viel amüsanter gewesen sein, und Adam und Eva hatten nicht einmal die Ressource, in Läden mit Alterthümern shopping gehen zu können.

Aber im Ernst, verehrter Freund: wird denn nicht auch Ihnen mein Geplauder über Truhen, Stühle und Brocatstoffe auf die Länge so entsetzlich, daß Sie einen solchen antiquarischen Brief, ohne nur das Couvert aufzuschneiden, in den Papierkorb werfen? Sie betrachten meine Berichte freilich wie fortlaufende Mittheilungen über die von Ihnen erhoffte Reconvalescenz, wie etwa wenn sich's um andere Krankheiten handelt, die Notizen über die auf- und absteigende Blutwärme oder sonstige Symptome. Leider nur ist von Besserung noch immer nicht viel zu spüren. Jene beiden großen Seidenstoffe haben nur darum ein Interesse für mich, weil ich nun endlich eine Flügeldecke gefunden habe, wie meine Anita sie sich für ihr Instrument wünschte. Wenn es nicht gelingt, den Rauchmantel so zu zerschneiden und wieder zusammenzusetzen, daß er das richtige Format bekommt, kann der rothe Vorhangstoff jedenfalls dazu verarbeitet werden.

Sie sehen, ich bin um kein Haar breit weiter gekommen. Meine Gedanken drehen sich immer noch um das Eine, was unwiederbringlich ist.

In Zukunft will ich Sie mit Trödelberichten möglichst verschonen. Vielleicht kommt es doch wieder zu etwas lebendigerem Leben.

Ihre R. M.

*

Maderno, 6. Dec.

Sie ist wieder da, schon seit einer ganzen Woche, und ist so über alle Maßen schön und liebenswürdig, daß man es sofort aufgegeben hat, über ihr langes Ausbleiben mit ihr zu zanken. Wie sie zum ersten Mal drüben über der Punta di San Vigilio heraufstieg, noch durch eine leichte Nebelschicht sich durcharbeitend, wie eine schöne Prinzeß, die ihr Federbett abwirft – es war einfach »zum Schreien« herrlich. Und seitdem ist sie uns in Gnaden treu geblieben, Alles huldigt ihr, überall spürt man in den Gärten und Oliveten ihren milden Hauch, ich sitze stundenlang auf meinem schmalen Balcon, nehme ein Sonnenbad und träume vor mich hin, sogar gewisse Träume ohne die Melancholie, die sie sonst zu begleiten pflegt. Man wird einfach zur Pflanze, zu einem unvernünftigen, gedankenlosen, bloß sonnendurstigen »Lebewesen« (ein Wort, das ich sonst hasse!) und macht an Gott und die Welt und das eigene liebe Ich keine anderen Ansprüche, als daß man in Ruhe gelassen werde.

Ganz unbegreiflich ist es mir, wie ich trotzdem dazu kam, mich noch einmal an meinen Louis XVI. zu erinnern und es als eine Pflicht zu empfinden, weiter Jagd auf ihn zu machen. Ich hatte den Rauchmantel gekauft – für schweres Geld, aber sehr vergnügt, daß ich ihn hatte – (nur am Rande unten hat er eine schadhafte Stelle und am Kragen einen Riß), und bei Tische prahlte ich ein bischen mit diesem Einkauf. Einer der Herren, der schon den dritten Winter hier zubringt, fragte, ob ich denn schon bei dem Antiquar in Salò gewesen sei, der habe ein viel größeres Lager und sei als ein sehr kundiger, freilich auch zäher Händler bekannt.

Das stieg mir in die Krone, und gleich mit dem nächsten Dampfer, der um Drei nach Salò fährt, machte ich mich auf den Weg.

Die Fahrt ist wundervoll, dies ganze Ufer so reizend in seinem Schmuck von Villen und Gärten und darüber die sanften Abhänge mit Reben- und Ölpflanzungen, zu dieser Winterszeit mit dem immergrünen Laube noch so lachend, daß Niemand daran denken kann, wie nahe Weihnachten ist, und nun noch auf der ganzen Strecke neben und über dem Schiff das ungezogen schreiende und kreischende Mövenvolk, und die tiefe Purpurbläue der Flut – lachen Sie nur! Ich höre schon auf. Daß ich kein Schriftstellertalent habe, habe ich Ihnen ja schon gestanden und brauche Ihnen nicht weitere Beweise schwarz auf weiß dafür zu geben.

Salò dagegen, das von Vielen gepriesen wird, hat mich stark enttäuscht. Ein einziger langer, steinerner Darm (Verzeihung für das häßliche Wort!), ich meine, eine einzige enge Straße, in die nie ein Sonnenstrahl fällt, bis zu dem Platz, der dann an den See hinabsteigt. Es mag sich freilich in den Häusern, die sich nach dem Ufer zu öffnen, gar nicht übel wohnen lassen, und vom See aus sieht sich auch die alte Stadt, die ehemals die Capitale der Provinz und in vieler Hinsicht bedeutend war, lustig genug an. Drinnen aber – lasciate ogni speranza! Ich sputete mich, durch die Kellerluft hindurchzukommen bis zu dem Hause ziemlich am Ende des ganzen Nests – nein doch, jenseits des oben erwähnten Platzes Vittorio Emanuele liegt ja noch eine Fortsetzung mit einer eigenen Kirche und größeren Gebäuden – aber mein Salò war hier zu Ende, denn hier wohnte mein Antiquar.

Ich hatte, über und über fröstelnd, mein bischen gute Laune, Neugier, Kauflust und Alles verloren, als ich die enge steinerne Treppe hinaufstieg, und fand das Alles auch oben nicht wieder. Der Herr war abwesend, statt seiner empfingen mich zwei seiner Töchter, große, richtige Italienerinnen mit hohen Frisuren, die sich ihrer Würde als Schatzhüterinnen einer so ansehnlichen Alterthümersammlung vollauf bewußt zu sein schienen. Ich fand auch wirklich sehr viel werthvolle und fast nur echte Sachen, Truhen, Buffets, Geschirr, Kupfer- und Zinngeräth, auch Spitzen von großer Schönheit, die mir die Fräuleins besonders anpriesen. Da ich aber für meine Toilette ohne Spitzen auskomme und im Übrigen mein Louis XVI. fast gar nicht vertreten war, hielt ich mich nicht lange in den unheimlich düsteren und kalten Räumen auf – Notabene das ganze hohe und tiefe Haus, das bis zum See hinuntergeht, war mit antiquarischer roba angefüllt –, sondern sagte, ich würde wiederkommen, wenn der Papa anwesend sei, und verabschiedete mich so eilig, als es möglich war, ohne nach einer wilden Flucht auszusehen.

Einmal und nie wieder! sagte ich vor mich hin, als ich unten in der schwarzglimmrigen Straße angelangt war. Ich war schrecklich traurig. Nie hatte ich meinen Beruf zu dieser »noblen Passion«, die Sie mir verordnet hatten, so gründlich wie hier bezweifelt, seit meinem panischen Schrecken im Münchener Nationalmuseum. Wie ich so über das schlechte spitze Pflaster hinschritt und dachte: so wirst du nun von Stadt zu Stadt, von Trödelbude zu Trödelbude pilgern und überall unverrichteter Sache wieder abziehen, überfiel mich ein solcher Jammer, ein so tiefes Mitleid mit mir selbst, daß ich nahe daran war, loszuheulen wie ein armes Kind, das sich in einem dicken dunklen Walde verirrt hat und fürchtet vom Wolf gefressen zu werden.

Etwas besser wurde mir, als ich auf den kleinen Hafenplatz hinauskam und den Dampfer wieder bestieg, der mich nach Maderno zurückbringen sollte. Es war aber inzwischen so abendlich geworden, und die Kellerluft von Salò steckte mir noch so in den Gliedern, daß ich es vorzog, schon in Gardone auszusteigen und das Stündchen bis zu meiner Pension zu Fuß zurückzulegen.

Mir wurde auch warm und behaglich, schon eh' ich nach Fasano kam. Auch war der Weg ganz herrlich, die Abendröthe mir im Rücken färbte das Schneehaupt des Monte Baldo mit dem schönsten durchsichtigen Rosenroth und das Ufer zu seinen Füßen mit tiefem Violett. Ich konnte mich nicht satt sehen und schritt dahin wie im Traum.

So war ich nach Fasano gekommen, bis zu dem letzten Hause unten an der Landstraße, wo eine Osterie ist mit drei hübschen Mädchen, von denen sich aber diesmal keine blicken ließ. Dagegen kam die steile steinige Straße herab, die um die Ecke herum nach Fasano di sopra führt, ein kleines, etwa acht- bis neunjähriges Mädchen herunter, an dem auf den ersten Blick nichts Besonderes war – ein mageres flinkes Ding, »dünn wie 'ne Pahlerbse«, in einem sehr dürftigen Fähnchen von leichtem Wollenstoff, das ihm nicht weit über die Kniee reichte, die Beinchen in vielfach gestopften rothen Strümpfen und an den Füßen Lederpantoffeln mit dünnen hölzernen Sohlen, die bei jedem Schritt auf den Steinen klapperten.

Auch das Gesichtchen war gar nicht auffallend, höchstens durch seine großen dunklen Augen, die aber still vor sich hinsahen. Ein hageres Kindergesicht mit einem blassen, aber energischen Mündchen, die Bäckchen ganz ohne Farbe, doch nicht krankhaft. Das Kind hatte aschblondes Haar, ziemlich ordentlich frisiert und in einem putzigen kleinen Schopf oben auf dem Kopf zusammengesteckt, wie es die kleinen Mädchen hier zu Lande tragen. Und um die hübsche blasse Stirn wehten kleine krause Härchen, die sich aus dem Scheitel vorgestohlen hatten.

Das Alles war ziemlich alltäglich und würde meine Aufmerksamkeit nicht gefesselt haben. Was mich bewog, stillzustehen, das Kind vollends zu mir herunterkommen zu lassen und ihm nachzugehen, als es an mir vorbeiflitzte, die Straße entlang, die hier sacht bergan steigt, war das zärtliche Verhältniß, in dem die Kleine zu einem sehr häßlichen schwarzen Hündchen stand, das in kleinen Sprüngen neben ihr her lief und mit Begierde kleine Brocken von der goldgelben Polenta auffing, die das Kind, indem es selbst davon abbiß, zwischendurch ihm zuwarf. Es that das ganz zierlich und geschickt, während es unter dem Arm eine leere gläserne Flasche festhielt und ein dünnes wollenes Tüchelchen, das es um den Hals geschlungen hatte, mit seinen langen Zipfeln ihm dabei in die Quere kam.

Ich ging ein Weilchen hinter den Beiden her, holte sie aber endlich ein und redete das Kind an.

Buona sera, piccina!

Riverisco! antwortete sie. (Diese höfliche Grußformel wird hier den Kindern beigebracht, wenn sie kaum noch lallen können.)

Wie heißest du?

Ippolita. (Der Accent auf der drittletzten Silbe.)

Wo gehst du hin, Ippolita?

Ich hole Milch für die Mamma.

Wer ist deine Mutter und wie heißt sie?

Cipani Angela. (Jede dritte Familie in Fasano führt den Namen Cipani, auch die drei Grazien in der Osteria.) Meine Mutter ist Schneiderin. Jetzt ist sie krank.

O! Sehr krank?

Schon seit dem Sommer.

Hat der Doctor ihr die Milch verordnet?

Das Kind sah mich groß an. Ein Doctor? Der war nie bei uns.

Hat der Vater ihn nicht geholt, da es mit der Mutter nicht besser werden wollte? (Ich konnte mir die Frage sparen. Daß die Leute hier in der Gegend lieber zu einem Heiligen oder einer Hexe, als zu einem Arzt ihre Zuflucht nehmen, – sie müssen ihn ja auch bezahlen – davon ist oft in unserer Pension die Rede gewesen.)

Der Vater ist todt, vor vier Jahren ist er gestorben.

Was war dein Vater?

Er hat in den Vignen und Oliveten gearbeitet. Einmal, beim Olivensammeln, ist er von der hohen Leiter gestürzt. Am dritten Tage war er todt.

Wie das Kind das Alles sagte, mit der stillen Miene und ohne jede Verlegenheit, erschien sie um einige Jahre älter. Dabei hörte sie selber auf zu essen, warf aber dem Hündchen immer noch seine Polentabrocken zu.

Ich sah jetzt auch, daß ihr Röckchen viel geflickt war, mit Läppchen von anderem Zeug und großen, unbeholfenen Stichen, die offenbar nicht von der Hand der Schneiderin-Mutter, sondern von dem Kinde selbst herrührten. Aber bei aller äußersten Armuth hatte das süße Gör etwas von einer kleinen Prinzeß aus dem Märchen, die nur eine Weile verwunschen ist, die Gänse zu hüten.

Ist das dein Hund? fragte ich, sehr einfältig, bloß um die Conversation nicht einschlafen zu lasten. Ich sah jetzt, daß er hinkte und um das linke Vorderbein einen kleinen schmutzigen Verband trug, ein graues Streifchen fest um die verwundete Stelle geknüpft.

Vor vier Tagen, erzählte nun die Kleine, habe sie das arme Thier auf der Straße liegend gefunden; ein großer Köter habe es so zugerichtet, und es habe sich natürlich nicht wehren können, da es halb verhungert gewesen sei. Das habe sie nicht ansehen können und ihm das blutende Knie verbunden und es in ihr Haus getragen, da sei noch ein bischen Milch gewesen und ein Stückchen Polenta. Und da sei die povera criatura wieder zu sich gekommen und Nachts zu ihr ins Bett gekrochen. Eine Nachbarin habe sie gescholten, sie hätten selbst nicht genug zu essen, sie sollten so ein gefräßiges Maul aus dem Hause jagen, es sei auch nicht Schade um das häßliche Thier. Aber Moretto – den Namen habe sie ihm selbst gegeben, weil er so schwarz ist – sei ihr schon viel zu lieb geworden, und auch die Mutter habe ihn gern, sie müsse manchmal lachen über seine drolligen Sprünge, und sonst lache sie nie mehr. Nein, sie wolle lieber selbst sich nicht satt essen, als Moretto hungern lassen.

Dabei bückte sie sich, nachdem das letzte Bröckchen von dem kleinen Fresser aufgeschnappt war, und streichelte ihm mit den mageren Händchen den struppigen Kopf, und er streckte das rothe Züngelchen hervor und leckte ihr den Arm. Mir fiel Just's Pudel aus der Minna ein: ein häßlicher Pudel, Herr Major, aber ein guter Hund.

Und was mir vor Allem auffiel außer der Mildherzigkeit des Kindes, da sonst bekanntlich alle Italiener, klein und groß, grausam mit den Thieren umgehen: sobald sie auf das Möhrchen zu reden kam, sprach sie so fließend und ausführlich, wie ich ihr nach den einsilbigen Antworten auf meine ersten Fragen nicht zugetraut hätte. Ihr Verhältniß zu dem häßlichen Findling, dem sie Samariterdienste geleistet, lag ihr offenbar näher am Herzen, als selbst das zu der kranken Mutter.

Ein so zartbesaitetes Kinderherz ist in diesem Lande gewiß selten zu finden.

Seit ich freilich in der Zeitung gelesen habe, wie weit es auch in unserm »hochcivilisirten« Deutschland mit der abscheulichen Thierquälerei kommen kann, hüte ich mich vor der hergebrachten pharisäischen Verdammung der Italiener wegen ihrer Gefühllosigkeit gegenüber den Thieren. Alles, was hier, da das Volk auf dem Standpunkt unerzogener Kinder steht, an armen Pferden, Eseln, Singvögeln in winzigen Käfichen und ähnlichen Greueln gesündigt wird, ist, da es ganz gedankenlos geschieht – »Thiere haben ja keine Seele« –, das reine Kinderspiel gegen die grauenhaften Mißhandlungen des edlen Pferdes in den Bergwerken am Rhein und in Westphalen, wo man aus gemeiner Gewinnsucht die Thiere so barbarisch schindet und ihre Kraft bis zum letzten Hauch ausnutzt, daß einem mildherzigen Menschen beim bloßen Lesen die Haare zu Berge stehen und ich gestern die ganze Nacht darüber nicht habe einschlafen können. Bisher dacht' ich, das Haarsträubendste an Thierquälerei sei, was ich hier von einem Grafen B.....i gehört habe, der im Keller seines Palastes oberhalb Gargnano fünfzig Singvögel in kleinen Käfichen den Winter über gefangen hält, nachdem ihnen die Augen ausgestochen worden sind, um sie im Frühjahr auf den Vogelheerden, roccoli genannt, zum Herbeilocken ihrer Kameraden zu benützen, ein teuflischer Sport, der hier aber ganz gedankenlos betrieben wird.

Aber die Qualen, die man ein so vornehmes Geschöpf wie das Pferd, das so lange lebt, in unterirdischen Höhlen ausstehen läßt, gehen doch noch drüber hinaus.

Was habt ihr zu Mittag gegessen, Ippolita? fragte ich die kleine Barmherzige.

Polenta.

Und was werdet ihr zu Abend essen?

Polenta. Die Mamma trinkt Milch dazu.

O verehrter Freund, ist es nicht gräßlich? Diese Armuth und die Krankheit noch dazu – und ich schelte noch manchmal, wenn die sehr gute Küche in meiner Pension nicht genug Abwechslung bietet!

Wenn du sagen solltest, Ippolita, was du am liebsten äßest – was würdest du dir wählen? fragt' ich.

Sie blieb einen Augenblick stehen, sah nachdenklich gen Himmel und sagte dann, ordentlich wie von etwas ganz Herrlichem träumend: Pane!

Ich erspare Ihnen, wie diese Antwort auf mich wirkte. Zum Glück hatten wir eben das obere Gäßchen erreicht, das zu der Milchwirtschaft führt, einer ziemlich ansehnlichen Molkerei, wo die Milch von allen benachbarten Bauernwirthschaften hingeliefert und Butter und Käse fabricirt wird für die Hôtels in Fasano und Gardone. Seitwärts sah ich einen Laden, in dessen Schaufenster Weißbrod und die seltsam geformten in einander gedrehten Wecken aus sehr weißem, feinen Mehl lagen. Ich kaufte ein paar, auch einen Ziegenkäse und ein Stück Speck, ich hätte gern einen ganzen Sack mit allem Eßbaren gefüllt, was der kleine Laden enthielt, bloß um das greuliche »Polenta, Polenta« aus dem Sinn zu bringen. Das Kind aber konnte nur einen kleinen Vorrath neben seiner Milchflasche tragen, doch zufällig fand sich ein Spankörbchen vor, in das auch noch ein halbes Dutzend Eier verpackt werden konnte. Einmal wenigstens genug zu einer ordentlichen Cena!

Während ich meinen Einkauf machte, war Ippolita mit ihrem treuen Kameraden nach der Molkerei weiter gegangen und hatte sich die Flasche füllen lassen. Als sie zurückkam, wollte sie es nicht glauben, daß das Körbchen für sie bestimmt sei, dann aber leuchtete eine so helle Freude in ihren hübschen Augen auf, wie nicht jedem Kinde aus gutem Hause angesichts der reichsten Weihnachtsbescheerung. Sie bedankte sich in den zierlichsten Worten, wie sie ihr für solche Fälle beigebracht waren, und stellte dann die Milchflasche noch in den Korb, den sie sorgsam in die Hand nahm. Einen Gruß an die Mamma, rief ich ihr noch nach. Sarà servita, versetzte die kleine Höfliche. Dann eilte sie flink die Straße zurück, daß ihre Pantöffelchen klapperten, und ich sah noch, wie sie von dem Brode ein Stückchen abbrach und es Moretto, der hoch an ihr emporsprang, in das Nimmersatte Schnäuzchen steckte.

So! Nun habe ich mich ganz stumpf und heiß geschrieben. Da ich Sie aber als Menschen- und Thierfreund kenne, fürchte ich nicht, daß Sie die Achseln zucken werden, wenn dieser Brief, der so ernsthaft antiquarisch anfing, mit einem unbedeutenden menschlichen Abenteuer endigt.

Nur daß Moretto ein so greulich garstiger Bastard ist, würde Ihnen das Interesse an meiner neuen Bekanntschaft, wenn Sie dabei gewesen wären, getrübt haben. Ich weiß ja noch, wie stolz Sie auf die reine Race Ihres herrlichen Cäsar waren.

Ihre R. M.

*

M., 12. Dec.

Heut müssen Sie noch mehr als sonst Nachsicht mit mir haben, bester Sanitätsrath; erstens mit meiner schlechten Schrift, da ich meine Krakelfüße auf der Chaiselongue liegend hinkritzle, und dann mit meiner spottschlechten Laune, die nur noch verschlechtert wird durch das göttliche Sonnenwetter, das ich wegen meines dummen verstauchten Fußes nur vom Fenster aus genießen kann. Wenn Sie wüßten, wie schön es hier ist, sobald ihre Majestät die Sonne zu scheinen geruht, würden Sie begreifen, daß ich einfach wüthend bin, bei übrigens kerngesundem Leibe ins Zimmer und auf das Lotterbettchen gebannt zu sein. Und noch dazu zur Strafe für ein Werk der Barmherzigkeit!

Aber nein, ich will ehrlich sein, es war nicht eigentlich die Nächstenpflicht, die mich trieb, die kranke Schneiderin Angela Cipani zu besuchen, sondern der Wunsch, ihr klein süße Deern, die Ippolita, wiederzusehen, die mir's geradezu angethan hatte. Ja, sogar nach ihrem hinkenden und kläffenden Hündchen hatte ich eine Art Heimweh. Das rothe Züngelchen, das sich aus dem schwarzen Zottelkopf vorstreckte, erschien mir sogar im Traum. Von dem Rauchmantel oder dem Louis XVI-Sopha hatte ich nie geträumt.

An dem Tage aber, nach dem ich diese Bekanntschaft gemacht hatte, regnete es wieder einmal, da war's nichts mit Fasano di sopra. Erst am folgenden wurde das Wetter wieder spazierlich, da hielt mich nichts zu Hause, und ich machte mich schon früh am Vormittag auf den Weg. Ich hatte für das Kind allerlei Kuchen und Naschwerk gekauft, für das Möhrchen eine kleine Wurst. Was die Kranke etwa erquickt hätte, mußte ich erst bei ihr selbst erfahren.

Das war aber ein halsbrechender Weg, der in das alte Fasano hinaufführte, eine steile Straße, über deren hartem Pflaster noch ein Geröll spitzer Steinbrocken lag, wie wenn ein Gießbach im Frühling alle losen Felssplitter zu Thal geschwemmt hätte. Ich klettere sonst ganz fix, hier aber mußte ich alle dreißig Schritt stehen bleiben, um Athem zu schöpfen. Dazu war's schauerlich kühl zwischen den Mauern der Reben- und Ölhalden, obwohl hier noch die Sonne ein bischen hereinschielte. Als ich aber die Häuser des alten Nestes erreicht hatte, wehte mich eine Grabesluft an, die mir in Mark und Bein drang.

Sie haben keinen Begriff, was für einen öden, tristen Eindruck dieser übereinander gethürmte graue Häuserhaufen macht, lauter cyklopische Steinhöhlen wie aus der Urzeit, manche ohne Fensterscheiben, bloß mit Holzläden verwahrt, nur selten dazwischen ein bischen Grün. Daß da Menschen wohnen, nicht nur im Sommer, wo diese Naturkinder ja halb im Freien zu leben pflegen, sondern auch bei Regen- und Frostwetter, kann Unsereins mit seinen russischen Öfen, Doppelfenstern und dicken Teppichen nicht verstehen. Und doch sind diese Menschen in ihrem Gott vergnügt, wenn man wenigstens nach dem Äußern schließen darf, da mir nicht einmal ein Bettler begegnete, nur Weiber, die vor ihren Hausthüren und aus den Fensterlöchern herunter laut miteinander schwatzten und lachten, während eine Horde ungewaschener und schlecht gekämmter Kinder auf den Treppen hockte oder hin und her sprang.

Ich mußte im Stillen mein klein süße Ippolita mit diesen Wildfängen vergleichen und wunderte mich, woher sie ihre Sauberkeit und Ernsthaftigkeit hatte. Freilich sah ich auch unter den anderen kleinen Mädchen manche, die ein noch unmündiges Brüderchen oder Schwesterchen herumschleppten, denn der mütterliche Trieb verleugnet sich auch unter den jungen Wildinnen nicht.

Ich wurde natürlich neugierig angegafft, aber weiter nicht belästigt. Als ich nach der sarta, der Schneiderin fragte, erbot sich sogleich ein schwarzhaariges Dämchen, mich nach ihrem Hause zu führen, sagte mir aber, wenn ich ihr eine Arbeit auftragen wollte, die könne sie nicht mehr annehmen, sie sei krank.

Das Haus, wohin das Kind mich führte, war eines der letzten und höchsten und so verwittert und verwahrlos't, daß sich mir das Herz zusammenzog, als ich in die Thüre trat. Eine alte Frau saß drinnen auf einem Schemel, ein sehr braunes, verhutzeltes Hexengesicht, dem die silbergrauen Haare bis an die noch kohlschwarzen Augenbrauen hereinhingen. Der zahnlose, welke Mund bekam aber einen ganz freundlichen Zug, als ich nach der Kranken fragte, und sie stand rasch auf, um mich zu ihr zu führen.

Ich verstand, mit einiger Mühe, da sie den hiesigen Dialekt sprach, nur so viel, daß ihr selbst das Haus gehöre und die Angela schon seit ihrer Verheirathung zur Miethe darin wohne. Seit dem Tode des Mannes habe sie sich nicht mehr recht erholt, auch zu fleißig gearbeitet, um sich und das Kind durchzubringen. Nun könne sie schon vier Monate lang nichts mehr thun und liege fast immer zu Bett. Es würde eine grazia di Dio sein, wenn sie bald erlös't würde.

Aber das Kind, das dann eine Waise wäre?

O, für das würde dann schon gesorgt werden, im asilo infantile von Salò. Und jetzt hätte es die Ippolita auch sehr hart, immer die kranke Mamma zu bedienen, Alles einzuholen, Morgens schon früh ihr die Milch zu bringen, denn andere Nahrung könne sie nicht mehr ertragen, nie zum Spiele mit anderen Kindern auf die Straße hinaus, und aus der Schule sei sie auch schon Jahr und Tag weggeblieben. Und es sei ein so gutes und braves Kind und lasse nie eine Klage hören, aber ein Jammer sei's, wie sie dabei herunterkomme, denn sie – die Hausfrau – sei selber arm und könne nicht viel für sie thun, als dann und wann ihr ein Süppchen kochen, damit sie doch einmal etwas Warmes in den Leib bekomme.

Das Alles sprudelte die Alte an mich hin, während sie mich die enge, eiskalte Steintreppe hinaufführte. Im ersten Stock traten wir dann in eine dunkle Kammer, in der allerlei Gerümpel stand, dann in ein größeres, doch auch nur einfenstriges Zimmer, das trotz des grellen Sonnenscheins draußen nur ein schwaches Licht hatte, weil das Haus gegenüber ihm nur ein paar schräge Strahlen zukommen ließ.

Es war ein hoher viereckiger Raum mit kahlen, ehemals weiß getünchten Wänden, der zugleich als Küche diente, wenn auf dem Steinherde an der Wand dem Fenster gegenüber ein Feuer angezündet wurde. An Möbeln sah ich nur einen schmalen schwarzen Schrank – keinen geschnitzten –, eine Kommode, auf der ein kleines Petroleumlämpchen stand und zwei Kaffeetassen, eine Truhe im Winkel, daneben eine mit einem Tuch verhängte Nähmaschine und in der Mitte einen länglichen, sehr wurmstichigen Tisch mit zwei Strohstühlen. Hinten in der Ecke neben dem Herd stand das Bett der Kranken, darüber eine kleine ausgetuschte Lithographie der Madonna in einem stockfleckigen Goldrähmchen, an der Wand neben dem Fenster eine Kinderbettstatt, aus der die Ippolita längst herausgewachsen war.

Das Kind hatte am Tisch gesessen, Moretto zu seinen Füßen auf dem kalten Estrich aus rothen Ziegeln, und stand fast erschrocken auf, als es mich mit der Hausfrau eintreten sah. Es hatte in einem alten Schreibheft die Vorschriften mit Bleistift nachgekritzelt, da es offenbar nicht Alles verlernen wollte, was man ihr in der Schule beigebracht hatte. Nun kam es mit flinken Schritten auf mich zu und reichte mir das magere Händchen, und der Hund umwedelte mich mit freudigem Bellen wie eine alte Bekanntschaft.

Ich konnte aber dem Mädchen nur zunicken und über das Haar streichen, da ich mich sogleich nach der Kranken umsah. Sie schien ein wenig geschlummert zu haben, schlug die Augen erstaunt zu mir auf, große, viel zu große Augen in dem abgezehrten, durchsichtigen Gesicht, das aber noch vor nicht langen Jahren sehr hübsch gewesen sein mußte.

Klein Ippolita glich ihr auffallend, so daß ich ordentlich Angst bekam, die Tochter möchte auch die Krankheit von der Mutter überkommen haben.

Ich setzte mich auf den Stuhl, den die Kleine mir ans Bett trug, und that ein paar theilnehmende Fragen, auf die ich mit einer dünnen, zitternden Stimme nur kurze Antworten erhielt. Die Hausfrau machte den Dolmetsch, sagte, wie sich die Angela gefreut habe, als das Kind das Körbchen mit den Eßwaaren gebracht, und habe auch eines von den Eiern gegessen, die anderen seien noch nicht angerührt, Ippolita weigere sich, sie der Mutter wegzuessen, sie habe nur das Brod und den Käse sich zugeeignet und Moretto das Meiste davon gegeben.

Die Kranke nickte von Zeit zu Zeit bestätigend und sah dabei das Kind an mit einem so rührenden Ausdruck der zärtlichsten Liebe, daß mir die Augen naß wurden. Ich fragte, ob ich ihr nichts zu Liebe thun könne, sie schüttelte sanft und ergeben den Kopf und streckte nur die Hand nach mir aus, die meine mit ihren knöchernen, gelblichen Fingern zu drücken. Dann, als ich meinen Beutel auspackte und der Ippolita gab, was ich ihr mitgebracht hatte, überflog ein leises Roth ihr Gesicht und ein glückliches Lächeln erschien an dem abgezehrten Munde, dessen blanke Zähne sichtbar wurden. Moretto fraß fein Würstchen, Ippolita gab sogleich den größten der Kuchen an die Hausfrau, biß aber selbst in einen anderen ein und legte ihn doch geschwind auf den Tisch, als die Mutter einen Hustenanfall bekam, wobei das Kind sie mit so kräftigen Armen, wie man es den dünnen Trommelstöckchen nicht zugetraut hätte, unterstützte, bis die Qual einmal wieder vorüber war.

Es war eine so feuchtkühle Luft im Zimmer, dessen Fenster offen stand, daß ich fragte, ob nicht ein Feuer auf dem Herd der Kranken wohlthun möchte. Sie sei nicht daran gewöhnt, sagte die Padrona. Ippolita hätte wohl einen Haufen dürres Holz zusammengeschleppt, den wollten sie aber »für die kalten Monate« sparen. Auch schien die Kranke in der That in ihrem Bett, dessen bunte Überzüge sehr reinlich waren, warm genug aufgehoben zu sein, und ihre Wangen sahen aus dem alten gelben Shawl, den sie um den Kopf und die Schultern gewickelt hatte, ohnehin vom Fieber erhitzt hervor.

Also stand ich auf, drückte der Ärmsten noch einmal die Hand, küßte das Kind auf die Stirn und stieg schweren Herzens die Treppe wieder hinab, indem ich der Hausfrau auf die Seele band, es mich wissen zu lassen, wenn sich irgendwie eine Hülfe zu leisten Gelegenheit bieten sollte.

13. Dec.

Ich bin gestern nicht weiter gekommen, es war gar zu unbequem, im Liegen zu schreiben.

Heute darf ich schon wieder aufsitzen, wenn auch noch nicht im Zimmer herumgehen. Auf dem Herabstieg von der steinigen Straße, die vom gestrigen Regen noch schlüpfrig war, glitt ich aus und verknackste mir den linken Fuß am Knöchel. Ein Wagen war nicht aufzutreiben, so hinkte ich noch die halbe Stunde bis nach Maderno und der Knöchel schwoll natürlich auf. Aber der Doctor – ein recht geschickter Mann, obwohl nur ein Italiener, die ja bei euch vornehmen deutschen Ärzten nicht ganz für voll gelten – hat mich sorgfältig behandelt, und in ein paar Tagen soll ich wieder hinaus dürfen.

Freilich, noch nicht wieder hinauf. Das hat mir aber mein Doctor abgenommen. Er mußte mir gleich am nächsten Tage den Gefallen thun, nach der armen Kranken zu sehen, und brachte mir leider trostlose Nachricht. An eine Besserung sei nicht zu denken, es handle sich überhaupt nur höchstens um Wochen, und das sei noch ein Glück, da das Kind, das ja der Mutter immer ganz nahe komme, Gefahr laufe, angesteckt zu werden. Indessen habe er der ärmsten Dulderin etwas Linderung verschaffen können, vor Allem ruhigen Schlaf in der Nacht.

Ich war ihm sehr dankbar, und er versprach mir, wenigstens einen Tag um den anderen nachzusehen und mir zu berichten.

Für das Kind sorgte ich selbst, indem ich ihm aus unserer Küche zu essen schickte, auch ein Fläschchen von dem guten leichten Landwein. Ich hatte mir aber auch vorgenommen, da sie nun doch bald die Mutter entbehren und in das Waisenhaus kommen würde, sie nicht ganz so armselig, wie sie ging und stand, in ihr neues Leben eintreten zu lassen.

Eine gutherzige Dame in der Pension that mir den Gefallen, nach Salò zu fahren und dort Zeug zu zwei Kleidchen, einem braunen und einem schwarzen, ferner ein halb Dutzend Hemdchen und Strümpfe, auch zur Auswahl verschiedenes Schuhwerk einzukaufen. Die Kleider wollte ich selbst anfertigen, ich hatte ja überflüssig Zeit dazu in meiner unfreiwilligen Zimmerhaft, aber die Maße mußte ich an ihr selbst nehmen.

So brachte mir mein guter Doctor eines Nachmittags das Kind, das mit Moretto etwas scheu bei mir eintrat, aber bald zutraulich wurde. Immer noch nicht sehr gesprächig, doch unverlegen auf meine Fragen antwortend. Ich tractirte es, nachdem ich die Maße genommen, mit Chocolade und Kuchen, mußte aber erleben, daß sie nur eine kleine Portion zu sich nehmen konnte: sie hatte sich das Essen zu sehr abgewöhnt. Dann aber steckte sie das Übrige in die Tasche – natürlich hatte Möhrchen sein Theil wieder abbekommen – und empfahl sich mit einem Knix und tante grazie, so allerliebst, daß ich mir Zwang anthun mußte, das arme süße Ding nicht ans Herz zu drücken und mit Küssen halb aufzufressen.

Ich weiß nicht, verehrter Freund, was Sie zu all diesem Geplauder sagen werden. Wahrscheinlich interessirt es Sie nur mäßig, da Sie die betreffenden Personen nur durch meine sehr unvollkommene Schilderung kennen. Aber Sie haben ja auch ein Herz für die Armen und Elenden unter Ihren Patienten. Wie manchmal machten Sie uns die Freude, Sie bei Ihren wohlthätigen Werken ein wenig unterstützen zu können, also halten Sie mir's zu Gute, wenn die letzten Briefe nichts weniger als antiquarisch ausgefallen sind. Auch die Zeit für Louis XVI. wird ja einmal wieder kommen.

Addio! Heute acht Stunden Sonnenschein. Es ist wirklich kein Humbug mit der berühmten Sonne des Südens.

Ihre alte Verehrerin
Rosa Maria.

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20. Dec.

Lieber, verehrter Freund!

Der Mensch denkt und Gott lenkt!

Ich weiß, daß Sie in diesem Punkt nicht mit mir übereinstimmen, ein so unverbesserlicher wissenschaftlicher Gottloser, wie Sie sind, dabei mit dem menschenfreundlichsten Herzen, das man nur wünschen kann.

Aber wenn Sie auch sonst darauf bestehen, daß höchstens die Natur lenkt, der ihr Doctoren ein bischen nachhelft – bei dem, was ich hier erlebt habe, werden Sie doch stutzig werden und das Walten einer gütigen Vorsehung wenigstens ahnen, die die dummen Gedanken armer Sterblicher zum Besten lenkt. Warum sie es freilich in so vielen Fällen nicht zu thun für gut findet, ist ihr Geheimniß.

Schrieb ich Ihnen nicht in meinem letzten unantiquarischen Brief, auch für Louis XVI. werde die Zeit einmal wieder kommen? Heute weiß ich, daß der arme König mit seinen hübschen Möbeln wohl für immer vor mir Ruhe haben wird.

Aber ich will der Ordnung nach erzählen.

Mit meinem Trauerkleidchen war ich gerade fertig geworden, als mein guter schwarzbärtiger Doctor mir die Nachricht brachte, die arme Angela sei in der vorigen Nacht sanft eingeschlafen.

Das war am 15ten. Für diesen Fall hatte ich ihn gebeten, mir das Kind zu bringen, das ich nicht in dem schauerlichen Hause bei der todten Mutter lassen mochte. Der Doctor hatte das nicht zu Stande gebracht. Klein Ippolita, die mit starren, trockenen Augen neben dem Sterbebett saß, hatte heftig zu weinen angefangen, als man sie wegführen wollte, und nur des Nachts war sie zu der Hausfrau geschlichen, als ob sie sich doch fürchte, mit der Todten im Finstern allein zu bleiben. Sie hatte weder gegessen noch getrunken, nur Moretto gefüttert, den sie immer auf ihrem Schooß hielt.

Hätte ich meinen Fuß schon brauchen können, so wär' ich hingegangen und glaube, ich hätte es fertig gebracht, die arme Waise in Pflege zu nehmen. So mußte ich mich begnügen, ihr den Traueranzug zu schicken, zugleich mit einem schönen Kranz von allerlei immergrünen Zweigen und weißen Nelken, und das Kind der guten Hausfrau auf die Seele zu binden.

Am dritten Tage war das Begräbniß, bei dem ich auch nicht zugegen sein konnte. Ich hatte dem Doctor natürlich Geld gegeben, alle Kosten zu bestreiten, damit es so feierlich werde, »eine so schöne Leich'«, wie man in Süddeutschland sagt, als es für diese arme Bevölkerung der höchste Wunsch ihres dürftigen Lebens zu sein pflegt. Auch hatte ich ihm aufgetragen, drei Seelenmessen lesen zu lassen; mein protestantischer lieber Gott wird mir das wohl nicht zur Sünde anrechnen.

Dem Kinde hatte ich sagen lassen, es solle nur ruhig in das Waisenhaus gehen, ich würde gleich am anderen Tage es dort besuchen.

Ich hatte vor, mir ein Wägelchen zu nehmen und nach Salò zu fahren. Zugleich wollte ich der Oberin des Asilo infantile – oder wie ihr Titel ist – die kleine Ausstattung des neu eintretenden Pfleglings übergeben und vorläufig etwas Geld, damit das arme heruntergekommene Pflänzchen besser genährt und getränkt würde, um erst wieder aufzublühen.

Alles schien programmmäßig zu verlaufen. Die Beerdigung sei unter großer Betheiligung der ganzen Fasaner Einwohnerschaft von Statten gegangen, da Alle die Angela geschätzt und lieb gehabt hätten. Das Kind sei dicht hinter dem Sarge hergeschritten, an der Hand der Hausfrau. Es habe ausgesehen wie Alabaster, oder come un panno lavato, sagte mein Doctor, aber keine Thräne geweint. Und eben so, wie wenn es innerlich versteinert gewesen wäre, habe sich's wieder nach Hause führen lassen und zum ersten Mal ein paar Löffel Suppe gegessen, die ihr die gutherzige Hausfrau gekocht habe.

Am nächsten Mittag sollte es mit der Übersiedelung in das Waisenhaus Ernst werden.

Ich war nun ziemlich beruhigt über das Schicksal meines kleinen Schützlings, wenn ich auch dachte, daß es ihm anfangs hart ankommen würde, sich in die Gesellschaft fremder Kinder und eine so ganz andere Hausordnung zu finden. Aber ich wußte ja, welch ein gutartiger, verständiger kleiner Mensch mein klein Ippolita war, und traute ihr zu, noch einmal auf die Manier dieser hiesigen Leute, die von der unseren so grundverschieden ist, glücklich zu werden, wenn es nur bei seiner jetzigen Umgebung ein bischen Liebe fände.

Mich darüber zu beruhigen, war einer der Hauptzwecke meines Besuchs im Waisenhaus. Ich ließ darum auch den ersten Tag vergehen und bestellte den Wagen auf den Vormittag des nächsten Tages. Machte auch meinen ersten kleinen Spaziergang im Städtchen, noch am Stock, aber sehr vergnügt, daß ich doch ohne Schmerz wieder auftreten konnte.

Fast wäre ich gleich zu meinem Antiquar gegangen, nachzufragen, ob er sich wegen des Preises für die bewußte braunseidene Garnitur nicht eines Bessern besonnen hätte. Aber vor dem Laden warnte mich etwas, nicht anzuläuten, und so kehrte ich in meine Pension zurück.

Es war schon Dämmerung geworden, übermorgen haben wir ja den kürzesten Tag. Ich fand aber in meinem Zimmer eine sanfte Helle, da der See im Abendroth heraufleuchtete, unterließ es, das elektrische Licht anzuknipsen, und streckte mich in behaglicher Ermüdung auf die Chaiselongue. Da überließ ich mich meinen Träumen, überlegte, ob ich noch im alten Jahr bei dem herrlichen Wetter eine Fahrt nach Brescia oder gar bis Bergamo machen sollte, und dachte an alles Andere eher, als an das, was kommen sollte.

Denn miteins – ich glaube, ich war ein bischen eingedröselt – höre ich ein Kratzen an meiner Thür, rufe: wer ist da? – keine Antwort, nur ein leises, heiseres Bellen, in dem ich sogleich das Stimmchen Moretto's erkannte. In höchster Verwunderung, wie der kleine Kerl sich zu mir gefunden haben mochte, da er nur einmal hier gewesen war, steh' ich auf und eile nach der Thür. Wie ich sie aufmache, springt richtig das Möhrchen an mir herauf, hinter ihm aber steht das Kind, und auf meine Frage: aber bimba mia, was führt dich her? bricht sie in Thränen aus, fällt auf der Schwelle nieder und giebt keine Antwort, als daß sie mich unter Schluchzen immer wieder um Verzeihung bittet.

Ich hob sie auf und trug sie auf die Chaiselongue. Es dauerte aber eine ganze Weile, bis ich aus ihren wirren Reden klug wurde und begriff, wie Alles gekommen war.

Am Vormittag hatte die gute Hausfrau das Kind nach Salò geführt und es dort der Vorsteherin des Asilo übergeben, der es schon angemeldet war. Es scheint, daß man es freundlich aufgenommen hat. Nur hatte man sich durch die leidenschaftlichsten Bitten nicht dazu bewegen lassen, auch dem Hündchen Einlaß zu gewähren. Die Hausgesetze erlaubten das nicht.

Sie habe dann zuerst auch nicht in das Haus gewollt, wenn sie sich von ihrem kleinen Freunde trennen sollte, erzählte mir das Kind unter vielen Thränen, aber die Sora Pia – die Hausfrau – habe ihr so zugeredet, und die gute Dame und einige der kleinen Mädchen hätten sie halb mit Gewalt hineingezogen, da habe sie gedacht, es müsse wohl am Ende so sein, und ihre todte Mama würde ihr böse sein, wenn sie nicht folge.

Zu Mittag aber habe sie keinen Bissen hinuntergebracht, immer habe sie geglaubt, Moretto draußen auf der Straße winseln zu hören, und endlich am Nachmittag habe sie die Gelegenheit ersehen, als gerade die Hausthür offen gestanden, hinaus zu entwischen, bloß um dem Hündchen ein Stück Brod zu bringen. Vielleicht, dachte sie, kann ich das jeden Tag thun, und er bleibt dann beim Hause, und wenn wir zum Spazierengehen ausgeführt werden, erlaubt die Oberin, daß er neben mir herläuft.

Wie sie ihn aber draußen gefunden habe, sei er wie toll an ihr hinauf gesprungen, daß er sie beinah umgeworfen hätte, und miteins sei es ihr gekommen, sie könne es nicht überleben, ihn Nachts draußen zu wissen, wo größere Hunde ihn hätten todt beißen oder böse Buben ihn mit Steinen werfen können, und da habe sie eine so schreckliche Angst erfaßt, und ohne zu bedenken, was sie that und ob man sie deßhalb strafen würde, sei sie Hals über Kopf davongelaufen, immer los die Straße nach Gardone, und von da nach Fasano, und von Fasano endlich bis Maderno, und habe im Dahinsausen nur manchmal sich umgesehen, ob ihr Keiner aus dem Asilo nachsetze, Moretto immer hinter ihren Fersen, bis sie die Pension gefunden, wo ich wohnte, da erst habe sie aufgeathmet, weil sie wisse, ich meine es gut mit ihr und dem armen Moretto und werde nicht zugeben, daß sie getrennt würden.

Ich beruhigte sie mit den besten Worten, so daß sie zu weinen aufhörte. Während sie mir das Alles erzählt hatte, wieder mit einer ihr sonst ungewohnten Beredtsamkeit, weil es das geliebte Hündchen betraf, hatte ich im Stillen meinen Entschluß gefaßt. Ich durfte mich doch von dem Kinde nicht beschämen lassen. Wollte sich das von dem Thier nicht trennen, das der Zufall ihm in den Weg geworfen, so durfte ich das arme verwais'te Menschenkind nicht wieder hergeben, das sich so vertrauensvoll zu mir geflüchtet hatte.

Zunächst sorgte ich für seine leibliche Erquickung, ließ ihm ein Süppchen bringen und brachte es dann in ein lauwarmes Bad. Es war rührend zu sehen, wie der arme magere Fisch in der weichen Flut sich so wohlig streckte und plätscherte, zum ersten Mal in seinem Leben in einem warmen Bade! Nur im Sommer, wo die Hitze hier so enorm ist, war sie am dunkeln Abend mit Schulkameradinnen in den See hinabgetaucht. Als sie dann sauber und frisch herausstieg und ihre Härchen ordentlich wieder gekämmt und aufgesteckt hatte und in ihr schwarzes Kleidchen geschlüpft war, sah ich erst, was für ein von der Natur lieblich ausgestattetes, aber durch die lange Noth traurig heruntergekommenes Geschöpfchen mein klein süße Ippolita war.

Ich behielt sie auf meinem Zimmer, wo ich auch mein Abendessen mir auftragen ließ. Sie war noch nicht ganz beruhigt. Immer horchte sie auf jedes Geräusch draußen, ob man nicht käme und sie zurückforderte. Als ich ihr dann aber auf der Chaiselongue ihr Lager zurecht gemacht hatte, schlief sie doch hurtig ein, die eine Hand auf Moretto's Kopf gelegt, der neben ihr liegen mußte.

Auch ich legte mich früh zu Bett; ich wollte mit dem grellen elektrischen Licht ihren Schlaf nicht stören. Und so viele Gedanken mir durch den Kopf gingen, schlief ich seltsamer Weise doch auch bald ein. Die friedlichen Athemzüge meiner kleinen Schlafgenossin lullten mich in Schlummer.

Ich wachte aber nach einer Stunde auf, da es im Gang draußen noch lebendig war. Sogleich sah ich mich nach der Chaiselongue um. Das Kind und das Hündchen lagen noch, wie sie eingeschlafen waren, der Mondschein aber war durch die breite Balconthür hereingeschlichen und versilberte jetzt Brust und Schultern des Kindes und war zum Gesicht hinaufgeglitten, so daß die weißen Zähnchen zwischen den blassen dünnen Lippen schimmerten und das gerade spitze Näschen noch beschienen war. Nur die Augen lagen noch im Dunkeln.

Ich konnte nicht widerstehen, ich erhob mich sacht vom Bette und schlich zu dem Lager des Kindes hin. Mein Kind! sagte ich so für mich, wohl ein Dutzend Mal, mein, mein, mein Kind! – mit einer stillen Wonne, wie wenn ich dies arme, süße junge Leben unter meinem eigenen Herzen getragen und mit Schmerzen geboren hätte. Sie merkte nichts davon, und ich hütete mich wohl, so gern ich's gethan hätte, ihren Schlaf durch einen Kuß zu stören. Indessen aber rückte der Mondschein zu ihren Augen hinauf, miteins wurde auch Moretto unruhig und winselte leise aus dem Traum, plötzlich öffnete sie die Augen ganz groß, aber noch nicht mit wachem Bewußtsein, sah mich unverwandt an und schien sich zu besinnen, wo und bei wem sie war. Dann hob sie ganz sacht und schüchtern ihre beiden Ärmchen, legte sie mir um den Hals und zog sich sacht von ihrem Kissen in die Höhe. Im nächsten Augenblick fühlte ich ihre zarten kühlen Lippen auf meinem Munde, nur wie wenn man eine Blume daran drückt; dann lös'ten sich die Arme, das Köpfchen sank zurück, und mit einem glücklichen Lächeln schloß sie wieder die Augen.

Zwei Stunden später.

Ich bin hier unterbrochen worden durch den Besuch des hochwürdigen Pfarrers.

Mit dem Sindaco hatte ich wegen der Adoption keine Schwierigkeiten. Die Comune ist nicht unzufrieden damit, daß ihr die Sorge für ein Waisenkind mehr abgenommen wird, und mein freundlicher Doctor hat mir alle amtlichen Schritte erleichtert, da auch er – wie übrigens die ganze Hausgenossenschaft – einen Narren an dem Kinde gefressen hat.

Nur daß ich, eine Protestantin, das Kind nach einer so für lutherisch bekannten Stadt wie Hamburg entführen wollte, war den geistlichen Herren doch nicht ganz unbedenklich erschienen. Indessen ließ sich auch diese Schwierigkeit leicht aus dem Wege räumen. Hatte ich doch schon durch die drei Seelenmessen, die ich gestiftet, meinen Respect vor der katholischen Confession der Kleinen bewiesen. Jetzt bedurfte es nur eines Reverses, den ich ausstellte, daß ich mein Adoptivkind der Kirche ihrer leiblichen Mutter nicht abtrünnig machen wolle, und der Versicherung, auch in Hamburg gebe es eine Kirche, in der täglich Messe gelesen würde, um das Gewissen des hochwürdigen Herrn zu beruhigen. Und als ich ihm vollends hundert Lire aufgedrängt hatte, pei suoi poveri trennten wir uns mit gegenseitiger Hochachtung.

Und jetzt, theurer Freund, ist es höchste Zeit, daß ich diesen Brief schließe, wenn er vor mir nach Hause kommen soll. Ich werde, um das Kind nicht anzustrengen, in Trient und München eine Nacht rasten, dann aber in Einem Zuge bis zu meinem Harvestehuderweg fahren. Denn den Heiligabend soll mein klein süße Ippolita im Hause ihrer neuen Mutter feiern, mit einem richtigen Weihnachtsbaum. Was meine alte Marieken dazu für Augen machen wird, darauf bin ich mit einiger Sorge begierig. Anfangs wird sie brummen und den Kopf schütteln. Aber sie hat ein zu gutes Herz und dies Herz zu sehr auf dem rechten Fleck, um auf die Länge böse darüber zu sein, daß ich statt todter alter Möbel ein junges Leben von der Reise mitbringe.

Von meinem Antiquar freilich werde ich mich auf Französisch empfehlen. Statt aller Einkäufe, die ich in Aussicht gestellt, nur einen einzigen Rauchmantel! Denn auch den rothen Brocat lasse ich ihm. Ich hatte einen Augenblick daran gedacht, ihn zu Portieren im Fremdenzimmer zu verwenden. Wenn das aber in Zukunft kein Fremden-, sondern ein Kinderzimmer wird, wäre der Luxus nicht am Platz.

O, mein theurer Freund, lachen Sie mich nur aus, daß ich von meiner antiquarischen Reise nichts mit nach Hause bringe als ein hübsches Kind und ein häßliches Hündchen. Ich komme mir damit doch reicher vor als Saul, der Sohn des Kis, der auszog, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand!

In alter Freundschaft
Ihre Rosa Maria.


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