Peter Hille
Skizzen
Peter Hille

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O was war das für ein Jammer

O was war das für ein Jammer! Gar nicht zu sagen, nicht zu beschreiben. Und noch immer kann ich mich an den Gedanken nicht gewöhnen.

Ja sie ist tot. Nirgends erblickt man sie mehr. Wie kann man ohne sie denn nur leben!

Ohne die Tugend!

Wo man so ganz frech, so ganz nichtswürdig das Leben liebt. Keine Rute mehr, kein sauberes Gesicht und nicht mal ein einziger Paragraph ist übrig geblieben, die Welt zu regieren. Und die Welt besteht immer noch.

Ja damals –

        Ein Schluchzen erscholl, ein Schluchzen so laut,
Daß allen es tief in der Seele graut,
Als hätte der Frühling verloren die Braut...
Von seinen Tränen ihr Busen betaut
Und weihevoll langsam klagen die Glocken,
Das Land liegt still wie zu Tode erschrocken,
Wer kann es sein, der hier verschieden,
Wer ging hier ein zum ewigen Frieden?

Und komisch das Gefolge!
Da nahet die Bahre –

Alle Strickstrümpfe der Welt klappern, alle mageren, fadenumschlungenen Zeigefinger der Welt zeigen kläglich arbeitend auf die Leiche, alle mageren Handrücken der Welt wackeln, und alle mürrischen schieferblauen Weenen der Welt nattern darüber hinweg.

Alles Schweigen heute – kein Schnattern. Und alle die mageren Gesichter, von denen die Wangen herabgesunken sind, so lang, so lang, haben tiefgeätzte Rinnsale und all die tiefgeätzten Rinnsale führen Salzflut der Seele, und alle die Brillen sind wie Glaskuppeln über einer Heilquelle.

Von Zeit zu Zeit brechen große Tränen aus, die Wasser der Seele fluten über und erschüttern die nun stärker, wie Mühlräder klappernden Stricknadeln; große Tropfen auf den Brillen verglasen für Augenblicke Landschaft und Leiche. Und stärker knistern die Immortellenkränze in ihren Armen, die sich so feierlich abheben von den schwarzen Gewändern.

Noch immer nimmt der Zug kein Ende.

Hat denn die Welt so viel Gouvernanten, so viel alte Jungfern? So viel gestreifte und geblümte, so viel blaue und schwarze Gewänder? So viel kneifende Heiligenscheine von Hauben über so viel eisgrau strengen, scharf geteilten Scheiteln?

Wie ergreifend!

Hoffen wir, daß Freund Hein auch ihrer sich erbarmt, nun, da sie ihr Palladium, ihren Halt verloren. Denn es ist die Tugend, die sie jetzt zu Grabe tragen.

Es ist das Beste für sie, nun, nachdem dieser Schlag sie getroffen. Der Zug ist fort. Nun regt es sich. Ein Seufzen, wie Knospen seufzen, die aufspringen.

Und junge Brüste heben sich vor schwellendem Leben, das mehr und mehr die zartrunden Wangen ins Erwachen rötet. Die Lerche wirft ihre Mütze in die Luft.

Und nun sind auf einmal zwei Sterne da, so tief erstaunt, so goldig braun!

 


 


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