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Ein Menschenfeind

(1904)

Eine große Collection älterer Kunstblätter, Stiche, Radierungen &c., meist italienische Architekturen und Genrescenen darstellend, ist im ganzen oder einzeln zu verkaufen. Besichtigung zwischen drei und fünf Nachmittags, Nymphenburgerstraße Nr. – –«

Gerade hatte ich diese Anzeige in den Münchener Neuesten Nachrichten gelesen, als ein Freund von mir bei mir eintrat.

Du studierst den Annoncentheil? sagte er lächelnd. Da brauche ich mir kein Gewissen daraus zu machen, dich zu stören. Oder hast du etwas Interessantes gefunden?

Für mich nicht, erwiderte ich. Aber für dich vielleicht. Du bist ja Sammler und durchstöberst sogar die Buden auf der Auer Dult nach echten Rembrandts oder Chodowieckis. Da lies!

Ich hielt ihm das Blatt hin. Er warf einen Blick darauf und sagte: Eine große Collection? Groß mag sie sein, aber schwerlich ist viel Rares darunter. Ich kenne den Mann, der die Annonce hat einrücken lassen, bin ihm schon ein paarmal bei verschiedenen Antiquaren begegnet, wo er immer stundenlang in den Mappen herumkramt, um endlich, ohne etwas zu kaufen, abzuziehen. Oder wenn er an einem Blättchen hängen bleibt, ist's nur Schanden halber, um den Händler durch sein langes resultatloses Suchen und Blättern nicht zu sehr zu verstimmen, und dann handelt er noch eine gute Weile und ist froh, wenn er's eine Mark billiger bekommt. Ein wunderlicher Kauz, ein richtiger Sonderling, läßt sich Herr Doctor nennen, aber in welcher Facultas er promoviert hat, weiß kein Mensch, da er ein Norddeutscher ist und erst seit zehn Jahren sich hier niedergelassen hat. Ganz arm kann er nicht sein. Das Häuschen an der Nymphenburgerstraße nahe bei Neuhausen, das er bewohnt, hat er gekauft, lebt aber dort wie ein Schuhu im Nest, ganz menschenfeindlich, denn Niemand kommt zu ihm und er zu Niemand, und nur um die Dämmerung macht er einen Spaziergang, meist nach Nymphenburg oder Gern, wo ihn Alle kennen, aber nicht wagen ihn zu grüßen, weil er eben immer ein wildes Gesicht macht, als ob man ihn beleidigen wolle. Niemand weiß auch, wovon er lebt, seine alte Magd ist ebenso stumm, wie ihr Herr, wenn sie ihre paar Einkäufe macht, fast nur Gemüse. All diese Notizen verdanke ich meinem antiquarischen Freunde, bei dem ich ihn zuletzt getroffen. Er hatte an dem Tage gerade einen Kauf gemacht, dessen Preis sein sonstiges Budget weit überstieg, ein sehr wohlerhaltenes Exemplar von Dürer's Ritter, Tod und Teufel. Zehnmal hatte er's in die Hand genommen, immer wieder hingelegt, wenn der Händler immer wieder betheuerte, billiger könne er's nicht lassen, und zuletzt hatte er mit einem grimmigen Knurren gesagt, er wolle es haben, obwohl der Preis unverschämt hoch sei, es möge ihm in seine Wohnung geschickt werden, er habe das Geld nicht bei sich.

Dann ging er aus dem Laden, die tiefliegenden schwarzen Augen auf den Boden geheftet, ohne mich nur mit einem Blick zu streifen. Ich sah ihm verwundert nach und ließ mir dann von ihm erzählen, was ich dir eben mitgetheilt habe. Aber ich habe keine Lust, die Bekanntschaft in seinen eigenen vier Pfählen fortzusetzen. Was kann er viel zusammengescharrt haben? Roba di fallimento, wie man in Italien ausrufen hört. Sammler dürfen keine Geizhälse sein, für ein schönes Blatt müssen sie im Stande sein das Hemd vom Leibe herzugeben, nur dieser sonderbare Heilige scheint den Werth von Kunstblättern nach ihrer Billigkeit abzuschätzen, eine Art Manie, wie andere auch. Mit Dürer, der eine Ausnahme machte, mag es irgendeine persönliche Bewandtniß gehabt haben.

*

Wir sprachen von anderen Dingen, und der Mann und seine Sammlung kamen mir ganz aus dem Sinn.

Doch seltsam, am Nachmittag, als ich meinen gewöhnlichen Spaziergang machte, fand ich mich plötzlich auf der Landstraße, die nach Nymphenburg hinausführt, damals noch an unansehnlichen, zerstreut liegenden Häusern vorbei, nachdem ich die beiden großen Rivalen, den Löwenbräu- und den Arzberger Keller, hinter mir gelassen hatte. Ich war mir nicht bewußt, daß die geringste Neugier mich nach dem Hause des »wunderlichen Kauzes« trieb, dessen »Collection« mich durchaus nicht interessierte. Doch je weiter ich mich von der Stadt entfernte, desto deutlicher trat das Bild, das ich mir nach der Schilderung des Freundes von ihm gemacht hatte, vor meine Phantasie, und zuletzt fühlte ich ein lebhaftes Verlangen, zu erfahren, ob die Wirklichkeit meiner Idee entsprach. Eh ich's dachte, war ich an dem bezeichneten Hause angelangt. Das lag ganz einsam, fast am Ende der Chaussee, auf der linken Seite, nach Norden gewendet. Die Baumreihe davor war schon kahl, wir standen am Anfang November, ein rauher Wind jagte die gelben Blätter, die am Boden lagen, durch die grauen Regenpfützen längs des Fußweges. Rechts und links von dem Hause war unbebauter Grund, das dürftige Gras darauf von den ersten Nachtfrösten verbrannt, auch das Vorgärtchen mit ein paar Georginensträuchern und Ranken wilden Weins traurig verwahrlos't.

Es war ein mit Schindeln gedeckter niederer Bau, das Erdgeschoß seltsamerweise höher als der obere Stock, drei Fenster, in der Front die Thür, zu der am Gärtchen vorbei ein schmaler Gang neben einem alten Zaun führte. Vorzeiten mochte es ein Gärtner bewohnt haben, der auf der Rückseite einen Gemüsegarten bebaute. Dann war dieser eingegangen, die kahle Wüstenei ringsum hatte die Pflanzung überwachsen, und nur an der Vorderseite waren die kümmerlichen paar Ziersträucher stehen geblieben.

In der grauen Herbststimmung machte das ganze Anwesen einen trostlosen Eindruck völliger Verlassenheit. Kein Schildchen an der Hausthür verrieth, wer hier wohnte, und als ich aufklinkte, blieb sie verschlossen. Die Glocke, an der ich läutete, gab einen heiseren Ton. Erst nach dem zweitenmal hörte ich einen langsamen Schritt drinnen der Schwelle sich nähern und eine unwirsche Stimme fragen, wer draußen sei.

Jemand, der die ausgeschriebene Kunstsammlung besichtigen möchte.

Ein Riegel wurde zurückgeschoben, und die Thür ging auf. In dem dunklen Hausflur, von dem eine schmale Treppe in den oberen Stock hinaufführte, stand eine alte, grauhaarige Person in der Kleidung einer Magd, doch, so viel ich sehen konnte, reinlich und anständig gehalten. Sie maß mich mit einem argwöhnischen Blick, deutete dann aber mit einer stummen Gebärde nach einer Thür zur Linken und zog sich, nachdem sie den Riegel wieder vorgeschoben, in den Hintergrund des schmalen Ganges zurück.

Auf mein bescheidenes Anklopfen hörte ich drinnen ein kräftiges Herein! rufen und trat rasch über die Schwelle.

Das Zimmer, das ich betrat, war geräumiger, als man von draußen vermuthet hätte, und seltsam genug ausgestattet. Vor dem einen Fenster zur Linken sah ich einen ziemlich breiten Tisch, auf dem ein paar Mappen lagen, die linke Wand war fast ganz von einem mannshohen Vogelhause eingenommen, in dem es lustig von einer Menge kleiner buntfarbiger Vögel schwirrte und zwitscherte; darüber hingen zwei große Kupferstiche, die Peterskirche von der Vorder- und Rückseite darstellend, statt der Rahmen nur mit breiten schwarzen Papierstreifen eingefaßt. Zwischen ihnen ein schöner alter Stich nach Raffael's Transfiguration, in einem geschnitzten Holzrahmen von dunkler Farbe.

An der Wand gegenüber ein kleiner eiserner Ofen, der aber trotz der rauhen Herbstluft nicht in Function gesetzt war, daneben eine alte Kommode mit Messingbeschlägen, auf der ein Theegeschirr und ein blanker Messingkessel standen. Die Thür gleich zur Rechten neben dem Eingang war halb geöffnet, ich sah mit einem flüchtigen Blick das Ende eines Bettes, das die einfenstrige Kammer fast ganz auszufüllen schien, alles von größter Sauberkeit, so ärmlich die ganze Einrichtung war.

Vorn aber am zweiten Fenster stand ein großer Lehnstuhl, aus dem sich bei meinem Eintritt eine lange, seltsame Figur erhob, mit einer kaum merkbaren Verbeugung mich begrüßend.

Ein Mann, etwa sechzig alt, das kahle Haupt mit einem in den Nacken geschobenen schwarzen Käppchen bedeckt, das ihm das Ansehn eines Canonicus gab. Aus dem sehr bleichen Gesicht blickten zwei schwarze Augen unter buschigen grauen Brauen mit einem Ausdruck scharfer, kalter Unerbittlichkeit hervor, zugleich mit einer völligen Gleichgültigkeit, die fast an Verachtung streifte. Der gleiche Zug von harter Entschlossenheit, sich durch Nichts rühren zu lassen, zeigte sich an den schmalen Linien des sehr ausdrucksvollen Mundes, und die mächtige, eines römischen Imperators würdige Nase vollendete das imponierende Bild eines Charakterkopfs, wie ihn wohl ein Mann, der für einen Menschenfeind galt, auf den Schultern tragen mochte.

Die hagere Gestalt steckte in einem fast bis zu den Knöcheln reichenden verschossenen grünen Schlafrock, am Halse mit einem grauen Besatz von Lammfell verbrämt, die Füße in Pelzschuhen. Doch bemerkte ich, daß die Wäsche, so viel von ihr zu sehen war, wenn der Rock sich öffnete, von größter Reinlichkeit war, wie denn auch das welke Gesicht des alten Herrn erkennen ließ, daß er darauf hielt, täglich aufs sorgsamste rasiert zu werden.

*

Ich hatte, ohne meinen Namen zu nennen, mein Anliegen vorgebracht, die Collection besichtigen zu dürfen, obwohl ich eigentlich kein Sammler sei, sondern nur Freude an schönen Stichen und Radierungen hätte. Der alte Herr verneigte sich, wie andeutend, daß ich nicht zum Kaufen verpflichtet sei, und sagte dann: Machen Sie sich's bequem, aber behalten Sie Hut und Paletot an. Es ist hier etwas kalt. Ich habe aus Italien eine Abneigung gegen geheizte Zimmer mitgebracht. Außer wenn es meinen Vögeln oder dem Kater zu kalt wird, lass' ich den Ofen nicht anzünden.

Jetzt erst bemerkte ich die große blaugraue Katze mit einem weißen Stern vorn auf der Brust, die in einem flachen Korbe zur Seite des Lehnstuhls auf einer weichen wollenen Decke lag und zu verstehen schien, daß eben von ihr die Rede war, denn sie ließ ein Schnurren hören, das ebensowenig behaglich klang, wie die Worte ihres Herrn. Dieser, nachdem er auf den Stuhl hingewiesen, der vor dem Tische stand, setzte sich wieder in seinen Sessel und nahm das Buch zur Hand, das er auf das Fenstersims gelegt hatte. Daneben stand eine silberne Dose, aus der er häufig eine Prise nahm. So vertiefte sich Jeder von uns Beiden in seine Angelegenheiten, ohne daß weiter ein Wort gesprochen wurde.

Mich aber fesselte der Inhalt der Mappen nicht so sehr, daß ich nicht dazwischen einen Blick auf das Bücherrepositorium geworfen hätte, das den ganzen Raum des breiten Fensterpfeilers einnahm.

Es war keine alltägliche Handbibliothek. Lauter Werke scharfer Beobachter und nachdenklicher Weltweisen. Von manchen konnte ich bei dem Zwielicht, das im Zimmer herrschte, die Autorennamen nur errathen, deutlich aber las ich Montaigne's Essais, Carlyle's Heroencultus, Stendhal's Promenades dans Roms, Taine's Voyages en Italie, Jacob Burckhardt's Cultur der Renaissance und fast die sämmtlichen Werke Machiavelli's. Auch Schopenhauer und Leopardi fehlten nicht, wie sich's für die Bücherei eines richtigen »Menschenfeindes« gehörte.

Diesen selbst etwas näher kennen zu lernen und vielleicht von merkwürdigen Schicksalen Kunde zu bekommen, die ihn zu dem Sonderling, der er schien, gemacht hatten, reizte mich mehr, als den Inhalt dieser Mappen gründlich zu durchforschen, der allerdings, wie mein Sammlerfreund geweissagt hatte, nicht viel anderes war, als was man bei italienischen Trödlern um billiges Geld zusammenkaufen kann. Die römischen Volksscenen Pinelli's, lithographische Caricaturen aus dem XVIII. Jahrhundert, ein paar Stiche nach den hübschen idyllischen Landschaften Zuccarelli's, besonders viel Abbildungen römischer Ruinen und Paläste, Vestatempel, Coliseo und Theater des Marcellus, für die damalige Zeit nicht ohne Verdienst, heutzutage aber durch die Photographie längst verdrängt, auch meist durch Stockflecke und andere Verwahrlosung entwerthet. Es mochten etwa anderthalbhundert Blätter sein, und um den Besitzer nicht zu kränken, mußte ich's über mich gewinnen, beide Mappen vollständig durchzusehen.

Ich war noch nicht mit der einen ganz fertig, da hörte ich den stummen Mann am anderen Fenster sagen: Genieren Sie sich nicht, geehrter Herr, mit dem Durchblättern des alten Krams aufzuhören. Ich seh' es Ihnen an, daß nichts darin für Sie zu finden ist. Vor zwei Jahren hab' ich meine richtige Sammlung, lauter ausgesuchte Stücke, versteigern lassen. Da hätten Sie eher Ihre Rechnung gefunden. Das Zeug da in den Mappen ist nur der Rest, der Abhub, den ich mir nun auch vom Halse schaffen möchte, da er nicht den geringsten Werth mehr für mich hat. Ja ich schäme mich fast, daß ich einmal all diese armen Sächlein wie einen großen Schatz ansah und nicht eifrig genug ihn vermehren konnte. Das war, als ich noch ein Neuling in Italien war, na, und selbst an die elendeste Vedute knüpft sich wohl auch diese und jene Erinnerung. Ich bedaure, durch meine Annonce Ihnen eine falsche Hoffnung erregt und Sie bei dem schlechten Wetter den weiten Weg herausgelockt zu haben.

Ich sagte ein paar Worte, die ihn darüber beruhigen sollten, und ließ meine Augen wieder in dem Zimmer herumgehen, bis sie an den beiden Ansichten der Peterskirche hängen blieben.

Das sind ein paar herrliche Blätter, sagt' ich. Man kann den großartigen Eindruck dieses wunderbarsten aller Bauwerke nicht eindringlicher wiedergeben, als in diesen Stichen, bei denen auch die kleine Staffage die Größenverhältnisse so glücklich zum Bewußtsein bringt. Ich kenne auch keine Photographieen, die etwas ähnliches erreichten.

Wäre Ihnen daran gelegen, die beiden Stiche zu besitzen? Ich bin bereit, sie Ihnen zu überlassen, zu dem sehr mäßigen Einkaufspreise.

Ich sah ihn erstaunt an.

Ist das Ihr Ernst, Herr Doctor?

Gewiß. Warum sollte es nicht?

Die Blätter sind eine so schöne, vornehme Decoration Ihres Zimmers, und gewiß werden sie Ihnen fehlen.

O, ich kann sie sehr gut missen, nachdem ich sie so lange vor mir gesehen habe, daß ich jeden Strich darauf kenne und nur die Augen zu schließen brauche, um sie mir wieder vorzustellen. Sie waren das Erste, was ich in Rom kaufte, nun sind's fünfundzwanzig Jahre.

Sie haben lange in Italien gelebt?

Sehr lange, die besten Jahre meines Lebens, und wäre nie fortgegangen, wenn man mich nicht endlich vertrieben hätte.

Vertrieben? Wer konnte –

Nun, die Italiener. Die lernte ich endlich auch kennen, nachdem ich jahrelang mich nur um die Kunstwerke dort bekümmert hatte. Sie kennen das Land auch?

Ein wenig.

Und lieben die Italiener?

Mit Auswahl.

Natürlich. Es gibt überall gute Menschen, eine Elite, und die ist in Italien vielleicht liebenswürdiger, als anderswo, dafür aber die große Menge schlimmer und elender. Bestien, Kinder und Narren die meisten – Gott verzeih's denen, die sie so haben werden lassen, ihre kräftigen Triebe nicht gezügelt, ihre Ungezogenheiten nicht mit Ruten gestraft haben. Nun kann es kein mit der Milch der frommen Denkart gesäugter Mensch auf die Länge unter ihnen aushalten, ohne daß ihm siebenmal an jedem Tage die Galle überläuft, wenn er diese nichtswürdigen Thierquälereien mit ansehen muß, die den Eingeborenen jedes Alters und Standes so selbstverständlich scheinen, wie unnützen Buben im Frühling Maikäfer an einen Faden zu binden oder Schmetterlinge lebendig auf Nadeln zu spießen. Das haben Sie doch auch da unten zu sehen bekommen?

Gewiß und mit Kummer, da ich dieses Volk trotz alledem besonders fein begabt und unter den romanischen Rassen obenanstehend finde.

Der alte Herr schwieg einen Augenblick, nahm bedächtig eine Prise und sagte dann: Mag sein, aber das Verderben ist ihnen so ins Blut und in die Knochen gedrungen, daß sie jetzt trotz ihrer nobleren Naturanlage schlimmere Barbaren sind, als selbst wir groben Germanen. Thierschinder gibt es auch bei uns. Der Mensch, der sich für edel, hilfreich und gut ausgiebt, wird sofort eine Bestie, wenn sich's um seinen Nutzen oder nur um sein Vergnügen handelt, und beutet seine armen, stummen, vierbeinigen Brüder rücksichtslos aus. Bei uns aber sind wenigstens die Besseren zur Erkenntniß gekommen, wie tief sie unter das Thier sinken, wenn sie sich seiner nicht erbarmen, da kein Thier grausam ist zu seinem Vergnügen, sondern nur mordet aus bitterer Noth, um sein Leben zu erhalten, oder wenn es vorher mit seinem Opfer spielt, wie die Katze mit der Maus, die Entschuldigung für sich hat, daß es keine ethischen Begriffe besitzt, nur blinde Instinkte. In Italien aber giebt's keine Thierschutzvereine, da wird nichts dafür gethan, die Katzeninstinkte des blöden, kindischen Volks über die Ruchlosigkeit seiner Thiermißhandlungen aufzuklären. Priester und Lehrer, die dazu verpflichtet sein sollten, machen ruhig mit, die Herren Lehrer schießen Singvögel weg und fangen sie in Schlingen, wo sie sich todt zappeln, Sie wissen ja – Thiere sind keine Christen, heißt's, sie haben keine Seele.

Er war längst aufgestanden und hatte sich so heiß geredet, daß er sich mit seinem Tuch die Stirn trocknen mußte. Der Kater schien von diesem heftigen Ausbruch seines Herrn, der ihm wohl ungewöhnlich vorkam, aufgeregt zu sein, er erhob sich mit einem Ruck von seinem Lager, machte einen geschmeidigen Satz aus dem Korbe heraus und rieb sich mit drohendem Schnurren am Bein des Alten, der vor mich hingetreten war und in etwas ruhigerem Tone sagte: Entschuldigen Sie meine hitzige Expectoration. Ich gerathe immer in eine Art Fieber, wenn ich dran denke, daß diese Scheußlichkeiten mir das schöne Land verleidet haben, wo ich lieber meine Tage beschlösse, als irgendwo sonst. Nationallaster gibt es ja unter jedem Himmelsstrich, und überall sind die Menschen Bagage oder arme feige Schacher. Das habe ich schon in meinem lieben engeren Vaterlande erfahren, sogar von Berufs wegen. Mein Vater war Gerichtspräsident in Braunschweig. Ich mußte natürlich Jura studiren, zog aber der Beamtenlaufbahn die freie Stellung als Advocat vor. Nach zwei Jahren hatte ich so viel von den Erbsünden meiner theuren Nebenmenschen erlebt, daß ich genug hatte. Vollends die Pflicht des Vertheidigers, jeden Lumpenhund so weiß zu waschen, wie es mit Vorbeischleichen an klaren Gesetzesbestimmungen irgend thunlich, drohte mir das Blut zu vergiften. Als ein ganz aparter Halunke, dem ich in einem halsbrechenden Handel mit einem blauen Auge durchgeholfen hatte, am Tage nach der Freisprechung mich auf der Straße verbindlich grüßte, als wären wir Zwei ein par nobile fratrum, hielt ich's nicht länger vor Scham und Ekel aus und hing die Toga an den Nagel. Meine Mittel erlaubten mir's zum Glück.

Ich ging zunächst nach Frankreich, nach Paris. Sie kennen es ohne Zweifel. Ich blieb leider lange genug dort, um die Schattenseiten der Ville lumière und ihrer liebenswürdigen Bewohner kennen zu lernen. Was über sie zu sagen ist, haben unter anderem zwei ihrer klügsten Landsleute, gewiß unverdächtige Zeugen, gesagt, Henri Taine und Henri Beyle. Na, ich machte mich endlich aus dem Staube dieses Eitelkeitsmarkts und ging nach Italien. Nachdem ich die Amour vanité kennen gelernt hatte, wollte ich's mit der Amour passion probieren – Sie wissen, so hat Stendhal in seinem goldenen Büchlein de l'amour die Liebe der beiden Nationen bezeichnet. Er mußt' es wissen. Ich hab' es am eignen Leibe nicht erfahren. Die passion versparen die Weiber in Italien wahrscheinlich für ihre Landsleute. Der Fremde ist auch in diesem Punkte nur ein Ausbeutungsobject.

Er nahm wieder eine bedächtige Prise und sagte dann: Wie komm' ich dazu, Ihnen so viel von mir vorzuschwatzen, da ich Sie nicht näher zu kennen die Ehre habe? Verzeihen Sie, wenn ich Sie langweile. Ich bin so hineingekommen, und wenn Sie bedenken, daß ich oft wochenlang keine Veranlassung habe, mehr als zehn Worte mit meiner alten Dienerin zu sprechen, werden Sie begreifen, daß das Mittheilungsbedürfniß eines einsamen Menschen sich endlich Luft macht, wie ein lange gehemmter Mühlbach über seine Schleuse stürzt.

Er verneigte sich leicht, als wenn er mich nun entlassen wollte.

Nein, sagte ich, verehrter Herr, Alles was Sie mir gesagt, war mir höchst interessant. Auch sind meine Ansichten von den Menschen gar nicht so weit von den Ihrigen entfernt. Nur daß ich glaube, ihren vielen Menschlichkeiten gegenüber sei weniger Zorn oder Verachtung als Mitleid am Platz.

Mitleid! brauste er auf. Aber ich bitte Sie, was wird damit gebessert? Haben Sie je einem Menschen, dessen Narrheit und Bosheit ihn in eine schlimme Lage gebracht, geholfen, ohne daß Sie erleben mußten, daß er's hernach genau so thöricht oder nichtswürdig weiter trieb wie vorher? Der Charakter ist ja unveränderlich, das hat Schopenhauer ganz richtig erkannt, nur daß auch er sich von dem schmeichelnden Trugbild des Mitleids bethören ließ und sogar die Wurzel der Moral darin fand. Da kann's einen nicht wundern, daß schwächere Köpfe erst recht das alte Lied von der Nächstenliebe singen. Zumal da sich's mit dem angeborenen Egoismus so herrlich in Einklang bringen läßt. Man abonniert ja auf einen Platz im Himmel durch gute Werke, zu geschweigen des vielen Pläsirs, das man auf Armenbällen, Bazars und in Wohlthätigkeitskonzerten genießen kann. O diese liebevolle Brüderlichkeit! Da schneiden sie einen armen Teufel, der's vor Hunger nicht länger aushielt und sich aufhing, eilig ab und bringen ihn wider seinen Willen ins Leben, nachdem sie ihn von ihrer Thür weggejagt, wenn er um ein Stück Brod bettelte. Ist's nicht menschenfreundlicher, lieber gleich Alle hinsterben zu lassen, als das elende Leben mit schäbigen Almosen zu fristen? Aber freilich, die Stellen der Armenpfleger nähren ihren Mann. Heuchler und kein Ende! Die alten Spartaner waren weiser, die ertränkten jedes krüppelhaft geborene Kind im Eurotas. Und auch vor der wilden Bevölkerung in Peru habe ich alle Hochachtung, wo man, wenn ein Kranker für unheilbar erklärt worden ist, den dazu amtlich verpflichteten Wohlthäter kommen läßt, der sich ganz sanft neben den Patienten hinsetzt und ihm so lange die Finger in die Kehle bohrt, bis er ausgelitten hat.

Ich mußte laut lachen. Verzeihen Sie, werther Herr, sagt' ich, aber ich bin überzeugt, so grimmig Ihre Theorie lautet, in der Praxis verfallen auch Sie gelegentlich in die Schwäche der sogenannten Nächstenliebe.

Er runzelte die dichten Brauen.

Wer kann für sich einstehn, daß er nicht dann und wann eine Dummheit macht! Um aber nicht in diese Versuchung zu kommen, giebt's ein sicheres Mittel: sich von den Menschen abzuschließen. Sie glauben nicht, wie leicht man sie entbehren kann, wenn man nur gute Bücher hat und etwas Kunst. Es hat zum Glück von jeher Männer gegeben, die die Menschenwelt mit unbestochenen Augen ansahen und für Gleichgesinnte ihre Meinungen darüber aussprachen. Sie trafen mich gerade bei der Lectüre eines der größten unter diesen, des Machiavell. Der hat gewußt, wie man die Herdenmenschen am sichersten einpfercht und den Hirtenstab kräftig brauchen muß, wenn die Schafe wild werden möchten. Sein berühmter Gegner, der alte Fritz, hat in reiferen Jahren auch erlebt, daß er mit seinem Anti-Machiavell einen Dummenjungenstreich gemacht hat, und sich nicht gescheut, seinen Grenadieren zuzurufen: Kerls, wollt Ihr denn ewig leben? Na, sehen Sie, in so guter Gesellschaft hat das Einsiedlerleben keine Schrecken. Und dazu hat ja der Weltschöpfer, wer's nun auch sein mag, als er die Erde mit dem zweifelhaften Glück bedachte, ihr den Menschen zum Herrn zu geben, für einen Trost in allem Elend, das daraus entspringen mußte, gesorgt: er hat einzelnen Menschen die Kraft verliehen, die mangelhafte Wirklichkeit in ewigen Formen zu verklären, gleichsam eine zweite schönere Welt zu schaffen, in die Jeder sich retten kann, dem es in der irdischen nicht warm und wohl wird.

Es war so dunkel im Zimmer geworden, daß die drei Bilder an der Wand kaum noch sichtbar waren. Das Gezwitscher im Vogelhaus war verstummt, der Kater hatte sich auf seinem Lager zusammengerollt und schnurrte aus dem Schlaf. Aber die Augen des alten Herrn funkelten durch die Dämmerung in einem ganz merkwürdigen Glanz, als er jetzt sagte: Ich habe fast Alles gesehn und genossen, was es an schönen Dingen in jenem gelobten Lande zu sehen giebt. Zuletzt bin ich dahin gekommen, ohne den anderen großen Meistern die schuldige Ehrfurcht und Bewunderung zu versagen, daß ich mich allein an die beiden Größten gehalten habe. Sie sind einander verwandt als die beiden Lieblingssöhne der Mutter Natur, und doch die entschiedensten Gegenpole: der eine ein riesenhafter Kämpfer, ein Titane, der sich alles gewaltsam zu eigen machen mußte, wonach ihm das Herz stand, der andere ein Kind des Glücks, dem alles kampflos zufiel. Aber sehn Sie, auch der, obwohl ihm von den Menschen zeitlebens nur Liebes und Gutes zutheil geworden war – er kannte die Menschen doch auch als die armseligen Schacher, die sie nun einmal sind, und in seinem letzten Werk hat er's in großartiger Symbolik ausgesprochen.

In der Transfiguration?

Unwillkürlich wandte ich mich nach dem Bilde um, von dem kaum die Umrisse mehr zu erkennen waren.

Der alte Herr ging nach der Kommode und zündete die Kerze auf dem kleinen Messingleuchter an, der neben dem Theegeschirr stand. Mit dem brennenden Licht trat er dann vor das Bild und sah andächtig zu ihm hinauf.

Jawohl, sagte er, wer tiefer zu blicken versteht, erkennt ganz deutlich, was mit der wundersamen Komposition gemeint ist. Die weisen ästhetischen Kritiker haben natürlich daran herumgenörgelt, die Zweitheiligkeit getadelt und Alles besser gewußt. Aber es ist doch klar, daß der Heiland sich ins Ewige zurückschwingt, nachdem ihn die Ahnung beschlichen hat, wie wenig die Menschen es werth waren, daß er zu ihrer Erlösung sich ans Kreuz schlagen ließ. Er sieht voraus, seine Botschaft der Liebe werde in ihr Gegentheil verkehrt werden, sein Name das Feldgeschrei, unter dem die fanatischen Narren sich zerfleischen, und des zum Zeichen hat der unsterbliche Künstler, der zugleich ein tiefer Denker und Seher war, den besessenen Knaben mitten unter die Apostel gebracht, die sich in ihrem heuchlerischen Schmerz gleichfalls wie unsinnig gebärden. Der Heiland aber, obwohl ihn die beiden Propheten zu seinen Seiten zu trösten wünschen, wendet die Augen von der irdischen Misere ab, als wollte er seinem himmlischen Vater klagen: warum hast du mich zu Diesen gesandt, die keine Himmelsbotschaft zu erlösen vermag! Ecco!

Er blieb noch ein paar Augenblicke vor dem Bilde stehen, in einer feierlichen Haltung, die sein Gesicht unendlich anziehend machte, dann trat er zurück und sagte, die Kerze wegstellend: Ich habe Sie mit meinem Geschwätz schon zu lange aufgehalten. Wenn Sie also wirklich die beiden Ansichten der Peterskirche zu haben wünschen – das Mittelbild ist mir allerdings nicht feil, das soll über meinem Todbette hängen, wie über dem Katafalk Dessen, der es geschaffen hat.

*

Der Handel war bald geschlossen.

Er hatte einen so lächerlich geringen Preis für die beiden großen, wohlconservierten Blätter genannt, daß ich Bedenken trug, darauf einzugehen. Doch bestand er darauf, genau soviel habe er dem römischen Trödler dafür bezahlt, der die Stiche zusammengerollt in einem Winkel seines Ladens liegen gehabt und ihren Werth nicht gekannt habe. Er, der sie gekauft, hatte sie dann erst aufziehen, reinigen und firnissen lassen, die Blendrahmen aber könne er nicht eigens berechnen.

Ob er die Bilder, die ich gern mein eigen nennen würde, nicht noch eine Weile hängen lassen möchte, da er doch an sie gewöhnt sei, und bis er einen Ersatz dafür an den leeren Stellen gefunden hätte?

Nein. Er liebe es nicht, nothwendige Trennungen hinauszuschieben. Auch mache ihm diese, wie er schon gesagt, keinen Schmerz. Wohin er sie schicken solle?

Ich würde sie in den nächsten Tagen abholen lassen. Er solle sie dem Boten auf meinen Namen übergeben, der Dienstmann werde nichts zu fordern haben.

Damit reichte ich ihm meine Karte, die er nahm und bei dem Licht der Kerze las.

Ach, sagte er, es hatte mir doch geahnt. Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen und daß die alten Blätter in so gute Hände kommen. Nun bedauere ich nur, daß ich Ihnen so viel von meinem alten Groll gegen die Italiener vorgemurrt habe. Ich weiß ja, daß Sie ein Italianissimo sind, freilich mehr von Hörensagen, denn, zu meiner Schande muß ich's gestehen, Ihre Novellen, in denen Sie der bella Italia Ihre Liebe erklären, habe ich nicht gelesen. Ich bin überhaupt, was schöne Literatur betrifft, der reine Idiot, da ich fast nur historische Sachen und Memoiren lese, so ein hartgesottener Realist, wie ich bin. Dennoch – zwei von Ihren Dichtungen sind mir in die Hände gekommen, durch Bekannte, die um meine Passion für die darin behandelten Stoffe wußten, Ihre Versnovellen Raffael und Michelangelo. Die erste, in der Sie die bekannten Sonette verwerthen und einen kleinen Roman daraus spinnen, hat mir sehr wohlgefallen. Die zweite –

Er hielt inne.

O, sagte ich rasch, Sie berühren da einen wunden Punkt. Sagen Sie nur gerade heraus, daß Ihnen das Gedicht mißfallen hat; ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich schrieb es in meinem zweiundzwanzigsten Jahr, als ich mich in sommerlicher Muße auf dem Lande zu meiner ersten italienischen Reise rüstete. Die Sonette Michelangelos waren mir in die Hände gefallen, darunter hatte ich jenes eine gefunden, in dem der alte Meister klagt, daß er in eine Frau verliebt sei, deren Geist ihn entzücke, während ihr Gesicht seinem Schönheitsbegriff nicht entspreche. Dieser psychologische Zwiespalt regte mich an, ich sann darüber nach, wer diese Frau gewesen sein möchte, und gerieth an die Vittoria Colonna, von deren Dichterruhm ich nur wußte, Nichts oder nicht viel von ihrer Person. So träumte ich mir ihr Verhältniß zu dem großen Künstler zusammen, wie ich es in jenem Gedicht dargestellt habe, da ich in meinem ländlichen Aufenthalt keine Mittel hatte, über Vittoria Colonna mich gründlicher zu unterrichten. Erst später erfuhr ich, erst in Italien, daß sie auch eine der schönsten Frauen ihrer Zeit gewesen war, daß ich ihr also mit »der Nase, die nicht in der Richte stund«, ein schnödes Unrecht angethan hatte. Das Gedicht war aber schon gedruckt, ich hatte keine Möglichkeit, es öffentlich zu widerrufen, und so habe ich diese Jugendsünde durch alle späteren Auflagen mit fortgeschleppt, da es umsonst gewesen wäre, unterdrücken zu wollen, was einmal vorhanden ist.

Er lächelte zum erstenmal, ein gutmüthiges Lächeln, das dem sonst so scharfen und herben Munde einen sehr menschenfreundlichen Ausdruck verlieh.

Wenn Sie sich keiner schlimmeren Jugendsünde bewußt sind – diese darf Sie nicht zu schwer drücken. Übrigens haben sich auch andere Dichter ähnlicher Sünden schuldig gemacht. Die verführerische Prinzessin Eboli war bekanntlich eine garstige einäugige Hexe und der edle Don Carlos ein halbirrsinniger Wüstling.

O, sagte ich lachend, mein Fall ist doch schwerer. Die Eboli wird es Schiller noch in ihrem Grabe Dank wissen, daß er in Bezug auf sie von der historischen Wahrheit abgewichen ist, während die Gemahlin Pescara's sich im Grabe umdrehen würde, wenn sie wüßte, wie ich mich an ihr versündigt habe.

Er lachte nun auch. Sie begreifen aber jetzt, sagte er, daß ich mich in meiner Lectüre lieber an die Historiker als an die Poeten halte, obwohl freilich selbst zeitgenössische Chronisten nicht über dem Verdacht stehen, wissentlich oder unwissentlich den Thatsachen eine Nase zu drehen.

In dieser scherzhaften Stimmung verabschiedete ich mich. Wir schüttelten uns die Hand, und er geleitete mich bis an die Hausthür, die er sorgfältig hinter mir verriegelte.

*

Als ich an das Gitter des Vorgärtchens gelangt war, traf ich dort auf eine arme Frau in einem dünnen, vielgeflickten Kleide, ein altes wollenes Tuch über den Kopf geschlungen.

Ob der Herr drinnen sei?

Allerdings. Aber ich zweifle, ob er für Sie zu sprechen sein wird.

Sie sah mich mit einem hülflosen Blick an, aus dem ein tiefes Elend sprach, und trat gleichwohl ein. In der Überzeugung, daß sie umsonst an die Thür des Mannes klopfen würde, dem das Mitleiden als eine Art Verbrechen an der Menschheit erschien, die man am besten ihrem unrettbaren Schicksal überlassen sollte, gab ich ihr ein paar Mark und ließ sie dann ihren Weg fortsetzen. Ich selbst wandte mich der Stadt zu.

Auf der schmutzigen Straße unter den kahlen Bäumen, die in der rauhen Herbstluft schauerten, verfolgte mich das Bild des seltsamen Mannes, der mich soeben einen Blick in sein freudloses Innere hatte thun lassen. Trotz seiner kaltherzigen Abkehr von allem Menschlichen konnte ich mich einer sympathischen Regung nicht erwehren, zumal ich mir sagte, daß wohl auch persönliche bittere Erfahrungen, vielleicht Enttäuschungen an Frauen, die er geliebt, sein Gemüth so tief verwundet hätten, bis es in der Versteinerung einen Schutz gegen immer neue Wunden gefunden habe. Daß er mir die Bilder verkauft haben sollte, aus purem Geiz, wie er auch früher seine Sammlung weggegeben, schien mir nicht glaublich. Seine Liebe zur Kunst und zu den Thieren blieb doch ein Beweis, daß noch eine warme Quelle in ihm sprudelte. Wenn aber die äußerste Noth ihn dazu trieb, das Letzte herzugeben, woran sein Herz noch hing, war er so bedauernswerth, daß ich mir Vorwürfe machte, auf den Kauf eingegangen zu sein, statt irgend einen anderen Weg zu suchen, seine Lage zu erleichtern.

In solchem Grübeln war ich langsam eine Strecke weit gekommen, als ich Jemand hastig mir nachlaufen hörte, offenbar um mich einzuholen. Ich blieb stehen und sah mich um. Es war die Bettlerin, die ich an der Gitterthür getroffen hatte.

Der Ausdruck ihres Gesichts aber war völlig verwandelt, ihre Augen leuchteten, als sie athemlos bei mir stehn blieb und zu reden anfing.

Was ich zu hören bekam, überraschte mich aufs Höchste.

Sie hatte eine ganze Weile an der verschlossenen Thür klingeln und klopfen müssen; bis endlich eine grobe Weiberstimme sie geheißen hatte, sich wegzuscheren. Dann aber sei ein Herr dazu gekommen, der dem Frauenzimmer zu schweigen geboten und die Thür geöffnet habe. Da sei sie erst vollends erschrocken, denn der Herr habe sie so finster angeschaut, als wolle er gleich einen Gendarmen kommen lassen, um sie wegen Bettelns abzuführen. Auch habe er mit einer rauhen Stimme gefragt, was sie hier zu suchen habe.

Sie habe sich aber ein Herz gefaßt und ihm ihre Noth geklagt: ihr Mann, ein Maurer, sei vom Gerüst gestürzt und liege seit sieben Wochen krank, ihre drei Kinder litten Hunger und wären ohne Aufsicht, wenn sie selbst nach Arbeit ausginge, sie flehe um des lieben Herrgotts willen, sich ihrer zu erbarmen, und so weiter.

Der Herr habe sie heftig unterbrochen und gefragt, ob sie Zeugnisse habe. Die hatte sie bei sich, auch die Versatzzettel über allerlei schwer entbehrliche Sachen, die sie aufs Leihamt hatte tragen müssen, und holte sie hervor. Der Herr habe sie genau durchgesehen und dann die Magd weggeschickt. Darauf habe er in die Westentasche gegriffen und ihr drei Geldstücke in die Hand gedrückt, dann aber ihr die Thür vor der Nase zugeschlagen.

Als sie dann das Geld näher beschaut habe, sei sie erst recht erschrocken. Es seien blanke Goldstücke gewesen, der Herr möge sich wohl versehen haben, sie habe nicht gewagt, damit wegzugehn, sondern hineingerufen, ob es nicht ein Irrthum sei, sie könne es ja nicht glauben –

Es sei aber drinnen ganz still geblieben. Da habe sie dem Wohlthäter tausend Vergelt's Gott! nachgerufen und daß sie für ihn beten werde und sei fortgerannt – nun könne sie das versetzte Bett auslösen und die warme Jacke für ihre Älteste und Brod kaufen –

Damit holte sie ihren Schatz aus der Tasche ihres alten Kleides und wies ihn mir, während sie mit der anderen Hand ihre Augen wischte. Es waren die drei Zehnmarkstücke, die ich dem Menschenfeind eben für die beiden Stiche nach der Peterskirche bezahlt hatte.

*

Am nächsten Tage konnte ich mich nicht entschließen, hinauszuschicken und mir die Bilder holen zu lassen. Der wunderliche Heilige hatte ja nicht einmal Vortheil von dem Verkauf gehabt, zu dem er sich gewiß schweren Herzens entschlossen hatte. Das Liebste wäre mir gewesen, wenn die ganze Sache in Vergessenheit gerathen wäre. Ich hatte aber das Ehrgefühl dieses burbero benefico nicht mit in Anschlag gebracht. Am dritten Tage erschien seine alte Magd mit den beiden sorgfältig eingepackten Blendrahmen und einer mürrisch herausgestoßenen Empfehlung des Herrn Doctors. Trinkgeld für den weiten Gang anzunehmen, war sie nicht zu bewegen.

Nun hatte ich das lebhafteste Verlangen, die Bekanntschaft mit dem merkwürdigen Manne fortzuspinnen, um den Räthseln seines widerspruchvollen Charakters womöglich auf den Grund zu kommen. Doch trotz des freundlichen Tons, zu dem unsre Unterhaltung endlich gelangt war, schien es mir nicht angebracht, so geradezu meinen Besuch zu wiederholen, da er mich nicht dazu aufgefordert hatte. Um einen plausiblen Vorwand war ich verlegen, und wenn ich vollends hätte durchblicken lassen, daß ich mit Vergnügen gesehen, wie er seiner Theorie über Mitleid und Nächstenliebe in der Praxis untreu geworden, mußte ich darauf gefaßt sein, ihn aufs Äußerste zu reizen und unsanft verabschiedet zu werden.

Also beschränkte ich mich darauf, in der Nähe seiner abgelegenen Behausung herumzustreifen, ob ich ihm nicht zufällig begegnen und wieder ins Gespräch mit ihm kommen möchte. Es gelang mir aber nicht, seiner ansichtig zu werden.

Der Winter wurde dann so rauh, daß mir die Spaziergänge nach Nymphenburg hinaus immer weniger verlockend schienen. Und so schlief auch meine psychologische Neugier endlich ein, und ich gedachte des Mannes nur, wenn ich seine Rombilder betrachtete und dabei guten Freunden von dem seltsamen früheren Besitzer erzählte.

*

Es war endlich Frühling geworden, einer jener richtigen Münchener Frühlinge mit jähen Rückfällen in den Winter, heißen Mittagssonnen und nächtlichen Schneestürmen, wie sie freilich im April auch an andern Orten nicht selten sind. Ein Gang nach Neuhausen hinaus hatte mir gezeigt, daß selbst in dem verwilderten Vorgärtchen am Hause meines Doctors sich etwas wie Lenzanfang zu regen begann. Die kleinen Beete waren umgegraben, einige bescheidene Pflanzungen verriethen mir, daß der Thierfreund auch für andere unvernünftige Kinder der Natur ein menschliches Rühren fühlte.

Ihn selbst bekam ich nicht zu sehen. Nur die alte Magd, die ich gern nach ihrem Herrn befragt hätte. Doch wich sie mit ihrer gehässigen Miene jeder Annäherung aus und verschwand eilig im Hause.

Zwei Tage nachher aber trat plötzlich zu ungewohnter Stunde der Freund, dem ich meine Erlebnisse draußen natürlich mitgetheilt hatte, in mein Zimmer.

Nun? rief er. Was sagst du jetzt zu unserem Menschenfeind? Hat der alte Heuchler endlich die Maske fallen lassen und sich als einen ganz gemeinen Biedermann und Fanatiker der Nächstenliebe entpuppt? Eine solche Überraschung hätt' ich mir trotz jener dreißig Mark nicht träumen lassen.

Ich sah ihn fragend an.

Du scheinst die gestrige Abendzeitung nicht gelesen zu haben, fuhr er fort. Da stand es ja drin: »Eine rettende That. Eine Frau und ein Kind aus dem Wasser gezogen – ein Doctor W. –« natürlich unser Doctor Witte – das war mir gleich klar, da die Sache sich bei Nymphenburg zugetragen hatte. Ich las zufällig das Blatt in unsrer Donnerstagsgesellschaft, erzählte den Anderen, was ich von dem wunderlichen Heiligen wußte, der es für unmoralisch hielt, einen Menschen, der sich aufgehängt, abzuschneiden, da es eine frevelhafte Humanität sei, jemand ein Leben wieder aufzudrängen, das er aus guten Gründen schon einmal abgeworfen, wie ein Kleid, das ihm zu enge geworden. An eine solche gutgemeinte Frevelthat aber vollends sein eigenes Leben zu wagen –

Er hat den Tod dabei gefunden? rief ich in höchster Erregung.

Noch nicht. Aber wer weiß, ob er's überlebt. Unser Clubmitglied, der Doctor S., kam gerade, als wir uns über die Widersprüche im Menschenherzen allerlei Betrachtungen hingaben. Von dem erfuhren wir Näheres, als in dem kurzen Polizeibericht stand. Bei seinem Abendspaziergang unter den Bäumen längs des Würmcanals hatte der Alte plötzlich einen Schrei gehört und den Ruf: Zu Hülfe! zu Hülfe! Der Ruf kam von einem Knaben, der eben gesehen hatte, wie eine Frau mit einem kleinen Mädchen, das sie sich auf den Rücken gebunden hatte, in den Canal gesprungen war. Unser alter Herr, der seine Brille zu Hause gelassen hatte, konnte nicht gleich die Stelle erkennen, wo das arme Weib verschwunden war. Sobald sie aber einen Augenblick wieder auftauchte, hatte er Hut und Überzieher abgeworfen und war über die steile Böschung hineingesprungen. Es dauerte auch keine fünf Minuten, so sah der Bub ihn wieder hervorkommen, doch war's gerade eine tiefe Stelle, so daß er nicht gleich Grund unter die Füße bekam und eine Strecke schwimmen mußte, sehr mühsam, da er sich bemühte, die doppelte Last über Wasser zu halten.

Wie er sie dann endlich ans Ufer gebracht hatte, sank er selbst vor Erschöpfung neben den Geretteten hin, doch nur einen Augenblick. Dann rief er den Buben an, ihm zu helfen, und zum Glück kamen gerade ein paar Arbeiter des Wegs, die ihm behülflich waren, Mutter und Kind in das nächste Haus zu transportieren, beide bewußtlos. Er selbst, der Alte, ohne dran zu denken, daß er bis auf die Haut durchnäßt war, ordnete alles an, was zur Wiederbelebung der Frau zunächst zu thun war. Das Kind mußte bald aufgegeben werden, aber die Mutter kam nach einer halben Stunde wieder zu sich, gerade als der Arzt in seinem Wagen vom Nymphenburger Schlosse zu dem Hause gelangte und, da er den Menschenzulauf davor bemerkte, halten ließ und heraussprang.

Unser Menschenfeind wollte mit aller Gewalt die beiden armen Wesen in sein eigenes Häuschen bringen lassen. Erst als der Doctor ihm vorstellte, die Frau müsse durchaus ins Krankenhaus, da sie sorgfältiger ärztlicher Pflege bedürfe, gab er nach und legte noch selbst mit Hand an, das Paar in den Doctorwagen zu tragen. Dem Arzt selbst nahm er das Wort ab, seinen Namen bei der ganzen Geschichte nicht zu nennen und im Krankenhause zu sagen, daß er für alle Kosten einstehe.

Als der Doctor sich erbot, ihn selbst nach Hause zu fahren, da er nicht rasch genug aus den triefenden Kleidern und ins Bett kommen könne, sei er fast grob geworden: er verbitte sich's, daß man sich um ihn bekümmere, ein rascher Gang werde ihm besser bekommen, als wenn er mit in den Wagen stiege. Nur darum bat er noch, am andern Morgen Nachricht zu erhalten, wie die Frau die Nacht zugebracht habe.

Am andern Morgen aber fand ihn der Doctor mit hohem Fieber im Bett, eine Lungenentzündung hatte sich eingestellt, die alte Dienerin war in schwerer Sorge, die um so ergreifender erschien, da sie nicht in Jammern und Wehklagen, sondern in stummem, rastlosem Hinundhertrippeln sich Luft machte. Der Doctor sorgte sogleich für eine Diaconissin aus dem nahgelegenen Schwesternhaus und sah gegen Abend, eh er in unsere Gesellschaft kam, noch einmal draußen nach.

Der Kranke war noch bei Bewußtsein. Auf die Frage, ob er einen besonderen Wunsch habe, bat er nur, einen guten Bekannten in Paris, dessen Adresse er angab, unverzüglich durch ein Telegramm von dem Geschehenen zu benachrichtigen und um sein Herkommen zu bitten. Den Bericht über den Zustand der Frau, die selbst sich rasch erholt hatte, ihr todtes Kind sich aber nur mit Gewalt hatte entreißen lassen, hörte er mit einer ingrimmigen Miene an und schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirn. Es sei eine Wittwe, erzählte ihm der Doctor, ihr junger Mann vor sechs Wochen gestorben, sie starre nun wie eine selbst zum Tode Verurtheilte vor sich hin.

Aus einer Brieftasche, die auf seinem Nachttischchen lag, nahm der Kranke dann drei Hundertmarkscheine und sagte: Bitte, bringen Sie ihr das, nur fürs erste, und vielleicht, da Geld bei armen Leuten eine Macht ist, versöhnt sie das mit dem Leben, wenn sie hört, es solle auch ferner für sie gesorgt werden. Da ich schuld daran bin, daß sie nicht jetzt schon gut aufgehoben ist, bin ich auch verpflichtet, für meinen eigenmächtigen Narrenstreich sie nicht zu schwer büßen zu lassen. Nein, eine solche wahnsinnige Thorheit in meinen Jahren mir noch zuschulden kommen zu lassen, mehr als eine Thorheit, ein Mord, und wenn für mich die Todesstrafe darauf steht, ist's nur recht und billig. Ohne mich hätte sie's jetzt überstanden. Das Leben, in das ich sie wider ihren Willen zurückgerissen, ist ja schlimmer, als Tod, da sie ihr Kind verloren hat. Wie soll sie mir das je verzeihen? Kann sie's aber nicht ertragen, so kommt hoffentlich nicht wieder ein Narr dazu, ihr ungerufen in den Arm zu fallen.

*

Ich konnte mir's nicht versagen, noch denselben Tag mich persönlich nach dem Kranken zu erkundigen.

Doch gelang mir's nicht, zu ihm zu dringen. Die alte Dienerin wollte mich trotz meiner Betheuerung, ich würde mich ganz ruhig verhalten und kein Wort an den Herrn richten, nicht hineinlassen und rief endlich die Pflegerin zu Hülfe, die mir gleichfalls erklärte, der Arzt habe jeden Besuch streng verboten. Es scheine keine nahe Gefahr zu sein, das Fieber halte sich in mäßigen Grenzen, aber der Körper des Kranken sei durch schlechte Ernährung geschwächt, und er verweigere leider fast jede Nahrung.

Ich kehrte in trüber Stimmung nach Hause zurück, und da mich selbst in den nächsten Tagen ein Unwohlsein ans Zimmer fesselte, konnte ich nur durch tägliche Botschaften erfahren, wie es draußen stand.

Erst am siebenten Tage war ich wieder so weit, selbst nachfragen zu können. Schon von weitem aber überfiel mich die Ahnung, daß ich zu spät käme. Von den drei Fenstern des Erdgeschosses stand trotz der rauhen Aprilluft das eine offen, das Fenster der Schlafkammer.

Als die Alte mir öffnete, brauchte ich nicht zu fragen, über ihr gelbes, faltiges Gesicht rannen zwei schwere Thränenströme, während der festgeschlossene Mund beständig zuckte. Ich gab ihr schweigend die Hand, so standen wir ein paar Minuten einander regungslos gegenüber.

Ich darf jetzt doch hinein? sagte ich endlich.

Sie schüttelte den Kopf. Die Seelnonne sei noch drinnen, sie habe ihn eben eingekleidet, die Männer würden erwartet, die ihn in den Sarg legen und nach dem Leichenhaus hinausfahren würden. Wenn ich aber Herrn Valentin zu sprechen wünsche –

Herrn Valentin?

Sie antwortete nicht, sondern trat in den Flur zurück und öffnete die Thür zum Wohnzimmer.

Als ich eintrat, erhob sich ein junger Mann, der an dem Tisch vorm Fenster gesessen und geschrieben hatte, und begrüßte mich mit einer stummen Verbeugung. Eine schlanke Figur in schwarz gekleidet, das feine Gesicht mit einem zarten, dunklen Bärtchen umrahmt, ganz blaß, und die ausdrucksvollen jungen Augen feucht und geröthet. Die Feder hatte er noch in der Hand, die Störung schien ihm unwillkommen.

Ich entschuldigte mein Eindringen und erzählte, wie ich zu der Bekanntschaft mit dem edlen Entschlafenen gekommen sei. Ob ich in ihm einen nahen Verwandten des alten Herrn vor mir sähe? Vielleicht gar einen Sohn?

Nein, er habe nie einen Sohn gehabt, ihm aber sei er mehr als ein Vater gewesen. Und nun erfuhr ich, daß dieser Herr Valentin ein Maler sei, dessen erstes Bildchen auf dem Kunstverein das Interesse des Doctors erregt, so daß er sich nach dem Urheber desselben erkundigt habe. Das sei vor vier Jahren gewesen, der junge Mann, damals einundzwanzig alt, ein so armer Teufel, wie je einer sich ohne Freunde und Vermögen auf das dornige Feld der Kunst gewagt habe. Aber mit dem Ankauf des kleinen Bildes habe der neue Gönner sich nicht begnügt, sondern, da er wundersamerweise große Hoffnungen auf die Zukunft seines Schützlings gesetzt, dessen ganzes Leben in seine Obhut genommen und nur dafür verlangt, daß er mit aller Kraft sich dem Studium widmen und durch keinerlei jugendlichen Leichtsinn sich im Streben nach seinem hohen Ziel behindern und beirren lasse. So habe er ihn zunächst nach Paris geschickt, weil an keinem andern Ort so gut das Handwerk zu erlernen sei. Im nächsten Herbst wollte er ihn nach Italien wallfahrten lassen und auch dort ihm die Mittel geben, ohne schon an Geldverdienen zu denken, seine Sinne mit allem Großen und Herrlichen zu erfüllen, was dort seit Jahrhunderten aufbewahrt werde.

Sie können denken, fuhr er fort, nachdem die Erinnerung an so viel Güte ein paar Augenblicke ihn übermannt und seine Stimme ins Stocken gebracht hatte, wie mich das Wunder, einen so großherzigen väterlichen Freund gefunden zu haben, täglich von neuem mit Dank und Rührung erfüllte, wie ich nur eine Sorge hatte, ob ich seine Hoffnungen auch nicht täuschen, mich wirklich als das »Genie« erweisen würde, wofür er in seiner großen, überschätzenden Liebe mich hielt.

Aber den ganzen Umfang dieser Liebe habe ich doch erst jetzt erkannt.

Ich hielt ihn für einen sehr reichen Mann, der sich wohl den Luxus erlauben dürfe, auf seine Kosten einmal einen Künstler sich ausbilden und reisen zu lassen. Erst als ich an sein Sterbebette kam und erfuhr, daß er mich zu seinem Universalerben ernannt hatte, und die Verhältnisse übersah, fand ich, daß seine Einkünfte, wenn er mich sorgenfrei studieren ließ, gerade nur noch ausreichten, daß er daneben mit größter Einschränkung sich selbst unterhalten konnte und sich manches versagen mußte, was früher zu seinem Wohlsein und Behagen gehört hatte. Ja einmal, da ich in Paris erkrankte und ihn wegen der langen Kur um einen Zuschuß bitten mußte, hat er sich von seinem größten Schatz getrennt und seine geliebten Kupferstiche der Versteigerung übergeben.

Das erfuhr ich von der alten Ursel, da ich sie fragte, wo die Mappen geblieben seien, nach denen er in seinen Fieberphantasieen einmal fragte. Nur die werthlosen Reste sind noch vorhanden. Was die andern eingetragen, hatte er nach Paris geschickt, ohne mit einem Wort mir darüber etwas anzudeuten.

Daß ich zeitig genug kam, um ihn noch am Leben zu finden, hat ihn sehr glücklich gemacht. Er war noch einmal zu klarem Bewußtsein aufgewacht, ich mußte stundenlang an seinem Bette sitzen, wo er meine Hand hielt und meist schwieg, zuweilen irre redete, dann wieder ganz vernünftig sprach. Alles, wie er es nach seinem Tode gehalten wissen wollte, theilte er mir mit, obwohl er's auch in seinem Testament niedergeschrieben hatte; der Ursel war das Haus vermacht, und lebenslang sollte ich ihr den Lohn auszahlen, dafür legte er ihr die Pflicht auf, für die Vögel zu sorgen und Roland, den Kater, zu pflegen. Der hatte während der ganzen Krankheit, wie er gewohnt war, auf der Decke des Bettes zusammengerollt gelegen und die Füße seines Herrn gewärmt. Erst als der Tod eingetreten war, scheint es ihm dort unheimlich geworden zu sein, so daß er sich aus der Kammer schlich und dort auf dem Lehnstuhl niederließ, der nun leer stand. Andere Legate an arme Leute, die er monatlich unterstützt hatte, legte der Gütige, der Niemand vergaß, mir auch noch ans Herz. Wie vielen wird er lebenslang fehlen!

Die Augen gingen ihm über, er wandte sich ab, faßte sich dann aber und sagte: Wollen Sie ihn sehen?

Ich bejahte stumm.

Er öffnete die Thür zur Nebenkammer, und ließ mich eintreten.

Die Seelnonne hatte eben ihr Werk vollendet und verließ das Gemach. Der Todte lag auf seinem dürftigen Bett lang ausgestreckt, in dem grünen Schlafrock, den er bei meinem ersten Besuch getragen hatte. Sein junger Freund flüsterte mir zu, so hab' er's angeordnet, damit seine Kleider unter die Armen vertheilt werden könnten. Es sah freundlicher aus, als die übliche Tracht der geputzten und geschniegelten Leichen, wie man sie in München zu ihrem letzten Gange kostümiert, gleichsam als träfe man den alten Herrn, wie er sich eben zu einem kurzen Ausruhen nach der Arbeit hingestreckt hätte. Das Gesicht und der hohe blanke Schädel waren wie aus Marmor gemeißelt, der Mund nicht wie im Leben mit einem verbissenen Ausdruck der Weltverachtung geschlossen, sondern fast heiter und friedenvoll. In der rechten Hand hielt er ein Lorbeerzweiglein und eine Rosenblüte, die erste, die in seinem Garten aufgegangen war. Über dem Bett aber hingen in ihrem stillen Glanz die Transfiguration Raffael's und Dürer's »Ritter, Tod und Teufel«.

Durchs offene Fenster wehte die Frühlingsluft, und in der Volière nebenan sangen und zwitscherten alle Vögel durch einander. Kein Schauer des Todes schwebte in dieser engen Kammer, nur ein Hauch tiefen, warmen Friedens, den dieser Menschenfeind wahrlich sich wohl verdient hatte.

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