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Ein Christuskopf

(1906)

Eines Tages wurde mir eine Visitenkarte gebracht, auf der ein mir unbekannter jüdischer Name stand, Chajim N. N., darunter »Versicherungsagent«.

Ich hatte nicht Zeit gehabt, die Weisung zu geben, daß ich für diesen Besuch nicht zu Hause sei, als der Inhaber der Karte sich schon durch die halb offen gebliebene Thür sacht hereingeschoben hatte und nun in bescheidener, fast demüthiger Haltung schweigend an der Schwelle stand.

Meine erste Regung gegenüber dieser sanften Zudringlichkeit war, den Mann ohne Weiteres fortzuschicken, mit der Erklärung, daß ich seiner Dienste nicht bedürfe. Seine Erscheinung war aber derart, daß ich die kurz angebundene Abfertigung nicht über die Lippen brachte.

Es war der vollendetste Typus eines sogenannten Christuskopfes, ein Exemplar jener vornehmen semitischen Rasse, wie sie im Lauf der Jahrhunderte besonders im westlichen Europa immer seltener begegnet. Ein längliches Gesicht vom feinsten Oval, die Stirn außerordentlich edel gebildet, die Nase nur leicht gebogen, mehr an den arabischen Typus erinnernd als an den jüdischen, zwei große mandelförmige Augen mit breiten Lidern unter feinen schwarzen Bogen. Auch der Mund mit etwas zu dünnen Lippen war tadellos geformt, Wangen und Kinn umgab ein weicher, tiefschwarzer Bart, und dichte seidene Locken, in der Mitte gescheitelt, hingen fast bis zu den Schultern herab. Die mittelgroße Figur, mager und die herabfallenden Schultern ein wenig vorgebeugt, steckte in einem abgetragenen schwarzen Anzug, der offenbar für einen robusteren Körper zugeschnitten war, aus den schlotternden Ärmeln streckten sich ein Paar große, aber feingliedrige Hände vor, und die Füße waren mit groben geflickten Schuhen bekleidet. Einen breitrandigen alten Strohhut hielt der seltsame Mensch, der nicht über dreißig Jahre alt zu sein schien, in der rechten Hand, während er, nachdem er sich linkisch verbeugt hatte, wartete, was ich ihm sagen würde.

Der forschende Blick, mit dem ich ihn von oben bis unten maß, schien ihn nicht in Verwunderung zu setzen. Er war es offenbar gewohnt, daß seine Person beim ersten Anblick Befremden erregte.

Verzeihen der Herr Doctor, sagte er endlich, ich wollte mir nur unterthänigst erlauben –

Während er sprach, erschien das Gesicht auf einmal weniger vollkommen, ein fehlender Vorderzahn entstellte den schönen Mund und war die Ursache, daß die Sprache lispelnd und zuweilen zischend klang.

Ich sagte, daß er sich umsonst zu mir bemüht habe, wenn er kein anderes Anliegen habe, als mich für seine Versicherungsgesellschaft zu gewinnen, da ich seit langen Jahren bereits mit meiner gesamten Habe versichert sei. Er blieb aber regungslos stehen und zuckte nur leicht mit den Schultern.

Ich hab' es nicht anders erwartet, versetzte er in einem angenehm singenden Ton, der nur einen leisen Anklang an die jüdische Sprechweise hatte. Der Herr Doctor ist ein kluger Mann, ein vorsichtiger Mann, der nicht versäumt haben wird, zu thun, was alle weisen Hausväter thun. Aber vielleicht ist er doch nicht ganz so vorsichtig gewesen, wie es gut und nützlich wär'. Ich komm' viel herum in meinem Geschäft und erleb's alle Tage, daß die Menschen, die sich versichern, den Werth ihres Besitzes nicht richtig zu taxieren verstehen, oder mit Absicht zu niedrig schätzen, um zu sparen an der Prämie. Geschieht dann, wovor Gott den Herrn Doctor behüten und bewahren möge, ein Unglück, so jammern sie, daß sie gekommen sind zu Schaden, und können nicht beanspruchen den vollen Ersatz.

Ich hatte schon auf der Zunge, kurz zu erwidern, daß dies meine Angelegenheit sei und daß ich allein wissen könne, wie ich mich zu verhalten hätte, als er, ohne auf meine ablehnende Geberde zu achten, einen raschen Blick im Zimmer umherwarf und ruhig fortfuhr: Zum Beispiel: der Herr Doctor haben schöne Bilder, werthvolle Bilder. Darauf verstehe ich mich besonders. Darf ich mir die Frage erlauben, wie hoch die Galerie versichert ist?

Der Ton, in dem er dies fragte, war so bescheiden, und sein ganzes Wesen machte den Eindruck, als wenn ihm mein Interesse aufrichtig am Herzen läge, daß ich mich verleiten ließ, ihm die Versicherungssumme der Bilder, wie ich sie ungefähr im Kopfe hatte, zu nennen.

Hab' ich's doch gedacht, sagte er mit einem Seufzer des Bedauerns, wobei er den schönen Kopf mißbilligend hin und her wiegte. Wenn es nicht wär' zu indiscret: wer hat dem Herrn Doctor die Schätzung gemacht, die so weit zurückbleibt hinter dem effectiven Werth?

Ich gestand, daß ich nur einen befreundeten Maler zu Rathe gezogen hätte. Es sei schon vor mehr als zwanzig Jahren geschehen.

Nu, sagte er und ließ seine schönen, melancholischen Augen an den Wänden herumgehen, zwanzig Jahre sind eine Zeit. Seitdem haben sich die Preise gewaltig verändert. Die beiden Böcklins zum Beispiel sind seitdem das Zehnfache werth geworden, die kleinen Menzels, das Gouache-Bildchen und das Pastellporträt, das Zwanzigfache, und die schönen Lenbachs würden auf jeder Auction wie warme Semmeln abgehen, da sie aus seiner besten Zeit sind, wo er noch nicht aufs Geldverdienen aus war. Und der alte Niederländer überm Sopha – es ist doch ein Jan Steen –?

Er näherte sich dem Bilde, um es genauer zu betrachten.

Es gilt allerdings dafür, sagt' ich, erstaunt, ihn so bewandert zu finden. Es stammt von meinem Großvater, der ein Bilderliebhaber war, und es damals noch kaufen konnte, obwohl er als Director einer Mädchenschule keine großen Mittel hatte. Damals aber waren noch gute Zeiten für den Sammler. Ob es nun wirklich eine Arbeit jenes Malers ist, der mir unter seinen zeitgenössischen Landsleuten immer als der genialste und anziehendste erschien –

Es ist ein Jan Steen, unterbrach er mich. Ich will nicht leben und gesund sein, wenn es von einem anderen ist. Es ist ein Seitenstück zu jenem anderen Bild, das ich gesehen hab', ich weiß nicht ob in Cassel oder im Haag, wo Kinder eine Katze auf einem Tisch tanzen lassen, während ein größeres Mädchen dazu auf einer Pfeife bläst und ein Hündchen zu den Kindern hinaufbellt. Bei Ihrem Bild ist's ein Hund auf einer Tonne, den der einfältig grinsende dicke Bursch da an den Pfoten hält, aber die Art, wie der Mann mit dem Malerbarett und die beiden anderen Figuren dazu lachen, ist genau wie auf dem anderen Bild. Und wie gut ist's conserviert! Nu, wenn Sie 'ne Auction machen, bringt dies Bild und die beiden Böcklins allein so viel ein, wie die Summe, für die Sie versichert haben Ihre ganze Galerie. Ich hab' im Vorbeigehen hineingeschaut in ein anderes Zimmer und gesehen ein Bild aus einer italienischen Schule, Madonna mit Christkind und dem kleinen Johannes. Wenn der Herr Doctor mir wollen gestatten, auch das zu schätzen –

Geben Sie sich keine Mühe, sagte ich endlich, etwas ungeduldig. Ich bin nicht gesonnen, an meiner Versicherung etwas zu ändern, ehe der Termin abgelaufen ist, was noch drei Jahre ansteht. Und überhaupt – wenn Feuer ausbrechen und meine Bilder verbrennen sollten, keine größere Summe könnte mir Ersatz dafür geben, daß diese alten Freunde, die mich durchs Leben begleitet haben, nun für mich verloren wären.

Er zog wieder die Schultern in die Höhe, und sein Gesicht erhielt den Ausdruck eines geringschätzigen Mitleids.

Gott! sagte er, was reden kluge Leute manchmal für Stuß! Alles in der Welt hat zweierlei Werth, einmal fürs Gemüth, was man nennt Affectionswerth, und einmal fürs Geschäft, sozusagen den Marktwerth. Weil der Jan Steen dem Herrn Doctor unschätzbar ist, als ein Erbstück vom Herrn Großpapa, soll er darum nicht zum Besten seiner Enkel versichert werden nach seinem reellen Werth? Wenn er mir gehörte, ich würd' nicht ruhig schlafen, bis ich die Sach' hätt' in Ordnung gebracht. Ich kann versichern auf Ehr' und Seligkeit: 's ist mir nicht drum zu thun, zu machen ein Geschäft, und wenn's dem Herrn Doctor nicht paßt, sich an meine Gesellschaft zu wenden und die Galerie bei ihr extra versichern zu lassen – die Assecuranz bei der anderen ist auch gut, nur daß die Sachen nicht eines Tages unter ihrem Werth entschädigt werden und der Herr Doctor zu bereuen hat, daß er nicht hat hören wollen auf meinen Rath.

*

Ich war nun doch schwankend geworden, ob ich auf diesen Rath nicht hören sollte. Die Wärme, mit der sich der wunderliche Mensch meiner unterschätzten »Galerie« annahm – er nannte meine paar Bilder natürlich nur so, um mir zu schmeicheln – hatte Eindruck auf mich gemacht und die melancholischen Christusaugen mir's angethan.

Um mich nicht gleich zu entscheiden, sagt' ich: Erklären Sie mir, wie Sie zu dieser seltenen Kunstkennerschaft gekommen sind, die Sie befähigt, auf den ersten Blick selbst weniger bekannte Maler zu erkennen und den Werth ihrer Arbeiten zu taxieren.

Nu, sagte er mit einem leisen Lächeln, 's wär' ein Wunder, wenn's anders wär'. Ich bin aufgewachsen unter lauter Bilder und Kunstwerke, mein Vater – Gott hab' ihn selig! – war ein Antiquar, vor zwei Jahren ist er gestorben, leider nicht in den guten Verhältnissen, wie in meiner Jugend. Er hat Unglück gehabt – ein Velasquez, den er für ein großes Geld gekauft hat, obwohl ich ihm abrieth, hat sich als eine Fälschung herausgestellt – andere verfehlte Speculationen brachten ihn vollends herunter, so ist er gestorben in Armuth. Vorher aber hat er viel an mich gewendet, da ich sein einziger Sohn war, hat mich lassen studieren, wie er meinte, auf den Juristen, ich hatt' aber keine Lust zum Rechtsanwalt und auch kein Talent, bloß für die Mathematik. Das Kunststudium trieb ich nebenbei ohne viel Müh' und Fleiß, es flog mir so an, auch ließ der Papa mich reisen. Wie ich dann hab' gesehn, daß ich war auf mich selbst gestellt, bin ich zu dem Mathematikprofessor an der Universität gegangen und hab' mich lassen prüfen. Er sollt' mir sagen, ob es reichen würde, meinen Doctor zu machen und dann als Privatdocent mich zu etablieren. Es ist ein sehr kluger Mann, der Herr Professor, ein großes Licht in der Wissenschaft, und er war sehr überrascht, daß ich das Examen so glänzend bestand. Aber, sagte er, was Ihre Absicht betrifft wegen der Zukunft – da Sie nun leider mittellos sind und die besten Köpfe Ihrer Confession keine Aussicht haben auf eine Universitätscarrière – es müßte denn sein, daß Sie sich wollten taufen lassen –

Das wollt' ich nun freilich nicht. So wenig wie ich mich als Mathematiker jemals dazu verstehen würd', zu erklären, zweimal zwei sei fünf, so wenig brächt' ich's übers Herz, zu sagen, ich glaubte, Drei sei gleich Eins. Ich bin kein Jude vom alten Glauben. Wer einmal eine freie Wissenschaft ernsthaft betrieben hat, der kann sich in keinen Geisteszwang mehr einsperren und nachbeten all den überlieferten Synagogenschnack. Aber darum will ich doch nicht verleugnen mein Volk und den Gott meiner Väter und will leben nach Sitt' und Brauch meines Volks, wär's bloß wegen der Speisen, die ich von Kind an bin gewohnt gewesen, obwohl ich nicht mehr glaube, wenn ich nicht äß' gesetzte Suppe und Kugel und Bohnen, beging' ich eine Sünd'. Nu, und da ich eingesehen hab', mit der Mathematik würd' ich überhaupt nichts zu essen kriegen, weder Kugel und Bohnen noch Schinken in Burgunder, hab' ich mein Herz genommen in beide Hände und mich um eine Stelle beworben als Agent bei einer Versicherungsgesellschaft, und als solcher hab' ich heute das Vergnügen gehabt, die Bekanntschaft zu machen des Herrn Doctors.

Er verneigte sich leicht mit einer unterthänigen Geberde und schien zu erwarten, daß ich nun auf das Geschäft eingehen würde.

Sein Schicksal interessierte mich aber mehr, als der Jan Steen.

Und wie sind Sie mit Ihrer Stellung zufrieden? fragt' ich. Können Sie dabei leben?

Nu, lächelte er, schlecht und recht, meistens nur schlecht und zuweilen recht schlecht. Die Concurrenz ist zu groß. Aber ich hab' von meiner Religion wenigstens das stille Gottvertrauen behalten und würd' ganz zufrieden sein, wenn nicht eins wäre.

Was meinen Sie?

Ich würd' gern heirathen, aber für Zwei reicht es nicht, und das Mädchen, das ich hab' im Sinn, ist noch ärmer als ich. Wir müssen eben warten.

Ich war fast versucht, um dem guten Menschen meine Theilnahme zu beweisen, ihm wenigstens zu der Provision zu verhelfen, wenn ich bei seiner Gesellschaft meine »Galerie« versichern ließe, als mein Freund, der Maler K., bei mir eintrat.

Er hatte mich kaum begrüßt, als er sich nach meinem Besucher umwandte und mit dem Ausdruck des lebhaftesten Erstaunens sein Gesicht betrachtete.

Ich beeilte mich, die Herren einander vorzustellen: Herr Professor K. – Herr Chajim N. N., Versicherungsagent.

Letzterer verneigte sich ehrerbietig.

Habe die Ehre, den Herrn Professor aus seinen berühmten Werken zu kennen, bin ein großer Bewunderer des Herrn Professors, aber jetzt – Sie verzeihen – will die Herren nicht stören – werd' mir erlauben, wenn der Herr Doctor gestatten, ein andermal –

Er verbeugte sich abermals und machte eine schiefe Bewegung nach der Thür hin.

Mein Freund fuhr aus seiner stummen Reglosigkeit auf.

Erlauben Sie, mein Herr – wie war doch Ihr Name?

Chajim N. N.

Bleiben Sie doch noch einen Augenblick, Herr Chajim. Ich hätte eine Bitte – Sie könnten mir einen großen Gefallen thun.

Mit dem größten Vergnügen, Herr Professor.

Sie haben nämlich – es werden's Ihnen schon andere gesagt haben – einen merkwürdigen Kopf, den ausgesprochensten Christuskopf, wie mir noch keiner begegnet ist. Nun – ich bin gerade an einem großen Bilde der Grablegung, und für den Christus fehlt mir noch immer ein richtiges Modell. Wenn Sie die Freundlichkeit haben möchten, sich in mein Atelier zu bemühen – mit einer oder zwei Sitzungen wäre es geschehen –

Das bleiche Gesicht des Anderen war plötzlich von einer tiefen Röthe übergossen. Seine feinen Brauen zogen sich in die Höhe, die Augen verdüsterten sich, seine Lippen zuckten heftig, und mit offenbarer Mühe stieß er die Worte hervor: Unmöglich, ganz unmöglich, Herr Professor! Nicht um die Welt!

Ich würd' es natürlich nicht umsonst verlangen, lieber Herr Chajim, sagte der Maler rasch. Sie könnten fordern, was Sie wollten. Mich wundert, daß meine Bitte Ihnen so überraschend ist. Hat denn nicht mehr als einer meiner Collegen, der auf der Straße an Ihnen vorüberging, denselben Wunsch gefühlt und gegen Sie geäußert, Ihren interessanten Kopf zu Studienzwecken –

Was die Herren Maler sich gedacht oder gewünscht haben, weiß ich nicht, fiel er ihm ins Wort, und seine Stimme zitterte vor Erregung. Aber wenn einer sich hätt' herausgenommen, mir zu machen eine solche Proposition, hätt' er bald erfahren, daß er's mit keinem Modell zu thun hat, das man auf der Straße aufliest. Ich weiß, in Paris läuft ein alter Mann herum, den die Herren Maler père éternel nennen, weil er ihnen sitzt zu Bildern, auf denen Gott Vater thront auf Wolken unter Engeln oder so. Der alte Mann lebt davon, weil er sonst müßt' verhungern, und 's ist ein Gewerb wie andre auch. Ich aber hab' studiert und eine Erziehung genossen, die mich hat gelehrt, Arbeit schändet nicht, auch nicht Handel zu treiben. Aber mit seinem Gesicht Geschäfte zu machen, wenn man was Besseres im Kopf hat – nein, Herr Professor, das geht mir gegen die Ehr'. Jeder Mensch muß haben ein Gesicht, aber Gott der Herr hat es uns nicht gegeben, damit herumzulungern und davon zu leben, daß man eine Nase hat, die malerisch ist, und Haare, die den Herren Künstlern wohlgefallen. Nichts für ungut, Herr Professor, aber Sie irren sich in mir, wenn Sie glauben, ich wär' der Mann, mich für Müßiggehen und Stillsitzen bezahlen zu lassen.

Wieder bewegte er sich nach der Thür. Ich wollte meinem Freunde zu Hülfe kommen.

Aber lieber Herr, sagte ich, wie können Sie die Sache so auffassen? Ist nicht auch das, was in Ihrem Kopfe sitzt, eine Gabe Gottes, so gut wie Ihr Gesicht, und doch geht's Ihnen nicht gegen die Ehre, sich dafür bezahlen zu lassen? Der Herr Professor hat Sie ja nicht in eine Klasse mit den gewerbsmäßigen Modellen gestellt, sondern Sie nur um eine Gefälligkeit gebeten, wie jeden Anderen, dessen Gesicht ihm interessant erschiene, und jeder Andere hätte sich eine Ehre und ein Vergnügen daraus gemacht, von einem berühmten Maler verewigt zu werden. Sie sind selbst Kunstkenner und wissen, wie viel große Herren und schöne Damen zu Raffael und Tizian ins Atelier gekommen sind, und heute noch nennt man mit Bewunderung ihre Namen, wenn man ihr Gesicht auf den Bildern sieht. Wenn Sie keinen anderen Grund haben, die Bitte abzuschlagen –

Er sah finster vor sich hin. Der Herr Doctor haben's errathen, murrte er zwischen den Zähnen. Ja, ich hab' noch einen Grund, den aber will ich verschweigen.

Sagen Sie nur offen heraus, was Sie auf dem Herzen haben. Wir sind hier unter uns und werden alles, was Sie uns anvertrauen, respectieren.

Nu, stieß er hervor, wenn ich's denn sagen soll: ich hab' nicht Lust, Modell zu sitzen zu einem – christlichen Bild. Ich hab' nichts gegens Christentum, Gott der Allmächtige hat zugelassen, daß es gekommen ist in die Welt, und wird wissen, warum er's hat zugelassen. Aber daß ich selbst, der Sohn meines Vaters, soll mitspielen in der Komödie und mich lassen abconterfeien als der, den sie gekreuzigt und begraben haben und von dem sie sagen, er sei wieder auferstanden nach drei Tagen – nein, dazu geb' ich mich nicht her und würd' mich zu Tod schämen, wenn einer von meine Leut' das Bild sehen würd' auf einer Ausstellung und zu seiner Frau sagen: Gott der Gerechte, ist das nicht der Chajim N. N.? Wie kommt Der unter die Heiligen? Nein, so wahr ich will leben und gesund sein – ich bin nur ein armer Jud, aber dazu bin ich mir zu gut, und – und – – Ich hab' die Ehre, meine Herren!

Mit diesen Worten hatte er die Thür erreicht und schob sich, mehrmals sich verneigend, hastig über die Schwelle.

Mein Freund sah ihm mit einem bedauernden Kopfschütteln nach. Ein kurioser Kauz! sagte er. Aber ich hoffe, es war nicht sein letztes Wort. Seinen Kopf muß ich haben, koste es, was es wolle. Wenn ich mich nur nach seiner Wohnung erkundigt hätte.

Sie steht auf seiner Visitenkarte, sagt' ich und reichte sie ihm. Aber ich fürchte, Du bezwingst seinen Eigensinn nicht. Er scheint mir einer von den stillen Fanatikern, die sich lieber kreuzigen lassen, als von dem Ehrencodex, den sie sich selbst verfaßt, nur ein Titelchen aufzugeben.

Warten wir's ab! sagte mein Freund. Seinen Kopf muß ich haben, und sollt' ich ihm wie ein Wegelagerer auflauern und ihn gebunden in mein Atelier schleppen. Ich denk' aber, ich erreiche meinen Zweck auch mit gelinderen Mitteln.

*

Er verließ mich bald; ein gemüthliches Gespräch wollte nicht in Gang kommen, da er beständig im Stillen an den Christuskopf dachte und nur für das Interesse hatte, was ich ihm vom Leben und Wesen des seltsamen Mannes erzählen konnte.

Ich selbst dachte nicht weiter daran, und erst, als ich nach etwa drei Wochen mich besann, daß ich K. versprochen hatte, einmal nach seiner neuen Arbeit zu sehen, kam mir die ganze Sache wieder in die Erinnerung.

Wie groß aber war mein Erstaunen, als ich, in das Atelier tretend, mit dem ersten Blick unsern Freund Chajim erkannte, der vor dem großen Fenster auf einer niedrigen Matratze ruhte, den Kopf auf ein Kissen zurückgelehnt, die Augen sanft zugedrückt, während der Maler vor der großen Staffelei stand und so in seine Arbeit vertieft war, daß er mich erst bemerkte, als ich dicht hinter ihm stand.

Du bist es? sagte er. Du störst mich durchaus nicht. Wir haben schon drei Stunden besinnungslos gearbeitet und müssen jetzt Schicht machen. Auch Sie werden genug haben, Herr Chajim.

Ich hatte gesehen, daß das Modell, als mein Name genannt wurde, sich rasch aufrichtete. Sein Gesicht war dunkelroth geworden, er erhob sich unbeholfen von seinem Lager, strich sich mit den Fingern die Haare zurecht, und während er einen unsicheren Blick nach mir warf, stammelte er mit leiser Stimme: Morgen wieder um dieselbe Stunde, Herr Professor?

Morgen wieder um dieselbe Stunde. Adieu, lieber Herr!

Der Andere stieg von dem etwas erhöhten Postament herab, auf dem er geruht hatte, griff nach seinem Strohhut, der auf einem Schemel lag, und verabschiedete sich mit der linkischen schiefen Geberde, die ich an ihm kannte. Sein Auge suchte dem meinen auszuweichen.

Als er die Thür leise hinter sich zugezogen hatte, nickte mir der Maler lächelnd zu. Du siehst, ich habe den Starrkopf doch bezwungen, und es hat nicht einmal besonderer Künste bedurft. Auch diesmal hat der bekannte goldene Schlüssel das festverschlossene Thor geöffnet. Ich hab' ihm erst, da Du ihn mir als Kunstkenner vorgestellt hattest, eine schöne kleine Rede gehalten über die Pflicht jedes gebildeten Menschen, sich der Kunst zu opfern. Als das nicht verfangen wollte, rückte ich mit gewichtigeren Argumenten heraus, und er müßte nicht der Sohn Abrahams, Isaaks und Jakobs sein und wissen, Geschäft ist Geschäft, wenn er sich nicht endlich hätte herumbringen lassen. Ich habe ihn seit drei Tagen eingefangen und finde den Preis nicht zu hoch. Sieh selbst und sage, ob man in diesem Gesicht eine Spur vom Versicherungsagenten finden kann, nicht vielmehr einen Erlöser, der nun selbst von allem irdischen Leiden erlöst ist.

Ich stand lange vor dem Bilde. Es war in der That Zug für Zug unser Bekannter und doch in dem edlen Kopf noch eine gewisse Verklärung, die aus der Seele und Phantasie des Meisters hinzugekommen war. Er erzählte mir, die größte Sorge des Modells sei gewesen, das Bild möchte über dem Altar einer christlichen Kirche aufgestellt werden. Als er gehört, es sei für eine Galerie bestimmt, habe er sich beruhigt.

Nach einer halben Stunde verließ ich das Atelier. Aber wie erstaunte ich, als ich unten vor der Hausthür den Mann traf, der mir oben so verlegen ausgewichen war, hier aber auf der Straße die ganze Zeit auf mich gewartet hatte.

Wie er so dastand, den Strohhut etwas auf den Hinterkopf zurückgeschoben, so daß der breite gelbe Rand das schwarze Lockenhaupt wie ein Heiligenschein einfaßte, machte er eine so seltsame Figur, daß jeder Vorübergehende sich nach ihm umsah. Er zog aber eilig den Hut, als ich heraustrat und näherte sich mir mit der schüchternen Miene eines Supplicanten.

Verzeihen der Herr Doctor, sagte er mit unsicherer Stimme, aber ich will Sie gewiß nicht lange belästigen, hier auf der Straße. Wenn der Herr Doctor gütigst gestatten, daß ich darf mitgehen ein paar Schritte –

Was haben Sie mir mitzutheilen, lieber Herr? sagt' ich, indem ich mich in Bewegung setzte.

Es ist nur, weil es dem Herrn Doctor wird aufgefallen sein, daß er mich getroffen hat als Modell, nachdem ich mich doch geweigert hab', zum Christus zu sitzen. Aber der Herr Professor ist gekommen und hat in mich hineingeredet mit so schönen Worten, so richtigen Worten, wie daß ja auch Jesus von Nazareth nur ist gewesen einer von meinem Volk und selbst kein Christ, ob die Christen sich auch nach ihm nennen, und es sei für meine Leut' keine Schande, vielmehr eine Ehr', wenn heute noch Einer herumgeh', dem man zutrauen könnt', er würde gehalten für den Messias und angebetet als der Sohn Gottes. Darauf hab' ich nichts gewußt zu erwidern, aber gleichwohl hatt' ich keine Lust, mich hinzusetzen und angaffen zu lassen und hernach zu hören, daß man mich herauserkennt aus dem Bild. Und so hab' ich gesagt, mein Geschäft erlaub' es nicht, und ich hätt' keine Zeit. Aber der Herr Professor, der ist ein großmüthiger Herr, ein reicher Herr und hat mir ein Gebot gemacht, daß ich sechs Wochen kann herumlaufen für meine Gesellschaft und verdien' nicht halb so viel an Provision, wie in ein paar Sitzungen im Atelier. Und da ist mir die Recha eingefallen –

Recha?

Das Mädchen, das ich möcht' heirathen, und ich hab' mir gedacht, mit dem Geld, das ich fürs Stillsitzen verdien', könnten wir unsere Einrichtung bestreiten, denn der Herr Professor hat versprochen, wenn er mit mir fertig wär', würd' er mich empfehlen an seine Collegen, denen hätt' er schon von mir erzählt, und ich würd' noch lange die beste Kundschaft haben. Nu, da bin ich zu ihm gegangen und bin jetzt ganz zufrieden, und die Recha ist vergnügt, und ich hoff', eh das Jahr um ist, können wir Hochzeit machen. Und da wollt' ich dem Herrn Doctor meinen Dank sagen, denn er ist's ja gewesen, bei dem ich den Herrn Professor begegnet hab', und ohne das lief' ich mir noch immer die Sohlen ab um ein Stück trocken Brod.

Er streckte schüchtern seine Hand aus, die ich nicht zurückweisen konnte, obwohl sie nicht die sauberste war. Eh' er sich verabschiedete, sagte er mit einem zutraulichen Blick: Darf ich mir erlauben, noch eine Frage: wie denkt der Herr Doctor über das Versichern seiner Galerie? Es ist jetzt nicht mehr, daß ich werben möcht' für meine Gesellschaft, für die ich nicht mehr arbeit', bloß weil mich dauern die schönen Sachen und der Herr Doctor, wenn er wirklich einmal sollt' zu Schaden kommen.

Ich lachte und versprach ihm, seinen guten Rath zu befolgen. Über sein Gesicht ging ein Glanz von Freude, wie über das eines Heiligen, der eine Seele gerettet hat. Er zog den Hut noch einmal und verbeugte sich tief. Daun trennten wir uns.

*

So vergingen Monate. Die Grablegung wurde fertig, und auf der Ausstellung konnte ich den Kopf des guten Chajim vom Publikum, besonders dem weiblichen Theil, laut bewundern hören. Auch auf anderen Bildern tauchte er auf, in mancherlei Scenen und Verkleidungen. Das Geschäft war also in Flor, und im Lauf der Jahre konnte der Christuskopf am Ende noch in die Rolle des père éternel hineinwachsen.

Ich war daher nicht wenig erstaunt, als mir im Spätherbst wieder die Karte mit seinem Namen ins Zimmer gebracht wurde, auf der auch der Titel »Versicherungsagent« noch zu lesen war. Noch erstaunter aber, als der Angemeldete selbst hereintrat.

Es war noch immer das edelgeformte orientalische Gesicht mit den schwärmerischen grauen Augen, aber die Locken waren abgeschnitten, die Zahnlücke ausgefüllt, ein anständiger grauer Anzug bedeckte eine Gestalt, die sich behaglich zu runden begann, und in der Hand hielt er einen hohen, schwarzen Hut, der offenbar neu gekauft war.

Er bemerkte meine Verwunderung und sagte mit einem feinen Lächeln: Verzeihen der Herr Doctor, daß ich mich wieder einmal sehen lass'! Ich wollt' aber nur ergebenst fragen, wie es jetzt steht mit der Versicherung, und ob ich anbieten darf meine Dienste.

Sind Sie denn wieder bei Ihrer Gesellschaft und haben das Modellsitzen aufgesteckt? fragt' ich.

Zu dienen, Herr Doctor, ich bin nicht mehr bei der Kunst. Ich hab' von ihr gehabt, was ich hab' haben gewollt, jetzt hab' ich's nicht mehr nöthig und kann wieder leben nach meinem Gusto, und brauch' doch nicht dabei zu nagen am Hungertuch.

Wie ist denn das zugegangen? Erzählen Sie mir doch! Aber nehmen Sie Platz.

Er setzte sich dankend auf den Rand des Stuhls, den ich ihm anbot, und fing dann an, mir seine Erlebnisse zu erzählen.

Nicht bloß die Maler hatten sich um ihn gerissen, auch die Malweibchen waren auf ihn aufmerksam geworden. Zuletzt, gegen Ende September, hatte er sich von einem Damenatelier engagieren lassen, in welchem fünf oder sechs ältere und jüngere Fräulein auf gemeinschaftliche Kosten ihre Studien nach dem Leben machten. Es seien ganz artige Damen gewesen, einige auch recht talentvoll, und sie hätten ihn gut bezahlt, auch so munter bei der Arbeit geschwatzt, daß er sich nicht gelangweilt habe. Manchmal, da sie geglaubt, er versteh' nicht Französisch, hätten sie eine Weile in dieser Sprache sich unterhalten, meist über ihn selbst. Da habe er dann gehört, daß ein paar von ihnen, nicht gerade die Jüngsten, von den Anderen geneckt wurden, als seien sie in ihn verliebt, am meisten aber eine in einem gewissen Alter und weder hübsch noch häßlich, eine Baronin aus Wien, Witwe und sehr reich, die nach München gekommen war, um hier ihrer Passion für die Malerei und das Leben in der Bohème nachzugehen. Die hab' ihn zuweilen mit so eigenthümlichen Blicken angeschaut, daß ihm ganz heiß geworden sei, ihm auch zuweilen Näschereien mitgebracht und verstohlen zugesteckt. Er hab' sie auch angenommen, aber nur um sie seiner Recha zu bringen.

Nu, eines Tages, fuhr er fort, wie gerade Feiertag war und die Sitzung ausfiel, krieg' ich ein Billet von der Baronin – den Namen will ich nicht nennen, es wär' gegen die Discretion – und sie schreibt mir darin, ob ich nicht möcht' die Güte haben, gegen Mittag sie zu besuchen, in ihrer Wohnung da und da, sie hätt' mir was Wichtiges zu sagen.

Ich denk' noch nichts Arges, zieh' mich an und geh' hin.

Sie empfängt mich in ihrem eleganten Boudoir, hat eine Toilette gemacht, die ihr besonders fein zu Gesichte stand, sich auch recht jugendlich frisieren lassen, aber gefallen that sie mir doch nicht besonders. Nu, sie laßt mich auf dem Diwan sitzen, dicht bei ihr, und spricht von diesem und jenem, von der Kunst und wie schwer sie sei, und ob ich selbst nicht gemalt hätt' und wie überhaupt mein Leben gewesen sei. Nu, ich bin ganz vertraut geworden und hab' noch immer nix gemerkt und nur immer gedacht: was wird das Wichtige sein, das sie dir hat wollen mittheilen, vielleicht, daß du sie begleiten sollst nach Wien und dort das Modellgeschäft fortsetzen, oder dergleichen, wozu ich keine Lust gehabt hätt'.

Indem trägt ihre Kammerjungfer ein Tischchen herein, auf dem steht ein Korb mit schönen Früchten, Birnen, Trauben und Feigen und eine Krystallflasche mit einem goldfarbenen Wein und zwei geschliffene Gläser, auch ein Teller mit feinen Kuchen.

Sie wisse, sagt sie, ich äß nichts, was nach Christenart zubereitet sei, drum hab' sie nicht gewagt, mich einzuladen zu Mittag. Ich dürft' aber nicht verschmähen eine kleine Erfrischung.

Damit schenkt sie die beiden Gläschen voll, nöthigt mich, zu kosten von dem süßen, starken Wein, und nippt selbst ganz herzhaft, als wollt' sie sich Muth machen, und dann, indem sie ein wenig seufzt und die Augen niederschlagt: Herr Chajim, sagt sie, was ich Ihnen sagen werde, wird Sie überraschen, und Sie bekommen vielleicht eine ungünstige Meinung von mir, aber wer den Zweck will, muß die Mittel wollen, und ich hab' kein anderes Mittel, wenn ich mein Ziel will erreichen, als Wahrhaftigkeit, obwohl man's uns Frauen sehr verdenkt, wenn wir aus unserm Herzen keine Mördergrube machen, sondern offen gestehen, wie uns zu Muth ist, auch wenn es nichts Unrechtes ist, sondern eine ehrbare Sache.

Und nun stellen sich der Herr Doctor vor, kommt die edle Dame damit heraus, mir zu gestehen, daß sie, seit sie mich gesehen, mein Bild nicht mehr verscheuchen könn' aus ihrer Phantasie und es sehen müss', wo sie geh' und steh', im Wachen und im Traum, und nie wieder froh und glücklich werden könne, wenn sie nicht hoffen dürft', auch ich theilte diese Passion und könnt' mich entschließen, ihre Hand anzunehmen.

Sie begreifen, Herr Doctor, daß ich war, was man nennt verdattert, und sah immer weg von ihr und hätt' am liebsten auch weggezogen meine Hand, auf die sie hatt' gelegt die ihre, die war sehr weiß und weich und hat geblitzt von den kostbarsten Ringen.

Ich hab' nicht gehabt den Muth, zu sagen, ich bedauerte, ich könnt' sie nicht lieben, und war' auch mit der Recha so gut wie versprochen, denn ich merkt', es hätt' sie tödtlich gekränkt, wenn ich so herausgeplatzt wär' mit der Wahrheit.

Also sagt' ich, ich könnt' nicht glauben, es sei ihr Ernst und sie woll' sich bloß machen einen Spaß mit mir, damit ihre Freundinnen was hätten zu lachen, wenn ich's wirklich glaubt' und mich in sie verlieben möcht'. Was die Welt würd' sagen, wenn sie, die hochgeborene Dame, heirathete einen armen Juden, der in den Münchner Ateliers Modell gesessen hätt' und gewohnt wär', Kugel und Bohnen zu essen und polnischen Fisch, den seine Frau nicht anrühren möcht'.

Da sei ich sehr im Irrthum, versetzte sie rasch. Sie habe schon einmal zur Probe koscher gegessen im Restaurant Thanhauser mit zwei Freundinnen und habe alles sehr gut gefunden. Sie sei dermaßen von ihrer Leidenschaft erfüllt, daß sie sich nicht bedenken würde, wenn das die unausweichliche Bedingung wäre, selbst zum mosaischen Glauben überzutreten. Was die Welt dazu sagen würde, gehe sie nichts an. Wir würden, wenn wir uns hätten geheirathet, nach Paris gehen, nach London oder bis Amerika, und kein Mensch sollt' eine Ahnung haben, der schöne Mann, an dessen Arm sie sich im Theater und Concert sehen ließe, sei einmal Versicherungsagent gewesen und hab' Modell gesessen zu einer Grablegung.

Je länger sie sprach, desto klarer wurde mir, daß sie nicht ganz richtig sei im Kopf, sondern von einer verrückten Idee besessen, die sie ganz und gar aus Rand und Band gebracht hatte.

Ich hab' sie aber lassen reden und immer bloß geschüttelt mit dem Kopf und mir überlegt, wie ich sollt' antworten. Frau Baronin, wollt' ich sagen, was reden Sie für Narrischkeiten und was wollen Sie thun für Thorheiten, bloß weil ich hab' eine Nase, die Ihnen gefallt. Die Lieb' hängt nicht bloß ab von einer Nase, sondern auch von dem, was man nicht sieht, ob einer ist ein guter Mensch oder ein schlechter, was Sie gar nicht wissen von mir, und auch wenn ich wär' ein guter Mensch, aber auf die Läng' fänden Sie mich langweilig, würden Sie bereuen, daß Sie mich gewählt haben zu Ihrem Herrn Gemahl. Und Kugel und Bohnen und polnischer Fisch mögen Ihnen einmal haben gut geschmeckt, aber das dritte Mal spucken Sie den Bissen wieder aus. Also machen Sie mich nicht meschugge und lassen Sie mich gehen!

So hätt' ich gesprochen, wenn ich immer nur hätt' vor mich hingeschaut. Aber da sagte sie plötzlich: Warum sehen Sie mich gar nicht an, lieber Freund? In den Augen liegt das Herz, und wenn Sie mir in die Augen schauten, würden Sie sehen, daß ich's ernstlich meine und nicht nur für mich spreche, sondern auch Ihr Bestes will. Und wenn es Ihnen sonderbar scheint, daß ich den ersten Schritt gethan hab', müssen Sie bedenken, daß ich es habe thun müssen, weil Sie sich doch nie das Herz dazu gefaßt hätten.

Damit faßte sie meine Hand und drückte sie, und mit der anderen schenkte sie mir das Glas wieder voll und sagte: Trinken Sie, lieber Freund, und lassen Sie uns darauf anstoßen, daß es zu einem guten Ende komme!

Was hätt' ich sollen thun? Ich hab' müssen trinken und mit ihr anstoßen und ihr dabei ins Gesicht sehen, und ich kann Sie versichern, Herr Doctor, 's ist mir ganz schwül geworden, so haben ihre Augen gebrannt, und sie ist mir auch gar nicht häßlich vorgekommen, obwohl sie älter war, als ich, sondern ganz appetitlich, und der Wein ist mir durch die Adern gelaufen wie Feuer, denn ich bin ihn nicht gewöhnt. Und so hab' ich gesessen, und so wahr Gott lebt, ich hab' gedacht: Chajim, wenn du noch eine Viertelstunde neben ihr sitzen bleibst, macht sie einen Narren aus dir und bringt dich zu allem, was sie will, so hab' ich gefühlt, wie mir eine Verliebtheit ist gestiegen zu Kopf, da ich doch nicht war von Holz und Eisen.

Aber da hat Gott der Allmächtige sich meiner erbarmt und mir den Gedanken an meine Recha eingegeben, die neben dieser großen, vornehmen Dame nur ein armseliges Schicksel ist, und auch gar nicht schön und schielt sogar ein bischen, was sie übrigens gar nicht entstellt; aber brav ist sie und gescheit, und von meinem Blut und hat mich lieb. Da bin ich auf einmal aufgestanden und hab' gesagt: Verzeihen, Frau Baronin, aber ich muß fort. Ich bin der Frau Baronin dankbar, daß sie geworfen hat ihr Auge auf mich geringen Menschen und mich will glücklich machen, aber das Glück ist so groß, daß mir der Kopf davon taumelt, so daß ich mich erst besinnen muß, ob ich's darf annehmen. Ich werd' mir erlauben, schriftlich zu antworten, und bitte die Frau Baronin, mir zu geben vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, was gewiß nicht ist zu viel in einer Sach', wo sich's handelt um ein ganzes Leben.

Da hat sie mich angelächelt, und weil ich so verwirrt vor ihr gestanden bin, wohl gedacht, ich sei ihr sicher, und nur noch gesagt: Ich weiß, lieber Freund, statt eines Briefes kommen Sie selbst und sagen, daß Sie mit allem einverstanden sind. Und ich hätte nur noch zwei Bitten: daß Sie sich abschneiden lassen die langen Haare, die daran erinnern, daß Sie Modell gesessen sind, und zu einem Zahnarzt gehn, der Ihnen einen neuen Zahn in die Lücke einsetzt, denn das ist das Einzige, was Ihnen fehlt, um vollkommen schön zu sein! Also adieu, theurer Freund, und auf Wiedersehen!

Und da gab sie mir ihre Hand, und ich hab' gethan, was ich nie vorher gethan hatt', ich hab' meinen Mund auf die schöne, weiße Hand gedrückt und bin dann fortgestürzt, als ob ich hätt' ein Verbrechen begangen. Zugleich hab' ich erkannt, daß es eine Unmöglichkeit ist in alle Ewigkeit, der Mann zu werden dieser fremden Dame, auch wenn keine Recha auf der Welt gewesen wär'. Der Herr Doctor weiß, die Christen sprechen von einem besonderen Geruch, den wir jüdische Leut' sollen an uns haben. Sie nennen's den foetor judaicus. Nu, ich weiß nicht, was daran ist, das aber weiß ich jetzt, auch die Christen haben einen aparten Geruch und der foetor germanicus ist uns genau so zuwider, wie ihnen der unsere, und wenn die Frau Baronin an mir sich nicht gestoßen hat wegen meines jüdischen, ich hätt's nicht übers Herz gebracht, die schöne, weiße Hand noch einmal zu küssen, geschweige das weiße, gepuderte Gesicht und den geschminkten rothen Mund.

*

Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten.

Die Hand der Dame wird nach Eau de Cologne geduftet haben, sagt' ich, oder nach einer feinen französischen Seife. Wenn Sie keinen anderen Grund zum Widerwillen hatten –

O, sagte er, hundert für einen. Aber warum noch darüber reden? Ich bin, ohne mich zu besinnen, nach Hause gegangen und hab' genommen den feinsten Briefbogen, den ich in meiner Mappe fand, und hab' der Dame geschrieben den feinsten Absage- und Entschuldigungsbrief, den ich mir hab' können ausdenken, denn ich wollt' ihr möglichst wenig wehthun und die Pille vergolden, so gut es hat gehen wollen. Den Brief hab' ich einschreiben lassen, und dann bin ich sofort zu Recha gegangen und hab' ihr gesagt: Recha, es wird geheirathet, wir wollen nicht länger warten, wir haben's jetzt dazu, und die Modellsteherei muß ein Ende nehmen, und wir wollen leben schlecht und recht, und sollt's auch zu Anfang sein recht schlecht, aber der Gott unserer Väter wird uns nicht lassen verderben, wenn wir seine Gebote halten und eine gute, verträgliche Ehe führen. Zuerst aber muß ich thun, was ich hab' versprochen der schönen Dame, wegen des Haarabschneidens und dem falschen Zahn, denn sein Wort muß man halten.

Nu, so hab' ich's denn gethan, wie Sie sehen, und vierzehn Tag drauf haben wir Hochzeit gemacht, eine ganz kleine, nur mit zwei Trauzeugen, und seitdem sind vergangen ganze sechs Wochen und wir leben wie zwei Turteltauben. Es fehlt uns auch nicht an Futter, denn meine Recha ist eine gescheite Person und hat vorgeschlagen, wir sollen eine größere Wohnung miethen und als Zimmerherren Studenten nehmen von jüdischen Eltern, die hier die Vorlesungen besuchen an der Universität und dem Polytechnikum. Und weil sie ist eine gute Hausfrau und versteht sich auf die Küche, haben wir alle Stuben besetzt, und die jungen Leut' sind gut bei uns aufgehoben. Ich selbst hab' meine Agentur wieder aufgenommen, es ist aber nur, um ein bissel Taschengeld zu haben und kaufen zu können die Bücher, die ich brauch' zum Studieren. Denn ich hab' mich wieder auf meine Mathematik verlegt und leb' so zufrieden, wie die Erzväter im Gelobten Land nicht glücklicher können gelebt haben, mit ihren großen Viehheerden und vielem Gesinde. Von der Baronin aber hab' ich nix mehr gesehen und gehört, und hoff', sie wird an mich denken im Guten, wenn sie erst wird eingesehen haben, daß ich mehr Verstand gehabt hab', als sie, und sie behütet hab' vor einer großen Thorheit, die sie hätt' unglücklich gemacht ihr Leben lang.

Das hab' ich auf dem Herzen gehabt dem Herrn Doctor zu berichten, weil er sich hat so gütig interessiert für einen armen jüdischen Menschen, der ihm ganz unbekannt war.

Und jetzt – wenn ich mir erlauben darf zu fragen: wie steht's mit der Versicherung der Galerie?

Ich sagte ihm, ich hätte inzwischen selbst dazu gethan, die Versicherungssumme angemessen zu erhöhen, und danke ihm für seine Vermittlung. Er zuckte mit der Miene des Bedauerns die Achseln, und ich sah, daß er gar zu gern erfahren hätte, um wie viel die Summe erhöht worden sei. Aber er fühlte, daß es zudringlich gewesen wäre. Noch einmal trat er vor das Sopha und betrachtete aufmerksam den Jan Steen, mit halblauten Ausrufen der Bewunderung. Dann verneigte er sich aufs Ehrerbietigste und schob sich wieder aus der Thür.

Ich habe ihn in all den Jahren nicht wiedergesehen.

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