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(1874.)
Die nachfolgenden Blätter wurden mir vor einiger Zeit von befreundeter Seite mitgetheilt, mit der Anfrage, ob ich nicht etwa Lust hätte, den darin enthaltenen »Stoff« in irgend einer Form zu gestalten und den merkwürdigen Fall, der jedenfalls dem Psychologen interessant sein müsse, zu einer Novelle zu verwerthen.
Das Manuscript hatte sich im Nachlaß eines längst verstorbenen Juristen vorgefunden, an welchen der Schreiber seine Bekenntnisse gerichtet hatte. Die Blätter waren vergilbt, die Tinte verblasst, die Handschrift hatte einen eigenthümlichen Zug von Weichheit und Flüchtigkeit, wobei doch ein kaufmännischer Ductus im Allgemeinen nicht zu verkennen war.
Unter allen Emolumenten und Accidentien, die mit dem Beruf des Novellisten verbunden sind, ist kaum eines erfreulicher, als daß ihn das Publikum mit der Zeit als eine Art Generalbeichtiger betrachten lernt, welchem wirkliche Erlebnisse anzuvertrauen wären, weil er sie besser als Andere zu würdigen, wohl aufzuheben und gelegentlich, da es hier oft gerade auf den Bruch des Beichtsiegels abgesehen ist, in gereinigter, künstlerisch durchgebildeter Form auszuplaudern wisse.
Vielfach ist auch dem Schreiber dieser Zeilen ein so ehrenvolles Vertrauen bewiesen worden, und er, ergreift gern diese Gelegenheit, den bekannten und unbekannten Mitarbeitern hiermit seinen aufrichtigen Dank abzustatten. Ist dies doch das Letzte, was den heutigen Erzähler an seine im Uebrigen so sehr verdunkelte Abstammung von den alten nationalen Epikern erinnert: wenn es dem Einzelnen heutzutage nicht mehr vergönnt ist, der Mund seines ganzen Volkes zu sein, mag er sich daran halten, daß er noch hie und da dazu berufen wird, die intimen Herzensangelegenheiten seiner Zeitgenossen zu belauschen und davon Rechenschaft zu geben.
In den meisten Fällen zwar sind solche Mittheilungen nicht viel Mehr, als »schätzbares Material.« Umfangreiche Manuscripte, Briefe, Tagebücher u. dgl. enthalten oft nur vereinzelte Züge, die als specifisch werthvoll aus der Masse des Alltäglichen, nur für den Betreffenden oder davon Betroffenen selbst Bedeutsamen hervorleuchten. Diese bleiben in der Phantasie des Erzählers zurück, wie beim Goldwaschen die Körner des edlen Metalls, während die Masse leeren Flußsandes wieder fortgespült wird, und es geschieht oft erst nach langer Zeit, daß solche fragmentarischen Gewinnste wieder hervorgeholt, umgeschmolzen und in irgend ein größeres Gebilde verarbeitet werden. Der ursprüngliche Fundort ist dann wohl gar vergessen, der freundliche Geber erkennt seine eigene Beisteuer kaum wieder, oder findet sich für sein Vertrauen schlecht belohnt, wenn etwa aus dem Seinigen unter den Händen des Empfängers das gerade Gegentheil geworden ist. Dies aber liegt zu tief im Gesetz alles organischen Stoffwechsels, der ja auch das Geistige beherrscht, begründet, als daß es einer besonderen Entschuldigung bedürfte.
Eine ganz eigene Bewandtniß hatte es mit den Briefblättern, die ich unter dem obigen Titel mitzutheilen mich entschlossen habe. Das seltsame Charakterbild, das sie entfalten, mußte auf den ersten Blick als ein höchst fruchtbares Motiv zu einem größeren modernen Lebensbilde erscheinen; dieser Märtyrer der Phantasie konnte den Mittelpunkt, den Helden und die Seele eines Romans bilden, in welchem, ähnlich wie in dem großen Welt- und Zeitgedicht des Cervantes, der ewige Gegensatz zwischen den nüchternen Forderungen der Wirklichkeit und den Bedürfnissen einer phantastischen Natur, hier nun im Lichte der heutigen Lebensweisheit und gesellschaftlichen Cultur zur Erscheinung gekommen wäre.
Die Aufgabe schien verlockend genug. Aber bei näherer Erwägung zeigte sich, daß eine solche Umbildung und Erweiterung nicht möglich gewesen wäre, ohne die Figur, wie sie in den Acten selbst sich darstellte, völlig aufzulösen und, der künstlerischen Structur eines größeren Werkes zu Liebe, mit allerlei Elementen zu versetzen, die gerade den specifischen Gehalt dieses Falles von Grund aus verwandelt hätten. Dem Schreiber jener Bekenntnisse fehlte gerade das, was einen Don Quixote zu dem letzten großen epischen Helden stempelt: jene energische Lust, die ihm ungemäße Wirklichkeit nach seinen Idealen umzuschaffen. Auch Jener ging an seiner phantastischen Illusion zu Grunde, aber nach wundersamen Thaten und Abenteuern, die ihres Homers würdig waren, während ein bloß passiver Märtyrer schwerlich im Stande wäre, durch eine längere Reihe von Kapiteln hindurch das Interesse zu fesseln und das Peinliche seiner Lage durch ihre humoristisch-tragische Erhabenheit aufzuwiegen.
Hierzu kam noch, daß die Aufzeichnungen des unglücklichen Mannes auch durch ihre Form ein gewisses Interesse in Anspruch nehmen konnten. Der wunderliche Träumer, wenn er auch, wie er selbst am besten fühlte, zum Poeten nicht die volle Gesundheit der Einbildungskraft besaß, hatte doch so Manches nicht bloß mit sinnigen Augen betrachtet, sondern auch mit treffenden Zügen zu schildern vermocht, daß seine kurze Lebensgeschichte, so ungenügend sie zwischen Roman und psychologischem Vivisectionsbefund in der Mitte steht, gleichwohl etwas Besseres geworden ist, als ein Stück roher Stoff. Ich habe es daher nicht über mich gewinnen können, an der Form im Wesentlichen zu ändern, Kürzungen und kleine Redactionsstriche ausgenommen, die aber das Charakteristische dieser Bekenntnisse nur um so deutlicher hervorzuheben sich bemühten. Im Uebrigen möge dies seltsame Vermächtniß wirken, wie es kann und mag, schwerlich wohl auf weitere Kreise in solchem Maße, wie auf den Herausgeber selbst, der ja in gewissem Sinne von Berufswegen eine Art Leidensgefährte dieses armen Sünders ist und bei manchen Stellen ein deutliches de te fabula narratur von seinem eigenen Gewissen sich hat zuraunen lassen.
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»Sie haben mich zuerst unter vier Augen und dann auch in öffentlicher Sitzung des Schwurgerichts gefragt, verehrtester Herr Justizrath, ob ich keine mildernden Umstände für mich anzuführen wüßte. Es falle Ihnen schwer,–: waren Sie so gütig zu bemerken –: mein Verbrechen mit meinem bis dato unbescholtenen Lebenswandel zu reimen.
Ich habe darauf geschwiegen. Es war mir, ehrlich gesagt, ziemlich gleichgültig, was die Herren Richter für einen Spruch thun würden. Mein Leben ist nun einmal verpfuscht; ich habe mich aus den gebahnten Wegen, in denen die übrigen Menschen so friedlich und bequem hinschlendern, in allerlei Seitenpfade verloren, und es ist nun zu spät, noch einmal umzukehren und es mit dem hergebrachten schnurgeraden Wandel zu versuchen. Für eine abgesonderte Wohnung bin ich nun leider einmal qualificirt; ob im Zuchthause oder im Narrenhause, –: was konnte mir groß daran liegen?
Aber wie ich nun freigesprochen war, hauptsächlich durch Ihre Bemühung, Herr Justizrath, ist es mir aufs Herz gefallen, daß ich Ihre Güte und Menschenfreundlichkeit Ihnen schlecht gedankt hatte. In Ihren Augen als ein verstockter Sünder zu erscheinen, der für jeden vernünftigen und wohlmeinenden Zuspruch taub bleibt –: nein, Herr Justizrath, das geht mir gegen den Mann. Auch haben Sie in Ihrer schönen Verteidigungsrede auf eine mir unbegreifliche Weise die Hauptsache, um die sich's bei meinem Charakter handelt, so richtig errathen, daß ich mir mehr als einmal sagte: wenn du je einen Freund gehabt hättest, der dich dir selbst so klar gemacht hätte, es wäre vielleicht nicht so weit mit dir gekommen. In manchen Stücken haben Sie sich dann auch wieder geirrt, da Sie ja nicht alle Umstände wußten. Darum müssen Sie mir schon erlauben, daß ich die Auskunft, die ich Ihnen mündlich schuldig blieb, jetzt schwarz auf weiß nachhole. Sie wird ein bischen lang gerathen; aber dafür kann ich nicht; denn sie ist ziemlich so lang wie mein ganzes Leben, und ich habe das Schwabenalter schon eine Spanne weit hinter mir.
Oder glauben Sie nicht auch, Herr Justizrath, daß, wenn man von jedem Verbrecher die genaue Biographie wüßte, man nach mildernden Umständen nicht weiter zu fragen brauchte? Ich meine: eine ganz reguläre Lebensgeschichte, in der auch von Eltern und Großeltern so Viel stünde, daß man wüßte, wie viel von der Erbsünde und welche Sorte derselben der betreffende Sprößling mit ins Blut bekommen, würde in den meisten Fällen den Herrn Vertheidiger ganz überflüssig machen.
Bei mir, Herr Justizrath, kommt das ganze Uebel davon her, daß man mir gewisse angeerbte Triebe und Eigenschaften, die an sich gar nicht mit zur Erbsünde gerechnet werden können, in jungen Jahren mit Gewalt hat austreiben wollen. Da haben sie denn, wie's die Aerzte nennen, zurücktreten, ins Blut gehen und auf die edleren Theile schlagen müssen, und die Miserabilität, zu der es jetzt gekommen ist, –: entschuldigen Sie, daß ich keinen härteren Ausdruck brauche; der Herr Staatsanwalt hat ja schon dafür gesorgt, –: die ist nun das Ende vom Liede.
Nämlich, Herr Justizrath, ich selbst erkläre mir die Sache so; es ist möglich, daß ich eine zu nachsichtige Ansicht von meinem Verbrechen habe; aber dies ist wenigstens meine ehrliche Meinung. Und das wäre dann vielleicht ein mildernder Umstand mehr. Denn so erbärmlich mir im Allgemeinen zu Muthe ist: die rechte Zerknirschung von wegen des besonderen Peccatums will noch immer nicht kommen. Ich bin nun einmal an meinen verdrehten Charakter schon zu sehr gewöhnt.
Also zur Sache, Herr Justizrath, und was ich selbst nicht recht herausbringe, weil ich ein unbeholfener Schreiber und durch die letzten Tage noch etwas mehr als sonst confus gemacht bin, das werden Sie sich schon hinzudenken.
Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann in F., meine Mutter die Tochter eines Malers, der unter seinen Bekannten –: und es kannte ihn die ganze Stadt –: sehr berühmt war. Damals, Herr Justizrath, war die Photographie noch nicht erfunden. Wer sich daher zu verewigen wünschte und ein bischen was daran wenden konnte, ging zu meinem Großvater und ließ sich malen. Ich habe noch viele von diesen Porträts gesehen. Sie sollen sprechend ähnlich gewesen sein. Aber da die Originale fast lauter nichtssagende Gesichter hatten, wurde dieser sichere und ehrenvolle Broderwerb dem Großvater auf die Länge langweilig, und er fing an eigene Compositionen zu verfassen, Erlkönige, Haymonskinder, blonde Ekberte –: es war damals die romantische Zeit, –: und das gefiel ihm je länger je mehr, seinen Mitbürgern aber nur sehr mäßig. Die Bilder wurden ihm nicht abgekauft, er gerieth darüber in schlechte Verhältnisse, war aber vergnügter als je, so daß Niemand seine mißlichen Umstände ahnte. Man glaubte, er habe sein Schäfchen im Trocknen und könne es nun mit ansehen.
So dachte auch mein biederer Vater, als er die einzige Tochter des Alten heirathete. Wie er hernach den Schaden entdeckte, machte er so ziemlich gute Miene zum bösen Spiel. Nur daß er einen recht nachdrücklichen und zähen Haß auf alle brodlosen Künste warf und, wie ich ihm heranwuchs, jeden jungen Schößling, der nach so einem unfruchtbaren Schlinggewächs aussah, mit Stumpf und Stiel ausrottete. Nichts konnte ihn wüthender machen, als wenn ich ein Stück Kreide oder Bleistift verkritzelte. Er brachte es sogar dahin, daß ich von der Zeichenstunde in der Bürgerschule, die ich besuchte, dispensirt wurde, und was irgend von Geschichten- und Märchenbüchern ihm in den Wurf kam, flog ohne Gnade aus dem Fenster oder in den Ofen. Denn das Lesen der verdammten Dichterschnurren und Alfanzereien, behauptete er, habe dem Schwiegervater das Concept verrückt und ihn aus einem zünftigen Meister seines ehrlichen Gewerbes zu einem Hansnarren gemacht, der lauter Dinge sehe, die gar nicht vorhanden seien, und diesen seinen Fratzenspuk vernünftigen Leuten für baares Geld aufhängen wolle.
Dergleichen hörte ich ihn vielfach äußern, ohne es recht zu begreifen oder viel darüber nachzudenken. Mir selbst, obwohl ich die romantische Galerie des Großvaters mit Interesse zu studiren pflegte, wäre doch der Wunsch nie gekommen, dergleichen auch machen zu lernen, und daß ich nicht in die Zeichenstunde durfte, that mir durchaus nicht leid. Was ich an Bildern auf Leinwand oder Papier jemals gesehen, war nicht den hundertsten Theil so schön, wie die Bilder, die ich mir selber ausdachte, sobald ich mit mir allein war.
Denn aller Vorsicht zum Trotz, und obwohl gedruckte Fabeleien unerbittlich aus dem Hause verbannt blieben, hatte ich mich von den frühesten Knabenjahren an mit buntem Märchenkram so vollgestopft, daß mir die Bücher nicht mehr viel zu sagen gehabt hätten. Meine alte Wärterin fing damit an; dann, da ich ihr entwachsen war, machte ich die Bekanntschaft eines curiosen Kauzes, eines Forstgehülfen, dem Niemand ansah, was für ein feiner und abenteuerlicher Geist hinter der struppigen Stirn rumorte. Ich will Sie nicht damit langweilen, verehrter Herr Justizrath, daß ich Ihnen diesen meinen Jugendgefährten zu schildern versuchte, oder Ihnen gar eine Liste machte von den zahllosen Sagen und Geschichten, mit denen er nur zu freigebig meine arme Seele speis'te. Genug, durch einen unglückseligen Zufall wurden die Erziehungskünste meines Vaters so vollständig hintergangen und vereitelt, daß sein einziger Sohn, aus dem er sich so recht einen aufgeweckten, weltläufigen, betriebsamen Geschäftsnachfolger zu ziehen hoffte, noch mit sechszehn Jahren, als er endlich in den väterlichen Laden eintrat, ein heilloser Hans der Träumer war.
Sehen Sie, es will mir so vorkommen, als ob es das Unglück meines Lebens gewesen wäre, daß ich nie gewußt habe, was Langeweile ist. Diese nämlich, wie ich sie von Andern habe schildern hören, muß etwas Aehnliches für den Geist sein, wie der Hunger für unsern leiblichen Theil. Wer seine gehörigen Portionen solider Arbeit zu sich nimmt, der muß, wenn die Ruhezeit verstrichen, neuen Appetit nach geistiger Nahrung empfinden, gerade wie der Magen, sobald er verdaut hat, sich einer gewissen Leere bewußt wird, die man, so lange sie noch nicht wehe thut, Appetit nennt. So entsteht ein sehr zweckmäßiger und gesunder Wechsel von Bedürfniß und Befriedigung, und man kann sagen: wer nie rechten Hunger hat, der weiß auch nicht, was satt werden heißt; wer sich nie langweilt, der arbeitet auch nie. Daß aber auch die geistesstärksten Menschen, die sich eigentlich immer etwas denken konnten, um leere Stunden zu füllen, der Langenweile verfallen, erkläre ich mir so, daß sie meist zu verwöhnt, zu sehr Feinschmecker sind, um nicht lieber zu hungern, als mit schalen Bissen vorlieb zu nehmen, wie man sie in abgeschmackter Gesellschaft zu genießen kriegt.
Aber dies nur beiläufig, und nur um zu sagen: ich habe nie erfahren, was geistiger Hunger ist, weil ich beständig meinen Appetit mit kleiner Naschwaare gestillt habe. Den besten Magen muß es verderben, wenn man ihm immer Zuckerwerk zu verarbeiten giebt, Und so geschah es mir. Wo ich ging und stand, naschte ich allerlei Phantastereien, statt mich zu festgesetzten Stunden redlich zu nähren und dazwischen lieber einmal mich nach Herzenslust zu langweilen.
Mein eigentliches Tagewerk war freilich so strohern und bot dem Geist so wenig Nahrung, daß ich vor mir selbst und auch wohl vor Ihnen, Herr Justizrath, eine Entschuldigung habe, wenn ich es mir mit meiner heimlichen Näscherei versüßte. Hinterm Ladentisch stehen, Kunden ein paar Ellen Leinwand abschneiden, ein Stückchen Seife einwickeln, ein Zahnbürstchen anpreisen und über all diese wichtigen Ereignisse Buch führen –: Sie können mir's nicht verdenken, daß ich diese Wirklichkeiten über die Achsel ansah und daneben die Welt meiner Träume als die bessere Welt beharrlich in meinem Kopfe ausbaute und mit den schönsten Figuren bevölkerte.
Ich hatte es in der Kunst, mich an Hirngespinnsten zu ergötzen, mit der Zeit so unglaublich weit gebracht, daß ich mich jetzt selbst verwundere, wenn ich an diese Märchen hinter dem Ladentisch zurückdenke. Natürlich spielte immer eine schöne Frau, eine Prinzessin oder zum mindesten Gräfin, die Hauptrolle darin (von Feen und Nixen, Melusinen und sonstigen schönen Unmenschen war ich zurückgekommen, seit ich mir einen Schnurrbart stehen ließ). Diese heimliche Gönnerin, die nur mir sichtbar war, besuchte mich stundenlang, während ich scheinbar meine Geschäfte besorgte, und machte, daß mir die angenehmsten Blicke der einkaufenden Honoratiorentöchter, die niedlichsten Stumpfnäschen und rothen Mäulchen sehr ordinär vorkamen. Auch die Unterhaltungen mit den leibhaftigen Be- und Versucherinnen behandelte ich kühl und obenhin. Was mir die schöne Geheimnißvolle zu sagen hatte, war bei Weitem geistreicher, und ich selbst hatte immer die sublimsten Redensarten in Bereitschaft, die ich mich aber wohl hütete an meine Kundinnen zu verschwenden.
Daher kam es, daß ich in der Stadt nicht eben für den Gescheidtesten galt, woraus ich mir blutwenig machte. Ich entzog mich auch so viel ich nur konnte allen realen Lustbarkeiten, Singe-, Lese- und Tanzkränzchen, und war nicht froher, als wenn ich in Feierstunden durch das benachbarte Wäldchen schlendern konnte, wo ich stundenlang die romantischsten Abenteuer erlebte. Manchmal habe ich da auch mit einem Buch ganze halbe Sonntage verträumt, das heißt, ich las nur ein paar Seiten und spann mir dann die Geschichte mehr nach meinem Gusto weiter aus, wobei mir die malerische Kraft meiner Einbildung sehr zu Hülfe kam. Denn sofort sah ich Alles in stattlichen und ganz genauen Gestalten um mich und neben mir, und zwar ohne sonderliche eigene Bemühung, förmlich wie ich's von Visionären habe erzählen hören.
Wenn ich nur etwas mehr Bildung gehabt hätte und dies innerliche Dichten und Trachten mir nicht als eine strafbare Versündigung an meinen Pflichten und Lebenszwecken vorgestellt worden wäre: vielleicht hätte ich so was wie einen Poeten abgegeben und mit der Zeit gelernt, aus der Noth, die meine arme Seele durch dies Ueberwuchern der Phantasie erlitt, eine Tugend zu machen. Ich stelle mir vor, daß die großen Dichter auch so etwas Aehnliches erleben; ihre Träumereien drängen sich ihnen auch so im Wachen auf; aber sie lassen sich dies spukhafte Gesindel nicht über den Kopf wachsen, sondern greifen aus der Menge von Gestalten ein paar heraus, die ihnen am lebendigsten vorkommen, und die bannen sie dann aufs Papier, und die übrigen bleiben draußen. Das giebt dann auch wieder eine ganz gesunde Beschäftigung, da sich der Verstand einmischen muß und es einer gewiß nicht leichten Arbeit bedarf, bis so ein Phantasiegebilde auch nüchternen Menschenkindern greifbar und entweder rührend oder belustigend erscheint.
Ich kam selbst auf den Gedanken, meine Geister auf diese Art zu beschwören. Aber Sie wissen, Herr Justizrath: dazu muß man das Wort wissen, und das hatte ich eben nicht gelernt. Meine Schreibeversuche auf der Schule waren nicht sehr weit gediehen; in der Kladde und dem Cassabuch meines Vaters war auch nicht viel guter Stil zu lernen. Wenn ich daher anfing, so etwas wie eine romantische Geschichte zu schreiben, gerieth ich bald ins Stocken; die Feder hinkte kläglich meinen Erfindungen nach, und ich fand das ganze Geschäft so beschwerlich, daß ich es ruhig wieder aufsteckte und mich damit begnügte, auf freie Faust wie bisher fortzuphantasiren.
Sie werden sich vielleicht wundern, daß mir dies kindische Thun, als welches es Ihnen erscheinen wird, nicht endlich doch entleidete, daß ich immer neuen Stoff fand für meine einsamen Gesellschaftsspiele. Aber es fehlte nicht an neuen Anregungen. Ich wurde vielfach in Geschäften auf Reisen geschickt, und Nichts hilft so sehr der Einbildungskraft auf, als fremde Räume und neue Gesichter. Kam ich in einen Gasthof, so war ich wie in einem Märchenschloß, wo mich aus allen Winkeln seltsame Figuren ansahen. Mit meinen Collegen, denen ich natürlich überall begegnete, und die mich für verrückt hielten, weil ich weder bei der Flasche noch bei Frauenzimmern es ihnen gleichthat, gab ich mich so wenig als möglich ab, ließ mir des Abends mein Fläschchen Wein früh auf mein Zimmer bringen und ergötzte mich daran, durch die Thür alle die Gestalten hereinkommen zu lassen, die jemals hier übernachtet hatten. Ich erlebte da die verschollensten Heimlichkeiten, die lieblichsten und abenteuerlichsten Komödien und ging endlich so aufgeregt zu Bette, als ob ich aus dem Theater gekommen wäre. Desgleichen besuchte ich die Kirchen und Rathhäuser, und wo etwa noch Festungswälle, Thürmchen und Mauerpförtchen bestanden, konnte ich stundenlang dazwischen herumspuken und meine Phantasie auf die Weide schicken.
Schöne Weiber und Jungfrauen hatten natürlich bei alle dem mitzusprechen. So zum Beispiel war es ein fast regelmäßiger Kunstgriff, daß ich mir, sobald ich in ein neues Zimmer kam, vorstellte, wie wohl die allerschönste Frau ausgesehen haben mochte, die jemals in diesen vier Wänden herumgewandelt, auf diesem Sopha gesessen, in jenem Bette geschlafen haben mochte. Ich war durch lange Hebung ein solcher Tausendkünstler geworden, daß richtig immer eine Andere sich mir vorstellte, ganz pünktlich und unfehlbar, melancholische Brünetten mit stolzen Gliedern und in schönen Atlasgewändern, frohäugige Blondinen, die meist leichter bekleidet waren –: Gott weiß, aus welchem Grunde –: und ausgelassen lachten und viel rothen Wein tranken; gepuderte Dämchen mit Schönheitspflästerchen und herzförmigen Mündchen; dann einmal wieder, obwohl ich auf etwas Vornehmes gefaßt war, trat plötzlich eine prachtvolle reiche Bäuerin herein, sehr rund und gesund im Stil der Rubens'schen schönen Niederländerinnen, und schüttete eine volle Geldkatze auf den Tisch, da sie eben eine Schaafheerde verkauft hatte. Und so nahm die Prozession von längst begrabenen schönen Weibern kein Ende.
Danach wird es Ihnen scheinen, als ob ich ein sehr heißblütiger, sinnlicher Geselle gewesen wäre, mit einer rechten Türkenphantasie, die mir nun, da ich ein armer Teufel von einem guten Christen war und kein Harem halten konnte, Alles was gut und theuer war wenigstens aus dem Geisterreich heraufbeschwor. Hierin ist wohl auch etwas Wahres. Gerade weil ich in der Wirklichkeit ein so züchtiger und unverdorbener Jüngling war und von keinem Weibe etwas wußte, flüchtete sich die unterdrückte Natur in mein fabelndes Gehirn und ließ mich da allerlei Naschwerk kosten, das mich, so zu sagen, über den Hunger wegbrachte. Ich war zwanzig Jahre alt und hatte noch kein Mädchen angerührt, keinen Kuß geküßt, keinen schlanken Hals umspannt.
Es war nicht eine besondere Tugendhaftigkeit, daß ich mich so kasteite. Vielmehr, wenn mir Eine wirklich eingeleuchtet hätte, wäre ich nicht blöde gewesen. Aber was ich so rund um mich her von artigen Frauen und Jungfräuleins kennen gelernt, schien mir aus viel zu grobem Stoff, zu wenig appetitlich für einen Feinschmecker meines Schlages, der das Feinste und Ausgesuchteste, so oft er nur wollte, sich in der Phantasie auftischen konnte.
Meinem Vater war diese meine Sprödigkeit gerade recht. Ich sollte ihm nicht zu früh aus dem Geschäft wegheirathen, oder ihm eine Familie ins Haus bringen. Meine Mutter machte sich oft Sorge darüber; sie ahnte, daß es nicht ganz richtig mit mir war. Wie schlimm es stand, wußte sie freilich nicht, denn ich hatte mich wohl gehütet, irgend einen Menschen in mein heimliches Wesen einzuweihen, am wenigsten die gute Frau, die mich für besessen gehalten haben würde –: und freilich hätte sie damit so ziemlich die Wahrheit getroffen.
Daß ich nicht gerade viel kaufmännisches Genie offenbarte, war meinem Vater nicht entgangen. Er meinte aber, daran seien mehr die kleinen Verhältnisse Schuld; in einem größeren Handlungshause, in der Residenz, werde mein etwas linkisches und zerstreutes Betragen sich schon bessern. So that er mich zu einem angesehenen Geschäftsfreunde in der Hauptstadt in Condition, und, ich verließ die Heimath ohne alles Herzweh. Denn leider muß ich bekennen, daß diese übermäßige Cultivirung der Einbildungskraft auf Kosten meines besseren Theils geschehen war, daß meine Gemüthsart etwas Kühles und Unherzliches bekommen hatte und ich keinen wirklichen Menschen so recht leibhaftig liebte, wie ein richtig conditionirtes Gemüth in jungen Jahren doch zu thun pflegt.
Mein neuer Principal in der großen Stadt, der Herr Schneidewin Söhne u. Compagnie, merkte denn auch bald, wie er mit dem neuen Commis daran war. Er hätte mich, da ich in dem viel complicirteren Geschäft mich wegen meiner Traumpinselei total unbrauchbar zeigte, auch sogleich wieder entlassen, mochte aber meinem Papa den Kummer und die Schande nicht anthun und verwandte mich als eine Art Factotum zu allen unregelmäßigen Diensten, zu denen man nur Ehrlichkeit und guten Willen, aber keine kaufmännischen Kenntnisse noch sonderliche Accuratesse bedurfte. Daß ich weder trank, noch spielte, noch Liebschaften hatte und immer recht treuherzig aus den Augen sah, empfahl mich ihm je länger je mehr, und ich selbst machte keine Ansprüche auf Avancement oder höheres Salär, da ich nicht den mindesten Ehrgeiz fühlte, auf der Leiter der Comptoir-Würden nach und nach die obersten Sprossen zu erklimmen. Ich setzte mein altes Leben, das ich wohl füglich dem stillen Trunk, oder einem heimlichen Opium-Essen vergleichen kann, auch in der großen Stadt fort, da für einen Gewohnheits-Phantasten meines Schlages die Coulissen überhaupt gleichgültige sind und er in einer prosaischen Miethkaserne so gut sein Puppenspiel betreiben kann, wie in einer bemoos'ten Ruine oder einer alten Buschmühle im wilden Walde.
Dazu kam, daß die große Stadt –: und vielleicht auch die heranreifenden Jahre –: mir allerlei neue Anregungen brachten, neue Quellen, die aus der Wirklichkeit hervorbrachen und den nach und nach eindorrenden Acker meiner Phantasie erfrischten und neu befruchteten.
Ich sah hier doch auch zuweilen wirklich märchenhafte Figuren voll Glanz und Schönheit, träumte mich in die vorbeirollende Equipage einer realen Gräfin hinein und stieg eine unzweifelhaft greifbar existirende Marmortreppe hinauf, um eine Bestellung meines Principals bei einer in Fleisch und Blut athmenden, von wirklichem Atlas umknisterten Schönheit auszurichten. So kam es, daß mir die Schätze, über die ich durch die Wunderlampe meiner Phantasie gebot, etwas entwerthet wurden, daß die Wirklichkeit anfing mir begehrenswürdiger zu dünken, daß die Sinne das bisherige Naschwerk geschmacklos fanden und sich nach nahrhafterer Kost zu sehnen begannen.
Es sollte ihnen aber ein wunderlicher Streich gespielt werden, zur Strafe für ihre bisherige übersinnliche Aufführung.
Es war etwa zwei Jahre nachdem ich meiner Heimath Valet gesagt hatte, da starben mir meine guten Eltern, beide in der nämlichen Woche. Gott verzeih' mir die Sünde, –: ich selbst habe sie mir nie verzeihen können –:: meine Trauer war sehr mäßig. Daß sie gelebt hatten und nun nicht mehr lebten, war etwas Thatsächliches, womit ich, nach der ersten Befremdung darüber, nicht viel anzufangen wußte. Mein erster Gedanke war: nun brauchst du nicht mehr hinter den Ladentisch zu kriechen, Niemand fragt, wie du deine Zeit todt schlägst oder dein Geld los wirst, die guten Leute, denen du Sorge gemacht hast, sind diese und alle andere Erdensorge los, und so ist allen Theilen geholfen.
Ich berichte Ihnen das, Herr Justizrath, damit Sie an diesem Beispiel sehen, wie sehr meine Krankheit sich schon der edelsten Theile bemächtigt hatte.
Uebrigens verheimlichte ich sie noch vor den Augen der Welt, besorgte ein recht anständiges Begräbniß, vermiethete Haus und Laden vortheilhaft und kehrte mit einem breiten Flor um den Hut in meine Condition zu Schneidewin Söhne u. Comp. zurück, weil ich noch nicht recht wußte, was ich nun mit mir anfangen sollte.
Ich wollte reisen, so viel stand fest, aber das Wohin machte mir noch zu schaffen. Die Japanesen hätte ich gern kennen gelernt, ich hatte Manches über Japan gelesen, was mich sehr reizte. Dann war mir auch Mexico seit lange interessant gewesen, Schweden und Norwegen nicht minder, und für Aegypten hatte ich schon auf der Schule geschwärmt. Ich las nun beständig Reisebeschreibungen, konnte mich aber nicht fest für Eine Himmelsgegend entscheiden, und so war mir ähnlich zu Muthe, wie einem armen Sünder im Mittelalter, der von vier Pferden zerrissen werden soll.
In dieser nicht eben behaglichen Gemüthsstimmung ging ich eines Sonntags spazieren und gerieth auf ein einsames, von der Stadt ziemlich abgelegenes Dörfchen, wo ich mir in der Laube des menschenleeren Wirthsgartens ein Glas Milch geben ließ. Die halbe oder Dreiviertels-Bevölkerung dieser stroh- und schindelgedeckten Häuschen war zur Kirchweih in ein Nachbardorf ausgewandert. Das war mir eben recht; je einsamer je besser.
Wie ich nun meine Augen so verloren über die Dorfgasse hinüberwandern lasse, sehe ich am oberen Fenster eines geringen Hauses ein Mädchen, dessen einsame Lage und die Art, wie es sich die Weile vertrieb, einen ganz märchenhaften Eindruck auf mich machte.
Es war ein sauberes Dirnchen, nicht viel über achtzehn Jahr, mit frischen bräunlichen Wangen, zu denen die hellblauen Augen und das lichtblonde Haar sich recht idyllisch und frühlingsmäßig ausnahmen. Der Anzug war der einfachste von der Welt, da sie außer Hemd und Röckchen der warmen Witterung wegen Nichts auf dem Leibe trug. Aber da sie bei sich zu Hause sich keinen Zwang anzuthun brauchte und keine Ursache hatte, sich ihrer blanken Schultern und runden Arme zu schämen, nahm sich das Alles sehr gut aus. Zumal wie sie mit den Armen aus dem Fensterchen langte, daß ihr die gelben Zöpfe über die Achseln fielen; und dabei lachte sie und zeigte ihre weißen Zähne. Es war nämlich an dem Hause dicht unter ihrem Fenster ein kleines Schild angebracht, auf welchem stand: »Katharina Schlüsselblum, Korbflechterin.« Auf dem oberen Rande dieser hölzernen Tafel spazierte ein großer Rabe mit nachdrücklichem Ernst, wie es diese Vögel an sich haben, hin und her und ließ sich von dem Mädchen mittelst eines zinnernen Löffels sein Futter in den Schnabel stecken. Während er daran schluckte, klopfte sie ihm mit dem Löffel auf den Kopf, oder strich ihm über den glänzend schwarzen Rücken, was ihm ganz angenehm zu sein schien. Dabei sang sie mit einer scharfen, hohen Stimme folgendes Liedchen:
Im Hochsommer ist gut weiben,
Armer Lump, schlag ein!
Muß mir einen Pfaffen verschreiben;
Holder Buhl', ei ja, o du
Bist mein und ich bin dein.
Armer Lump, schlag ein!
Herr Pfaff', ich bleib' nicht ledig,
Armer Lump, schlag ein!
Halt't ein' Dreibatzenpredigt –:
Holder Buhl' u. s. w.
»Wo sind die Hochzeitleute?«
Armer Lump, schlag ein!
–: Das sind die Gräser und Kräuter –:
»Wo ist denn Orgel und Küster?« –:
Armer Lump, schlag ein!
–: Die Vöglein ziehn die Register –:
»Wo soll das Bettlein stehen?«
Armer Lump, schlag ein!
–: Im Hag, wohl unter den Schlehen –:
Wie sie so weit gekommen war, schien sie plötzlich den stillen Zuhörer in der Laube zu bemerken, that einen kleinen Schrei und hörte auf zu singen, fuhr aber in ihrer Fütterung fort und schob nur das Hemdchen über der Brust ein wenig zusammen.
Ich hatte, wie ihr Blick mich traf, meinen Hut gezogen und ihr einen Gruß zugerufen, den sie jedoch überhörte. Auf einmal ließ sie den Löffel fallen, that wieder einen kleinen Schrei und bog sich aus dem Fenster, um zu sehen, wo er lag.
Ich hatte wohl gemerkt, daß der Löffel nicht so ganz von selbst ihr aus der Hand geglitten war. Aber diese kleine dörfliche Koketterie mißfiel mir gar nicht, da ich sie natürlich als auf mich gemünzt ansah. Ich konnte einer solchen Avance nicht wie ein Stockfisch zusehen, sprang also auf und lief über die Straße, wo ich hurtig den Löffel aus dem Staube aufhob. Ich sah zu ihr hinauf, die noch immer im Fenster lag und nun ein bischen roth geworden war. In diesem Augenblick fielen mir alle Märchen von Prinzessinnen, die in Gänsemädchen verwandelt wurden, wieder ein, und ich glaubte unter der Haut dieses Mägdleins das richtige blaue Märchenblut schimmern zu sehen. Eine ungeheure Verliebtheit bemächtigte sich meiner, in wenigen Sätzen war ich das wacklige Treppchen hinauf und trat in die Stube, wo mein Märchen zu Hause war.
Sie that richtig wieder einen kleinen Schrei und wies dabei auf ein altes Weibchen, das im Winkel saß und an einem Korb flocht. Es war ihre Mutter, und erst wie ich eine höfliche Anrede und Bitte um Entschuldigung an die Alte richtete, merkte ich, daß sie stockblind war. Sie machte wenig Worte und ließ mich ruhig mit ihrer Tochter plaudern, die barfuß am Fenster stand, ein bischen verschämt, wegen ihrer Armuth, dazwischen aber wieder so spitzbübisch lustig und übermüthig, daß mir das Herz im Leibe immer stärker klopfte und keine Stunde verging, so fragte ich sie, ob sie mich heirathen wollte.
Sie lachte wieder; das hatten ihr schon Viele gesagt, aber so barfuß und im Hemd, wie sie war, konnte sie es nicht für Ernst nehmen. Auch war es noch Keinem Ernst gewesen; mir aber desto mehr. Als ich nun gar erst einmal ihre gelben Zöpfe zwischen meinen Händen gehabt und sie auf den lachenden Mund geküßt hatte –: Frau Katharine Schlüsselblum flocht dabei ruhig ihren Korb weiter –:, da war kein Halten mehr, und ich verlobte mich ihr mit einem richtigen Eidschwur, wobei sie wieder nur lachte.
Sie glaubte noch immer nicht recht daran, ließ sich aber alles Liebkosen gefallen, auf welches ein richtiger Bräutigam ein gutes Recht hat.
Sie begleitete mich gegen Abend noch eine Strecke den Waldsaum entlang, der Rabe trippelte uns nach, es war so fabelhaft, wie die Sonne dazu unterging und das Haar meines Schätzchens vergoldete, ich meinte, ich wäre ein rechtes Sonntagskind, daß mir so etwas ausbündig Angenehmes passirt sei. Am liebsten hätte ich sie gleich mit mir genommen, das wäre so recht im Märchenstil gewesen. Aber wie wir auf die Landstraße kamen, war ihre Toilette denn doch zu lückenhaft, um sie präsentiren zu können. So entschlüpfte sie mir hurtig, der Rabe kehrte auch mit um, und ich hörte, wie sie zwischen den Fichtenstämmen das Lied von vorhin zu Ende sang:
»Drei Batzen ist mir zu billig«,
Armer Lump, schlag ein!
»Einen halben Gulden will ich –:«
–: Thut Ihr's nicht um drei Batzen
Armer Lump, schlag ein!
Wir frei'n uns wie die Spatzen –:
Holder Buhl', ei ja, o du
Bist mein und ich bin dein –:
Armer Lump, schlag ein!
Sie werden den Kopf schütteln, Herr Justizrath, und mich für complett wahnsinnig erklären, daß ich, obwohl ich eine ganze Nacht Zeit hatte, mir die Sache zu beschlafen, dennoch am andern Morgen steif und fest entschlossen war, aus dieser Narrensposse Ernst zu machen und das Kind, das so anzügliche Lieder sang, zu ehelichen. Werden Sie's glauben, daß noch eine andere Kinderei mich darin bestärkte? Sie hieß nämlich Katharine Lisette, und ich heiße Fritz. Da dachte ich, es sei eine wahre himmlische Fügung, indem ich mich an das Märchen vom Frieder und dem Katherlieschen erinnerte, das Sie bei Grimm nachlesen können. Ich erzählte es auch meinem Schätzchen, und die nachdenkliche Geschichte hätte mich warnen sollen, noch mehr aber, daß sie gar keinen Sinn für solche Geschichten hatte. Ich aber meinte: just weil sie selbst ein Märchenkind ist, macht sie sich nichts daraus. Und so ging das Unglück seinen Gang.
Wie ich meinem Principal die vollzogene Vermählung anzeigte, zog Schneidewin Söhne u. Co. ein langes Gesicht. Aber ich war volljährig und besaß außer meinem Salär die kleine Rente von meinem väterlichen Hause. Auch ist geschehenen Dingen nicht mehr zu rathen.
Ich hatte eine Wohnung vorm Thor genommen und sie recht niedlich möblirt; meine junge Frau brachte mir Nichts zu, als den Raben, indessen sie gefiel mir, wie sie ging und stand; obwohl sie in ordentlichen Kleidern und mit Schuh und Strümpfen lange nicht so hübsch war, wie draußen in ihrer Freiheit. Auch war sie bald nicht mehr so lustig; statt des Lachens gewöhnte sie sich das Gähnen an, da sie in der Gotteswelt nichts gelernt hatte, als auch ein bischen Korbflechten; nicht einmal mit dem Lesen, das ich ihr nachträglich beibringen wollte, um ihr die einsamen Stunden zu vertreiben, kam sie vom Fleck. Sie konnte aber halbe Tage lang am Fenster sitzen und auf die Straße gaffen. Auch fand sich eine und die andere Nachbarin, mit ihr zu schwatzen, so daß mein wunderliches Hauswesen mit diesem thörichten und ganz ungelehrigen jungen Weibe bald in aller Leute Mäulern war. Ich hatte immer für einen Sonderling gegolten; so ging's in Einem hin, so lange der erste süße Most des jungen Eheglücks in meinem Becher schäumte.
Aber als er vergohren war und nun der Trunk herbe wurde –:, lieber Herr Justizrath, es war eine Zeit, von der ich lieber nicht reden will. Sie sind ein Menschenkenner, schon von Amtswegen; Sie können sich's ungefähr ausmalen, wie die Sachen endigen mußten, die so angefangen hatten.
Jetzt wäre mir besser gewesen, ich hätte das richtige Katherlieschen aus dem Märchen zur Frau gehabt. So wäre ich um Hab' und Gut gekommen, aber doch nicht um die Ehre.
Mehrmals schon hatte uns ein sogenannter Vetter meines Käthchens besucht, ein junger Bauer aus ihrem Dorf, der allerlei Geschäfte in der Stadt hatte und seinem Mühmchen immer ein ländliches Präsent in die Küche mitbrachte. Letzteres war mir minder unlieb, als die Person des milden Stifters. Und da ich merkte, daß er sich seiner Vetternrechte allzu frei bediente, ersuchte ich ihn einmal in aller Freundschaft, mein Haus fernerhin nicht mehr zu beehren. Er blieb auch weg, ohne mir das übel zu nehmen; nur mein Weibchen schmollte. In ihren langen Mußestunden sei ihr eine solche Unterhaltung wohl zu gönnen, meinte sie, da ich ja Vor- und Nachmittags im Comptoir säße. Und so kam es denn, daß sie hinter meinem Rücken –:
Kurz, ich mußte zuerst den Vetter eigenhändig aus dem Hause jagen, und dann sein Mühmchen hinterdrein. So nahm die Märchenherrlichkeit ein Ende mit Schrecken. Ich hatte Nichts davon als Spott und Schande, einen baaren Verlust von fast tausend Thalern, bis ich von meinem Katherlieschen in aller Form geschieden war, und den Raben, der bei mir in der Stadt blieb, da er mein gutes Gemüth mehr zu schätzen wußte, als seine falsche und herzlose Herrin.
Aber das hohe Lehrgeld wäre noch zu verschmerzen gewesen, wenn ich nur wirklich etwas dabei gelernt hatte. Leider verrannte ich mich aus Beschämung über das Erlebte, was nicht einmal so unerhört war und in einer großen Stadt so oder so sich täglich ereignet, nur noch tiefer in meine unsinnige Weltabgeschiedenheit, wo ich halbe Tage lang hinsitzen, Grillen fangen, Träume spinnen und Seifenblasen der Phantasie in die blaue Luft hinauswirbeln konnte. Hätt' ich statt dessen versucht, mich im Leben umzusehen und mir die Wirklichkeit, so gut es gehen wollte, zu Nutze zu machen, so wäre mir wahrscheinlich die zweite bittere Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht erspart worden.
Eines Sonntag-Nachmittags –: es war nun Winter geworden, ich saß, immer noch in der Wohnung, die mein kurzes Glück und meine lange Reue gesehen, im kalten Zimmer, da meine Köchin den Ofen hatte ausgehen lassen; der Rabe hockte mir gegenüber auf der Komode und träumte von Regenwürmern und ähnlichen Sommervergnügungen, ich aber simulirte eben wieder über Reisepläne, sah mich auf einen Renthierschlitten gepackt über das Schneefeld hinlaufen und hauchte dabei in meine klammen Fäuste –: auf einmal klingelt es sehr energisch, und wie ich öffne, tritt eine große, schlanke Dame ins Zimmer, nicht mehr in den ersten Zwanzigen, aber recht wohl conservirt, mit dem sinnigen Lächeln und dem sogenannten seelenvollen Blick, die für die entschwundenen Reize der ersten Jugend entschädigen.
Sie bat für ihre Dreistigkeit, mich aufzusuchen, sehr liebenswürdig um Entschuldigung und nannte ihren Namen, den ich hier verschweige, weil sie noch lebt und, obwohl sie unter ihrem Dichternamen bekannter ist, doch auch die Nennung ihres bürgerlichen nicht wünschen würde. Denn sie war eine Dichterin, Herr Justizrath, und nichts Anderes hatte mir die Ehre ihres Besuchs verschafft, als »das Poetische meines Schicksals«, wie sie sich ausdrückte, der »gescheiterte Versuch, die Natur in die Gasluft der Cultur zu verpflanzen«, hoffnungslos, wie all solche Versuche, aber immer schön und ergreifend, wie alles Tragische. Sie habe den Mann kennen zu lernen gewünscht, der eine edle, freie Regung so schwer habe büßen müssen. Sie fühle den ganzen Schmerz einer solchen Enttäuschung mit mir. Auch sie –: wenn auch in anderer Weise –:
Hier brach sie ab, da der Rabe plötzlich ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie gerieth nun vollends in eine Ekstase, die mir höchst sonderbar vorkam, und declamirte eine Menge Verse von einem amerikanischen Gedicht, in welchem ein Rabe die Hauptrolle spielt und eine gewisse Leonore, und jede Strophe mit »Nimmermehr!« endigt.
Als ich ihr zu verstehen gab, daß ich an diesem langathmigen Rabenpoem wenig Gefallen fände, erklärte sie mir, das wundere sie gar nicht. Ich sei eben selber ein poetischer Mensch, der in der Naivetät seines unbewußten dichterischen Charakters für fremde Poesie keinen Sinn zu haben brauche. Desto interessanter sei ich ihr selbst, und sie werde sich erlauben, mich von nun an öfter zu besuchen. Es erfrische ihre Phantasie und ihr Seelenleben, einer so merkwürdigen Psyche, wie der meinigen, zu begegnen.
Mit diesen und ähnlichen vortrefflichen Redensarten verblüffte sie mich dergestalt, daß ich nicht im Stande war, sie mir gleich Anfangs vom Halse zu halten. Ich merkte freilich, daß ich für sie ungefähr eben so interessant war, wie mein treuloses Käthchen für mich gewesen: als Stoff gewissermaßen, aus dem sich etwas machen, dichten, heraus- und hineinphantasiren ließ. Und dies schien mir etwas ehrenrührig. Aber wenn Sie Dichterinnen kennen, Herr Justizrath, so werden Sie wissen, wie schwer man sie sich vom Leibe hält, wenn sie einmal ein Auge auf einen geworfen haben oder irgend einen Zweck mit einer Sache oder Person verfolgen. Männer werden durch die Schreibfeder oft um ihre Thatkraft gebracht; das Weib aber, das sich das Schreiben angewöhnt, scheint sich durch diese Federkraft ordentlich über die Gebrechen ihres Geschlechtes hinauszuschwingen und unternehmend, selbständig und unwiderstehlich zu werden.
Ich.gestehe meine Schwäche: ich widerstand dieser meiner neuen Freundin nicht, sondern ließ mich Schritt für Schritt von ihr einfangen. Um es kurz zu sagen: nach vierzehn Tagen wohnte sie bei mir, schlief in dem Bette meines weggejagten Naturkindes, trank aus Katherlieschens zurückgebliebenem Glase, aß mit seinem Löffel und war eifrig bemüht, wie sie vorgab, den Vereinsamten über seinen Verlust zu trösten.
Sie hatte mich, ehe sie förmlich von mir und allem Meinigen Besitz nahm, ernsthaft gefragt, ob es mir vielleicht unlieb sei, wenn sie mich compromittire. Uebrigens traue sie es einem Phantasiemenschen meines Schlages nicht zu, daß er ein solcher Philister sein und die handgreifliche öffentliche Meinung irgend respectiren würde. Ich hatte erwiedert, es sei mir Alles gleichgültig, und in gewisser Weise müsse ich ihr beistimmen:
Wenn er seinen Ruf verliert,
Lebt der Mensch erst ungenirt, –:
dieses lose Sprüchlein habe mir schon vielfach Trost gewährt; es werde mir auch diesmal durchhelfen.
Uebrigens hätte ich es lieber gesehen, wenn sie etwas philiströser gedacht hätte. Sie war nicht so übel bei näherer Bekanntschaft; aber ein bischen arg aufgeregt und über jede Lumperei in Entzücken. Auch merkte ich bald, daß ihr Phantasiespiel in einer bloßen Geschicklichkeit bestand, wohlklingende Worte an einander zu reihen, bei denen sie wenig dachte und nie das Geringste leibhaftig anschaute, wie es mir doch wenigstens gegeben war. Aber freilich kam es ihr vor Allem darauf an, daß zuletzt Etwas auf dem Papiere stand, während ich nie dieses Verlangen fühlte. Ich mußte sie aber darum beneiden, denn ich sah, daß sie bei dieser Praxis viel besser fuhr. Erstens gewannen ihre Phantastereien niemals Macht über sie, lockten sie nie von der Heerstraße der Weltklugheit, des Erwerbs und eines behaglichen Lebens in guter Gesundheit ab. Sie hätte nie einen dummen Streich begangen, indem sie Märchen und Wirklichkeit verwechselte, wie es mir beständig erging, sondern auch ihre genialen Seitensprünge waren ganz zweckmäßig angeordnet. Daß sie zum Beispiel mir über den Hals kam, brachte ihr erstens einen sicheren Unterstand in einer Zeit, wo es ihr dürftig ging, und dann konnte sie mich Modell sitzen lassen und mich als »Stoff« verarbeiten, wie ich später denn auch richtig, von einem Dritten darauf aufmerksam gemacht, in einem ihrer Romane meiner Wenigkeit wieder begegnet bin, nicht gerade geschmeichelt, aber doch mit einem gewissen mitleidigen Wohlwollen dargestellt. Und freilich war sie mir Manches schuldig geworden und hatte im Grunde kein böses Herz.
Daß sie aber ihren Ruf aufs Spiel setzte, war nicht mehr besonders unklug; ich war, wie ich später hörte, der Erste nicht, den sie compromittirte.
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Ich habe Ihnen gesagt, Herr Justizrath, daß ich nicht wisse, was Langeweile sei. Ich muß das doch berichtigen. In dem Winter, den ich mit dieser meiner geistreichen und phantasievollen Freundin verlebte, habe ich mich manchmal so schauderhaft gelangweilt, daß ich damit gleichsam alle sonst noch nicht erlittene Langeweile in concentrirter Form nachgeholt habe.
Sie las mir nämlich zuweilen, wenn sie besonders gut aufgelegt war, ihre Dichtungen, Novellen, Capriccio's, Reiseeindrücke, und wie das Zeug sonst noch hieß, vor. Lieber Herr Justizrath, hoffentlich hat Sie der gütige Himmel davor bewahrt, etwas Aehnliches zu erleben. Wenn Sie aber auch diese Sorte von geistigen Genüssen kennen gelernt haben, so haben Sie doch schwerlich einen Begriff, wie gerade mir dabei zu Muthe sein mußte.
Die meisten Menschen, die dergleichen sogenannte schöne Literatur zu Gesicht oder zu Gehör bekommen, langweilen sich freilich auch wie die Möpse bei diesen Gedichten, die den tausendmal aufgewärmten Gefühlsbrei wieder einmal umrühren, oder diesen Geschichten, in denen Menschen Dinge erleben, von denen man im Leben nur unter Bekannten ein Wesens macht, und sich dabei in einer Sprache äußern, die nirgend gesprochen wird. Aber so unersprießlich und armselig dies Alles ist, lies't es der gewöhnliche Leser doch mit einer Art Spannung, weil er beständig glaubt, es müsse doch endlich Etwas kommen, was der Mühe lohne, irgend ein Einfall oder eine Wendung, die den Verfasser allerdings berechtigen konnte, die Geduld des Publikums eine gute Weile zu mißbrauchen.
Wenn die Sache dann aus ist und Nichts, aber auch gar Nichts derart sich eingefunden hat, –: nun, so ist auch die Lectüre des betreffenden Opus vorbei und wenigstens das ein Gewinn.
Und dann, Herr Justizrath: die Langeweile der meisten Menschen ist so groß, daß sie schon zufrieden sind, wenn ihnen dieselbe durch eine noch langweiligere Sache für ein paar Stunden vertrieben wird, was man den Teufel durch Beelzebub austreiben nennt.
Ich aber, der ich mich, wie gesagt, früher nie gelangweilt hatte und überdies, als ein Virtuose im Phantasiren, diese jämmerlichen Pfuschereien von vorn herein in ihrer ganzen rettungslosen Schnödigkeit erkannte, –: ich wurde durch meine phantastische Freundin geradezu vernichtet, platt gedrückt, innerlich zu Brei verwandelt und in die helle Desperation getrieben.
Hatte ich all die Jahre unter meiner eigenen krankhaft überspannten Phantasie zu leiden gehabt, so war ich jetzt noch übler daran, als der Märtyrer einer fremden Einbildungskraft, die mehr Einbildung, als Kraft war.
Der Klügste von uns Dreien, die wir in meiner geschiedenen Junggesellenwohnung dies seltsame Familienleben führten, war der Rabe. Er hatte mit gesenktem Kopf, den Schnabel tief unter den linken Flügel gesteckt, die Sonettenkränze, dreistrophigen Lieder der Nacht und das Prosaische über sich ergehen lassen. Als im März die erste wärmliche Sonne schien, benutzte er ein offenstehendes Fenster und kehrte aus der Bildung in die Natur zurück.
Ich beneidete ihn um seine unverfrorene Thatkraft. Ich hätte es ihm so gerne nachgemacht. Aber die sinnige Freundin wußte mich so einzuspinnen, daß nur ein Herkules –: der ja auch bei der Omphale nicht die größte moralische Kraft bewiesen hat –:
Kurz, ich kam nicht los von ihr.
Aber der Zustand, in welchem mich der winterlange Verkehr mit dieser Person versetzte, wurde endlich so erbärmlich, daß es Allen auffiel, nur nicht der Anstifterin selbst. Das wenigstens hatte sie mit wahren und natürlichen Phantasiemenschen gemein, daß sie die Wirklichkeit um sie her nicht im Mindesten interessirte.
Eines Tages rief mein Principal mich in sein Privatcomptoir und sagte ganz freundlich aber ernst: Das geht nicht so fort, mein Bester. Sie müssen heraus aus Ihren ungesunden Verhältnissen. Ich will die Sache gar nicht vom sittlichen Gesichtspunkt betrachten; für mich existirt solcher Schnack nicht; sittlich ist Alles, was nicht mehr kostet, als es werth ist. Ich weiß nun nicht, welchen Werth Sie auf diesen intimen Umgang legen; jedenfalls aber wird Ihr Leben Ihnen doch zu theuer sein, und das setzen Sie dabei zu, in jeder Weise; Sie ruiniren sich, mein Freund; ich bin es Ihrem sel. Vater schuldig u. s. w. Also wissen Sie was? In Kairo habe ich meinen brustkranken Schwiegersohn sitzen, der jetzt so weit ist, daß er wieder nach Hause darf. Ich möchte ihm aber auf alle Fälle einen zuverlässigen Reisegefährten geben, und dazu habe ich Sie ausersehen, mein Lieber. Wollen Sie die Reise machen, so können Sie morgen schon abdampfen. Ueberlegen Sie sich's. Es ist zu Ihrem Besten. Inzwischen findet sich etwas Anderes. Und somit, ohne Anlaß zu Mehrerem –:
Ich konnte Schneidewin Söhne u. Comp. nur meinen Dank und meine Hochachtung ausdrücken. Dies war in der That ein Durchhauen des Netzes, in welchem ich zappelte, wie ich es mir umsonst erfleht hatte. Und dann –: ich sollte den Orient sehen –: Tausend und Eine Nacht stieg vor mir auf –: ich war ganz wirblig vor Wonne.
Seltsamerweise kostete es mich auch »zu Hause« keinen besonderen Kampf. Die ahnungsvolle Seele meiner Dichterin schien auf eine Trennung aus diesem oder einem anderen Grunde gefaßt zu sein, und da sie mit der Verarbeitung meiner Person für ihre literarischen Zwecke im Stillen fertig geworden war, auch das Honorar für mich, ich meine, für den Roman, in welchem ich mitspielte, ihr eine Weile zu leben gab, hatte sie nichts dagegen einzuwenden, daß wir unsere Trennung mit eben so viel Gemüthsruhe bewerkstelligten, wie vor sechs Monaten unsere Vereinigung.
Das Abschiedsgedicht freilich, das sie mir nach Triest nachschickte, war so herzzerreißend, daß jeder Dritte geglaubt hätte, sie habe sich bei dem gewaltsamen Schnitt durch ihr tiefstes Leben, als ich sie verließ, beinah verblutet.
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Aber ich merke, Herr Justizrath, es kann in diesem Stil nicht fortgehen; Sie haben bessere Dinge zu thun, als sich mit meinen Privatangelegenheiten so ausführlich zu befassen, und wenn es mir, da ich jetzt ja ganz geschäftslos bin, fast eine Art Vergnügen macht, die Geschichte meiner Verkehrtheiten niederzuschreiben, so sind die abgeschmackten Einzelheiten, wie sie mir nachträglich alle wieder einfallen, doch weder ergötzlich, noch für die Hauptsache, um die es mir Ihnen gegenüber zu thun ist, von Wichtigkeit. Erlauben Sie mir nur noch mit ein paar Worten anzudeuten, wie es mir nun in dem Lande meiner Träume erging, und dann zum Ende!
Das Sonderbare war nämlich, daß ich eine ungeheure Täuschung da drüben erfuhr. Ich weiß nicht, ob Sie je im Orient waren. Jedenfalls können Sie sich ungefähr einen Begriff machen, wie einem Menschen, der alle Schätze ans der Höhle Xara und alle Gülnares und Fatimes beständig gratis zur Disposition gehabt hatte, in dem lauten, staubigen, grellen und kostspieligen Gewimmel eines wirklichen Bazars zu Muthe sein mußte, während seine Neugier um undurchdringliche Harems-Mauern herumschnoberte und seine Abenteuerbegierde durch allerlei schaurige Histörchen niedergeschlagen wurde.
Ein junger Maler, der mit mir reis'te, fand Alles wundervoll. Er griff immer gleich zu, wo ihm ein farbiger Fetzen Wirklichkeit vor die Augen kam, und füllte seine Skizzenbücher. Ich aber fand alles Einzelne weit unter meiner Erwartung, und nur die Wüste, wo eigentlich Nichts zu holen war, wo ich aber wieder mich selbst empfand und die Gaukeleien meiner Einbildung spielen lassen konnte, erregte mir ein unsäglich wonniges Gefühl und ein Heimweh heute noch, wenn ich nur ihren Namen ausspreche.
Eigentlich hätte ich froh sein sollen, daß ich durch tiefe Reife von einer Illusion geheilt worden war. Da ich nun wußte, daß die berühmte Fata Morgana, von nah besehen, ein blauer Dunst ist und zu meinem Glück durchaus nicht beitragen konnte, lag es nahe, mich nun endlich –: alt genug war ich dazu –: aller blauen Dünste überhaupt zu entschlagen und mein Glück einmal im herzhaften und herzlichen Angreifen der wirklichen Welt zu suchen, statt immer in allerlei unpraktischen Luftschlössern zu hausen und darüber den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Sie sehen, verehrter Herr, ich kannte sehr gut den Sitz meines Uebels. Aber was wollen Sie? Ein Säufer weiß auch, daß sein Durst aus der Leber kommt, und daß ihm Wasser zuträglicher wäre, als Rhum; aber kranke Menschen haben auch einen kranken Willen.
Wie ich wieder zu Hause war, hatte ich Nichts gewonnen, nur Etwas verloren. Doch nein, ich gewann so viel, daß mich mehrere Jahre die alte Reiselust ganz in Ruhe ließ. In den kahlsten und ödesten Gegenden meiner sehr gemäßigten Zone kam mir wieder das alte Behagen an mir selbst und meinem inneren Bilderkram. Ja, auch die Gülnaren und Fatimen, die mir unten in Aegypten niemals begegnet waren, stellten sich jetzt wieder ein, und ich sprach ein gebrochenes Arabisch mit ihnen, so gut ich's in den sechs Wochen da unten gelernt hatte.
Auf die Länge aber konnte dies Treiben unmöglich fortgehen, ohne sich auch leiblich an mir zu rächen. Ich fiel in der That in eine Nervenkrankheit; meine Bekannten sagten, es sei ein latenter Sonnenstich, den ich in der Wüste bekommen hätte; einen Stich hätte ich ohnehin schon immer gehabt, nun sei der noch dazugekommen.
Ich weiß nicht, ob ich wirklich übergeschnappt war, aber daß ich hauptsächlich durch zweckmäßige Behandlung mit Sturzbädern wieder curirt wurde und in der Heilanstalt ein paar Kameraden fand, die sich ebenfalls einer etwas absonderlichen Gemüthsart erfreuten, das weiß ich gewiß.
Nach einigen Monaten, als ich entlassen werden konnte, nahm mich der Arzt beiseite und empfahl mir außer einigen heilgymnastischen Exercitien ernstlich, daß ich einen eignen Hausstand gründen möchte. Als Hagestolz würde ich in Kurzem wieder genau da halten, wo ich mich befunden, als ich in seine Hände kam.
Ich nahm mir das zu Herzen, und wirklich fand sich sehr bald eine Partie, die wie für mich geschaffen schien.
Es war das ein nicht mehr blutjunges, aber gar nicht übles Mädchen, die Tochter einer Wittwe, nicht reich und nicht arm. In der langen Pflege eines kranken und grilligen alten Vaters hatte das Kind Geduld und Entsagung und alle die Tugenden gelernt, die ein selbstsüchtiger Mann, wie alle mehr oder minder, am meisten aber die Phantasten sind, an seiner Ehefrau nur wünschen kann. Als ich sie etwas näher kennen gelernt hatte, muß ich mir's zur Ehre nachsagen, daß sie mich dauerte. Ich sagte es ihr ehrlich, es sei Schade um sie, wenn sie mich nähme. Aber das edle, großherzige Geschöpf wollte nun erst recht nicht von mir lassen, und so thaten wir, was uns Beide reuen sollte, und wurden Mann und Frau.
Nun kommt die Zeit meines Lebens, Herr Justizrath, an die ich nur mit stillem Grauen zurückdenken kann. Ich Narr, ich Frevler, ich Mörder! Statt Gott zu danken, daß er mich meine Thorenstreiche bisher nicht schwerer hatte büßen lassen, sondern mir ein Weib beschert hatte, mit der selbst ein viel Besserer, als ich, von Herzen hätte glücklich werden können, statt dessen fing ich schon in den Flitterwochen an, das gute Wesen mit meinen wahnsinnigen Phantasiesprüngen zu quälen. Was sie hatte und besaß, that und vermochte, –: das Alles galt mir nichts. Ich stellte mir gleich daneben, wie sie eigentlich beschaffen sein könnte und sollte, in der rasendsten Verblendung darüber, daß auch das mich nicht zur Ruhe kommen lassen, sondern nur zum Ausklügeln neuer Möglichkeiten anstacheln würde. Was ich in der schönsten und liebevollsten Wirklichkeit in der Hand hielt, war mir werthlos gegen meine üblichen Einbildungen; ich Rasender, ich hatte die Taube in der Hand und haschte nach Spatzen auf den Dächern.
Gott weiß, woher sie so viel geduldige Liebe nahm, um mich trotzdem nicht aus ihrem Herzen auszustoßen. Erst als die Kinder geboren waren, –: ein Junge und ein Mädchen –: und ich auch die nicht einfach hinnahm, wie sie nun einmal waren, da merkte ich, daß ihr Mutterstolz sich aufbäumte; da sagte sie mir die ersten bitteren Worte. Aber das warnte mich noch nicht.
Und freilich, alles Gewarntwerden wäre an mir so verloren gewesen, wie an einem Schieferdecker, der eben vom Thurm fällt. Vor dem Hinaufsteigen hätte davon die Rede sein können.
Ich hätte mir sagen sollen, daß ich nicht zum Gatten und Vater tauge. Die Frauen, Herr Justizrath, gerade die guten Frauen –: Alles können sie vertragen, nur nicht daß man es mit ihnen nicht ernst nimmt, die Welt, in der sie sich herumdrehen, nicht als eine Wirklichkeit, die man bald lieben, bald hassen müsse, gelten läßt, sondern noch daneben, dahinter, darüber und darunter etwas Anderes kennt, wovon sie Nichts wissen oder Nichts wissen wollen. Frauen sind die größten Realisten, man mag sie noch so himmlisch, ätherisch, übersinnlich finden, im Ernst oder aus Galanterie. Eine Frau, die Phantasie hat oder das Phantastische wenigstens versteht, ist so selten wie das Einhorn oder der Vogel Phönix.
Das macht, sie sind so viel mehr, als wir, von der Natur gebunden. Wenn sie einmal darüber hinaus streben und ihr Element verlassen, das ein rüstiges Angreifen und Bezwingen von lauter ganz positiven Aufgaben ist, sieht das so ängstlich unnatürlich aus, wie wenn ein Fisch auf dem Trocknen zappelt.
Sie werden sich vielleicht wundern, Verehrtester, daß ich das Alles so klar einsehe und mich doch nicht klüger aufgeführt habe. Aber zum Theil ist mir's erst hernach aufgegangen, als das Uebel schon geschehen war; zum Theil sagte ich mir's noch beizeiten, war aber dennoch zu fest in meinen schlechten Gewohnheiten verrannt, um sie noch abschütteln zu können.
Das gute Wesen litt unter meiner Unfähigkeit, ganz selbstverständlich und naiv Alles zu nehmen, wie der Tag es mit sich brachte. Sie konnte mit dem besten Willen nicht fassen, warum ich, wie sie es nannte, für Nichts ein rechtes Herz hatte, mich weder ärgerte noch grämte, weder haßte, noch –: und das war freilich das Schlimmste –: liebte, wie sie es verstand, sondern das Leben in der Ehe nur wie ein Bilderbuch mehr ansah, in welchem ich blätterte. Ich erzählte ihr von meinen jüngeren Jahren, und wie hernach Alles gekommen war. Ich setzte ihr auseinander, meine Krankheit bestehe in nichts Anderem, als was sie selbst an sich erlebe, wenn sie träume, wo sie doch auch mit sonderbarer Gleichgültigkeit allerlei Verbrechen oder Wagnisse begehe, von Einem zum Andern abspringe und, außer einem gewissen beklommenen Grauen, das sich manchmal aus körperlichen Ursachen einmische, kaum eine recht feste und ernstliche Empfindung habe.
Diese Erklärung trug nur dazu bei, mich ihr noch unverständlicher und unheimlicher zu machen. Ihr graute davor, daß sie selbst und ihre Kinder und das Häuschen, wo wir wohnten, und der gute Kuchen, den sie an Festtagen zu backen pflegte, und die Tasse, die zerbrochen wurde, –: daß dies Alles in meinen Augen keinen höheren Werth haben sollte, als ein Schattenspiel, wie man es vorbeijagen sieht, wenn man die Augen geschlossen hat und vom Bewußtsein nur noch eine Dämmerung in einem fortglimmt.
Eine Tasse, die zerbrochen wird –: wenn es nichts Werthvolleres gäbe! Aber nun ein Kind, das einem wegstirbt, und der Vater steht dabei und es ist ihm nur etwas »beklommen« dabei zu Muth, der Alp des Traumes lastet nur etwas banger auf seiner Brust, aber der eigentliche scharfe Stachel des Jammers, der die Brust der Mutter zerreißt und die Quelle endloser Thränen aufritzt, –: der ist ihm stumpf geworden; er streichelt das nasse Gesicht seiner Frau, aber seine Hand ist weder heiß noch eisig; er geht so weit, daß er, noch ehe das geknickte Blümchen aus den Augen ist, die unglückliche Mutter sogar zu trösten versucht! Lieber Herr Justizrath, das vergiebt und vergißt keine Mutter. –: –:
Seitdem lebte die Aermste nur für ihr anderes Kind, den Knaben, der zum Glück seinem Vater sehr unähnlich war. Alle Liebe, die sie einmal für mich und dann noch für das todte Mädchen gefühlt hatte, übertrug sie jetzt auf diesen Einzigen, mit einer förmlich krankhaften Leidenschaftlichkeit. Zuerst mischte sich etwas wie Trotz und Herausforderung gegen mich mit ein: sie wollte mir gleichsam zeigen, wie man lieben könne und müsse; vielleicht auch hoffte sie noch im Stillen, eine Art Eifersucht in mir zu erwecken. Als dies nicht gelang, ich vielmehr ihrer unsinnigen Vergötterung des Kindes allen Vorschub leistete, weil ich fühlte, ich selbst konnte ihr Nichts sein, da verwandelte sich ihre Entfremdung von mir in einen förmlichen Abscheu, etwa wie wenn ein warmblütiges Geschöpf sich mit einem Amphibium gepaart findet und bis ins Mark zusammenschaudert, so oft es zufällig seine kühle Haut anrührt.
Mir that das leid genug. Ich schätzte und liebte diese Frau sehr, so viel es mir überhaupt möglich war. Aber eben darum war ich's zufrieden , daß sie nun wenigstens an dem Knaben ihre Wonne und ihren Stolz hatte, und sorgte dafür, ihr möglichst wenig meine verhaßte Person aufzudrängen, so daß ich nun wieder ganz wie in ledigen Tagen mein einsam phantasirendes Wesen trieb und die Meinigen oft eine ganze Woche lang nur so im Vorübergehn zu sehen bekam.
Der Junge war zwölf Jahre alt geworden, ein prächtiger Bursch; ich war sehr stolz darauf, daß er mein war, und es kränkte mich, wie wenig er sich aus mir machte. Aber aus Rücksicht auf die Mutter, die ohnehin unglücklich genug war, unterließ ich Alles, was ich hätte thun können, mir den Knaben zutraulicher zu machen. Ich dachte, später werde sich das von selbst ergeben. Wenn ich jetzt einsam herumstrich, über Feld oder auf kleinen Geschäftsreisen, –: immer hatte ich den Jungen in Gedanken neben mir und benahm mich recht väterlich zu ihm, unterrichtete ihn oder amüsirte ihn, je nachdem. Es war mir oft wehmüthig und dabei fast spaßhaft, daß er selbst nicht ahnte, wie gern ich ihn hatte, und durch die Brille der Mutter mich für einen gemüthlosen Menschen, einen wahren Rabenvater hielt.
Eines Sonntags so gegen Abend hatte ich gerade ein besonderes Verlangen, den lieben Jungen wiederzusehen; oder war's eine Ahnung, was mich früher als gewöhnlich von meiner Landläuferei nach Hause trieb? Ich wunderte mich, daß ich auf der Straße allerlei Leute stehen und nach unsern Fenstern hinaufschauen sah, aber es fiel mir doch nicht ein, Jemand zu fragen, und von selbst mochte mir Keiner etwas sagen, da ich eben ganz fröhlich heimkam. Ich steige also die Treppe hinauf und merke noch immer Nichts, auch wie ich oben alle Thüren offen stehen sehe. Ich trete in die Wohnstube, –: da wußte ich auf einen Blick Alles.
Der Knabe lag in seinem Turnanzug auf dem Sopha, die Mutter kniete vor ihm auf dem Teppich; Beide rührten sich nicht. Er war todt; ihre Seele war bei ihm.
Er hatte ein Turnfest mitgemacht und bei einem Sprung einen Fall auf den Kopf gethan; es war gleich aus mit ihm gewesen.
So hatten sie ihn der armen Frau nach Hause gebracht, Aerzte waren gekommen und mit Achselzucken wieder gegangen, das Gewimmel der Neugierigen und Theilnehmenden hatte sich wieder verlaufen, da ja auch Sonntag war und Jeder für den Abend noch irgend eine Lustbarkeit vorhatte, überdies die Frau Alles abwehrte und stumpf und steinern, selbst ohne eine Thräne, vor ihrem Liebling kniete.
Sie überhörte sogar mein Hereintreten. Ich stand wohl eine halbe Stunde hinter ihr und stierte in das blasse Knabengesicht, das ich den ganzen Nachmittag rothwangig und mit seinen klugen, feurigen Blicken neben mir gesehen hatte, das mich in der Wirklichkeit immer so scheu und befremdet anblickte, und das nun nie mehr lächeln und seinem Vater auch einmal liebevoll zunicken sollte. Dieser grausige Wechsel des Geschickes übermannte mich dermaßen, daß ich fürchtete, ich würde wieder verrückt werden. Ich hatte die größte Mühe, das auseinander zu halten, was Wahrheit und Einbildung war, mich zu überzeugen, daß ich in diesem Augenblick nicht etwa träumte, sondern dies unerhörte Schreckniß in der That erlebte. Der Angstschweiß trat mir auf die Stirn, ich war einer Ohnmacht nahe, so furchtbar überreizte mein erbarmungswürdiges Grübeln meine armen fünf Sinne, mechanisch griff ich nach einer Wasserflasche, die auf dem Tische stand, um mir ein Glas einzuschenken.
Das Klirren der Karaffe weckte die Frau aus ihrer Erstarrung. Wie sie sich umwandte, sah sie mich trinken. Sie ahnte nicht, wie mir zu Muthe war, sie sah bloß, daß ich, wie wenn ich einer kleinen Erfrischung bedürfte, das Glas an die Lippen setzte.
Ungeheuer! rief sie mit einem Ton, der mir durch Mark und Bein drang. Unmensch! Geh hinaus! Hinaus aus diesem Zimmer, aus der Nähe dieses –: Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Sie war in die Höhe gesprungen und auf mich zugestürzt wie eine Wahnsinnige. Sie wollte mich offenbar mit Gewalt hinaustreiben, damit meine kaltsinnige Gegenwart ihre Todtenfeier nicht entweihte. Aber die Kräfte verließen sie. Mit einem Stöhnen, wie wenn sie selbst den letzten Odem aushauchte, brach sie zusammen und verlor das Bewußtsein.
Ich bemühte mich wohl eine Stunde lang umsonst, sie ins Leben zurückzurufen. Eine alte Frau aus der Nachbarschaft kam mir endlich zu Hülfe. Sobald die Aermste sich wieder auf sich besann und mich an ihrer Seite sah, verzerrte sich ihr Gesicht zu einer Geberde des tiefsten Entsetzens, ihr verfärbter Mund wollte etwas stammeln, sie brachte aber keinen Ton heraus, sondern winkte nur hastig und wie eine tödtlich Geängstigte, daß ich sie verlassen sollte.
Ich mußte ihr wohl gehorchen, ich sah, daß ihr Zustand sich nicht besserte, so lang ich blieb, die Nachbarin versprach mir, ihr beizustehen. Ich warf noch einen verzweifelten Blick auf den stillen Knaben, dann floh ich in meine Schlafkammer.
Nach einer Stunde brachte die Alte mir Botschaft. Es habe sich gebessert mit der Frau, sie habe zu Bett verlangt, geweint habe sie noch immer nicht, aber es sei das natürlich, und morgen werde sich Alles finden.
Ich beschwor die Frau, in der Wohnung zu bleiben und während der Nacht ab und zu nachzusehen; ich selbst getraute mich nicht wieder hinein. Ich schloß freilich kein Auge. Aber auch ich hatte keine Thränen; das Unheil war zu märchenhaft, um mir schon zu Herzen zu dringen.
Alles blieb still. Ein paarmal vor Mitternacht hörte ich die Alte, die sich in der Küche gebettet hatte, über den Gang schleichen und hineingehen. Dann mochte der Schlaf sie übermannt haben.
Ich hörte die Stunden der Nacht schlagen –: zwei –: drei –: vier. Ich widerstand nur schwer der schauerlichen Sehnsucht, aufzustehen und das Gesicht meines Knaben zu betrachten. Aber ich fürchtete, den Schlaf der Mutter zu stören. Fünf hörte ich nicht mehr schlagen. Aber um sechs Uhr riß mich aus dem kurzen Schlummer die Stimme der alten Nachbarin auf! ich sollte rasch kommen, die Thür drüben sei von innen versperrt, auf alles Klopfen und Rufen bleibe es still; wenn nur nicht die Frau –:
Ich war im Nu an der Thür, aber sie widerstand auch meinem Rütteln und Hämmern. Die Alte lief nach einem Schlosser. Bis er kam, stand ich wie ein Narr vor der Schwelle, hinter der wieder ein Räthsel meines Lebens seine schauerliche Lösung gefunden hatte.
Ich weiß es noch wie heut, wie mir zu Muth war, als der Geselle eine Weile gelärmt hatte, um das feste Schloß abzubrechen, das von innen verriegelt war, und auf einmal, da die letzte Schraube abfiel, ging die Thür ganz lautlos auf, und nun galt es hineinzutreten. Das Grauen hätte mich entseelt, wenn mir nicht immer eine Stimme zugeraunt hätte: dies ist ja Alles nur ein Traum; wie kann so etwas Unmenschliches, heimtückisch Böses und Finsteres am hellerlichten Tage sich zutragen!
Und so trat ich hinein und sah –:
Aber Sie erlassen mir wohl das Weitere.
Ich habe es ohnehin immer vor Augen. Meiner unseligen Phantasie ist dieses Bild so unauslöschlich eingegraben, daß es sich zwischen alle lebenden Gestalten drängt und mir am Mittag die Sonne verfinstert und meine Nächte taghell macht.
Zum Glück verließ mich nun auch die Besinnung. Wer die Unglückliche von dem Fenster, um dessen Griff sie den Knoten geschlungen, abgenommen, wer die Aerzte herbeigeholt und alles Uebrige gethan, was ganz umsonst war, –: ich weiß es nicht. Als ich wieder zu mir kam, war es schon entschieden, daß keine Rettung mehr sei.
Ich wankte in das Zimmer, wo man sie Beide neben einander aufgebahrt hatte. Der Knabe lag da mit einem friedlichen Gesicht, wie ein Schlummernder. In den Zügen der Mutter glaubte ich etwas wie eine wilde Schadenfreude zu lesen, oder wie eine trotzige Genugthuung, daß sie mir nun entkommen sei, oder die boshafte Frage: Nun, du Fischblut? Was empfindest du jetzt? Ist dir dies auch nur ein Gaukelspiel der Phantasie, eins der wechselnden Schein- und Schattenbilder dieser Welt, die dir nicht mehr Kummer schaffen, als ein schlechter Traum?
Ich gestehe Ihnen, Herr Justizrath: es war mir in allem Elend lieb, daß ich die Antwort schuldig bleiben durfte. Denn mitten durch das bitterwehe Gefühl, diese beiden Leben seien nun unwiederbringlich verloren, ich würde von dem Knaben nie ein herzliches Wort vernehmen, niemals die Augen dieser Frau mit einem milderen Ausdruck, versöhnt und theilnahmvoll wie einst, auf mir ruhen fühlen –:, mitten in der dumpfen Betäubung über einen so jähen Doppelstreich des Schicksals verwandelte sich mir, was ich mit Augen sah, zum Bilde, in welchem ich selbst einen Platz einnahm; es lös'te sich von mir ab, als ob es nicht mein Geschick wäre, sondern es würde in irgend einem Theater ein solcher letzter Akt eines schauderhaften Trauerspiels vorgestellt, und ich hätte mein Billet bezahlt, um mich davon erschüttern zu lassen.
Sie werden mich verdammen, verabscheuen, für einen entmenschten Wilden halten, nach diesem Geständniß: ich weiß nicht, was ich war und bin, nur daß mir kläglicher dabei zu Muth war, als wenn der Schmerz mich wie ein gewappneter Mann überfallen und mir Ströme von blutigen Thränen aus den Augen gepreßt hätte.
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Es ist nun gleich zu Ende, Herr Justizrath. Was nun folgt, steht ja auch großentheils in dem ersten Protocoll, das bei den Akten liegt.
Ich bin nämlich eine ganze Woche nach dem Begräbniß nicht aus dem Hause gegangen; die Leute, dacht' ich, zeigten alle mit Fingern auf mich: da geht der Mörder! So was ist nicht auszuhalten, selbst wenn einem die Hände vom Blute rein sind.
Zu Hause war's freilich auch, nicht schön. In eine gewisse Ecke durft' ich nun gar' nicht blicken; aber auch wenn ich in meiner Schlafkammer blieb, –: ich sah doch, was ich nicht sehen wollte.
Und dabei nicht einmal weinen können! Ich wollte so gern mich selber rühren, indem ich mir alles Gute vorstellte, was in dieser Frau verborgen war, und alle Hoffnungen, die mit dem Knaben hingestorben waren. Aber gerade wenn ich die Thränen kommen fühlte, stieg auch wieder das Spukbild vor mir auf, der Knabe kalt und starr auf dem Sopha, und daneben, am Fensterriegel, mit ihrem eigenen Strumpfband –:
Oh, Herr Justizrath, das ist schauderhaft, wenn man vor Grauen und Zähneklappern sich nicht einmal grämen kann!
Nun, ich dachte, es müsse endlich auch mit mir zu Ende gehen, wenn ich in diesem Zustand bliebe. Aber mein Principal kam eines Morgens zu mir und redete mir ins Gewissen. Schämen Sie sich, sagte er; ein Mann in Ihren Jahren –: und was können Sie dafür? Die Frau war schwermüthig, das kommt von dickem Blut, und dickes Blut kommt vom Stillsitzen. Sie haben auch wieder zu lange still gesessen. Wissen Sie was? In Dresden bei Feigenhorst's sel. Wittib u. Compagnie habe ich was für Sie zu thun, Sie machen sich augenblicklich auf und reisen. Es ist ein Auftrag, wozu man weder viel Verstand, –: denn den haben Sie gerade nicht übrig in diesem Augenblick –: noch besondere Munterkeit braucht; nur Treu' und Redlichkeit bis an das kühle Grab.
Und nun sagte er mir, um was sich's handelte. Zehntausend Thaler in holländischen Ducaten waren abzuholen; wie es kam, daß eine solche Summe in Gold durch die Hände von Schneidewin Söhne und Compagnie ging, wird Ihnen so gleichgültig sein, wie mir selbst.
Also nach Dresden, noch denselbigen Tag.
Es hatte gar keine Schwierigkeiten, daß mir Feigenhorst's sel. Wittib das Geld auslieferte. Man kannte mich als den Vertrauensmann von Schneidewin Söhne und Compagnie, und so bekam ich das viele Gold und mußte noch ein Glas Wein mit dem ersten Buchhalter trinken, und er fragte nach meinen Familienverhältnissen.
Ich erzählte ihm davon, was ich für gut fand. Aber unterm Erzählen stieg mir das Haar wieder zu Berge. Jetzt wieder in die Wohnung zurück, wo diese Gespenster herumspukten –:!
Ich brachte es nicht übers Herz. Und warum auch? Was hatte ich dort zu suchen? Was überhaupt in der Welt zu suchen, das nicht jeder Andere –: Und dann, mein Kopf fing schon wieder an so seltsame Risse zu kriegen, wie damals, ehe sie mir die Douchen applicirten. Ich merkte, daß ich manchmal lachte, wo nicht gerade was zu lachen war. Dann sagte ich mir das große Einmaleins her, darauf wurde es besser. Aber so recht konnte ich dem Frieden doch nicht trauen.
Und nun Abends im Gasthof, wie ich die Masse Gold in meinen Handkoffer packte –: Ich bin gewiß nie habgierig gewesen, Herr Justizrath. Aufs Erwerben war ich so wenig erpicht, wie aufs Zusammenhalten. Ich hatte ja alle Schätze der Welt, so bald ich mir's nur vorstellte. Aber wie ich da so im Golde wühlte und mir dachte: du wärst jetzt ein ganz freier Mann, wenn du das hättest, du brauchtest nicht zu den Gespenstern zurück, bis Mexico könntest du oder bis Californien und da noch einmal so viel aus der Erde graben oder aus dem Fluß waschen –:
Herr Justizrath, Sie halten mich nicht für einen Schuft; so wahr ein Gott im Himmel lebt: ich dachte nicht daran, daß es Unrecht sei, mit dem Golde das Weite zu suchen. Zum Ueberfluß hatte ich ja mein väterliches Haus. Noch an demselben Abend setzte ich mich hin und schrieb an Schneidewin Söhne u. Comp., daß ich dieses mein Haus ihm als Pfand ließe, oder wenn er lieber wolle, könne er es auch gleich zu Gelde machen, übrigens würde ich ihm von San Francisco aus das ganze Capital sammt Zinsen –:, und so weiter –:
Und andern Morgens reis'te ich richtig ab. Mein Principal erwartete mich erst in acht Tagen; ich hatte mich ein bischen zerstreuen und noch allerlei Bagatellgeschäfte nebenher abwickeln sollen. Ich hätte also die schönste Zeit gehabt, mich bis ans Ende der Welt zu retiriren. Statt dessen fuhr mir eine alte Schnake durch den Kopf: ich wollte den Umweg nicht scheuen, um in Blaubeuern den berühmten Blautopf zu sehen, von welchem ich eine so schöne Geschichte gelesen hatte, von der Nixe Lau und anderen curiosen Abenteuern.
Also nahm ich meinen Weg nach Süden, statt etwa nach Hamburg oder Bremen, und dann directe nach dem Goldland. Der Blautopf lag mir Tag und Nacht im Sinn, und nur wenn ich an ihn dachte, sah ich meine Spukgestalten nicht und fand einigen Schlaf, der mir sonst mehr und mehr abhanden kam.
Ich weiß nicht, ob Sie Blaubeuern kennen, Herr Justizrath. Es ist nicht eben Viel daran zu sehen, ein kleines schwäbisches Nest, wie es viele giebt; aber der Blautopf ist nicht zum zweiten Mal auf der Welt, und die berühmte italienische blaue Grotte –:
Uebrigens ist das Geschmackssache. Die Grotte sah ich am hellen Mittag in Gesellschaft von Franzosen und Engländern, den Blautopf ganz allein, von Abend bis Mitternacht.
Das war nämlich am ersten Tag, als ich kaum im Gasthof abgestiegen war und meinen Handkoffer mit dem vielen Gold verschlossen hatte. Am folgenden Morgen war ich gleich mit Tagesanbruch wieder an Ort und Stelle, und nur zum Essen ging ich auf eine Stunde in die Stadt zurück. Die Leute hielten mich für einen verrückten Engländer, während ich doch gerade darum so hartnäckig auf meinem Posten saß, um nicht verrückt zu werden.
Denn es ist höchst seltsam, Herr Justizrath: so lange ich in den klaren Spiegel dieses kleinen Weihers blickte, die Perlen beobachtete, die sich an dem Holzwerk und den Steinen im Grunde ansetzten, und wie der Schatten der Bäume ringsum die milchblaue, krystallhelle Farbe nicht zu verdunkeln vermochte, auch Gewölk oder Sonnenschein den Spiegel nicht veränderte, –: da wurde mir so wohl, wie nie in meinem Leben. Ich weiß es selbst nicht zu erklären, aber alle Angst und Unruhe ließ von mir ab, die schrecklichen Bilder meiner Lieben wagten sich nicht in diesen Bezirk, es war mir dort wie dem Muttermörder Orest in dem heiligen Hain, wohin ihn seine Quälgeister nicht verfolgen durften.
Manchmal auch war mir zu Muth, als säße ich da vor dem Eingang zu einer Welt, in der ich eigentlich weit mehr zu Hause wäre, als droben. Ich müsse nur geduldig warten, aber es könne nicht fehlen, die Frau Lau werde eines Tages herauftauchen und mich dann mitnehmen in dieses geheimnißvolle Reich, –: und was solcher Träume mehr waren, mit denen ich Ihre kostbare Zeit nicht verderben will.
Es wurde mir leider nicht mehr lange vergönnt, mein Standquartier am Blautopf zu behaupten. Eines Tages kamen zwei Herren, die mich unter Vorzeigung eines Verhaftsbefehls nebst Steckbrief ersuchten, ihnen zu folgen. Meinem alten Principal war die Zeit endlich doch zu lang geworden.
Ich begriff erst nicht, warum er die Sache so übel nahm. Mein Brief wegen des Hauses –: aber richtig, da saß ja der faule Fleck. Wie hatte ich mir herausnehmen können, dieses Verkaufsgeschäft so einseitig abzumachen, ohne nur einmal anzufragen, ob der andere Theil es auch zufrieden sei. Und überdies hörte ich hernach, daß mein Haus längst mit Hypothekenschulden belastet und kaum den zehnten Theil der Summe mehr werth sei, die ich in Dresden erhoben hatte. Was man dabei zu meinen Gunsten vorbringen kann, um wenigstens die absichtliche Unterschlagung von mir abzuwälzen, das haben Sie selbst bei Ihrer Verteidigung so schön gesagt, daß mir's in der Seele wohl gethan hat.
So also, Herr Justizrath, ist das gekommen. Ich bitte nur um Entschuldigung, daß ich es Ihnen so umständlich erzählt habe. Ich gestehe Ihnen, wie ich schon Eingangs dieser langen Schreiberei gesagt: es war mir sehr gleichgültig, was man mit mir anfangen würde. Wenn auch weise und gütige Männer, wie Sie, theuerster Herr, mich mehr beklagen als verdammen, –: meine Ehre ist einmal angefressen –: es thut mir zwar nicht sehr weh, und den Menschen gehe ich ohnehin lieber aus dem Wege –: aber Schneidewin Söhne u. Comp. werden die Narren nicht sein, einen so ausgemachten Narren im Geschäft zu behalten. Und so werde ich als ein bettelhafter Mensch meine übrigen Tage –: Gott weiß wie viele noch –: hinfristen, und dann« –: –:
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Hier brach die Schrift plötzlich ab; auf die leere Rückseite des letzten Blattes war von anderer Hand die Notiz hinzugefügt:
Fritz W. war am 6. April 185 . von den Geschworenen des Verbrechens der Unterschlagung anvertrauter Gelder nicht schuldig erklärt und sofort frei entlassen worden. Mein Vater, der seine Vertheidigung geführt hatte und sich immer mit dem Vorsatz trug, dieses Aktenstück später einmal in einer Zeitschrift zu veröffentlichen, hat uns erzählt, daß sein Client gleich nach der Freisprechung aus der Stadt verschwunden und nicht wieder aufzufinden gewesen sei. Sechs Wochen hernach habe im schwäbischen Mercur gestanden, daß man die Leiche eines Mannes, in welchem alle Augenzeugen den räthselhaften Fremden von damals wieder erkannt, aus dem Blautopf gezogen habe. Er müsse heimlich bei Nacht angekommen sein und die That mit allem Vorbedacht vollbracht haben. Seine Taschen waren mit Steinen beschwert. Die Geldsumme, die er durch den Verkauf seines Hauses gelös't, habe sich noch vollständig bei ihm vorgefunden.
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