Peter Hille
Skizzen
Peter Hille

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Wohltäter Wein

Scherzo

Du folterst die Traube,
Es lacht der Wein.

Das lustige Vieh schlug auf der Weide seine Purzelbäume, die Störche zogen gravitätisch über die Fluren hin und ließen ihre roten Beine dabei träge herunterbaumeln. Faule Hirtenbuben und wandernde Zigeuner lagerten rechts und links und blickten nur verwundert auf, wie wir in den frischen, goldigen Morgen so dahinsausten, kurz, es war so ein rechter Wandertag.

Draußen auf der Plattform des Eisenbahnwagens stand ich und ließ mir den frischen Morgenwind lustig um Gesicht und Haare wehen. Was war natürlicher, als daß ich da anfing zu singen?

»O Täler weit, o Höhen!« – –

»Es wäre besser, Du hieltest Deinen Schnabel, Du Narr!« tönte da plötzlich eine verdrießliche Stimme zum Fenster heraus. Es war mein Freund Prczybiczewski, der also sprach.

»Warum soll ich denn nicht singen?« gab ich ihm ärgerlich zurück.

»Weil's dummes Zeug ist. Wo sind denn hier Höhen?«

Er hatte recht. Ich schwieg verstimmt; die deutsche Poesie wollte hier wirklich nicht passen. Noch nicht einmal eine Lerche hob sich in die Lüfte.

Endlich schrammte der Zug in den Bahnhof. Unbekümmert um alle die bärtigen Gestalten, die in ihren Schaffellen und ungeheuren Pelzmützen herumlungerten, stiegen wir aus und eilten nach der rumänischen Kreisstadt.

Über merkwürdig schöne Anlagen, in denen ein riesiges Schwein mit einer Herde junger Ferkel promenierte, führte unser Weg. Mein Begleiter knurrte immer mürrischer. Endlich gelangten wir an eine unheimliche Baracke, und ich klopfte zum Grausen des Hypochonders so urkräftig an die morsche Türe, daß das ganze Gelaß wackelte und aus den Fugen zu gehen drohte.

»Holla, alter Schlom!« – Keine Antwort.

Ich klopfte immer stärker, und mein Freund knurrte immer lauter. Schließlich schob sich vor ein verblindetes Fensterglas ein uraltes verknöchertes Gesicht mit spärlichem, rötlichweißem Barte und langen Löckchen vor den Ohren, zwei stechende Augen spähten boshaft und zornig. Im nächsten Augenblick jedoch raschelte es drinnen; es schlurfte über den Boden wie von zwei trägen Beinen, und ein Riegel wich. Schlom hatte mich erkannt.

»Gott der Gerechte!« schrie er, »was heilloses Wesen macht der gnädige Herr! Wollen Se mer zünden an meine armen Bajes?«

»Wo ist der Gefangene, Jude?« schrie mit überraschender Lungenkraft mein Freund Mißmut den verdutzten Alten an.

»Der Gefangene? Was schmußt der gnädige Herr von Gefangenes?«

»Hurtig, alter Sünder!« rief ich dazwischen, »das Licht geholt und mir nach!«

Ich hatte nämlich meinen Freund bei seinem glühenden Empfinden für alles Unterdrückte gefaßt und ihm von einem wegen seiner lauteren Gesinnung Eingekerkerten erzählt, den wir befreien wollten. Nur so bekam ich ihn mit.

Zitternd zündete der Jude, von meinen schrecklichen Blicken geängstigt, ein Lichtstümpfchen an, und ich ging auf eine Falltüre zu, hob dieselbe auf, deutete ihm vorauszugehen, und wir stiegen in einen niederen, dumpfigen Keller hinab.

Meinem nervösen Begleiter stiegen die Haare zu Berge. »Der Schuft, der rothaarige Wüterich«, schimpfte er in einem fort, »in dieses finstere schauderhafte Loch ein Menschenkind zu bannen! Hoffentlich sehe ich Dich heute noch baumeln, Du Seelenverkäufer!«

Schlom zitterte an Armen und Beinen und flüsterte mir zu: »Gott meiner Väter, ist der schöne Herr meschugge?«

Ich aber hatte meine helle Freude an dieser Konfusion und tappte in den Keller, um dort mit meinem Freund die Polenfrage zu lösen. Denn was der Kanzler drüben im deutschen Reich gegen die Polen sündigte, ich mußte es in Rumänien ausbaden.

Immer ungenießbarer ward mein Freund, immer vergiftender seine Blicke.

In einer Ecke begann ich zu wühlen und holte aus dem verbergenden Sande eine Flasche hervor, dann noch eine und noch eine – ungefähr sechs. Der Jude ließ mich ruhig gewähren; aber Prczybi, so wollen wir ihn der Abkürzung wegen von nun ab nennen, stand da und wußte nicht, was das bedeute. Ich steckte ihm eilends zwei Flaschen in die Rocktaschen, nahm selbst die übrigen und stolperte wieder die verfallene Treppe hinauf ans Tageslicht. Dort warf ich dem Juden drei Dukaten hin, die er prüfend auf seinen Krallen wog und von allen Seiten genau beäugelte.

»Gott segne Euer Gnaden«, schnurrte er mit verschmitztem Schmunzeln; »Sie sind vollwichtig ohne Schnitt. War mir e große Fraid, zu sehen und zu bedienen zu därfen den gnädigen Herrn. Kein Mensch in der Walachei weiß zu schätzen mein kostbares Tajin (Wein), als Euer Gnaden.«

»Alte Nachteule«, gab ich zur Antwort, »werde noch nicht versammelt zu Deinen Vätern, sie werden keine große Sehnsucht nach Dir haben, aber wenn Du doch durchaus so arges Heimweh haben solltest nach Abrahams Schoß, dann laß mich's vorher wissen.« – – –

Draußen vor der Stadt wußte ich ein lauschiges Plätzchen. Ein Wiesental mit murmelndem Bach und schattigen Büschen; dazwischen einzelne alte, hohe Bäume mit laubigen Kronen, und auf der einen Seite – ein seltenes Ereignis – ein steil emporsteigender Hügel. Dort stand einsam ein Häuschen mit deutschen Bewohnern, und neben dem Häuschen war ein niedliches Gärtchen, und in dem Gärtchen eine prächtige Laube. Hierher hatte ich den noch immer schimpfenden, menschenfeindlichen, tief unglücklichen Prczybi geschleppt, ohne ein Wort auf alle seine schweren Vorwürfe zu erwidern. Nur als er die so gewaltsam ihm aufgebürdeten Flaschen von sich werfen wollte, weil sie ihm mit ihren langen Hälsen vorwitzig aus den Rocktaschen schauten und er sich darob vor den Leuten schämte, nur da tat ich Einrede, so zornig, daß er sich geduldig fügte.

»So!« sprach ich, als nun sämtliche Flaschen der Reihe nach da standen, »jetzt ist er befreit, unser Gefangener. Ich präsentiere Dir hier einen Landsmann, den ich soeben aus dem Kerker erlöst habe; denn in diesen Flaschen – Achtung und Hut ab! schlummert das edelste Gewächs auf Gottes Erdboden – ein echter Rheinwein!«

Prczybi machte ein sehr einfältiges Gesicht bei dieser begeisterten Ansprache und zuckte mit den Achseln.

»Du zweifelst, Thomas? – höre die folgende wahre Geschichte! Einst kam ein deutscher Graf in dieses Land gezogen, weil ihn die Heimat arg verdroß; er war ein Menschenfeind geworden und wollte hier im fernen Walachenlande ungekannt leben und unbeweint sterben. Er hatte sein Schloß für so und soviel Fässer edlen Rüdesheimer Weines hingegeben, als er noch glaubte, im Leben austrinken zu können. So trank er Tag für Tag bis an sein Ende. Als er starb, fand man noch ein schmächtig Fäßlein bei ihm, das er, gewiß zu seinem großen Leidwesen, nicht mehr hatte leeren können, und Schlom, der Jude, hat es um einen Spottpreis erhandelt. Als ich eines Tages in diesem Städtchen, meinen Durst an Dreimännerwein stillend, nach einem Labetrunk vom Rhein leise seufzte, klopfte mir jemand von hinten auf die Schulter; ich wandte mich um und schaute in das gelbe Gesicht eines rothaarigen Alten, der mit funkelnden Augen zu mir sprach: ›Will der gnädige Herr trinken Wein vom Rhein?‹

Ich nickte natürlich.

›Ich tue zwar nicht mehr machen Geschäftchen, die macht der Laibel, mein Sohn, aber ich habe noch in mein Keller vergraben so einige Stickle, was werden machen Fraid meinem gnädigen Herrn.‹ Und dann erzählte er die Geschichte.

Was tat ich? Ich kam, sah und – trank. Jetzt weißt Du, was es mit meinem gefangenen Landsmann auf sich hat.«

Währenddessen hatte ich die erste Flasche vorsichtig entkorkt und goß nun den köstlichen Inhalt ehrerbietig in die bereitstehenden Gläser. Mein Glas hob ich dann prüfend und schaute durch die goldige Welt.

»Siehst Du«, sprach ich bewegt zu meinem trockenen Gegenüber, »wie tief golden das glänzt? Kein Schimmer von Grün, denn das wäre Moselwein. Am grünen Schimmer erkennt man nämlich allsogleich die Mosel. Da fällt mir jener Spruch ein, den ein Weiser der Vorzeit auf Rhein und Mosel gemacht; es sind zwei miserable, aber schöne Verse:

Vinum Mosellum est omni tempore sanum
Vinum Rhenense rex est et gloria mensae.

Zu deutsch etwa:

Der Jungfer Mosel Wein
Tut wohl zu jeder Zeit,
Wein vom Vater Rhein
Ist des Tisches König,
Seine Herrlichkeit.

Nun nimm Dein Glas zur Hand, mein treuer Freund, nimm zugleich all' Deinen Verstand zusammen und stoße mit mir an! Das erste Glas dem Strom, an dessen Ufern er gewachsen ist: es lebe der Rhein!«

Ich leerte das ganze Glas bis auf die Nagelprobe mit einem Zuge, und er durchströmte mich wonniglich, der edle goldklare Trank. Aber Prczybi nippte nur und murmelte trotz des feierlichen Momentes verdrießlich: »Was er nur immer mit seinem Rhein so groß zu tun hat? Als ob es anderwärts gar keinen Fluß mehr gäbe!«

»Nun, zum Beispiel?«

»Zum Beispiel in Polen.«

»Und das wäre?«

»Brauche ich sie erst zu nennen, unsere herrliche Wislica?«

»Wislica, hahaha! Das heißt man bei uns Weichsel, und daher kommen die Weichselzöpfe, haha!«

Mein Freund fuhr entrüstet auf, seine Zornesader schwoll mächtig an. Ich aber drückte ihn sanft nieder auf seinen Sitz und sprach begütigend:

»Nun ruhig Blut, mein tapfrer Patriot! Ich will Dir sogar nächstens ein Gedicht auf Deine Weichsel machen, wenn ich nur außer ›Teixel‹ erst noch einige andere Reime aufgestöbert habe. Sagen wir für jetzt: Es lebe Polen!«

»Bog bocze Polska! Gott schütze Polen!« rief er mit Begeisterung und stürzte das ganze Glas hinunter.

»So lieb' ich mein Polen!« sprach ich zufrieden; »jetzt aber hört das Massentrinken auf. Nein, Stacjo, wir trinken edlen Rheinwein, und den muß man deutsch trinken, nämlich kleine, aber beharrliche Züge, langsam, bedächtig und sinnig, kurzum mit Verstand und Andacht! O, sauge diesen köstlichen Duft durch Deine profane Nase! Ist es nicht wie ein Wohlgeruch von Rosen, Veilchen und Jasmin?«

Er roch am Glase und sprach trocken: »Nicht übel, man muß es sagen.«

»Was, nicht übel? – O Du Barbar! Nicht übel nennt er, was der ernste Kenner nicht erhabener auszudrücken vermag, als durch das bedeutungsvolle Wort: Blume! Ha, in der lauen Sommernacht, wo die Johanniswürmchen als strahlende Juwelen der Liebe im Grase liegen, und die Leuchtkäferchen feurige Linien durch das Dunkel ziehen, wo der Weinstock Millionen feiner, niedlicher Blütenkelchlein aufgeschlossen hat, und dann der Wanderer einsam auf taufrischen Pfaden durch die sanften Rebengelände dahinschreitet: dann wogt es um ihn lind wie Paradiesduft, und er ahnt den edlen Saft, der schon in der Geburt so verschwenderisch von seinem Reichtum so nutzlos vergeuden darf. Denn soviel er damals ausgeströmt, er hat noch immer des Duftes die Fülle; er bleibt ewig jung, hat immer seine Blume. Und das nennt der: ’nicht übel’!«

Ich war wirklich recht empfindlich über seine Unempfindlichkeit und schmollte. Das ging ihm doch zu Herzen, und er bat um ein frisches Glas.

»Ei, so gieß Dir selber ein, wenn er nicht übel ist!« gab ich verdrossen zur Antwort.

Er nahm die Flasche zur Hand, aber am Halse, wie ungeschickt! – Man sah ihm an, daß er nicht vertraut war mit deutscher Trinker Art. Die Flasche wurde leer, und er stellte sie gleichgültig bei Seite.

Da konnte ich mich nicht mehr länger bezwingen. »Halt!« rief ich, »was glaubst Du denn, vor Dir zu haben? Etwa Grüneberger Rambaß?«

Ich legte die leere Flasche zärtlich der Länge nach auf den Tisch. »So muß sich Tropfen zu Tropfen von den Wänden rings gesellen. So ist es Brauch, wenn echte Trinker zechen.«

Er lachte – heute zum ersten Male.

»Wenn Du wüßtest, wieviel Tropfen sauren Schweißes auf einen Tropfen süßen Rebenblutes kommen, wahrlich, Du würdest nicht so freventlich lachen«, tadelte ich.

Prczybi trank jetzt beharrlicher, anfangs, um mich zufrieden zu stellen, und nachher, um sich zufrieden zu stellen, und ich tat ihm selbstverständlich Bescheid. Aber gesprochen wurde lange nicht. Endlich begann er, und es war ein Ereignis, wie er begann: »Weiß Gott, dieser Stoff geht mir durch alle Glieder in das Herz, mir wird so wohlig und warm in allen Ecken! – Aber was hast Du denn immerfort in Dein Glas hineinzustieren?«

»Tu' ich das?« gab ich zur Antwort. »Dann ist es die verwünschte Poesie, die in diesem Trank ist. Ich sehe da einen Menschen, und dieser Mensch bin ich. Ich stehe auf einer luftigen Höhe und schaue weit hinaus in das Land, Nebel ziehen vorüber. Da rauscht zu meinen Füßen der grünwogende Rhein; ferne schimmert das goldene Mainz mit seinen Türmen, unten ziehen die Schiffe mit bunten Wimpeln, die im Morgenwinde lustig flattern – und jetzt beginnen im Städtchen dort die tiefen Glocken zu läuten, darauf geben andere im Tale Antwort, und endlich läuten alle zumal, wohl an die hundert eherne Zungen, die zu meiner Seele sprechen. Dazwischen jubilieren die Lerchen immer höher in die duftige Bläue empor – o selige, wonnige Zeit! – o Maienmond am Rhein!« In Erinnerung verloren, senkte ich das Haupt, und eine Träne fiel in den Wein.

Das ging meinem Prczybi zu Herzen. »Bruder«, sprach er und schlug einen Arm um meine Schultern, »sei doch nicht so närrisch! Da, trink aus, es ist ein köstlicher Stoff. Trink! Ich kann Dich nicht so sehen.«

Ich trank, er trank – wir tranken mehr, immer mehr. Mein Kumpan wurde zusehends fröhlicher, und ich? –

»Peter, verrückter Kauz, bist Du denn heute ganz behext? Du schaust ja wie verzückt, und Dein ganzes Gesicht leuchtet!«

»Wirklich? – Dann ist es die Musik, die der Wein macht. Hörst Du denn nicht, wie es da drinnen wundersam und lieblich klingt? Ach ja, Du hast ja nie dort gestanden – dort, dort auf dem alten Ehrenfels am Rüdesheimer Berg, wo so ein köstlicher Boden ist, daß jede Scholle mit Silber aufgewogen wird. Hei, wie sie da lustig ausziehen, um sich die edle Gottesgabe heimzuholen im Herbst! Jetzt eben ist die Zeit, da wehen die Fahnen im bunten Zuge; die Winzer und ihre vollen Bütten sind bekränzt mit grünen Reisern, die Hörner schallen, die Böller krachen durch die Berge, und Burschen und Mädchen singen so frisch und frank aus der Kehle, daß es ferne über den Rhein dahinschmettert bis an den Rochusberg, auf dem die Kapelle steht und weit ins Land hineinschimmert durch den ganzen Gau. Von Bingen her, gleich zierlichen Schwänen, kommen die Nachen gezogen, die weißen Segel vom Abendwinde gewölbt, und die Schiffer geben Antwort auf das Singen am Ufer, so daß das Echo durch die Berge fährt und an alle Felsen stößt. Ist es aber dunkel geworden, dann flammt es auf den Höhen; die Martinsfeuer lodern und funkeln von den alten Burgen ins weite Tal, und alles jauchzt vor Lust –«

»Schweig' still mit Deinem Rhein!« unterbrach mich hier Prczybi, »aber ein herrliches Land muß es dennoch sein; man merkt es an diesem unvergleichlichen Tropfen. Wahrhaftig, ich möchte das Zauberland sehen, wo er gedieh.«

»Ja, wer sie wieder einmal sehen dürfte, die paradiesische Au, von dunklen Wäldern beschattet! Die jähe Felswand, in der stillen Flut gebadet, und auf der Krone das graue Schloß und

›Hoch auf dem alten Turme
Steht des Helden edler Geist,
Der, wie das Schiff vorübergeht,
Es wohl zu fahren heißt, –‹«

Prczybi sprang begeistert auf. »Ein Hoch dem Land und seinem treuen Volke!« so rief er, und die Gläser gaben guten Klang. –

Wir waren allgemach zur letzten Flasche gekommen und hatten über unserem Reden und Trinken nicht bemerkt, daß wir schon geraume Zeit hindurch der Gegenstand neugieriger Beobachtung waren. Einige Müßiggänger hatten uns aufgestöbert und lugten durch die Laube herein. Sie mußten wohl recht verwundert sein über unser närrisches Treiben; denn erschrocken fuhren sie zusammen, als Prczybi sein »Hoch« mit fürchterlicher Stimme hinausschrie. Ich winkte ihnen, nur näher zu kommen, und sie gehorchten etwas zögernd.

»Domnule«, fragte einer der dunkelhaarigen Wallachen, indem er auf die Gläser deutete; »ce este acésta?« Herr, was ist das? »Este auru eu foe!« Es ist Gold mit Feuer!

Sie sahen sich zweifelnd an. Aber Prczybi nickte bestätigend und ließ sie den edlen Wein kosten.

»E adeverat!« Es ist wahr! sprach der Vorige wieder mit langem Zögern; er hatte keine Ahnung von solchem Gewächs gehabt. »Wollt Ihr wissen« nahm ich das Wort, »wie das Gold da hineingekommen ist? – Seht, weit, weit von hier fließt ein großer, stolzer Strom; an dem Strome steht ein uraltes Gemäuer, daß war früher ein herrliches Schloß und hieß Ingelheimer Pfalz. Dort wohnte vor tausend Jahren der große Kaiser Karl, der hat den Weinstock an den Strom gepflanzt. Jetzt haust er noch dort, aber tief unter der Erde in einem Kellergeschoß, wo er bei Lebzeiten seinen Wein barg. Alljährlich in der ersten Maiennacht steigt er da herauf, und soweit nur Reben wachsen, zieht er den Strom aufwärts und nieder und segnet seine Reben und segnet seinen Rhein. Dann regt es sich tief unter dem Flusse und in dem Schoß der Berge, und viel tausend Bergmännlein steigen emsig empor und streuen mit vollen Händen das Gold in die Wurzeln der Rebstöcke, das sie da unten Jahr für Jahr graben. Wenn der Morgen graut, ist alles wieder verschwunden. Aber alsdann kommt die liebe Sonne mit ihren durchdringenden Strahlen und kocht das Gold im Fluß, so daß die Stöcke es in sich hineinsaugen und in die Trauben sickern lassen. Daher kommt es, daß, wenn man den Wein trinkt, man Gold und Feuer trinkt, auru si foe.«

Die guten Wallachen machten große Augen und schüttelten ungläubig die Köpfe. Offenbar zweifelten sie an meinem klaren Verstande.

»Laß sie, Bruder«, meinte Prczybi gerührt. »Sie haben keinen Funken von Poesie im Leibe, die Wichte! Sie werden Dich nie verstehen! Weißt Du denn gar kein lustiges Lied auf diesen Wein, daß wir doch etwas Vernünftiges beginnen?«

O Wunder über Wunder: Prczybi und singen! Stets hatte er bei der ersten Note, mit der ich mich herauswagte, die Stirne in Falten gezogen, und jetzt will er singen!

»Freilich«, lächelte ich, »Lieder die schwere Menge!«

Und wir sangen, daß es lustig durch die Baumwipfel hallte; der Wein ging zur Neige, da stellten wir uns in Positur, jeder sein gefülltes letztes Glas in der Hand, und es war kurios, im Wallachenlande erschollen folgende drei Strophen:

Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher
Und trinkt ihn fröhlich leer.
In ganz Europia, Ihr Herren Zecher,
ist solch ein Wein nicht mehr.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben,
Gesegnet sei der Rhein!
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein.

So trinkt ihn denn und laßt uns allerwege
Uns freu'n und fröhlich sein;
Und wüßten wir, wo jemand traurig läge,
Wir gäben ihm den Wein.

Prczybi schlug sich da plötzlich vor die Stirne. »Wo jemand traurig läge«, wiederholte er; »was wir doch für vergeßliche Leute sind! Wir wollten ja auch heute einen Betrübten trösten.«

Denn das hatte ich als zweiten Teil unseres Reiseprogramms angegeben.

»Wahrhaftig«, sagte ich lachend, »aber ich kann ihm nicht mehr helfen, es ist zu spät.«

Prczybi war froh und heiter geworden wie ein unschuldiges Kind. Er plauderte in einem fort, bald vom Rhein, bald von seiner Wislica: Beide gleich ihm ans Herz gewachsen. Es war doch eine wundersame Medizin gewesen, dieser edle Wein.

Ich ließ ihn plaudern, wie er mochte. Durch meine Seele aber zogen alle Lieder der Reihe nach, die man am Rheine singt.

»An den Rhein, an den Rhein, geh' nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rate Dir gut...«

Da war's aus. Da rieselten mir die Tränen in meinen Bart herab, und seltsam! Obwohl ich seit langen Jahren des göttlichen Homer Gesänge nicht mehr zur Hand genommen, dennoch tauchte in diesem Augenblicke der unglückliche Odysseus vor mir auf, der sich vor Heimweh verzehrte und sich zum Sterben sehnte, nur den Rauch aufsteigen zu sehen aus den Hütten seiner heimatlichen Fluren.

Da mein Freund mich traurig sah, schloß er mich ungestüm, wie nur ein begeisterter Pole umarmen kann, in seine Arme.

»Bruderherz, Du weinst? Wer hat Dir was getan? Er soll mich kennenlernen! Der Elende soll meine Rache fühlen. Meinem Freunde zu nahezutreten, der mir das Leben wiedergegeben!«

Jetzt mußte ich lächeln: »Der ist schon vernichtet, von uns beiden. Von Dir und mir. Es ist derselbe, der Dir das Leben wiedergegeben. Bedanken hättest Du Dich bei ihm sollen, nicht bei mir.«

»Es ist der Sohn meiner Heimat, der mir das Heimweh brachte.«

»Aber zu dir – wenn nun wieder Rückfälle kommen?«

Mit strahlenden Augen, die er schelmisch klein machte, entschied mein seliger Freund: »Nun weiß ich selbst hinzufinden, Bruderherz! Es gibt ja hier noch mehr Gefangene bei unserem Freund Schlom, die alle befreit sein wollen. – Gefangene Sonnen.«

 


 


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