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Um dieselbe Stunde kam Walter aus einer französischen Stunde nach Hause, die er auf Helenens Antrieb nach der Frühkirche zu besuchen pflegte. Er ging sogleich in ein großes Zimmer des Erdgeschosses, in dessen Mitte der Eßtisch stand, an der Wand ein paar Schränke, die des Meisters Vorräte an Decorations-Entwürfen, Zeichnungen und Patronen verwahrten. In diesem Gemach war überall zu sehen, daß hier eine weibliche Hand auf Ordnung hielt. Die weiße Platte des Eßtisches schimmerte frisch gescheuert, auf den Dielen lag der Sand noch unberührt, die großen Epheutöpfe vor den Fenstern verschatteten spiegelblanke Scheiben.

Doch war das Zimmer sonnenlos, da es in Hof und Garten sah, und Walter, der ein Zeichenbrett vom Schrank genommen hatte, konnte sich dicht ans Fenster setzen, ohne von einem Strahl belästigt zu werden. Er war bald in seine Arbeit völlig vertieft.

In einem alten herrschaftlichen Gartenhause vor der Stadt, das der reiche Bürgermeister gekauft hatte, war unter anderen neu auszumalenden Zimmern ein großer Roccoco-Saal von Grund aus wieder herstellen, und schon wochenlang hatte der Meister alle andere Arbeit abgelehnt, um zur bestimmten Zeit mit diesem Meisterstück fertig zu werden. Hier wie überall mußte Walter rüstig mit Hand anlegen. Aber während er mit kecker Hand Arabesken, Blumen und Fruchtgewinde aus alten Kupferwerken zusammenstellte, um den Plafond, der zur Hälfte zerstört war, im alten Stil zu ergänzen, war es ihm weit merkwürdiger, den Bau überhaupt zu studiren, die Maaße und Verhältnisse sich einzuprägen, um hernach zu Hause auf eigene Faust Grundriß, Aufriß und Durchschnitt zusammenzustellen. Nur ein paar verstohlene Feiertagsstunden durfte er darauf verwenden. Der Meister brummte jedesmal, wenn er ihn über diesen Allotriis traf. Wozu sollten sie führen? Er hatte, hieß es, andere Dinge nötiger für sein Handwerk.

Aber heut lag der Alte fest in seinem Zimmer und konnte ihm nicht dazwischenfahren. So war er hurtig bei seiner Arbeit und dachte sie noch bis Mittag fertigzubringen.

Auf einmal ging die Thür auf, und eine kleine schwarze Figur schob sich herein, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf mit dem kurzgeschorenen schwarzen Haar leicht auf die linke Schulter geneigt, die um ein paar Zoll höher war, als die rechte. Der untere Theil des Gesichts hatte etwas ewig Schmunzelndes, Verbindliches und Bescheidenes; die dünnen Lippen spitzten sich beständig wie zum Pfeifen oder Schmatzen. In den unruhigen grauen Augen aber zitterte ein böser Blick, der Tücke und Schadenfreude und heftige Gelüste verrieth.

Guten Tag! sagte er, indem er mit fast unhörbarem Schritt um den Tisch herumging. Schon so fleißig, junges Genie? Wenn du in meine Jahre gekommen sein wirst – (der Sprecher hatte kaum das fünfundzwanzigste erreicht) – wird sich die Hitze schon gelegt haben. Du wirst dann deine Sonntage dazu anwenden, wozu ich sie brauche, lange zu schlafen und hernach den lumpigen Wochenlohn zu verlumpen. Wenn du nicht ein so versessener Tugendheld wärst, würde ich dir sagen: Wirf das Gekritzel ins Feuer und komm mit. Ich weiß, wo man einen Franzwein trinkt, der sein Geld werth ist.

Ich danke, erwiederte der Jüngling gleichgültig. Dein Geschmack ist nicht der meine, Peter Lars. Auch kann ich den Wein vor Tisch nicht vertragen.

Weiß schon! höhnte der Andere. Du bist immer der Wohlerzogene, und so groß und lang du bist, lässest du dich von einem Frauenzimmer am Faden lenken, wie ein Maikäfer, den man an den Zwirn gebunden hat. Was Männer davon denken, das schiert dich nichts.

Männer! sagte der Jüngling. Er konnt' es bei all seiner Gutmüthigkeit nicht hindern, daß ein spöttischer Zug über sein Gesicht flog.

Ja wohl: Männer! wiederholte der kleine Schwarze und reckte sich in allen Gliedern. Man braucht keine sechs Fuß zu haben, um sich als einen Mann zu fühlen, gegenüber von Weiberhelden und Riesen in den Windeln.

Nun so danke Gott, Peter Lars, daß er einen Mann aus dir gemacht hat, und geh deiner Wege. Was kommst du hierher, um mich zu necken und zu nergeln? Ich frage dir nichts nach; so laß auch du mich in Frieden.

Der Andere hatte sich dicht neben ihn hingestellt und sah mit einem bösartigen Grinsen auf ihn herab. Ich will gar nicht lange stören, sagte er. Aber ich konnte mir's doch nicht versagen, dem frommen Herrn Sohn zu seinem nagelneuen Herrn Stiefpapa zu gratuliren. Ja, nun kann mich das fleißige junge Genie wohl eines Blickes würdigen!

In der That starrte Walter ihn betroffen an. Was soll das heißen? sagte er ungeduldig.

Nichts anderes, als daß Mamsell Helene sich nicht ewig damit begnügen will, einen erwachsenen Sohn zu päppeln, sondern nach ganz kleinen eigenen rechten und richtigen Wickelkindern Verlangen trägt.

Du bist nicht klug! lachte der Jüngling, halb zornig, halb belustigt von einem Gedanken, der ihm nie auch nur im Traum gekommen war. Sie heiratet nun und nimmermehr. Das weiß ich zufällig besser.

Nicht so vornehm abgesprochen, erwiederte der Andere. Man kann ein junges Genie sein und doch vom hellerlichten Tage nichts wissen. Was ich dir da sage, habe ich aus guter Quelle. Sie heiratet, und ich weiß auch, Wen.

So sag's!

Was geht's dich an? Dir muß Ein Stiefpapa so unbequem sein, wie der andere. Denn die schönen Seiten, wo der Herr Sohn Regen und Sonnenschein machte und der Augapfel und das Herzblatt war, die haben nun ein Ende. Der neue Herr Papa müßte wenigstens ein großer Pinsel sein, wenn er sich das lebensgroße Hochzeitspräsent, diesen Jungfernsohn, nicht höflichst verbitten wollte. – Und bei Lichte besehen, kann's auch mir gleichgültig sein. Habe ich bisher die Ehre gehabt, die hohe Ungnade dieser hochmütigen Dame zu genießen, so wird daran nichts geändert, ob sie nun Herrn X oder Herrn Y mit ihrer Hand beglückt. Ich bin und bleibe die Kröte, die Spinne, die Wanze, der Kellerwurm, den man am liebsten zertreten möchte, wenn man sich nicht scheute, sich die Schuhsohle zu beschmutzen!

Du übertreibst, Peter, wie du's gewohnt bist. Aber sag nur –

Ob ich übertreibe oder nicht, weiß Niemand besser, als ich selbst, fuhr der Schwarze fort, und sein ewig gespitzter Mund verzerrte sich zu einer Grimasse des heftigsten Ingrimms. Warum soll ich ein Geheimniß daraus machen? Ich hab' erst vor vierzehn Tagen hier an dieser selben Stelle, wo ich jetzt stehe, ihr einen Heirathsantrag in aller Form gemacht, und sie hat mich stehen lassen, als wenn ein Wahnsinniger keiner Antwort werth wäre. Pah! ich lache jetzt darüber. Ich weiß selbst nicht, wie mich die Laune anwandelte. Ein Bettler bin ich nicht, daß es mir um ihre paar Thaler zu thun wäre. Ich könnte, wenn ich's nicht aus Langerweile thäte, und weil mir's Spaß macht, den ganzen Kram von Farbenkleckserei an den Nagel hängen und in meine Heimath gehn, wo meine Eltern wohlhabende Leute sind und auf ihrem eignen Grund und Boden sitzen. Ich hatte mich nun einmal in das hochmütige Freien vergafft, und darüber wollt' ich's nicht einmal achten, daß sie die Jüngste nicht mehr ist, ja sogar ein paar Jahr älter als ich. Sie aber, wie wenn eine Kröte sie anspritzen wollte, auf mich herabgeblitzt und mich stehen lassen, daß ich wie ein Schulbube davonschlich – Höll' und Mord! und ich hätt's ihr auch wohl zu hören gegeben, wenn ich nicht im Stillen gedacht hätte: Sie will überhaupt Keinen, sie mag wohl ein Haar darin gefunden haben, so oder so! und da fraß ich meinen Aerger in mich hinein. Aber jetzt, wo sie plötzlich ganz andere Saiten aufzieht, wenn ein Anderer kommt, wo ich sehe, daß ich ihr nur nicht gut genug war –

Er verschluckte den Rest und fuhr mit den Händen in der Luft herum, in unverständlichem, halb krampfhaftem Geberdenspiel.

Woher weißt du's? sagte der Jüngling leise mit einer Stimme, in der eine große verhaltene Bewegung bebte. Wer ist's? Ist's denn schon abgemacht? Und doch – es ist nicht möglich. Erst gestern Abend –

Was soll nicht möglich sein, einem Frauenzimmer! Bah, lehr du mich ihre Schliche und Ränke kennen. Ich habe es wohl gemerkt gestern Nacht, wie spät es wurde, bis du von ihr kamst. Da mag sie dir noch zu guter Letzt nach Herzenslust caressirt haben. Aber doch, so wahr draußen die Sonne scheint, es ist richtig, sie nimmt den Federfuchser, den Aktenwurm, den Notarius.

Hansen? den Doctor?

So sagt' ich, und ich will ein Hundsfott sein, wenn's nicht wahr ist. Ich war heut früh in der Kammer, wo der Meister die Farbenmuster aufhebt; da sucht' ich was, für die Arbeit morgen, weil der Meister mich schon gestern deßwegen gerüffelt hatte. Und da kam die Mamsell Helene in sein Zimmer, und sie hatten ein Gespräch mit einander, und ich könnt' eben nicht Alles hören, aber genug um zu wissen, daß sie ihn nimmt. Denn freilich sperrte sie sich zuerst. Als er aber hernach sagte: der Notarius wird heut mit uns essen, da kannst du's ihm selber sagen, da schwieg sie mäuschenstill. Wenn's ihr nun nicht danach zu Muthe wäre, ihn zu nehmen, würde sie sich's wohl verbeten haben, erst noch mit ihm zu Mittag zu essen. Denn daß sie am liebsten den Mund nicht dabei aufthut, wenn sie Körbe austheilt, das hab' ich ja erleben müssen.

Du mußt dich verhört haben, Peter, sagte der Jüngling, in tiefes Nachdenken verloren. Ich sage dir noch einmal: es ist nicht möglich.

Nicht möglich? Aber was red' ich mit einem Wickelkind von Heirathsaffairen? Ich habe mir nur Luft machen müssen, weil mich's sonst erstickt hätte. Dies Mädchen an diesen Menschen, den Aktenschmierer, den Sportelkrämer, der sie nicht halb wird zu schätzen wissen, bis auf ihre klingenden Vorzüge! Wäre sie nicht so recht ein Fressen für einen Künstler, wie unsereins, der andere Ansprüche macht, als das bischen Roth und Weiß und Zierlichthun, dem der große Haufe nachrennt? Was weiß die Aktenseele davon, wie ihr Gesicht geschnitten ist und daß sie gewachsen ist zum Verrücktwerden! Sie stellt's freilich nicht zur Schau: sie wickelt sich vielmehr immer bis unters Kinn ein, wie eine Mumie, daß es einen Stein erbarmen könnte. Wer aber die rechten Augen im Kopf hat, der weiß, wenn er nur den kleinen Finger sieht, zu sagen, wie's um die ganze Person bestellt ist, und daß man weit und breit suchen kann –

Ich verbitte mir diese Reden, unterbrach ihn der Jüngling heftig. Er war aufgesprungen, und sein Gesicht glühte über und über. Packe dich hinweg und laß mich nicht erfahren, daß du so schamlose Reden auch gegen Andere führst, sonst –

Und er hob die geballte Faust und schlug mit aller Macht auf den Tisch, daß die Wände wiederhallten.

Kindskopf! knirschte der Andere und zog sich mit einem lauernden Blick aus seinem Bereich. Geh und laß dir deine Milchsuppe einlöffeln und bitte die liebe Mama um ein neues Kleid, in dem du bei ihrer Hochzeit auf ihrem Schooß sitzen kannst. Du bist nicht werth, daß Männer dir ihr Vertrauen schenken, Männer, denen es leid gethan hat, wie du dich von einem schlauen Frauenzimmer hast herumziehen und gängeln lassen. Geh, ich verachte dich eben so gründlich, wie ich dich bisher bemitleidet habe! Wir zwei haben das letzte Wort mit einander gewechselt.

Damit warf er ihm noch einen seiner bösesten Blicke zu und trollte sich pfeifend aus dem Gemach.

Der Jüngling blieb auf der Stelle, wo er stand, wohl eine halbe Stunde regungslos stehen. In seinem Kopfe wirbelten tausend Gedanken; von Zeit zu Zeit hob ein schwerer Seufzer seine Brust, und dann drückte er die Augen ein, als könne er im hellen Tageslicht mit solchen Gedanken, wie sie sein Inneres durchstürmten, sich nicht vor sich selber sehen lassen. Er hörte endlich Helenens Schritt draußen auf der Treppe. Da lief es ihm siedend heiß über den Leib, und von einem unerklärlichen Angstgefühl getrieben, griff er hastig nach seiner Mütze und suchte durch die Hof- und Gartenthür das Freie.

Sie hörte wohl, daß er eilig davon ging, aber sie ahnte nicht, daß er vor ihr floh. Vom Fenster aus sah sie ihm nach, so lange noch sein wehendes blondes Haar zwischen dem laublosen Gesträuch zu erblicken war. Sie glaubte droben Alles ausgeweint zu haben, was ihr das Herz schwer machte. Wer selten weint, erwartet Wunder von den Thränen. Nun empfand sie, daß sie noch um keinen Schritt weiter gekommen war.

Warum hatte sie geweint? Sie war dazu gewöhnt, Allem, was im Leben feindlich auf sie eindrang, die ruhige Kraft einer Seele entgegenzusetzen, die von nichts Widrigem überrascht wird, weil sie ohne Wünsche und Hoffnungen ist. Sie glaubte, nichts mehr vom Leben fordern, nichts mehr gewinnen zu können. Nun war sie plötzlich daran erinnert worden, wie viel sie noch zu verlieren hatte.

Zunächst, was einer stolzen Natur das Bitterste ist: die Sicherheit ihres eigenen Gefühls. Jene schonungslosen Worte über ihr Verhältniß zu Dem, den sie hatte vom Knaben zum Manne heranwachsen sehen, waren ihr Anfangs fremd und unverständlich geblieben. Sie hatte geglaubt, sie abschütteln zu können, wie eine Beleidigung. Andere Sorgen, die das Gespräch mit dem Schwager in ihr erregt, schienen dringender. Aber sobald sie droben in ihrem stillen Zimmer mit sich allein war, fiel alles Andere wie Schatten von ihr ab, und jene Worte, die sie erst gemeint hatte mit einem Achselzucken abfertigen zu können, blieben ihr allein gegenwärtig.

Sie dachte die zehn Jahre zurück, seit sie in dies unglückliche Haus getreten war, wie damals der Knabe, verschüchtert und stumm zwischen den Pflegeeltern, die über seine Gegenwart sich täglich mehr verfeindeten, sich sofort mit überschwänglichem Vertrauen an sie angeschlossen und all seine Noth ihr ausgeschüttet hatte. Es hatte sich ohne viel Worte von selbst verstanden, daß sie ihn beschützte. Wenn ihr die Aufgabe, zumal ihrer Schwester gegenüber, nicht immer leicht war, so entschädigte sie tausendfach der innige Verkehr mit ihrem Schützling, dessen harte Jugend ihm fast schon alle Munterkeit und Schwungkraft gelähmt zu haben schien, und der nun von Jahr zu Jahr heller und heiterer sich entwickelte. Und sie durfte sich sagen, daß sie mehr gethan hatte, als den äußeren Druck von ihm abwehren. Sie war unermüdlich gewesen, ihm zu helfen, daß er die dürftige Bildung der Stadtschule auf eigne Hand ergänzte. Sie hatte mit ihm und seinen künstlerischen Neigungen einen schweren Stand, bei diesen Bemühungen, seine Bildung zu vervollkommnen. Und sie mußte ihre eigene Neigung, ihn fröhlich zu sehn und seine Wunsche nicht zu kreuzen, dabei unterdrücken. Wie viel lieber saß sie mit ihrer Arbeit neben ihm, wenn er sich in eine architektonische Zeichnung vertiefte und in seiner gutmütigen Lustigkeit mit ihr plauderte, als daß sie ihn anhielt, einen ernsthaften Cursus am Faden eines dürftigen Lehrbuchs mit ihr durchzumachen. Aber sie hatte gelernt, sich zuerst zu fragen, was ihm nöthig und wohlthätig sei; sie hatte niemals mit ihm getändelt und es mit ihren Mutterpflichten leicht genommen.

War es ein Wunder, daß im Lauf der Zeit all ihre Gedanken nur diese Eine Richtung angenommen hatten? daß sie wachend und träumend nur ihn vor Augen hatte, unbewußt, so lang er neben ihr war, jede seiner Bewegungen verfolgte, und wenn er draußen war, nur auf die Thür horchte, ob sich sein Schritt noch nicht wieder hören lasse?

Und wenn sie ihn jetzt im Stillen mit allen Anderen verglich, die seit jenen ersten Tagen an ihr vorübergegangen waren, hatte sie nicht Recht, wenn sie die Anderen neben ihm entbehrlich fand? Es war keine eitle Vergötterung mit im Spiel. Sie hatte sich niemals darüber getäuscht, daß er weder schön, noch zierlich, noch von bestechenden Manieren sei. Sie selbst neckte ihn oft genug mit seinen linkischen, unbeholfenen Bewegungen, seinem durchaus nicht »interessanten« Gesicht, seinem dicken glanzlosen Haarbusch und daß ihm die Kleider wie einer Gliederpuppe um den Leib hingen, wenn der Schneider sich auch die beste Mühe gegeben, ihn elegant zu machen. Und doch war ein Reiz in seinem Wesen, dem, wie sie wohl sah, auch Fremde und minder Feinfühlige nicht widerstanden: ein Hauch von adliger Jugend, von angebornem Tact des Gemüths, von jenem echten und goldenen Humor, der der Seele Flügel verleiht und sie hoch über den philisterhaften Respect vor allerlei Götzendienst des Tages erhebt. Es war seltsam, daß sie mit diesem ihrem Zögling, der ihr noch oft wie ein Kind in die Welt zu blicken schien, die letzten Dinge alles Erdenlebens besprechen konnte, als wären sie Beide uralt an Jahren oder Erfahrungen.

So war es gewesen, und so hatte es sie Beide glücklich gemacht, und nun sollte es plötzlich vorbei sein, nun plötzlich gefährlich und nicht länger zu dulden? Man hatte es ihr ins Gesicht gesagt, daß sie nur dieses Jünglings wegen jeden Bewerber abweise. Wohl, sie konnte sich's nicht verleugnen: er füllte ihr ganzes Herz, sie hätte jeden Mann täuschen müssen, dem sie anzugehören gelobt hätte. Eine Leidenschaft war dies Gefühl geworden, wie hätte sie sich's verhehlen können? Aber eine Leidenschaft, die durch Jahre der reinsten, aufopferndsten Hingebung geweiht war. Sie sah ihn für ihr Eigentum an; hatte sie nicht ein Recht dazu? Was wäre er geworden, ohne sie?

Und jetzt sollte sie ihn hergeben? der Gedanke war unerträglich. Wollte er denn fort von ihr? fühlte er nicht selbst, daß er sie noch allzusehr bedurfte? Und war denn eine Gefahr, wenn Alles noch blieb, wie es war? Für ihn gewiß nicht. Sein Leben lag noch weit und offen vor ihm; er hatte nichts zu verlieren, wenn er noch eine Zeitlang in der Stille fortwuchs; und zu denken, daß ihre Nähe ihm je gefährlich werden könnte, schien ihr eine Thorheit. Sie fühlte sich noch um andere zehn Jahre älter, als sie wirklich war. Und daß er noch ausschließlicher sich ihres Denkens bemächtigen könnte, wie wäre es möglich gewesen? Und was hätte es geschadet? Sie besaß nichts, was ihr das Leben werth und wichtig machte, als dies Gefühl.

Und doch hatte sie geweint, lange und heftig. Es stand wie ein verhülltes Schicksal unheimlich ihr gegenüber. Mit allem Sich-selbst-bestärken in ihrem guten Recht und der Erkenntniß, daß die Anderen keine Macht über sie hatten, wenn sie selbst nicht wollte, konnte sie eine geheime Angst nicht bezwingen, daß die schönste Zeit vorüber sei, daß harte Tage der Prüfung bevorstanden. Vor der Drohung des Alten, ihren Schützling in die Welt auf Wanderschaft zu schicken, fürchtete sie sich nicht. Sie wußte, daß auch er sich schwer von ihm trennen würde, zumal um ihn in eine Bahn zu treiben, die ihm so gründlich widerstand. Und zu einem andern Ausweg fehlte es dem Alten am Nöthigsten. Ja er war in Zeiten der Bedrängniß, wo sie ihn bereitwillig unterstützt hatte, in eine Abhängigkeit von ihr gerathen, die sie freilich nie geltend machte, die ihm aber eine stille Verpflichtung auferlegte, ihren Willen nicht allzu eigenmächtig zu kreuzen.

So fürchtete sie im Grunde nichts von einem gewaltsamen Eingreifen irgend eines Menschen in ihr Geschick. Aber es waren Worte gefallen, die nicht ungesprochen gemacht werden konnten und die von dem Theuersten, was sie besaß, gleichsam den Duft abgestreift hatten.

Das empfand sie deutlich, als sie ihm durch den Garten nachsah und fast froh war, ihm jetzt noch nicht begegnen zu müssen. Zum ersten Mal hätte sie ihm nicht ganz frei in die Augen geblickt. Aber sie wußte nicht, daß die letzte Stunde auch ihn aus seiner harmlosen Ruhe aufgestört hatte. Sie dachte, an ihr allein sei es, zu leiden, und mitten in ihrer Sorge und Beklommenheit war es ihr ein Trost, daß sie alles Feindliche, was ihrem Liebling drohte, wahrhaft mütterlich auf ihr eigenes Haupt ablenken durfte.

So fand sie in den Stunden bis zu Tisch mehr und mehr ihren Gleichmuth wieder; in der größeren Sorge um ihr eigentliches Glück vergaß sie es fast, daß ihr noch die peinliche Aufgabe bevorstand, einen Bewerber, der ihr bisher gleichgültig geblieben war, für immer abzuweisen. Als die Eßstunde schlug, trat sie mit einem völlig unbefangenen Gesicht in das große Zimmer und begrüßte den Notarius, der mit stummem Erröthen sich vor ihr verneigte, wie den ersten besten Gast des Hauses. Der Meister hatte das Bett verlassen, um sich im Schlafrock und wenig sonntäglicher Laune etwas abseits von dem gemeinsamen Tisch aufs Sopha zu strecken. Ein alter Nachbar, der stehende Sonntagsgast, und die beiden Lehrburschen standen bescheiden an den Fenstern. Jetzt trat auch Walter herein, in einer so sichtbaren Verstörung, daß er kaum die nothdürftigsten Formeln der Höflichkeit ohne Stocken herausbringen konnte. Niemand achtete auf sein verwandeltes Wesen; nur seine »kleine Mama« warf ihm einen bestürzten Blick zu, den er, wie von einem bösen Gewissen geängstigt, nicht auszuhalten vermochte.

Der Meister fragte nach Peter Lars und war ungehalten, daß er ausblieb. Zuletzt setzte man sich zu Tische, ohne auf ihn zu warten. Es dauerte einige Zeit, bis ein Gespräch in Gang kam. Walter saß tiefsinnig und starrte, scheinbar ohne Theilnahme, auf seinen Teller. Der alte Nachbar, der sonst den Kunstkenner machte und gern allerlei confuse Reden über Zeichnung und Farbeneffect zum Besten gab, schwieg heute, da auch der Meister weder aß noch redete, sondern die Zähne zusammenbiß, um seiner Schmerzen Herr zu bleiben. Die Lehrburschen hatten natürlich noch nicht Redefreiheit in Gegenwart des Meisters, und so trugen der Notar und Helene, die ihm gegenüber saß, die Kosten der Unterhaltung.

Er war ein Mann von unscheinbarem Wesen; nur eine schöne Stirn und klare ruhige Augen machten das Gesicht anziehend, und wenn er sprach, belebten sich die festen, männlichen Züge durch einen Ausdruck von Freundlichkeit, der Zutrauen erwecken mußte. Als die erste Befangenheit dem Mädchen gegenüber gewichen war, wurde er heiterer, als man ihn sonst wohl kannte. Er sprach von seinen Reisen in Schweden und Norwegen, von den Sitten der Leute, von ihren Festen, ihren Volksliedern. Man hörte ihm gerne zu; er sagte nie ein allgemein lobendes oder tadelndes Wort. Alles erhielt seine klare Farbe, seine unterscheidenden Züge. Die alte Christel, die das Essen auftrug, lehnte im Hinausgehen die Thüre nur an, um noch länger zuzuhören. Sogar der Nachbar nickte beifällig und warf einige aufgelesene Notizen über nordische Kunst dazwischen, die der Erzähler unangefochten ließ. Wenn es sein Bemühen war, sich im besten Lichte zu zeigen, so hätte er es nicht geschickter anfangen können.

Und doch schien seine Mühe so gut wie verloren. Das Mädchen hörte nur mit erkünstelter Teilnahme auf sein Gespräch, innerlich war sie mit der Sorge beschäftigt, was es sein möchte, das den Jüngling so plötzlich verdüstert habe. Ein paar Mal suchte sie ihn mit einem Scherz in das Gespräch zu ziehen. Ein fast ängstlich bittendes Aufblicken des Träumers schreckte sie endlich davon ab.

Die Flasche, die Christel hatte aufsetzen müssen, war geleert, auf das Wohl des Hausherrn, das der Notarius ausgebracht hatte. Ein stummes Kopfnicken des Alten war sein ganzer Dank gewesen; er selbst hatte keinen Tropfen getrunken und kaum das Ende der Mahlzeit abgewartet, um sich alsbald wieder in sein Zimmer zu schleppen und dort ohne Zwang zu stöhnen und seinen Zustand zu verwünschen.

Darauf waren die Andern, während der Tisch abgeräumt wurde, in das obere Zimmer gegangen, den Kaffee zu trinken. Ein altes Klavier stand dort unter Bildern und Büsten, mit denen die Wand dicht bedeckt war. Es war lange nicht geöffnet worden. Jetzt setzte der Gast sich auf Helenens Aufforderung davor, spielte einige der Volksweisen aus dem Norden und sang mit einer zwar ungeübten, aber musikalischen Stimme die Texte dazu. Das Mädchen hatte sich mit ihrer Handarbeit neben Walter gesetzt, der auf die Straße hinausstarrte und von Allem, was vorging, keine Notiz zu nehmen schien. Sie fragte ihn während des Gesanges mehrmals leise, was ihm sei, ob er einen Verdruß mit dem Meister gehabt habe oder mit Peter Lars, dessen Ausbleiben ihr verdächtig war. Er schüttelte statt aller Antwort den Kopf und sprang endlich, von unerklärlicher Unruhe gepeinigt, auf, um ins Freie zu gehen, als die Thür sich aufthat und Besuch erschien, eine Verwandte des Meisters, die Mutter jenes Lottchens, das gestern noch bei ihrem Tänzer so viel gegolten hatte. Heute war es ihm zwiefach peinlich, als er auch das gute Kind neben der Frau Mutter mit schüchterner Vertraulichkeit eintreten sah und nun, ohne sie allzusehr zu verletzen, die Gesellschaft nicht verlassen durfte. Doch sprach er kaum ein höfliches Wort zu Mutter und Tochter, und als Helene über den gestrigen Abend zu scherzen anfing, nahm er ein Buch vom Schrank und fing aller guten Sitte zum Hohn in seinem Winkel an zu studiren, als wäre er ganz allein im Zimmer.

Nicht lange so wurde ein Spaziergang vorgeschlagen, und die kleine Gesellschaft, von der nur der Nachbar sich beurlaubte, setzte sich in Bewegung, der Notarius mit Helene und der Mutter voran, Walter und seine zierliche kleine Tänzerin von gestern hinter ihnen. Auch jetzt noch, als sie durch die belebte Hauptstraße zum Thor hinaus schlenderten, einem Garten zu, wo heute die halbe Honoratiorenschaft des Städtchens den Sonntag genoß, schwieg er beharrlich. Er grüßte kaum die vorübergehenden Bekannten; er schien kein Auge dafür zu haben, daß sich das liebliche Gesicht seiner Nachbarin, je länger er stumm blieb, je trübseliger verdunkelte und endlich die Thränen vorzubrechen drohten, als zum Glück ein anderer ihrer Tänzer sich hinzugesellte, der nun Walters Sünden überfließend wieder gut machte.

Jetzt hätte er sich endlich fortstehlen können, um seine gepreßte Seele vom Zwang jeder Gesellschaft zu befreien. Aber theils war er schon am Vormittag inne geworden, daß sein verworrener Zustand in der Einsamkeit nur qualvoller wurde, theils hielt es ihn unwiderstehlich in der Nähe Helenens fest, und er spähte ängstlich nach jeder Geberde, jedem Wort von ihr, die ihm Klarheit verschaffen mochten, ob er sie wirklich verlieren sollte.

Auch er hatte sorglos neben ihr hingelebt, ohne sich jemals zu fragen, wie lange es wohl so fortgehen könne. Er gehörte ihr, sie ihm, so viel wußte er. Wie das Gefühl, das sie an einander knüpfte, zu nennen sei, warum hätte er das überlegen sollen, so lang er ihrer sicher war? Seitdem er von sich selber wußte, war ihm, nach seiner leiblichen Mutter, Niemand so nothwendig zum Leben gewesen, wie sie. Und die letzten Jahre hatten, indem sie ihn mündiger machten, die Vertrautheit und Innigkeit ihres Verkehrs nur befestigt, da er sich ihrer Hut und Pflege in den meisten Dingen entwachsen fühlte und nun freiwillig nur um so lieber Alles, was ihm durch Kopf und Herz ging, zu ihr hintrug. Was sie ihm war, Freundin, Schwester, Pflegemutter, seine Kameradin in ernsten und lustigen Stunden – er hatte keinen Namen dafür; wie er überhaupt nie über sie nachgedacht hatte. Die Worte schön oder hübsch, liebenswürdig oder gar »gefährlich« hatten ihr gegenüber keinen Sinn für ihn. Sie war sie selbst und weiter dachte er nicht darüber nach.

Nun auf einmal sollte er sich in die Vorstellung finden, daß sie ein Frauenzimmer wie andere sei, im Stande, Leidenschaften zu erwecken, Männer zu eifersüchtigen Bewerbungen zu reizen! Der Gedanke bestürzte ihn dermaßen, daß es ihm war, als sähe ihn auf einmal sein eigenes Leben mit ganz fremden Augen an. Noch gestern Abend, da sie von ihrer ersten Liebe geredet hatte, war ihm das Gespräch nicht viel anders gewesen, als wenn sie sich Märchen erzählten oder ihre Träume auslegten. Nun stand plötzlich die unbegreiflichste Wirklichkeit vor ihm. Ein Mann hatte um sie geworben; einen anderen hatte sie stillschweigend abgewiesen; ob sie auch dem neuen Bewerber so abgeneigt sein möchte? Und wenn sie ihm ihre Hand nicht verweigerte, welch ein unerträglich peinigender Gedanke, sie als die Frau irgend eines Mannes zu wissen! –

In seiner reinen Seele stieg ein wunderlich dunkles Schamgefühl auf, das ihm alle Adern durchglühte. Jeden Blick eines Mannes nach ihr hätte er auf Tod und Leben verhüten mögen. Wenn er zurückdachte an die leichten Reden seines Mitgesellen, ballte er unwillkürlich die Faust. Und doch, wie er jetzt hinter ihr ging, taub und blind für alles Andere um sie her, konnte er den Blick nicht von ihrer Gestalt wegwenden. Zum ersten Mal fiel ihm die rasche Anmuth ihrer Bewegungen auf; er verglich im Stillen die schönen Linien, die Hals und Schultern umschrieben, mit der breiten Formlosigkeit der Alten und der hübschen Alltäglichkeit ihres Töchterchens; zum ersten Mal hatte er ein Auge dafür, wie leicht und schwebend sie die Füße setzte, wie, wenn sie im Gespräch sich zu ihrem Nachbar wandte, das schöne kräftige Profil sich klar aus dem dunklen Hut hervorhob, und wie die Zähne schimmerten, wenn sie, wie es ihr oft begegnete, die Lippen öffnete, ohne zu lächeln, mit einem traurig stolzen Ausdruck, der mit ihrer gedämpften Stimme sich wohl vertrug.

Und sie pflegte auch nur zu lächeln, wenn sie mit ihm sprach; das bemerkte er wohl, da er jetzt in ängstlicher Scharfsichtigkeit ihr Benehmen gegen die Andern überwachte. Er war ihr der liebste, daran konnte er nicht zweifeln. Aber warum duldete sie die Annäherung des Fremden, wenn sie ihm keine Hoffnung zu machen hatte?

So fragte er sich rathlos, und im nächsten Moment blitzte die Erkenntniß wieder in ihm auf, daß er es doch nicht zu hindern habe, wenn sie sich noch jung genug fühle, ein neues Leben zu begründen, an einem neuen Herde. Was hatte er ihr zum Ersatz zu bieten? War's nicht ein Wahnsinn, zu fordern, daß sie sich ihm in alle Zukunft aufopfern solle und abwarten, wie lang es ihm gefallen werde, sie seine »kleine Mama« zu nennen und an ihrer Schürze zu hängen?

Sie waren in dem Wirthsgarten vor der Stadt angekommen, wo Musik aus dem Saal des Hauses erklang und zum Tanzen einlud. Bald war ein kleiner Ball aus dem Stegreif eröffnet. Die Aelteren saßen draußen vor den Fenstern im Sonnenschein und sahen von ihren Gesprächen und der Kaffeetasse weg ab und zu in das ungebundene Gewühl der Jugend. Auch Lottchen erhielt die Erlaubniß von ihrer Mutter und schien zu erwarten, daß Walter sogleich davon Gebrauch machen werde. Als dieser aber Kopfweh vorschützte und jetzt eilig aufstand, um den menschenbelebten Ort zu verlassen, mußte sie mit einem schlechtverhehlten Seufzer die Hand ihres zweiten Tänzers annehmen. Helene bemerkte Alles nur zu wohl; sie ahnte endlich, daß sie selbst die Ursache sei. Wer aber sollte ihm die Absichten des Vaters verrathen haben? Und wenn er sie ahnte, woher diese tiefe Verstimmung? der Gedanke, daß Eifersucht im Spiele sei, blieb ihr völlig fern.

Sie hätte jetzt gern ein offenes Wort mit ihm gesprochen. Nun hatte er sich düster entfernt und schlenderte draußen auf der Landstraße zwischen den letzten Häusern hin, durch den heitern Frühlingsabend keinen Augenblick ergötzt. Er kam an ein altes, längst nicht mehr bewohntes Landhaus und starrte vom Gitter aus in den verwahrlosten Garten hinein. Ein Springbrunnen hatte dort früher geplätschert, jetzt war das trockene Bassin mit modernden Blättern und großen Brennnesseln angefüllt. Eine Nymphe in losem französischem Aufputz neigte ihre Urne knieend über die Schale und schien traurig in das Unkraut hinunterzublicken. Es war ein schmuckes Figürchen und verdiente ein besseres Loos. Jetzt saßen die Sperlinge auf ihren Schultern und der Kranz in ihrem Haar war abgebröckelt. Was hielt den Jüngling so lange auf derselben Stelle fest, von wo er die Umrisse ihrer Gestalt klar aus dem Helldunkel der Grotte hervorstreben sah? Von drüben wehte der Wind zuweilen ein paar Takte der luftigen Tanzweisen zu ihm herüber. Es war, als wollte er abwarten, ob die einsame Schöne sich nicht erheben und auf ihn zutreten möchte; er wurde nicht müde, die schönen schlanken Linien anzuschauen, an denen er trotz seiner Künstleraugen so manches Mal gleichgültig vorübergegangen war.

Zuletzt ward es ihm selber unheimlich, er riß sich mit einem tiefen Seufzer los und wanderte nachdenklich zurück. Er kam gerade zur rechten Zeit, um seine Gesellschaft wieder nach der Stadt aufbrechen zu sehen. Doch schloß er sich ihnen nicht an, sondern behielt sie nur aus der Entfernung sorgfältig im Auge.

Diesmal gingen Mutter und Tochter mit Lottchens Tänzer voran, und Helene folgte mit dem Notarius. Er sah, wie sie freundlich mit ihm sprach, und glaubte in seinen Mienen zu lesen, daß er an der Erfüllung seiner Wünsche nicht länger zweifelte. Nun lachte sie gar über ein Wort, das er sagte. Der Weg führte an dem Hause vorbei, wo der Notarius wohnte, da standen sie einen Augenblick; er deutete hinauf und sagte etwas, auf das sie nichts erwiederte, aber ihre Augen folgten der Richtung seiner Hand, und dann setzte sie ihren Weg, wie es schien, in ernsterer Stimmung fort. Der Späher in der Ferne zweifelte nicht länger, daß Alles entschieden sei. Ein unsäglich schmerzliches Gefühl überkam ihn; er blieb plötzlich stehen und besann sich, wohin er denn wolle. Es war ihm Alles gleichgiltig, nur nach Hause nicht, nur nicht ihr begegnen müssen. So fand ihn einer seiner früheren Schulkameraden; sie wechselten ein paar Worte, dann folgte Walter seiner Einladung, ein Glas Wein mit ihm zu trinken, und die jungen Leute bogen Arm in Arm in eine Seitengasse.

*


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